Der alte Engels - Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen
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Fünftens kritisierte <strong>Engels</strong> vor allem die schlechten Übersetzungen aus dem Französischen, darunter<br />
die seines Schreibens „A propos du congrès de Bruxelles et de la situation de l’Europe“ (S. 55–57;<br />
<strong>Engels</strong> an August Bebel, 29. September bis 1. Oktober 1891).<br />
Schließlich beklagte <strong>Engels</strong> mehrmals, dass die Zeitung auf verschiedene Vorgänge nicht oder<br />
nur unzureichend eingehe. Dies hat er unter anderem an der sogenannten „Gilles-Aveling Affäre“<br />
dingfest gemacht, in die er allerdings parteiisch verwickelt war. (Siehe S. 1434–1436.)<br />
Seine Kritikpunkte verband <strong>Engels</strong> vornehmlich mit Liebknechts Chefredaktion (zum Beispiel<br />
<strong>Engels</strong> an Karl Kautsky, 17. März 1891 und 3. November 1893; an Friedrich Adolph Sorge,<br />
8. April 1891 und 2. September 1891 sowie 4. Dezember 1894). Insgesamt gesehen glaubte <strong>Engels</strong><br />
nicht daran, dass sich unter der Federführung Liebknechts die Qualität des „Vorwärts“ entscheidend<br />
verbessern ließe. Er befürwortete deshalb dessen Ablösung als Chefredakteur. Vor allem Bebel<br />
schrieb er des öfteren darüber. „Ich hoffe es findet sich eine sanfte schiefe Ebene worauf<br />
L[iebknecht] sich allmählich in die Pensionirung hineingleiten läßt – er ist merkwürdig ver<strong>alte</strong>t in<br />
der Partei.“ (<strong>Engels</strong> an August Bebel, 24. Oktober 1891.) Mit dieser Position stand <strong>Engels</strong> nicht<br />
allein. Ähnlich urteilten auch Kautsky und Bebel über Liebknechts Redaktionstätigkeit. So schrieb<br />
zum Beispiel Karl Kautsky am 9. Dezember 1894 an August Bebel: „Überall wäre er unschädlicher<br />
als beim ‘Vorwärts’.“ (Bebel-Kautsky-Briefwechsel. S. 86.) Immer wieder kam auch Bebel auf die<br />
Qualität des „Vorwärts“ in seinen Briefen an <strong>Engels</strong> zurück. „Ich habe erst Sonntag Unterhaltung<br />
mit Liebknecht gehabt und ihn auf die Inhaltslosigkeit des ‘Vorwärts’ hingewiesen, aber das ist<br />
alles zwecklos. Er hält den ‘Vorwärts’ für das beste Blatt der Welt.“ (August Bebel an <strong>Engels</strong>,<br />
29. Juni 1892.) Schoenlank konstatierte auf dem Kölner Parteitag der SPD 1893: „Liebknecht ist<br />
unser bester Agitator, im Parlament unersetzlich, man kann von ihm nicht verlangen, daß er neben<br />
allen seinen sonstigen Aufgaben auch den Posten eines Chefredakteur so versieht, wie es notwendig<br />
ist. Dem Blatte fehlt der wirkliche Chefredakteur.“ (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages<br />
der Sozialdemokratischen Partei …1893. S. 115/116.) Auch danach fanden zu diesem Thema<br />
Auseinandersetzungen im Parteivorstand der SPD statt, aber ohne Ergebnis, denn laut Bebel hielt<br />
Liebknecht an der Chefredaktion fest. (August Bebel an <strong>Engels</strong>, 13. November 1893.)<br />
Eine gewisse Abhilfe suchten die Delegierten des Kölner Parteitags dadurch zu erreichen, dass<br />
sie beschlossen, ein Zentral-Wochenblatt zu gründen. Singer erklärte dazu auf dem Parteitag, „daß<br />
nach der Ansicht des Vorstandes, ohne sich auf Einzelheiten zu verpflichten, das Blatt wöchentlich<br />
einen prinzipiellen Artikel mit Bezug auf das Programm, ferner einen politischen Artikel über eine<br />
aktuelle Frage, dann eine Chronik der Ereignisse innerhalb der Partei bringen solle, so daß dem<br />
Blatte ein lokaler Charakter nicht anhafte. <strong>Der</strong> Vorstand sei der Meinung, daß an eine Konkurrenz<br />
mit anderen Parteiblättern kaum zu denken sein werde“ (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages<br />
der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands … 1893. S. 150). <strong>Der</strong> §17 des Organisationsstatutes<br />
der Partei wurde jedoch nicht verändert, so dass der „Vorwärts“ Zentralorgan blieb. <strong>Der</strong><br />
„Sozialdemokrat“ wurde ab April 1894 herausgegeben, musste aber ab 1. Januar 1896 sein Erscheinen<br />
bereits wieder einstellen, da das finanzielle Defizit zu groß geworden war (August Bebel an<br />
<strong>Engels</strong>, 17. Juli 1895).<br />
Bei <strong>Engels</strong>’ Kritik an Liebknechts leitender Redaktionstätigkeit am „Vorwärts“ muss allerdings<br />
das seit langem gestörte Verhältnis von <strong>Engels</strong> zu Liebknecht in Rechnung gestellt werden. Bereits<br />
1875 hatte er rückblickend über „die viele unangenehme Korrespondenz“ geklagt, die er und Marx<br />
mit Liebknecht wegen dessen Alleingängen und nicht eingeh<strong>alte</strong>nen Vereinbarungen gehabt hätten.<br />
(<strong>Engels</strong> an August Bebel, 18./28. März 1875.) Liebknechts Agieren im Vereinigungsprozess von<br />
Sozialdemokratischer Arbeiterpartei und Allgemeinem Deutschen Arbeiterverein 1874/1875 (siehe<br />
MEGA 2 I/25. S. 520; auch noch <strong>Engels</strong> an August Bebel, 1./2. Mai 1891), seine Redaktionstätigkeit<br />
am Leipziger „Vorwärts“ in der zweiten Hälfte der 1870er Jahre, auch im Hinblick auf <strong>Engels</strong>’ dort<br />
erschienene Artikelserie gegen Eugen Dühring (<strong>Engels</strong> an Marx, 24. Mai 1876, an Wilhelm Liebknecht,<br />
11. April 1877, an Wilhelm Bracke, 11. und 24. April 1877), seine Aktivitäten für eine Gesamtausgabe<br />
der Marxschen Schriften unmittelbar nach dessen Tod (<strong>Engels</strong> an August Bebel, 30.<br />
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