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Der alte Engels - Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen

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sich speziell auf sie und die politische Lage, in der sie sich befand 65 , aber in den Grundzügen sprach<br />

<strong>Engels</strong> hier Überlegungen aus, die er in der damaligen Situation für allgemein gültig hielt, wie zum<br />

Beispiel sein Hinweis auf entsprechende Tendenzen in anderen Ländern (S. 347.36–348.22) nahe<br />

legt. Aus der Sicht einer solchen Zusammenfassung der „Einleitung …“ erscheint <strong>Engels</strong> weder als<br />

„Revisionist“ und „Reformist“ im Sinne der von Eduard Bernstein nach 1895 entwickelten Konzeption<br />

noch als „potentieller Leninist“, sondern als ein Sozialist, der das humanistische Ziel dieser<br />

Bewegung auf einem revolutionären Weg suchte, der dem Ziel und den gegebenen Bedingungen<br />

adäquat sein sollte.<br />

Wenn mit einer gewissen Berechtigung gesagt werden kann, dass <strong>Engels</strong> in der „Einleitung<br />

(1895) zu Karl Marx’ ‘Klassenkämpfen in Frankreich 1848 bis 1850’“ eine Reihe von Überlegungen,<br />

die mit seiner veränderten Sicht auf den Zusammenhang von bürgerlichem und proletarischem<br />

Revolutionszyklus verbunden waren, mit Blick auf Deutschland und Westeuropa vortrug, so erfüllte<br />

sein „Nachwort zu ‚Soziales aus Rußland’“ eine ähnliche Funktion mit Bezug auf weniger entwickelte<br />

Länder, vor allem Russland. Einerseits erschloss sich ihm auch hier durch seine kontinuierliche<br />

Beschäftigung mit der Entwicklung Russlands neues Material für eine verallgemeinerte Sicht.<br />

(Siehe S. 1056.) Andererseits bildete diese wiederum den Hintergrund, vor dem er die russischen<br />

Verhältnisse neu bewertete. Das betraf insbesondere die Rolle der russischen Dorfgemeinde. Die<br />

Möglichkeit, dass sie in Verbindung mit proletarischen Revolutionen in Westeuropa zum „Ausgangspunkt<br />

einer kommunistischen Entwicklung“ (S. 260.40–41) in Russland werden und damit<br />

dort der Kapitalismus umgangen werden könnte, veranschlagte <strong>Engels</strong> nun deutlich geringer als<br />

Marx und er das zum Beispiel noch 1877 66 und 1882 67 getan hatten.<br />

Für die Beurteilung der Plausibilität und Reichweite von <strong>Engels</strong>’ verändertem konzeptionellen<br />

Standpunkt ist bemerkenswert, dass er frühere Einschätzungen nicht nur weiterentwickelte, sondern<br />

auch revidierte. So bezog er die Neubewertung der Potenzen der russischen Dorfgemeinde nicht nur<br />

auf den Zeitraum nach 1882, sondern, ähnlich wie er das in der Einleitung zu den „Klassenkämpfen<br />

in Frankreich“ ein Jahr später bezüglich Westeuropas tat, betrachtete er die Entwicklung Russlands<br />

seit dem Krimkrieg (1853–1856) und kam im Grunde zu dem Ergebnis, dass die Hoffnungen, die<br />

Marx und er noch um 1880 in dieser Frage hegten, schon damals nicht realistisch waren.<br />

<strong>Engels</strong>’ im Rahmen seiner Intentionen realistische Rückschau auf die europäische Geschichte<br />

seit 1848 und auf die damit verbundenen veränderten Voraussetzungen für die von ihm als notwendig<br />

angesehene revolutionäre Umwälzung der industriekapitalistischen Verhältnisse findet allerdings<br />

keine Fortsetzung in einem ebenso realistischen Blick auf die überschaubare Zukunft dieses<br />

Prozesses. Dafür steht eine ganze Reihe von euphorischen Äußerungen, wonach er die politische<br />

Machtergreifung durch die deutsche Sozialdemokratie etwa bis zur Jahrhundertwende für möglich<br />

hielt (S. 56.38–40, 93.26–28, 95.5–8, 361.32–33, 366.23–25 und 371.15–16). 68 Da <strong>Engels</strong> sich die<br />

proletarische Revolution nur als weitgehend zusammenhängende Aktion der Arbeiterklasse wenigstens<br />

in Frankreich, Deutschland und Großbritannien vorstellen konnte (S. 128), gewinnen diese<br />

Prognosen noch eine größere Dimension, wie sie, im Rückschluss daraus, auch nicht nur aus den<br />

deutschen Verhältnissen zu erklären sind. Für die Beurteilung dieser nicht eingetroffenen Prognosen<br />

sollten einige Umstände beachtet werden. 69 <strong>Engels</strong> verband diese vorausschauenden Aussagen mit<br />

bestimmten Prämissen, unter denen jene eintreten würden. (Siehe die angegebenen Stellen.) Für die<br />

65 Siehe zum Beispiel <strong>Engels</strong> an Karl Kautsky, 25. März 1895 und an Paul Lafargue, 3. April 1895.<br />

66 Karl Marx: À la rédaction de l’ « Отечственныя Записки ». In : MEGA 2 I/25. S. 112–117.<br />

67 Karl Marx, Friedrich <strong>Engels</strong>: Vorrede zur zweiten russischen Ausgabe des „Manifestes der Kommunistischen Partei“.<br />

In: MEGA 2 I/25. S. 295/296.<br />

68 Siehe auch <strong>Engels</strong> an August Bebel, 24.–26. Oktober 1891, an Laura Lafargue, 5. Dezember 1892 und an August<br />

Bebel, 12. Oktober 1893.<br />

69 Siehe auch Herbert Schwab: Gedanken zu Fragen von Friedrich <strong>Engels</strong>’ Voraussagen und Prognosen aus seinen<br />

letzten Schaffensjahren. In: Beiträge zur Marx-<strong>Engels</strong>-Forschung. H. 23. Berlin 1978. S. 198–210.<br />

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