Der alte Engels - Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen
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schenden dem mit Gewaltmitteln begegnen würden, nämlich ebenfalls die Anwendung solcher Mittel.<br />
Kernpunkt des für die Veröffentlichung bestimmten Briefes „La situation en Italie“ war <strong>Engels</strong>’<br />
Annahme, dass in Italien sowohl wegen des allgemeinen gesellschaftlichen, vor allem aber wegen<br />
des wirtschaftlichen Entwicklungsstandes als auch wegen der Schwäche der sozialistischen Bewegung<br />
die vorhandene gesellschaftliche Krise nicht für eine sozialistische Umwälzung, sondern für<br />
eine Vertiefung und Ausweitung bürgerlich demokratischer Verhältnisse genutzt werden müsste. In<br />
diesem Zusammenhang bekräftigte er seine und Marx’ bereits 1848 entwickelte grundlegende Position:<br />
Ziel des politischen Kampfes sei die Eroberung der politischen Macht als Mittel zur gesellschaftlichen<br />
Umgestaltung. Alle politischen und sozialen Bewegungen und Veränderungen, die in<br />
Richtung dieser Umgestaltung liegen, würden von den unbedingt selbständig wirkenden sozialistischen<br />
Parteien unterstützt. Dabei dürften aber die eigenen Kräfte nicht leichtfertig aufgerieben werden,<br />
da sie dann nicht zur Verfügung stünden, wenn es um die eigentlichen Interessen der Arbeiterklasse<br />
gehe. Dafür, wie diese Grundposition von der jeweiligen Partei anzuwenden sei, gäbe es keine<br />
Rezepte und müsse an Ort und Stelle entschieden werden. Im Brief an die „Critica Sociale“ vom<br />
1. November 1894 steht nochmals die für <strong>Engels</strong> zentrale Aufgabe aller Sozialisten im Mittelpunkt<br />
– auf den jeweils geeigneten Wegen die politische Macht zu erobern und die Spaltung der Gesellschaft<br />
in Klassen aufzuheben.<br />
Als besonders bedeutsam für die Eroberung der politischen Macht betrachtete <strong>Engels</strong> die Suche<br />
nach Verbündeten und das vor allem mit Blick auf die Landarbeiter und Kleinbauern. Dies legte<br />
schon der damals noch erhebliche Umfang und die enorme wirtschaftliche Bedeutung der landwirtschaftlichen<br />
Produktion nahe. In der Arbeit „Die Bauernfrage in Frankreich und Deutschland“ ging<br />
<strong>Engels</strong>, veranlasst von einer breit einsetzenden internationalen Diskussion 63 , der Frage nach: Wie<br />
kann der Bauer, namentlich der Kleinbauer, allmählich an die revolutionäre Arbeiterbewegung gebunden<br />
werden? <strong>Engels</strong> Antwort umfasste im wesentlichen vier Punkte: 1. <strong>Der</strong> unvermeidliche Untergang<br />
des Kleinbauern dürfe durch die Sozialdemokratie nicht beschleunigt werden, und man<br />
könne dafür eintreten, dass er mit möglichst wenig unrechtlichen Mitteln und direktem Raub seitens<br />
der herrschenden Klassen erfolge. 2., und das rückte <strong>Engels</strong> eindeutig in das Zentrum seiner Überlegungen,<br />
gälte es, die Kleinbauern von den Vorteilen zu überzeugen, die sie unter der politischen<br />
Herrschaft der Arbeiterklasse erlangen würden. 3. räumte <strong>Engels</strong> auch die Möglichkeit ein, dem<br />
Bauern in der neuen Gesellschaft „eine verlängerte Bedenkzeit auf seiner Parzelle“ (S. 322.32–33)<br />
zu gewähren. 4. Diese drei Argumentationsrichtungen müssten stets damit verbunden werden, den<br />
Bauern die absolute Rettungslosigkeit ihrer Lage, solange der Kapitalismus existiert, klarzumachen.<br />
Mit den Positionen gelang es, wie von <strong>Engels</strong> beabsichtigt, den internationalen Vorstoß reformerischer<br />
Kräfte in dieser Frage vorerst zu stoppen. Wenngleich mit diesen Vorschlägen von <strong>Engels</strong> der<br />
Spielraum einer sozialdemokratischen Agrarpolitik etwas erweitert wurde, waren sie aber, wie die<br />
nachfolgende Entwicklung zeigte, nicht hinreichend, um die von <strong>Engels</strong> gestellte Frage zu beantworten,<br />
ungeachtet dessen, dass selbst dieser Spielraum von den in der SPD dominierenden orthodoxen<br />
Kräften nicht genutzt wurde.<br />
Wenn auf der einen Seite <strong>Engels</strong>’ Beobachtungen der wirtschaftlichen Entwicklung und die Arrondierung<br />
seiner materialistischen Geschichtsbetrachtung bei ihm zur Ausbildung modifizierter<br />
politischer Handlungsstrategien und –taktiken beitrugen, so räumte er andererseits gemäß seiner<br />
Akzentuierung des relativ eigenständigen Gewichts der außerökonomischen Bereiche der Gesellschaft<br />
nun auch der Politik einen größeren Einfluss auf die Ökonomie ein. Dafür ist die Charakterisierung<br />
der Präsidentenwahlen in den Vereinigten Staaten von Amerika 1892 als „ein Weltmarktereigniß<br />
ersten Ranges“ (S. 176.17) ein aufschlussreiches Beispiel.<br />
Eine Reihe der vorstehenden ökonomischen, geschichtstheoretischen und die Politik betreffenden<br />
Überlegungen fasste <strong>Engels</strong> in seiner „Einleitung zu Marx’ ‚Klassenkämpfen in Frankreich<br />
63 Siehe zum Beispiel Gianni C. Donno: Il Mezzogiorno nel socialismo italiano 1892–1902. 7. ed. Milano 2007. S.<br />
15–60.<br />
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