Der alte Engels - Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen
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is drei Jahren, oder vollständigen Ruin, wenigstens auf fünfzehn bis zwanzig Jahre. Dem gegenüber<br />
müßten die deutschen Sozialisten toll sein, wünschten sie den Krieg, bei dem sie Alles auf eine<br />
Karte setzen, statt den sichern Triumph des Friedens abzuwarten.“ (S. 96.12–17.)<br />
Mit der Arbeit „Kann Europa abrüsten?“ leistete <strong>Engels</strong> seinen wohl bekanntesten Beitrag für<br />
Vorschläge zur Sicherung eines solchen Friedens. In der Artikelserie entwickelte <strong>Engels</strong> seinen und<br />
Marx’ Standpunkt in dieser Frage, vergleicht man ihn zum Beispiel mit dem aus der Zeit, da es galt,<br />
die Position zur Ligue internationale de la paix et de la liberté zu bestimmen, in zwei Richtungen<br />
weiter. Angesichts der Vernichtungskraft der damals neuentwickelten Waffen gingen <strong>Engels</strong>’ Vorschläge<br />
nun dahin, den Frieden möglichst schon vor der politischen Machtergreifung durch das Proletariat<br />
zu sichern. Damit war zum anderen notwendigerweise verbunden, dass <strong>Engels</strong> die Frage<br />
zwar nach wie vor vom Standpunkt der Interessen des Proletariats aus untersuchte, klassenübergreifende<br />
Aspekte aber größere Bedeutung erhielten. (Siehe auch den Ansatz im Kapitel I. – S. 210.)<br />
Das Problem von Krieg und Frieden bekam so in <strong>Engels</strong>’ Überlegungen eine größere Eigenständigkeit.<br />
Damit griff er auf einem für die Menschheit existenziellen Gebiet auf einen Gedanken zurück,<br />
den er bereits 1845 geäußert hatte. In seinem Buch „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“,<br />
das er nach gründlicher Durchsicht im Vorjahr des Erscheinens von „Kann Europa abrüsten?“ neu<br />
herausgegeben hatte, heißt es: „<strong>Der</strong> Kommunismus steht seinem Prinzipe nach über dem Zwiespalt<br />
zwischen Bourgeoisie und Proletariat, er erkennt ihn nur in seiner historischen Bedeutung für die<br />
Gegenwart, nicht aber als für die Zukunft berechtigt an.“ (Ebenda. S. 353.) In der 1892 geschriebenen<br />
Einleitung zur englischen Ausgabe charakterisierte <strong>Engels</strong> sein Buch gerade auch mit Bezug<br />
auf die soeben zitierte Feststellung als einen „Embryo“ des modernen Sozialismus, der noch überall<br />
die Spuren seiner Abstammung von der deutschen Philosophie trüge (S. 156.32–37). Damit nahm er<br />
jedoch nicht die in dem Zitat enth<strong>alte</strong>ne Aussage an sich zurück. Vielmehr zielte diese Selbstkritik<br />
auf die daraus aus <strong>Engels</strong>’ Sicht möglichen und tatsächlich seitdem gezogenen Schlussfolgerungen<br />
für die Mittel und Wege der Emanzipation der Arbeiterklasse, die <strong>Engels</strong> nicht teilte, da sie in der<br />
Regel das Prinzip der Selbstbefreiung in Frage stellten. Neben einer Reihe anderer Erscheinungen<br />
zeigten ihm das Niveau der Militärtechnik und die damit verbundenen Gefahren für die Menschheit<br />
an, dass es galt, nun auch die Mittel und Wege dieser Emanzipation der Arbeiterklasse neu zu überdenken.<br />
Mit ihrer Intention, einen dauerhaften Frieden möglichst schon unter den gegebenen kapitalistischen<br />
Verhältnissen zu erreichen, hätte <strong>Engels</strong>’ Artikelserie auch eine Grundlage für ein Zusammenwirken<br />
der deutschen Sozialdemokratie mit der im gleichen historischen Kontext entstandenen<br />
Deutschen Friedensliga sein können. Die deutsche Sozialdemokratie machte davon jedoch keinen<br />
Gebrauch und ließ die im Bürgertum wurzelnde Friedensbewegung nach wie vor links liegen. 61<br />
Die mit Deutschland vergleichbaren wenig demokratischen Herrschaftsverhältnisse in Italien<br />
(siehe S. 1083) 62 und die Unsicherheit der erst neu entstandenen marxistischen sozialistischen<br />
Strömung in diesem Lande, deren Vertreter sich an <strong>Engels</strong> um Rat wandten, führten dazu, dass <strong>Engels</strong><br />
sich besonders auch in Arbeiten, die Italien betrafen, zu Fragen äußerte, die die politische Auseinandersetzung<br />
zum Gegenstand hatten. Für diesen Zusammenhang ist bezeichnend, dass der erste<br />
dieser Artikel, „Réponse à l’honorable Giovanni Bovio“, in enger Verbindung mit „<strong>Der</strong> Sozialismus<br />
in Deutschland“ entstand. (Siehe S. 782.) Als Ergänzung zu dieser Arbeit, in der <strong>Engels</strong> den parlamentarischen<br />
Weg der Machtergreifung betont hatte, verwies er in seiner Antwort an Bovio auf den<br />
anderen Weg, auf den die Sozialisten sich für den Fall einstellen müssten, dass die jeweils Herr-<br />
61 Siehe Karl Holl: Pazifismus in Deutschland. Frankfurt/M. 1988. S.89/90.<br />
62 Benedetto Croce: Geschichte Italiens 1871–1915. Berlin 1928. S. 178–193; Giuliano Procacci: Geschichte Italiens<br />
und der Italiener. München 1989. S. 278–318; für den Vergleich der hier im Mittelpunkt stehenden Aspekte siehe<br />
Lutz Klinkhammer: Staatliche Repression als politisches Instrument. Deutschland und Italien zwischen Monarchie,<br />
Diktatur und Republik. In: Deutschland und Italien 1860–1960. Politische und kulturelle Aspekte im Vergleich.<br />
München 2005. S. 139–149.<br />
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