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Der alte Engels - Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen

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In beiden Arbeiten zur Urgeschichte verteidigte und modifizierte <strong>Engels</strong> Morgans Entdeckungen<br />

zur urgeschichtlichen Gruppenehe, die er neben die von Darwin und Marx auf den Gebieten der<br />

Biologie beziehungsweise Ökonomie stellte. Damit stützte <strong>Engels</strong> auch jene Konsequenzen, die<br />

Morgan aus seinen urgeschichtlichen Einsichten für die Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen<br />

seiner Zeit und für die zukünftige Umgestaltung der Gesellschaft gezogen hatte – letzteres nach<br />

<strong>Engels</strong> in Worten, „die Karl Marx gesagt haben könnte“ (S. 40.5). Hinsichtlich des Kenntnisstandes<br />

des Materials φ befand sich <strong>Engels</strong> mit der vierten Auflage seiner Schrift „<strong>Der</strong> Ursprung der Familie,<br />

des Privateigentums und des Staats“ und damit auch im Vorwort auf der Höhe der Zeit. 51 Aus heute<br />

in der Ur- und Frühgeschichtsschreibung dominierender Sicht gelten <strong>Engels</strong>’ Standpunkte zu einer<br />

Reihe im Vorwort aufgeworfener spezifischer Fragen, mit denen er Morgan im Grundsatz folgte,<br />

als falsch, überholt oder nach wie vor ungeklärt. 52<br />

Ausgehend von der Beobachtung, dass Unterschiede im Denken von Marx und <strong>Engels</strong> in dem<br />

Maße sichtbar werden, in dem ihre theoretischen Studien von ihrer politischen Praxis entfernt liegen<br />

53 , gehören besonders diese beiden Arbeiten zur Urgeschichte zu jenen, in denen solche Unterschiede<br />

deutlich werden. 54<br />

Ein wesentliches Motiv für <strong>Engels</strong>’ Interesse am Urchristentum waren die für ihn offensichtlichen<br />

historischen Parallelen zwischen der Geschichte dieser ursprünglichen christlichen Strömung<br />

und der Herausbildung und Entwicklung der modernen Arbeiterbewegung. Insbesondere die Tatsache,<br />

dass sich das unterdrückte Christentum zu einer Weltreligion entwickelt hatte, hielt <strong>Engels</strong> der<br />

modernen sozialistischen Arbeiterbewegung als zuversichtlich stimmendes Gleichnis für ihren zukünftigen<br />

Sieg vor Augen. Fußend auf Erkenntnisse der Tübinger Schule (siehe Erläuterung 282.28)<br />

und vor allem Bruno Bauers, arbeitete <strong>Engels</strong> anhand einer Analyse des neutestamentlichen Buches<br />

der „Offenbarung Johannis“ ein Stück Welt- und Geistesgeschichte auf der Grundlage seines materialistischen<br />

Geschichtsverständnisses auf. Ohne Zweifel wähnte <strong>Engels</strong> sich dabei auf den Pfaden<br />

von Marx, der im ersten Band des „Kapitals“ in einer Fußnote konstatiert hatte: „Es ist in der That<br />

viel leichter, durch Analyse den irdischen Kern der religiösen Nebelbildungen zu finden, als umgekehrt<br />

aus den jedesmaligen wirklichen Lebensverhältnissen ihre verhimmelten Formen zu entwickeln.<br />

Die letztre ist die einzig materialistische und daher wissenschaftliche Methode.“ 55 Inwieweit<br />

<strong>Engels</strong> auf diesem Wege über frühere Erkenntnisse und Einsichten hinauskam, wird im Apparatteil<br />

„Entstehung und Überlieferung“ ausgewiesen.<br />

φ Die folgende Einschätzung und die in Anmerkung 52 genannten Erläuterungen betreffen einen Gegenstand, den ich<br />

mir mit großem Aufwand, aber ohne ein Spezialist auf diesem Gebiet zu sein, erarbeitet habe. Ich hatte deshalb die<br />

begutachtenden Kollegen der MEGA-Arbeitsstelle an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften<br />

gebeten, diese Kommentar-Texte einem Spezialisten vorzulegen. Da in der gedruckten Einleitung auf diese Seite<br />

im Schaffen von <strong>Engels</strong> nicht eingegangen worden ist, kann ich nicht sagen, ob diesem Vorschlag gefolgt wurde.<br />

51 Siehe Hans-Peter Harstick: <strong>Engels</strong>’ „Ursprung“ im Spiegel des handschriftlichen Nachlasses. In: Familie, Staat und<br />

Gesellschaftsformation. Hrsg. von Joachim Herrmann und Jens Köhn. Berlin 1988. S. 189–212; Gerhard Wayand:<br />

Marx und <strong>Engels</strong> zu archaischen Gesellschaften im Lichte der neueren Theorie-Diskussion. Koblenz 1991. S. 108–<br />

110; siehe auch die dafür aufschlussreiche Stelle in <strong>Engels</strong>’ Brief an Laura Lafargue vom 13. Juni 1891.<br />

52 Im Einzelnen siehe dazu die gegenüber MEGA 2 I/29 ergänzten Erläuterungen 36.23–24, 36.25–37.8, 38.21–32,<br />

38.35–36 und 40.20–25. Inwieweit speziell im Rahmen der von Marx und <strong>Engels</strong> ausgehenden materialistischen<br />

Geschichtsauffassung Korrekturen an Morgans und damit auch an <strong>Engels</strong>’ Vorstellungen über die frühen Stufen<br />

der Familienentwicklung vorgenommen wurden, dazu siehe unter anderem Joachim Herrmann: Historischer Materialismus<br />

und Menschheitsgeschichte. Zur Entstehung und Wirkung von Friedrich <strong>Engels</strong>’ „<strong>Der</strong> Ursprung …“ In:<br />

Marx-<strong>Engels</strong>-Jahrbuch. Bd. 7. Berlin 1984. S. 28–35. Allerdings haben diese Positionen so gut wie keinen Eingang<br />

in die Kommentierung des thematischen Bandes I/29 der MEGA 2 gefunden (siehe dort S. 35*–41* und 724–726),<br />

in dem das vorliegende Vorwort bereits enth<strong>alte</strong>n ist.<br />

53 Siehe Lawrence Krader: Ethnologie und Anthropologie bei Marx. München 1973. S. 11/12.<br />

54 Siehe ebenda. S. 105–117 und 124–162.<br />

55 MEGA 2 II/10. S. 334.41–44.<br />

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