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Der alte Engels - Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen

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auch bei den Gesprächen selbst und mit Bezug auf den jeweiligen Gesprächspartner in Rechnung<br />

gestellt werden.<br />

Mit wesentlich größerer Authentizität versehen, haben die drei im Band enth<strong>alte</strong>nen Interviews<br />

einen den Gesprächsaufzeichnungen ähnlichen Charakter.<br />

Neben ihrer bisher vor allem von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Genre abgehobenen<br />

Charakterisierung der Arbeiten des Bandes kann für einen Überblick über deren inhaltliche Vielfalt<br />

eine Thematik als ein sinnvoller übergreifender Bezugspunkt dienen. Gemeint ist <strong>Engels</strong>’ sich etwa<br />

seit Mitte der 1880er Jahre mehr und mehr verändernde Sicht auf den Verlauf des welthistorischen<br />

bürgerlichen Umwälzungsprozesses und dessen Zusammenhang mit der von ihm erwarteten proletarischen<br />

Revolution. 42 Die im Kontext der europäischen Revolutionen von 1848/49 entstandene<br />

Vorstellung von ihm und Marx, wonach der Entscheidungskampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie<br />

„ausgefochten werden müsse in einer einzigen langen und wechselvollen Revolutionsperiode“<br />

(S. 335.26–27), hatte sich trotz wiederholt eingetretener Krisen immer wieder als „Illusion“ (S.<br />

336.5) erwiesen. Nun ging <strong>Engels</strong> stärker davon aus, dass der Kapitalismus nach seiner endgültigen<br />

revolutionären Etablierung um 1870/1871 (S. 339.21–27) eine evolutionäre Phase seiner Ausgestaltung<br />

durchlief und dass sich demzufolge die Bedingungen für die von <strong>Engels</strong> nach wie vor als unausweichlich<br />

angesehene soziale Revolution des Proletariats erheblich verändert hatten. Die im<br />

„Kapital“, nicht zuletzt im dritten Band, vorgenommene differenzierte Bewertung von Krisen sowohl<br />

als Ausdruck der Widersprüche, zugleich aber auch als Vorgang, in dem sich die kapitalistische<br />

Ökonomie auf höherer Stufenleiter reorganisiert 43 , gehörte zu den Voraussetzungen dieses<br />

Umdenkens. Ohne ihre jeweilige eigenständige tagespolitische und anderweitige theoriegeschichtliche<br />

Bedeutung in Frage zu stellen, können die Arbeiten des Bandes zu einem erheblichen Teil als<br />

Voraussetzung, Ausdruck und Konsequenz dieser konzeptionellen Gesamtsicht von <strong>Engels</strong> betrachtet<br />

werden. Ihr Ausbau berührte alle wesentlichen Teile seines Gedankengebäudes, wie er es in<br />

Kenntnis und mit Unterstützung von Marx 44 vornehmlich im „Anti-Dühring“ skizziert hatte. 45 Freilich<br />

verließ er dabei kaum grundlegende Positionen, mit denen Marx und er die Substanz des maßgeblich<br />

von ihnen entwickelten „modernen Arbeitersozialismus“ (S. 334.31) markiert hatten.<br />

<strong>Engels</strong> aktueller Blick auf die kapitalistische Produktionsweise dokumentiert sich in erster Linie<br />

in seiner Arbeit am dritten Band des „Kapitals“. 46 Mit der Einleitung zu „Lohnarbeit und Kapital“<br />

sowie der italienischen Übersetzung seiner 1888 verfassten Einleitung zu Marx’ „Schutzzoll und<br />

Freihandel“ fand diese Seite seines Schaffens aber auch Eingang in den vorliegenden Band. In den<br />

Ergebnissen seiner ökonomischen Betrachtungen und Studien erblickte <strong>Engels</strong> einerseits weiteres<br />

Material zur Untermauerung der programmatischen sozialistischen Schlussfolgerungen, wie sie<br />

Marx im 24. Kapitel des ersten Bandes des „Kapitals“, Abschnitt „7. geschichtliche Tendenz der<br />

kapitalistischen Akkumulation“ hinterlassen hatte: „Die Centralisation der Produktionsmittel und<br />

die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen<br />

Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Eigenthums schlägt. Die<br />

42 Hier folge ich einer Anregung von Wolfgang Küttler – siehe Formationstheorie und Geschichte. Studien zur historischen<br />

Untersuchung von Gesellschaftsformationen im Werk von Marx, <strong>Engels</strong> und Lenin. Hrsg. von Ernst Engelberg<br />

und Wolfgang Küttler. Berlin 1978. S. 293–314.<br />

43 Siehe MEGA 2 II/15. S. 243–256; siehe darüber hinaus die vielen entsprechenden Stellen in den „Theorien über den<br />

Mehrwert“ (MEGA 2 II/3. Sachregister. S. 3195: Krisen, ökonomische – als zeitweilige, gewaltsame Lösung vorhandener<br />

Widersprüche); zur Aufarbeitung dieses Sachverhalts siehe Simon Clarke: Marx’s theorie of crisis. New<br />

York 1994; Michael Heinrich: Gibt es eine Marxsche Krisentheorie? In: Beiträge zur Marx-<strong>Engels</strong>-Forschung. N:<br />

F. Berlin 1995. S. 130–150; Armin Steil: Krisensemantik. Wissenssoziologische Untersuchungen zu einem Topos<br />

moderner Zeiterfahrung. Opladen 1993. S. 163–174. Siehe auch <strong>Engels</strong> an Karl Kautsky, 8. November 1884.<br />

44 Siehe MEGA 2 I/27. S. 492.39–493.8 und S. 831–854.<br />

45 Zu einer – gemessen an Marx’ Dialektikverständnis – Kritik dieses „Aufrisses“ siehe Backhaus, Reichelt: <strong>Der</strong> politisch-ideologische<br />

Grundcharakter der Marx-<strong>Engels</strong>-Gesamtausgabe. A.a.O. S. 115/116.<br />

46 Siehe Carl-Erich Vollgraf: <strong>Engels</strong>’ Kapitalismusbild … A.a.O.<br />

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