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Der alte Engels - Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen

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Ideensystem nun auch als Diskussionsgegenstand schrittweise Eingang in einige Zweige der etablierten<br />

Geisteswissenschaften vor allem im deutschsprachigen Raum, in Russland und in Italien<br />

fand. 38<br />

Ein Ausdruck der wachsenden Internationalität der sozialistischen Arbeiterbewegung und ihres<br />

bevorzugten Rückgriffs auf marxistische Thesen sind die Grußschreiben von <strong>Engels</strong>, die in diesem<br />

Umfang eine Spezifik des Bandes darstellen. Ein Großteil von ihnen verdankte seine Entstehung<br />

einer sich häufig wiederholenden Konstellation: Einladungen zu bestimmten für die jeweilige Partei<br />

oder eine andere Organisation wichtigen Ereignissen musste <strong>Engels</strong> mit Verweis auf eine Reihe von<br />

Gründen ablehnen. Obenan stand dabei der Hinweis auf die Arbeit am dritten Band des „Kapitals“.<br />

Auch sein Gesundheitszustand verbot ihm häufige und ausgedehnte Reisen. Verschiedentlich argumentierte<br />

<strong>Engels</strong> damit, dass seine Teilnahme an der einen oder anderen ausgewählten Feierlichkeit<br />

als eine Bevorzugung der betreffenden Partei aufgefasst werden könnte, was seiner Rolle als Ratgeber<br />

der internationalen Arbeiterbewegung abträglich sein würde. Außerdem sah <strong>Engels</strong> sich mehr<br />

als ein Mann der Feder denn des Wortes (S. 379.6–8), so dass er öffentlichen Auftritten nicht viel<br />

abgewann, zumal er auf reine Repräsentation ohnehin keinen Wert legte. Den Grußbotschaften verlieh<br />

<strong>Engels</strong> in der Regel den Charakter von zurückh<strong>alte</strong>nd formulierten Orientierungshilfen für die<br />

Beantwortung von Fragen, vor denen die jeweiligen sozialistischen Parteien gerade standen. Dazu<br />

gehörten die Erkämpfung des allgemeinen Wahlrechts in Österreich (S. 274), die Überwindung einer<br />

sich abzeichnenden Spaltung in der ungarländischen Sozialdemokratie (S. 195), der Zusammenhalt<br />

von tschechischen und deutschen Arbeitern in Böhmen (S. 72 und 239) oder die Überwindung<br />

des Ausnahmegesetzes in Italien (S. 303). Dieses Eingehen auf nationale Probleme und Besonderheiten<br />

im Hinblick auf das internationale Voranschreiten der sozialistischen Bewegung<br />

zeichnet ganz besonders seine Grußadressen zum Ersten Mai an die verschiedenen Parteien aus. Mit<br />

den Grußbotschaften dokumentierte <strong>Engels</strong> seine weitgespannte und kenntnisreiche Beteiligung am<br />

Prozess der Formierung dieser Parteien im Rahmen der sich herausbildenden II. Internationale.<br />

Zugleich erwiesen sich jedoch bei weitem nicht alle in ihnen enth<strong>alte</strong>nen Einschätzungen und Prognosen<br />

als stichhaltig. So basierten seine wohlmeinenden Hinweise zur solidarischen Zusammenarbeit<br />

der verschiedenen nationalen Arbeiterbewegungen in der Habsburgermonarchie auf seiner<br />

grundlegenden Position, die sich bereits im Zusammenhang mit den Revolutionen von 1848/49 verfestigt<br />

hatte und in der die nationale Selbständigkeit der süd- und südosteuropäischen Völker als<br />

Selbstzweck keinen Platz hatte. 39<br />

Von besonderer Bedeutung für den Band sind die Einleitungen, Vor- und Nachworte zu Neuerscheinungen<br />

und Übersetzungen früherer Schriften von Marx und <strong>Engels</strong>. Sie dienten als Einführung<br />

in das jeweilige Werk; komplettierten, präzisierten und korrigierten Teile der darin enth<strong>alte</strong>nen<br />

Fakten und Einschätzungen; und mit ihnen charakterisierte <strong>Engels</strong> gegebenenfalls in markanten<br />

Strichen die zwischen Entstehungszeit und Neuherausgabe der Arbeit liegende Entwicklung. In<br />

manchen von ihnen erörterte er darüber hinaus die aktuelle Ausprägung des hauptsächlichen theoretischen<br />

Inhalts der jeweiligen Schrift. Insofern widerspiegeln sich gerade in dieser Gruppe von Arbeiten<br />

des Bandes neue Akzentuierungen und Einsichten von <strong>Engels</strong>, auf die weiter unten zusammenhängend<br />

noch etwas näher eingegangen wird.<br />

38 Siehe Kallscheuer: Marxismus und Sozialismus bis zum Ersten Weltkrieg. A.a.O. S. 519–521.<br />

39 Siehe zum Beispiel <strong>Engels</strong> an Eduard Bernstein, 22./25. Februar 1883; an Karl Kautsky, 7. Februar 1882; siehe<br />

dazu Marjan Britovšek: Die slawischen Nationalbewegungen und die Perspektiven der Revolution. In: Zwischen<br />

Utopie und Kritik. Friedrich <strong>Engels</strong> – ein „Klassiker“ nach 100 Jahren. Hrsg. von Theodor Bergmann [u.a.] Hamburg<br />

1996. S. 153/154; Richard Poulin: Und wenn <strong>Engels</strong> Recht hatte? Nationen ohne Geschichte und der Fall der<br />

Franko-Kanadier. In: Ebenda. S. 124–135; Roman Rosdolsky: Friedrich <strong>Engels</strong> und das Problem der „geschichtslosen“<br />

Völker. In: Archiv für Sozialgeschichte. Hrsg. von der Friedrich-Ebert-<strong>Stiftung</strong>. Bd. 4. Hannover 1964. S. 87–<br />

276.<br />

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