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Der alte Engels - Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen

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Erfahrungsschatz von <strong>Engels</strong> beruhen. <strong>Der</strong> bereits erwähnte geringe Bestand an vorbereitenden Materialien,<br />

die Aufnahme in die vierte Abteilung dieser Ausgabe finden werden, ist auch ein Ausdruck<br />

dafür. Eine allgemeine Kennzeichnung der Texte von <strong>Engels</strong> aus dessen letztem Lebensjahrzehnt<br />

ist darüber hinaus mit folgendem grundlegenden Sachverhalt verbunden: Im Unterschied zum<br />

„<strong>alte</strong>n Marx“, der sich in weitverzweigte Studien verwickelt hatte, um Fragen zu prüfen, die sich<br />

aus seiner Darstellung im „Kapital“ ergaben, ließ <strong>Engels</strong> sich nach Marx’ Tod in seiner Tätigkeit<br />

von anderen Intentionen leiten. Diese ergaben sich, neben seiner ohnehin anders gearteten publizistischen<br />

Herangehens- und Darstellungsweise, nicht zuletzt aus seiner nun stärkeren Einbindung in<br />

die sich rasant ausbreitende und zu einem politischen Machtfaktor werdende internationale sozialistische<br />

Bewegung. <strong>Engels</strong> ging nicht in erster Linie auf wissenschaftlichem Felde den Fragen weiter<br />

nach, die Marx hinterlassen hatte, sondern er sah seine Aufgabe vorrangig darin, die bis dahin von<br />

Marx und ihm gewonnenen Einsichten in die vielschichtigen Grundlagen und Entwicklungstendenzen<br />

des Kapitalismus plausibel zu präsentieren. Dabei ging es ihm vor allem darum, die als wissenschaftlich<br />

begründet angesehene Gewissheit von der „unvermeidbare(n) … Zersetzung der herrschenden<br />

Gesellschaftsordnung“ 29 herauszustellen und sie auf diese Weise für die sozialistische<br />

Bewegung leichter zugänglich zu machen. Aus diesen Zwängen und Intentionen resultierte ein<br />

vorwiegend populärer und journalistischer Charakter seiner Arbeiten, deren Aussagen allerdings,<br />

wie auch die soeben zitierte Briefstelle zeigt, durchaus in die Richtung wiesen, die Marx mit seinem<br />

Werk eingeschlagen und bis zuletzt verfolgt hatte. Insofern kann man weitgehend Otto Kallscheuer<br />

folgen, wenn dieser <strong>Engels</strong>’ Schriften aus dessen letzten beiden Lebensjahrzehnten so charakterisiert:<br />

Es sind „Versuche einer systematischen Abrundung und enzyklopädischen Vervollständigung<br />

der Lehre, die Marx und er ‚wissenschaftlichen Sozialismus’ nannten; sie sind aber auch die ersten,<br />

modellhaften Beispiele einer populären, lehrbuchartigen Zusammenfassung des Marxismus als<br />

‚Weltanschauung’“. 30 <strong>Engels</strong> hat im Vorwort zum dritten Band des „Kapitals“ seine damalige Tätigkeit<br />

auf theoretischem und praktisch politischem Felde so resümiert: „Von den ersten Tagen unsrer<br />

öffentlichen Thätigkeit an war ein gutes Stück der Arbeit der Vermittlung zwischen den nationalen<br />

Bewegungen der Sozialisten und Arbeiter in den verschiednen Ländern auf Marx und mich gefallen;<br />

diese Arbeit wuchs im Verhältniß der Erstarkung der Gesammtbewegung. Während aber bis<br />

zu seinem Tode auch hierin Marx die Hauptlast übernommen hatte, fiel von da an die stets anschwellende<br />

Arbeit mir allein zu. Nun ist inzwischen der direkte Verkehr der einzelnen nationalen<br />

Arbeiterparteien unter einander zur Regel geworden und wird es glücklicher Weise von Tag zu Tage<br />

mehr; trotzdem wird noch weit öfter, als mir im Interesse meiner theoretischen Arbeiten lieb ist,<br />

meine Hülfe in Anspruch genommen. Wer aber wie ich über fünfzig Jahre in dieser Bewegung thätig<br />

gewesen, für den sind die hieraus entspringenden Arbeiten eine unabweisbare, augenblicklich zu<br />

erfüllende Pflicht. Wie im sechzehnten Jahrhundert, gibt es in unsrer bewegten Zeit auf dem Gebiet<br />

der öffentlichen Interessen bloße Theoretiker nur noch auf Seite der Reaktion, und eben deßwegen<br />

sind diese Herren auch nicht einmal wirkliche Theoretiker, sondern simple Apologeten dieser Reaktion.“<br />

31 Sicher nicht ohne Bezug auf seine eigene publizistische Tätigkeit hat <strong>Engels</strong> die Vorzüge<br />

und Grenzen des Journalismus gegenüber der wissenschaftlichen Arbeit in einem Brief an Conrad<br />

Schmidt vom 9. Dezember 1889 folgendermaßen gekennzeichnet: „Die Journalistik ist namentlich<br />

für uns Deutsche, die wir doch alle etwas unbeholfen veranlagt sind (weßhalb die Juden uns darin<br />

auch so ‘über’ sind) eine sehr nützliche Schule, man wird nach allen Seiten hin gelenkiger, man<br />

lernt seine eignen Kräfte besser kennen & abwägen, & vor allem ein gegebnes Stück Arbeit in einer<br />

gegebnen Zeit fertig machen. Andrerseits treibt sie aber auch zur Verflachung, weil man sich daran<br />

gewöhnt, Dinge aus Zeitmangel über’s Knie zu brechen, von denen man sich bewußt ist daß man<br />

29 Marx an Domela Nieuwenhuis, 22. Februar 1881.<br />

30 Otto Kallscheuer: Marxismus und Sozialismus bis zum Ersten Weltkrieg. In: Pipers Handbuch der politischen Ideen.<br />

Hrsg. von Iring Fetscher uns Herfried Münkler. Bd. 4. München, Zürich 1986. S. 522.<br />

31 MEGA 2 II/15. S. 6.<br />

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