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Die Curx mit dem Netz - Fachstelle Elternmitwirkung

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Medienkompetenz<br />

<strong>Die</strong> Crux <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> <strong>Netz</strong><br />

Streitthema Internet: <strong>Die</strong> Jungen wollen unbegrenzt<br />

surfen, Mutter und Vater möchten<br />

sie schützen – aber viele wissen nicht wie.<br />

Darum gibt es Mediencoachings für Eltern.<br />

Fritz+Fränzi hat <strong>mit</strong>gehört.<br />

Text Virginia Nolan Foto Johanna Bossart<br />

Pubertätskrisen, Lernschwierigkeiten, Probleme<br />

in der Paarbeziehung – sie gehören zu<br />

den Lieblingsthemen der Ratgeberliteratur<br />

für Eltern. Zunehmend jedoch interessiert<br />

sich das Genre auch für einen anderen<br />

Brennpunkt auf der Karte familiärer Problemzonen:<br />

das Internet. «Dick, dumm und<br />

stumpf» mache es unsere Kinder, sagt der<br />

Hirnforscher Manfred Spitzer in seinem<br />

neuen Buch «Digitale Demenz». Fast gleichzeitig<br />

ist «Mein Kind ist bei Facebook» erschienen.<br />

Das Buch will als Entwarnung verstanden<br />

werden und zeigen, wie der Nachwuchs<br />

vom <strong>Netz</strong> profitieren kann, wenn er<br />

richtig da<strong>mit</strong> umzugehen weiss.<br />

Im Internet also orten die einen Gefahr und<br />

Verdummung, wo andere eine Welt unbegrenzter<br />

Möglichkeiten sehen. Eltern mögen<br />

sich oft kein Urteil bilden, weil es im virtuellen<br />

Raum kaum Orientierung gibt. Das hat<br />

nicht nur Buchautoren auf den Plan gerufen,<br />

die sich der Aufklärungsarbeit verschreiben;<br />

<strong>mit</strong>tlerweile gibt es auch <strong>Fachstelle</strong>n, Projekte<br />

und Vereine, die Eltern ihre Lektion in<br />

«Medienkompetenz» erteilen wollen. Zu<br />

ihnen gehört der Zürcher Verein Zischtig.ch.<br />

Seine Gründer sind Claudia Gada und Joachim<br />

Zahn, eine ehemalige Lehrerin und<br />

ein Sozial arbeiter, beide Eltern Jugendlicher.<br />

Es ist ein Herbstabend in einer Zürcher<br />

Gemeinde, und in der Aula der örtlichen Pri-<br />

marschule haben sich die Eltern der Fünftklässler<br />

versammelt. Nicht alle haben<br />

Freude daran, sich nebst der täglichen Familienarbeit<br />

jetzt auch noch <strong>mit</strong> Medienerziehung<br />

herumschlagen zu müssen. <strong>Die</strong> Referenten<br />

wissen das – und nehmen es gelassen.<br />

Im Grusswort ans Publikum hält Claudia<br />

Gada die tröstliche Nachricht bereit, dass<br />

auch sie einst als notwendiges Übel betrachtet<br />

habe, was heute ihr täglich Brot sei. Ihr<br />

Wissen über das Internet habe sie ihrem ältesten<br />

Sohn zu verdanken. Seinetwegen habe<br />

sie vor ein paar Jahren begonnen, sich <strong>mit</strong><br />

<strong>dem</strong> <strong>Netz</strong> zu beschäftigen – wenn auch zunächst<br />

nur <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Ziel, <strong>dem</strong> aufmüpfigen<br />

Jungspund die Ausflüge auf zwielichtige<br />

Websites zu unterbinden. Weil es aber unbefriedigend<br />

gewesen sei, sich <strong>mit</strong> der Rolle als<br />

Polizistin zu begnügen, habe sie angefangen,<br />

sich eingehend <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Medium auseinanderzusetzen.<br />

Der Projektor zeigt das Bild eines Mädchens.<br />

Dessen Lippen formen einen Kussmund. <strong>Die</strong><br />

Schülerin hat das Foto als Profilbild auf<br />

Facebook deponiert – und beachtlichen Zuspruch<br />

erhalten. 74 Personen drückten den<br />

Like-Button; «gefällt mir», heisst das. <strong>Die</strong><br />

27 Kommentare zum Bild sind des Lobes<br />

voll. Herzchen wurden geschickt, «bish<br />

mega hübsh», «jööö» oder «eifach hammer»,<br />

steht da. «Dankä ihr shazzis», schrieb die<br />

Beglückwünschte <strong>mit</strong> augenzwinkern<strong>dem</strong><br />

Fritz +Fränzi, # 10 im Dezember 2012<br />

27


28<br />

Medienkompetenz<br />

Smiley dazu. Dass sie ihre Kinder loben sollen,<br />

ist ein Ratschlag, den Eltern immer wieder<br />

hören. «Um <strong>mit</strong> diesem Mass an Anerkennung<br />

<strong>mit</strong>halten zu können», lacht Joachim<br />

Zahn, «müssten Sie gewaltig klotzen.»<br />

Jugendliche wollen Anerkennung – vor allem<br />

von Gleichaltrigen. Soziale <strong>Netz</strong>werke<br />

wie Facebook bieten ihnen, wenn nicht gerade<br />

einer zur Zielscheibe für Gemeinheiten<br />

wird, eine Plattform, um dieses Bedürfnis zu<br />

befriedigen. Das «Ur-Facebook», sagt Zahn,<br />

dürfte Eltern aus eigenen Schultagen bekannt<br />

sein: Freundschaftsbücher, die man<br />

in der Klasse herumreichte, da<strong>mit</strong> jeder eine<br />

Widmung hineinschrieb. Mit etwas Glück<br />

stand auch drin, warum einen der Betreffende<br />

so mochte. «Man brannte doch richtig<br />

darauf, zu wissen, was die anderen über<br />

einen denken», sagt Zahn. «Und vor allem<br />

wollten wir eines: die Coolen der Klasse im<br />

Buch haben.» Nach diesem Prinzip funktioniere<br />

auch Facebook.<br />

Für viele Eltern bleibt Facebook aber das<br />

grosse Unbekannte, vor <strong>dem</strong> sie ihre Kinder<br />

schützen wollen. Auf ihre Ängste in Sachen<br />

Internet angesprochen, erwähnen die meisten<br />

der hier versammelten Mütter und Väter<br />

das soziale <strong>Netz</strong>werk. Am Morgen hat eine<br />

Umfrage in der Klasse ihrer Kinder ergeben,<br />

dass für viele ein Facebook-Verbot gilt. Ihrem<br />

Sohn gegenüber habe sie dieses so begründet,<br />

sagt eine Mutter, dass er nie mehr löschen<br />

könne, was einmal von ihm auf Facebook<br />

gelange: Kommentare oder, viel schlimmer<br />

noch, Fotos. Andere Eltern befürchten,<br />

dass ihre Kinder <strong>mit</strong> dubiosen Kontaktanfragen<br />

konfrontiert würden.<br />

Sicher: Solche Ängste sind berechtigt. Erstaunen<br />

mag aber die Tatsache, dass in besagter<br />

Klasse viele der Schülerinnen, die<br />

kein Facebook nutzen dürfen, Mitglied bei<br />

«GoSupermodel.com» sind, einer Internetplattform<br />

für Teenagermädchen, auf der sie<br />

sich einen Avatar, also eine virtuelle Figur,<br />

zulegen, diesen einkleiden und schminken<br />

und <strong>mit</strong> anderen Mitgliedern chatten kön-<br />

Fritz +Fränzi, # 10 im Dezember 2012<br />

nen. «Sexihexi13» heisst der Avatar <strong>mit</strong> Paillettenshirt,<br />

der Joachim Zahn den Mädchen<br />

vorgeführt hat. «Als ich ihnen eröffnete, dass<br />

ich dahinterstecke, waren sie richtig schockiert»,<br />

sagt Zahn. «Dass da auch ein Alter<br />

<strong>mit</strong>mischen kann, hätten sie nicht gedacht.»<br />

Vor lauter Wirbel um das Schreckensgespenst<br />

Facebook gehe unter, dass andere<br />

Seiten, und seien es Kinder-Communitys wie<br />

«Habbo Hotel», «kik» oder «Spielaffe», die viel<br />

Wert auf Sicherheit legten, auch Gefahrenpotenzial<br />

hätten.<br />

Sich schlaumachen<br />

«Es ist keine Spezialität von Facebook, dass<br />

dort Bilder zum Allgemeingut oder Kinder<br />

von fremden Personen belästigt werden können»,<br />

sagt Claudia Gada. «<strong>Die</strong>ses Risiko birgt<br />

das Internet generell.» Wer sein Kind schützen<br />

wolle, komme nicht umhin, sich selbst<br />

schlauzumachen. <strong>Die</strong> Medienexpertin rät<br />

Eltern, einen Facebook-Account zu eröffnen,<br />

um selbst zu prüfen, welche Einstellungen<br />

nötig sind, da<strong>mit</strong> Bilder und Informationen<br />

nur denen zugänglich sind, die auch daran<br />

teilhaben sollen. Dass kein IT-Crack sein<br />

muss, wer diesem Rat folgen will, zeigen<br />

Gada und Zahn <strong>mit</strong> einer kurzen Demonstration<br />

der Sicherheitseinstellungen.<br />

Weil der Reiz des Verbotenen manche erst<br />

motiviert, über die Stränge zu schlagen, predigen<br />

Gada und Zahn die Maxime des Gesprächs.<br />

Es sei ganz gut, wenn neue Medien<br />

zum Familienthema würden. Das heisse<br />

aber nicht nur, die Jungen vor Gefahren zu<br />

warnen, sondern auch, sich selbst über<br />

Trends kundig zu machen, Seiten einen Besuch<br />

abzustatten, die bei Jugendlichen hoch<br />

im Kurs stünden. <strong>Die</strong> Idee dahinter: Wenn<br />

das Gegenüber einigermassen à jour ist, im<br />

besten Fall Freude an neuen Medien hat,<br />

werden sich die Kinder <strong>mit</strong> ihm eher über<br />

das Thema austauschen – und um Rat fragen,<br />

falls es zu Problemen im <strong>Netz</strong> kommt.<br />

Wirkt es nicht anbiedernd, wenn der Vater<br />

zum Facebook-Freund wird und sich den


Rap-Clip auf Youtube reinzieht? Medienerziehung<br />

sei kein Wetteifern um Coolness,<br />

legt Zahn dar. Kinder müssten auf Facebook<br />

nicht <strong>mit</strong> ihren Eltern befreundet sein, und<br />

auf der gleichen Plattform könne man unterschiedliche<br />

Dinge tun. Der Vater könne auf<br />

Youtube seinem Geschmack folgen. «Vielleicht<br />

gibt er <strong>dem</strong> Kind eine Kostprobe seiner<br />

Lieblingsband?» Eine gute Möglichkeit,<br />

neue Medien gemeinsam zu nutzen, sei<br />

auch, sich von den Kindern ein Spiel oder<br />

eine Community erklären zu lassen.<br />

Mit Spass an der Sache ist es aber nicht getan.<br />

«Wer sein Kind schützen will, muss sich<br />

manchmal auch unbeliebt machen», sagt<br />

Claudia Gada. <strong>Die</strong> Mutter zweier Söhne empfiehlt<br />

Eltern die Software «Norton Family<br />

Security». Sie sei einfach zu installieren und<br />

ermögliche es, Webseiten zu blockieren. Sie<br />

zeichne zu<strong>dem</strong> den Internetverlauf jeden<br />

Benutzers auf und erlaube <strong>dem</strong> Administrator<br />

Einsicht. Zu<strong>dem</strong> sei es ratsam, für die<br />

Nutzung elektronischer Geräte Regeln aufzustellen.<br />

«Mein Sohn muss den Laptop bei<br />

mir einlösen, wenn er ihn benutzen will. Genauso<br />

hat er ihn zu einer bestimmten Uhrzeit<br />

wieder abzugeben. Das findet er nicht<br />

toll – aber Kinder gewöhnen sich an vieles.»<br />

Bei Tisch hält es die Patchworkfamilie Gada-<br />

Zahn <strong>mit</strong> ihren vier Jugendlichen so, dass<br />

jedes Familien<strong>mit</strong>glied sein Handy vor <strong>dem</strong><br />

Essen in einem Kistchen deponiert – und<br />

wieder holen darf, wenn abgeräumt ist.<br />

<strong>Die</strong> Jungen können es nicht besser<br />

Leitplanken setzen könne doch nur, wer in<br />

den neuen Medien bewandert sei, gibt ein<br />

Vater im Saal zu bedenken. «Und da hinke<br />

ich meinen Kindern meilenweit hinterher.»<br />

Ja, wie soll man den technikbeflissenen Kindern<br />

sagen, wo’s langgeht, wenn sie einem<br />

überlegen sind? <strong>Die</strong> heutigen Jugendlichen,<br />

heisst es, seien Digital Natives, die neue Medien<br />

intuitiv verstünden. «Das ist eine Fehleinschätzung»,<br />

sagt Joachim Zahn. Kinder<br />

näherten sich der Sache zwar unverkrampfter,<br />

drückten einfach drauflos. Manchmal<br />

führe das zum gewünschten Resultat, vielfach<br />

aber auch nicht. Kinder hätten eine viel<br />

kürzere Aufmerksamkeitsspanne als Erwachsene.<br />

«Wir hingegen haben die Geduld,<br />

etwas durchzulesen», sagt Zahn. «Das ist für<br />

den richtigen Umgang entscheidend.»<br />

Dass Jugendliche den Mund manchmal zu<br />

voll nehmen, wenn es um ihre angebliche<br />

Überlegenheit bei neuen Medien geht, zeigt<br />

eine Umfrage der Zuger Medienexperten<br />

Andreas Pfister und Philippe Weber bei<br />

Gymnasiasten. <strong>Die</strong>se zeigte unter anderem,<br />

dass sich Jugendliche gerne in der Rolle der<br />

Digital Natives sehen, technisch aber längst<br />

nicht so versiert sind, wie angenommen<br />

wird. So etwa gab ein 15-Jähriger zu Protokoll,<br />

dass Internet und neue Medien für<br />

seine Generation «einfach selbstverständlich»,<br />

aber für ältere Leute «viel zu schwierig»<br />

seien. Im Test der Praxiskenntnisse stellte<br />

sich heraus, dass derselbe Junge nicht<br />

wusste, wie man Videos auf Facebook lädt<br />

oder die Auflösung einer Bilddatei bestimmt.<br />

<strong>Die</strong> Experten von Zischtig.ch raten zu Gelassenheit:<br />

Es sei nicht schlimm, wenn Eltern<br />

etwas nicht kapierten. «Oft hat Youtube die<br />

Antwort», weiss Claudia Gada. Wer die Internetfunktion<br />

eines Smartphones blockieren<br />

wolle – das sei bei Geräten von jüngeren Kindern<br />

ratsam –, könne bei Youtube im Suchfenster<br />

den Gerätenamen und «Internet blockieren»<br />

eingeben. «Schon gibt’s einen Film<br />

zur Anleitung.» Manchmal ist es den Möglichkeiten<br />

neuer Medien selbst zu verdanken,<br />

dass der technische Umgang <strong>mit</strong> ihnen<br />

keine Hexerei sein muss.<br />

ZUM THEMA<br />

Siehe auch Seite 30, 36 und 66.<br />

�� Manfred Spitzer: Digitale Demenz. Fr. 29.90<br />

�� Thomas Pfeiffer, Jöran Muuss-Merholz: Mein Kind ist<br />

bei Facebook. Tipps für Eltern. Fr. 26.90<br />

�� www.zischtig.ch<br />

Fritz +Fränzi, # 10 im Dezember 2012<br />

29

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