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15.01.2013 Aufrufe

über mehrere Wellen zu bleiben. Insgesamt konnte weit überwiegend eine abnehmende Häufigkeit von Welle zu Welle festgestellt werden. Zwischenfazit bei Burchardt u.a. (2002: 37ff.): “Long-stayers are a small but important constituency in policy terms. [...] The ′permanently excluded′ are a small minority, even if we restrict our attention to a single dimension.“ Schließlich wird die Längsschnittuntersuchung mit der Frage nach der Multidimensionalität verknüpft. Das Ergebnis stützt in überraschend eindeutiger Weise die Thesen von der Zone der Gefährdung und der Verunsicherung der Mittelschichten (vgl. das folgende Unterkapitel). Der Anteil derjenigen, die von Ausgrenzung nicht betroffen sind, sinkt bei einer Betrachtung aller acht Wellen auf ein starkes Drittel – „the experience of some exclusion becomes a majority experience“ (41). 2.1.3 Exklusion als Neue Soziale Frage des nachindustriellen Zeitalters: Verwendung und Bedeutung im Rahmen des Forschungsvorhabens Im Kern der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine Analyse der Wirkungen bestimmter arbeitsmarktpolitischer Konstellationen auf eine genauer festzulegende Zielgruppe des Arbeitsmarktes. Diese Zielgruppe ist in der Überschrift als „Benachteiligte“ gefasst und muss im Laufe der weiteren Untersuchungen näher definiert und dabei sinnvoll eingegrenzt werden. 26 Dabei sollte, wie bereits eingangs erwähnt, bewusst keine der gängigen Zielgruppen des Arbeitsmarktes (Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, Migranten etc.) ausgewählt werden, um eine größtmögliche Offenheit in der empirischen Untersuchung zu gewährleisten, und Stereotypen und Abhängigkeiten von bestehenden Datensätzen zu vermeiden. 27 mainly on elaborate descriptions of stable states of exclusion” – und damit die dynamische Perspektive vernachlässigt. 26 Giddens (2001: 98) beispielsweise fasst Benachteiligung in Anlehnung an Amartya Sen als „Fähigkeitenmangel“. So verstanden wären für eine Eingrenzung der Zielgruppe Fähigkeiten zu identifizieren, die durch ihr Fehlen exklusionsfördernd wirken. An dieser Stelle wird der Unterschied deutlich, ob Exklusion primär Personen zugemessen (die angelsächsische Perspektive) oder als Problem der Vergesellschaftung (die französische Schule) aufgefasst wird. Die angelsächsische Perspektive entspricht im Kern derjenigen von Theorien sozialer Randgruppen. 27 So können Personenkreise statistisch nach Sozialindikatoren zu den Ausgegrenzten zählen, während sie sich tatsächlich „nur“ aus einem Rechtssystem ausschließen und ihren sozialen Status in der Schattenökonomie aufbessern und dort sehr wohl auf eine spezielle Weise integriert sind. Der Hinweis von Tony Judt wiederum weist darauf hin, dass die durch Teilnahme am Erwerbsleben angedeutete Inklusion keineswegs (gesellschaftlich) integrierenden Charakter haben muss. Eine weitere Perspektive betrifft die Armutskarrieren innerhalb der sozialen Sicherungssysteme, die zumindest langfristig ausschließend wirken können, obwohl der Status innerhalb des Systems zunächst nicht unbedingt eine Ausschließung signalisiert (vgl. auch Auer: 1998a, 281). Dies verweist auf die zusätzlichen Erkenntnisse, wenn die subjektiven Einschätzungen der Betroffenen zu ihrem eigenen Status in die Untersuchung integriert werden. 29

Für die Verwendung des Begriffs der „sozialen Ausgrenzung“ zur Annäherung an die interessierende Gruppe der „Benachteiligten“ in dieser Arbeit sprechen neben dieser methodischen Begründung einige inhaltliche Gesichtspunkte. Wenn Kronauer (2002: 9) mit einigem Recht schreiben kann „Die soziale Frage in Europa hat einen neuen Namen: Exklusion“, so kann er nicht nur auf die breite Rezeption des Begriffes verweisen (vgl. ebd.: 9ff.). Das zentrale Argument lautet, dass einschneidende und neuartige gesellschaftliche Veränderungen und deren Rezeption nicht mit den alten Begrifflichkeiten abgebildet werden können. Das Neue wird dabei in einer Verschiebung der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts zu einer „Neuen Sozialen Frage“ gesehen (vgl.: Castellucci: 2004; Hentschel: 1983; Schmidt: 2 1998). Weite Teile der Welt befinden sich demnach in einer im Ausmaß der Industrialisierung vergleichbaren, jedoch beschleunigten und international vernetzteren Umbruchsphase (vgl. Kocka: 2001, 12). Die Zäsur von 1989/90 bedeutete zudem den Wegfall einer Systemkonkurrenz, der nicht ohne Folgen für die Wohlfahrtsstaaten des Westens blieb. Sie geraten von jener Seite unter Druck, die wohlfahrtsstaatliche Arrangements in der Hauptsache als Alibiveranstaltung des Kapitalismus in Zeiten des Kalten Krieges legitimiert sahen. Speziell in Deutschland bedeutet die Herstellung der „inneren Einheit“ eine neue Herausforderung. Hinzu kommen die vielschichtigen Auswirkungen globaler Megatrends wie der Technisierung, der Internationalisierung, der Individualisierung und der demographischen Entwicklung auf die Entwicklung am Arbeitsmarkt, die Steuerungsfähigkeit des Staates und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das Tempo der Veränderung entreißt wiederum viele den Lebenswelten, mit denen sie vertraut sind. Und wiederum stehen sich Gewinner und Verlierer gegenüber. Beiden hat der Sozialstaat in seiner heutigen Form wenig zu bieten. Die pointiert formulierte These lautet: Die Gewinner brauchen ihn nicht, die Verlierer kommen nicht in seinen Genuss. Die einen setzen sich ab, die anderen sind ausgeschlossen. Weil beide Gruppen wachsen, wird das ganze System in Frage gestellt. Von den Fahnenflüchtigen und von den Ausgegrenzten, jenen, die durch die Maschen der sozialen Sicherungssysteme fallen und der Möglichkeit zur Ausübung elementarer Teilhaberechte beraubt werden, weil ihre Biografie oder Lebensform nicht dem Bild entspricht, das diesen zugrunde liegt, handelt die Neue Soziale Frage: Wie kann man Sezession der Starken und Exklusion der Schwachen von der Solidargemeinschaft verhindern? Wie lässt sich der Neuen Armut begegnen? Wie können die in der Demokratie formal allen zugestandenen Teilhabechancen faktisch für Alle realisiert werden? Mit Exklusion wäre demnach die Soziale Frage der Wissensund Informationsgesellschaft beschrieben, die der „alten“ Sozialen Frage von der Ausbeutung nach etwa einem Jahrhundert nachfolgt. Eine Antwort steht aus. 30

Für die Verwendung des Begriffs der „sozialen Ausgrenzung“ zur Annäherung an die<br />

interessierende Gruppe der „Benachteiligten“ in dieser Arbeit sprechen neben dieser<br />

methodischen Begründung einige inhaltliche Gesichtspunkte. Wenn Kronauer (2002: 9)<br />

mit einigem Recht schreiben kann „Die soziale Frage in Europa hat einen neuen<br />

Namen: Exklusion“, so kann er nicht nur auf die breite Rezeption des Begriffes<br />

verweisen (vgl. ebd.: 9ff.). Das zentrale Argument lautet, dass einschneidende und<br />

neuartige gesellschaftliche Veränderungen und deren Rezeption nicht mit den alten<br />

Begrifflichkeiten abgebildet werden können.<br />

Das Neue wird dabei in einer Verschiebung der sozialen Frage des 19. Jahrhunderts<br />

zu einer „Neuen Sozialen Frage“ gesehen (vgl.: Castellucci: 2004; Hentschel: 1983;<br />

Schmidt: 2 1998). Weite Teile der Welt befinden sich demnach in einer im Ausmaß der<br />

Industrialisierung vergleichbaren, jedoch beschleunigten und international vernetzteren<br />

Umbruchsphase (vgl. Kocka: 2001, 12). Die Zäsur von 1989/90 bedeutete zudem den<br />

Wegfall einer Systemkonkurrenz, der nicht ohne Folgen für die Wohlfahrtsstaaten des<br />

Westens blieb. Sie geraten von jener Seite unter Druck, die wohlfahrtsstaatliche<br />

Arrangements in der Hauptsache als Alibiveranstaltung des Kapitalismus in Zeiten des<br />

Kalten Krieges legitimiert sahen. Speziell in Deutschland bedeutet die Herstellung der<br />

„inneren Einheit“ eine neue Herausforderung. Hinzu kommen die vielschichtigen<br />

Auswirkungen globaler Megatrends wie der Technisierung, der Internationalisierung,<br />

der Individualisierung und der demographischen Entwicklung auf die Entwicklung am<br />

Arbeitsmarkt, die Steuerungsfähigkeit des Staates und den gesellschaftlichen<br />

Zusammenhalt. Das Tempo der Veränderung entreißt wiederum viele den<br />

Lebenswelten, mit denen sie vertraut sind. Und wiederum stehen sich Gewinner und<br />

Verlierer gegenüber. Beiden hat der Sozialstaat in seiner heutigen Form wenig zu<br />

bieten. Die pointiert formulierte These lautet: Die Gewinner brauchen ihn nicht, die<br />

Verlierer kommen nicht in seinen Genuss. Die einen setzen sich ab, die anderen sind<br />

ausgeschlossen. Weil beide Gruppen wachsen, wird das ganze System in Frage<br />

gestellt. Von den Fahnenflüchtigen und von den Ausgegrenzten, jenen, die durch die<br />

Maschen der sozialen Sicherungssysteme fallen und der Möglichkeit zur Ausübung<br />

elementarer Teilhaberechte beraubt werden, weil ihre Biografie oder Lebensform nicht<br />

dem Bild entspricht, das diesen zugrunde liegt, handelt die Neue Soziale Frage: Wie<br />

kann man Sezession der Starken und Exklusion der Schwachen von der<br />

Solidargemeinschaft verhindern? Wie lässt sich der Neuen Armut begegnen? Wie<br />

können die in der Demokratie formal allen zugestandenen Teilhabechancen faktisch für<br />

Alle realisiert werden? Mit Exklusion wäre demnach die Soziale Frage der Wissensund<br />

Informationsgesellschaft beschrieben, die der „alten“ Sozialen Frage von der<br />

Ausbeutung nach etwa einem Jahrhundert nachfolgt. Eine Antwort steht aus.<br />

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