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SteuerRevue 3/2011, p. 182-202 - benzlaw.ch

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Die Gültigkeitsvoraussetzungen<br />

der erstmaligen<br />

straflosen Selbstanzeige<br />

im Re<strong>ch</strong>t<br />

der direkten<br />

Steuern: Zehn<br />

e<strong>ch</strong>te und vermeintli<strong>ch</strong>eTatbestands<br />

merkmale<br />

1 Einführung<br />

1.1 Gesetzesnovelle im Überblick<br />

Am 1. Januar 2010 trat das Bundesgesetz vom<br />

20. März 2008 über die Vereinfa<strong>ch</strong>ung der<br />

Na<strong>ch</strong>besteuerung in Erbfällen und die Einführung<br />

der straflosen Selbstanzeige 1 in Kraft.<br />

Die Gesetzesnovelle sieht vor, dass die erstmalige<br />

Selbstanzeige einer Hinterziehung direkter<br />

Steuern straflos bleibt 2 , während jede weitere<br />

Selbstanzeige mit einem Fünftel der hinterzogenen<br />

Strafe gebüsst wird 3 . Ges<strong>ch</strong>uldet bleibt die<br />

ordentli<strong>ch</strong>e Na<strong>ch</strong>steuer eins<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> Verzugszins<br />

für zehn Jahre 4 .<br />

Bei jeder weiteren Selbstanzeige wird die Busse<br />

auf einen Fünftel der hinterzogenen Steuer<br />

reduziert 5 . Na<strong>ch</strong> der alten Regelung war der<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong> Seite <strong>182</strong><br />

Prof. Dr. Rolf Benz<br />

Selbständiger Re<strong>ch</strong>tsanwalt<br />

in Winterthur<br />

Zür<strong>ch</strong>er Ho<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ule für<br />

Angewandte Wissens<strong>ch</strong>aften<br />

(ZHAW)<br />

Fünftel für die kantonalen Steuern das Mindeststrafmass;<br />

die Busse konnte bis auf einen<br />

Fünftel reduziert werden. Neu ist die fixe Ermässigung<br />

auf einen Fünftel harmonisierungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

verbindli<strong>ch</strong> für die Kantone, was die<br />

Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit bei wiederholter Selbstanzeige<br />

erhöht.<br />

Gegenstand der Gesetzesnovelle sind die direkten<br />

Steuern, also Einkommenssteuer, Vermögenssteuer,<br />

Gewinnsteuer, Kapitalsteuer,<br />

Grundstückgewinnsteuer, Quellensteuer, und<br />

zwar sowohl auf Bundesebene als au<strong>ch</strong> auf kantonaler<br />

bzw. kommunaler Ebene. Andere Steuerarten<br />

oder Abgaben sind ni<strong>ch</strong>t Gegenstand der<br />

Gesetzesnovelle. Hingegen wird im Falle einer<br />

erstmaligen Selbstanzeige au<strong>ch</strong> von einer Strafverfolgung<br />

wegen allen andern Straftaten abgesehen,<br />

die zum Zwecke der Steuerhinterziehung<br />

begangen wurden 6 .<br />

Die Mini-Steueramnestie zeitigt eine gewisse<br />

Wirkung: Landesweit meldeten si<strong>ch</strong> bisher gut<br />

1 AS 2008, 4453.<br />

2 Art. 56 Abs. 1 bis StHG und Art. 175 Abs. 3 DBG<br />

(natürli<strong>ch</strong>e Personen) bzw. Art. 57b Abs. 1 StHG und<br />

Art. 181a Abs. 1 DBG (juristis<strong>ch</strong>e Personen).<br />

3 Art. 56 Abs. 1 ter StHG und Art. 175 Abs. 4 DBG<br />

(natürli<strong>ch</strong>e Personen) bzw. Art. 57b Abs. 5 StHG und<br />

Art. 181a Abs. 4 DBG (juristis<strong>ch</strong>e Personen).<br />

4 Art. 53 Abs. 2 StHG und Art. 152 Abs. 1 DBG.<br />

5 Art. 56 Abs. 1 ter und Art. 57b Abs. 5 StHG; Art. 175<br />

Abs. 4 und Art. 181a Abs. 5 DBG.<br />

6 Art. 59 Abs. 2 bis StHG und Art. 186 Abs. 3 DBG.


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

5000 Steuerpfli<strong>ch</strong>tige 7 . Von der individuellen<br />

Amnestie Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en können sämtli<strong>ch</strong>e<br />

Straftäter: natürli<strong>ch</strong>e und juristis<strong>ch</strong>e Personen,<br />

Mittäter, Anstifter, Gehilfen – mithin alle, die<br />

si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>uldig oder mits<strong>ch</strong>uldig gema<strong>ch</strong>t haben,<br />

sämtli<strong>ch</strong>e Involvierten 8 . Ausdrückli<strong>ch</strong> erwähnt<br />

der Gesetzgeber au<strong>ch</strong> inzwis<strong>ch</strong>en ausges<strong>ch</strong>iedene<br />

Organe und Vertreter einer juristis<strong>ch</strong>en<br />

Person 9 .<br />

Die straflose Selbstanzeige bezieht si<strong>ch</strong> meist<br />

auf vorsätzli<strong>ch</strong> hinterzogene Steuern. Sie kann<br />

aber au<strong>ch</strong> bei fahrlässiger Tatbegehung greifen<br />

10 . Denkbar ist etwa, dass eine steuerpfli<strong>ch</strong>tige<br />

Person na<strong>ch</strong> pfli<strong>ch</strong>tgemässem Ermessen<br />

veranlagt worden ist 11 und sie erst na<strong>ch</strong> Ablauf<br />

der Re<strong>ch</strong>tsmittelfrist entdeckt, dass eine Unterbesteuerung<br />

vorliegt.<br />

1.2 Etli<strong>ch</strong>e offene Fragen zur<br />

Gültigkeit einer Selbstanzeige<br />

Die Gesetzesnovelle wirft eine ganze Reihe von<br />

Auslegungsfragen auf 12 . Im Na<strong>ch</strong>folgenden wer-<br />

7 «NZZ» vom 18. Januar <strong>2011</strong>, 13.<br />

8 Jeannette Bu<strong>ch</strong>er/Dieter Wiederkehr, Selbstanzeige im<br />

MWST-Re<strong>ch</strong>t, ST 2005, 861.<br />

9 Art. 57b Abs. 3 StHG; Art. 181a Abs. 4 DBG.<br />

10 Bots<strong>ch</strong>aft des Bundesrates zum Bundesgesetz über die<br />

Vereinfa<strong>ch</strong>ung der Na<strong>ch</strong>besteuerung in Erbfällen und<br />

die Einführung der straflosen Selbstanzeige<br />

vom 18. Oktober 2006, BBl 2006, 8801; Merkblatt<br />

des Kantonalen Steueramtes Nidwalden vom<br />

21. Januar 2010, Straflose Selbstanzeige, Ziff. 1;<br />

Merkblatt des Kantonalen Steueramtes Solothurn,<br />

Straflose Selbstanzeige, Ziff. 1; vgl. au<strong>ch</strong> Susanne<br />

Gantenbein Affrunti/Walo Stählin, Steueramnestie in<br />

der S<strong>ch</strong>weiz?, ST 2004, 114.<br />

11 Art. 46 Abs. 3 StHG; Art. 130 Abs. 2 DBG.<br />

12 Andreas Donats<strong>ch</strong>/Mirjam Frei, Allgemeine<br />

Strafmilderungs- und Strafbefreiungsgründe im<br />

Steuerstrafre<strong>ch</strong>t, StR 2010, 12; Orlando Rabaglio,<br />

Steuerre<strong>ch</strong>t ab 1.1.2009: Was gilt?, trex 2009, 17.<br />

Inhaltsübersi<strong>ch</strong>t<br />

1 Einführung<br />

1.1 Gesetzesnovelle im Überblick<br />

1.2 Etli<strong>ch</strong>e offene Fragen zur Gültigkeit einer<br />

Selbstanzeige<br />

1.3 Auslegungsmethode<br />

2 Vollendete oder versu<strong>ch</strong>te<br />

Steuerhinterziehung<br />

2.1 Unklare Gesetzessystematik<br />

2.2 Andere Gesi<strong>ch</strong>tspunkte<br />

3 Hinterziehung keiner Steuerbehörde<br />

bekannt<br />

3.1 Auss<strong>ch</strong>lusswirkung bei konkretem Verda<strong>ch</strong>t<br />

der Steuerbehörde<br />

3.2 Handeln aus eigenem Antrieb?<br />

3.3 Heikle Übergangsphase<br />

4 Selbstanzeige in Ahnungslosigkeit<br />

5 Steuerbehörden als Adressaten<br />

5.1 Funktioneller Begriff der Steuerbehörde?<br />

5.2 Handeln aus eigenem Antrieb?<br />

6 Als Selbstanzeige erkennbarer<br />

Hinweis an die Steuerbehörde<br />

7 Vorbehaltlose Unterstützung<br />

der Steuerbehörde bei der<br />

Na<strong>ch</strong>besteuerung<br />

7.1 Mitwirkungspfli<strong>ch</strong>ten gemäss<br />

Veranlagungsverfahren<br />

7.2 Grenze der Zumutbarkeit<br />

8 Ernstli<strong>ch</strong>es Bemühen um Bezahlung<br />

der Na<strong>ch</strong>steuer<br />

9 Beweggrund der aufri<strong>ch</strong>tigen Reue?<br />

10 Vollständigkeit der Selbstanzeige?<br />

10.1 Ausgangslage<br />

10.2 Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

10.3 Auslegung<br />

11 Erstmaligkeit<br />

11.1 Einleitung<br />

11.2 Erstmaligkeit betreffend Steuerart<br />

11.3 Erstmalige S<strong>ch</strong>ädigung des Kantons?<br />

11.4 Erstmaligkeit seit Inkrafttreten der<br />

Gesetzesänderung<br />

11.5 Ni<strong>ch</strong>t sanktionierte frühere Selbstanzeige<br />

11.6 Beweislastverteilung<br />

12 Fazit<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong>, Seite 183


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

den – gegliedert in zehn Teilabs<strong>ch</strong>nitte – die<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Voraussetzungen für eine gültige<br />

Selbstanzeige beleu<strong>ch</strong>tet. Dabei soll aufgezeigt<br />

werden, dass einige althergebra<strong>ch</strong>te Auffassungen<br />

im S<strong>ch</strong>rifttum und in der Praxis na<strong>ch</strong><br />

der Gesetzesregelung ni<strong>ch</strong>t mehr unbesehen<br />

aufre<strong>ch</strong>tzuhalten sind.<br />

Die man<strong>ch</strong>mal restriktive Praxis zur früheren<br />

Selbstanzeige, deren Voraussetzungen im Gesetz<br />

ni<strong>ch</strong>t normiert waren, ist bis heute no<strong>ch</strong> zu wenig<br />

kritis<strong>ch</strong> reflektiert worden. Zudem s<strong>ch</strong>einen<br />

einige Ansi<strong>ch</strong>ten auf die letzte grosse Steueramnestie<br />

1969 zurückzugehen, die erhebli<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>ärfere Bedingungen kannte. Zum Teil wird<br />

au<strong>ch</strong> Art. 13 VStR – die Re<strong>ch</strong>tsgrundlage für<br />

die straflose Selbstanzeige im (übrigen) Verwaltungsstrafre<strong>ch</strong>t<br />

des Bundes – vors<strong>ch</strong>nell analog<br />

zur Anwendung gebra<strong>ch</strong>t 13 . Ganz ähnli<strong>ch</strong><br />

wie die Selbstanzeige bei den direkten Steuern<br />

ausgestaltet ist hingegen der im glei<strong>ch</strong>en Zeitpunkt<br />

in Kraft getretene Art. 102 MWStG, einer<br />

lex specialis für die straflose Selbstanzeige bei<br />

der Mehrwertsteuer.<br />

1.3 Auslegungsmethode<br />

Dahingestellt sei, ob die Voraussetzungen der<br />

Selbstanzeige na<strong>ch</strong> früherem Re<strong>ch</strong>t restriktiv<br />

auszulegen waren 14 . Na<strong>ch</strong> der Neuregelung stellt<br />

die Straflosigkeit die Regelfolge der erstmaligen<br />

Selbstanzeige dar. Daher besteht kein Anlass für<br />

eine von vornherein restriktive Auslegung.<br />

Angezeigt ist stattdessen eine zeitgemässe Auslegung<br />

der Gesetzesnovelle; sie stellt ab auf das<br />

Normverständnis und die Verhältnisse, wie sie<br />

gegenwärtig, das heisst zur Zeit der Re<strong>ch</strong>tsanwendung,<br />

bestehen 15 . Zu diesem Zwecke kann<br />

auf die vers<strong>ch</strong>iedenen Auslegungsmethoden des<br />

Bundesgeri<strong>ch</strong>ts zurückgegriffen werden.<br />

Von grosser Bedeutung ist die grammatikalis<strong>ch</strong>e<br />

Auslegung; sie stellt auf den Wortlaut, den Wortsinn<br />

und den Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> ab und dient als<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong> Seite 184<br />

Ausgangspunkt jeder Auslegung 16 . Hierzu ist<br />

vorab anzumerken, dass das Gesetz vier (kumulative)<br />

Voraussetzungen nennt 17 :<br />

1. Die steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person zeigt erstmals eine<br />

Hinterziehung an.<br />

2. Die Hinterziehung ist keiner Steuerbehörde<br />

bekannt.<br />

3. Die steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person unterstützt die<br />

Verwaltung bei der Festsetzung der Na<strong>ch</strong>steuer<br />

vorbehaltlos; und<br />

4. sie bemüht si<strong>ch</strong> ernstli<strong>ch</strong> um die Bezahlung<br />

der ges<strong>ch</strong>uldeten Na<strong>ch</strong>steuer.<br />

Bei der systematis<strong>ch</strong>en Auslegung wird der Sinn<br />

einer Re<strong>ch</strong>tsnorm bestimmt dur<strong>ch</strong> ihr Verhältnis<br />

zu andern Re<strong>ch</strong>tsnormen und dur<strong>ch</strong> den<br />

Zusammenhang, in dem sie si<strong>ch</strong> in einem Gesetz<br />

präsentiert 18 . Um allen Straftätern den Weg<br />

zu einer einmaligen straflosen Selbstanzeige zu<br />

öffnen, bes<strong>ch</strong>lägt die Neuregelung mehrere Artikel,<br />

die kohärent auszulegen sind.<br />

Die historis<strong>ch</strong>e Auslegungsmethode stellt auf<br />

den Sinn ab, den man einer Norm zur Zeit ihrer<br />

Entstehung gab; eine Norm soll so gelten, wie<br />

sie vom Gesetzgeber vorgesehen war 19 . Hervorzustrei<strong>ch</strong>en<br />

ist in diesem Zusammenhang, dass<br />

13 Diese Norm verlangt insbesondere, dass eine<br />

Selbstanzeige «aus eigenem Antrieb» erfolgen muss.<br />

14 So Felix Ri<strong>ch</strong>ner/Walter Frei/Stefan Kaufmann/Hans<br />

Ulri<strong>ch</strong> Meuter, Kommentar zum harmonisier ten<br />

Zür<strong>ch</strong>er Steuergesetz, 2. Auflage, Züri<strong>ch</strong> 2006,<br />

§ 235 Rz 127; Roman Sieber, in: Martin Zweifel/Peter<br />

Athanas, Kommentar zum S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en<br />

Steuerre<strong>ch</strong>t, Bd. I/2b, Bundesgesetz über die direkte<br />

Bundessteuer, 2. Auflage, Basel 2008, Art. 175 Rz 38.<br />

15 Ulri<strong>ch</strong> Häfelin/Walter Haller/Helen Keller,<br />

S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>es Bundesstaatsre<strong>ch</strong>t, 7. Auflage, Züri<strong>ch</strong><br />

2008, Rz 114.<br />

16 Häfelin/Haller/Keller (Fn 15), Rz 91.<br />

17 Art. 56 Abs. 1 bis und Art. 57b Abs. 1 StHG; Art. 175<br />

Abs. 3 und 181a Abs. 1 DBG.<br />

18 Häfelin/Haller/Keller (Fn 15), Rz 97.<br />

19 Häfelin/Haller/Keller (Fn 15), Rz 101.


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

der Gesetzgeber jeder Person das Privileg einräumen<br />

wollte, einmal im Leben eine straflose<br />

Selbstanzeige zu erheben. Daher ist zu fordern,<br />

dass die Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der heutigen<br />

Regelung gebührend berücksi<strong>ch</strong>tigt wird und<br />

ni<strong>ch</strong>t in erster Linie auf althergebra<strong>ch</strong>te Vorstellungen<br />

zu früheren Amnestie-Gesetzgebungen<br />

oder andern Bestimmungen zur straflosen<br />

Selbstanzeige zurückgegriffen wird.<br />

Die teleologis<strong>ch</strong>e Auslegung s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> stellt<br />

auf die Zweckvorstellung ab, wel<strong>ch</strong>e mit der<br />

auszulegenden Re<strong>ch</strong>tsnorm verbunden ist 20 .<br />

Bei jeder Steueramnestie wird ein Fiskalzweck<br />

verfolgt; anders ist ni<strong>ch</strong>t erklärbar, dass Straftäter<br />

unges<strong>ch</strong>oren davonkommen. Im Zweifel<br />

verdient demna<strong>ch</strong> jene Auslegung den Vorrang,<br />

die besser geeignet ist, dem Staat unversteuerte<br />

Gelder zuzuführen. Es brau<strong>ch</strong>t einen gewissen<br />

Anreiz, damit bisher undeklarierte Vermögen<br />

wieder zutage kommen 21 . Mit grosszügigen<br />

Anreizen wä<strong>ch</strong>st die Bereits<strong>ch</strong>aft, si<strong>ch</strong> selber<br />

anzuzeigen; setzt man sie zu tief an, entfalten<br />

sie keine Wirkung und das angestrebte Ziel<br />

wird verfehlt 22 . Daher wird au<strong>ch</strong> von der Strafverfolgung<br />

aller andern Delikte abgesehen,<br />

20 Häfelin/Haller/Keller (Fn 15), Rz 120.<br />

21 Voten Hans Kaufmann, AB NR 2007, 2012, und Peter<br />

Spuhler, AB NR 2007, 2016.<br />

22 Votum Johann S<strong>ch</strong>neider-Ammann, AB NR 2007, 2013.<br />

23 Art. 59 Abs. 2 bis StHG und Art. 186 Abs. 3 DBG.<br />

24 Dieter Egloff, in Marianne Weber-Klöti/Dave Siegrist/<br />

Dieter Weber, Kommentar zum Aargauer Steuergegesetz,<br />

Bd. 2, 3. Auflage, Muri/Bern 2009,<br />

§ 236 Rz 102 (mit Hinweisen au<strong>ch</strong> auf die<br />

gegenteilige Meinung); Sieber (Fn 14), Art. 175 DBG<br />

Rz 36; Merkblatt der Kantonalen Steuerverwaltung St.<br />

Gallen «Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung», StG<br />

248 Nr. 2, Ziff. 1.2.<br />

25 Na<strong>ch</strong> Art. 57 Abs. 1 StHG bzw. Art. 181 Abs. 2 DBG wird<br />

die juristis<strong>ch</strong>e Person gebüsst, wenn mit Wirkung für<br />

sie Steuern hinterzogen werden oder Steuern zu<br />

hinterziehen versu<strong>ch</strong>t werden.<br />

die zum Zwecke der Hinterziehung begangen<br />

wurden 23 .<br />

2 Vollendete oder versu<strong>ch</strong>te<br />

Steuerhinterziehung<br />

2.1 Unklare Gesetzessystematik<br />

Die straflose Selbstanzeige betrifft typis<strong>ch</strong>erweise<br />

eine vollendete Steuerhinterziehung. In der<br />

Literatur ist die Meinung anzutreffen, dass eine<br />

Selbstanzeige bei einer versu<strong>ch</strong>ten Steuerhinterziehung<br />

gar ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong> sei 24 ; dies ergebe<br />

si<strong>ch</strong> aus der systematis<strong>ch</strong>en Einordnung der<br />

straflosen Selbstanzeige im Absatz 3 von Art. 175<br />

DBG, der die vollendete Steuerhinterziehung<br />

zum Inhalt hat, ni<strong>ch</strong>t aber den in Art. 176 DBG<br />

sanktionierten Versu<strong>ch</strong> einer Hinterziehung.<br />

Dieses gesetzessystematis<strong>ch</strong>e Argument hat<br />

mit der Neuregelung an Kraft eingebüsst. Bei<br />

den juristis<strong>ch</strong>en Personen sind vollendete und<br />

versu<strong>ch</strong>te Steuerhinterziehung nämli<strong>ch</strong> im<br />

glei<strong>ch</strong>en Absatz geregelt 25 . Die neu ges<strong>ch</strong>affene<br />

Selbstanzeige für juristis<strong>ch</strong>e Personen in<br />

Art. 181a DBG erstreckt si<strong>ch</strong> somit systematis<strong>ch</strong><br />

auf beide Formen der Deliktbegehung. Art. 181a<br />

DBG sieht zwar nur für die begangene Steuerhinterziehung<br />

die straflose Selbstanzeige<br />

vor. Darunter kann aber dur<strong>ch</strong>aus der Hinterziehungsversu<strong>ch</strong><br />

subsumiert werden, denn die<br />

als eigener Tatbestand ausgestaltete versu<strong>ch</strong>te<br />

Steuerhinterziehung ist ebenfalls vollendet<br />

(und damit «begangen»), sobald die Tatbestandsmerkmale<br />

erfüllt sind.<br />

2.2 Andere Gesi<strong>ch</strong>tspunkte<br />

Vorerst kann festgestellt werden, dass es paradox<br />

und verfahrensökonomis<strong>ch</strong> unsinnig wäre,<br />

wenn bis zum Eintritt der Re<strong>ch</strong>tskraft mit<br />

einer Selbstanzeige zugewartet werden müsste.<br />

Zudem darf ein Delikt bei Umkehr des Täters<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong>, Seite 185


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

vor Vollendung der Tat infolge des geringeren<br />

Unre<strong>ch</strong>tsgehaltes ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>ärfer bestraft werden<br />

als eine Umkehr na<strong>ch</strong> Eintritt des Erfolges 26 .<br />

So gesehen muss die Selbstanzeige einer versu<strong>ch</strong>ten<br />

Steuerhinterziehung bei kohärenter<br />

Anwendung des Gesetzes erst re<strong>ch</strong>t strafbefreiend<br />

wirken 27 .<br />

Art. 176 DBG verweist für die Strafzumessung<br />

auf die vollendete Steuerhinterziehung und statuiert,<br />

dass im Falle einer versu<strong>ch</strong>ten Steuerhinterziehung<br />

zwei Drittel der Strafe festzusetzen<br />

sind, die im Falle der vollendeten Steuerhinterziehung<br />

festzusetzen wäre. Es liegt nahe, diesen<br />

Verweis umfassend zu interpretieren: Zwei<br />

Drittel von null Franken Busse (keine Strafe)<br />

bedeutet demna<strong>ch</strong> ebenfalls keine Busse.<br />

Dass au<strong>ch</strong> eine versu<strong>ch</strong>te Steuerhinterziehung<br />

von der straflosen Selbstanzeige umfasst sein<br />

muss, leu<strong>ch</strong>tet vor allem bei fortgesetzter Hinterziehung<br />

ein: Deckt jemand undeklarierte<br />

26 Egloff (Fn 24), § 236 Rz 102.<br />

27 Argumentum a fortiori.<br />

28 Sieber (Fn 14), Art. 175 Rz 36.<br />

29 So für das deuts<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>t Birgit Doehlert/Christian<br />

Buck/Markus Füllsack, Voraussetzungen und<br />

Re<strong>ch</strong>tsfolgen der strafbefreienden Na<strong>ch</strong>erklärung in<br />

Deuts<strong>ch</strong>land, StR 2010, 811 (insbesondere Fn 14).<br />

30 Sieber (Fn 14), Art. 175 Rz 37; Merkblatt SG (Fn 24),<br />

Ziff. 1.4.<br />

31 Bu<strong>ch</strong>er/Wiederkehr (Fn 8), ST 2005, 858 f.<br />

32 Marco Streuli/Vreni Grossmann, Vereinfa<strong>ch</strong>te Na<strong>ch</strong>besteuerung<br />

in Erbfällen und straflose Selbstanzeige,<br />

ST 2008, 713 f.; Merkblatt der Kantonalen<br />

Steuerverwaltung Thurgau «Steuerhinterziehung»,<br />

StP 208 Nr. 1, Ziff. 5.2.1; Merkblatt des Kantonalen<br />

Steueramtes Züri<strong>ch</strong> zur straflosen Selbstanzeige und<br />

zur Vereinfa<strong>ch</strong>ung der Na<strong>ch</strong>besteuerung in Erbfällen<br />

vom 3. März 2010, ZStB I Nr. 38/200, Ziff. B.I.<br />

33 Vgl. bereits Peter Böckli, Zweimal sieben Tücken des<br />

neuen Verwaltungsstrafre<strong>ch</strong>tes, BJM 1979, 178.<br />

34 Der italienis<strong>ch</strong>e Begriff «autodenuncia esente da<br />

pena» (befreit von Strafe) entspri<strong>ch</strong>t hingegen<br />

spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> der «straflosen» Selbstanzeige.<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong> Seite 186<br />

Werte auf, ist zu diesem Zeitpunkt das Verfahren<br />

für das aktuelle Steuerjahr oft no<strong>ch</strong> hängig; der<br />

Täter befindet si<strong>ch</strong> mithin im Versu<strong>ch</strong>sstadium.<br />

Keiner Steuerbehörde käme es in den Sinn, die<br />

Selbstanzeige nur hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der re<strong>ch</strong>tskräftig<br />

veranlagten Jahre zu akzeptieren und für das<br />

no<strong>ch</strong> offene Steuerjahr ein Bussenverfahren<br />

für vorsätzli<strong>ch</strong> versu<strong>ch</strong>te Steuerhinterziehung<br />

zu eröffnen.<br />

3 Hinterziehung keiner<br />

Steuerbehörde bekannt<br />

3.1 Auss<strong>ch</strong>lusswirkung bei konkretem<br />

Verda<strong>ch</strong>t der Steuerbehörde<br />

Die Selbstanzeige kann so lange erfolgen, bis die<br />

Steuerbehörde von der Steuerhinterziehung auf<br />

anderem Wege erfährt 28 . Unerhebli<strong>ch</strong> ist, ob die<br />

Tat s<strong>ch</strong>on zur Gänze oder erst zum Teil entdeckt<br />

war; die Selbstanzeige ist ausges<strong>ch</strong>lossen für alle<br />

Taten, die mit dem bisherigen Ermittlungsgegenstand<br />

in sa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>em Zusammenhang stehen<br />

29 .<br />

3.2 Handeln aus eigenem Antrieb?<br />

Na<strong>ch</strong> bisherigem Re<strong>ch</strong>t wurde verlangt, dass die<br />

steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person spontan, freiwillig, aus<br />

eigenem Antrieb handelt 30 . Sie dürfe ni<strong>ch</strong>t auf<br />

äusseren Druck handeln 31 . Dies soll weiterhin<br />

gelten 32 . Dass aus eigenem Antrieb gehandelt<br />

werden muss, ist allerdings ledigli<strong>ch</strong> in Art. 13<br />

VStR verankert; zudem ist das Kriterium zu<br />

undeutli<strong>ch</strong> und damit einer re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>eren<br />

Handhabung der straflosen Selbstanzeige abträgli<strong>ch</strong><br />

33 .<br />

Dass die Selbstanzeige spontan erfolgen muss,<br />

s<strong>ch</strong>eint zwar in der französis<strong>ch</strong>en Bezei<strong>ch</strong>nung<br />

«dénonciation spontanée non punissable» eine<br />

Stütze zu finden 34 . Bei der dénonciation spontanée<br />

handelt si<strong>ch</strong> aber ledigli<strong>ch</strong> um das Pen-


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

dant zur Selbstanzeige bzw. zur autodenuncia 35 .<br />

Aus der französis<strong>ch</strong>en Übersetzung des Wortes<br />

«selbst» als «spontané» alleine kann also ni<strong>ch</strong>t<br />

abgeleitet werden, die Person müsse freiwillig,<br />

ohne äusseren Druck handeln. Gemeint ist ledigli<strong>ch</strong>,<br />

dass die (Selbst-)Anzeige einer Drittperson<br />

keine strafbefreiende Wirkung hat für die<br />

steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person.<br />

Einige Steuerbehörden verlangen, dass die steuerpfli<strong>ch</strong>tige<br />

Person die Hinterziehung anzeigt,<br />

ohne dass sie mit der Entdeckung der Hinterziehung<br />

dur<strong>ch</strong> die Steuerbehörden re<strong>ch</strong>net 36<br />

bzw. re<strong>ch</strong>nen muss 37 . Diese Vers<strong>ch</strong>ärfung ist<br />

unpraktikabel; eine Entdeckung der Steuerhinterziehung<br />

kann nie gänzli<strong>ch</strong> ausges<strong>ch</strong>lossen<br />

35 Der Begriff «auto-dénonciation» ist im Französis<strong>ch</strong>en<br />

ungebräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>.<br />

36 Merkblatt der Kantonalen Steuerverwaltung Basel-<br />

Stadt vom 15. Dezember 2009, Selbstanzeige bei<br />

Steuerhinterziehungen, Ziff. B.1.<br />

37 Kreiss<strong>ch</strong>reiben Nr. 21/1995 der ESTV vom 7. April 1995,<br />

Das Na<strong>ch</strong>steuer- und das Steuerstrafre<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> dem<br />

Gesetz über die direkte Bundessteuer, 15; Merkblatt BS<br />

(Fn 36), Ziff. B.1; Merkblatt NW (Fn 10), Ziff. 2b.<br />

38 Sieber (Fn 14), Art. 175 Rz 37.<br />

39 Sieber (Fn 14), Art. 175 Rz 37.<br />

40 A.M. Merkblatt BS (Fn 36), Ziff. B.1.<br />

41 Art. 56 Abs. 1 bis lit. a und Art. 57b Abs. 1 lit. a StHG;<br />

Art. 175 Abs. 3 lit. a und 181a Abs. 1 lit. a DBG.<br />

42 So kann au<strong>ch</strong> der Bundesrat interpretiert werden:<br />

Bots<strong>ch</strong>aft (Fn 10), BBl 2006, 8802; vgl. au<strong>ch</strong><br />

Verwaltungsgeri<strong>ch</strong>t ZH, 22.12.1993, StR 1994, 586 =<br />

StE 1994 B 101.9 Nr. 8 (E. 5).<br />

43 So aber Merkblatt BS (Fn 36), Ziff. B.1.<br />

44 So im Urteil des Ri<strong>ch</strong>ters am Distrikt von Hérens und<br />

Conthey vom 25. Februar 1994, RVJ (Revue valaisanne<br />

de jurisprudence), 333. Im konkreten Fall hatte das<br />

Steueramt allerdings bei einer Revision Leistungen an<br />

a<strong>ch</strong>t Empfänger entdeckt. Dass die «Selbstanzeige»<br />

einer der empfangenden Gesells<strong>ch</strong>aften in der Folge<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr gültig war, ergibt si<strong>ch</strong> deshalb s<strong>ch</strong>on<br />

daraus, dass die verdeckte<br />

Gewinnauss<strong>ch</strong>üttung der Steuerbehörde bekannt war.<br />

werden 38 . An der Straflosigkeit ni<strong>ch</strong>ts ändert<br />

daher, wenn der Täter sie aus der Befür<strong>ch</strong>tung<br />

heraus erklärt, dass die Straftat entdeckt werden<br />

könnte 39 . Muss er die Entdeckung ledigli<strong>ch</strong><br />

befür<strong>ch</strong>ten, hat die Steuerbehörde no<strong>ch</strong> keine<br />

Kenntnis. Daher stellt au<strong>ch</strong> eine ernsthaft drohende<br />

Denunziation dur<strong>ch</strong> einen Dritten keinen<br />

Hinderungsgrund für eine Selbstanzeige dar 40 .<br />

Im Li<strong>ch</strong>te der Neuregelung ist meines Era<strong>ch</strong>tens<br />

automatis<strong>ch</strong> von einer spontanen Handlung<br />

auszugehen, sobald die Hinterziehung keiner<br />

Steuerbehörde bekannt war 41 . Mehr darf von<br />

der steuerpfli<strong>ch</strong>tigen Person als eigener Antrieb<br />

ni<strong>ch</strong>t (mehr) gefordert werden 42 .<br />

3.3 Heikle Übergangsphase<br />

Heikel wird es für die steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person,<br />

wenn die Steuerbehörde der Hinterziehung bereits<br />

auf der Spur ist. Dass zu erwarten ist, dass<br />

sie auf die Spur stossen wird, s<strong>ch</strong>adet hingegen<br />

ni<strong>ch</strong>t 43 , ebenso wenig die Fur<strong>ch</strong>t, dass das Steueramt<br />

auf die Spur kommen könnte 44 . Ni<strong>ch</strong>t<br />

nur Steuerpfli<strong>ch</strong>tige, die bei der Hinterziehung<br />

besonders raffiniert vorgegangen sind, sondern<br />

au<strong>ch</strong> Steuerpfli<strong>ch</strong>tige, die ihr strafbares Handeln<br />

weniger ges<strong>ch</strong>ickt kas<strong>ch</strong>iert haben, sollen<br />

straflos Selbstanzeige erheben können.<br />

Au<strong>ch</strong> aus BGE 119 IV 330 ergibt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts<br />

anderes. Im dortigen Fall war ein Zigarettens<strong>ch</strong>muggler<br />

beim Umladen erwis<strong>ch</strong>t worden.<br />

Erst im ans<strong>ch</strong>liessenden Verhör gestand er, dass<br />

er ni<strong>ch</strong>t zum ersten Mal die Tabaksteuer hinterzogen<br />

hatte. Dass hier kein Fall einer spontanen<br />

Anzeige vorliegt, liegt auf der Hand, denn der<br />

Täter war ja bereits für eine verglei<strong>ch</strong>bare Tat<br />

überführt worden. Er handelte insofern ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr aus eigenem Antrieb, weil die Hinterziehung<br />

der Steuerbehörde im Grundsatz bereits<br />

bekannt war.<br />

Prekär ist die Lage der steuerpfli<strong>ch</strong>tigen Person<br />

au<strong>ch</strong>, wenn die Steuerbehörde Untersu<strong>ch</strong>ungen<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong>, Seite 187


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

vornimmt und von der steuerpfli<strong>ch</strong>tigen Person<br />

Auskünfte oder Unterlagen einverlangt,<br />

die in einem Zusammenhang mit den in einer<br />

früheren Periode unversteuerten Faktoren stehen<br />

45 . Bereits eine steueramtli<strong>ch</strong>e Auflage kann<br />

nämli<strong>ch</strong> dazu führen, dass eine straflose Selbstanzeige<br />

ausges<strong>ch</strong>lossen ist 46 . Für die Kenntnis<br />

der Steuerbehörde ist die Eröffnung eines Na<strong>ch</strong><br />

und Strafsteuerverfahrens ni<strong>ch</strong>t erforderli<strong>ch</strong> 47 .<br />

Wird gegen jemanden ermittelt, liegt Kenntnis<br />

der Steuerbehörden ni<strong>ch</strong>t erst bei «Anklagereife»<br />

vor, sondern bereits dann, wenn der Finanzverwaltung<br />

na<strong>ch</strong> kriminalistis<strong>ch</strong>er Erfahrung<br />

ein signifikantes Indiz auf eine vers<strong>ch</strong>leierte<br />

Steuerquelle bekannt geworden ist 48 . Allerdings<br />

gibt es s<strong>ch</strong>wierig zu beurteilende Übergangs-<br />

45 Egloff (Fn 24), § 236 Rz 104.<br />

46 Merkblatt NW (Fn 10), Ziff. 3.a.<br />

47 Praxisfestlegung der Steuerverwaltung Graubünden<br />

vom 1. März 2000, Straflose Selbstanzeige und<br />

vereinfa<strong>ch</strong>te Na<strong>ch</strong>besteuerung von Erben, Ziff. 5.<br />

48 So der deuts<strong>ch</strong>e Bundesgeri<strong>ch</strong>tshof, zitiert na<strong>ch</strong><br />

Doehlert/Buck/Füllsack (Fn 29), StR 2010, 819.<br />

49 Böckli (Fn 33), BJM 1979, 178.<br />

50 Egloff (Fn 24), § 236 Rz 106.<br />

51 Vgl. Urteil des Bundesgeri<strong>ch</strong>ts vom 8. Juni 2006,<br />

Verfahren 2A.321/2006, E. 3.3.<br />

52 Vgl. Urteil des Bundesgeri<strong>ch</strong>ts vom 8. Juni 2006,<br />

Verfahren 2A.321/2006, E. 3.1.<br />

53 So ausdrückli<strong>ch</strong> § 371 Abs. 2 Ziff. 1 lit. a der<br />

Abgabenordnung der Bundesrepublik Deuts<strong>ch</strong>land<br />

(AO; Fassung vom 1. Oktober 2002 [BGBl I 3866],<br />

zuletzt geändert am 8.12.2010 [BGBl I 1768]); in diese<br />

Ri<strong>ch</strong>tung (zum S<strong>ch</strong>weizer Re<strong>ch</strong>t) Merkblatt BS (Fn<br />

36), Ziff. B.3, und Weisung der Kantonalen<br />

Steuerverwaltung Luzern vom 1. Juli 2010, Straflose<br />

Selbstanzeige, StB Bd. 2a, § 211 Nr. 2, Ziff. 4. Benno<br />

Torgler/Christoph S<strong>ch</strong>altegger, Eine Brücke zur<br />

Steuerehrli<strong>ch</strong>keit? «NZZ» vom 9. August 2003,<br />

zweifeln an der Anreizwirkung der straflosen<br />

Selbstanzeige, falls sie no<strong>ch</strong> erhoben werden kann,<br />

wenn es Anzei<strong>ch</strong>en einer Steuerprüfung gibt.<br />

54 Bu<strong>ch</strong>er/Wiederkehr (Fn 8), ST 2005, 859.<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong> Seite 188<br />

phasen 49 . Die Steuerbehörde muss bereits über<br />

konkrete Indizien für eine Unregelmässigkeit<br />

verfügen; reine Mutmassungen oder ein paus<strong>ch</strong>aler<br />

Verda<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>liessen eine Selbstanzeige<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t aus.<br />

Deckt die steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person Steuerfaktoren<br />

auf, auf die die Steuerbehörde trotz eingeleiteter<br />

Untersu<strong>ch</strong>ung mit grosser Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit<br />

ni<strong>ch</strong>t gestossen wäre, spri<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>ts gegen eine<br />

Selbstanzeige 50 . Ents<strong>ch</strong>liesst si<strong>ch</strong> eine steuerpfli<strong>ch</strong>tige<br />

Person im Zusammenhang mit<br />

den Na<strong>ch</strong>fors<strong>ch</strong>ungen der Steuerverwaltung<br />

zur Selbstanzeige, s<strong>ch</strong>liessen zudem weder ihre<br />

früheren Aussagen anlässli<strong>ch</strong> persönli<strong>ch</strong>er<br />

Befragungen no<strong>ch</strong> der Umstand, dass si<strong>ch</strong> die<br />

Person mehrmals mit ihrem Treuhänder bespro<strong>ch</strong>en<br />

hatte, bevor sie das S<strong>ch</strong>warzkonto<br />

offenlegte, zwingend eine Selbstanzeige aus 51 .<br />

Verlangt die Steuerverwaltung aufgrund von<br />

Unstimmigkeiten, die sie im Zusammenhang<br />

mit der Finanzierung einer Liegens<strong>ch</strong>aft festgestellt<br />

hat, zusätzli<strong>ch</strong>e Auskünfte, hat sie zum betreffenden<br />

Zeitpunkt aber no<strong>ch</strong> keine Kenntnis<br />

über das Vorliegen und den Umfang der Steuerhinterziehung,<br />

bleibt eine straflose Selbstanzeige<br />

ebenfalls grundsätzli<strong>ch</strong> mögli<strong>ch</strong> 52 .<br />

Zeigt eine steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person viel mehr<br />

(eben alles) an, als das Steueramt aufgrund<br />

der Anfrage im Auflageverfahren hätte feststellen<br />

können, ist grundsätzli<strong>ch</strong> von einer Selbstanzeige<br />

auszugehen.<br />

Differenziert zu betra<strong>ch</strong>ten ist au<strong>ch</strong> die Ankündigung<br />

einer Revision seitens der Steuerbehörde.<br />

Na<strong>ch</strong> deuts<strong>ch</strong>em Re<strong>ch</strong>t fällt damit<br />

die Mögli<strong>ch</strong>keit zur Selbstanzeige dahin 53 . Die<br />

ESTV zeigt dagegen zu Re<strong>ch</strong>t einige Kulanz 54 .<br />

Au<strong>ch</strong> hier sollte je na<strong>ch</strong> Einzelfall differenziert<br />

werden. Handelt es si<strong>ch</strong> um eine Routinekontrolle,<br />

bleibt eine Selbstanzeige vor Beginn der<br />

Revision mögli<strong>ch</strong>, weil die Steuerbehörde von<br />

den Unregelmässigkeiten no<strong>ch</strong> keine Kenntnis<br />

hat. Handelt es si<strong>ch</strong> hingegen um eine Folge-


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

kontrolle, weil in andern Steuerjahren bei der<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft Mängel festgestellt wurden, ist eine<br />

Selbstanzeige ausges<strong>ch</strong>lossen. Überdies sind<br />

na<strong>ch</strong> Entdeckung unversteuerter verdeckter<br />

Gewinnauss<strong>ch</strong>üttungen bei der Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

Selbstanzeigen der Gesells<strong>ch</strong>after ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

mögli<strong>ch</strong> 55 .<br />

Die Kooperation der steuerpfli<strong>ch</strong>tigen Person ist<br />

in sol<strong>ch</strong>en Fällen immerhin strafmildernd 56 zu<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigen 57 : Fehlges<strong>ch</strong>lagene Selbstanzeigen<br />

können je na<strong>ch</strong> den Umständen erhebli<strong>ch</strong>e<br />

Strafmilderungswirkungen entfalten 58 .<br />

4 Selbstanzeige in<br />

Ahnungslosigkeit<br />

Abzustellen ist auf die Umstände, wie sie si<strong>ch</strong><br />

aus Si<strong>ch</strong>t der steuerpfli<strong>ch</strong>tigen Person darstellen.<br />

Kann sie davon ausgehen, dass die Behör-<br />

55 Merkblatt SG (Fn 24), Ziff. 1.5.<br />

56 Infolge Betätigung aufri<strong>ch</strong>tiger Reue im Sinne von<br />

Art. 48 lit. d des S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Strafgesetzbu<strong>ch</strong>es<br />

(StGB; SR 311.0).<br />

57 Weisung LU (Fn 53), Ziff. 4.<br />

58 Merkblatt TG (Fn 32), Ziff. 5.3; Doehlert/Buck/Füll -<br />

sack (Fn 29), StR 2010, 821 (für das deuts<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>t).<br />

59 Ri<strong>ch</strong>ner/Frei/Kaufmann/Meuter (Fn 14), § 235<br />

Rz 123 mit Verweis auf ein Urteil des Zür<strong>ch</strong>er<br />

Verwaltungsgeri<strong>ch</strong>ts vom 11. Juli 1989 (Verfahren<br />

SR 89/0029); Merkblatt der Kantonalen<br />

Steuerverwaltung Basel-Stadt vom 31. August 2004,<br />

Selbstanzeigen bei Steuerhinterziehungen,<br />

abgedruckt in: StR 2005, 162 (alte Fassung; in der<br />

neuen Fassung des Merkblatts [Fn 36] ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

erwähnt); Böckli (Fn 33), BJM 1979, 178; Stefan<br />

Widmer/Reto Arnold, in: Martin Zweifel/Peter<br />

Athanas/Maja Bauer-Balmelli, Kommentar zum<br />

S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Steuerre<strong>ch</strong>t, Bd. II/3, Bundesgesetz<br />

über die Stempelabgaben, Basel 2006, Art. 50 Rz 55;<br />

Emanuel Grüninger/Walter Studer, Kommentar zum<br />

Basler Steuergesetz, Basel 1970, 138; in diese<br />

Ri<strong>ch</strong>tung au<strong>ch</strong> Merkblatt SG (Fn 24), Ziff. 1.5;<br />

differenziert Egloff (Fn 24), § 236 Rz 105 (gl. M. für<br />

den no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t um die Hinterziehung wissen,<br />

ist die Selbstanzeige straflos 59 . Die Straffreiheit<br />

fällt erst dann dahin, wenn im Zeitpunkt der<br />

Selbstanzeige die Tat ganz oder zum Teil bereits<br />

entdeckt war und der Täter darum wusste oder<br />

bei verständiger Würdigung der Sa<strong>ch</strong>lage damit<br />

re<strong>ch</strong>nen musste 60 .<br />

Bei der grossen Amnestie 1969 verhielt es si<strong>ch</strong><br />

genauso: Von der Amnestie ausges<strong>ch</strong>lossen waren<br />

ledigli<strong>ch</strong> jene Werte, von denen die steuerpfli<strong>ch</strong>tige<br />

Person bereits wusste, dass die<br />

Steuerbehörde die Geltendma<strong>ch</strong>ung eingeleitet<br />

hatte 61 .<br />

Alles andere wäre stossend 62 : Wer im bere<strong>ch</strong>tigten<br />

Vertrauen darauf, dass die Steuerbehörde<br />

no<strong>ch</strong> keine Kenntnis von der Hinterziehung<br />

hat, spontan handelt, verdient die Straffreiheit<br />

unabhängig davon, ob die Hinterziehung der<br />

zuständigen Steuerbehörde – mehr oder weni-<br />

die aargaui s<strong>ch</strong>en Staats- und Gemeindesteuern, eher<br />

a. M. für die direkte Bundessteuer); a. M. Merkblatt<br />

TG (Fn 32), Ziff. 5.2.1., wona<strong>ch</strong> umgekehrt die<br />

Selbst anzeige bei den Steuerbehörden eintreffen<br />

müsse, bevor diese von der Steuerhinterziehung<br />

Kenntnis haben.<br />

60 § 371 Abs. 2 Ziff. 2 AO (Fn 53). Es bestehen allerdings<br />

Bestrebungen, die Norm dahingehend zu revidieren,<br />

dass die Straffreiheit bei Einleitung eines<br />

Strafsteuerverfahrens unabhängig von der Kenntnis<br />

oder dem «Kennenmüssen» des Anzeigenden weg fällt:<br />

Doehlert/Buck/Füllsack (Fn 29), StR 2010, 812.<br />

61 Art. 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 15. März 1968<br />

(Amnestiegesetz; AmnG); Fritz Banderet, Re<strong>ch</strong>tsfragen<br />

auf dem Gebiete der Eidg. Steueramnestie 1969, ASA<br />

37, 98.<br />

62 Implizit vom Gegenteil aus geht Sieber<br />

(Fn 14), Art. 175 Rz 37, der die behördli<strong>ch</strong>e Kenntnis<br />

als Vorgang ums<strong>ch</strong>reibt, dessen Verwirkli<strong>ch</strong>ung si<strong>ch</strong><br />

von aussen kaum abs<strong>ch</strong>ätzen lasse. Dies ers<strong>ch</strong>were<br />

eine «bere<strong>ch</strong>nende Vorgehensweise des Täters».<br />

Anzufügen ist, dass eine sol<strong>ch</strong>e Auffassung der<br />

mit der straflosen Selbstanzeige angestrebten<br />

Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit zuwiderliefe.<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong>, Seite 189


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

ger zufälligerweise – bereits auf andern Wegen<br />

bekannt geworden ist.<br />

Dasselbe kann au<strong>ch</strong> aus dem Re<strong>ch</strong>t, si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

selbst belasten zu müssen 63 , abgeleitet werden.<br />

Es wäre verletzt, wenn ein Täter si<strong>ch</strong> – im guten<br />

Glauben um die Straffreiheit – selbst bezi<strong>ch</strong>tigt<br />

64 und diese Selbstanzeige dana<strong>ch</strong> in einem<br />

Strafverfahren gegen ihn verwendet würde.<br />

5 Steuerbehörden als Adressaten<br />

5.1 Funktioneller Begriff der<br />

Steuerbehörde?<br />

Die Straffreiheit der Selbstanzeige setzt voraus,<br />

dass die Hinterziehung keiner Steuerbehörde<br />

bekannt ist. Darunter sind sämtli<strong>ch</strong>e Steuerbehörden<br />

zu verstehen, au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e, die mit dem<br />

Vollzug anderer Steuerarten befasst sind: die<br />

ESTV, kantonale Steuerämter, Gemeinde steuerämter,<br />

au<strong>ch</strong> eines andern Kantons 65 . Entdeckt<br />

zum Beispiel die Hauptabteilung Mehrwertsteuer<br />

der ESTV im Rahmen einer Bu<strong>ch</strong>prüfung<br />

eine Hinterziehung, ist für den entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Sa<strong>ch</strong>verhalt au<strong>ch</strong> im Hinblick auf die direkten<br />

Steuern keine Selbstanzeige mehr mögli<strong>ch</strong> 66 .<br />

Zu den Steuerbehörden zu zählen sind ferner<br />

die Organe der Eidgenössis<strong>ch</strong>en Zollverwaltung,<br />

63 Ausdrückli<strong>ch</strong> verankert in Art. 104 Abs. 2 MWStG und<br />

in Art. 6 Ziff. 1 EMRK.<br />

64 Art. 56 Abs. 1 bis lit. b und Art. 57b Abs. 1 lit. b StHG;<br />

Art. 175 Abs. 3 lit. b und 181a Abs. 1 lit. b DBG.<br />

65 Merkblatt NW (Fn 10), Ziff.3.a.; vgl. bereits Grüninger/<br />

Studer (Fn 59), 138 f.<br />

66 Vgl. Grüninger/Studer (Fn 59), 138 f.<br />

67 Merkblatt SG (Fn 24), Ziff. 1.4.<br />

68 Art. 59 Abs. 2 bis StHG und Art. 186 Abs. 3 DBG.<br />

69 Ri<strong>ch</strong>ner/Frei/Kaufmann/Meuter (Fn 14), § 235<br />

Rz 124.<br />

70 Streuli/Grossmann (Fn 32), ST 2008, 714; Egloff<br />

(Fn 24), § 236 Rz 104.<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong> Seite 190<br />

soweit sie gestützt auf Art. 62 MWStG mit der<br />

Steuer auf der Einfuhr betraut sind.<br />

Gewi<strong>ch</strong>tige Gründe spre<strong>ch</strong>en zudem dafür,<br />

«Steuerbehörde» in einem funktionellen<br />

Sinne weit auszulegen. Als «Steuerbehörde» zu<br />

qualifizieren ist demna<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Staatsanwalts<strong>ch</strong>aft,<br />

soweit sie si<strong>ch</strong> – insbesondere bei<br />

Verda<strong>ch</strong>t auf Steuerbetrug – mit Steuerdelikten<br />

bes<strong>ch</strong>äftigen. Eine sol<strong>ch</strong> weite Auslegung des<br />

Begriffs der Steuerbehörde trifft den Gehalt<br />

der Regelung am besten: Na<strong>ch</strong> Einleitung einer<br />

Strafuntersu<strong>ch</strong>ung, beispielsweise wegen<br />

Urkundenfäls<strong>ch</strong>ung oder Steuerbetrug, kann<br />

eine Selbstanzeige ni<strong>ch</strong>t mehr wirksam sein 67 .<br />

Ansonsten käme es zu paradoxen Ergebnissen:<br />

Wäre eine Selbstanzeige no<strong>ch</strong> wirksam, würde<br />

au<strong>ch</strong> die Strafverfolgung für die Urkundenfäls<strong>ch</strong>ung<br />

bzw. für den Steuerbetrug dahinfallen,<br />

weil diese Delikte ja zum Zwecke der Hinterziehung<br />

begangen wurden 68 .<br />

Interessant ist übrigens, dass na<strong>ch</strong> Art. 102<br />

MWStG eine Selbstanzeige erst ausges<strong>ch</strong>lossen<br />

ist, wenn das Steuerdelikt der zuständigen<br />

Steuerbehörde bekannt ist. Fragli<strong>ch</strong> ist, ob darunter<br />

wirkli<strong>ch</strong> nur die EStV zu verstehen ist.<br />

5.2 Handeln aus eigenem Antrieb?<br />

Na<strong>ch</strong> einer no<strong>ch</strong> weiter gehenden Auffassung<br />

sollen Selbstanzeigen sogar dann unwirksam<br />

sein, wenn sie im Rahmen eines Prozesses,<br />

insbesondere im S<strong>ch</strong>eidungsverfahren oder in<br />

einem Erbteilungsprozess, erstattet werden, weil<br />

die Betroffenen na<strong>ch</strong> der Ans<strong>ch</strong>wärzung vor<br />

Geri<strong>ch</strong>t mit der Entdeckung der Hinterziehung<br />

re<strong>ch</strong>nen mussten 69 und daher ni<strong>ch</strong>t mehr aus<br />

eigenem Antrieb handelten 70 .<br />

Ein S<strong>ch</strong>eidungsgeri<strong>ch</strong>t hat aber keine Kompetenzen<br />

in Steuersa<strong>ch</strong>en und kann ni<strong>ch</strong>t ernsthaft<br />

unter den Begriff der «Steuerbehörde»<br />

subsumiert werden. Das S<strong>ch</strong>eidungsgeri<strong>ch</strong>t ist<br />

ni<strong>ch</strong>t der verlängerte Arm der Steuerbehör-


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

de. Zwar erteilen Behörden des Bundes, der<br />

Kantone, Bezirke, Kreise und Gemeinden den<br />

Steuer behörden auf Ersu<strong>ch</strong>en hin die erforderli<strong>ch</strong>en<br />

Auskünfte; sie können sogar von si<strong>ch</strong><br />

aus die Steuerbehörden darauf aufmerksam<br />

ma<strong>ch</strong>en, wenn sie vermuten, dass eine Veranlagung<br />

unvollständig ist 71 ; eine entspre<strong>ch</strong>ende<br />

Pfli<strong>ch</strong>t existiert aber gerade ni<strong>ch</strong>t 72 . Selbst wenn<br />

die steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person damit re<strong>ch</strong>nen muss,<br />

dass eine Behörde den Steuerbehörden eine vermutete<br />

Ni<strong>ch</strong>t- oder Unterbesteuerung meldet,<br />

kann no<strong>ch</strong> eine Selbstanzeige eingerei<strong>ch</strong>t werden<br />

73 .<br />

Ents<strong>ch</strong>liesst si<strong>ch</strong> der Ehegatte na<strong>ch</strong> der Ans<strong>ch</strong>uldigung<br />

vor S<strong>ch</strong>eidungsprozess zu einer Selbstanzeige,<br />

trägt er aktiv dazu bei, dass die Steuern<br />

71 Art. 39 Abs. 3 StHG und Art. 112 Abs. 1 DBG.<br />

72 Wenn man bedenkt, dass S<strong>ch</strong>eidungsgeri<strong>ch</strong>te<br />

einvernehmli<strong>ch</strong>e Lösungen der Ehegatten anstreben<br />

und dementspre<strong>ch</strong>end kein Interesse an Eskalationen<br />

unter Ehegatten haben, werden diese im Normalfall<br />

wohl eher davon absehen, eine Mitteilung an die<br />

Steuerbehörden zu ma<strong>ch</strong>en. Das S<strong>ch</strong>eidungsgeri<strong>ch</strong>t<br />

könnte si<strong>ch</strong> zudem dem Ans<strong>ch</strong>ein der Befangenheit<br />

aussetzen, wenn es auf blosse paus<strong>ch</strong>ale<br />

Ans<strong>ch</strong>uldigungen hin eine Anzeige an die<br />

Steuerbehörden erstattet.<br />

73 Merkblatt BS (Fn 36), Ziff. B.1.<br />

74 A. M. Merkblatt SG (Fn 24), Ziff. 1.4: Keine Selbst anzeige<br />

liege vor, wenn der Kollektivgesells<strong>ch</strong>after ein<br />

S<strong>ch</strong>warzkonto deklariert, weil der Mitgesell s<strong>ch</strong>after in<br />

einer offenen Auseinandersetzung seinen Anteil daran<br />

fordert.<br />

75 Merkblatt BS (Fn 36), Ziff. B.2; Merkblatt SG<br />

(Fn 24), Ziff. 1.6.<br />

76 Bu<strong>ch</strong>er/Wiederkehr (Fn 8), ST 2005, 858<br />

(zur Mehrwertsteuer).<br />

77 Merkblatt NW (Fn 10), Ziff. 2.a.<br />

78 Z. B. dur<strong>ch</strong> Hinweis im Werts<strong>ch</strong>riftenverzei<strong>ch</strong>nis<br />

«bisher ni<strong>ch</strong>t deklariert»; Merkblatt NW (Fn 10), Ziff.<br />

2.a.<br />

79 Vgl. Banderet (Fn 61), ASA 37, 89.<br />

80 Banderet (Fn 61), ASA 37, 88.<br />

korrekt na<strong>ch</strong>veranlagt werden, die dem Staat<br />

ansonsten mit erhebli<strong>ch</strong>er Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit<br />

vorenthalten bleiben würden. Sein Verhalten<br />

fördert damit den Zweck der Gesetzesnovelle,<br />

unversteuerte Gelder aufzudecken, weshalb es<br />

ni<strong>ch</strong>t strafwürdig ist.<br />

Erst re<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>liesst eine Selbstanzeige ni<strong>ch</strong>t aus,<br />

wenn jemand befür<strong>ch</strong>tet, ein Dritter, insbesondere<br />

ein Mittäter oder ein Teilnehmer, könnte<br />

denunzieren 74 . Mehrere Täter und Teilnehmer<br />

können na<strong>ch</strong> dem Willen des Gesetzgebers<br />

mittels gemeinsamer Selbstanzeige in corpore<br />

Straffreiheit erlangen. An einer gültigen Selbstanzeige<br />

müssen aber ni<strong>ch</strong>t zwingend alle, die<br />

si<strong>ch</strong> strafbar gema<strong>ch</strong>t haben, beteiligt sein.<br />

6 Als Selbstanzeige erkennbarer<br />

Hinweis an die Steuerbehörde<br />

Die Selbstanzeige kann mündli<strong>ch</strong> oder s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong><br />

erfolgen und muss ni<strong>ch</strong>t als sol<strong>ch</strong>e bezei<strong>ch</strong>net<br />

werden 75 . Eine bestimmte Form oder gar ein<br />

S<strong>ch</strong>riftstück unter dem Titel Selbstanzeige ist<br />

ni<strong>ch</strong>t erforderli<strong>ch</strong> 76 . Die steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person<br />

kann der Steuerbehörde ausdrückli<strong>ch</strong> oder sinngemäss<br />

melden, dass eine frühere Veranlagung<br />

ni<strong>ch</strong>t korrekt ist 77 . Ein formeller Antrag ist ni<strong>ch</strong>t<br />

erforderli<strong>ch</strong>, entspre<strong>ch</strong>endes Handeln ist ausrei<strong>ch</strong>end<br />

78 .<br />

Diese Formlosigkeit ist insofern interessant,<br />

als bei der grossen Amnestie 1969 eine relativ<br />

strenge materielle Deklarationspfli<strong>ch</strong>t galt; damals<br />

mussten sämtli<strong>ch</strong>e Bestandteile des Einkommens<br />

bzw. des Reingewinns und sämtli<strong>ch</strong>e<br />

bewegli<strong>ch</strong>en und unbewegli<strong>ch</strong>en Vermögenswerte<br />

und S<strong>ch</strong>ulden in der Steuererklärung<br />

1969 vollständig und genau deklariert werden,<br />

damit die Amnestiewirkungen eintraten 79 ; die<br />

Steuererklärung war zudem re<strong>ch</strong>tzeitig, also<br />

innert der gesetzli<strong>ch</strong> vorges<strong>ch</strong>riebenen oder<br />

von der zuständigen Behörde erstreckten Frist<br />

einzurei<strong>ch</strong>en 80 . Au<strong>ch</strong> das deuts<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>t kennt<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong>, Seite 191


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

gesetzli<strong>ch</strong> geregelte Deklarationserfordernisse<br />

für eine gültige Selbstanzeige 81 .<br />

Es verwundert daher ni<strong>ch</strong>t, dass die Vorstellung<br />

weit verbreitet ist, die hinterzogenen Steuerfak-<br />

toren müssten der Steuerbehörde unmissverständli<strong>ch</strong><br />

mitgeteilt werden 82 . Keine Selbstanzeige<br />

erstatte, wer stills<strong>ch</strong>weigend – kommentarlos<br />

– bisher ni<strong>ch</strong>t deklarierte Vermögenswerte<br />

in der Steuererklärung aufführe 83 oder bei der<br />

Grundstückgewinnsteuer eine S<strong>ch</strong>warzzahlung<br />

als Anlagekosten deklariere 84 . Die Steuerbehörde<br />

müsse ausdrückli<strong>ch</strong> oder sinngemäss darauf<br />

hingewiesen werden, dass Vermögenswerte in<br />

früheren Jahren ni<strong>ch</strong>t versteuert wurden 85 .<br />

Dazu ist Folgendes zu bemerken: Eine unmissverständli<strong>ch</strong>e<br />

Mitteilung bzw. ein ausdrückli<strong>ch</strong>er<br />

Hinweis ist zwar dringend zu empfehlen.<br />

Ansonsten kann es für die Steuerpfli<strong>ch</strong>tigen böse<br />

Überras<strong>ch</strong>ungen absetzen, wenn die Steuerbehörde<br />

die Selbstanzeige ni<strong>ch</strong>t bemerkt. Glei<strong>ch</strong>wohl<br />

ist zu betonen, dass es – im Gegensatz<br />

81 Vgl. zur steuerbefreienden Na<strong>ch</strong>erklärung Doehlert/<br />

Buck/Füllsack (Fn 29), StR 2010, 811.<br />

82 Sieber (Fn 14), Art. 175 Rz 38.<br />

83 Bu<strong>ch</strong>er/Wiederkehr (Fn 8), ST 2005, 858;<br />

Praxisfestlegung GR (Fn 47), Ziff. 3; Merkblatt NW<br />

(Fn 10), Ziff. 2.a; Merkblatt SO (Fn 10), Ziff. 3;<br />

Merkblatt ZH (Fn 32), Ziff. B.I; a.M. Grüninger/Studer<br />

(Fn 59), 138.<br />

84 Merkblatt SG (Fn 24), Ziff. 1.1.<br />

85 Merkblatt BS (Fn 36), Ziff. B.2; vgl. au<strong>ch</strong> Egloff<br />

(Fn 24), § 236 Rz 109.<br />

86 So zutreffend Egloff (Fn 24), § 236 Rz 109 unter<br />

Verweis auf die Aargauer Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung.<br />

87 Urteil des Bundesgeri<strong>ch</strong>ts vom 7. September 2009, StR<br />

2010, 225 (E. 2.5).<br />

88 Anders zu urteilen gewesen wäre, wenn die steuerpfli<strong>ch</strong>tige<br />

Person infolge vorzeitiger Pensionierung die<br />

AHV-Rente bereits ab 2002 (zwei Jahre vor Errei <strong>ch</strong>en<br />

des ordentli<strong>ch</strong>en AHV-Rentenalters) bezogen hätte, sie<br />

die Rente aber erst ab 2004 – bei Errei<strong>ch</strong>en<br />

des ordentli<strong>ch</strong>en AHV-Rentenalters – deklariert hätte.<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong> Seite 192<br />

zur Steueramnestie 1969 – gerade keine zwingenden<br />

(Form-)Erfordernisse für den Hinweis<br />

an die Steuerbehörden gibt. Demna<strong>ch</strong> ist es<br />

ausrei<strong>ch</strong>end, wenn die Na<strong>ch</strong>versteuerung derart<br />

erfolgt, dass sie von den Steuerbehörden bei<br />

genügender Aufmerksamkeit wahrgenommen<br />

und entziffert werden kann und na<strong>ch</strong> Treu und<br />

Glauben als sol<strong>ch</strong>e verstanden werden muss 86 .<br />

Zu diesem Zwecke wird zwar ein ausdrückli<strong>ch</strong>er<br />

Hinweis oft unumgängli<strong>ch</strong> sein. Je na<strong>ch</strong> den Umständen<br />

kann aber sogar ein kommentarloses<br />

Deklarieren bisher unversteuerter Einkünfte<br />

no<strong>ch</strong> als Selbstanzeige gewürdigt werden, wie<br />

der folgende konkrete Fall illustriert: Jemand<br />

hatte seit dem 1. April 2002 eine AHV-Rente<br />

bezogen, sie jedo<strong>ch</strong> erst ab 2004 deklariert.<br />

Die Kantonale Steuerverwaltung ging «praxisgemäss»<br />

von einer Selbstanzeige aus, ebenso<br />

in der Folge die Geri<strong>ch</strong>tsinstanzen 87 . In der<br />

Tat hätten die Steuerbehörden bei geforderter<br />

Aufmerksamkeit im Steuerjahr 2002 bemerken<br />

müssen, dass die Person infolge Errei<strong>ch</strong>ens des<br />

ordentli<strong>ch</strong>en AHV-Rentenalters entspre<strong>ch</strong>ende<br />

AHV-Renten bezogen haben musste 88 .<br />

Au<strong>ch</strong> bei einer stills<strong>ch</strong>weigenden erstmaligen<br />

Deklaration bisher unversteuerter Vermögenswerte<br />

in erhebli<strong>ch</strong>em Ausmasse müsste die<br />

Steuerbehörde bei genügender Aufmerksamkeit<br />

bei der Prüfung der Steuererklärung die<br />

erhebli<strong>ch</strong>e Vermögensvermehrung bemerken<br />

und dazu Na<strong>ch</strong>fors<strong>ch</strong>ungen anstellen bzw. bei<br />

der steuerpfli<strong>ch</strong>tigen Person Rückfragen stellen.<br />

Erläutert diese auf Auflage des Steueramtes hin<br />

die Herkunft dieser Mittel lückenlos, so kann das<br />

Verhalten der steuerpfli<strong>ch</strong>tigen Person je na<strong>ch</strong><br />

den Umständen dur<strong>ch</strong>aus als Selbstanzeige akzeptiert<br />

werden.


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

7 Vorbehaltlose Unterstützung<br />

der Steuerbehörde bei der<br />

Na<strong>ch</strong>besteuerung<br />

7.1 Mitwirkungspfli<strong>ch</strong>ten gemäss<br />

Veranlagungsverfahren<br />

Eine Selbstanzeige ist nur gültig, wenn die<br />

si<strong>ch</strong> selbst anzeigende Person die Verwaltung<br />

bei der Festsetzung der Na<strong>ch</strong>steuer vorbehaltlos<br />

unterstützt 89 . Die steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person muss<br />

aktiv an der Aufdeckung des tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Sa<strong>ch</strong>verhalts<br />

mitwirken 90 . Keine Straffreiheit beanspru<strong>ch</strong>en<br />

kann, wer nur Anhaltspunkte über<br />

das Bestehen der Steuerhinterziehung gibt 91 ,<br />

ohne die Fragen der Steuerverwaltung zu beantworten,<br />

die zur Abklärung des Sa<strong>ch</strong>verhaltes<br />

erforderli<strong>ch</strong> sind 92 . Mögli<strong>ch</strong> ist hingegen, eine<br />

Selbstanzeige zu erheben und die Unterlagen<br />

ans<strong>ch</strong>liessend na<strong>ch</strong>zurei<strong>ch</strong>en 93 .<br />

Es ist davon auszugehen, dass die Pfli<strong>ch</strong>t zur<br />

Kooperation bei einer Selbstanzeige keine zusätzli<strong>ch</strong>e<br />

materielle Verfahrenspfli<strong>ch</strong>t statuiert<br />

94 , sondern eher als Verweis auf sämtli<strong>ch</strong>e<br />

89 Art. 56 Abs. 1 bis lit. b und Art. 57b Abs. 1 lit. b StHG;<br />

Art. 175 Abs. 3 lit. b und 181a Abs. 1 lit. b DBG.<br />

90 Merkblatt BS (Fn 36), Ziff. B.4.<br />

91 Verwaltungsgeri<strong>ch</strong>t ZH, StR 1994 (Fn 42), 586<br />

(E. 5a); Merkblatt SG (Fn 24), Ziff. 1.1.<br />

92 Merkblatt BS (Fn 36), Ziff. B.4.<br />

93 Missverständli<strong>ch</strong> Merkblatt TG (Fn 32), Ziff. 5.2.2.,<br />

wona<strong>ch</strong> beispielsweise Steuerauszüge von Wert s<strong>ch</strong>riftendepots<br />

der Selbstanzeige selbst beizulegen seien.<br />

94 Böckli (Fn 33), BJM 1979, 178, geht hingegen davon<br />

aus (kritisiert es aber zuglei<strong>ch</strong>), dass Art. 13 VStR eine<br />

Kooperation verlangt, die weiter geht als die<br />

allgemeine Mitwirkungspfli<strong>ch</strong>t.<br />

95 Art. 153 Abs. 3 DBG.<br />

96 Art. 55 StHG; Art. 174 Abs.1 DBG.<br />

97 Innerhalb des gesetzli<strong>ch</strong>en Rahmens von Art. 56<br />

Abs. 1 StHG bzw. Art. 175 Abs. 2 DBG.<br />

98 Art. 55 StHG; Art. 174 Abs.1 DBG.<br />

Mitwirkungspfli<strong>ch</strong>ten im Steuerverfahren zu<br />

verstehen ist. Die steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person muss<br />

ja bereits na<strong>ch</strong> Art. 42 Abs. 1 StHG bzw. Art. 126<br />

Abs. 1 DBG alles tun, um eine vollständige und<br />

ri<strong>ch</strong>tige Veranlagung zu ermögli<strong>ch</strong>en, wobei<br />

diese umfassende Mitwirkungspfli<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> im<br />

Na<strong>ch</strong>steuerverfahren gilt 95 . Es ist daher kaum zu<br />

sehen, inwiefern «vorbehaltlos unterstützen»<br />

im Na<strong>ch</strong>steuerverfahren über das hinausgehen<br />

soll, was gestützt auf Art. 124 ff. DBG in jedem<br />

Veranlagungsverfahren von der steuerpfli<strong>ch</strong>tigen<br />

Person erwartet werden darf.<br />

Der Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en den allgemeinen<br />

Mitwirkungspfli<strong>ch</strong>ten im Steuerverfahren und<br />

der Pfli<strong>ch</strong>t zur vorbehaltlosen Kooperation bei<br />

der Selbstanzeige liegt vielmehr in den Re<strong>ch</strong>tsfolgen<br />

einer Verfahrenspfli<strong>ch</strong>tverletzung: Im<br />

ordentli<strong>ch</strong>en Verfahren wird na<strong>ch</strong> erfolgloser<br />

Mahnung eine Ordnungsbusse wegen Verletzung<br />

von Verfahrenspfli<strong>ch</strong>ten verhängt 96 , während<br />

bei einer Selbstanzeige bei unkooperativem<br />

Verhalten na<strong>ch</strong> erfolgloser Mahnung die<br />

Hinterziehungsbusse auszuspre<strong>ch</strong>en ist 97 .<br />

Au<strong>ch</strong> in verfahrensre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t ähnelt<br />

die Pfli<strong>ch</strong>t zur Kooperation mit der Steuerbehörde<br />

bei einer Selbstanzeige dur<strong>ch</strong>aus den<br />

allgemeinen Mitwirkungspfli<strong>ch</strong>ten: Eine Ordnungsbusse<br />

wegen Verletzung von Verfahrenspfli<strong>ch</strong>ten<br />

kann erst na<strong>ch</strong> erfolgloser Mahnung<br />

einer Auflage verhängt werden 98 . Dasselbe hat<br />

bei einer Selbstanzeige zu gelten: Erst wenn die<br />

Person trotz Mahnung und unter Hinweis auf<br />

die Folgen bei Säumnis ni<strong>ch</strong>t kooperiert, darf<br />

gegen sie na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong> ein Strafsteuerverfahren<br />

eröffnet werden.<br />

7.2 Grenze der Zumutbarkeit<br />

Die Steuerbehörden behalten si<strong>ch</strong> offenbar vor,<br />

die vorbehaltlose Unterstützung der Steuerbehörden<br />

infrage zu stellen, wenn es der steuerpfli<strong>ch</strong>tigen<br />

Person ni<strong>ch</strong>t mehr gelingt, die für<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong>, Seite 193


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

die Ermittlung der Na<strong>ch</strong>steuer notwendigen<br />

Akten vollständig zusammenzutragen 99 . Der<br />

Bundesrat führte dazu aus, dass Straflosigkeit<br />

nur dann eintritt, wenn na<strong>ch</strong> der Selbstanzeige<br />

sämtli<strong>ch</strong>e Unterlagen der letzten zehn Jahre, die<br />

zur Bere<strong>ch</strong>nung der Na<strong>ch</strong>steuer notwendig sind,<br />

den Behörden vorgelegt werden können 100 .<br />

Dieser Ansi<strong>ch</strong>t ist in dieser verallgemeinernden<br />

Art und Weise ni<strong>ch</strong>t zuzustimmen: Eine sol<strong>ch</strong>e<br />

Erwartungshaltung der Steuerbehörde würde<br />

die Absi<strong>ch</strong>t des Gesetzgebers unterlaufen, dass<br />

jedermann einmal im Leben straflos Selbstanzeige<br />

erheben kann: Wer aus Fur<strong>ch</strong>t vor Entdeckung<br />

bisher alle Spuren verwis<strong>ch</strong>t hatte,<br />

wäre unter Umständen von der Mögli<strong>ch</strong>keit zur<br />

straflosen Selbstanzeige faktis<strong>ch</strong> ausges<strong>ch</strong>lossen.<br />

Der gesetzgeberis<strong>ch</strong>e Zweck der straflosen<br />

Selbstanzeige, einen Anreiz zur Aufdeckung bisher<br />

ni<strong>ch</strong>t deklarierter Werte zu s<strong>ch</strong>affen, würde<br />

torpediert, weil Steuerpfli<strong>ch</strong>tige aus Angst,<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr alle erforderli<strong>ch</strong>en Unterlagen bes<strong>ch</strong>affen<br />

zu können, von einer Selbstanzeige<br />

99 Siehe Streuli/Grossmann (Fn 32), ST 2008, 714;<br />

in diese Ri<strong>ch</strong>tung au<strong>ch</strong> Walo Stählin/Susanne<br />

Gantenbein Affrunti, Na<strong>ch</strong>besteuerung in Erbfällen<br />

und Einführung der straflosen Selbstanzeige,<br />

ST 2007, 118.<br />

100 Bots<strong>ch</strong>aft (Fn 10), BBl 2006, 8824.<br />

101 Vgl. Böckli (Fn 33), BJM 1979, 178.<br />

102 Merkblatt BS (Fn 36), Ziff. B.4; Praxisfestlegung GR<br />

(Fn 47), Ziff. 6; Weisung LU (Fn 53), Ziff. 5.<br />

103 Art. 46 Abs. 3 StHG bzw. Art. 130 Abs. 2 DBG.<br />

104 Merkblatt SG (Fn 24), Ziff. 1.3.<br />

105 Art. 56 Abs. 1 bis lit. c und Art. 57b Abs. 1 lit. c StHG;<br />

Art. 175 Abs. 3 lit. c und 181a Abs. 1 lit. c DBG.<br />

106 Art. 56 Abs. 3 bis StHG; Art. 177 Abs. 3 DBG.<br />

107 Vgl. Art. 13 VStR.<br />

108 Sie fallen – mit Ausnahme der Mehrwertsteuerforderungen,<br />

die gesetzespolitis<strong>ch</strong> verfehlt in der<br />

zweiten Klasse eingeordnet sind – zusammen mit<br />

allen übrigen Forderungen gegen den S<strong>ch</strong>uldner in die<br />

dritte und letzte Klasse (Art. 219 Abs. 4 S<strong>ch</strong>KG).<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong> Seite 194<br />

zurücks<strong>ch</strong>recken könnten 101 . Verlangt werden<br />

kann daher ledigli<strong>ch</strong>, dass die steuerpfli<strong>ch</strong>tige<br />

Person die Unterlagen einrei<strong>ch</strong>t, soweit ihr dies<br />

objektiv mögli<strong>ch</strong> ist 102 .<br />

Können die Steuerfaktoren mangels zuverlässigen<br />

Unterlagen ni<strong>ch</strong>t einwandfrei ermittelt<br />

werden, so nimmt die Veranlagungsbehörde die<br />

Veranlagung na<strong>ch</strong> pfli<strong>ch</strong>tgemässem Ermessen<br />

vor 103 . Die steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person muss dabei<br />

alles in ihren Kräften Stehende tun, um eine<br />

umfassende S<strong>ch</strong>ätzung zu ermögli<strong>ch</strong>en 104 .<br />

Dieses gesetzli<strong>ch</strong>e Instrumentarium genügt<br />

vollauf für eine Situation, in denen die steuerpfli<strong>ch</strong>tige<br />

Person unvers<strong>ch</strong>uldet die Beilagen<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr beibringen kann. An der strafbefreienden<br />

Wirkung der Selbstanzeige ändert si<strong>ch</strong><br />

so lange ni<strong>ch</strong>ts, als die Ermessensveranlagung<br />

ni<strong>ch</strong>t auf ein erneutes Fehlverhalten der steuerpfli<strong>ch</strong>tigen<br />

Person zurückzuführen ist.<br />

8 Ernstli<strong>ch</strong>es Bemühen um<br />

Bezahlung der Na<strong>ch</strong>steuer<br />

Straffreiheit beanspru<strong>ch</strong>en kann nur, wer si<strong>ch</strong><br />

ernstli<strong>ch</strong> um die Bezahlung der ges<strong>ch</strong>uldeten<br />

Na<strong>ch</strong>steuer bemüht 105 . Für Teilnehmer gilt diese<br />

Voraussetzung ni<strong>ch</strong>t, weil mit der Selbstanzeige<br />

die solidaris<strong>ch</strong>e Haftung für die Na<strong>ch</strong>steuer<br />

wegfällt 106 .<br />

Die steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person muss die Na<strong>ch</strong> steuer<br />

entri<strong>ch</strong>ten, soweit es ihr aufgrund ihrer persönli<strong>ch</strong>en<br />

Verhältnisse zumutbar ist 107 . Das ist<br />

meines Era<strong>ch</strong>tens zu verneinen, wenn jemand<br />

unter dem betreibungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Existenzminimum<br />

lebt oder andere S<strong>ch</strong>ulden hat; es sollte<br />

ihm unbenommen sein, seine knappen finanziellen<br />

Mittel stattdessen zur Befriedigung anderer<br />

Gläubiger zu verwenden. Es ist unzumutbar, von<br />

der steuerpfli<strong>ch</strong>tigen Person zu verlangen, dass<br />

sie zuallererst die Steuerbehörden s<strong>ch</strong>adlos hält,<br />

denn den Steuers<strong>ch</strong>ulden kommt keine Priorität<br />

zu 108 . Keine gültige Selbstanzeige erstattet aller-


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

dings, wer von vornherein ni<strong>ch</strong>t willens ist, die<br />

Na<strong>ch</strong>steuer zu bezahlen oder wer (vorgängig)<br />

Vermögenswerte aus dem Zugriffsberei<strong>ch</strong> des<br />

Fiskus entfernt, indem er sie beispielsweise ins<br />

Ausland vers<strong>ch</strong>iebt 109 .<br />

«Si<strong>ch</strong> Bemühen» bedeutet ni<strong>ch</strong>t bloss «versu<strong>ch</strong>en»<br />

oder «Anstalten treffen», sondern<br />

«si<strong>ch</strong> anstrengen», wie der französis<strong>ch</strong>e Begriff<br />

«s’efforcer» verdeutli<strong>ch</strong>t. Bei S<strong>ch</strong>wierigkeiten,<br />

die Na<strong>ch</strong>steuerforderung zu beglei<strong>ch</strong>en, hat<br />

si<strong>ch</strong> die steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person von si<strong>ch</strong> aus<br />

aktiv bei der Bezugsbehörde um Ratenzahlung,<br />

Stundung oder allenfalls sogar Erlass zu<br />

be mühen 110 . Ernstli<strong>ch</strong>es Bemühen darf aber<br />

109 Merkblatt SG (Fn 24), Ziff. 1.4.<br />

110 Praxisfestlegung GR (Fn 47), Ziff. 7; Weisung LU<br />

(Fn 53), Ziff. 6; Merkblatt NW (Fn 10), Ziff. 3.c;<br />

Merkblatt TG (Fn 32), Ziff. 5.2.3.<br />

111 Bots<strong>ch</strong>aft (Fn 10), BBl 2006, 8818; Merkblatt BS<br />

(Fn 36), Ziff. B.5.<br />

112 Art. 23 StGB (Umkehr von der Tat vor deren<br />

Vollendung).<br />

113 Art. 48 lit. d StGB (Umkehr von der Tat na<strong>ch</strong> deren<br />

Vollendung); vgl. Verwaltungsgeri<strong>ch</strong>t ZH (Fn 42),<br />

StR 1994, 586 (E. 5a).<br />

114 Statt vieler Egloff (Fn 24), § 236 Rz 101.<br />

115 Bots<strong>ch</strong>aft (Fn 10), BBl 2006, 8809 und 8818.<br />

116 Votum Fritz S<strong>ch</strong>iesser, AB SR 2007, 941.<br />

117 So Bots<strong>ch</strong>aft (Fn 10), BBl 2006, 8818.<br />

118 Meinrad Bets<strong>ch</strong>art, Erstaunli<strong>ch</strong>es, Ungereimtes und<br />

gesetzgeberis<strong>ch</strong>es Versehen im neuen Bundesgesetz<br />

über die Einführung der straflosen Selbstanzeige, StR<br />

2009, 520.<br />

119 Verwaltungsgeri<strong>ch</strong>t ZH (Fn 42), StR 1994, 586<br />

(E. 5a), dem im konkreten Fall im Ergebnis aller dings<br />

sehr wohl zuzustimmen ist: Für eine denun zier te<br />

steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person (in casu eine Gesell s<strong>ch</strong>aft)<br />

stellt die aus Ra<strong>ch</strong>e erfolgte Anzeige einer Drittperson<br />

(in casu eines früheren Mitarbeiters der<br />

Revisionsstelle) keine «Selbstanzeige» dar.<br />

120 Vgl. Ri<strong>ch</strong>ner/Frei/Kaufmann/Meuter (Fn 14),<br />

§ 235 Rz 118.<br />

121 Suzanne Kreis-Hofer, Vernehmlassung zur Einführung<br />

der straflosen Selbstanzeige, trex 2000, 84.<br />

ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on dann infrage gestellt werden,<br />

wenn die steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person im Steuerbezugsverfahren<br />

gemahnt werden muss, sondern<br />

erst, wenn sie es zur Betreibung kommen<br />

lässt 111 .<br />

9 Beweggrund der aufri<strong>ch</strong>tigen<br />

Reue?<br />

Die Selbstanzeige weist eine gewisse Nähe zur<br />

gemeinstrafre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsfigur der tätigen<br />

Reue 112 bzw. der Betätigung aufri<strong>ch</strong>tiger<br />

Reue 113 auf 114 . Der Bundesrat wies darauf hin,<br />

dass die straflose Selbstanzeige als Belohnung<br />

für die Reue ausgestaltet werden soll 115 , was<br />

sinngemäss au<strong>ch</strong> in den parlamentaris<strong>ch</strong>en<br />

Beratungen aufgegriffen wurde: Es soll ermögli<strong>ch</strong>t<br />

werden, na<strong>ch</strong> Verfehlungen auf den Pfad<br />

der Tugend zurückzukehren 116 .<br />

Vor diesem Hintergrund sind Forderungen zu<br />

verstehen, bei einer erstmaligen Selbstanzeige<br />

nur dann von der Bestrafung abzusehen,<br />

wenn die steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person ihr fehlbares<br />

Verhalten bereut 117 . Eine Strafbefreiung sei nur<br />

gere<strong>ch</strong>tfertigt, wenn dem Anzeigeerstatter eine<br />

gute Prognose gestellt werden könne 118 . Der<br />

Täter müsse den greifbaren Beweis seiner Reue<br />

erbringen 119 .<br />

Dem ist entgegenzuhalten, dass die straflose<br />

Selbstanzeige objektiviert ausgestaltet wurde –<br />

im Interesse der Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit 120 . Reue ist<br />

kein objektives Tatbestandsmerkmal, sondern<br />

ein Merkmal der Strafzumessung. Spätestens<br />

seit der Einführung der straflosen Selbstanzeige<br />

kann daher s<strong>ch</strong>on aus re<strong>ch</strong>tsdogmatis<strong>ch</strong>er<br />

Warte ni<strong>ch</strong>t mehr damit argumentiert werden,<br />

die Selbstanzeige setze aufri<strong>ch</strong>tige Reue voraus.<br />

Dass die steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person keine Reue zeigen<br />

muss, ergibt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> daraus, dass sie im<br />

Extremfall theoretis<strong>ch</strong> jedes Jahr von der Mögli<strong>ch</strong>keit<br />

der Selbstanzeige Gebrau<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en<br />

kann 121 : die wiederholte Selbstanzeige darf je-<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong>, Seite 195


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

des Mal nur mit einem Fünftel der Na<strong>ch</strong>steuer<br />

sanktioniert werden 122 .<br />

Auf die Motive des Selbstanzeigers kommt es bei<br />

der Selbstanzeige mithin ni<strong>ch</strong>t an 123 . Die blosse<br />

Tatsa<strong>ch</strong>e der spontanen Selbstanzeige ist hinrei<strong>ch</strong>endes<br />

Zei<strong>ch</strong>en der Reue; der reuige Steuerpfli<strong>ch</strong>tige<br />

ers<strong>ch</strong>eint als gesetzli<strong>ch</strong>e Fik tion 124 . Die<br />

Selbstanzeige hat die Wirkung eines S<strong>ch</strong>uldaus-<br />

122 Art. 56 Abs. 1 ter und Art. 57b Abs. 5 StHG; Art. 175<br />

Abs. 4 und Art. 181a Abs. 5 DBG.<br />

123 Gl. M. Merkblatt TG (Fn 32), Ziff. 5.2.1.; Ri<strong>ch</strong>ner/Frei/<br />

Kaufmann/Meuter (Fn 14), § 235 Rz 124.<br />

124 Donats<strong>ch</strong>/Frei (Fn 12), StR 2010, 12.<br />

125 Stefan Widmer/Reto Arnold (Fn 62), vor Art. 45–50 Rz<br />

19.<br />

126 Donats<strong>ch</strong>/Frei (Fn 12), StR 2010, 12; unter<br />

bestimmten Umständen a.M. Merkblatt SG, Ziff. 1.7.<br />

127 Bots<strong>ch</strong>aft (Fn 10), BBl 2006, 8810; Merkblatt SO<br />

(Fn 10), Ziff. 1; vgl. den entspre<strong>ch</strong>enden Fall, beurteilt<br />

dur<strong>ch</strong> das Verwaltungsgeri<strong>ch</strong>t ZH (Fn 42), StR 1994,<br />

587 E. 5b. Daran ändert au<strong>ch</strong> der neue Art. 57b StHG<br />

bzw. Art. 181a Abs. 4 DBG ni<strong>ch</strong>ts, wel<strong>ch</strong>e es ermög li<strong>ch</strong>t,<br />

dass ein ausges<strong>ch</strong>iedenes Organ oder ein aus ges<strong>ch</strong>iedener<br />

Vertreter der juristis<strong>ch</strong>en Person diese<br />

wegen Steuerhinterziehung straflos anzeigen.<br />

128 Céline S<strong>ch</strong>enk, Die Wiedergutma<strong>ch</strong>ung na<strong>ch</strong> Art. 53<br />

StGB, jusletter vom 24. Januar <strong>2011</strong>, 8.<br />

129 S<strong>ch</strong>enk (Fn 128), 8 mit Hinweisen.<br />

130 Merkblatt TG (Fn 32), Ziff. 5.2.2; Sieber (Fn 14),<br />

Art. 175 Rz 38; Ri<strong>ch</strong>ner/Frei/Kaufmann/Meuter<br />

(Fn 14), § 235 Rz 122, wona<strong>ch</strong> eine Teil-Selbst anzeige<br />

keine Ermässigung der Strafe re<strong>ch</strong>tfertige; anders aber<br />

dieselben Autoren, § 235 Rz 126 (mit Verweis auf die<br />

Zür<strong>ch</strong>er Praxis und Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung), wona<strong>ch</strong> (im<br />

Erbfall) au<strong>ch</strong> nur ein Teil der bislang ni<strong>ch</strong>t<br />

deklarierten Werte offengelegt werden kann. Etwas<br />

zurückhaltender: Peter Böckli, Harmonisie rung des<br />

Steuerstrafre<strong>ch</strong>ts, ASA 51, 123; Bu<strong>ch</strong>er/Wiederkehr (Fn<br />

8), ST 2005, 859.<br />

131 Merkblatt SG (Fn 24), Ziff. 1.2; Merkblatt TG<br />

(Fn 32), Ziff. 5.2.1.; Sieber (Fn 14), Art. 175 Rz 38;<br />

Egloff (Fn 24), § 236 Rz 107.<br />

132 KS EStV Nr. 21/1995 (Fn 37), 15.<br />

133 Merkblatt BS (Fn 36), Ziff. B.2; Stählin/Affrunti<br />

Gantenbein (Fn 99), ST 2007, 118 f. und 119.<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong> Seite 196<br />

s<strong>ch</strong>lussgrundes 125 . Für den Teilnehmer wirkt sie<br />

selbst dann strafbefreiend, wenn sie von Ra<strong>ch</strong>e<br />

getrieben ist 126 . Nur aus Si<strong>ch</strong>t der steuerpfli<strong>ch</strong>tigen<br />

Person handelt es si<strong>ch</strong> diesfalls um eine Denunziation<br />

und ni<strong>ch</strong>t um eine Selbstanzeige 127 .<br />

Im glei<strong>ch</strong>en Sinne wird heute übrigens au<strong>ch</strong><br />

bei Art. 53 StGB grösstenteils davon ausgegangen,<br />

dass tätige Reue keine Voraussetzung ist,<br />

damit eine Wiedergutma<strong>ch</strong>ung im Sinne des<br />

Gesetzestextes geleistet werden kann, die unter<br />

bestimmten Voraussetzungen zum Strafverzi<strong>ch</strong>t<br />

führt 128 . Verglei<strong>ch</strong>bar mit der straflosen Selbstanzeige<br />

im Steuerre<strong>ch</strong>t verlangt diese Norm<br />

des allgemeinen Steuerstrafre<strong>ch</strong>ts vom Täter,<br />

dass er den S<strong>ch</strong>aden gedeckt hat oder alle zumutbaren<br />

Anstrengungen unternommen hat,<br />

um das bewirkte Unre<strong>ch</strong>t auszuglei<strong>ch</strong>en. Den<br />

Materialien ist dabei ni<strong>ch</strong>t zu entnehmen, dass<br />

es si<strong>ch</strong> bei der Reue um ein unges<strong>ch</strong>riebenes<br />

Tatbestandsmerkmal von Art. 53 StGB handeln<br />

soll. Somit ist selbst eine Wiedergutma<strong>ch</strong>ung<br />

aus egoistis<strong>ch</strong>en Gründen zulässig 129 .<br />

10 Vollständigkeit der<br />

Selbstanzeige?<br />

10.1 Ausgangslage<br />

Na<strong>ch</strong> verbreiteter Auffassung re<strong>ch</strong>tfertigen Teil-<br />

Selbstanzeigen in aller Regel keine Ermässigung<br />

der Strafe, weil eine überwiegende, jedo<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t vollständige Offenlegung als neue Irreführung<br />

der Steuerbehörde zu würdigen sei 130 .<br />

Die hinterzogenen Steuerfaktoren müssten – je<br />

na<strong>ch</strong> Ausdrucksweise – vollständig, umfassend<br />

bzw. lückenlos zur Kenntnis gebra<strong>ch</strong>t werden 131 .<br />

Au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> den Vorgaben der ESTV hat die Selbstanzeige<br />

sämtli<strong>ch</strong>e bisher ni<strong>ch</strong>t deklarierten<br />

Einkommens- und Vermögensbestandteile zu<br />

umfassen 132 . Vers<strong>ch</strong>weigt die steuerpfli<strong>ch</strong>tige<br />

Person in ihrer Selbstanzeige einen Teil der<br />

hinterzogenen Werte, so liegt na<strong>ch</strong> verbreiteter<br />

Ansi<strong>ch</strong>t keine Selbstanzeige vor 133 .


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

Die Zür<strong>ch</strong>er Instanzen setzen dagegen ni<strong>ch</strong>t<br />

voraus, dass die steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person sämtli<strong>ch</strong>e<br />

bislang ni<strong>ch</strong>t deklarierten Werte anzeigt 134 .<br />

Die Kantonale Steuerverwaltung Luzern wiederum<br />

differenziert dana<strong>ch</strong>, wann die unvollständige<br />

Deklaration entdeckt wird. Ges<strong>ch</strong>ieht<br />

dies im Laufe des Na<strong>ch</strong>steuerverfahrens, so ist<br />

die Selbstanzeige ungültig; ges<strong>ch</strong>ieht dies erst<br />

na<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tskräftiger Erledigung des Verfahrens,<br />

so bleibt es bei der Straflosigkeit im ersten Verfahren<br />

135 .<br />

Die sogenannte Unteilbarkeit der Amnestie galt<br />

bei der Steueramnestie 1969 ausdrückli<strong>ch</strong>: Es<br />

war von Gesetzes wegen ausges<strong>ch</strong>lossen, für einen<br />

Teil seiner bisher verheimli<strong>ch</strong>ten Einkünfte<br />

oder Vermögenswerte die Amnestie zu benützen,<br />

um si<strong>ch</strong> für alle Zeiten gegen Na<strong>ch</strong>- und Strafsteueransprü<strong>ch</strong>e<br />

zu s<strong>ch</strong>ützen, die si<strong>ch</strong> auf diese<br />

Teile des Steuersubstrates bezogen 136 . Die Werte<br />

mussten vielmehr vollständig und genau in der<br />

Steuererklärung 1969 deklariert werden 137 ; die<br />

Steuerbehörden konnten die Angaben jederzeit<br />

auf Vollständigkeit und Genauigkeit hin überprüfen<br />

138 , also au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>luss des Verfahrens<br />

139 .<br />

Die «grosse» Steueramnestie 1969 war aber<br />

als Vollamnestie konzipiert: Waren die Vor-<br />

134 So Ri<strong>ch</strong>ner/Frei/Kaufmann/Meuter (Fn 14), § 235 Rz<br />

126 mit Hinweisen.<br />

135 Weisung LU (Fn 53), Ziff. 5.<br />

136 Banderet (Fn 61), ASA 37, 86 f.<br />

137 Art. 1 AmnG.<br />

138 Art. 3 Abs. 1 AmnG.<br />

139 Banderet (Fn 61), ASA 37, 100.<br />

140 Art. 2 AmnG; Gantenbein Affrunti/Stählin (Fn 10), ST<br />

2004, 113, unter Hinweis auf H. Weidmann, Die<br />

allgemeine Steueramnestie 1969: Erläuterungen,<br />

Hinweise und Rats<strong>ch</strong>läge, Bern.<br />

141 Vgl. Banderet (Fn 61), ASA 37, 91 f. mit Na<strong>ch</strong>weisen.<br />

142 Doehlert/Buck/Füllsack (Fn 29), StR 2010, 812.<br />

143 Doehlert/Buck/Füllsack (Fn 29), StR 2010, 819.<br />

144 Kritis<strong>ch</strong> dazu Böckli (Fn 33), BJM 1979, 178.<br />

aus setzungen der Selbstanzeige erfüllt, entfielen<br />

sämtli<strong>ch</strong>e Na<strong>ch</strong>- und Strafsteuern 140 .<br />

Das Bundesgeri<strong>ch</strong>t stellte entspre<strong>ch</strong>end strenge<br />

Anforderungen mit der Begründung, dass der<br />

steuerpfli<strong>ch</strong>tigen Person, die auf die Wohltat der<br />

Amnestie Anspru<strong>ch</strong> erheben wolle, eine ernstli<strong>ch</strong>e<br />

Anstrengung zugemutet werden dürfe 141 .<br />

Die damaligen Verhältnisse können daher ni<strong>ch</strong>t<br />

mit der jetzigen «Mini»-Amnestie vergli<strong>ch</strong>en<br />

werden, bei der ledigli<strong>ch</strong> die ges<strong>ch</strong>uldeten<br />

Steuern vollständig na<strong>ch</strong>zuentri<strong>ch</strong>ten sind.<br />

Na<strong>ch</strong> deuts<strong>ch</strong>em Re<strong>ch</strong>t galt bis vor kurzem,<br />

dass nur hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> des unvollständigen Teils<br />

keine Straflosigkeit eintrat («teilweise Straffreiheit<br />

bei teilweiser Beri<strong>ch</strong>tigung»); infolge einer<br />

Änderung der Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung fällt bei einer<br />

Teil-Selbstanzeige neu aber die Strafbefreiung<br />

ganz weg 142 . Au<strong>ch</strong> hier ist die Regelung in ihrem<br />

gesamten Kontext zu würdigen: In Deuts<strong>ch</strong>land<br />

sind – glei<strong>ch</strong> wie in der S<strong>ch</strong>weiz seit 1. Januar<br />

2010 aufgrund von Art. 102 MWStG bei der Mehrwertsteuer<br />

– au<strong>ch</strong> wiederholte Selbstanzeigen<br />

strafbefreiend mögli<strong>ch</strong>; der Bundesgeri<strong>ch</strong>tshof<br />

will mit dem Auss<strong>ch</strong>luss von Teil-Selbstanzeigen<br />

die Salamitaktik unterbinden 143 .<br />

Au<strong>ch</strong> Art. 13 VStR verlangt glei<strong>ch</strong>lautend vollständige<br />

und genaue Angaben, bezogen allerdings<br />

auf die Grundlagen der Leistungs- und<br />

Rückleistungspfli<strong>ch</strong>t 144 ; der Wortlaut s<strong>ch</strong>liesst<br />

demna<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t von vornherein aus, hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

nur eines bisher ni<strong>ch</strong>t korrekt versteuerten<br />

Vorgangs eine gültige Selbstanzeige zu er-<br />

heben.<br />

10.2 Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

In den parlamentaris<strong>ch</strong>en Beratungen wurden<br />

zur Gültigkeit von Teil-Selbstanzeigen konträre<br />

Auffassungen vertreten. Für die einen re<strong>ch</strong>tfertigt<br />

es si<strong>ch</strong>, dass für den selbst angezeigten Teil<br />

die Amnestiewirkungen in jedem Fall gelten:<br />

Was selbst angezeigt wurde, soll bevorzugt be-<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong>, Seite 197


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

handelt werden 145 . Es liege eine bes<strong>ch</strong>ränkte<br />

Straffreiheit vor für die erstmalig na<strong>ch</strong>deklarierten<br />

Vermögenswerte; wenn später mehr<br />

zum Vors<strong>ch</strong>ein komme, sei die Strafbarkeit (für<br />

diese zusätzli<strong>ch</strong>en Steuerfaktoren) wieder gegeben<br />

146 .<br />

Na<strong>ch</strong> der vom Bundesrat vertretenen Gegenauffassung<br />

ist die steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person dagegen<br />

na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> für die selbst angezeigte<br />

Hinterziehung zu bestrafen, wenn das Steueramt<br />

im Zuge eigener Na<strong>ch</strong>fors<strong>ch</strong>ungen zusätzli<strong>ch</strong>e<br />

Werte entdeckt 147 . In diese Ri<strong>ch</strong>tung<br />

gehen au<strong>ch</strong> Äusserungen von Parlamentariern,<br />

wona<strong>ch</strong> jemand, der Steuern hinterzogen hat,<br />

145 Votum Fritz S<strong>ch</strong>iesser, AB SR 2007, 946 unter Berufung<br />

auf die Kommissionsmehrheit, die in diesem<br />

Punkte ausdrückli<strong>ch</strong> von den Ausführungen in der<br />

Bots<strong>ch</strong>aft (Fn 10), BBl 2006, 8823, abgewi<strong>ch</strong>en sei.<br />

146 Votum Pirmin Bis<strong>ch</strong>of, AB NR 2007, 2016.<br />

147 Bots<strong>ch</strong>aft (Fn 10), BBl 2006, 8823; Voten Hans-Rudolf<br />

Merz, AB SR 2007, 946 und AB NR 2007, <strong>202</strong>1.<br />

148 Voten Ruth Genner, AB NR 2007, <strong>202</strong>0, und Hans-Jürg<br />

Fehr, AB NR 2007, <strong>202</strong>2; so au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on die Bots<strong>ch</strong>aft<br />

(Fn 10), BBl 2006, 8802.<br />

149 Votum Fritz S<strong>ch</strong>iesser, AB SR 2007, 946.<br />

150 Votum Hans-Rudolf Merz, AB SR 2007, 946.<br />

151 A. M. Stählin/Affrunti Gantenbein (Fn 99), ST 2007,<br />

118 f.: Die Argumentation, si<strong>ch</strong> der Steuerbarkeit einer<br />

bestimmten Transaktion ni<strong>ch</strong>t bewusst gewesen zu<br />

sein oder z. B. ein Konto vergessen zu haben, dürfe<br />

kaum ausrei<strong>ch</strong>en, seien die si<strong>ch</strong> daraus ergebenden<br />

Steuerfolgen no<strong>ch</strong> so gering.<br />

152 Banderet (Fn 61), ASA 37, 91.<br />

153 Weisung LU (Fn 53), Ziff. 5.<br />

154 Egloff (Fn 24), § 236 Rz 107.<br />

155 Art. 56 Abs. 1 bis lit. b und Art. 57b Abs. 1 lit. b StHG;<br />

Art. 175 Abs. 3 lit. b und 181a Abs. 1 lit. b DBG.<br />

156 Au<strong>ch</strong> Art. 13 VStR ist insofern ni<strong>ch</strong>t eindeutig<br />

formuliert.<br />

157 Verwaltungsgeri<strong>ch</strong>t ZH (Fn 42), StR 1994, 586 (E. 5a).<br />

158 Art. 56 Abs. 1 ter und Art. 57b Abs. 5 StHG; Art. 175<br />

Abs. 4 und Art. 181a Abs. 5 DBG.<br />

159 A.M. allerdings der Bundesrat: siehe Voten Hans-<br />

Rudolf Merz, AB SR 2007, 946, und AB NR 2007, <strong>202</strong>1.<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong> Seite 198<br />

einmalig die Chance haben soll, reinen Tis<strong>ch</strong><br />

zu ma<strong>ch</strong>en 148 .<br />

Einigkeit bestand insofern, als geringfügige Abwei<strong>ch</strong>ungen<br />

149 oder kleinere Versehen, die si<strong>ch</strong><br />

wenig oder kaum auf den ges<strong>ch</strong>uldeten Steuerbetrag<br />

auswirken 150 , keine Auswirkungen auf<br />

die Straflosigkeit der Person haben dürfen 151 .<br />

Dies galt au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on na<strong>ch</strong> der Praxis bei der<br />

Steueramnestie 1969 152 . Au<strong>ch</strong> in der Literatur<br />

wird für Na<strong>ch</strong>si<strong>ch</strong>t plädiert, sofern in der Selbstanzeige<br />

bloss fahrlässig weitere Faktoren ni<strong>ch</strong>t<br />

deklariert werden 153 , wenn es si<strong>ch</strong> dabei um geringfügige<br />

Beträge handelt 154 .<br />

10.3 Auslegung<br />

Im Gesetzestext finden si<strong>ch</strong> keine Hinweise darauf,<br />

dass die hinterzogenen Werte vollständig<br />

aufgedeckt werden müssen. Verlangt ist eine<br />

vorbehaltlose Unterstützung der Steuerbehörde<br />

bei der Erhebung der Na<strong>ch</strong>steuer 155 ; dies kann<br />

au<strong>ch</strong> so verstanden werden, dass die Mitwirkungspfli<strong>ch</strong>t<br />

hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der von si<strong>ch</strong> aus offengelegten<br />

Werte besteht 156 . Die Selbstanzeige<br />

muss also vollständige und genaue Angaben zu<br />

den selbst angezeigten hinterzogenen Einkommens-<br />

oder Vermögensbestandteilen enthalten<br />

157 . Teil-Selbstanzeigen wären somit ohne<br />

Weiteres mögli<strong>ch</strong>.<br />

Für die Zulässigkeit von Teil-Selbstanzeigen<br />

spri<strong>ch</strong>t vor allem ein gesetzessystematis<strong>ch</strong>es Argument.<br />

Na<strong>ch</strong> der gesetzli<strong>ch</strong>en Regelung wird<br />

jede spätere Selbstanzeige mit einem Fünftel der<br />

Busse bestraft, die im Falle einer vollendeten<br />

Steuerhinterziehung vorzusehen wäre 158 . Ob die<br />

später angezeigte Hinterziehung vor oder na<strong>ch</strong><br />

der erstmaligen Selbstanzeige verübt wurde, ist<br />

dabei unerhebli<strong>ch</strong>. Es leu<strong>ch</strong>tet ni<strong>ch</strong>t ein, dass<br />

derjenige, der erst na<strong>ch</strong> der Selbstanzeige wieder<br />

zu hinterziehen beginnt, besser behandelt wird,<br />

als jemand, der seine früher hinterzogenen Faktoren<br />

etappenweise aufdeckt 159 .


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

Somit stellt si<strong>ch</strong> die Frage, ob die Steuerbehörden<br />

mit einer Teil-Selbstanzeige erneut irregeführt<br />

werden, überhaupt ni<strong>ch</strong>t. Die Frage wäre<br />

allerdings ohnehin zu verneinen. Na<strong>ch</strong> Art. 304<br />

StGB begeht eine Irreführung (der Re<strong>ch</strong>tspflege),<br />

wer bei einer Behörde wider besseres<br />

Wissen anzeigt, es sei eine strafbare Handlung<br />

begangen worden, oder wer si<strong>ch</strong> selbst fäls<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>erweise<br />

bei der Behörde einer strafbaren<br />

Handlung bes<strong>ch</strong>uldigt. Bei einer Teil-Selbstanzeige<br />

kann davon keine Rede sein: Irregeführt<br />

wurde die Steuerbehörde dur<strong>ch</strong> die damalige<br />

Hinterziehung; die Teil-Selbstanzeige beseitigt<br />

na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong> die Irreführung, wenn eben au<strong>ch</strong><br />

nur zum Teil. Zudem besteht bei Personen, die<br />

si<strong>ch</strong> selbst anzeigen, für die Steuerbehörden<br />

kein Grund, weniger kritis<strong>ch</strong> hinzus<strong>ch</strong>auen<br />

als bei den übrigen Steuerpfli<strong>ch</strong>tigen. Eher<br />

näher liegt die Befür<strong>ch</strong>tung, dass die Finanzen<br />

na<strong>ch</strong> einer Selbstdeklaration gründli<strong>ch</strong>er geprüft<br />

werden als vorher. 160 Zu guter Letzt kann<br />

steuer strafre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> hö<strong>ch</strong>stens dann von einer<br />

relevanten Irreführung die Rede sein, wenn der<br />

Tatbestand des Steuerbetrugs im Raum steht;<br />

Hinterziehung und Irreführung haben hingegen<br />

von vornherein ni<strong>ch</strong>ts miteinander zu<br />

tun.<br />

160 Torgler/S<strong>ch</strong>altegger (Fn 53), «NZZ» vom<br />

9. August 2003, 27.<br />

161 Art. 59 StHG; Art. 186 DBG.<br />

162 Bots<strong>ch</strong>aft (Fn 10), BBl 2006, 8809; vgl. Thomas<br />

Stadelmann, Einführung der straflosen Selbst anzeige,<br />

StR 1999, 783; Stählin/Gantenbein Affrunti<br />

(Fn 99), ST 2007, 118; Sieber (Fn 14), Art. 175 Rz 38a.<br />

163 Statt vieler Votum Hans Kaufmann, AB NR 2007, 2012.<br />

164 Statt vieler Votum Susanne Leutenegger Oberholzer,<br />

AB NR 2007, <strong>202</strong>0.<br />

165 Siehe insbesondere Votum Simonetta Sommaruga, AB<br />

SR 2007, 942.<br />

166 Hinterziehung der Einkommenssteuer,<br />

Vermögenssteuer, Gewinnsteuer, Kapitalsteuer,<br />

Grundstückgewinnsteuer, Quellensteuer.<br />

Anders gelagert wäre der Fall ledigli<strong>ch</strong> dann,<br />

wenn die si<strong>ch</strong> zum Teil selbst anzeigende Person<br />

gefäls<strong>ch</strong>te oder unwahre Belege einrei<strong>ch</strong>t. Damit<br />

erfüllt sie gegebenenfalls den Tatbestand des<br />

Steuerbetrugs 161 . Weil dieser ni<strong>ch</strong>t zum Zwecke<br />

der (ursprüngli<strong>ch</strong>en) Hinterziehung begangen<br />

wird, greift Art. 186 Abs. 3 DBG ni<strong>ch</strong>t, weshalb<br />

si<strong>ch</strong> die fehlbare Person (erneut) strafbar<br />

ma<strong>ch</strong>t.<br />

11 Erstmaligkeit<br />

11.1 Einleitung<br />

Kernpunkt der Gesetzesrevision ist, dass natürli<strong>ch</strong>e<br />

und juristis<strong>ch</strong>e Personen si<strong>ch</strong> ab Inkrafttreten<br />

der straflosen Selbstanzeige nur<br />

einmal in ihrem Leben bzw. Bestehen straflos<br />

anzeigen können 162 . In den parlamentaris<strong>ch</strong>en<br />

Beratungen wurde dies von allen Seiten immer<br />

wieder betont 163 . Die Straflosigkeit der Hinterziehung<br />

im Falle einer Selbstanzeige müsse eine<br />

einmalige Aktion sein 164 .<br />

Ungea<strong>ch</strong>tet der politis<strong>ch</strong>en Einmütigkeit, dass<br />

nur die erstmalige Selbstanzeige steuerbefreiend<br />

wirken solle, stellt das Kriterium der Erstmaligkeit<br />

mehrere Stolpersteine, die in der Debatte<br />

sogar vorausgeahnt wurden 165 .<br />

11.2 Erstmaligkeit betreffend<br />

Steuerart<br />

Aus der systematis<strong>ch</strong>en Einordnung folgt, dass<br />

jedermann si<strong>ch</strong> nur einmal für eine oder mehrere<br />

harmonisierte direkte Steuern straflos selbst<br />

anzeigen kann. Na<strong>ch</strong> Art. 56 Abs. 1 ter StHG bleibt<br />

straffrei, wer si<strong>ch</strong> erstmalig selbst einem der<br />

in Abs. 1 ums<strong>ch</strong>riebenen Delikte 166 bezi<strong>ch</strong>tigt.<br />

Wer eine Hinterziehung von Vermögenswerten<br />

(die keine Einkünfte abwarfen) angezeigt hat,<br />

kann zum Beispiel später au<strong>ch</strong> für die Einkommenssteuer<br />

keine straflose Selbstanzeige mehr<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong>, Seite 199


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

erheben – au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der direkten<br />

Bundessteuer, obs<strong>ch</strong>on diese gar keine Vermögenssteuer<br />

kennt 167 .<br />

Mögli<strong>ch</strong> ist ledigli<strong>ch</strong>, in einer einzigen Anzeige<br />

Hinterziehungen von zwei oder mehreren Steuerarten<br />

straflos aufzudecken. Voraussetzung<br />

ist, dass dies glei<strong>ch</strong>zeitig und ni<strong>ch</strong>t gestaffelt<br />

ges<strong>ch</strong>ieht 168 .<br />

Im glei<strong>ch</strong>en Sinne spri<strong>ch</strong>t übrigens Art. 13 VStR<br />

von «Widerhandlung der glei<strong>ch</strong>en Art». Glei<strong>ch</strong>artigkeit<br />

bezieht si<strong>ch</strong> auf die vers<strong>ch</strong>iedenen Gattungen<br />

von Steuerdelikten (Hinterziehung und<br />

Steuer- bzw. Abgabebetrug) 169 . Als glei<strong>ch</strong>artig zu<br />

verstehen sind die im selben Steuergesetz geregelten<br />

Steuerdelikte 170 .<br />

11.3 Erstmalige S<strong>ch</strong>ädigung des<br />

Kantons?<br />

Als selbstverständli<strong>ch</strong> gilt, dass eine Selbstanzeige<br />

nur einmal in der S<strong>ch</strong>weiz mögli<strong>ch</strong> ist.<br />

In Art. 56 Abs. 1 bis StHG und Art. 57b Abs. 1 StHG<br />

ist dieser territoriale Geltungsberei<strong>ch</strong> indessen<br />

167 Vgl. Praxisfestlegung GR (Fn 47), Ziff. 4.<br />

168 Vgl. Bots<strong>ch</strong>aft (Fn 10), BBl 2006, 8809 und 8819.<br />

169 Widmer/Arnold (Fn 59), Art. 50 StG Rz 55.<br />

170 In diese Ri<strong>ch</strong>tung Bu<strong>ch</strong>er/Wiederkehr (Fn 8), ST<br />

2009, 859. Eher a.M. Widmer/Arnold (Fn 59), Art. 50<br />

Rz 55, na<strong>ch</strong> denen si<strong>ch</strong> die Glei<strong>ch</strong>artigkeit au<strong>ch</strong> über<br />

die einzelnen Steuer- und Abgabearten hinaus bezieht;<br />

offen gelassen von Böckli (Fn 33), BJM 1979, 177.<br />

171 Art. 8 Abs. 3 und Art. 24 Abs. 3 StHG.<br />

172 Art. 12 Abs. 3 lit. e StHG.<br />

173 Art. 6 Abs. 1 StHG.<br />

174 Dazu ausführli<strong>ch</strong> Rolf Benz, Gesetzesnovelle erlaubt<br />

erneute straflose Selbstanzeige na<strong>ch</strong> Kantonswe<strong>ch</strong>sel,<br />

zsis 02/<strong>2011</strong>, 3.<br />

175 Benz (Fn 174), zsis 02/<strong>2011</strong>, 3.<br />

176 Art. 59 Abs. 2 bis StHG und Art. 186 Abs. 3 DBG.<br />

177 Runds<strong>ch</strong>reiben der ESTV vom 5. Januar 2010 zur<br />

straflosen Selbstanzeige, Ziff. 2.<br />

178 Vgl. Weisung LU (Fn 135), Ziff. 2.<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong> Seite 200<br />

ni<strong>ch</strong>t ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, im Gegensatz zu den steuerneutralen<br />

Unternehmensumstrukturierungen,<br />

zur Ersatzbes<strong>ch</strong>affung oder zum Re<strong>ch</strong>t, eine<br />

Aufwandbesteuerung zu verlangen: Bei den<br />

genannten Normen ist mit dem Satzteil «in<br />

der S<strong>ch</strong>weiz» jeweils klargestellt, dass für eine<br />

steuerneutrale Umstrukturierung die Steuerpfli<strong>ch</strong>t<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz fortbestehen muss 171 , dass<br />

die Ersatzbes<strong>ch</strong>affung in der S<strong>ch</strong>weiz erfolgen<br />

kann 172 bzw. dass als Voraussetzung für eine<br />

Aufwandbesteuerung in den letzten zehn Jahren<br />

in der S<strong>ch</strong>weiz keine unbes<strong>ch</strong>ränkte Steuerpfli<strong>ch</strong>t<br />

bestanden haben darf 173 . Da bei der<br />

straflosen Selbstanzeige eine territoriale Präzisierung<br />

fehlt, s<strong>ch</strong>liesst eine straflose Selbstanzeige<br />

na<strong>ch</strong> der hier vertretenen Auffassung<br />

ledigli<strong>ch</strong> eine weitere Selbstanzeige im glei<strong>ch</strong>en<br />

Kanton aus 174 .<br />

Es gibt weitere Argumente – wie zum Beispiel<br />

die kantonale Steuerhoheit – dafür, dass na<strong>ch</strong><br />

einem Kantonswe<strong>ch</strong>sel im Zuzugskanton eine<br />

erneute straflose Selbstanzeige mögli<strong>ch</strong> ist 175 .<br />

Der Zuzugskanton war ja dur<strong>ch</strong> das frühere<br />

Fehlverhalten der zugezogenen Person ni<strong>ch</strong>t<br />

ges<strong>ch</strong>ädigt worden. Weil es si<strong>ch</strong> für den Zuzugskanton<br />

um eine erstmalige Selbstanzeige handelt,<br />

entfällt das Strafverfahren, und zwar au<strong>ch</strong><br />

hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> der direkten Bundessteuer, denn<br />

es wird ja von der Verfolgung aller Straftaten<br />

abgesehen, die zum Zwecke der Steuerhinterziehung<br />

– vorliegend der erstmaligen Hinterziehung<br />

der Staats- und Gemeindesteuern des<br />

Zuzugskantons – begangen wurden 176 .<br />

Ein Vorteil dieser Gesetzesinterpretation ist ferner,<br />

dass die ESTV keine Daten über die erstmaligen<br />

Selbstanzeigen sammeln muss, wie sie es<br />

beabsi<strong>ch</strong>tigt: Die ESTV hat die Kantone nämli<strong>ch</strong><br />

angewiesen, ihr alle abges<strong>ch</strong>lossenen Verfahren<br />

zur straflosen Selbstanzeige zu melden 177 , damit<br />

sie dazu eine s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Datenbank<br />

erri<strong>ch</strong>ten kann 178 . Ein sol<strong>ch</strong>es Register, in das<br />

gesamteidgenössis<strong>ch</strong> alle straflosen Selbstanzei-


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

gen aufgenommen werden, ist hinfällig, wenn<br />

eine erstmalige Selbstanzeige ledigli<strong>ch</strong> eine weitere<br />

straflose Selbstanzeige im glei<strong>ch</strong>en Kanton<br />

auss<strong>ch</strong>liesst 179 .<br />

11.4 Erstmaligkeit seit Inkrafttreten<br />

der Gesetzesänderung<br />

Kein Hindernis für die Straflosigkeit ist es,<br />

wenn jemand vor Inkrafttreten der straflosen<br />

Selbstanzeige s<strong>ch</strong>on einmal (oder theoretis<strong>ch</strong><br />

au<strong>ch</strong> mehrmals) infolge einer Selbstanzeige<br />

na<strong>ch</strong> damaligem Re<strong>ch</strong>t mit einer Busse (von<br />

einem Fünftel der Na<strong>ch</strong>steuer) bestraft worden<br />

war. Sinn und Zweck der Gesetzesnovelle ist wie<br />

gesagt, jeder Person einmal im Leben eine straffreie<br />

Selbstanzeige zu ermögli<strong>ch</strong>en.<br />

Allfällige frühere Selbstanzeigen, die mit einer<br />

Busse sanktioniert worden waren, ändern somit<br />

ni<strong>ch</strong>ts an der Erstmaligkeit der straflosen Selbstanzeige<br />

180 . Überhaupt s<strong>ch</strong>adet eine frühere Verurteilung<br />

wegen Steuerhinterziehung ni<strong>ch</strong>t 181 .<br />

11.5 Ni<strong>ch</strong>t sanktionierte frühere<br />

Selbstanzeige<br />

Ähnli<strong>ch</strong> liegt der Fall, wenn jemand s<strong>ch</strong>on einmal<br />

eine «Selbstanzeige» eingerei<strong>ch</strong>t hat, aber<br />

aus andern Gründen ni<strong>ch</strong>t bestraft wurde. Dies<br />

ist zwar keine häufige Situation; immerhin sind<br />

folgende Konstellationen denkbar <strong>182</strong> :<br />

• Die Abklärungen im Ans<strong>ch</strong>luss an die Selbstanzeige<br />

ergaben, dass gar keine Unterbesteue<br />

rung vorlag.<br />

• Infolge Verfolgungsverjährung 183 hätte gar<br />

keine Busse ausgespro<strong>ch</strong>en werden können.<br />

• Es wurde zwar eine Na<strong>ch</strong>steuer erhoben; gestützt<br />

auf Art. 52 StGB wurde aber auf eine<br />

Busse mangels Vers<strong>ch</strong>ulden oder wegen Geringfügigkeit<br />

verzi<strong>ch</strong>tet 184 .<br />

Sol<strong>ch</strong>e früheren Na<strong>ch</strong>steuerverfahren ohne<br />

Straffolgen tangieren das Re<strong>ch</strong>t auf eine spä-<br />

tere straflose Selbstanzeige ni<strong>ch</strong>t. Anderes gilt<br />

erst dann, wenn die zuständige kantonale Veranlagungsbehörde<br />

früher s<strong>ch</strong>on einmal gestützt<br />

auf die Bestimmungen zur straflosen Selbstanzeige<br />

auf eine Bestrafung verzi<strong>ch</strong>tet hatte. Die<br />

Straffreiheit konsumiert hat mit andern Worten<br />

ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on, wer früher einmal eine Selbstanzeige<br />

eingerei<strong>ch</strong>t hat, sondern nur, wer in der Folge<br />

gestützt auf die Regelung zur straflosen Selbstanzeige<br />

in den Genuss der Straffreiheit kam.<br />

Aus diesem Grunde ist es sinnvoll, dass die<br />

Steuerbehörde im Dispositiv der Ni<strong>ch</strong>tanhandnahmeverfügung<br />

festhält, dass sie gestützt auf<br />

Art. 175 Abs. 3 bzw. Art. 181a Abs. 1 DBG auf<br />

eine Strafe verzi<strong>ch</strong>tet 185 .<br />

11.6 Beweislastverteilung<br />

Na<strong>ch</strong> den Vorstellungen der ESTV hat die si<strong>ch</strong><br />

selbst anzeigende Person s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong> zu bestätigen,<br />

dass sie si<strong>ch</strong> zum ersten Mal anzeigt 186 .<br />

Dafür fehlt indes die gesetzli<strong>ch</strong>e Grundlage 187 .<br />

Im Strafre<strong>ch</strong>t existiert das «Re<strong>ch</strong>t auf S<strong>ch</strong>weigen».<br />

Die steuerpfli<strong>ch</strong>tige Person ist ni<strong>ch</strong>t gehalten,<br />

si<strong>ch</strong> selbst zu belasten 188 und darf alle<br />

Umstände vers<strong>ch</strong>weigen, die straferhöhend<br />

oder strafbegründend wirken. Die Steuerbe-<br />

179 Benz (Fn 175), zsis 02/<strong>2011</strong>, 3.<br />

180 Kritis<strong>ch</strong> (de lege ferenda) Bets<strong>ch</strong>art (Fn 118),<br />

StR 2009, 520.<br />

181 Weisung LU (Fn 53), Ziff. 2.<br />

<strong>182</strong> Vgl. Streuli/Grossmann (Fn 32), ST 2008, 713.<br />

183 Art. 58 Abs. 2 und 3 StHG; Art. 184 DBG.<br />

184 Siehe dazu Ri<strong>ch</strong>ner/Frei/Kaufmann/Meuter (Fn 14),<br />

§ 135 Rz 96; Donats<strong>ch</strong>/Frei (Fn 12), StR 2010, 16.<br />

185 Vgl. Weisung LU (Fn 53), Ziff. 3; Praxisfestlegung GR<br />

(Fn 47), Ziff. 8.2; Merkblatt NW (Fn 10), Ziff. 2.d.;<br />

Bets<strong>ch</strong>aft, StR 2009, 520 (Fn 16); Bu<strong>ch</strong>er/Wiederkehr<br />

(Fn 8), ST 2009, 859, die Mehrwertsteuer betreffend.<br />

186 Runds<strong>ch</strong>reiben (Fn 177), Ziff. 2.<br />

187 Eingehend dazu Benz (Fn 174), zsis 02/<strong>2011</strong>, 3.<br />

188 Art. 104 Abs. 2 MWStG und in Art. 6 Ziff. 1 EMRK.<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong>, Seite 201


STRAFLOSE SELBSTANZEIGE: GÜLTIGKEITSVORAUSSETZUNGEN<br />

hörde ist – als Ausfluss der Uns<strong>ch</strong>uldsvermutung<br />

189 – beweispfli<strong>ch</strong>tig dafür, dass keine erstmalige<br />

Selbstanzeige vorliegt bzw. dass s<strong>ch</strong>on<br />

einmal gestützt auf Art. 175 Abs. 3 bzw. Art. 181a<br />

Abs. 1 DBG von einer Strafe Abstand genommen<br />

wurde.<br />

Die si<strong>ch</strong> selbst anzeigende Person darf daher<br />

ni<strong>ch</strong>t angehalten werden, die Erstmaligkeit der<br />

Selbstanzeige zu bestätigen 190 .<br />

12 Fazit<br />

Etli<strong>ch</strong>e Einzelfragen mit mehr oder weniger<br />

grosser praktis<strong>ch</strong>er Tragweite harren einer Klärung<br />

dur<strong>ch</strong> die Praxis und Re<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung.<br />

Spätestens seit dem Inkrafttreten der Mini-Steueramnestie<br />

sind ni<strong>ch</strong>t normierten Hürden, wie<br />

sie in Praxis und Literatur bisweilen aufgestellt<br />

wurden und immer no<strong>ch</strong> aufgestellt werden, die<br />

gesetzli<strong>ch</strong>e Stütze entzogen. Dies gilt insbesondere<br />

für das Erfordernis des Handelns ohne äusseren<br />

Zwang und für die Betätigung aufri<strong>ch</strong>tiger<br />

Reue. Die Auslegung der gesetzli<strong>ch</strong>en Regelung<br />

ergibt ferner, dass eine blosse Teil-Selbstanzeige<br />

und die Selbstanzeige einer versu<strong>ch</strong>ten Hinterziehung<br />

ebenfalls straffrei sind.<br />

Zu fordern ist zum Beispiel au<strong>ch</strong>, dass einige<br />

Anforderungen von den Steuerbehörden künftig<br />

grosszügiger gehandhabt werden, wie ins-<br />

189 Art. 32 Abs. 1 BV: «Jede Person gilt bis zur<br />

re<strong>ch</strong>tskräftigen Verurteilung als uns<strong>ch</strong>uldig.»<br />

190 Füller Benz Seite (Fn 174), <strong>202</strong>_Layout zsis 02/<strong>2011</strong>, 1 3. 18.02.11 08:23 Seite 1<br />

Nr. 3/<strong>2011</strong> Seite <strong>202</strong><br />

besondere die Pfli<strong>ch</strong>t zur unmissverständli<strong>ch</strong>en<br />

Mitteilung (es genügt eine als Selbstanzeige<br />

erkennbare Mitteilung). S<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> ist eine<br />

straflose Selbstanzeige erst dann ausges<strong>ch</strong>lossen,<br />

wenn eine Steuerbehörde (ni<strong>ch</strong>t irgendeine<br />

Behörde) Kenntnis (ni<strong>ch</strong>t bloss einen paus<strong>ch</strong>alen<br />

Verda<strong>ch</strong>t) der Hinterziehung besitzt.<br />

Obwohl die blosse Gefahr einer Entdeckung<br />

der Hinterziehung oder eine von den Steuerbehörden<br />

festgestellte unerklärte Vermögensvermehrung<br />

einer straflosen Selbstanzeige<br />

grundsätzli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t entgegenstehen sollte, ist<br />

vor einer allzu grosszügigen Handhabung der<br />

Gesetzesnovelle zu warnen. Es kann ni<strong>ch</strong>t sein,<br />

dass na<strong>ch</strong> der Entdeckung der Hinterziehung<br />

dur<strong>ch</strong> eine Steuerbehörde oder dur<strong>ch</strong> die Staatsanwalts<strong>ch</strong>aft<br />

die in Bedrängnis geratene Person<br />

mittels einer «Flu<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> vorne» beim ersten<br />

Mal regelmässig straflos ausgeht, nur weil sie<br />

nunmehr sämtli<strong>ch</strong>e Unterlagen na<strong>ch</strong>rei<strong>ch</strong>t,<br />

die zur Ermittlung der Steuerfaktoren erforderli<strong>ch</strong><br />

sind. Die straflose Selbstanzeige hat bisher<br />

ihren Zweck erfüllt, indem sie zur freiwilligen<br />

Aufdeckung ni<strong>ch</strong>t versteuerter Vermögenswerte<br />

motivierte; erst no<strong>ch</strong> weisen muss si<strong>ch</strong> hingegen,<br />

dass Steuerpfli<strong>ch</strong>tige ni<strong>ch</strong>t dazu verleitet<br />

werden, künftig weniger ehrli<strong>ch</strong> zu deklarieren:<br />

Würde das Risiko einer Steuerhinterziehung nur<br />

no<strong>ch</strong> darin bestehen, bei späterer Entdeckung<br />

die ohnehin ges<strong>ch</strong>uldeten Na<strong>ch</strong>steuern bezahlen<br />

zu müssen, würde si<strong>ch</strong> der Staat mit dem<br />

zweis<strong>ch</strong>neidigen gesetzli<strong>ch</strong>en Instrument der<br />

straflosen Selbstanzeige auf Dauer ins eigene<br />

Fleis<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>neiden.

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