Mangelhafter Rettungsdienst in Baden-Württemberg: die politischen ...

Bachelorarbeit
Mangelhafter Rettungsdienst in Baden-Württemberg /
Die politischen und kommunikationswissenschaftlichen
Hintergründe.
vorgelegt von
Sven-Ole Masch
Studiengang Medien und Information
erster Prüfer: Prof. Dr. Johannes Ludwig
DEPARTMENT INFORMATION
zweiter Prüfer: Prof. Dr. Ralph Schmidt Hamburg, Februar 2010

Abstract
Die vorliegende Arbeit rekonstruiert die Geschichte der Bürgerinitiative Rettungsdienst
aus Stuttgart seit ihrer Gründung im Jahr 1976 bis zum Sommer 2009.
Die Initiative gründete sich mit dem Ziel die mangelhafte Notfallrettung in Stuttgart und
Baden-Württemberg zu verbessern und um Probleme im Rettungsdienst aufzuzeigen.
Diese werden in der Arbeit erläutert und es wird der Frage nachgegangen, warum
Missstände, die mehr oder weniger in der gleichen Form seit über 30 Jahren bekannt
sind, so lange bestand haben können.
Dieser Aspekt wird zum einen aus politikwissenschaftlicher Sicht beleuchtet und zum
anderen wird die Rolle der Medien und ihre Berichterstattung dargestellt.
Des weiteren befasst sich die Arbeit mit der Monopolstellung des Deutschen Roten
Kreuzes im baden-württembergischen Rettungsdienst, dessen Auswirkungen eng mit
der mangelhaften Notfallrettung zusammenhängen.
Als kommunikationswissenschaftlicher Erklärungsansatz wird abschließend ein
Einblick in das Thema Whistleblowing gegeben und anhand eines Fallbeispiels die
Rolle des im Jahr 2006 gegründeten Forum Notfallrettung hinsichtlich dieser Thematik
erläutert.
Schlägwörter: Bürgerinitiative Rettungsdienst, Deutsches Rotes Kreuz, Baden-
Württemberg, Rettungsdienst, Notfallrettung, Stuttgart, Forum Notfallrettung,
Whistleblowing
2

Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen..................................................................................................................5
Abbildungen...................................................................................................................5
1 Einleitung.......................................................................................................................6
1.1 Aufbau der Bachelorarbeit.....................................................................................7
1.2 Methodik ...............................................................................................................8
2 Rekonstruktion der Ereignisse.......................................................................................9
2.1 Vorgeschichte ÖTV und Feuerwehr Stuttgart........................................................9
2.2 Die Bürgerinitiative Rettungsdienst.....................................................................13
2.2.1 Anfänge und Gründung ...............................................................................13
2.2.2 Erste Erfolge / Die 70er Jahre......................................................................15
2.2.3 80er und 90er Jahre......................................................................................19
2.2.4 Ab 2000........................................................................................................23
2.3 Aktuelle Situation ................................................................................................25
2.3.1 Hilfsfristen ...................................................................................................25
2.3.2 Integrierte Leitstellen...................................................................................28
2.3.3 Notrufnummer 112 ..................................................................................30
2.4 Wie reagieren die Akteure....................................................................................34
3 Die Politischen Hintergründe......................................................................................36
3.1 Definition Rettungsdienst ...................................................................................36
3.1.1 Gesetzliche Rahmenbedingungen................................................................36
3.1.2 Rettungsdienstgesetz Baden-Württemberg..................................................37
3.1.2.1 Organisation..........................................................................................38
3.1.2.2 Finanzierung.........................................................................................39
3.1.2.3 Reform..................................................................................................39
3.2 Das Deutsche Rote Kreuz....................................................................................40
3.2.1 DRK Geschichte...........................................................................................40
3.2.2 Gliederung und Aufbau................................................................................41
3.3 Politische Verbindungen......................................................................................42
3.3.1 „Filz“............................................................................................................42
3.4 Monopolstellung und ihre Auswirkungen............................................................43
3.5 Allgemeine Kritik................................................................................................44
3.5.1 Systemtheorie...............................................................................................45
3.5.2 Systemtheorie und das DRK........................................................................46
4 Kommunikationswissenschaftliche Erklärungsansätze...............................................48
4.1 Was wurde berichtet? - Eine Inhaltsanalyse.........................................................49
4.1.1 Methode........................................................................................................49
4.1.2 Aufbau..........................................................................................................51
4.1.3 Auswertung..................................................................................................52
4.1.4 Interpretation................................................................................................54
4.2 Befragung der Journalisten..................................................................................59
4.2.1 Ergebnisse....................................................................................................60
3

4.3 Abschließende Zusammenfassung.......................................................................61
4.4 Whistleblowing und das Forum Notfallrettung...................................................62
4.4.1 Das Forum....................................................................................................62
4.4.2 Whistleblowing............................................................................................64
4.4.3 Whistleblowing beim Rettungdienst in BW.................................................67
4.4.3.1 „Methoden der Personalführung“.........................................................67
5 Fazit und Ausblick .....................................................................................................70
6 Literaturverzeichnis.....................................................................................................72
7 Anhang.........................................................................................................................82
4

Abkürzungen:
BW – Baden-Württemberg
BIR – Bürgerinitiative Rettungsdienst
DRK – Deutsches Rotes Kreuz
ILS – Integrierte Leitstelle
FN – Forum Notfallrettung
STZ – Stuttgarter Zeitung
STN – Stuttgarter Nachrichten
Abbildungen:
Abb. 1: Rekonstruktion der Ereignisse auf einen Blick (S. 35).
Abb. 2: Häufigkeit der Berichterstattung in den untersuchten Tageszeitungen (S. 52).
Abb. 3: Vergleich der Häufigkeit der Berichterstattung in Stuttgarter Zeitung
und Stuttgarter Nachrichten (S. 52).
Abb. 4: Umfang der gesamten Berichterstattung in Zeilen (S. 53).
Abb. 5: Häufigkeit der Berichterstattung im zeitlichen Ablauf (S. 53).
5

1 Einleitung
Der Rettungsdienst in Baden-Württemberg (BW) rangiert im bundesdeutschen
Vergleich seit Jahrzehnten auf den unteren Plätzen. Bereits vor über 30 Jahren gründete
sich eine Bürgerinitiative, um auf die mangelhafte Notfallrettung in der
Landeshauptstadt Stuttgart aufmerksam zu machen.
Zuletzt gelangte die Thematik durch Berichte des Journalisten Jürgen Bock im Jahr
2008 an die breite Öffentlichkeit. Dieser gewann für seine intensive Berichterstattung zu
dem Thema den dritten Platz des Wächterpreises 2009 und in Folge den Axel Springer
Preis für junge Journalisten.
Bock machte öffentlich, dass die gesetzlich festgeschriebene Hilfsfrist für
Rettungswagen in Baden-Württemberg nicht eingehalten wurde und berichtete über die
mangelhafte Umsetzung der europäischen Notrufnummer 112, durch das in Baden-
Württemberg für den Rettungsdienst hauptsächlich zuständige Deutsche Rote Kreuz
(DRK)
Das Dokumentationszentrum für Couragierte Recherchen und Reportagen, kurz
Dokzentrum auf der Internetseite www.anstageslicht.de des Hamburger Professors
Johannes Ludwig hat sich zur Aufgabe gemacht, wichtige und ausgezeichnete
journalistische Recherchen der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Unter der Kategorie Wächterpreis werden unter anderem die Recherchen Jürgen Bocks
aufgegriffen und gezeigt wie die mangelhafte Notfallrettung in die öffentliche
Diskussion geriet. Die 1976 gegründete Bürgerinitiative Rettungsdienst (BIR) spielt
dabei eine tragende Rolle.
Die vorliegende Arbeit untersucht die politik- und kommunikationswissenschaftlichen
Hintergründe der Thematik, die in der Form nicht im Dokzentrum dokumentiert werden.
Gerade die Anfänge der BIR und das Verhalten des DRK in der Geschichte werden
dabei genauer betrachtet, nicht zuletzt, um die aktuelle Situation besser zu verstehen.
Die Kernfrage dieser Arbeit lautet deshalb: Wieso kann ein Missstand so lange Bestand
haben, obwohl er mehr oder weniger in der gleichen Form seit über 30 Jahren bekannt
ist?
6

Um dieser Thematik auf den Grund zu gehen, werden die unterschiedlichen
Interessensgegensätze der verschiedenen Akteure herausgearbeitet und sich intensiv mit
der Rolle der Medien beschäftigt, da sich auch hier die Frage stellt, warum keine
Zeitung bis zu den Artikeln von Jürgen Bock das Thema früher aufgegriffen hat und
wenn, was Gegenstand der Berichte war.
Zuletzt wird der Fokus auf eine Problematik gelegt die sich aus der Frage ergibt, warum
auch der einfache Rettungsdienstmitarbeiter nichts von den Missständen, die seit Jahren
bekannt sind, nach oben gegeben hat und warum sich dafür im Jahr 2006 ein Forum
gründete, welches sich genau diese Aufgabe zu eigen gemacht hat.
1.1 Aufbau der Bachelorarbeit
Die Forderungen und Erfolge der BIR und die Auseinandersetzungen mit verschiedenen
Institutionen, insbesondere mit dem Stuttgarter Roten Kreuz werden in Kapitel 1
rekonstruiert und chronologisch dargestellt. Der untersuchte Zeitraum liegt dabei von
Mitte der 70er Jahre bis zum Sommer 2009.
Das 2. Kapitel betrachtet die politischen und gesetzlichen Hintergründe der im ersten
Kapitel geschilderten Ereignisse. Hierzu wird zuerst ein kurzer Überblick über den
Rettungsdienst gegeben und die gesetzliche Situation in Baden-Württemberg
beschrieben.
Anschließend wird die Rolle des DRK untersucht und die Auswirkungen seiner
Monopolstellung im baden-württembergischen Rettungsdienst dargestellt.
Wie sich die Medien vor Jürgen Bocks Berichterstattung mit den seit Jahren bekannten
Missständen im Stuttgarter Rettungsdienst auseinandergesetzt haben, wird im dritten
Kapitel untersucht.
Um die kommunikationswissenschaftlichen Hintergründe zu erläutern, wird ein
Einblick in das Thema Whistleblowing gegeben und gezeigt, inwieweit sich diese
Thematik im Fall der mangelhaften Notfallrettung darstellt.
7

1.2 Methodik
Die wissenschaftlichen Methoden die in dieser Arbeit verwendet werden, lassen sich
ähnlich wie der Aufbau in drei Hauptkategorien unterteilen. Zunächst wird anhand von
Zeitungsartikeln, Sekundärliteratur und anderen Zeit historischen Dokumenten eine
chronologisch-historische Rekonstruktion erstellt.
Des weiteren wurden journalistische Recherchen durchgeführt und 3
Experteninterviews mit Joachim Spohn von der BIR, Eberhard Schif vom Forum
Notfallrettung (FN) und mit Horst Tüttelmann von der Stuttgarter Feuerwehr geführt.
Da Recherche am besten Vorort funktioniert, begab sich der Autor dieser Arbeit dazu für
zwei Wochen nach BW.
Der 2. Teil der Arbeit wird vor allem unter politikwissenschaftlichen Gesichtspunkten
untersucht. Für die Erklärung bestimmter Strukturen wird ein systemtheorethischer
Ansatz hinzugezogen.
Im 3. Kapitel wird eine kurze Inhaltsanalyse zu den im Beobachtungszeitraum
relevanten Zeitungsartikeln erstellt.
Um weitere Aussagen zur Intention der Berichterstatter treffen zu können, wurde eine
Befragung von ausgewählten Journalisten durchgeführt.
Außerdem werden die erlangten Erkenntnisse zum Themenaspekt Whistleblowing
anhand eines Fallbeispiels verdeutlicht.
8

2 Rekonstruktion der Ereignisse
Um die Ereignisse rund um den Rettungsdienst in Baden-Württemberg zu verstehen ist
es notwendig sie zunächst chronologisch aufzuarbeiten. Dabei setzt sich die Arbeit
vornehmlich mit den Geschehnissen in der Landeshauptstadt Stuttgart auseinander.
Die Ereignisse, die hauptsächlich zur Gründung einer Bürgerinitiative führten, ergeben
sich im Kern aus zwei unterschiedlichen Gegebenheiten.
Zunächst soll das Engagement der Stuttgarter Feuerwehr beschrieben werden, welches
sich vor allem durch die Initiative des Gewerkschaftsvertreter und
Personalratsvorsitzenden Horst Tüttelmann widerspiegelt. Zum anderen werden die
Erlebnisse des damaligen Musikstudenten und heutigen Vorsitzenden der BIR Joachim
Spohn aufgezeigt, welche letztendlich konkret zur Gründung der Bürgerinitiative
führten.
2.1 Vorgeschichte ÖTV und Feuerwehr Stuttgart
Horst Tüttelmann ist seit 1972 in der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und
Verkehr, ÖTV, heute ver.di, aktiv.
Anfang der 70er Jahre wird er zudem zum Personalratsvorsitzenden der Stuttgarter
Berufsfeuerwehr gewählt.
Im September 1974 schlägt der damalige CDU-Stadtrat und spätere Bürgermeister Dr.
Wolfgang Dannecker ausführliche Sparmöglichkeiten für die Stadt Stuttgart vor und
fragt ob man sich es leisten könne, 530 Leute bei der Feuerwehr im Einsatz zu halten.
Unter anderem plädiert er für bestimmte Zusatzaufgaben, die die Stuttgarter Feuerwehr
leisten könne, um dadurch Personal einzusparen. Hiermit sind Tätigkeiten gemeint, die
sonst andere städtische Ämter übernehmen (vgl. FAUSTUS 1974).
Dies konnte Tüttelmann als Personalratsvorsitzender der Feuerwehr nicht gefallen und
er antwortet in einem Schreiben an Herrn Dr. Dannecker wie folgt:
„Da wir davon ausgehen, dass sie als Fachmann und Kommunalpolitiker eben so gut
wie wir wissen, worauf die Personalvermehrungen bei den Berufsfeuerwehren
zurückzuführen sind, vermuten wir, das sie uns als Politiker bedeuten wollen, auf einem
9

neuen Gebiet tätig zu werden.“
Und weiter: „Über 90% aller Feuerwehreinsätze sind Einsätze in Krankentransport-
und Rettungsdienst. Daraus muss jeder Kommunalpolitiker die Schlussfolgerung
ziehen, die Feuerwehren in ihrer Aktivität im Krankentransport und Rettungsdienst zu
unterstützen und zu fördern. Wir würden uns freuen, wenn wir in ihnen einen
einflussreichen Fürsprecher finden könnten“ (TÜTTELMANN 1975).
Zum Zeitpunkt des Schreibens versucht die Feuerwehr in Stuttgart seit einiger Zeit
wieder offiziell Aufgaben im Rettungsdienst übernehmen zu können. In BW wird dieser
in den 70er Jahren ausschließlich vom DRK geleistet, welches in Folge vehement seine
Monopolstellung zu verteidigen versucht.
In der Historie der deutschen Feuerwehren waren diese stets am Rettungsdienst
beteiligt. Berufsfeuerwehren haben seit ihrer Gründung Kranken- und Unfalltransporte
getätigt. So gehörte beispielsweise in Hamburg „die Befreiung und Erstversorgung von
verunglückten, verschütteten und eingeklemmten Personen von Anfang an zu den
Aufgaben der Berufsfeuerwehr Hamburg seit der Gründung am 12. November 1872“
(FEUERWERHR HAMBURG 1996). Da die Feuerwehrwachen in den Großstädten
überall verteilt waren und sie zu kommunalen Einrichtungen zählten, lag es nahe, diese
Infrastruktur zu nutzen und gleichzeitig neben dem Brandschutz auch im medizinischen
Bereich tätig zu werden.
Mit der Bestrebung, die Feuerwehren wieder am Rettungsdienst zu beteiligen, bildet
sich 1974 in der ÖTV ein sogenannter „Arbeitskreis Rettungsdienst“ in dem über das
Thema diskutiert werden soll und verschiedene Forderungen, wie das errichten
integrierter Leitstellen 1 , aufgestellt werden.
Eine Erhebung über den Rettungsdienst, die das Bundesland Bremen zu dieser Zeit in
Auftrag gegeben hat, ergibt, dass Stuttgart im bundesdeutschen Vergleich die Großstadt
mit der niedrigsten Dichte an Rettungswachen pro Einwohner besitzt (vgl. STUDIE
BREMEN 1975). Im Durchschnitt kommt hierbei auf circa. 80.000 – 100.000
Einwohner eine Rettungswache. In Stuttgart ist das Verhältnis 600.000 Einwohner pro
1 Übernimmt die Alarmierung von Feuerwehr und Rettungsdienst gemeinsam
10

Wache, da es nur eine zentrale Wache des DRK gibt.
Da dies lange Anfahrtswege zur Folge hat, wird von Seiten der Feuerwehr der Vorschlag
unterbreitet, die fünf bereits in Stuttgart bestehenden Feuerwehrwachen und die eine
Rettungswache des DRK gemeinsam zu nutzen (vgl. TÜTTELMANN 2009).
Des weiteren soll ein Rettungswagen (RTW) angeschafft werden.
Die Stadt Stuttgart kommt für einen Ankauf nicht in Frage, da sie sonst konzeptionell in
die Organisation des Rettungsdienst eingreifen würde. Dies ist aus rechtlichen Gründen
nicht möglich 2 .
Mit einem Beschluss der ÖTV Vertrauensleute Gruppe Feuerwehr wird im Jahr 1975
festgelegt, einen RTW durch eine Spendenaktion anzuschaffen und ihn dann der
Feuerwehr bzw. der Stadt zu schenken. Er soll bei Feuerwehreinsätzen als zusätzliches
Fahrzeug eingesetzt werden, um im Notfall die Feuerwehrmänner im Einsatz sofort
medizinisch versorgen zu können.
Auf Bestreben der ÖTV Gruppe wird ein Konto bei der Björn Steiger Stiftung 3
eingerichtet. Horst Tüttelmann beschreibt dies in dem Interview für diese Arbeit als den
„ersten Aufreger“. Die negativen Folgen der Monopolstellung werden an dieser Stelle
zum ersten Mal deutlich. Als das DRK von dem Spendenkonto bei der Steiger Stiftung
erfährt, sieht es sein alleiniges Vorrecht auf die Ausübung des Rettungsdienst in Gefahr.
Es entwickelt sich ein Konflikt zwischen Feuerwehr und DRK, dessen Auswirkungen
zunächst die Deutsche Rettungsflugwacht zu spüren bekommt.
Die als Initiative der Björn Steiger Stiftung 1972 entstandene Hilfsorganisation
bekommt keine Aufträge mehr für die Luftrettung, welche durch die DRK betriebenen
Rettungsleitstellen vergeben werden.
Das Auftragsaufkommen geht so dramatisch zurück, dass die Steiger-Stiftung sich
vorbehält das Konto wieder zu schließen. Letztendlich hält man dem Druck jedoch
stand (vgl. TÜTTELMANN 2009).
Dass diese Vorgehensweise des DRK zur Bewahrung seiner Monopolstellung in der
Geschichte häufiger angewendet werden wird, kann am folgenden Beispiel noch
2 siehe Kapitel 3.1.1
3 Von den Eltern des 1969 nach einem Verkehrsunfall verstorbenen Björn Steiger gegründet mit dem
Ziel die Rettungskette nach Unfällen wesentlich zu beschleunigen
11

deutlicher belegt werden.
Das Spendenaufkommen für den eigenen RTW ist beträchtlich. Unter anderem wird
durch eine Blutspendenaktion von Feuerwehrleuten 10.000 DM gesammelt.
Private Stuttgarter Spender und Firmen steuern den Rest bei und im Mai 1976 kann die
Stuttgarter Berufsfeuerwehr einen RTW ihr Eigen nennen (vgl. SIC 1976).
Host Tüttelmann beschreibt die Geschehnisse von damals wie folgt:
„Als wir genug Spenden gesammelt hatten, habe ich der Stadt den Stand der Dinge
mitgeteilt. Oberbürgermeister zur der Zeit war Manfred Rommel. Mein persönlicher
Ansprechpartner sein Referent Dr. Gehring. Die beiden haben nicht wirklich registriert
was auf sie zu kam. Als der Wagen fertig war, habe ich ihn zu mir nach Hause geholt.
Zeitgleich gab es eine Ausstellung auf der Messe Stuttgart zum Thema Sicherheit. Der
Wachvorsteher der Feuerwehrwache 4 hatte mir gesagt, dass dort ein Hubschrauber
von der Bundeswehr verhindert wäre und somit ein Platz für unseren Wagen frei sei.
Ich bin dann dort hin gefahren um unseren RTW zu präsentieren. Das DRK, das als
Hilfsorganisation ebenfalls vor Ort war, hat den Wagen gesehen und sich direkt beim
Bürgermeister dafür eingesetzt, dass er dort wieder verschwindet. Ein Rettungswagen
bei der Feuerwehr sollte gar nicht erst in den Fokus der Öffentlichkeit rücken“
(TÜTTELMANN 2009).
Der damalige Kreisvorsitzende des DRK in Stuttgart ist Dr. Hans Hufnagel -
hauptberuflich Leiter des Gesundheitsamtes der Landeshauptstadt.
Seine Beschwerde über den Feuerwehr RTW führt zu einem Gespräch mit dem
damaligen Oberbürgermeister Manfred Rommel. Dieser stimmt zu, dass die Stadt den
RTW von der ÖTV als Geschenk annimmt und er auf der Stuttgarter Wache 5 in
Degerloch auf den Fildern 4 eingesetzt wird (vgl. TÜTTELMANN 2009).
Da der RTW jetzt Bestandteil der Feuerwehr ist, kommt das DRK nicht umhin, den
Wagen auch öffentlich einzusetzen. Die Regeln der Notfallrettung besagen, dass das
nächst gelegene Fahrzeug eingesetzt werden muss (vgl. AHNEFELD 1994, S. 62).
Im Gespräch beim Oberbürgermeister sichert Hufnagel zu, den Wagen bei Bedarf
einzusetzen.
4 Hochebene die sich südlich von Stuttgart mehr als 200 Meter über das Stadtzentrum erhebt.
12

2.2 Die Bürgerinitiative Rettungsdienst
Auf Grund der schlechten Lage im Stuttgarter Rettungsdienst kommt es immer wieder
zu Unmutsäußerungen einzelner Bürger von Stuttgart und Umgebung, die sich in Form
von Leserbriefen Luft machen.
Sie bemängeln vor allem die teils langen Wartezeiten, die sich ergaben, als sie während
eines Notfalls den Rettungsdienst in Anspruch nehmen mussten.
Horst Tüttelmann sammelt zu der Zeit einige dieser Leserbriefe. Auch den des
damaligen Musikstudenten Joachim Spohn und dessen Bekannten Michael Meyer.
2.2.1 Anfänge und Gründung
Im Winter 1976 sehen Joachim Spohn und Michael Meyer, an einem Abend auf dem
Weg mit dem Auto nach Hause eine leblose Person auf der Straße liegen. Sie rufen die
Polizei und bitten dringend um einen RTW. Nach 10 Minuten erscheint eine
Polizeistreife, die überprüfen will, ob der Notruf seine Richtigkeit hat. Es vergeht
wertvolle Zeit und erst nach 25 Minuten erreicht ein mittlerweile von der Polizei
gerufener RTW den Unfallort (vgl. DOKZENTRUM 2009).
Entsetzt über diesen Vorfall schreiben Spohn und Meyer am folgenden Tag einen
Leserbrief an die Stuttgarter Zeitung (vgl. SPOHN)
Horst Tüttelmann liest diesen und kontaktiert daraufhin Joachim Spohn. Zusammen
beschließen sie, weitere Bürger die sich über das DRK beschweren, an einen Tisch zu
bringen.
Ein Treffen wird vereinbart und Joachim Spohn und Michael Meyer laden mögliche
Interessenten zur Vorbesprechung ein.
Am 4. November 1976 kommt es zur Gründung der Bürgerinitiative Rettungsdienst
Stuttgart (vgl. SPOHN 1976 - 2). Ihre Mitglieder setzen sich hauptsächlich aus
Stuttgarter Bürgern zusammen, die in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit dem
Rettungsdienst des DRK gemacht haben. Darunter ist auch der Rechtsanwalt Rudolf
Dürr, durch dessen Beteiligung die junge Bürgerinitiative bereits zu Beginn juristischen
Beistand erhält. Auch Horst Tüttelmann ist am Anfang mit dabei. Es wird jedoch
13

ewusst darauf verzichtet, weitere Feuerwehrleute in die BIR aufzunehmen, da in der
Vergangenheit aus DRK-Kreisen der Vorwurf laut wurde, man würde lediglich die
Interessen der Feuerwehr vertreten (vgl TÜTTELMANN 2009).
Sprecher und Vorstandsvorsitzender der BIR wird Joachim Spohn.
In der Satzung heißt es: „Der Verein bezweckt ausschließlich und unmittelbar die
Förderung eines gemeinnützigen Zweckes, nämlich die Verbesserung des
Rettungswesens in Stuttgart“ (BIR 1977).
Zunächst setzt man sich für den Einsatz des RTW auf der Feuerwehrwache Fildern ein.
Wie oben bereits erwähnt, gibt es über diesen seit seiner Einführung einen Disput mit
dem DRK. Zwar wurde vom DRK-Vorstand zugesagt den RTW, „bei Bedarf“
einzusetzen, praktiziert wird jedoch etwas völlig anderes.
Um dies zu belegen sammeln die Gründer der BIR Zeitungsartikel, in denen von
Unfällen im besagten Gebiet berichtet wird. Diese können mit dem Fahrtenbuch des
Feuerwehr RTW verglichen werden. Der Wagen wird demnach kaum eingesetzt und
steht in der Wache, obwohl die Unfallorte zum Teil in nächster Nähe liegen.
„Wir sahen manchmal den Notarztwagen aus der Stadtmitte an der Wache 5 vorbei
rauschen. Daher wussten wir das es mehr Notfälle gab“ (TÜTTELMANN 2009).
Die Vorfälle erhärten den Verdacht bei den Mitgliedern der BIR, dass das DRK Einsätze
bewusst nicht an die Feuerwehr vergibt, sondern stattdessen seine eigenen Wagen
schickt. Ein weiterer registrierter Fall erregt besonderes Interesse und auch die Medien
berichten nun über die Geschehnisse.
Am 8. Dezember 1976 stirbt ein Arbeiter im Stuttgarter Vorort Hoffeld an einem
Herzinfarkt. Der Rettungswagen des DRK erreicht nach Angaben von Arbeitskollegen
erst nach über 20 Minuten den Unfallort.
Nach Aussage von Horst Tüttelmann hätte der bei der Feuerwehr stationierte Wagen
schon nach drei Minuten vor Ort sein können (vgl. GROSCHUPF 1976).
Die negative Berichterstattung bringt den Kreisvorsitzenden des DRK Hufnagel dazu,
sich zu rechtfertigen.
14

In einem Schreiben an den Referenten des Oberbürgermeisters Dr. Gehring und in einer
Stellungnahme in den Stuttgarter Nachrichten versucht er, den Einsatzablauf am
besagten Tag zu erklären. Er schreibt, „dass es sich um einen Notfall handelt, sodass
grundsätzlich, gleich welche Organisation einen Rettungswagen entsendet, das
Eintreffen des Arztes ausschlaggebend ist (HUFNAGEL 1976)
Diese Aussage sprach gegen alle damals bekannten Regeln der Notfallrettung. In
sämtlichen Publikationen zum Rettungsdienst wurde schon damals beschrieben, dass
nach 3-5 Minuten bei einen Kreislaufstillstand die Gehirnzellen absterben und sofort
mit der Reanimation begonnen werden muss.
Die BIR zieht nach dieser Aussage Konsequenzen.
Sie veranlasst, eine Anzeige gegen das DRK wegen unterlassener Hilfeleistung zu
prüfen. Ein juristisches Gutachten kommt zu dem Schluss, dass ein solcher Tatbestand
durchaus vorliegen könnte (vgl. TÜTTELMANN 1976).
Von einer Strafanzeige wird allerdings zu dem Zeitpunkt abgesehen, da, wie es in einem
späteren Schreiben des BI Anwalts Dürr heißt, man im festen Glauben sei, „dass es
völlig unmöglich ist, dass es auch nur einen Verantwortlichen geben kann, der den
näher stehenden Rettungswagen dem künftigen Opfer vorenthalten wird“ (DÜRR 1977).
In der darauf folgenden Zeit kann die BIR tatsächlich das Unterlassen der
Auftragsvergabe an den Feuerwehr-RTW nicht mehr feststellen. Nur vier Tage nach
dem tödlichen Unfall und der anschließenden Berichterstattung wird der Wagen an nur
einem Tag zu fünf Einsätzen geschickt (vgl. TÜTTELMANN 2009).
2.2.2 Erste Erfolge / Die 70er Jahre
Der nunmehr vermehrte Einsatz des ersten Feuerwehrrettungswagen auf den Stuttgarter
Fildern kann als einer der ersten Erfolge der jungen BIR gewertet werden. Ein weiterer
lässt zunächst auf sich warten.
Am 26.01.1977 lädt die BIR zu ihrer ersten öffentlichen Sitzung. Zentrale Forderung
wird die Dezentralisierung des Rettungsdienstes in Stuttgart. Sie bezieht sich dabei auf
die bereits erwähnte Erhebung des Bundeslandes Bremen. In Stuttgart sind zu der Zeit
15

sämtliche RTW in nur einer Rettungswache in der Stuttgarter Innenstadt zentral
stationiert.
Wie die Dezentralisierung konkret funktionieren könnte, schildert die BIR in einem
Schreiben an den Oberbürgermeister und die Mitglieder des Gemeinderates der Stadt
Stuttgart. Die Politik wird darin aufgefordert zu handeln. Um dem Schreiben Nachdruck
zu verleihen, werden Unterschriftenlisten von Stuttgarter Bürgern beigelegt (vgl.
SPOHN 1977).
Kurze Zeit später bei einer Podiumsdiskussion der Jungen Union, an der DRK,
Feuerwehr, BIR-Vertreter und der Gesundheitsbürgermeister Thieringer teilnehmen,
kommt es zum Eklat.
DKR und Feuerwehr beschimpfen sich gegenseitig. Das DRK argumentiert mit zu
erwartenden hohen Kosten gegen eine Dezentralisierung. Der neu gegründeten
Bürgerinitiative wird vorgeworfen, sie würde einseitig die Interessen der Feuerwehr
vertreten. Eine abschließende Einigung wird nicht gefunden. Auch die Presse ist bei
dem Treffen anwesend und berichtet später über die Vorfälle.
Einziges Ergebnis des Abends ist der Beschluss des Gesundheitsbürgermeister
Thieringer den Rettungsbeirat anzurufen (vgl. HARMS 1977).
Dieser tagt einige Wochen später und stimmt am 28.03.1977 folgende Ergebnisse ab.
Relevant für diese Arbeit sind:
1. „Den Rettungsorganisationen wird die Beschaffung und Wiederbeschaffung von
mehr RTW empfohlen“
2. „Es wird empfohlen, dass neben der zentralen Rettungswache, […], möglichst
bald fünf bis sechs weitere dezentralisierte Stationen für RTW geschaffen
werden“.
3. „Dem DRK wird empfohlen, bei den Überlegungen zur Dezentralisierung das
Angebot der Feuerwehr zur Inanspruchnahme der Feuerwachen zu prüfen“
(RETTUNGSBEIRAT 1977)
Wie sich der Rettungsbeirat 5 zusammensetzt und weshalb dieser nur Empfehlungen
ausspricht, wird in Kapitel 3.1.1 über die gesetzlichen Hintergründen deutlich.
5 heute Bereichsausschuss
16

Mit den Beschlüssen des Rettungsbeirats scheint ein weiterer Erfolg der BIR gelungen.
Jedoch wird ungeachtet der Tatsache, dass auch die Vertreter des DRK im
Rettungsbeirat für die oben erwähnten Punkte stimmten, die Dezentralisierung nur
schleppend umgesetzt.
Zwar werden Wagen des DRK bei der Feuerwehr stationiert, allerdings nur zwischen 7
und 19 Uhr, also in der Zeit, in der sie mit eigenen Mitarbeitern besetzt sein können.
Auf den Vorschlag der Feuerwehr, die Wagen des DRK auch in den Nachtstunden und
an Wochenenden an den Feuerwachen stehen zu lassen und sie in der Zeit mit
Feuerwehrbeamten zu besetzen, wurde, laut damaligen Oberbranddirektor Hans Hertel
nicht eingegangen (vgl. CLEMENS 1977).
Stattdessen stellt die BIR fest, dass wie ein Jahr zuvor, die Einsätze des
Feuerwehrrettungswagen auf der Fildern-Wache rapide zurückgegangen sind.
Zudem setzt das DRK für Notfalltransporte vermehrt ungeeignete
Krankentransportwagen ein, die neuerdings im Filderraum an verschiedenen Stellen
positioniert sind (vgl. BIR 1977 – 2).
Die BIR droht daraufhin in einem Schreiben an den Referenten des Oberbürgermeisters
Dr. Gehring zum wiederholten Mal mit einer Anzeige gegen das DRK wegen
unterlassener Hilfeleistung (DÜRR 1977)
Um einen dadurch entstehenden möglichen Skandal zu verhindern setzt sich
Oberbürgermeister Rommel persönlich ein, was zur Folge hat, dass der RTW-Einsatz im
Filderraum erneut nach den bereits erwähnten Regeln der Notfallrettung funktioniert
(vgl. TÜTTELMANN 2009).
Die BIR Stuttgart ist mittlerweile ein eingetragener Verein und wird seit Mitte 1978
vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt.
Um den Rettungsdienst weiter zu verbessern, beschließt sie, für die Beschaffung eines
weiteren RTW eine Spendenaktion durchzuführen. Unter dem Motto „Bürger helfen
mit“ sollen Rund 100000 DM gesammelt werden. Ziel ist es, den RTW dezentralisiert
zu stationieren. Das Geld soll unter anderem durch das Verkaufen von Autoaufklebern
zusammenkommen (siehe NEUER RETTUNGSWAGEN... 1978).
Redaktionen, Feuerwehren und Hilfsorganisationen werden mit der Bitte angeschrieben
17

im Allgemeinen und unter Mitarbeitern für Spenden zu werben.
Auch der DRK Betriebsrat bekommt einen Brief.
Die Reaktion folgt einen Monat später:
„Um unseren Kollegen den Kauf Ihrer „Spendenaufkleber“ nahezulegen, bitten wir sie,
uns mitzuteilen, bei welcher Organisation dieser geplante RTW zum Einsatz kommen
soll. Davon ausgehend, dass der RTW dem DRK als die vom Rettungsdienstgesetz
vorgesehene und in Stuttgart den Rettungsdienst ausführende Organisation übergeben
wird, sind wir selbstverständlich gerne bereit, ihre Aktivität zu unterstützen [...]“
(DRK 1978).
Unterdessen gehen die Sammelaktionen weiter.
Ein halbes Jahr später, am 26.05.1979 schreibt Joachim Spohn den neuen Vorsitzenden
des DRK in Stuttgart Dr. Jürgen Hahn an und weist ihn, zwei Jahre nach den
Empfehlungen des Rettungsbeirats, auf die fortwährend mangelhafte Dezentralisierung
hin. Dezidiert führt er auf, dass Stuttgart nach wie vor im Vergleich mit anderen
deutschen Großstädten eine sehr geringe Zahl an RTW besitzt. Spohn kommt daher zu
dem Schluss, dass „das DRK nicht ernsthaft bemüht ist, den Rettungsdienst in Stuttgart
zu verbessern“ (SPOHN 1979).
Hahn antwortet und teilt mit, Spohn gehe von falschen Voraussetzungen aus. Einen
Grund zum handeln sieht er nicht.
„Es besteht deshalb im Augenblick kein Anlass, unter den gegenwärtigen Umständen
und im Hinblick auf die unklare Finanzierung, das Rettungssystem weiter auszubauen“
(HAHN 1979).
Als zwei Monate später, am 21.07.1979 der 49-Jährige Metzgermeister Walter Wachter
in der Nähe der Feuerwehrwache Degerloch beim spazieren gehen zusammenbricht und
auf dem Weg ins Krankenhaus verstirbt, stellt die BIR Strafanzeige gegen das DRK
wegen unterlassener Hilfeleistung.
In der Begründung ihres Anwalts Dürr heißt es, dass der Hinweis auf den Zustand des
Notfallopfers bereits ausreichend gewesen wäre, den nächststehenden RTW
einzusetzen. Das DRK setzt auch einen Notarztwagen ein. Es handelt sich jedoch erneut
um einen eigenen (vgl. STRAFANZEIGE BIR 1979).
Die Staatsanwaltschaft nimmt daraufhin die Ermittlungen auf. Sie werden über ein
18

halbes Jahr andauern. Der Fall macht bundesweit Schlagzeilen. Unter anderem berichtet
die Zeitschrift Quick in einem ganzseitigen Artikel 6 .
In Folge der breiten Öffentlichkeit, wird der RTW der Feuerwehr wieder regelmäßiger
eingesetzt.
2.2.3 80er und 90er Jahre
Die Aktivitäten der BIR in den 80er und vor allem in den 90er Jahren nehmen im
Vergleich zum vorherigen Jahrzehnt deutlich ab. Dies liegt vor allem daran, dass ihr
Hauptinitiator Joachim Spohn zum Studieren nach Wien und Tübingen geht.
Zunächst beginnt das Jahrzehnt jedoch ähnlich intensiv wie das vorherige aufgehört hat.
Das Verfahren gegen das DRK wird nach einem halben Jahr mangels Tatverdacht am
10.01.1980 eingestellt.
In der Erklärung der Staatsanwaltschaft Stuttgart heißt es: „Selbst wenn der Zeuge die
Situation falsch eingeschätzt hätte, so könnte hieraus kein strafrechtlicher Vorwurf der
unterlassenen Hilfeleistung erhoben werden“ außerdem könne nicht bewiesen werde,
ob durch den Einsatz des RTW an der Feuerwache „wirksamere Hilfe hätte geleistet
werden können“ (STAATSANWALTSCHAFT STUTTGART 1980).
Kurz zuvor eingereichte Eidesstattliche Versicherungen von sieben Feuerwehrmännern
die den Nichteinsatz des RTW bezeugen sollen, werden nicht mehr berücksichtigt (vgl.
SAAL 1980).
Die Stuttgarter Depesche bringt den Fall groß raus. Auf fünf Seiten berichtet sie
ausführlich über die Geschehnissen und das DRK wird aufs Schärfste angegriffen. Den
Stuttgarter Bürgern wird in dem Artikel nahe gelegt, in einem Notfall lieber die
Nummer der Feuerwehr 112, als die sich davon unterscheidende Nummer des DRK
anzurufen (vgl. KOCH 1980). Als einer der für den Bericht verantwortlichen
Redakteure seine Anschuldigungen im SWR wiederholt, „es wird auch ihr Pech sein,
wenn sie es nicht tun, denn die Feuerwehr ist als einzige in der Lage, wirklich effektive
Hilfe zu leisten“ (KOCH 1980 – 2), erwirkt das DRK vor Gericht eine einstweilige
6 Quick Nr 37/79 „Vorsicht: Krankenklau geht um“
19

Verfügung.
In der Aussage sieht das Gericht keine Meinungsäußerung sondern eine
Tatsachenbehauptung.
Unterdessen ist genug Geld für einen neuen Rettungswagen gesammelt worden und die
BIR bestellt ein Fahrzeug bei einer Spezialfirma mit Sitz in Lorch. Es wird beschlossen,
den Wagen der Stadt Stuttgart zu schenken, um die geforderte Dezentralisierung des
Rettungsdienstes voranzubringen. Um ein Zeichen zu setzten, lässt man ihn in
“Feuerwehr-Rot“ lackieren.
Dies hat zur Folge, dass die Stadt den RTW nicht annehmen will, da die Feuerwehr
nicht offiziell für den Rettungsdienst verantwortlich ist.
Das fertige Fahrzeug steht somit mehrere Monate bei der Herstellerfirma und es beginnt
ein reger Schriftwechsel zwischen BIR und den politischen Vertretern der Stadt.
Während Gesundheitsbürgermeister Thieringer dafür plädiert den Wagen auf beige zu
spritzen und dem DRK zu übergeben, beharrt die BIR darauf den RTW bei der
Feuerwehr unterzubringen und damit einen eigenen Teil zur Dezentralisierung des
Rettungsdienst beizutragen.
Da auch die Presse auf den Fall aufmerksam wird und ein herumstehender RTW nicht
sehr positiv in der Bevölkerung aufgefasst werden kann, wird von Seiten der Politik ein
erneuter Vorschlag gemacht. Der RTW sollt nun neutral gestrichen werden und
paritätisch mit je einem Feuerwehr- und einen Rot-Kreuz Sanitäter besetzt werden.
Zudem geht man bei dem Thema Dezentralisierung auf die Vorschläge der BIR ein.
In Folge werden vier rund um die Uhr besetzte, dezentrale Rettungswachen des DRK in
Stuttgart eingerichtet. Eine fünfte in Stuttgart/Möhrigen wird nur tagsüber besetzt. Dort
soll der gespendete Wagen nach Wunsch des Gesundheitsbürgermeister Thieringer
untergebracht werden (vgl. DEPPE 1980).
Das Fahrzeug auch dort 24 Stunden einzusetzen lehnt die Stadt allerdings ab (vgl. POT
1980).
Die BIR geht daraufhin nicht auf die Kompromissvorschläge ein und nimmt stattdessen
die Sache in die eigene Hand. Joachim Spohn holt den RTW bei der Spezialfirma in
20

Lorch ab und stellt ihn auf das Gelände der Feuerwehrwache in Stuttgart/Möhringen
(vgl. SPOHN 2009).
Ein Affront für die Stadt.
Bürgermeister Rommel fühlt sich offensichtlich persönlich angegriffen und äußert sich
in den Stuttgarter Nachrichten wie folgt:
„Die können den Wagen wieder abholen, [...] die Stadt nimmt den Wagen nicht an, [...]
Unverschämtheit“ (ROMMEL 1980).
Vermutlich darauf bedacht einen möglichen Skandal über einen nicht eingesetzten RTW
doch noch abzuwenden, äußert er im gleichen Interview dennoch eine komplett neue
Idee. Er schlägt vor den besagten RTW der Johanniter Unfallhilfe zu spenden.
Die BIR interpretiert dies als letzten Versuch, doch noch zu verhindern, dass die
Feuerwehr den RTW bekommt und bleibt bei ihrer Forderung (SPOHN 2009).
Joachim Spohn verkündet in den Stuttgarter Nachrichten am 18.11.1980: “Wir holen
den Wagen nicht ab. Jetzt muss OB Rommel das Fahrzeug schon abschleppen lassen“
(SPOHN 1980). Die BIR setzt sich damit durch. Die Blöße einen gespendeten RTW
tatsächlich abschleppen zu lassen gibt sich der Oberbürgermeister nicht und der Wagen
wird bei der Feuerwehr eingesetzt.
An dieser Stelle macht die bis dahin detaillierte Rekonstruktion der Ereignisse wie oben
erwähnt einen erhebliche Zeitsprung.
Dies liegt an der Tatsache, dass in der folgenden Zeit die BIR keinen besonderen Grund
hat aktiv zu werden und sich Joachim Spohn zum Studieren außerhalb von Stuttgart
befindet.
Zwei Rettungswagen auf der Feuerwache 5, die mittlerweile eingesetzt werden, hat sie
bis dahin initiiert und auch die geforderte Dezentralisierung geht allmählich voran.
Ein konkreter Anlass für die BIR sich erneut einzumischen bietet sich erst wieder im
Jahr 1992. In den Verhandlungen zwischen der Stadt Stuttgart und den Krankenkassen
als Kostenträger des medizinischen Rettungsdienst werden nur 18,5 statt der bisherigen
23 Stellen für Rettungssanitäter anerkannt. Um diese nicht selber zahlen zu müssen wird
von Seiten der Stadt der Vorschlag gemacht, einen der Rettungswagen auf der
21

Feuerwehrwache 5 in Degerloch während der Nachtzeit stillzulegen (vgl. MEYER
1992).
Die BIR wendet sich daraufhin mit einem Flugblatt an die Öffentlichkeit und macht auf
die drohende Stilllegung aufmerksam. Eine Reaktion folgt prompt.
In Unterschriftenlisten, unter anderem von allen Beamten des Polizeireviers Degerloch,
sprechen sich zahlreiche Menschen gegen die Sparpläne aus (vgl. POLIZEI
DEGERLOCH 1992).
Die politischen Akteure rudern daraufhin zurück und der RTW wird weiterhin
eingesetzt.
Ein Jahr später 1993, soll für die DRK Rettungsleitstelle Stuttgart ein moderner
Einsatzleitrechner angeschafft werden, der zu 90% durch das Land BW bezuschusst
wird. Ein ähnlicher Anschaffungsplan der Stuttgarter Feuerwehr veranlasst die BIR die
bereits in den 70er Jahren von der Feuerwehr geforderte Integrierte Leitstelle erneut ins
Gespräch zu bringen. In einem Schreiben an das Ministerium für Arbeit, Gesundheit
und Sozialordnung von Baden-Württemberg (BW) weist man auf die Kostenersparnisse
einer solchen Leitstelle hin. Zudem könnte die Nummer 112 an einer zentralen Stelle,
die Feuerwehr und Rettungsdienst vereint, auflaufen. Zahlreiche Städte und
Bundesländer werden aufgeführt, in denen dieses System erfolgreich funktioniert.
Auch jene, wo der Rettungsdienst nicht von der Feuerwehr geleistet wird (vgl. SPOHN
1993).
Trotz der Argumente verläuft der Versuch der Einführung einer Integrierten Leitstelle
ins Leere. Joachim Spoh beschreibt die Geschehnisse im Interview für diese Arbeit wie
folgt: „Ich habe mich an die zuständigen Regierungsstellen gewandt und gesagt, dass
jetzt der optimale Zeitpunkt wäre um zu integrieren. Es gingen einige Briefe hin und
her, aber passiert ist nichts und es wurde auch nicht darüber in der Presse
berichtet“(SPOHN 2009).
22

2.2.4 Ab 2000
Der nächste Zeitsprung führt ins Jahr 2003. Die Dezentralisierung des Stuttgarter
Rettungsdienstes ist weitestgehend abgeschlossen und die Kooperation beim Einsatz der
Feuerwehrrettungswagen mit dem DRK funktioniert ebenfalls.
In der Stuttgarter Lokalpresse wird am 4. Juni über die Einrichtung einer Integrierten
Leitstelle (ILS) debattiert. Joachim Spohn nimmt dies zum Anlass, dem damaligen
Kreisgeschäftsführer des DRK in Stuttgart Frieder Frischling einige Fragen zu stellen,
da sich dieser in der Presse dagegen ausspricht (vgl. SPOHN 2003).
In seiner Antwort weist Frischling auf die entstehenden Kosten hin, die seiner Meinung
nach eine Fusion von Feuerwehr und Rettungsdienstleitstelle mit sich bringen würde. Er
warnt zudem vor dem Fall eines großen Unwetters, das vermehrte Notrufe von
technischer Natur mit sich bringen würde. Eine Notrufnummer, die Wasserschäden und
Personenschäden alleine zu bewältigen hätte, würde zu erheblichen Kostensteigerungen
führen. Letztendlich spricht sich Frischling in allen Punkten gegen eine gemeinsame
Leitstelle von Feuerwehr und Rettungsdienst aus (vgl. FRISCHLING 2003).
Im selben Jahr wird in Stuttgart über öffentliche Einsparmaßnahmen debattiert.
Erster Bürgermeister und damit ständiger allgemeiner Stellvertreter des
Oberbürgermeisters ist zu dem Zeitpunkt Dr. Klaus Lang von der CDU.
Er verantwortet als Stadtkämmerer den Haushalt der Landeshauptstadt.
Am 3. und 4. Juli 2003 erscheinen in der Presse zwei Berichte, in denen Lang auch den
Bereich der öffentlichen Sicherheit in die Sparmaßnahmen mit einbeziehen will.
Joachim Spohn und die BIR befürchten, dass viele ihrer Errungenschaften wieder
rückgängig gemacht werden sollen.
In einem Schreiben an Lang weist Spohn darauf hin, dass „durch eine enorme
Kraftanstrengung von vielen Seiten eine gedeihliche Kooperation und Integration der
am Stuttgarter Rettungsdienst beteiligten Organisationen entstanden“
(SPOHN 2003 - 2) ist. Er bittet Lang um eine fundierte Stellungnahme.
Die folgt vom ebenfalls zuständigen Verwaltungsbürgermeister Klaus-Peter Murawski
von den Grünen. Er weist in seinem Antwortschreiben auf die negative finanzielle
23

Entwicklung in Stuttgart hin und versichert auf der einen Seite, dass es keine
festgeschriebenen Einsparpläne gibt, schreibt aber dennoch: „Der Gemeinderat hat in
der letzten Woche die Verwaltung beauftragt, den Bereich des Medizinischen
Rettungsdienstes der Stuttgarter Branddirektion zu überprüfen“ (MURAWSKI 2003).
Joachim Spohn und die weiteren Mitglieder der BIR beschließen daraufhin, den
Rettungsdienst in Stuttgart einer eigenen Prüfung zu unterstellen.
Heraus kommt eine umfassende Analyse zur Situation der medizinischen Notfallrettung
in Stuttgart, die die BIR im Januar 2004 vorstellt.
Die Ergebnisse sind eindeutig. Die Studie belegt, dass in allen verglichenen 12
deutschen Großstädten die Zahl der 24-Stunden Rettungswachen deutlich höher liegt als
in Stuttgart. Genauso verhält es sich mit den Rettungswagen. Auch die Hilfsfristen auf
die in Kapitel 2.3.1. näher eingegangen wird, sind in Stuttgart mit 15 Minuten am
längsten. Zudem gibt es keine Integrierten Leitstellen und die Berufsfeuerwehren sind,
anders als in allen anderen Städten nicht maßgeblich am Rettungsdienst beteiligt (BIR
STUDIE 2004).
Trotz der Errungenschaften der BIR in den vergangenen Jahrzehnten rangiert Stuttgart
im bundesweiten Vergleich, genau wie bei der 30 Jahre zuvor erstellten Studie aus
Bremen, nach wie vor an letzter Stelle.
Die Ergebnisse werden auch von den Stuttgarter Medien aufgegriffen. Selbst die
Bildzeitung berichtet unter dem Titel „Neue Studie! Sind Stuttgarts Retter zu langsam“
(SEILER 2004). Eine Folgeberichterstattung findet jedoch nicht statt.
Erwähnt werden die Zahlen der Studie von 2004 erst wieder als sich aus einem Runden
Tisch heraus im Jahr 2006 das Forum Notfallrettung gründet.
Wie sich das Forum zusammensetzt und welche Funktion es übernommen hat wird im
letzten Teil dieser Arbeit erläutert.
Die geschichtliche Rekonstruktion der Ereignisse um die BI Rettungsdienst endet an
dieser Stelle.
Ein detaillierterer zeitlicher Ablauf der Ereignisse von 2004 bis 2009 kann auf der
Internetseite www.anstagelicht.de unter der Rubrik „Wächterpreis / Wie die
mangelhafte Notfallrettung in die öffentliche Diskussion geriet“ nachgelesen werden.
24

2.3 Aktuelle Situation
Der folgenden Abschnitt setzt sich mit drei Forderungen der Bürgerinitiative
Rettungsdienst auseinander, die unmittelbar zusammenhängen, beziehungsweise sich
aufeinander beziehen. Hier soll es jedoch weniger um chronologische Abläufe gehen,
als vielmehr um die Fakten, die den Rettungsdienst bis zum Beobachtungsabschluss
dieser Arbeit Mitte 2009 bewegen.
Es handelt sich dabei zum einen um die im Städte-Vergleich sehr lang bemessene und
später nicht eingehaltene Hilfsfrist für RTW, die Einführung Integrierter Leitstellen im
Stuttgarter und baden-württembergischen Rettungswesen und das Durchsetzten der
europäischen Notrufnummer 112.
Zum Verständnis werden zunächst die Begrifflichkeiten geklärt, um anschließend die
sich darauf beziehende aktuelle Problematik zu erklären.
2.3.1 Hilfsfristen
„Im Zuge der gesetzlichen Regelung des Rettungswesens in der Bundesrepublik
Deutschland galt es auch, eine Aussage zu den zeitlichen Rahmenbedingungen der
Notfallrettung zu machen. Hierzu wurde in den meisten Landesrettungsdienstgesetzen
der Begriff der Hilfsfrist eingeführt“ (DISTLER 2002, S. 3).
Die Hilfsfrist im Rettungsdienst wird unterschiedlich definiert. In Deutschland sind die
Bundesländer für den Rettungsdienst zuständig und dementsprechend sind die
gesetzlichen Vorgaben zur Hilfsfrist in 16 unterschiedlichen Rettungsdienstgesetzen
geregelt. In der Regel wird die Hilfsfrist oder auch Eintreffzeit nicht ab dem Eintreten
eines Notfalls, sondern erst vom Beginn der Alarmierung des Rettungsmittels in der
Leitstelle bis zum Eintreffen der Hilfe am Notfallort definiert. Das Lexikon
Rettungsdienst von Johannes Becker besagt, dass es sich „hierbei um den Grenzwert für
die in einem Rettungswachbereich spätestens zu leistende Hilfe“ (BECKER 2006, S.
133) handelt.
Allgemein wird als gemeinsame Vorgabe der Länder davon ausgegangen, dass die
25

Hilfsfrist möglichst nicht mehr als zehn Minuten betragen soll und 15 Minuten nicht
überschreiten darf. In dicht besiedeltem Gebiet liegt die vorgeschriebene Hilfsfrist in
der Regel deutlich unter dieser Zeit. Hintergrund ist eine mögliche Störung der
Vitalfunktion nach vier bis sechs Minuten (BECKER 2006, S. 133).
Mit dem Eintreffen der Rettungskräfte am Unfallort endet die Hilfsfrist.
Eine konkrete Hilfsfrist für Baden-Württemberg gibt es in dem Bundesland erst seit
dem Jahr 2001.
Im „Rettungsdienstplan 2000“ 7 wird die Verpflichtung zur Einhaltung einer Hilfsfrist in
der Notfallrettung mit aufgenommen. Die Zeit vom Eingang der Notfallmeldung in der
Leitstelle bis zum Eintreffen der Hilfe am Notfallort soll demnach nicht mehr als 10,
höchstens 15 Minuten betragen. „Die Vorgaben zur Einhaltung der Hilfsfrist sind
erfüllt, wenn sie in 95% aller Einsätze im Zeitraum eines Jahres im gesamten
Rettungsdienstbereich eingehalten wird“ (RETTUNGSDIENSTPLAN BW 2001, S. 8).
Joachim Spohn und seine Bürgerinitiative belegen bereits 2004 mit der „Studie zur
Situation der medizinischen Notfallrettung in Stuttgart“, dass Stuttgart im Vergleich mit
anderen bundesdeutschen Großstädten somit die am längsten ausgelegte Hilfsfrist
besitzt. In Hamburg sind es zum Beispiel nur 5 Minuten (vgl. BIR STUDIE 2004).
Die Vorgabe nicht mehr als 10 Minuten, aber höchstens 15 für das Eintreffen am
Unfallort zu benötigen, wurde so ausgelegt, dass 15 Minuten zur Regel wurden.
Wie die Recherchen des Journalisten Jürgen Bock von den Stuttgarter Nachrichten ab
Februar 2008 belegen wurde jedoch auch diese Zeit in Stuttgart über Jahre nicht
eingehalten.
Bock macht eine Antwort des Ordnungsbürgermeisters Schairer auf eine Anfrage der
Grünen zum Rettungsdienst in Stuttgart öffentlich, in der es heißt, dass die Retter
zwischen Januar und Oktober 2007 im Durchschnitt 18 Minuten bis zum Unfallort
brauchten (vgl. BOCK 2008).
Auf die folgende Berichterstattung der Stuttgarter Nachrichten und die breite Reaktion
der Öffentlichkeit reagiert man zunächst mit der Zusage von zusätzlichen
7 Bestandsaufnahme des Rettungsdienstes mit Leitlinien und Planzielen für eine gleichmäßige rettungsdienstliche
Versorgung.
26

Rettungswagen. Als der Druck größer wird, kommt der Bereichsausschuss 8 am
13.03.2009 zu einer Krisensitzung zusammen. Man fühlt sich gezwungen zu handeln.
Drei Wochen später sind auch die Krankenkassen als Kostenträger bereit, neben einem
zusätzlichen Notarzt einen weiteren RTW zu finanzieren. Außerdem soll ein Gutachten
in Auftrag gegeben werden, welches die gesamte Situation analysiert und bewertet.
Erste Ergebnisse werden für Herbst 2008 erwartet (vgl. BOCK 2008 – 2).
Die Kritik am Rettungsdienst ist über ein Jahr Gegenstand der Berichterstattung.
Maßnahmen, die getroffen werden, sind jedoch nur bedingt erfolgreich.
Das versprochene Gutachten wird zwischenzeitlich auf Juni 2009 verschoben (vgl.
BOCK 2008 - 3).
Eine leichte Entwarnung spiegelt sich erst im Mai 2009 in einem weiteren Bericht
Jürgen Bocks wieder. Unter dem Titel „Notfallrettung hält Hilfsfrist ein“ (BOCK 2009)
stellt er neueste Zahlen des Ordnungsbürgermeisters Schairer vor, die belegen, dass
Rettungswagen und Notärzte in 95% der Fälle in maximal 15 Minuten am Einsatzort
sind.
Das diese 15 Minuten die Ausnahme bilden sollen, dann aber zur Regel wurden, ist von
der BIR bereits kritisiert worden.
Joachim Spohn geht in dem Interview für diese Arbeit jedoch noch einen Schritt weiter.
„Ich muss ihnen zu der Hilfsfrist noch kurz sagen, dass im Rettungsdienstgesetz von
Baden Württemberg steht, dass die Hilfsfrist mit dem Eingang der Notfallmeldung in
der Leitstelle beginnt. Praktiziert wird etwas völlig anderes. Autorisiert durch den
Landesausschuss für den Rettungsdienst.“(SPOHN 2009)
In einem Papier des Landesausschusses Rettungsdienst 9 heißt es: „In BW beginnt die
Hilfsfrist nicht mit der Annahme des Hilfesuchens in der Leitstelle, sondern zu dem
Zeitpunkt, zu dem der Disponent die Erkenntnis gewinnt, dass ein Notfalleinsatz
vorliegt und er mit der Disposition der Rettungsmittel beginnen kann“(LARD 2008).
Spohn erklärt diese Anweisung wie folgt:
Das heißt konkret, es gehen fünf, sechs, sieben Minuten ins Land, die alle nicht in die
8 siehe Kapitel 3.1.3.1
9 siehe Kapitel 3.1.3.1
27

Hilfsfrist mit aufgenommen werden. Auf diese Art und Weise, kann jede Hilfsfrist
eingehalten werden. Wenn sie sich so ein Polster zum manipulieren einbauen, braucht
man über die Einhaltung der Hilfsfrist nicht mehr zu reden“ (SPOHN 2009).
Spohn berichtet außerdem davon, dass Notfälle zunächst als Krankentransporte
eingestuft werden, da es bei ihnen keine vorgeschriebenen Hilfsfristen gibt.
Die Hilfsfrist beginnt erst, wenn ein Rettungswagen frei wird und dieser den
Funkspruch erhält zum Unfallort hinzufahren. Wer soll das kontrollieren.
Wir wissen das nur, seitdem es die Integrierte Leitstelle gibt und dort städtische Beamte
mitarbeiten“(SPOHN 2009).
Dass die Forderung nach Integrierten Leitstellen durch diese Aussage noch eine ganz
andere Bedeutung bekommt, nämlich die der Kontrolle des DRK als Träger des
Rettungsdienstes, muss an dieser Stelle bereits festgehalten werden.
Der eigentliche Grund weshalb die BIR den Aufbau eines integrierten Leitstellen
Systems seit Jahren vorantreibt, ist allerdings ein anderer.
2.3.2 Integrierte Leitstellen
In Integrierten Leitstellen (ILS) werden Rettungsdienst, Feuerwehr und
Katastrophenschutz gemeinsam disponiert. Dies ist sinnvoll, da die
Leitstellendisponenten in gemeinsamer Arbeit flexibel und schnell tätig werden können
(vgl. NÜßEN 2010).
Zusätzlich können Personal- und Technikaufwand verringert und unklare Sachlagen
dadurch vermindert werden, dass Informationen direkt weitergegeben werden.
„Grundsätzlich muss jeder Disponent einer Integrierten Leitstelle für die Erledigung
aller dort anfallenden Aufgaben gerüstet sein. Erforderlich ist eine rettungsdienstliche
und feuerwehrfachliche Ausbildung, da einem eingehenden Notruf nicht von vornherein
anzusehen ist, ob medizinische oder technische Hilfe zu leisten oder ein Brand zu
bekämpfen ist und im Übrigen gemischte Einsätze häufig vorkommen“ (BAYRISCHES
STAATSMINISTERIUM 2003).
28

Die Anforderungen an die Mitarbeiter in den Integrierten Leitstellen erhöhen sich
dadurch, jedoch muss ein gemeldeter Unfall, der bei der Feuerwehr über die Nummer
112 ankommt, nicht mehr an die Rettungsleitstelle der jeweiligen Hilfsorganisation
durchgestellt werden.
Ende 2008 wird ein Großteil der bundesdeutschen Leitstellen als ILS betrieben. Nur in
den südlichen Bundesländern existierten noch 31 reine Rettungsleitstellen die alleine
durch die jeweiligen Hilfeorganisationen betrieben werden. Es lässt sich jedoch auch
dort der Trend weg von kleinen Leitstellen in Trägerschaft einer einzelnen
Hilfeorganisation hin zu ILS erkennen.
Eine flächendeckende Einführung von ILS soll im Wesentlichen bis Ende 2011
abgeschlossen sein. Lediglich in Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern
gibt keinen Planungshorizont für die Umstellung auf ILS (vgl. FRIES 2009, S 22).
Die Stadt Stuttgart hat, wie die Studie der BIR zeigt, Anfang 2004 als einzige
bundesdeutsche Großstadt überhaupt keine ILS (vgl. BIR STUDIE 2004, S 16).
Wie in Kapitel 2.2.4 beschrieben wird, hat der DRK-Vorsitzende von Stuttgart im Jahr
2003 Integrierte Leitstellen kategorisch abgelehnt, obwohl das Rettungsdienstgesetz
Baden-Württemberg in der Fassung von 1998 bereits folgenden Passus enthält:
„In der Regel sind Leitstellen für den Rettungsdienst und die Feuerwehr im integrierten
Betrieb (Integrierte Leitstelle) in gemeinsamer Trägerschaft einzurichten“ (§ 6 Abs. 1,
RDG BW 1998).
In einem Schreiben des Sozialministerium Baden-Württemberg an die BIR vom 5.
Februar 2004 wird die Schaffung einer Integrierten Leitstelle für Stuttgart durchaus
begrüßt.
Wie man mitteilt, ist der „zuständige Bereichsausschuss in den Diskussionsprozess
eingeschaltet und wird voraussichtlich im März des Jahres sein Votum abgeben“
(SMBW 2004).
Die ablehnende Haltung ändert sich erst, als im Bereichsausschuss „ein Zielbeschluss
gegen die starre Haltung des DRK drohte“ (EICHMÜLLER 2004).
29

Lorenz Menz, der heutige Präsident des DRK Baden-Württemberg willigt ein über eine
Weiterentwicklung zum Thema Integrierte Leitstelle zu sprechen. Der Sprecher des
DRK Kreisverbandes Stuttgart Victor Felber rudert jedoch einige Tage später zurück.
„So müsse eine Verhandlungslösung der Tatsache Rechnung tragen, dass das DRK
bisher den Löwenanteil der Einsätze abgewickelt hat“ (EICHMÜLLER 2004).
Übersetzt kann diese Aussage nur bedeuten, dass das DRK weiterhin die Leitung der
ILS behalten will, auch wenn es zusammen mit der Feuerwehr an einem Ort
untergebracht ist.
Weitere zwei Jahre kann das DRK die Gründung einer ILS in Stuttgart verhindern.
Letztendlich wird erst im Frühjahr 2006 die erste Integrierte Leitstelle in Stuttgart
eingeführt, was allerdings im engen Zusammenhang mit der im gleichen Sommer
stattfindenden Fußballweltmeisterschaft zu sehen ist.
In den folgenden Jahren folgen 26 weitere ILS. Bis Mitte 2009 sind damit von den 37
baden-württembergischen Rettungsleitstellen 27 integriert.
Die ablehnende Haltung des DRK gegen die geplante Zusammenlegung von Feuerwehr-
und Rettungsleitstellen hat jedoch vermutlich noch einen weiteren Grund.
Eine Integrierte Leitstelle macht unterschiedliche Notrufnummern sinnlos.
2.3.3 Notrufnummer 112
Im Jahr 1973 wurde in der Bundesrepublik des Notrufsystem 73 eingeführt. Seitdem ist
die Polizei unter dem Notruf 110 zu erreichen.
Gleichzeitig wurde für die Feuerwehr der Feuerwehrruf 112 eingeführt.
In Bundesländern in denen die Feuerwehr auch für den Rettungsdienst zuständig ist,
bedeutet das: 110 Polizei – Alles andere 112 (vgl. BJÖRN STEIGER STIFTUNG
2009).
Der Rettungsdienst in BW hat nach dem 2. Weltkrieg keine Notrufnummer zugewiesen
bekommen. Ursprünglich gab es (und gibt es teilweise auch heute noch) die Version,
30

dass sowohl die 110 als auch die 112 bei der Polizei ankommen, die dann selbst
alarmiert wird und/oder je nach Notfall zu einer Leitstelle entweder von Feuerwehr oder
Rettungsdienst weiter vermittelt.
Das System, das in BW bis vor einigen Jahren zum Standard gehörte, ist das der
Zuständigkeitsbereiche mit getrennten Feuerwehr- und Rettungsleitstellen.
Dort läuft die 110 bei der Polizei und die 112 bei der Feuerwehrleitstelle auf.
Die Rettungsleitstelle konnte direkt nur unter der DRK Nummer 19222 erreicht werden.
In den Jahren bis Anfang der 90er hatte der Rettungsdienst in BW sogar überall eine
andere Nummer. Durch die Bundesnetzagentur wurde dann eine sogenannte intelligente
Rettungsnummer mit der Struktur 19 drei mal X aufgebaut. Diese befand sich allerdings
im Ortsnetz, welches eine Vorwahl beim Anruf nötig macht. Der Vorteil, den man durch
dieser Einführung sah, war, dass die Nummer in der ganzen Bundesrepublik
gleichgeschaltet werden konnte. Man einigte sich auf die 19222 (vgl. TÜTTLEMANN
2009).
Diese ist jedoch keine Notrufnummer. Ein Kriterium dafür ist, dass sie aus allen Netzen
(Festnetz und Handy) ohne Vorwahl wählbar sein muss. Eine Vorwahl ist
kostenpflichtig, was bedeutet, dass die 19222 in öffentlichen Telefonzellen nicht ohne
Zahlungsmittel angerufen werden kann. Eine Anfrage der ver.di Bundesfachgruppe
Feuerwehr bei der Bundesnetzagentur hat ergeben, dass es sich bei der DRK-Nummer
um eine Servicenummer handelt die vergleichbar mit dem Taxi-Ruf 19410 in vielen
Städten ist. Das bedeutet, dass bei einem Anruf aus dem Mobiltelefonnetz zunächst die
zutreffende Vorwahl gewählt werden muss.
Jemandem, der nicht aus BW oder dem entsprechenden Kreis kommt, ist die
entsprechende Vorwahl häufig nicht bekannt.
Anders als bei der 112 ist es außerdem nicht möglich, die Nummer 19222 mit einem
Mobiltelefon ohne SIM-Karte bzw. Guthaben anzurufen, noch lässt sie sich im
Zweifelsfall zurückverfolgen (vgl. ver.di 2008).
1991 wird auf Vorschlag der Europäischen Kommission vom EU-Ministerrat
beschlossen, eine europaeinheitliche Notrufnummer einzuführen. Man einigt sich auf
die 112. Sie gilt in allen Ländern der EU sowie auf Island, in Liechtenstein, Norwegen
31

und der Schweiz. Ihre Umsetzung wird damit bereits Anfang der 90er Jahre in den
einzelnen Mitgliedsländern angestrebt.
Mit einer EU-Richtlinie von 2002 zum Notruf auf nationaler Ebene wird festgelegt, dass
das Gesetz auf Landesebene umgesetzt werden muss.
In Deutschland passiert dies im Telekommunikationsgesetz von 2004 (§ 108 TKG
2004).
Es beinhaltet, dass jedes Land zusätzlich zu der europäischen Nummer 112, nationale
Notrufnummern betreiben darf. Das heißt, die Mitgliedsländer müssen die vorher
betriebenen nicht abschalten und dürfen sie weiter betreiben.
Erst 2009 wird in Deutschland per Gesetz festgelegt, wie die nationalen
Notrufnummern heißen. Man entscheidet sich, die 110 neben der 112 zu behalten. Die
110 war bis zum 18. März 2009 somit keine offizielle Notrufnummer (vgl. BMWI
2009)
Die BIR, die die Umsetzung der europäischen Notrufnummer auch für Baden-
Württemberg fordert, wendet sich Anfang 2007 ans zuständige Sozialministerium.
Hier wird die Forderung nach einer einheitlichen Nummer zunächst übergangen und es
bleibt bei der 112 für die Feuerwehr und der 19222 für den Rettungsdienst (vgl. SPOHN
2009).
Joachim Spohn schreibt daraufhin der EU-Kommission in Brüssel.
Im Antwortschreiben wird ihm geraten Klage einzureichen, damit ein eventuelles
Vertragsverletzungsverfahren eröffnet werden kann. Er tut dies im Mai 2007.
Spohn wird daraufhin zum „safty and security summit“ der European Emergency
Number Assosiation der EU-Kommission eingeladen und erhält am 7. Juni 2007 den
„112Award“ für die beste Bürgerinitiative Europas - "best citizen initiative"
Nur 14 Tage später kommt vom Sozialministerium Baden-Württemberg die
Aufforderung an alle DRK-Verbände, dass überall dort wo es Integrierte Leitstellen gibt
nur noch die 112 benutzt werden darf (vgl. DOKZENTRUM 2009).
Dass die jeweiligen DRK-Verbände diese Anweisung jedoch schlichtweg nicht
umsetzen, schildert Spohn im Interview vom 15.06.2009
32

„Hier in meinem Nachbarkreis, in Göppingen ist die 112 bis heute noch nicht
umgesetzt. Im Landkreis Hohenlohe, das ist nördlich von Heilbronn ist auch nichts
passiert. Ich habe daraufhin dem Landrat geschrieben, der zudem Vorsitzender vom
DRK Kreisverein ist, dass er ab sofort per Anweisung vom Sozialministerium dazu
verpflichtet ist, die 112 umzusetzen. Er antwortete mir, dass das DRK entscheiden
würde, wann das umgesetzt wird. Der Landrat hat also auf einem Briefbogen des
Landratsamtes im Sinne des DRK geantwortet“ (SPOHN 2009).
Joachim Spohn wendet sich daraufhin an die nächst höhere Instanz, das
Regierungspräsidium. Man antwortet ihm, dass der Landrat zwar erneut angeschrieben
wurde, man jedoch keine rechtliche Handhabe besitzt.
Es dauert ein weiteres dreiviertel Jahr, bis die Internetseite von 19222 auf 112
umgestellt ist.
„Auch hier in meinem Landkreis Esslingen musste ich x-mal ans Landratsamt schreiben
bis die 112 endlich umgesetzt wurde.
Im Grunde genommen funktionieren die Verwaltungsebenen nicht. Ohne Brief wäre
nicht passiert. Es kann ja nicht sein, das eine Bürgerinitiative den Notruf umsetzen
muss“ (SPOHN 2009).
Klarheit wird erst mit der bereits erwähnten Festlegung der nationalen Notrufnummern
im März 2009 geschaffen, als die 19222 nicht mit ins Gesetz aufgenommen wird.
Der zusätzlicher Druck aus Brüssel (eine Vertragsstrafe hätte für das Land Baden-
Württemberg hohe Kosten verursacht) veranlasst das Sozialministerium zu einem
radikalen Schritt.
Durch einen Erlass von Sozialministerin Monika Stolz vom 4. Mai 2009 wird
festgelegt, „dass ab sofort in allen Rettungsdienstbereichen nur noch die 112 als
rettungsdienstliche Notrufnummer zu verwenden und zu bewerben ist. Die 19222 darf
nur noch als Rufnummer für den Krankentransport verwendet werden. […] Auf das
Anbringen der 112 auf Rettungsdienstfahrzeugen kann nicht verzichtet werden. Alle
Auftritte in Printmedien und im Internet sind anzupassen“ (STOLZ 2009).
Doch auch dieser eindeutige Erlass wird nicht überall umgesetzt.
33

Zahlreiche Kreisverbände des DRK boykottieren die Anordnung der Ministerin und
selbst die Feuerwehr spricht sich in einigen Orten gegen eine sofortig Umsetzung der
aus. Das lange Zögern durch Politik und DRK würde zu der Situation führen, dass dort,
wo noch keine ILS eingeführt sind, sämtliche Notrufe bei der Feuerwehr auflaufen,
auch wenn diese in der Region noch nicht mit dem Rettungsdienst beauftragt wurde
(vgl. FRIESE 2009).
Da das Landesgesetz jedoch seit 1998 den Aufbau von ILS als Regelfall vorschreibt und
die Rettungsverbände wie erwähnt seit Sommer 2007 über die Umstellung auf die 112
informiert wurden, greifen Joachim Spohn und die BIR zum bewährten Mittel.
Es wird angedroht Schwarze Listen zu führen und Kreisverbände, die die 112 nicht
umsetzten, anzuzeigen (vgl. SCHERTLER 2009).
Konkret wendet sich Spohn in einem Schreiben an das DRK in Heilbronn, welches die
Nummer ebenfalls im Sommer 2009 noch nicht eingerichtet hat.
Öffentlich zeigt sich der DRK-Kreisgeschäftsführer ob der angedrohten Anzeige
gelassen. In einem Statement in der Heilbronner Stimme lässt er verlauten:
„Wir boykottieren die 112 nicht. Es geht darum, was derzeit das Vernünftigste für die
Menschen ist“ (FRIESE 2009).
Dass das Schreiben intern offensichtlich nicht so gelassen gesehen wird, zeigen die
Konsequenzen auf einen einzelnen Mitarbeiter im Rettungsdienst, auf die in Kapitel
4.4.3.1 näher eingegangen wird.
2.4 Wie reagieren die Akteure
Als Hauptakteure in dieser Arbeit können folgende Institution gesehen werden:
Die BIR, das DRK, die Medien, und das politische System.
Die Rekonstruktion der Ereignisse macht deutlich, wie Aktion und Reaktion der
einzelnen Akteure verlaufen.
Eine zusammenfassende Darstellung bietet das Schaubild auf der nächsten Seite.
34

1975
1976
1977
1978
1979
1980
1992
1993
2003
2004
Geschehnisse
Zeitsprung
Studie: RD mangelhaft.
Bürger beschweren sich.
Tod Metzgermeister
Walter Wachter
Feuerwehr und DRK
wollen beide Einsatzleitrechner
anschaffen
BIR
Gründung BI
Droht mit Anzeige
Forderung nach
Dezentralisierung
Droht mit Anzeige
Forderung an DRK zur
Dezentralisierung
Anzeige gegen DRK
Beschaffung eigener RTW
DRK
setzt RTW nicht ein
RTW wird wieder
eingesetzt
ETW Feuerwehr
wird nicht
eingesetzt
DRK setzt
Dezentralisierung
nicht um
RTW wird
wieder eingesetzt
keine Reaktion
keine Reaktion
setzt Dezentralisierung
nicht um
geht auf Kompromiss nicht ein teilweise Umsetzung der
Dezentralisierung
sammelt Unterschriften
fordert ILS
Studie
keine Reaktion
Politk
RB beschließt:
1. mehr RTW;
2. Dezentralisierung
3. Zusammenarbeit m.
Feuerwehr
Gesundheitsbürgermeister
ruft Rettungsbeirat
an.
OB setzt sich persönlich
ein. (Vermeidung eines
Skandals)
lehnt RTW ab
Kompromiss RTW
an Johanniter
Stadt nimmt Wagen an
Stadt will RTW einsparen
RTW bleibt erhalen
keien Reaktion
Stadt will am RD sparen
keine Reaktion
Medien
Folgewirkung
Berichterstattung
breite
Berichterstattung
Berichterstattung
Berichterstattung
Kaum
Berichterstattung
keine
Berichterstattung
Aktion

3 Die Politischen Hintergründe
In diesem Kapitel soll die Intention des DRK geklärt werden, so vehement seine
Monopolstellung im Rettungsdienst zu verteidigen. Dies geschieht unter anderem aus
einen systemtheoretischen Erklärungsansatz heraus. Zusätzlich werden die gesetzlichen
Rahmenbedingungen erläutert und ein kurzer Überblick über das DRK als Institution
gegeben. Des weiteren werden mögliche Politische Verbindungen der Hilfsorganisation
aufgezeigt. Zunächst jedoch soll zum allgemeinem Verständnis ein kurzer Einblick in
den Begriff Rettungsdienst gegeben werden.
3.1 Definition Rettungsdienst
Unter dem Begriff Rettungsdienst versteht man im allgemeinen die „Einrichtung der
organisierten Hilfe im Rahmen der Daseinsfürsorge“ (BECKER 2006, S. 492).
Organisierte Hilfe bedeutet in diesem Fall, dass rund um die Uhr im medizinischen
Notfall von ausgebildeten Rettern mit geeigneten Rettungsmitteln so schnell wie
möglich geholfen wird. In der Bundesrepublik wird der Rettungsdienst durch die
einzelnen Ländergesetze geregelt.
Der Rettungsdienst ist nicht zu verwechseln mit dem Krankentransport, welches Fahrten
für Menschen sind, „die medizinischer Betreuung bedürfen und aufgrund Ihres
Zustandes kein Taxi benutzen können - zum Beispiel, weil sie nur liegend transportiert
werden können“ (DRK 2010).
3.1.1 Gesetzliche Rahmenbedingungen
Das Recht für den Rettungsdienst setzt sich aus verschiedenen Rechtsquellen
zusammen. Vorschriften finden sich sowohl im Bundes- wie auch im Landesrecht.
Dabei sind Öffentliches Recht, Zivilrecht und Strafrecht von Bedeutung. Grundsätzlich
fällt die gesetzliche Regelung des Rettungsdienstes in die Kompetenz der Bundesländer,
denn laut Grundgesetz sind die Länder für Aufgaben der Gefahrenabwehr zuständig und
der Rettungsdienst ist ein zentraler Bestandteil der Gefahrenabwehr ( vgl. Art. 30, 70
36

und 83 GG 1949).
Jedes der 16 Bundesländer verfügt somit über ein eigenes Rettungsdienstgesetz,
welches das Rettungswesen grob regelt. In der Praxis werden unterschiedliche Modelle
genutzt.
Die Gesetzte übertragen die Aufgaben des Rettungsdienstes in der Regel an die
Kommunen, welche entweder Personal und Ausstattung selber bereitstellen oder eigene
Rettungsdienstunternehmen betreiben. In den meisten Fällen sind dies die
Berufsfeuerwehren.
In bestimmten Bundesländern wird der Rettungsdienst an privatrechtliche
Organisationen vergeben. Diese arbeiten meist als gemeinnützige Vereine oder als
gemeinnützige GmbHs (vgl. NüßEN 2010).
3.1.2 Rettungsdienstgesetz Baden-Württemberg
In Norddeutschland und nach der Wende auch im übrigen Ostdeutschland ist der
Rettungsdienst staatliche Aufgabe. Im Süden der Bundesrepublik, in der amerikanischen
Besatzungszone, wurde beschlossen, dass der Rettungsdienst nach dem Zweiten
Weltkrieg nicht zwangsläufig vom Staat geleistet werden muss. Dieser konnte auch
privaten Hilfeorganisationen übertragen werden.
Mittlerweile haben das Saarland, Rheinland-Pfalz und Bayern ihre Gesetzte
dahingehend novelliert, dass der Staat über größere Aufsichtsmöglichkeiten verfügt.
In BW ist der Rettungsdienst keine staatliche Aufgabe, sondern Verhandlungssache
zwischen Krankenkassen und Hilfsorganisationen.
1976 wird gemäß § 5 Abs. 1 des Gesetzes über den Rettungsdienst vom 10.06.1975
durch das baden-württembergische Ministerium für Arbeit, Gesundheit, und
Sozialordnung mit den DRK Landesverbänden Baden-Württemberg und Südbaden
folgende Vereinbarung geschlossen:
„Das DRK führt den Rettungsdienst einschließlich des Krankentransports entsprechend
seiner herkömmlichen Stellung als Sanitätsorganisation mit seinen Gliederungen in
allen Rettungsdienstbereichen des Landes durch“ (IGPR 2010).
37

Die bis heute bestehende Monopolstellung des DRK im Rettungsdienst von BW wird
dadurch erstmals manifestiert.
Im folgenden Kapitel wird zunächst ein kurzer Überblick über das Gesetz in seiner
heutigen Fassung vom 16.Juli 1998 gegeben. Bestimmungen die Berg-, Wasser- und
Luftrettung betreffen, werden außer acht gelassen.
3.1.2.1 Organisation
Das Sozialministerium BW schließt auf Landesebene Vereinbarungen zur Trägerschaft
mit den jeweiligen Rettungsdienstorganisationen. Ein Landesausschuss, dem die
Beratung der wesentlichen Aufgaben des Rettungsdienstgesetz obliegt, wird eingesetzt.
Er erarbeitet zusammen mit dem Sozialministerium den Rettungsdienstplan. Ihm
gehören je 10 Vertreter der Leistungs- (Rettungsdienstorganisationen) und Kostenträger
(Krankenkassen) an, sowie ein Vertreter des Sozialministeriums. Dabei wird die Zahl
der Vertreter der Leistungsträger am Leistungsanteil am Rettungsdienst berücksichtigt.
Dies bedeutet konkret, dass das DRK als Monopolist die größte Anzahl an
stimmberechtigten Vertretern besitzt.
Zusätzlich wird ein Bereichsausschuss gebildet, der auf der Grundlage des
Rettungsdienstplans den Bereichsplan erstellt. Dort wird der Standort der Leitstellen,
die Zahl und Standorte der Rettungswachen sowie die personelle und sächliche
Ausstattung des Rettungsdienstes festgelegt. Die Rechtsaufsicht hat das jeweilige
Landratsamt.
Dem Berichtausschuss gehören eine gleiche Anzahl von stimmberechtigten Vertretern
der Leistungs- und Kostenträger an. Außerdem nehmen je ein Vertreter von Stadt- bzw.
Landkreis, der Feuerwehr, ein Leitender Notarzt und ein Vertreter der Kassenärztlichen
Vereinigung teil. Sie sind nicht stimmberechtigt und haben beratende Funktion (vgl. §1-
5 RDG BW 1998). Die Mehrheit der Vertreter der Kostenträger liegt auch hier beim
DRK.
38

3.1.2.2 Finanzierung
Die Finanzierung des Rettungsdienst ist Verhandlungssache zwischen Krankenkassen
und Hilfsorganisation.
Wer den Rettungsdienst durchführt wird durch öffentliche Mittel gefördert. Dabei
übernimmt das Land Baden-Württemberg 90% der förderungsfähigen Kosten. Der Rest
muss von den Leistungsträgern selbst aufgebracht werden.
Förderungsfähig ist das Errichten von Rettungswachen sowie deren Erstausstattung.
Die Errichtung von Rettungsleitstellen und Rettungsmitteln (RTW usw.) ist dagegen
nicht förderungsfähig (§ 26, Abs.1-2 RDG BW 1998).
3.1.2.3 Reform
Zwar hat sich in der Fassung des Rettungsdienstgesetzes von 1998 die Regelung
geändert, dass mittlerweile auch andere private Hilfsorganisation am Rettungsdienst
beteiligt werden dürfen. Die heutigen Probleme in der Notfallrettung, die die BIR in der
Geschichte öffentlich gemacht hat, ergeben sich zum Teil dennoch aus der bestehenden
Fassung des Gesetzes.
Die BIR hat deshalb im Jahr 2008 ein „Plädoyer für ein integratives
Hilfeleistungsgesetz in Baden-Württemberg“ verfasst, dessen für diese Arbeit
relevanten Themen hier kurz zusammengefasst werden. Die BIR fordert bei einer
möglichen Reform des Gesetztes:
– ein Bekenntnis zur hoheitlichen Vorsorgepflicht in der Gefahrenabwehr und
damit im Rettungswesen.
– die Trägerschaft des Rettungsdienstes in öffentliche Hand, also beim Land, den
Kreisen und Kommunen und dafür
– die Schließung von öffentlich-rechtlichen Verträgen mit den Hilfsorganisation.
– einen gemeinsamen Landesausschuss für Feuerwehr, Rettungsdienst und
Katastrophenschutz.
– die Einrichtung von bereichsübergreifenden Regionalleitstellen (vgl. BIR 2008).
39

Auch die Politik befasst sich daraufhin intensiv mit dem Thema.
Ende März 2009 veröffentlicht das Sozialministerium in BW den Entwurf zur Änderung
des Rettungsdienstgesetzes.
Im nun beginnenden Anhörungsverfahren geben mehrere Verbände, unter anderem die
Gewerkschaft ver.di und das Forum Notfallrettung ihre Stellungnahme zum
Gesetzesentwurf ab (vgl. FN 2009).
Zum Ende des Beobachtungszeitraum dieser Arbeit im Sommer 2009 war eine Reform
des Rettungsdienstgesetzes jedoch noch nicht abgeschlossen.
3.2 Das Deutsche Rote Kreuz
Die Erkenntnisse, die sich aus der Rekonstruktion der Ereignisse ergeben, und der
Zusammenhang zwischen den gesetzlichen Besonderheiten in BW, werden im
folgenden Absatz hinsichtlich des Verhaltens des DRK interpretiert.
Das DRK ist seit seiner Gründung föderalistisch aufgebaut. Jeder Landes- und
Kreisverband in Deutschland hat daher auch seine eigene Geschichte. Selbstverständlich
auch in BW. Zum allgemeinen Überblick werden zunächst jedoch die Anfänge des DRK
und dessen Aufbau im Allgemeinen dargestellt.
3.2.1 DRK Geschichte
Die internationale Rotkreuzbewegung hat ihren Ursprung in der Schlacht von Solferino,
die am 24. Juni 1859 stattfand. Der Genfer Bürger Henry Dunant entwirft, nachdem er
die Kriegsgräuel von über 40000 verwundeten und getöteten Soldaten mit ansehen
musste, einen Plan, der als Kernforderung den Grundsatz der Unantastbarkeit der
verwundeten Soldaten und Ärzte einfordert und die europäischen Staaten auffordert
freiwillige Helfer in Hilfsorganisationen zusammenzufassen (vgl. REISENBERGER
2002, S. 28)
Dunants Plan findet zahlreiche Befürworter und im Oktober 1863 kommt es zur
40

Gründungsversammlung des Internationalen Deutschen Roten Kreuzes in Genf.
In den meisten deutschen Staaten übernehmen zunächst Frauenvereine die Versorgung
der verwundeten im Krieg.
Die erste nationale Rotkreuzgesellschaft gründet sich im November 1863. Es ist der
württembergische Sanitätsverein. 1921 kommt es zum
Zusammenschluss aller deutschen Landesvereine und Landesfrauenvereine zum
Deutschen Roten Kreuz e.V. mit Sitz in Berlin.
Während der Weimarer Republik wird das DRK als „nationale Hilfsgesellschaft“
anerkannt.
Kurz nach der Machtübernahme der Nazis beginnt die Gleichschaltung des DRK (vgl.
DRK 2009) .
Es tritt eine neue Satzung in Kraft, die jüdische Rot-Kreuz-Mitglieder ausschließt und
den Hitlergruß einführt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das DRK durch die Alliierten zunächst aufgelöst.
Aufgrund der miserablen humanitären Lage, gerade im sogenannten Hungerwinter
1946/47, wird die Notwendigkeit von Hilfeorganisation jedoch als unverzichtbar
gesehen. Die Helfer vom DRK sind damals die einzigen, die in der Lage sind, sich der
massiven Problemen anzunehmen (vgl. MÜLER-WERTHMANN 1984, S. 26).
Langsam werden einzelnen Landesverbände des DRK in den Besatzungszonen wieder
zugelassen. Der heutige Bundesverband bildetet sich 1950 (vgl. REISENBERGER
2002, S. 386).
3.2.2 Gliederung und Aufbau
Das DRK besteht in Deutschland aus dem Bundesverband, 19 Landesverbänden, den
Kreis- und Ortsverbänden sowie dem Verband der Schwesternschaften.
In BW gibt es 34 Kreisverbände. Der Bundesverband, der das Oberste Gremium
darstellt, hat seinen Sitz in Berlin und soll nach seinem Selbstverständnis die
Zusammenarbeit seiner Mitgliedsverbände durch zentrale Maßnahmen und einheitliche
Regelungen fördern und für die Einhaltung der Grundsätze und verbandspolitischen
Ziele sorgen (vgl. DRK 2009 -2).
41

2009 gibt es circa 4,1 Millionen Mitglieder und hauptamtliche Mitarbeiter.
Der Rettungsdienst des DRK hat bundesweit ca. 17.500 Mitarbeiter und beschäftigt
1.500 Zivildienstleistende.
Das Deutsche Rote Kreuz finanziert sich zum größten Teil aus Spenden und
Mitgliedsbeiträgen, wovon ein großer Teil zum Beispiel in die Katastrophenhilfe fließt.
Der Rettungsdienst ist dabei explizit ausgenommen, da die Ausgaben dafür
hauptsächlich von den Ländern und den Krankenkassen übernommen werden (vgl.
DRK 2008, S. 42).
3.3 Politische Verbindungen
Nachdem durch die chronologische Aufbereitung der Geschichte der BIR bestimmte
Handlungsweisen des DRK sichtbar gemacht wurden und zudem die gesetzlichen
Rahmenbedingungen geklärt sind, kommt ein weiterer Aspekt hinzu, der es möglich
macht, dass die negativen Strukturen des baden-württembergischen Rettungsdienstes so
lange aufrecht erhalten bleiben konnten.
Patrick Rösing hat in seiner Netzwerkrecherche zum DRK folgendes herausgefunden:
„Die Netzwerkrecherche des DRK hat in erster Linie die Präsenz von Politikern im
Roten Kreuz Baden-Württemberg sichtbar gemacht. Weiterhin ist erkennbar, das an
einigen Schlüsselpositionen innerhalb der Struktur des Landesverbandes Vertreter aus
der Politik vertreten sind“ (RÖSING 2009).
Welche Gegebenheiten sich daraus ergeben können zeigt das nächste Kapitel.
3.3.1 „Filz“
Die Konstellation, dass ein Bürgermeister einer Stadt gleichzeitig DRK Vorsitzender des
Ortsvereins in der gleichen Gemeinde ist, kommt in BW und sicherlich auch in anderen
Regionen der Bundesrepublik häufiger vor.
Es ist davon auszugehen, dass dieser seinen Einfluss auch hinsichtlich der Interessen
des DRK geltend machen wird und mag in kleineren Gemeinden sogar mit dazu
42

eigetragen haben, dass die bestimmte Person gewählt worden ist.
Die Möglichkeit dies zu kritisieren besteht selbstverständlich auch hier.
In diesem Fall jedoch von „Filz“ zu sprechen, vor allem in ländlichen Regionen, wo
durch die geringere Anzahl an engagierten Menschen automatisch verschiedene
„Führungspositionen“ von der selben Person übernommen werden, scheint übertrieben.
Wesentlich kritischer ist die Tatsache zu betrachten, wenn ein Landrat ebenfalls die
Position des DRK-Kreisvorsitzenden innehat.
Auch dies mag in den meisten Teilen Deutschlands kein Problem darstellen. In BW tut
es dies jedoch mit Sicherheit. Wie in Kapitel 3.1.3.1 beschrieben wird, hat das
Landratsamt die Rechtsaufsicht auf den Landesausschuss der Rettungsdienste. Das
würde im genannten Beispiel bedeuten, dass der Leiter der Rechtsaufsichtsbehörde, das
DRK als Hauptträger des Rettungsdienstes, also im Prinzip sich selber, kontrolliert.
Joachim Spohn führt diese Verstrickung wie folgt auf:
„Das DRK hat heute noch, wenn auch nicht mehr so wie früher, einen großen Einfluss.
Im baden-württembergischen Landtag haben 25 Prozent der Abgeordneten der
Regierungspartei CDU eine führende Rolle beim DRK. Zum Beispiel ist der
Landesgeschäftsführer des DRK gleichzeitig Landratsabgeordneter, der
Rettungsdienstleiter des Stuttgarter Roten Kreuzes ist Landtagsabgeordneter und
Mitglied im Sozialausschuss und der baden-württembergische
Landesverbandsvorsitzende des DRK ist der ehemalige parlamentarische Staatssekretär
der CDU gleichzeitig DRK Kreisverbandsvorsitzender von Stuttgart“ (SPOHN 2009).
3.4 Monopolstellung und ihre Auswirkungen
Die Übertragung des Rettungsdienstes in Süddeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg
an die Hilfeorganisationen und die gesetzliche Festschreibung der Übertragung ans Rote
Kreuz 1976 führte wie erwähnt zur Monopolstellung.
Die Folge dessen ist, dass auch sämtliche Leitstellen in BW monopolisiert und in
Trägerschaft des DRK sind. Keine der andere Hilfsorganisationen, sei es Johanniter,
ASB oder Malteser hat in der Geschichte und bis heute eine führende Rolle übernehmen
können. Zwangsläufig ergibt sich aus dieser Tatsache, dass der, der das Monopol einer
43

Leitzentrale inne hat, automatisch auch das Monopol über die Auftragsvergabe besitzt.
Wozu dies führen kann wurde in der Rekonstruktion der Ereignisse ausführlich
beschrieben.
Bis zum Beobachtungsende dieser Arbeit Mitte 2009 sind in BW 27 von 37 Leitstellen
integriert. Das bedeutet, dass 10 noch eigene DRK-Leitstellen sind. Von diesen 27 sind
bis auf 5, wo tatsächlich Feuerwehr und DRK gemeinsam sitzen, die restlichen 22
ausschließlich mit DRK Personal besetzt, welches auch die Feuerwehreinsätze
disponiert (vgl. SPOHN 2009). Der Staat hat dort seine Lenkungsfunktion damit
komplett aus der Hand gegeben und einer privatrechtlich organisierten Organisation
übertragen.
3.5 Allgemeine Kritik
Eine allgemeine Kritik bei einer Hilfsorganisation wie dem DRK zu formulieren scheint
zunächst nicht ganz plausibel. Steht bei ihr doch das Helfen von Bedürftigen im
Vordergrund und in den selbst formulierten Ansprüchen des DRK „menschliches Leiden
unter allen Umständen zu verhüten und zu lindern“ (GRUBER 1985, S 127), an erster
Stelle. Dies ist sicherlich nicht zu kritisieren.
Auch darf bei der Kritik in dieser Arbeit nicht unerwähnt bleiben, dass sie sich im Kern
auf die höheren Verwaltungsebenen und Führungskräfte bezieht bzw. auf das System an
sich. Der einzelne (womöglich) freiwillige Helfer, leistet beim DRK mit Sicherheit
genau so einen guten Job wie der Mitarbeiter bei einer anderen Hilfeorganisation oder
bei der Feuerwehr.
Kritik scheint jedoch gerade bezogen auf die Ergebnisse dieser Arbeit durchaus
angebracht.
Der Gefahr, dass „jeder der, [...], die Methode und die Wirklichkeit des Rot-Kreuz-
Alltags im Krankentransport und Rettungsdienst hinterfragt, [...], sofort als der große
Verächter der noch größeren humanitären Idee disqualifiziert wird“ (MÜLLER-
WERTHMANN 1984, Seite 126), setzt sich der Autor in diesem Fall aus.
Dass das DRK seit Jahren versucht, seine Monopolstellung im Rettungsdienst zu
44

verteidigen, wird in zahlreichen Punkten dieser Arbeit belegt.
Dabei handelt es sich doch eigentlich um eine gemeinnützige Organisation, die sich
zum Wohle der Menschen gegründet hat.
Die Kritik, die von Experten am DRK nach Ende des Zweiten Weltkrieges am
häufigsten erwähnt wird, ist die am stark ausgeprägten föderalen System, welches eine
Lenkung und Kontrolle von Oben nach Unten zum Teil sehr schwer macht.
Dies führte 2009 zu einer Neuorganisation. Mit der „Strategie 2010plus" wurden die
Eingriffsmöglichkeiten von Bundes-, Länder- und Kreisverband neu geregelt.
Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen, dass die Strategie 2010plus (noch) nicht in allen
Punkten greift. Von „Steuerungsfähigkeit des Gesamtverbandes“ kann bei der
Umsetzung der Notrufnummer 112 nicht die Rede sein.
Doch was ist die Intention des DRK, die es seit vielen Jahren so wichtig macht,
zunächst nur eigene Wagen zu Unfällen zu schicken, sich danach vehement gegen die
Einführung von Integrierten Leitstellen zu stellen, um schließlich das Einführen einer
europäischen Notrufnummer zu boykottieren?
Dieser Frage wird im folgenden Kapitel unter einem sytemtheoretischem Ansatz
nachgegangen.
3.5.1 Systemtheorie
Die Prozesse die sich bei vorliegender Thematik abspielen hinsichtlich der
Systemtheorie zu erklären kann diese Arbeit nur verkürzt leisten. Hierzu soll zunächst
ein allgemeiner Überblick über die Theorie gegeben werden.
Bei der Systemtheorie, die häufig soziologischen oder politikwissenschaftlichen
Arbeiten zugrunde liegt, handelt es sich um ein theoretisches Modell, „das die
Gesamtheit der politischen Prozesse und Institutionen als System betrachtet, das
gegenüber seiner so genannten Systemumwelt abgegrenzt ist und mit dieser durch
inputs und outputs, die das System von seiner Umwelt erhält bzw. an sie abgibt, in
45

Beziehung steht“ (LENZ 2001, S. 212).
Die beiden Hauptvertreter der soziologischen Systemtheorie sind Talcott Parson und
später Niklas Luhmann.
Der Fokus bei Parson liegt auf der Beobachtung von Strukturen, die als
Wechselwirkung zwischen den einzelnen Teilen gesehen werden und den Bedingungen,
die ein System für seinen Erhalt benötigt. Man spricht daher von der systemerhaltende
Perspektive.
Luhmanns Weiterentwicklung der soziologischen Systemtheorie sieht die Bildung von
Systemen durch die Grenzziehung zwischen System und Umwelt und geht im seinem
Systembegriff der Frage nach in welchen Verhältnis die Systeme zueinander stehen, wie
sie funktionieren und welche Wandlungsprozesse stattfinden. Luhmann sieht dabei die
Gesellschaft als ein komplexes System von Kommunikationen (vgl. FARZIN 2008, S.
299).
3.5.2 Systemtheorie und das DRK
Legt man dieser Arbeit die aufgeführten Definitionen zu Grunde, sind auch die Akteure
der Rekonstruktion der Ereignisse rund um die mangelhafte Notfallrettung in Baden-
Württemberg als Systeme zu betrachten. Zum einen die BIR als soziale Gruppe, das
DRK als Institution, aber auch das politische System und die Medien.
Fragt man nun nach der Intention des DRK, seine Monopolstellung so vehement zu
verteidigen, kann dies mit der systemerhaltende Perspektive von Parson in Beziehung
gesetzt werden.
Gerhard Müller-Wethmann schreibt in seinem Buch „Konzern der Menschlichkeit“ über
den Fall des verstorbenen Metzgermeisters Walter Wachter, dass das DRK seine Dienste
zum eigenen Ruhm betreibt.
„Lebensrettung auf Teufel komm raus. Auch wenn´s dabei Tote gibt“ (MÜLLER-
WERTHMANN 1984, S. 112).
Als Grund nennt er das positive Image in der Bevölkerung, welches für das DRK
unerlässlich ist um Spenden zu sammeln. Unterstützt wird dieses Image in BW zu
46

einem großen Teil durch den Rettungsdienst, da dieser für jeden sicht- und hörbar auf
den Straßen des Bundeslandes unterwegs ist und damit das positive Bild des helfenden
Retters vermittelt und somit die Spendenbereitschaft erhöht.
„Es geht um Geld, und es geht um Prestige der konkurrierenden Organisationen“
(MÜLLER-WERTHMANN 1984, S 112).
Die Grenzziehung zwischen den Systemen von denen Luhmann spricht wird hiermit
deutlich.
Hinzu kommt, dass von Anfang an zwischen Staat und DRK eine enge Verbindung
besteht, die sich von der Unterstützung des militärischen Sanitätsdienst, auf die
Zusammenarbeit im Gesundheitswesens ausweitete.
Mit der Anerkennung des DRK als nationale Hilfsgesellschaft in der Weimarer Republik
wurde die Sonderstellung des Roten Kreuzes offiziell bestätigt.
„Auf diese Anerkennung gehen auch die bis in die sechziger Jahre anhaltenden
Bestrebungen zurück, gegenüber Konkurrenten auf den verschiedenen Arbeitsfeldern
wie […] Krankentransport, eine privilegierte Stellung einzunehmen“
(REISENBERGER 2002, S. 651)
Diese Bestrebung hält in BW offensichtlich weiterhin an.
Die luhmannsche Systemtheorie besagt zudem, dass sich System nur sehr selten ändern.
Dieses kann nur geschehen, wenn untereinander kommuniziert wird. Die BIR hat dabei
die Rolle eines Kommunikators eingenommen, ohne dessen Hilfe eine Veränderung
niemals stattgefunden hätte.
Wie die Rekonstruktion der Ereignisse zeigt, halten sowohl die Politik und das DRK am
bestehenden System fest.
Auch Eberhard Schif vom Forum Notfallrettung schätzt die Zeit, in der sich etwas
verändern kann, eher langsam ein. Auf die Frage, ob sich durch die im Frühjahr 2009
durchgeführten Wahlen in Stuttgart eine Veränderung rascher einstellen wird, antwortet
er:
„Nein, ich denke kaum, dass das so schnell geht. So einfach ist das nicht. Derjenige der
47

momentan zuständig ist, unterstützt unsere Position eigentlich, auch wenn er Rücksicht
auf seine eigene Partei nehmen muss. Wir können nur Informationen beschaffen, die
sonst nicht so einfach zu beschaffen sind. Bisher hat die Recherche auch ganz gut
funktioniert. Trotzdem hängt es manchmal daran, eine Sache beweisen zu können. Wir
gehen da eher langsamer vor.
Als ich gefragt wurde, ob ich die Sache nach außen hin vertreten will, habe ich dies
unter der Bedingung getan, dass es kein Krawall und keine Tempo-Läufe gibt.
Ich kenne die Bürokratie in Stuttgart ganz gut. Mit Schnellschüssen ist dort nichts zu
erreichen“ (SCHIF 2009).
Die Frage warum ein so negatives System so lange bestand hat, ist aus
politikwissenschaftlicher Sicht damit beantwortet.
Doch welche Antworten ergeben sich aus der Rolle der Medien. Hat die Presse
womöglich ihre Wächterfunktion außer acht gelassen? Und was kann der einfache
Rettungsdienstmitarbeiter tun, um auf die Missstände aufmerksam zu machen?
Folgende Fragestellungen behandelt der letzte Teil dieser Arbeit.
4 Kommunikationswissenschaftliche
Erklärungsansätze
Das 3. Kapitel dieser Arbeit setzt sich mit den kommunikationswissenschaftlichen
Hintergründen um den mangelhaften Rettungsdienst in Baden-Württemberg
auseinander. Hierzu soll zunächst die Art und Weise der Berichterstattung der Medien
anhand einer Inhaltsanalyse beleuchtet werden.
Im 2. Teil des 3. Kapitels wird sich zudem mit dem Thema Whistleblowing
auseinandergesetzt und ein Zusammenhang zwischen der Rolle die das Forum
Notfallrettung einnimmt und dem eigentlichen Begriff hergestellt.
48

4.1 Was wurde berichtet? - Eine Inhaltsanalyse
In Begründung des Axel Springer Preises für Jürgen Bock heißt es, er habe sich „über
mehrere Monate hinweg [...] in sein Thema regelrecht verbissen. Er hat nicht locker
gelassen, auf den Missstand aufmerksam zu machen, bis sich schließlich – und das ist in
der journalistischen Praxis eher die Ausnahme denn die Regel -, Verbesserungen
eingestellt haben. [...] In seiner Arbeit widerspiegeln sich die Tugenden des
Journalismus in idealtypischer Weise und dafür gebührt im der Axel Springer Preis für
junge Journalisten“ (HAHNFELD 2009)
Um der Frage nachzugehen, warum dies vor ihm kein Journalist getan hat, muss
zunächst geklärt werden, wann und in welcher Form sich die Medien in der Geschichte
mit dem Thema überhaupt auseinandergesetzt haben. Hierzu wurde eine Inhaltsanalyse
von Zeitungsartikeln durchgeführt und zunächst 2 Hypothesen aufgestellt, die unter
anderem durch die Aussagen der Interviewpartner bekräftigt werden und die es durch
eine Befragung der einzelnen Journalisten die zum Thema geschrieben haben, zu be-
bzw. widerlegen gilt.
Die Hypothesen lauten:
– Das DRK hat Einfluss auf die Berichterstattung genommen.
– Das Thema war für die jeweiligen Zeitungen nicht ausreichend tagesaktuell und
damit nicht interessant genug.
4.1.1 Methode
Die Inhaltsanalyse ist eine Methode der empirischen Sozialwissenschaften.
So gehört sie zum Beispiel zum Alltag der politikwissenschaftlichen Forschung, da dort
die Auswertung von nicht nummerischen Datenmaterial, wie Experteninterviews,
Dokumenten oder Politiker Reden an der Tagesordnung ist.
Gegenstand der Analyse dieser Arbeit sind Zeitungsartikel, deren Inhalt häufig in
kommunikationswissenschaftlichen Fächern untersucht werden (vgl. KUCKARTZ
49

2006, S 81).
In der Forschung gibt es verschiedene Ansätze den Begriff Inhaltsanalyse zu definieren.
„Die klassische Definition des amerikanischen Forschers Bernard Berelson stammt aus
den fünfziger Jahren und beschreibt die Inhaltsanalyse als reine Forschungstechnik“
(RÖSSLER 2005, S. 18)
Bei inhaltsanalytischen Techniken geht man im allgemeinen von der quantitativen
Auswertung von Texten aus, das heißt, dass es eine Messung der interessierenden
Merkmale geben muss, welches jedoch meist bloß eine simple Zuordnung eines Artikels
anhand einer List von Themen oder wie in diesem Fall die Anordnung einer Aussage zu
einer bestimmten Quelle ist. Diese Messungen erbringen häufig nur Daten von einfacher
Qualität und müssen im späteren Verlauf der Analyse deskriptiv ausgewertet werden.
„Die qualitative Inhaltsanalyse behandelt die auszuwertenden Texte als Material, in
dem Daten enthalten sind. Wenn man eine qualitative Inhaltsanalyse durchführt, dann
entnimmt man den Texten diese Daten, dass heißt, man extrahiert Rohdaten, bereitet
diese Daten auf und wertet sie aus“ (GLÄSER 2006, S. 193).
In der Vorbereitung zur Inhaltsanalyse wird häufig eine Forschungsfrage formuliert, aus
der sich bestimmte Hypothesen aufstellen lassen, auf deren Grundlage das zu
untersuchende Material ausgewählt wird.
Da sich durch Inhaltsanalysen alleine keine Aussagen zur Intention des jeweiligen
Verfassers machen lassen, ist in der Regel eine ergänzende Kommunikatorenbefragung
nötig. Dies setzt jedoch eine Kooperation der Befragten voraus und beinhaltet nicht
selten das Problem der Reaktivität oder der Antwortverweigerung (vgl. RÖSSLER
2005, S. 236).
50

4.1.2 Aufbau
Die zu analysierenden Artikel beginnen zu der Zeit der Anfänge der BI Rettungsdienst
Mitte der 70er Jahre und enden mit den preisgekrönten Artikeln des Journalisten Jürgen
Bock, welche jedoch explizit nicht mehr in die Auswertung mit einfließen.
Für die Analyse wurden über 150 Zeitungsartikel gelesen und tabellarisch ausgewertet.
Da eine Vollerhebung über so einen lange Zeitraum nicht möglich war und außerdem
auch nicht sinnvoll erscheinen würde, wurden mehrere Stichproben aus dem erhobenen
Material gezogen.
Hierzu wurden die Artikel auf folgende Eigenschaften hin beschränkt:
1. Artikel bei denen sich Publikation und Autor (bzw. Kürzel) eindeutig zuteilen
lassen.
2. Artikel in denen die BIR erwähnt wird oder
3. Ihre Mitlieder zu Wort kommen.
4. Kommentare zu der Thematik.
In die Analyse flossen letztendlich 63 Artikel mit ein. Zur Übersicht wurden die Artikel
in openoffice calc eingepflegt und nach Autor, Publikation, Datum und Zeilengröße
sortiert. Außerdem wurde der Inhalt in Stichworten zusammengefasst (siehe Anhang).
Als Quelle dienten zum einen die persönlichen Archive der beteiligten Personen
Tüttelmann und Spohn, sowie das Pressearchiv des Südwestdeutschen Rundfunks und
die Pressedatenbank Lexis Nexis.
51

4.1.3 Auswertung
Die Artikel, die in die Auswertung mit eingeflossen sind, befinden zum überwiegenden
Teil in den Stuttgarter Nachrichten (STN) oder in der Stuttgarter Zeitung (STZ).
32
Abb.2 Häufigkeit der Berichterstattung in den untersuchten Tageszeitungen (Eigene Grafik)
Vergleicht man nur die diese beiden Zeitungen so ist das Verhältnis der
Berichterstattung beider Zeitungen 58% zu 42%.
58%
Menge der Artikel
1 1 1
2
Berichterstattung
in %
2
Abb.3 Vergleich der Häufigkeit der Berichterstattung in Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten (Eigene Grafik)
52
23
42%
Stuttgarter
Nachrichten
Stuttgarter Zeitung
Filder Zeitung
Untertürkheimer
Ztg.
Bild
Quick
Stuttgarter
Depesche
Stuttgarter
Nachrichten
Stuttgarter Zeitung

Der Umfang der Berichterstattung gemessen an der Zeilenanzahl der Artikel ist im
Durchschnitt allerdings bei der STZ größer und liegt bei 66,5 zu 62.
Durchschnitt der Zeilenanzahl
Abb.4 Umfang der gesamten Berichterstattung in Zeilen (Eigene Grafik)
Ordnet man die Artikel zeitlich nach ihrer Menge ein, so wurden die meisten zwischen
1977 und 1981 geschrieben.
20
15
10
5
0
1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010
Abb. 5 Häufigkeit der Berichterstattung im zeitlichen Ablauf (Eigene Grafik)
53
Menge der Artikel

4.1.4 Interpretation
Bevor die oben dargestellten Ergebnisse der Inhaltsanalyse interpretiert werden, soll
zunächst die Meinung des Hauptinitiators der BIR Joachim Spohn zur Rolle der Medien
dargestellt werden:
„Die Medien spielen schon eine große Rolle und mit wichtigen Dingen sind wir immer
an die Presse gegangen. Zum Beispiel mit der Notrufnummer. Da gab es gute Berichte
ohne die manch eine Entscheidung sicher nicht so schnell gefallen wäre. Auf der
anderen Seite ist manchmal auch die Presse machtlos. Dinge über die berichtet wird,
werden mittlerweile ausgesessen. Gerade in der Fachpresse hat es sehr gute Artikel
gegeben, doch es hat keinen berührt. Wenn man sich auf der Seite der Kritisierten so
ein dickes Fell zulegt und man weiß, uns kann nicht passieren, dann reagiert man gar
nicht mehr auf die Presseartikel. Irgendwann läuft sich ein Thema tot. Das ist der
Unterschied zu vor 30 Jahren. Damals schrillten bei einem Artikel noch alle
Alarmglocken. Auf Aktionen von uns kamen ein paar Tage später zahlreiche
Leserbriefe von der Gegenseite. Heute gibt es keine Reaktion mehr. Seit der Studie von
2004 kam gar kein Leserbrief“ (SPOHN 2009).
Auch machen die drei Interviewpartner Spohn, Schif und Tüttelmann
übereinstimmende Aussagen darüber, dass die Stuttgarter Nachrichten sich mehr mit
dem Thema der mangelhaften Notfallrettung in Stuttgart auseinandergesetzt haben als
die Stuttgarter Zeitung.
Es wurde erwähnt, das die STZ dem DRK näher stehen würde, während die STN mehr
auf die Belange der BI eingegangen ist.
„Das stimmt schon das die STN der BI näher stand.“(TÜTTLEMANN 2009)
Der Verlag beider Zeitungen ist die Stuttgarter Zeitung Verlagsgesellschaft die zur Süd -
Westdeutschen Medien Holding GmbH gehört. Im sogenannten „Stuttgarter Modell“,
(getrennte Redaktionen, gemeinsame Vermarktung) beträgt die gemeinsame verkaufte
Auflage im 4. Quartal 2009 zusammen 210.226 (vgl. IVW 2009).
54

Die erste Aussage zur Häufigkeit der Berichterstattung über die Belange der BIR lässt
sich bestätigen. Wie die Grafik 2 zeigt liegt der Anteil der Berichterstattung im
Verhältnis bei 58% zu 42%.
Dies kann jedoch durchaus mit dem Verständnis der beiden Zeitungen
zusammenhängen. Die Stuttgarter Zeitung versteht sich im Gegensatz zu den
Nachrichten als überregionales Blatt: „Die Stuttgarter Zeitung ist eine Regionalzeitung
mit dem Qualitätsanspruch eines überregionalen Titels. Wir sehen uns als Stimme
Baden-Württembergs im Bund“ (MEDIUM MAGAZIN 2008).
Das publizistische Selbstverständnis der Stuttgarter Nachrichten lautet:
„Wir verstehen uns als seriöses, anspruchsvolles Großstadt-und Regionalblatt“
(MEDIUM MAGAZIN 2008)
Der überregionale Anspruch der Stuttgarter Zeitung wird auch dadurch deutlich, dass
wenn sie berichtet, der Umfang der Berichterstattung ausführlicher ist. Hierbei soll
jedoch nochmals darauf aufmerksam gemacht werden, das die Artikel von Jürgen Bock
nicht mehr in die Analyse mit eingeflossen sind.
Dass die STZ dem DRK näher steht lässt sich nicht so einfach belegen.
Um die Intention hinter den untersuchten Artikeln herauszufinden, müssen die
Berichterstatter befragt werden. Um die Meinung eines Journalisten und womöglich
dessen Redaktion zu erfahren lässt sich jedoch noch ein anderer Weg einschlagen.
Meinungen werden in der Presse durch Kommentare verbreitet. In den untersuchten 63
Artikeln fanden sich 7 wieder. 4 von der STZ und 3 von den STN.
Fasst man die Kernaussagen der Kommentare zusammen ergibt sich ein eindeutigeres
Bild. Während beide Zeitungen durchweg das Engagement der Bürgerinitiative loben
und die Arbeit der haupt-und ehrenamtlichen DRK-Mitarbeiter anerkennen, ist der
Tenor bei den Stuttgarter Nachrichten in der Tat eher pro BIR, während man sich bei der
STZ eher kritisch mit den Forderungen der BIR auseinandersetzt.
Um dies zu verdeutlichen werden in Folge jeweils die Kernsätze von 2 Kommentaren
die das gleiche Thema behandeln, dargestellt:
55

Gründung der BIR
STN: „Die Bürgerinitiative hat offenbar in ein Wespennest gestochen“ und „man muss
doch beim Roten Kreuz auch mal zuhören können“ (HARMS 1977).
STZ: „Das Engagement der Mitglieder der Bürgerinitiative ist zwar lobenswert, sie
sollten aber kleinere Brötchen backen“ (BROCK 1977)
Stationierung RTW bei der Feuerwehr
STN: „Die Antwort drängt sich auf, dass man beim DRK noch immer glaubt, die
Feuerwehr wolle über die Hintertür den Rettungsdienst an sich reißen“
(GROSCHUPF 1977).
STZ: Der Personalratsvorsitzender der Berufsfeuerwehr ist, […] ebenso übers Ziel
hinausgeschossenen, wie die Bürgerinitiative Rettungsdienst. Der sichtbarste und leider
sehr traurige Beweis dafür ist die Absicht von DR. Hans Hufnagel, das Amt des DRK
Vorsitzenden aufzugeben“ (CLEMENS 1977).
Dass durch diese Meinungsäußerungen zu Anfangszeiten der BIR bei den Mitgliedern
der Eindruck entstanden sein kann, die STZ würde gegen ihre Anliegen schreiben, ist
dadurch gut nachzuvollziehen.
Joachim Spohn geht mit seiner Meinung zur Berichterstattung zum Thema
Rettungsdienst in den Stuttgarter Medien jedoch noch einen Schritt weiter.
Im Interview macht er auf eine mögliche direkte Einflussnahme des DRK auf die
Medien aufmerksam.
Wie die Auswertung der Inhaltsanalyse zeigt, hat sich der Journalist Peter Groschupf bis
zu den prämierten Artikeln von Jürgen Bock am häufigsten in der Geschichte der
mangelhaften Notfallrettung in Stuttgart mit der Materie befasst (siehe Anhang).
Seine Berichterstattung endete am 26.10.1978 von einem Tag auf den anderen.
Als möglichen Grund sieht Spohn folgendes Ereignis:
„Herr Groschupf hat relativ oft berichtet. Eines Tages kam folgende Situation zustande.
Der damalige Gesundheitsbürgermeister in Stuttgart Dr. Thieringer rief mich, nach
dem schon viel in der Presse gestanden hatte, eines Tages an und lud mich ein unsere
56

Forderungen im Rettungsbeirat vorzutragen. Ich nahm bei mehreren Sitzungen teil.
Dies zog sich ein paar Jahre hin und es wurden Verbesserungen erreicht.
Dann kam es zu einer Sitzung dieses Ausschusses in dem ein Fachmann von außen
eingeladen wurde. Das war der Professor Dr. Ahnefeld vom Uniklinikum Ulm. Dieser
hielt zunächst eine pauschale Rede über rettungsdienstliche Strukturen und hat dann
ganz klar gesagt, dass Stuttgart nicht schlecht ist, aber dass man mehr dezentralisieren
muss. Als ich am nächsten Tag den Artikel darüber von Herrn Groschupf in der Zeitung
gelesen habe, dachte ich, ich war in einer anderen Veranstaltung. Dort stand, dass alles
bestens ist. Ich habe ihn daraufhin angerufen und ihn gefragt, warum er diesen Artikel
geschrieben hat, obwohl er sonst immer sehr objektiv berichtet hat. Da hat er gesagt,
ich musste das schreiben. Und von diesem Zeitpunkt an, war er weg“ (SPOHN 2009).
In der Tat hatte Peter Groschupf bis zu dem Zeitpunkt sehr positiv über die BIR
-Belange geschrieben. Seine Artikel hatten häufig eindeutige Zitate im Titel:
„Der Notrettungswagen steht doch bloß rum“(14.12.1976)
„DRK-Darstellung falsch“(16.12.1976)
„Das Rote Kreuz betreibt Augenwischerei“(28.05.1977)
Der von Spohn erwähnte letzte Artikel trug den Titel:
„Ein funktionierendes Rettungssystem“ (26.10.1978)
An der Situation hatte sich allerdings nichts geändert 10 .
Aufgrund dieses Ereignisses könnte in der Tat darauf geschlossen werden, dass das
DRK Einfluss auf die Berichterstattung genommen hat. Die genau Intention für Peter
Groschupf sich nach seinem letzten Artikel nicht mehr mit dem Thema Rettungsdienst
zu befassen und die Redaktion der Stuttgarter Nachrichten zu verlassen, lässt sich
Anhand der durchgeführten Inhaltsanalyse jedoch nicht feststellen. Nähere Angaben
dazu könnten durch eine direkte Befragung von Peter Groschupf herausgefunden
werden. Der Versuch wird im nächsten Kapitel dargestellt.
10 siehe Kapitel 2.2.2
57

Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse zeigen, dass die Häufigkeit der Berichterstattung in
den vergangenen 35 Jahren eng mit den Aktionen der BI Rettungsdienst
zusammenhängen. Den größten Anklang in den Medien fanden zeitlich gesehen
folgende Themen:
18 Artikel zur Gründung der BI und deren ersten Forderungen RTW zur Feuerwehr und
Dezentralisierung.
6 zur ersten Anzeige gegen das DRK wegen nicht einsetzen des RTW,
22 zum BIR Geschenk RTW an Stadt.
5 nach der Studie der BIR von 2004 und
3 zu Forderungen des Forum Notfallrettung.
Es fällt auf, dass die Berichterstattung im Laufe der Zeit drastisch nachgelassen hat.
Während sich in den Anfängen der BIR intensiv mit dem Thema Rettungsdienst
beschäftigt wurde, ließ das Interesse der Medien zu dem Thema stetig nach. Zwar
wurde 2004 noch über die Studie der BIR berichtet und die Zahlen zwei Jahre später bei
der Gründung des Forum Notfallrettung in den beiden Stuttgarter Publikationen
wiederholt, dennoch folgt bis zu den Recherchen von Jürgen Bock im Jahr 2008 keine
ausführliche Berichterstattung mehr. Warum das so ist kann Anhand einer
Inhaltsanalyse nicht abschließend geklärt werden.
Betrachtet man den Inhalt der Artikel, so fällt auf, dass immer ein bestimmtes
tagesaktuelles Ereignis Auslöser für die Berichterstattung war.
Hinzu kommt ein Aspekt, der durch ein Schreiben des damaligen Chefredakteurs der
Stuttgarter Nachrichten an die BIR bereits 1987 zur Sprache gebracht wird.
Die BIR hatte sich bereits damals über eine ausbleibende Berichterstattung über
Einsätze der Feuerwehr im Rettungsdienst gewundert und an die Zeitung geschrieben.
Als Antwort kam der Hinweis, dass das DRK die Presse immer über Besonderheiten bei
Einsätzen informiert hat, also schlichtweg die bessere Öffentlichkeitsarbeit gemacht hat
(BIENZLE 1987).
Als Antwort auf die Frage, warum nach der Studie der BIR von 2004 nicht direkt breit
berichtet wurde, bleibt die Erkenntnis, dass zwar die mit Abstand längste Hilfsfrist in
der Bundesrepublik bemängelt wird, diese allerdings immer Gesetzeskonform waren.
58

Erst als Jürgen Bock mit der Veröffentlichung der internen Antwort des
Gesundheitsbürgermeister Stuttgart einen klaren Gesetzesverstoß aufdeckt und mit der
nicht Umsetzung der europäischen Notrufnummer einen tagesaktuellen Aspekt aufgreift
kommt der Stein ins rollen.
Die zweite These zur Tagesaktualität würde sich anhand dieser Tatsache bestätigen.
Auch Eberhard Schif vom Forum Notfallrettung schätzt die Situation ähnlich ein:
„Für die Presse war das ganze ziemlich uninteressant. Die Journalisten wollten davon
nichts wissen. Sie dachten wohl, da treten ein paar „Spinner“ an, denen es nur um
Randale geht. Man musste sich schon mit guter Recherche durchsetzen.
Zum Glück haben wir mittlerweile ein paar Mitstreiter in der Politik, von denen einige
sogar im Stuttgarter Rathaus sitzen und das Interesse des Bürgers im Auge haben. Nur
dadurch kann sich etwas ändern (SCHIF 2009).
4.2 Befragung der Journalisten
Um die dargestellten Hypothesen zu be- oder widerlegen, wurde versucht, die
Berichterstatter zu kontaktieren.
Dabei wurden diejenigen Journalisten ausgewählt, die 2 oder mehr Artikel zu der
Thematik geschrieben haben, also an einer Folgeberichterstattung beteiligt waren und
die 4 Berichterstatter, die sich nach der Studie der BIR von 2004 mit dem Thema
beschäftigt haben.
Nach Auswertung der Inhaltsanalyse handelt es sich hierbei um 12 Journalisten.
Um herauszufinden, mit welcher Intention über das Thema Rettungsdienst berichtet
wurde und weshalb in bestimmten Fällen keine Folgeberichterstattung statt fand, wurde
ein kurzer Fragebogen erstellt. Zunächst wurden 3 allgemeine Fragen abdeckt, um
danach direkt auf die Intention der Befragten hinzuleiten.
Erzählanregungen sollen längere Beschreibungen oder Erklärungen auslösen, während
Detailfragen zu kurzen Antworten führen sollen. Wenn erstere als Frage formuliert
werden, dann meistens mit den Fragepronomen „wie“, „warum/weshalb“, „wodurch“,
„wozu“ usw. eingeleitet“ (GLÄSER 2006, S. 123).
59

Die Fragestellung an die Journalisten lautete demnach wie folgt:
− Wie sind Sie auf das Thema aufmerksam geworden?
− Kannten Sie die Bürgerinitiative Rettungsdienst schon vor Ihrer
Berichterstattung?
− Wie war die Auskunftsbereitschaft der einzelnen Akteure?
(DRK, Bürgerinitiative Rettungsdienst, Politik)
− Warum haben sie berichtet?
− Hatte Sie vor weitere Artikel zu schreiben?
Ja, weil … / Nein, weil ...
4.2.1 Ergebnisse
Wie in der Beschreibung der Methode erläutert wurde kann die Problematik der
Kommunikatorenbefragung die Aussageverweigerung sein.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Artikel, die in der Inhaltsanalyse bewertet wurden,
3 bis 35 Jahre zurückliegen.
Um mit den Journalisten in Kontakt zu treten wurde zunächst eine Internetrecherche mit
Namen und Redaktion der gesuchten Person durchgeführt. Führte dies nicht zum Erfolg,
setzt sich der Autor dieser Arbeit direkt mit den Redaktionen in Verbindung.
Wenn die Journalisten nicht mehr in den Redaktionen tätig waren und auch keine
Aussage von Kollegen zu einem möglichen neuen Arbeitsplatz oder der Pensionierung
gemacht werden konnte, wurden außerdem die Landesabteilungen der beiden großen
Journalistenverbände DJV und ver.di kontaktiert.
Letztendlich konnte mit 6 Journalisten Kontakt aufgenommen werden, von denen drei
antworteten.
Zwei arbeiten bei den STN und einer bei der STZ. Es handelt sich bei ihnen um
Personen die nach der Studie der BIR von 2004 über den Rettungsdienst berichtet
haben. Peter Groschupf konnte nicht ausfindig gemacht werden.
Das Problem, dass die Artikel zum Teil sehr weit zurück liegen spiegelte sich in der
Aussage des Journalisten von der STZ wieder:
„Sorry, aber die Geschichte liegt Ewigkeiten zurück und dieser Themenbereich hat
60

damals nur ganz zufällig meine Arbeit berührt.
Da in der Zwischenzeit zu viel Wasser diverse Flüsse hinunter geflossen ist, kann ich
Ihnen leider die Fragen nicht mehr seriös beantworten – schlicht, weil ich mich nicht
mehr daran erinnere“
Die Antworten der STN Mitarbeiter lauteten wie folgt:
„Nach meiner Erinnerung wandte sich damals die BI direkt an unsere Zeitung.
Ich kannte die BI zuvor nicht und traf mich mit ihren Vertretern. Die hatten, nach
meiner Erinnerung, ein umfangreiches Arbeitspapier dabei. Die Auskunftsbereitschaft
der anderen Beteiligten war soweit ok“.
Und:
„Seit 1988 bin ich als Polizeireporter auch mit dem Thema Feuerwehr und
Rettungsdienst beschäftigt. Dabei kam und kommt es immer wieder zu Einzelfällen, bei
denen die (zu späten) Einsatzzeiten und die Organisation des Rettungsdienstes eine
Rolle spielen.
Mit der Bürgerinitiative Rettungsdienst bin ich schon seit vielen Jahren in Kontakt.
Unter anderem ging es um den einheitlichen Notruf 112 statt dem in Stuttgart üblichen
0711/19222.
Die Auskunftsbereitschaft ist hoch. Naturgemäß muss man bohren und Vorhalte
machen, um je nach Interessenlage Unerwähntes an die Oberfläche zu holen.
Die Berichterstattung wird fortgesetzt - bei Tageszeitungen muss es auch immer um
Nachhaltigkeit gehen. Derzeit beschäftigen wir uns besonders mit dem Thema
Einsatzzeiten bei der Polizei.“
4.3 Abschließende Zusammenfassung
Die Frage ob die Medien ihrer Wächterfunktion tatsächlich nicht gerecht geworden
sind, lässt sich anhand der Inhaltsanalyse und der in Folge durchgeführten
Kommunikatiorenbefragung nicht eindeutig beantworten.
So fand zum einen in der Geschichte der BIR immer eine ausführliche Berichterstattung
zu den wesentlichen Themen statt, diese ließ jedoch mit der Zeit stark nach. Dass sich
das Thema, wie Joachim Spohn beschreibt womöglich „tot gelaufen“ hat wird mit der
61

umfassenden Berichterstattung Jürgens Bocks im Frühjahr 2008 widerlegt. Jedoch
findet diese hauptsächlich in nur einer Zeitung statt. Ein Erklärungsansatz dafür, dass es
nach der umfassenden Studie der BIR 4 Jahre gedauert, bis die Medien überhaupt
berichtet haben, lässt sich demnach nur damit erklären, dass einen konkreten Anlass aus
der Politik brauchte, damit die Medien berichteten. Die Studie der BIR reichte
offensichtlich dafür nicht aus.
4.4 Whistleblowing und das Forum Notfallrettung
Die politikwissenschaftlichen Erklärungsansätze und die Rolle der Medien wurden bis
zu diesem Abschnitt eingehend behandelt. Bleibt die Frage nach den Menschen, die
täglich im Rettungsdienst arbeiten und von daher am besten mit den Missständen in der
baden-württembergischen Notfallrettung vertraut sein müssten.
Es es nicht anzunehmen, dass Menschen, die ihren Beruf deswegen gewählt haben um
anderen zu helfen damit einverstanden sind, wenn lebensnotwendige Hilfsfristen nicht
eingehalten werden. Warum sie sich womöglich nicht äußern und wie das Forum
Notfallrettung ihnen im Zweifel dabei helfen kann, wird im letzten Abschnitt dieser
Arbeit erläutert.
4.4.1 Das Forum
Das Forum, welches sich mit vollen Namen Forum Notfallrettung in Stuttgart nennt,
existiert seit dem Jahr 2006.
Damals setzen sich mehrere engagierte Menschen von Feuerwehr und
Hilfsorganisationen, sowie Notärzte oder sonstige Fachleute die mit der Rettung von
Menschen zu tun haben zusammen, um sich über die Schwachstellen des Stuttgarter
Rettungsdienstes auszutauschen. Auslöser waren die Ergebnisse der Studie der BI im
Jahr 2004. Sie gründen ein Forum deren Mitglieder jedoch nicht alle
“Rettungsdienstler“ sind, sondern aus den unterschiedlichsten Berufen kommen
(vgl. FN 2009 – 2).
62

„Neben dem Arzt, dem Rettungsassistent, dem Feuerwehrmann, ist es daher eben auch
der Pädagoge und der Kaufmann, der sich in diesem Rahmen für die Verbesserung der
rettungsdienstlichen Versorgung Stuttgarts Bürger und Gäste engagiert (FN 2009 – 2).
Welchen weiteren Nutzen die Mitgliedschaft von nicht direkt im Rettungsdienst tätigen
Personen hat, wird im folgenden Kapitel deutlich.
Ziel des Forums ist es die rettungsdienstlichen Strukturen und die dazugehörigen
Regelungen auf Landes- bzw. städtischer Ebene positiv zu beeinflussen.
Ähnlich zu denen der BIR werden folgende konkrete Ziele verfolgt:
− Trägerschaft des Rettungsdienstes bei Stadt- und Landkreisen Ausbau der ILS-
Struktur,
− Klare Definition der Hilfsfrist,
− Festlegung der Hilfsfrist auf bundesdeutsches Niveau,
− Flächendeckende Einführung der Notrufnummer 112,
− Qualitätssicherung durch Ärztlichen Leiter Rettungsdienst und
− Finanzielle Ausstattung der Hilfsorganisationen, die diesen eine tarifgemäße
Bezahlung der Mitarbeiter/innen ermöglicht (vgl. FN 2009 – 3).
Eberhard Schif, ein Mitarbeiter der Stuttgarter Verkehrsbetriebe, der auf Grund
persönlicher Kontakte ebenfalls beim Forum Notfallrettung mitarbeitet, wurde bei der
Gründung zum Sprecher gewählt. Er übernahm damit die Aufgabe, Ziele des Forums
nach außen hin zu vertreten.
63

4.4.2 Whistleblowing
Eine Begriffsbestimmung für den Ausdruck Whistleblowing im deutschsprachigen
Raum zu finden ist nicht ganz einfach, da es für den Begriff noch keine
allgemeingültige Definition gibt. Weder in der hiesigen Literatur noch als
Legaldefinition (vgl. LEHNE 2009, S. 39).
So beziehen sich die meisten Fachbücher zu dem Thema die für die Arbeit
herangezogen worden sind auf einen Aufsatz von Dieter Deiseroth, Richter am
Bundesverwaltungsgericht 11 .
Der Begriff selbst stammt aus dem angelsächsischen und bedeutet wörtlich übersetzt
soviel wie die „Pfeife blasen“. Etwas freier kann auch mit dem Wort verpfeifen oder
dem Begriff Alarmschlagen übersetzt werden. Wobei sich in diesen beiden
Übersetzungen bereits die unterschiedlichen Sichtweisen auf den Begriff
Whistleblowing widerspiegeln - eine positive und eine negative.
In den USA gehört das Wort Whistleblowing zum allgemeinen Sprachgebrauch.
Nach Bettina Schmitt umfasst der Begriff „kritische Äußerungen, Beschwerden oder
Anzeigen von abhängig Beschäftigen über Missstände oder Fehlverhalten in ihrem
Unternehmen bzw. ihrer Behörde gegenüber betriebsinternen Stellen, staatlichen
Stellen, der Presse oder sonstigen Dritten“ (SCHMITT 2003, S.1).
Während Schmitt in Erwägung zieht, „der anzeigende Arbeitnehmer verfüge als
Denunziant über mangelnde Moral, da er zu uneingeschrängter Loyalität gegenüber
seinem Arbeitgeber verpflichtet ist“ SCHMIT 2003, S. 2),
erklärt Martin Lehne, dass die Begriffe Mobbing, Boykott oder Denunziantentum streng
von dem Begriff Whistleblowing zu trennen sind (vgl. LEHNE 2009, S. 41).
Im allgemeinen wird der Begriff des Whistleblowings nach 4 Arten differenziert:
1. Anonymes Whistleblowing, bei dem der Whistleblower auf einen Missstand
aufmerksam macht, ohne dabei seine Identität preiszugeben und damit vor
arbeitsrechtlichen Konsequenzen geschützt bleibt.
11 siehe DEISEROTH 2001
64

2. Offenes Whistleblowing, in dem sich der Whistleblower zu erkennen gibt und
dadurch im Zweifelsfall seine Glaubwürdigkeit verstärken kann und das
Aufdecken eines Missstandes nicht für einen anonymen Racheakt gehalten wird.
3. Internes Whistleblowing, bei dem sich der Whistleblower an eine vom
Arbeitgeber eingerichtete Anlaufstelle wendet (Betriebsrat, Revision oder
Personalabteilung) und Probleme so innerhalb des jeweiligen Unternehmens
gelöst werden können. Hierzu gehört auch die mögliche Einsetzung eines
Ombudsmannes 12 .
4. Externes Whistleblowing, um Druck von außerhalb auf ein Unternehmen
auszuüben, dass den Missstand womöglich zu vertuschen versucht.
Anlaufstellen können hierbei die Medien, Behörden, die Staatsanwaltschat und
Interessenverbände sein (vgl. MENZER 2006, S. 6-7).
Der Kölner Verein Whistleblower Netzwerk hat sich „die Förderung von
Whistleblowing und Whistleblowern und des offenen Dialogs als
Grundvoraussetzungen eines demokratischen Gemeinwesens“ (WHISTLEBLOWER
NETZWERK 2007)
Die dort vertretene Definiton für Whistleblower lautet:
„Eine Person oder Gruppe von Personen (Absender = Whistleblower) die in einer
besonderen Beziehung zu einer Organisation steht (insbesondere einer
Arbeitsbeziehung) und die über spezifische, d.h. nicht allgemein bekannte oder
bewusste, Informationen verfügt oder zu verfügen glaubt die sich beziehen auf einen
tatsächlichen oder vermeintlichen Missstand, ein Risiko oder eine Gefahr innerhalb
oder mit engem Bezug zu der Organisation gibt diese Information weiter (offen,
vertraulich oder anonym, direkt oder über Dritte) an eine Person oder Gruppe
(Adressat) innerhalb oder außerhalb der Organisation (Unterscheidung internes-
externes Whistleblowing) von der sie sich erhofft, dass diese hinsichtlich des
Missstandes, Risikos oder der Gefahr aufklärend oder bekämpfend tätig werden kann
12 Erfüllt die Aufgabe eines unparteiischen Schiedsmannes.
65

(WHISTLEBLOWER NETZWERK 2009)
Auf der Vereinshomepage heißt es weiter, dass das Bewusstsein um die Bedeutung von
Whistleblowing in Deutschland zwar zunimmt, „bei uns sind Whistleblower aber
zumeist immer noch auf sich alleine gestellt. Oft erfahren sie weder persönliche
Unterstützung noch gesellschaftliche Anerkennung. Wer den Mund aufmacht riskiert
Ausgrenzung und Mobbing durch Vorgesetzte und Kollegen und mangels klarer und
umsetzbarer rechtlicher Regeln oft auch die berufliche Existenz“(WHISTLEBLOWER
NETZWERK 2009 – 2).
Eva Buchhorn betitelt einen Artikel für das Manager Magazin über die Behandlung von
Whistleblowern sogar mit den Worten „Selbstmord auf Raten“.
Sie beschreibt die Geschichte eines ehemaligen Finanzgeschäftsführers einer deutschen
Unternehmensgruppe der Transportbranche der seinem Vorstand berichtet, wie ein
Kollege mit dem Geld der Firma über Monate hinweg seine Geliebte finanziert. Als
Finanzchef ist er der festen Überzeugung, dass es zu seinen Pflichten gehört, den Betrug
an der Firma zu verhindern.
Stattdessen präsentiert ein eingesetzter Revisor der Firma wenig später einen
zurückdatierten Beratervertrag der Freundin, demzufolge sie bereits seit zwei Jahren
konsultierend für die Firma tätig sei. Ihm rät man an seiner Einstellung zu arbeiten.
Von diesem Punkt an halten sich Kollegen von ihm fern und nach einem Urlaub wird er
nicht mehr zu seinem Schreibtisch vorgelassen. Vom Hausjuristen erhält er wenig später
die Kündigung und man lässt ihn unter Aufsicht sein Büro räumen (vgl BUCHHORN
2008, S. 124).
Das solche Praktiken, wenn auch in abgemilderter Form, ebenso in baden-
württembergischen Hilfsorganisationen vorkommen, zeigt ein praktisches Beispiel in
Kapitel 4.4.3.1. Zunächst wird jedoch die Rolle des Forum Notfallrettung hinsichtlich
der Thematik Whistleblowing beschrieben.
66

4.4.3 Whistleblowing beim Rettungdienst in BW
Auch im Fall der mangelhaften Notfallrettung in Baden-Württemberg, kann ein
Zusammenhang zum Themenbegriff Whistleblowing hergestellt werden.
Geht man von der allgemeinen Definition aus, so kann man im weitesten Sinne die BIR
als eine Art Whistleblower bezeichnen. Zwar handelt es sich bei ihr nicht um eine
Person in einem Unternehmen die bestimmte Konsequenzen fürchten muss. Dennoch
deckt sie über Jahre hinweg die Missstände im baden-württembergischen
Rettungsdienst auf und macht insbesondere die Praktiken des Unternehmens DRK
öffentlich.
Einen konkreten Bezug zum Thema Whistleblowing lässt sich vor allem an der Rolle
des Forum Notfallrettung herstellen. Hier haben die zwei Komponenten des anonymen
und des externen Whistleblowings eine zentrale Bedeutung.
Das Forum Notfallrettung fungiert hierbei als externe Anlaufstelle von Mitarbeitern aus
dem Rettungsdienst, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Probleme anzusprechen
und mögliche Missstände aufzudecken und vor allem diese letztendlich zu beseitigen.
Dadurch das Eberhard Schif als Sprecher des Forums nach außen agiert, ist außerdem
die Art des anonymen Whistleblowings sichergestellt. Als Mitarbeiter der Stuttgarter
Verkehrsbetriebe kann ihn weder das DRK noch eine andere Institution unter Druck
setzen.
Das dies an anderer Stelle tatsächlich versucht wird zeigt ein Fallbeispiel im folgenden
Kapitel.
4.4.3.1 „Methoden der Personalführung“
Der beschriebenen Fall trägt sich zu selben Zeit zu, während sich der Autor dieser
Arbeit zur Recherche in Baden-Württemberg aufhält.
Auslöser ist ein Brief der BIR und ein Artikel in der Heilbronner Stimme vom
19.06.2009 der sich mit der Einführung der Europäischen Notrufnummer befasst und
67

die nicht Umsetzung der 112 anprangert 13 .
Nachdem das Schreiben bei den Hilfsorganisationen angekommen ist, meldet sich ein
Rettungsdienstmitarbeiter der gelegentlich an den Treffen des Forum Notfallrettung
teilnimmt bei Eberhardt Schif.
Im Zuge der Recherche ist es dem Autor dieser Arbeit ebenfalls möglich an einem
Telefongespräch mit der betroffenen Person teilzunehmen.
Um sie zu schützen, kann die Rettungsdienstorganisationen an dieser Stelle nicht
genannt werden, es muss jedoch nach der Gesamtbetrachtung dieser Arbeit erwähnt
werden, dass es sich nicht um das DRK handelt.
Die Person berichtet, es hätte während ihrer Arbeitszeit große Aufregung geherrscht.
Schließlich sei sie zu ihrem direkten Vorgesetzten zitiert worden und dort wäre die
versteckte Drohung ausgesprochen worden, dass, wenn sie noch länger im Forum
Notfallrettung aktiv mit arbeitete und weiterhin „solche“ Briefe von der BIR
geschrieben würden, sie zum Gespräch beim Gesamtgeschäftsführer eingeladen werden
würde.
Im gleichen Satz wird mitgeteilt, dass dieser bekannt sei für seine restriktive Haltung
gegenüber Mitarbeitern.
„Er wäre bekannt für seine rüden Methoden in der Personalführung.“
Der Rettungsdienstmitarbeiter ist niemals in der BIR tätig gewesen. Sein „Vergehen“
besteht darin, ab und an an den Treffen des Forums Notfallrettung teilzunehmen. Auch
hat, wie im Artikel beschrieben nicht das Forum Notfallrettung mit einer Anzeige
gedroht, sondern die BIR. Es soll hier nochmals erwähnt werden, dass es sich dabei um
zwei unterschiedliche Organisationen handelt.
Eberhard Schif schätzt die Situation nach dem Telefonat wie folgt ein:
„Da wird versucht Leute mundtot zu machen, die nichts anderes machen als jeder
Fußballstammtisch auch, nämlich sich über ein Thema zu unterhalten.“
13 siehe Kapitel 1.3.3
68

Die gute Vernetzung des Forums zahlt sich in diesem Fall aus. Schif kontaktiert eine
Gewerkschaftsvertreterin, die direkte Ratschläge zum weiteren Vorgehen geben kann.
Er glaubt allerdings nicht, dass die bedrohte Person weiterhin an den Treffen des
Forums teilnimmt.
„Klar können die einem das Leben schwer machen, es ist nicht jedermanns Sache Held
zu spielen“ (SCHIF 2009).
Der Fall zeigt auf, warum sich der einfache Rettungsdienstmitarbeiter im Zweifelsfall
nicht traut, auf Missstände aufmerksam zu machen. Es wird der Schwächste in der Kette
ausgesucht, also die Person die die tägliche Arbeit auf der Straße leistet und mit
Kündigung gedroht. Und selbstverständlich kann durch die enge Vernetzung dafür
gesorgt werden, dass ein „aufsässiger“ Mitarbeiter bei keiner anderen
Hilfsorganisationen in der Region einen Job bekommt.
Das Fehlverhalten wird grundsätzlich auf der anderen Seite gesucht, erläutert Schif.
„Der einzelne Mitarbeiter kann nichts anderes machen als Informationen darüber
weiter zu geben, wie die Grundstimmung ist und wie die handelnden Personen
entscheiden.“
Genau dafür bietet das Forum Notfallrettung eine wichtige Schnittstelle.
Auch wenn sich dieser Vorfall nicht beim DRK zugetragen hat, so besteht Grund zur
Annahme, dass auch hier eine ähnliche Interessenlage vorherrscht.
Das DRK verteidigt die bestehenden Strukturen und der Rest ist abhängig und arbeitet
deswegen offensichtlich eng mit ihm zusammen.
Warum ausgerechnet diese bestimmte Hilfsorganisation gegen ihren eigenen Mitarbeiter
vorging, dafür hat Eberhard Schif nur eine Erklärung:
„Vielleicht gibt es dort eine spezielle Connection. Das ist alles so verfilzt hier“
(SCHIF 2009)
69

5 Fazit und Ausblick
In jüngerer Geschichte führte die Monopolstellung des DRK dazu, dass Hilfsfristen
jahrelang nicht eingehalten wurden oder wie bis heute eine einheitliche Nummer für den
Rettungsdienst sabotiert wird.
Eine flächendeckende Einführung von ILS soll im Wesentlichen bis Ende 2011
abgeschlossen sein. Lediglich in Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern
gibt keinen Planungshorizont für die Umstellung auf ILS.
Dass dies in Baden-Württemberg mit der Verweigerung des Systems durch das DRK
zusammenhängt ist naheliegend.
So lange das Rettungsdienstgesetz so ausgelegt ist wie heute, braucht das DRK im
Prinzip keine ernsthaften Konsequenzen befürchten. Im Prinzip entscheiden
Krankenkassen und Hilfsorganisation alleine. Zwar hat im Bereichsausschuss das
Landratsamt die Rechtsaufsicht, solange dort allerdings auch DRK Leute sitzen, ist das
Monopol weiterhin auf lange Zeit gesichert.
Mittlerweile wird auf fast allen Webseiten der 34 Kreisvereine des DRK in BW die 112
als Notrufnummer beworben. Nur das DRK in Karlsruhe wehrt sich weiterhin. Die
Homepage des Kreisverein Karlsruhe wird bis heute (Stand 20.02.2010) mit der
Nummer 19222 beworben (siehe DRK KARLSRUHE 2010).
Der anfängliche Gedanke, durch die Privatisierung des Rettungsdienstes Kosten zu
sparen, mag nachvollziehbar sein. Wenn es allerdings um das Retten von
Menschenleben geht, wurde hier mit Sicherheit an der falschen Stelle gespart.
Genau das ist es aber was immer wieder, auch in der Rekonstruktion der Ereignisse
auffällt. Das Argument von zu hohen Kosten wird immer wieder gebracht. Sei es von
Seiten der Politik oder von Seiten des DRK. Die allseits bekannte schwäbische
Sparmentalität macht hier auch nicht vor der Rettung von Menschen halt.
Das weiteren entsteht der Eindruck, dass wenn es mal nicht um Geld geht, dann geht es
zumindest um Macht. Anders ist manche Aussage von Seiten der Politik bzw. von
Seiten mancher DRK-Spitzen nicht zu verstehen. Der Einflussbereich soll gesichert
70

leiben. Auch in scheinbar banalen Strukturen wie den Rettungsleitstellen.
Hinzu kommt das Problem des Filzes, welches über Jahre aus der Geschichte heraus
gewachsen ist.
Unter der Prämisse der Spendenbereitschaft der Bevölkerung ist der Kampf des DRK
um die Monopolstellung im Rettungsdienst zwar gewissermaßen nachzuvollziehen, da
es jedoch um die Rettung von Menschen geht, unter keinen Umständen gut zu heißen.
Zumal der Rettungsdienst nicht aus Spenden finanziert wird.
Wie diese Arbeit zeigt, waren grundsätzliche Veränderungen zum einen dadurch
möglich, dass die BIR konsequent ihre Forderungen öffentlich gemacht hat und zum
anderen dann, wenn die Medien intensiv berichtet haben.
Anfang November 2009 wurde das Änderungsgesetz zum Rettungsdienstgesetz des
Landes Baden Württemberg im Landtag in nicht öffentlicher Lesung beschlossen.
Die Zuständigkeiten des Bereichsausschusses wurden neu geregelt und die Umsetzung
der 112 wurden fest ins Gesetz geschrieben. An der Tatsache, dass der Rettungsdienst
weiterhin keine öffentliche Aufgabe ist, wird sich jedoch voraussichtlich nicht so
schnell etwas ändern.
Wie es im Jahrbuch 2008 des DRK heißt, hat es als eine der ersten Non-Profit-
Organisationen im Februar 2008 eine Ombudsstelle eingerichtet, um einen
unabhängiger Ansprechpartner für Mitarbeiter des DRK-Generalsekretariats, sowie der
Gremien des DRK Bundesverbandes zu haben, der jeden Hinweis gezielt verfolgt und
bereits durch das Wissen über die strikte Verfolgung seinerseits starke präventive
Wirkung entfalteten soll (vgl. DRK 2008, S. 44)
In Baden-Württemberg wird diese Rolle vermutlich noch einige Zeit das Forum
Notfallrettung übernehmen.
Bezüglich der anderen Probleme im baden-württembergischen Rettungdienst bleibt für
die Menschen in dieser Region zu hoffen, dass, wie es einer der Journalisten der
Stuttgarter Nachrichten schreibt, weiterhin mit Nachhaltigkeit berichtet wird und so
womöglich erneute Verbesserungen stattfinden werden.
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81

7 Anhang
1. CD-ROM mit den erhobenen Daten der Inhaltsanalyse in openoffice calc sowie
der Bachelor-Arbeit im PDF-Format
82

Ich versichere, die vorliegende Arbeit selbstständig ohne fremde Hilfe verfasst und keine
anderen Quellen und Hilfsmittel als die angegebenen benutzt zu haben. Die aus anderen Werken
wörtlich entnommenen Stellen oder dem Sinn nach entlehnten Passagen sind durch
Quellenangabe kenntlich gemacht.
____________________ ______________________
Ort, Datum Unterschrift
83