AGS - Endokrinologikum
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Informationen zu: Adrenogenitales Syndrom (<strong>AGS</strong>)<br />
Das <strong>AGS</strong> ist eine der häufigsten Erbkrankheiten<br />
(1:5000) mit autosomal rezessiver Übertragung. Es<br />
handelt sich in den meisten Fällen um eine Genmutation<br />
auf dem Chromosom 6 an der Position<br />
p21.3. Einer von 70 Menschen in der Bevölkerung<br />
ist heterozygot für diese Erbanlage. Krankheitszeichen<br />
treten erst bei homozygoten Trägern einer<br />
Mutation auf, wenn diese also auf beiden 6.<br />
Chromosomen vorhanden ist.<br />
Bei den homozygoten <strong>AGS</strong>-Patienten liegt ein<br />
Enzymmangel in der Nebennierenrinde (NNR) vor:<br />
Es kann nicht ausreichend Cortisol synthetisiert<br />
werden. Dadurch bildet sich vermehrt ACTH in der<br />
Hypophyse, das wiederum die NNR stimuliert. So<br />
kommt es zu einer angeborenen Nebennieren-<br />
Hyperplasie (engl.: Congenital Adrenal Hyperplasia<br />
= CAH). Und anstelle des Cortisols sezerniert<br />
die NNR verstärkt Androgene.<br />
Genitalfehlbildungen<br />
Die Produktion der Androgene beginnt bereits im<br />
Embryonalstadium ab der 6. Schwangerschaftswoche<br />
und sie verändert das Genitale beim Mädchen<br />
in männliche Richtung (Virilisierung) – mit<br />
Klitorishypertrophie, enger Vulva und hochgezogenem<br />
Damm (s. Abb.). Bei starker Virilisierung<br />
gleichen die weiblichen äußeren Geschlechtsorgane<br />
denen eines Jungen; allerdings lassen sich keine<br />
Hoden nachweisen. Der Karyotyp dieser Mädchen<br />
ist immer 46,XX und bei ihnen sind eine Vagina<br />
und ein Uterus stets angelegt, ebenso funktionsfähige<br />
Tuben und Ovarien.<br />
Bei <strong>AGS</strong>-Jungen (immer Karyotyp 46,XY), die<br />
gleich häufig wie Mädchen betroffen sind, fällt<br />
nicht immer ein kräftiger Penis auf, die konnatale<br />
Schambehaarung ist selten und eine vermehrte<br />
Pigmentierung am Skrotum wird leicht übersehen.<br />
Die Hoden sind normal groß und deszendiert. Häufig<br />
wird deshalb bei Jungen die Diagnose <strong>AGS</strong> zunächst<br />
übersehen, und sie fallen erst durch die<br />
klinischen Zeichen des Salzverlustes auf.<br />
<strong>AGS</strong>-Screening<br />
Heute sollte ein <strong>AGS</strong> im Neugeborenen-Screening<br />
festgestellt werden. Dabei wird zur Testung einer<br />
Schilddrüsenunterfunktion und verschiedener<br />
Stoffwechselerkrankungen (Guthrie-Test) zwischen<br />
dem 3. und 5. Lebenstag Blut auf einem<br />
Filterpapier gewonnen. Ein erhöhtes 17-Hydroxyprogesteron<br />
(17-OHP) weist auf ein <strong>AGS</strong> hin. Die<br />
Diagnose muss dann zügig mit einer erneuten<br />
Bestimmung dieses Markers aus Venenblut bestätigt<br />
werden, damit alsbald eine Behandlung mit<br />
Hydrocortison (Cortisol) eingeleitet werden kann.<br />
<strong>AGS</strong>-Formen<br />
Da mehr als 20 unterschiedliche Enzymschritte in<br />
der NNR ablaufen, sind viele NNR-Störungen möglich,<br />
die summarisch als Adrenogenitales Syndrom<br />
bezeichnet werden. Nicht immer gehören Genitalstörungen<br />
dazu, weil z. B. nur die Mineralocorticoide<br />
betroffen sind, nicht aber die Sexualsteroide.<br />
Im engeren Sinne gibt es drei Enzymdefekte, die<br />
sowohl eine adrenale Störung als auch eine genitale<br />
Fehlbildung verursachen:<br />
1. Der mit ca. 95 % häufigste Steroid-21-Hydroxy–<br />
lase-Mangel (21-OHlase-Mangel) mit 17-OHP als<br />
Marker-Substanz virilisiert Mädchen und kann<br />
ein Salzverlustsyndrom mit lebensgefährlicher<br />
Hyperkaliämie auslösen.<br />
Neben dieser „klassischen“ Variante des <strong>AGS</strong> gibt<br />
es auch ein late-onset-<strong>AGS</strong> oder cryptic-<strong>AGS</strong>, das<br />
sich meist durch eine prämature Pubarche bemerkbar<br />
macht.<br />
2. Der seltene Steroid-11-beta-Hydroxylase-Mangel<br />
(11-OHlase-Mangel) mit 11-Desoxy-Cortisol<br />
(Reichstein „S“) als Marker-Substanz virilisiert<br />
Mädchen und erzeugt eine Hypernatriämie sowie<br />
Bluthochdruck durch erhöhtes DOC.<br />
3. Der sehr seltene 3-beta-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Mangel<br />
(3-ß-HSD-Mangel) mit erhöhtem<br />
DHEA-S als Marker-Substanz im Blut virilisiert<br />
Jungen unzureichend und löst ein Salzverlustsyndrom<br />
(SVS) aus.<br />
Alle drei <strong>AGS</strong>-Formen (1 bis 3) zeichnen sich chemisch<br />
durch einen Cortisolmangel aus, 1. und 3.<br />
können mit einem Salzverlust-Syndrom wegen<br />
mangelhafter Produktion von Mineralocorticoiden<br />
einhergehen, während 2. durch vermehrte Bildung<br />
von Desoxycorticosteron (Mineralocorti-coid)<br />
keinen Salzverlust, sondern eine Natriumretention<br />
aufweist.
Diagnostik bei <strong>AGS</strong>-Verdacht<br />
21-OH-Mangel 11-OH-Mangel 3-ß-HSD-<br />
Mangel<br />
17-OHP � 11-Desoxycortisol<br />
�<br />
DHEA-S �<br />
ACTH � ACTH � ACTH �<br />
Renin � (Renin �) Renin �<br />
Cortisol � Cortisol � Cortisol �<br />
Testosteron � Testosteron � Na �<br />
Androstendion � DOC � K �<br />
Na � Na � ♀ Testosteron �<br />
K � K � ♂ Testosteron �<br />
Bei allen <strong>AGS</strong>-Formen:<br />
� DNA-Analyse zur Mutationssuche<br />
� Sonographie von Vagina, Uterus, Ovarien und<br />
Nebennierenhyperplasie<br />
Therapie<br />
Alle drei <strong>AGS</strong>-Formen werden mit Hydrocortison<br />
substituiert, um das fehlende Cortisol auszugleichen.<br />
Die Dosis richtet sich nach der Suppression<br />
der Marker-Substanzen, von denen das 17-OHP<br />
wegen starker Tagesschwankungen auch im Speichel<br />
gemessen werden kann (Tagesprofil). Die<br />
Richtdosis für Hydrocortison beträgt 15<br />
mg/qm/KO täglich in drei Einzeldosen, wobei die<br />
Patienten üblicherweise morgens die größte und<br />
abends die kleinste Menge einnehmen. Wenn ein<br />
Salzverlust-Syndrom vorliegt, wird zusätzlich eine<br />
vermehrte Salzzufuhr und ein Mineralocorticoid<br />
(Fludrocortison = Astonin-H) notwendig, z. B. 2 x<br />
eine 1/4 Tablette à 0,1 mg bei Säuglingen und 2 x 1<br />
Tablette bei Jugendlichen.<br />
Genitaloperation<br />
Bei störenden Klitorishypertrophien sind glanserhaltende<br />
Klitorisreduktionsplastiken schon im<br />
jungen Säuglingsalter möglich. Eine Vulvaerweiterung<br />
wird meist erst im Pubertätsalter<br />
durchgeführt, um dann die Kohabitation zu ermöglichen.<br />
Fertilität<br />
Grundsätzlich sind Frauen und Männer als Erwachsene<br />
fertil, wenn die Substitutionsbehandlung<br />
ausreichend die Androgene unterdrückt und<br />
so eine normale Gonadotropinpulsation ermöglicht.<br />
Pränatale Therapie<br />
Paare, die bereits ein Kind mit <strong>AGS</strong> haben (Index-<br />
Fall), müssen beim nächsten Kind mit einem Wie-<br />
derholungsrisiko von 25 Prozent rechnen. Deshalb<br />
wird zur Verhinderung von Genitalveränderungen<br />
bei Mädchen eine pränatale Therapie mit Dexamethason<br />
angeraten. Die Schwangere sollte sofort<br />
nach Ausbleiben der Regel mit der Einnahme<br />
von 3 x 0,5 mg Dexamethason beginnen und<br />
diese so lange fortführen, bis eine Chorionzottenbiopsie<br />
in der 12. Schwangerschaftswoche für Klarheit<br />
über den Mutationsstatus oder das Geschlecht<br />
des Kindes schafft. Liegt keine Mutation<br />
vor oder handelt es sich um einen Jungen, wird die<br />
Therapie abgesetzt.<br />
Homozygote <strong>AGS</strong>-Träger vererben in jedem Fall<br />
eine Mutation. Sollte der Partner ein heterozygoter<br />
<strong>AGS</strong>-Träger sein, was vor einer Schwangerschaft<br />
getestet werden kann, besteht ein 50prozentiges<br />
Risiko für ein <strong>AGS</strong>.<br />
Abb.: Adrenogenitales Syndrom vor und nach Genitaloperation<br />
im frühen Säuglingsalter<br />
Weiterführende Literatur:<br />
Gallagher MP, Levine LS, Oberfield SE A review of<br />
the effects of therapie on growth and bone mineralization<br />
in children with congenital adrenal hyperplasia.<br />
Growth Horm IGF Res 2005, 15 Suppl A:<br />
26-30<br />
White PC, Speiser PW Congenital adrenal hyperplasia<br />
due to 21-hydroxylase deficiency. Endocr Rev<br />
2000, 21:245-91<br />
Dörr HG Adrenogenitales Syndrom, S 247-260 In:<br />
Praktische Endokrinologie, Hrsg. B Allolio/HM<br />
Schulte (1996)<br />
Verantwortlich für den Inhalt:<br />
Prof. Dr. med. Rolf Peter Willig<br />
Dr. med. Achim Wüsthof<br />
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© <strong>Endokrinologikum</strong> Stand: August 2006