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48<br />
Sprache lernen vernetzt<br />
3.1. Bildung von Einstellungen<br />
Beim Lesen als ein rezeptiver und kognitiver Prozeß wird nicht nur eine Kenntnisnahme,<br />
sondern auch eine kritische Sinnkonstitution und Sinnerfassung erwartet. Lesen besteht<br />
in einer kritisch-hermeneutischen Beziehung des Lesers zum Lesen und Gelesenen. Diese<br />
Auseinandersetzung mit den Inhalten des Gelesenen bildet, formt oft die Einstellung des<br />
Lesers, beeinflußt und verändert sie. Deswegen ist es nicht ohne Bedeutung, was gelesen<br />
wird und wie gelesen wird, sondern es sollten Texte zum Lesen angeboten werden, die<br />
den jugendlichen Lesern etwas zu sagen haben, die ihren Wünschen und Bedürfnissen<br />
entgegenkommen, die Interesse und Neugier wecken. Die Texte sollten so gelesen werden,<br />
dass eine kritische Distanz möglich ist, dass nicht nur eine Wirkung auf den Leser, sondern<br />
auch eine Reflexion über das Gelesene stattfindet. 9<br />
Ein Beispiel soll kurz veranschaulichen, wie dieses Lernziel eingelöst und dabei eine<br />
Veränderung des Verhaltens angestrebt werden kann:<br />
Vor der Behandlung des Textes „Spagetti für zwei“ 10 kann aufgrund der Hypothesenbildung<br />
und einer Umfrage in der Klasse erschlossen werden, dass eine solche Einstellung oder ein<br />
solches Verhalten wie diese von Heinz auch unter den gleichaltrigen bulgarischen Schülern<br />
als normal, selbstverständlich oder logisch verstanden und aufgefasst werden könnte. Erst<br />
nach dem gründlichen Lesen des Textes und der Diskussion darüber ist eine kritische<br />
Auseinandersetzung und eine spürbare Distanz sowie eine differenzierte Einstellung der<br />
Lerner zu erwarten.<br />
3.2. Vermittlung von landeskundlichen Kenntnissen als interkulturelle<br />
Kenntnisnahme<br />
Literatur in einer Fremdsprache ist Fremdliteratur, fremde Literatur, die mit ihrer Sprache von<br />
dieser Fremde berichtet. Sie widerspiegelt die gesellschaftlichen Beziehungen eines Landes und<br />
ist durch sie bedingt. Deshalb sollte zum Wissen über die Kultur eines Volkes unbedingt seine<br />
Literatur hinzugehören. Die Wirkung der Literatur verändert durch die Außenperspektive des<br />
Lesers. Literatur informiert nicht nur über das Land, in dem sie entstanden ist, sie informiert<br />
über seine politischen und lokalen Besonderheiten, über Norm- und Wertsysteme, über Denk-<br />
und Wahrnehmungsstrukturen, über Verhaltensmuster; sie wirkt mit diesen Informationen<br />
auf den Leser und verbindet so das Lernziel „Bildung von Einstellungen“ mit dem Lernziel<br />
„Landeskundliche Kenntnisse“.<br />
Auch hier ein Beispiel: In ihrer Erzählung „Ein deutsches Nein heißt Nein“ 11 berichtet<br />
Fatma Mohamed Ismail über ihre Erfahrung, wie eine Einladung zum Essen oder mehrmalige<br />
Aufforderung dazu in Deutschland ganz anders verstanden werden kann als in Ägypten.<br />
3.3. Entwicklung von Sprachkompetenz<br />
Umgang mit fremdsprachlicher Literatur bedeutet immer auch Umgang mit der fremden<br />
Sprache. Und Umgang mit der fremdsprachlichen Literatur darf nicht nur auf die Entwicklung<br />
der Fertigkeit Lesen eingeschränkt werden, sondern auf das Gelesene soll man auch mündlich<br />
oder schriftlich reagieren bzw. selbst Texte (re-)produzieren. Leseverhalten kann gesteuert und<br />
9<br />
Vgl. Kast,B., Jugendliteratur im kommunikativen Deutschunterricht, 31, München, 1985<br />
10<br />
Vgl. De Cesco,Federica, „Spagetti für zwei“ (Erzählung), Aus: Freundschaft hat viele Gesichter,<br />
Luzern/Stuttgart, 1986<br />
11<br />
Vgl. Ackermann, I. (Hrsg.), In zwei Sprachen leben,103, München, 1983