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ONDERZOEK NAAR HET LEVEN EN WERK VAN ... - Musica

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<strong>ONDERZOEK</strong> <strong>NAAR</strong><br />

<strong>HET</strong> <strong>LEV<strong>EN</strong></strong> <strong>EN</strong> <strong>WERK</strong> <strong>VAN</strong> H<strong>EN</strong>DRIK <strong>VAN</strong> VELDEKE<br />

ALAMIRE FOUNDATION<br />

DR. INGA BEHR<strong>EN</strong>DT<br />

Stand van zaken, oktober 2011<br />

Alamire Foundation vzw<br />

Internationaal Centrum voor de Studie van de Muziek in de Lage Landen<br />

Centrale Bibliotheek<br />

Mgr. Ladeuzeplein 21<br />

B-3000 Leuven<br />

Tel. + 32 (0)16 32 87 50<br />

www.alamirefoundation.org


Hendrik van Veldeke - Datensammlung und Beschreibung von Projektideen<br />

1) Die Person Hendrik van Veldeke<br />

Inga Behrendt<br />

2) Quellen des 12. Jahrhunderts über das Leben am Hof<br />

3) Hendrik van Veldekes Servatiuslegende und das mittelalterliche Servatiusoffizium<br />

4) Hendrik van Veldekes Eneasroman und das Mainzer Hoffest von 1184<br />

5) Kontrafakturerstellung für Lieddichtungen von Hendrik van Veldeke<br />

6) Datensammlung zu Einzelthemen<br />

7) Perspektiven für Projekte<br />

Oktober 2011<br />

2


Zu 1) Die Person Hendrik van Veldeke<br />

Neben seinen literarischen Werken gibt es nur wenig, das von dem Dichter van Veldeken bekannt ist. 1 Er soll im<br />

12. Jahrhundert in der Umgebung von Hasselt bei Maastricht gelebt haben.<br />

Der Name Veldeke - gemeint könnten Verwandte von Veldeke sein - erscheint auf den Urkunden I.Urk.Nr.152<br />

und I.Urk.NR.228 des 13. Jahrhunderts, die im Archiv der Prämonstratenserabtei Averbode bei Zichem<br />

aufbewahrt werden und von dem Grafen Arnold IV. von Loon ausgestellt worden sind. 2 Ein Graf von Loon ist es<br />

gewesen, der die Abtei Averbode gestiftet hat, und die Herzogin Agnes von Loon, 3 die Frau des Grafen von<br />

Loon, Ludwig I. (1138-1171) hat Hendrik van Veldeke dazu ermutigt, die Servatiuslegende nachzudichten.<br />

Weitere Überlegungen zu den wenigen über Veldeke überlieferten historischen Daten finden sich im Nachwort<br />

der Ausgabe der Servatiuslegende von Goossens, Schlusemann und Voorwinden aus dem Jahr 2008. 4<br />

Es ist vermutet worden, dass Veldeke, der offensichtlich Französisch und Latein lesen konnte, eine höhere<br />

Bildung erhalten hat und dass er vielleicht sogar ein Geistlicher am Hof zu Loon gewesen sein könnte. 5 Sicher<br />

belegt ist dies jedoch nicht. Man hat auch vermutet, dass er Ministeriale gewesen sei.<br />

Von Hendrik van Veldeke (Mitte des 12. – Anfang des 13. Jahrhunderts) sind eine Nachdichtung der<br />

lateinischen Servatiuslegende in deutschen Versen, der antikisierende Versroman Eneide, den Veldeke nach der<br />

altfranzösische Fassung Roman d´Eneas in deutschen Versen gedichtet hat, sowie ca. 40 Minnelieder erhalten.<br />

Die Sprache, in der die Werke Veldekes in Handschriften überliefert sind, ist verschieden. So ist der<br />

Eneasroman in Mittelhochdeutsch, 6 die Servatiuslegende jedoch teilweise in einem altlimburgischen Dialekt<br />

aus dem maasländisch-limburgischen Raum überliefert. Hendrik van Veldekes eigene Dichtersprache ist<br />

vermutlich gerade dieser altlimburgische Dialekt gewesen. So wurde als das „Veldekeproblem“ bezeichnet,<br />

dass man die Originalsprache des Eneasromans aufgrund der Handschriftenfunde wohl nicht kennt, d. h. dass<br />

ggf. Veldeke seinen Eneasepos ursprünglich auch in einem altlimburgischen Dialekt verfasst haben könnte.<br />

Viele Forscher haben sich daher um eine Rekonstruktion des Eneasromans in altlimburigschem Dialekt bemüht.<br />

1<br />

Neben wichtigen Arbeiten der Sprachforschung werden mangels historischer Daten zuweilen Versuche<br />

unternommen, die Umwelt Veldekes zu beschreiben, vgl. Frits <strong>VAN</strong> OOSTROM, Stemmen op schrift. Geschiedenis<br />

van de Nederlandse literatuur vanaf het begin tot 1300, Amsterdam 2006, „Veldekes Umwelt“, S.117-213.<br />

Ebenso: Jef NOTERMANS, Rondom de Maaslandse dichter en minnezanger Henric van Veldeken, Hasselt 1973<br />

2<br />

Der vollständige Text der Averbodischen Urkunden, s. A. KEMP<strong>EN</strong>EERS, Hendrik van Veldeken en de Bron van<br />

zijn Servatius, (Studien en Tekstuitgaven) Antwerpen, 1913. - Vgl. ebenfalls Jozef D. JANSS<strong>EN</strong>S, In de schaduw<br />

van de keizer: Hendrik van Veldeken en zijn tijd (1130-1230), tentonstelling „Peren op de beuken – Hendrik van<br />

Veldeken en zijn tijd (1130-1230); Het Stadsmuseum, Hasselt, 06.10.2007-06.01.2008<br />

3<br />

Zur Diskussion, ob es ggf. Agnes, die Tochter der gleichnamigen Mutter Agens gewesen sein könnte, die van<br />

Veldeken zu seiner Servatiuslegende motiviert hat, siehe: Heinric van Veldeken. Sente Servas, herausgegeben<br />

und übersetzt von Jan GOOSS<strong>EN</strong>S, Rita SCHLUSEMANN, Norbert VOORWIND<strong>EN</strong>; in: Bart Besamusca, Carl Dauvenvan<br />

Knippenberg (Hrsg.), Bibliothek mittelniederländischer Literatur (BIMILI), Bd. 3, Münster 2008, S.339 –<br />

Agnes wird in der Servatiuslegende in den Versen 6181-6182 und 6197-6199 genannt, eben dort S.339.<br />

Weibliche Auftraggeber von Dichtungen sind nicht ungewöhnlich in dieser Zeit. In höfischen Kreisen wird<br />

Herzogin Agnes von Loon ihr Ansehen profiliert haben können durch die Nachdichtung der Servatiuslegende in<br />

ihrem Auftrag.<br />

4<br />

Vgl. Heinric van Veldeken. Sente Servas, herausgegeben und übersetzt von Jan GOOSS<strong>EN</strong>S, Rita SCHLUSEMANN,<br />

Norbert VOORWIND<strong>EN</strong>; in: Bart Besamusca, Carl Dauven-van Knippenberg (Hrsg.), Bibliothek<br />

mittelniederländischer Literatur (BIMILI), Bd. 3, Münster 2008.<br />

5<br />

Vgl. Heinric van Veldeken. Sente Servas, herausgegeben und übersetzt von Jan GOOSS<strong>EN</strong>S, Rita SCHLUSEMANN,<br />

Norbert VOORWIND<strong>EN</strong>; in: Bart Besamusca, Carl Dauven-van Knippenberg (Hrsg.), Bibliothek<br />

mittelniederländischer Literatur (BIMILI), Bd. 3, Münster 2008, S.339<br />

6<br />

Vgl. Heinrich von Veldeke, Eneasroman, nach dem Text von Ludwig Ettmüller ins Neuhochdeutsche übersetzt,<br />

mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Dieter Kartschoke, Stuttgart 1986, S. 861<br />

3


Zu 2) Quellen des 12. Jahrhunderts über das Leben am Hof<br />

Aus der Zeit Hendrik van Veldekes haben wir verschiedene Quellen über das Leben am Hof: 7 Die wichtigste<br />

Quelle stellt die Gesamtheit der literarischen Quellen dar. Texte in deutscher Sprache sind erhalten, darunter<br />

sind beispielsweise Minnelieder und höfische Epen, lehrhafte Dichtungen und politische Spruchdichtungen<br />

sowie Reimchroniken. Weiterhin geben uns bildliche Darstellungen Zeugnis ab, so Buchmalerei oder auch die<br />

bildlichen Darstellungen in Kirchen. Lateinische Texte sind weniger wichtige Quellen für das höfische Leben,<br />

denn die erhaltenen Texte in der jeweiligen Muttersprache äußern sich viel detaillierter über die Gesellschaft<br />

am Hof.<br />

Zu 3) Hendrik von Veldekes Servatiuslegende und das mittelalterliche Servatiusoffizium<br />

Es hat sich gezeigt, dass das Servatiusoffizium aus dem Repertoire des Gregorianischen Chorals in seiner<br />

Grundstruktur frühestens für das 11. Jahrhundert belegt ist (Quedlinburger Antiphonar) und dass das Offizium<br />

im Verlauf des Mittelalters eine reiche Entwicklung erfahren hat. Seit dem 14. Jahrhundert ist eine Sequenz Lux<br />

preclara überliefert, die sicherlich in Maastricht gesungen worden ist. 8<br />

Die Verehrung des Hl. Servatius hatte früh am Grab des Heiligen in Maastricht eingesetzt. 9 Die nach dem<br />

Heiligen benannte Sint-Servaaskerk von Maastricht ist am 12. August 1039 in Anwesenheit von Kaiser Heinrich<br />

III. und zwölf Bischöfen eingeweiht worden. 10 Wir können von einer starken Verehrung des Hl. Servatius im<br />

Raum Maastricht-Lüttich-Aachen-Trier ausgehen, da viele Zeugnisse in spätmittelalterliche Handschriften aus<br />

dieser Region von diesem Fest überliefert sind. Frühe Quellen für das Offizium, d. h. die Gesänge, Gebete und<br />

Lesungen beim Servatiusfest, gibt es jedoch nur wenig. 11 Als früheste Quelle für einen Teil der Gesänge des<br />

Servatiusoffiziums wird das sogenannte Quedlinburger Antiphonar 12 aus dem 11. Jahrhundert gehalten. Diese<br />

Handschrift wird heute in der Staatsbibliothek, Preußischer Kulturbesitz, in Berlin unter der Signatur Mus.<br />

40047 aufbewahrt. Das Antiphonar enthält eine Notation ohne Linien, weshalb die exakte Rekonstruktion der<br />

Melodiefolge eine Schwierigkeit darstellt.<br />

Hendrik van Veldeke hat seine Nachdichtung der Servatiuslegende 13 wahrscheinlich um 1170 erstellt. 14<br />

Beauftragt wurde er von der Herzogin Agnes von Loon. Eine Beauftragung durch eine adelige Frau war häufig<br />

7<br />

Vgl. Joachim BUMKE, Höfische Kultur, Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Deutscher Taschenbuch<br />

Verlag München 2008, 12. Auflage (1. Auflage April 1986), S. 17<br />

8<br />

Vgl. Régis DE LA HAYE, Het middeleeuws officie van he thoogfeest van Sint Servatius te Maastricht. Deel 1.<br />

Tekstkritisch onderzoek, in: PSHAL 133 (1997) 93-140, S.139: „In de veertiende eeuw, wanneer het<br />

Servaasofficie met nieuwe hymnen verrijkt wordt, maken de samenstellers gebruik van de nieuwste elementen<br />

van de Servaaslegende (de doop van Atilla, de diefstal van de sleutel, enz.).“<br />

9<br />

Zur Verehrung des Hl. Servatius in Maastricht vgl. ebenfalls RÉGIS DE LA HAYE, De propriumskalender van de<br />

Sint-Servaaskerk te Maastricht, in: PSHAL 124 (1988), S.88-144<br />

10<br />

Régis DE LA HAYE, Sint Servaas volgens Jocundus, Maastricht 2006, S.209<br />

11<br />

Weitere Handschriften, in denen das Servatiusoffizium enthalten ist, die aber aus der Zeit nach Veldeken<br />

stammen, sind beispielsweise ein Antiphonar aus Aachen G 20 aus dem 13./14. Jahrhundert und ein Arnoldus-<br />

Graduale aus Aachen G 13 aus dem 13. Jahrhundert, die beide im Domarchiv Aachen aufbewahrt werden und<br />

Gesänge mit Hufnagelnotation enthalten. Weiterhin ist ein nicht mit Musiknotation versehenes Missale aus<br />

Maastricht aus dem 15. Jahrhundert erhalten, das heute in der Königlichen Bibliothek von Den Haag unter der<br />

Signatur 78 D 44 verwahrt wird.<br />

12<br />

Siehe: http://publish.uwo.ca/~cantus/aboutms1.html#quedlinb - römischer Kursus<br />

13<br />

Zur Servatiuslegende vgl. ebenfalls: Jan GOOSS<strong>EN</strong>S, Die Servatiusbruchstücke; in: Franz Josef Worstbrock<br />

(Hrsg.), Zeitschrift für Deutsches Altertum und Deutsche Literatur, Band 120, Heft 1, Stuttgart 1991; G.A. van Es,<br />

Sint Servaeslegende, Culemborg 1976<br />

4<br />

2<br />

14<br />

Vgl. „Um 1170 schrieb Hendrik van Veldeken aufgrund einer persönlichen Bitte der Agens von Loon (bis 1175<br />

urkundlich bezeugt) und mit Unterstützung des Küsters Hessel vom Servatius-Stift in Maastricht eine Servatius-<br />

Legende. Als Quelle benutzte er eine lateinische Vorlage (`Vita et miracula sancti Servatii` des


und üblich. Joachim Bumke geht davon aus, dass die Erziehung der Frauen am Hof stärker religiös geprägt war<br />

als die der Männer. 15 Daher erklärt sich, so meint Bumke, dass eine Frau die Verdeutschung der lateinischen<br />

Servatiuslegende bei Veldeke in Auftrag gegeben hat.<br />

Im zweiten Epilog seiner Servatiuslegende wird ein Küster Hesselo genannt, der identisch mit einer im Jahr<br />

1171 urkundlich bezeugten Person Hezelo sein könnte. Dieser Hezelo wiederum ist wahrscheinlich der<br />

Bewahrer des Maastrichter Domschatzes gewesen. 16 Aufgrund dieser Namensnennung „Hesselo“ hat man<br />

demnach vermutet, dass Hendrik van Veldeke eine Verbindung zum Maastrichter Domstift gehabt haben<br />

könnte. Es ist möglich, dass Veldeke das Fest des Hl. Servatius († 13. Mai 384 in Maastricht) am 13. Mai in<br />

Maastricht miterlebt hat und Antiphonen und Hymnen des Servatiusoffiziums gehört hat. Die Sequenz Lux<br />

preclara hat er sicherlich nicht gehört, denn sie ist erst für das 14. Jahrhundert bezeugt. Im Anhang I finden sich<br />

Text und Übersetzung der Sequenz, in der einige Inhalte der Servatiusgeschichte verarbeitet sind.<br />

Zu 4) Hendrik van Veldekes Eneasroman und das Mainzer Hoffest von 1184<br />

Auf der Hochzeit der Gräfin von Cleve soll ihm, laut Hendrik van Veldekes eigenen Worten, der halbfertige<br />

Eneasroman entwendet worden sein. Im Jahr 1183 hat Veldeke die Handschrift von Hermann von Thüringen<br />

zurückerhalten und auch in dessen Auftrag das Werk um 1190 fertiggestellt.<br />

Kennzeichnend für den Eneasroman ist, dass Hendrik van Veldeke den Stoff des Eneasromans in<br />

mittelalterliche Zustände übertragen hat. Herbert A. und Elisabeth Frenzel fügen als Beschreibung aus Sicht der<br />

Sprachforscher hinzu: „Erste deutsche Dichtung in der neuen regelmäßigeren Form. Reiner Reim und<br />

alternierendes Prinzip.“ 17<br />

Inwiefern Veldekes Erzählung vom Raub der Handschrift fiktiv ist oder nicht, lässt sich heute nicht mehr<br />

eruieren. Generell galt, dass der Dichter eines Epos über einen längeren Zeitraum in der Abhängigkeit von<br />

Gönnern und Auftraggebern gestanden hat. Bei Hendrik van Veldeke wechseln anscheinend die Auftraggeber<br />

in der Entstehungszeit der Eneide. Als erste Mäzenin Veldekes wird Gräfin Margarete von Cleve genannt.<br />

Dieser Wechsel der Auftraggeber könnte auf den eigentlichen Grund der Verzögerung hinweisen. In jedem Fall<br />

zeigt sich darin, dass Veldekes Bekanntheitsgrad zum Ende seines Lebens hin gestiegen ist:<br />

„Die Angaben zur Entstehungsgeschichte von Veldekes Werken erlauben es, die höfische Karriere eines<br />

epischen Dichters in seinem Wechsel von Hof zu Hof zu verfolgen. Auch wenn über die zeitliche Einordnung des<br />

>Servatius< keine letzte Sicherheit zu gewinnen ist, wird man doch davon ausgehen dürfen, daß Veldeke<br />

zunächst in seiner engeren Heimat, im Herzogtum Brabant, seine Gönner fand: am Hof der Grafen von Loon<br />

und im Reichsstift Maastricht. Der Besuch am Hof der Grafen von Kleve war dann ein Schritt in die große Welt;<br />

denn dort begegneten ihm die Fürsten von Thüringen, die sein weiteres Geschickt bestimmt haben. Die<br />

Berufung an den Thüringer Hof, neun Jahre später, führte den Dichter in die Umgebung eines großen Mäzens<br />

und machte ihn zum angesehenen Mittelpunkt des bedeutendsten Literaturkreises, den es damals in<br />

Deutschland gab. Die Verse über das Mainzer Hoffest von 1184 im Schlußteil der >Eneit< (347,14ff.) bezeugen,<br />

Benediktinermönchs Jocundus), die ihm Hessel verschaffte.“ Aus: Helmut TERVOOR<strong>EN</strong>, Van der Masen tot op den<br />

Rijn. Ein Handbuch zur Geschichte der mittelalterlichen volkssprachlichen Literatur im Raum von Rhein und<br />

Maas, Berlin 2006, S.42<br />

15<br />

Vgl. Joachim BUMKE, Höfische Kultur, Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Deutscher Taschenbuch<br />

Verlag München 2008, 12. Auflage (1. Auflage April 1986), S. 669<br />

16<br />

Vgl. Heinric van Veldekenn. Sente Servas, herausgegeben und übersetzt von Jan GOOSS<strong>EN</strong>S, Rita<br />

SCHLUSEMANN, Norbert VOORWIND<strong>EN</strong>; in: Bart Besamusca, Carl Dauven-van Knippenberg (Hrsg.), Bibliothek<br />

mittelniederländischer Literatur (BIMILI), Bd. 3, Münster 2008, S.339<br />

17<br />

Vgl. Herbert A. und Elisabeth FR<strong>EN</strong>ZEL, Daten deutscher Dichtung, Chronologischer Abriß der deutschen<br />

Literaturgeschichte, Band I: Von den Anfängen bis zur Romantik, Deutscher Taschenbuch Verlag München 1972,<br />

8. Auflage, S. 32<br />

5


daß Veldeke zuletzt auch den Kaiserhof besucht hat; wahrscheinlich war er zu dieser Zeit ein berühmter<br />

Mann.“ 18<br />

Von Hendrik van Veldeke ist bekannt, dass er das Mainzer Hoffest im Jahr 1184 unter Friedrich I. miterlebt hat.<br />

Vielleicht ist die Tatsache nicht unerheblich, dass laut Joachim Bumke die Grafen von Loon Verwandte der<br />

Rienecker gewesen sein sollen, die bis etwa 1150 Stadtgrafen von Mainz gewesen sind. 19<br />

In Veldekes Eneasroman findet sich die erste große Festschilderung in der deutschen Literatur, 20 denn während<br />

seiner Beschreibung des Hochzeitsfestes von Eneas und Lavinia erinnert er an das Hoffest in Mainzer unter<br />

Kaiser Friedrich I.:<br />

Ich habe von keinem Fest je erzählen hören, dass ebenso groß gewesen wäre wie das, das Eneas veranstaltete –<br />

außer dem, das zu Mainz stattfand, das wir selbst gesehen haben.<br />

Danach brauchen wir uns nicht zu erkundigen: es war ganz unermeßlich groß, wo Kaiser Friedrich zweien seiner<br />

Söhne das Schwert verlieh und wo für viele tausend Mark verbraucht und verschenkt wurde. Ich glaube, dass<br />

alle Lebenden kein größeres (Fest) gesehen haben. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringen wird, das kann ich<br />

euch nicht sagen. Ich habe jedoch von einer Schwertleite niemals glaubwürdig erzählen gehört, bei der ebenso<br />

viele Fürsten und Leute aller Stände zugegen gewesen wären. Noch heute leben viele, die es genau wissen.<br />

Kaiser Friedrich wurde so hoch geehrt, daß man für alle Zeiten Wundergeschichten davon erzählen kann bis zum<br />

Jüngsten Tag, das ist gewißlich wahr. Es wird auch in hundert Jahren noch von ihm erzählt und geschrieben<br />

werden, was alles bisher noch nicht gesagt ist. 21<br />

Das Mainzer Hoffest von 1184 ist verschiedentlich thematisiert worden, so beispielsweise von Gislebert von<br />

Mons, Arnold von Lübeck, Albert von Stade sowie in der Sächsischen Weltchronik. 22 Minnesänger wie Friedrich<br />

von Hausen und Hendrik van Veldeke haben an dem Mainzer Hoffest teilgenommen. Bekannt ist auch, dass<br />

französische Ritter das Hoffest zu Mainz besucht haben 23 , so die Trouvères Guiot de Provins und Deotes de<br />

Troyes. 24 Der Austausch mit den dort anwesenden Dichtern in romanischer Sprache soll Veldekes eigenes<br />

Schaffen beeinflusst haben. 25<br />

Es folgt ein kurzer Abriß der Ereignisse beim Mainzer Hoffest im Jahr 1184: 26 Das Mainzer Hoffest begann am<br />

Pfingstsonntag mit einer Festkrönung des Kaiserpaares. Hierauf folgte der Festzug der gekrönten Herrscher.<br />

Der Graf von Hennegau trug das kaiserliche Schwert voran. Im Festzug war auch Heinrich VI. mit Königskrone,<br />

18<br />

Aus: Joachim BUMKE, Höfische Kultur, Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Deutscher Taschenbuch<br />

Verlag München 2008, 12. Auflage (1. Auflage April 1986), S.681<br />

19<br />

Vgl. Bernd Thum: Aufbruch und Verweigerung, Bd. I, Waldkircher Verlagsgesellschaft, Walkirch i.Br., 1979,<br />

S.129<br />

20<br />

Vgl. Joachim BUMKE, Höfische Kultur, Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Deutscher Taschenbuch<br />

Verlag München 2008, 12. Auflage (1. Auflage April 1986), S.280<br />

21<br />

Die deutsche Übersetzung des Eneastextes stammt aus: Heinrich von Veldeke, Eneasroman, nach dem Text<br />

von Ludwig Ettmüller ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von<br />

Dieter Kartschoke, Stuttgart 1986, S.739 und 741, Eneas 347,14-348,3<br />

22<br />

Vgl. Joachim BUMKE, Höfische Kultur, Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Deutscher Taschenbuch<br />

Verlag München 2008, 12. Auflage (1. Auflage April 1986), S.277 - Zur Sächsische Weltchronik: Sie stammt aus<br />

Norddeutschland und wurde im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts erstellt. Heute wird sie in der Staatsbibliothek<br />

Berlin, Preußischer Kulturbesitz, unter der Signatur Ms. germ. fol. 129 aufbewahrt.<br />

23<br />

Zu dem Hofstaat von Beatrix von Burgund, die Kaiser Friedrich Barbarossa im Jahr 1156 heiratete, gehörte der<br />

Trouvère Guiot de Provins. Dieser soll auf dem Mainzer Hoffest gesungen haben. Vgl. Gerhard NESTLER,<br />

Geschichte der Musik, Verlag Piper München und Verlag Schott Mainz, 1990<br />

6<br />

4 , S.83<br />

24<br />

Vgl. Günther SCHWEIKLE, Minnesang, in: Sammlung Metzler. Realien zur Literatur, Bd. 244, J. B. Metzlersche<br />

Verlagsbuchhandlung Stuttgart 1989, S.46<br />

25<br />

Romanische Lyrik soll Hendrik van Veldeke jedenfalls um 1180 kennengelernt haben, was in seinen<br />

Minneliedern erkennbar ist. Hierzu äußern sich viele Forscher, u.a. Joachim BUMKE, Höfische Kultur, Literatur und<br />

Gesellschaft im hohen Mittelalter, Deutscher Taschenbuch Verlag München 2008, 12. Auflage (1. Auflage April<br />

1986), S.129<br />

26<br />

Die Beschreibung orientiert sich an. Joachim BUMKE, Höfische Kultur, Literatur und Gesellschaft im hohen<br />

Mittelalter, Deutscher Taschenbuch Verlag München 2008, 12. Auflage (1. Auflage April 1986), S.278


die er 1169 erhalten hatte, als er zum deutschen König gewählt worden war. Danach folgte das Festmahl. Der<br />

restliche Pfingstsonntag diente der allgemeinen Unterhaltung. Am Pfingstmontag wurde nach der feierlichen<br />

Messe die Schwertleite der beiden Kaisersöhne Heinrich und Friedrich vollzogen. Heinrich VI. war damals 18<br />

Jahre alt. Sein Bruder Friedrich, Herzog von Schwaben, war 1 ½ Jahre jünger. Nach der Schwertleite wurden<br />

Bedürftige (Ritter, Gefangene, Kreuzfahre) und Spielleute beschenkt. Hierauf folgte ein Ritterspiel, allerdings<br />

ohne Waffen, bei dem 20 000 Ritter beteiligt gewesen sein sollen. Auch Kaiser Friedrich nahm an diesem<br />

Schaureiten teil.<br />

Auch politische Verhandlungen wurden auf dem Hoffest durchgeführt: So war ein Vertrag mit Balduin V. von<br />

Hennegau bedeutend, durch den die Umwandlung der Graftschaft Namur-Luxemburg in ein Reichslehen und<br />

die Erhebung der Grafen von Hennegau in den Reichsfürstenstand bestimmt wurde. 27<br />

Von solcherart Festzügen, wie derjenige nach der Festkrönung des Kaiserpaares am Pfingstsonntag während<br />

des Hoffestes, sind einige Informationen überliefert… wiederum finden sich in einem Werk Veldekes solcherart<br />

Informationen. Im Eneasroman liest man bei der Beschreibung des Einzugs von Eneas in Laurente:<br />

Sogleich zog Herr Eneas in Laurentum ein, wie ihm gefiel: umdrängt wie ein großer Herr, (begleitet) von<br />

Pfeifenspiel, Gesang, Trommeln und der Musik von Saiteninstrumenten. Es herrschte festliche Stimmung. 28<br />

Wer sich fragt, welche Unterhaltung auf dem Hoffest zu Mainz angeboten wurde, wird erneut fündig im<br />

Eneasroman Hendrik van Veldekes:<br />

Als sie sich hingesetzt und fröhlich gegessen hatten, ganz wie es ihnen gefiel, trat nicht etwa Ruhe ein. Der Lärm<br />

wurde so groß, daß es die kleinen Leute verdroß. Da waren Spiel und Lied, Turnier und Trubel, Pfeifenspiel und<br />

Tanz, Fiedelklang und Gesang, Orgelmusik und Saitenspiel und vielerlei sonstige Unterhaltung. 29<br />

Heute ist auch aus anderen Quellen bekannt, dass es eine bestimmte Reihenfolge im Prozessionszug gegeben<br />

hat. 30 An der Spitze gingen die Trompeten, in der Mitte die Trommeln und Pfeifen. Am Ende in der Nähe des<br />

Herrn des Zuges kamen die Streicher mit ihren Fiedeln und Geigen. Die Trommeln und Pauken waren auch ggf.<br />

bei den Trompeten vorne.<br />

Der Eneasroman Hendrik van Veldekes wird in der Handschrift Ms.germ.fol.282, heute aufbewahrt in der<br />

Staatsbibliothek Berlin (Preußischer Kulturbesitz), mit einem Bilderzyklus wiedergegeben. Dieser Bilderzyklus<br />

dürfte etwa 50 Jahre, nachdem der Text gedichtet wurde, den er begleitet, entstanden sein. 31 Es ist die<br />

früheste bekannte Illustration höfischer Epik in Deutschland überhaupt. In der Berliner Handschrift sind 71<br />

Bildseiten erhalten; mindestens 16 weitere Bildseiten sind verloren gegangen.<br />

Zur Frage, wie und ob der Eneasroman als Epos im 12. Jahrhundert vor einer größeren Zuhörerschaft<br />

vorgetragen worden ist, sagt Ulrich Ernst, dass Veldekes Eneide auch sehr wohl im privaten oder kleinen Kreis<br />

laut vorgelesen worden sein könnte. Seine Äußerung dazu sei hier angeführt:<br />

27<br />

Vgl. Joachim BUMKE, Höfische Kultur, Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Deutscher Taschenbuch<br />

Verlag München 2008, 12. Auflage (1. Auflage April 1986), S.279f<br />

28<br />

Die deutsche Übersetzung des Eneastextes stammt aus: Heinrich von Veldeke, Eneasroman, nach dem Text<br />

von Ludwig Ettmüller ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von<br />

Dieter Kartschoke, Stuttgart 1986, S.717 und 719, Eneas 337,39-338,1<br />

29<br />

Die deutsche Übersetzung des Eneastextes stammt aus: Heinrich von Veldeke, Eneasroman, nach dem Text<br />

von Ludwig Ettmüller ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von<br />

Dieter Kartschoke, Stuttgart 1986, S.735, Eneas 345,25-36<br />

30<br />

Die Beschreibung des Festzuges orientiert sich an: Joachim BUMKE, Höfische Kultur, Literatur und Gesellschaft<br />

im hohen Mittelalter, Deutscher Taschenbuch Verlag München 2008, 12. Auflage (1. Auflage April 1986), S.291<br />

31<br />

Die Ausführungen orientieren sich an: Dorothea und Peter DIEMER, Die Bilder der Berliner Veldeke-Handschrift,<br />

S.911-970, insb. S.911, in: Hans Fromm (Hrsg.), Heinrich von Veldeke Eneasroman. Die Berliner<br />

Bilderhandschrift mit Übersetzung und Kommentar, Mit den Miniaturen der Handschrift und einem Aufsatz von<br />

Dorothea und Peter Diemer, Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main, 1992, 1. Auflage<br />

7


„1. Die alte, in jüngster Zeit durch die `oral-poetry´-Forschung noch verfestigte Auffassung, daß die<br />

mittelalterliche Literatur, ja die gesamte Kultur dieser Epoche primär von der Oralität geprägt gewesen sei,<br />

bedarf nach den hier herangezogenen Quellen einer Revision. Was für die mittelalterliche Literatur ohnehin<br />

gilt, die sich an die antike Schrifttradition anschließt, kennzeichnet auch die volkssprachige Epik des hohen und<br />

späten Mittelalters: Sie ist fundamental durch etablierte Schriftlichkeit bestimmt, auch wenn oralen und<br />

bimedialen Formen eine unbestrittene Bedeutung zukommt. Bewahren die Chanson de geste, die<br />

Spielmannsepik sowie Lyrik und Predigt Rudimente von Oralität und Züge von Vokalität, so werden Übergänge<br />

von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit in der Erzählliteratur vorwiegend an zwei Stellen deutlich: einmal bei<br />

der Aufzeichnung der oralen bretonischen Geschichte in den Lais der Marie de France und zum anderen bei der<br />

schriftlichen Fixierung des in germanische Formen der Mündlichkeit zurückreichenden `Nibelungenliedes` nach<br />

den Aussagen in der `Klage`.<br />

2. Daß im Mittelalter die epischen Werke primär oder ausschließlich für den mündlichen Vortrag vor der<br />

Hofgesellschaft konzipiert und in dieser Inszenierung auch auditiv rezipiert worden sind, läßt sich mit dem Blick<br />

auf die erhobenen Textbefunde in dieser Form nicht aufrechterhalten. Die Autoren, selbst Leser, die aus<br />

schriftlichen Quellen schöpfen, haben ihre Versromane wohl im hohen Maße auch für die private Lektüre<br />

geschaffen, Umfang der Werke, ihrer Leitmotivtechnik, der Verssetzung von Motiven und Erzählelementen<br />

sowie aus der Visualisierungsstrategie der Intexte schließen lässt. In den Epen selbst finden sich außer Belegen<br />

für das Vorlesen im kleinsten Kreis (z. B. Familie, Liebespartner) zahlreiche Beispiele für Privatlektüre im<br />

laikalen Adel, etwa beim Entziffern von Inschriften oder beim Austausch von Liebesbriefen, während nur bei<br />

offiziellen, politisch relevanten Schreiben die teilöffentliche lectio in aula präferiert wird.“ 32<br />

Zu 5) Kontrafakturerstellung für Lieddichtungen von Hendrik van Veldeke<br />

Von Hendrik van Veldeke sind laut der Textausgabe „Des Minnesangs Frühling“ 37 Minnelieder erhalten. 33<br />

Dieser erfreulichen Tatsache steht das Faktum gegenüber, dass wir keine Melodien zu diesen Texten kennen<br />

und auf Rekonstruktionsversuche angewiesen sind, wenn wir die Minnelieder Veldekes gesungen vortragen<br />

wollen. Wie auch im Mittelalter unter den Minnesängern bereits üblich, bediente man sich fremder Melodien<br />

zum Vortrag der eigenen Texte. Man nennt eine Neutextierung eines bestehenden Liedes - d. h. in unserem Fall<br />

wird die Melodie eines bereits bestehenden Liedes mit einem Text von Veldeke unterlegt - Kontrafaktur (lat.<br />

contra: gegen; factura: Anlage, Aufbau).<br />

Eine bekannte Kontrafaktur ist das Lied „Innsbruck ich muß dich lassen“, dessen Melodie Heinrich Isaak (1450-<br />

1517) kannte und mehrfach vertonte. Mit einem geistlichen Text wurde die Melodie von Henrich Knaus um<br />

1500 unterlegt zum Lied „O Welt, ich muß dich lassen“. Auch andere Komponisten bedienten sich dieser<br />

Liedmelodie, so Paul Gerhard um 1650 für sein Passionslied „O Welt, sieh her dein Leben“ und sein Abendlied<br />

„Nun ruhen alle Wälder“. Berühmt ist ebenfalls die Neutextierung durch Matthias Claudius 1780 zu „Der Mond<br />

ist aufgegangen“.<br />

Für Hendrik van Veldekes Minnelieder sind, wie bereits gesagt wurde, keine Melodien überliefert. Das Erstellen<br />

einer Kontrafaktur für seine Liedtexte wäre eine Rekonstruktion und sucht nach Antworten auf Fragen wie<br />

diese: Wie hätte jemand im Mittelalter eine Kontrafaktur mit Veldekes Liedtext erstellt? Welcher Melodie hätte<br />

er sich selbst wahrscheinlich bedient? – Sicher kann gesagt werden, dass wenn Veldeke selbst oder ein<br />

32<br />

Ulrich ERNST, Formen der Schriftlichkeit im höfischen Raum des hohen und späten Mittelalters, in: Hagen Keller<br />

und Christel Meier (Hrsg.), Frühmittelalterliche Studien. Jahrbuch des Instituts für Frühmittelaterforschung der<br />

Universität Münster, Bd. 31, Walter de Gruyter Berlin 1997, S. 252-369, S. 363 und 364<br />

33<br />

Des Minnesangs Frühling, unter Benutzung der Ausgaben von Karl Lachmann und Moriz Haupt, Friedrich Vogt<br />

und Carl von Kraus, bearbeitet von Hugo Moser und Helmut Tervooren, Band I: Texte, 38., erneut revidierte<br />

Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, S.97-149<br />

8


Zeitgenosse von ihm ein solches Kontrafakt gebildet hätte, dann doch sicherlich mit einer bereits im 12.<br />

Jahrhundert bestehenden Melodie.<br />

Gerne werden Sequenzmelodien aus dem geistlichen Kontext für solche Rekonstruktionen herangezogen. Und<br />

es trat die Frage auf, ob man die Sequenz des Servatiusoffiziums Lux preclara mit einem Veldeketext<br />

unterlegen könne. Meiner Ansicht nach ist diese Wahl nicht sinnvoll, da die Sequenz Lux preclara erst seit dem<br />

14. Jahrhundert belegt ist und wohl 150 Jahre mindestens jünger ist als Veldeke. Sinnvoller wäre es, eine<br />

Melodie aus dem 12. Jahrhundert zu wählen.<br />

In der Literatur finden sich bei Joachim Bumke und Günther Schweikle interessante Äußerungen zum Thema<br />

Kontrafakturforschung, die ich im Folgenden wiedergeben möchte, da sie die Argumente zusammenfassend<br />

und treffend darstellen.<br />

Joachim Bumke: „Charakteristisch für diese Phase der direkten Imitation romanischer Formkunst sind die<br />

sogenannten mittelhochdeutschen Daktylen (Mích mac der tót von ir mínnen wol scheíden), die französische<br />

Zehn- oder Zwölfsilblerverse wiederzugeben versuchten. Von allen romanischen Strophentypen, die in der<br />

Hausen-Schule durchgespielt wurden, hatte die dreiteilige Kanzonenstrophe, aus zwei gleichgebauten Stollen<br />

und einem andersgebauten Abgesang, in Deutschland den größten Erfolg: die meisten deutschen Minnelieder<br />

sind nach diesem Schema gebaut. Manchmal sind nicht nur einzelne Formelemente übernommen worden,<br />

sondern das komplette Strophenschema. Man spricht dann von Kontrafakturen, in denen sich die Abhängigkeit<br />

der deutschen Dichter von den Trobadors und Trouvères am unmittelbarsten bezeugt. Etwa zwanzig<br />

Kontrafakturen werden heute als gesichert angesehen; sie gehören ohne Ausnahme der frühen<br />

romanisierenden Phase des Minnesangs an. Am engsten hat sich Graf Rudolf von Fenis-Neuenburg den<br />

romanischen Vorbildern angeschlossen; mehr als die Hälfte seiner Lieder sind Kontrafakturen. Friedrich von<br />

Hausen ist mit sieben Kontrafakturen (bei einer Gesamtzahl von 17 Liedern) reich vertreten. Die Kontrafakturen<br />

lassen auch erkennen, welche Dichter man sich in Deutschland zum Muster nahm. Provenzalische Trobadors<br />

und nordfranzösische Trouvères sind in etwa gleicher Zahl vertreten.“ 34<br />

Während aus dem romanischen Raum eine Vielzahl von Melodien der Trouverse und Troubadour erhalten sind,<br />

ist dies bei den deutschen Minnesängern nicht der Fall. Man geht davon aus, dass die deutschen Minnesänger<br />

nicht nur den Stil der provenzialischen und altfranzösischen Dichtung, sondern auch die Melodien<br />

übernommen haben. So spricht vieles dafür, die romanischen Melodien zu nehmen und ihnen die Texte der<br />

Veldeke-Minnelieder zu unterlegen. Wieder möchte ich Joachim Bumke zitieren, der darauf hinweist, dass man<br />

die Erstellung solcher Kontrafakturen als Hypothese sehen sollte:<br />

„Man rechnet damit, daß die deutschen Minnesänger zusammen mit dem Strophenschema auch die Melodien<br />

der romanischen Lieder übernommen haben. Während in Frankreich Hunderte von Melodien zu Minneliedern<br />

erhalten sind, ist die höfische Lyrik in Deutschland fast durchweg ohne Noten überliefert. Für den Minnesang<br />

vor Walther von der Vogelweide gibt es keine einzige Melodie. Bei dieser Überlieferungslage stellen die<br />

Melodien der frühen Kontrafakturen eine große Bereicherung dar. Man muß jedoch im Auge behalten, daß die<br />

Übernahme der romanischen Melodien auf einer Hypothese beruht, für die es keinen strikten Beweis gibt. Vor<br />

allem ist nicht erwiesen, daß die deutschen Lieder, wie man es für die romanischen annimmt, nach der<br />

mittelalterlichen Theorie der sechs Modi rhythmisiert wurden.“ 35<br />

Günther Schweikle beschreibt, dass die Kontrafakturforschung bereits im 18. Jahrhundert von J. J. Bodmer und<br />

im 19. Jahrhundert von Karl Bartsch und Moritz Haupt vorangetrieben worden war. Schweikle führt aus, dass<br />

Rekonstruktionen von Kontrafakturen zwischen provenzalischen oder altfranzösischen Liedmelodien und<br />

34<br />

Aus: Joachim BUMKE, Höfische Kultur, Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Deutscher Taschenbuch<br />

Verlag München 2008, 12. Auflage (1. Auflage April 1986), S.130<br />

35<br />

Aus: Joachim BUMKE, Höfische Kultur, Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, Deutscher Taschenbuch<br />

Verlag München 2008, 12. Auflage (1. Auflage April 1986), S.130 131<br />

9


mittelhochdeutschen Minnesangtexten immer dann überzeugend seien, wenn die Texte eine gleiche Motivik<br />

und dasselbe Reimschema aufweisen würden.<br />

An dieser Stelle möchte ich Passagen aus der bekannten Zusammenstellung von Günther Schweikle aus dem<br />

Jahr 1989 anführen:<br />

„Es finden sich nun tatsächlich einige mittelhochdeutsche Lieder, die dieselbe Strophenstruktur wie prov. oder<br />

afrz. Lieder aufweisen, z. T. auch mit Motiv- und Themenparallelen. In solchen Fällen wird postuliert, daß mit<br />

der Strophenstruktur auch die Melodie des betreffenden romanischen Liedes übernommen worden sei (…) wie<br />

z. B. En chantan m´aven a membrar (Beim Singen habe ich mich erinnert, PC 155,8) des Trobador Folquet de<br />

Marseille (ca. 1160-1231) und das mhd. Lied Si darf mich des zihen niet (MF 45,37) von Friedrich von Hausen<br />

(ca. 1150-1190).“ 36 Das Motiv der Sinnverwirrung findet sich in beiden Texten. Allerdings unterscheiden sich die<br />

Texte im Reimschema (Folquet: aa bb cccc dd; Hausen: aa bb cc dd ee).<br />

Schweikle zeigt die Grenzen der Kontrafakturforschung auf in diesem lesenswerten Abschnitt:<br />

„Bei persönlichen Kontakten während höfischer Geselligkeit konnten Melodien und Texte ins Gehör fallen, die<br />

dann – korrekt oder mit Abwandlungen – im Gedächtnis bewahrt wurden. Zu den Melodien mochten dann<br />

eigens Texte verfaßt worden sein, in welche wiederum auch einzelne textliche Remineszenzen an<br />

unterschiedliche Lieder einflossen – so zufällig, wie sie sich tatsächlich in der Überlieferung darbieten. Die<br />

Kontrafakturforschung kann also bei der gegebenen Überlieferung nicht mehr anbieten als Impressionen, wie<br />

ein ohne Melodie erhaltenes mhd. Lied geklungen haben könnte. So sollten auch die Ausgaben mhd. Lieder mit<br />

Melodien verstanden werden (die allerdings oft den fragwürdigen Anschein sicherer Ergebnisse erwecken).“ 37<br />

Zwei Punkte gilt es zu bedenken: Einerseits sind bei einigen Minneliedern zu demselben Minneliedtext mehrere<br />

Melodien überliefert. Und andererseits müssen wir davon ausgehen, dass Minnelider nicht nur gesungen,<br />

sondern auch vorgelesen worden sind. Das Wort-Ton-Verhältnis ist weniger eng, als es in der Forschung<br />

ursprünglich angenommen worden ist und muss für jeden einzelnen Gesang neu ausgelotet werden. Nach<br />

Günther Schweikle war der Minnelyriker in erster Linie ein Wortschöpfer und erst in zweiter Linie Komponist. 38<br />

Es stellt sich die Frage, ob das Erstellen einer Kontrafaktur nicht eher den Namen „Stilkopie“ der<br />

provenzalischen und altfranzösischen Minnelieder, die mit Melodien überliefert sind, bzw. der mehr<br />

abgesicherten Kontrafakten verdienen würde. Auch wenn die heutige Imitation einer Kontrafaktur auf keinen<br />

Anspruch auf Historizität stellen darf, so bieten solche Stilkopien doch nach Meinung der Kontrafakturforscher<br />

sehr wohl plausible Hypothesen zur Textdeklamation der Minnelieder und Epen, zum Wort-Ton-Verhältnis und<br />

für die heutige Umsetzung als Gesang oder Gesang mit Instrumentalbegleitung.<br />

Musikwissenschaftler, die sich mit der Frage auseinandersetzen, wie Epen wie derjenige Eneasroman von<br />

Veldeke vorgetragen werden könnten, kommen zu Antworten wie beispielsweise Stefan Morent. Die<br />

literarische Vorlage und das Instrument aus derselben Zeit selbst werden zu Informationsträgern über die Art<br />

der Musik:<br />

"Obwohl wir heute von Schriftlichkeit und einem vorwiegend intellektuellen Zugang zu diesen Phänomenen<br />

geprägt sind, können wir doch versuchen, einige Prinzipien der mündlichen Überlieferung zu rekonstruieren. So<br />

sind uns natürlich etwa die Heldenepen nur in der späteren schriftlichen und damit bereits veränderten<br />

Überlieferung zugänglich; bestimmte Strukturen innerhalb dieser Texte, wie Wiederverwendung von<br />

Textbausteinen und Refrains, geben auch auch heute noch Hinweise auf die Spielregeln mündlichen Vortrags.<br />

Entscheidend ist, dass es sich eben nicht um Literatur zum Lesen handelte, sondern diese ausschließlich hörend<br />

36<br />

Günther SCHWEIKLE, Minnesang, in: Sammlung Metzler. Realien zur Literatur, Bd. 244, J. B. Metzlersche<br />

Verlagsbuchhandlung Stuttgart 1989, S.44<br />

37<br />

Günther SCHWEIKLE, Minnesang, in: Sammlung Metzler. Realien zur Literatur, Bd. 244, J. B. Metzlersche<br />

Verlagsbuchhandlung Stuttgart 1989, S.47<br />

38<br />

Vgl. Günther SCHWEIKLE, Minnesang, in: Sammlung Metzler. Realien zur Literatur, Bd. 244, J. B. Metzlersche<br />

Verlagsbuchhandlung Stuttgart 1989, S.53<br />

10


ezipiert wurde. - An solchen Strukturen entlang kann sich auch eine musikalische Rekonstruktion bewegen. Da<br />

aus der fraglichen Zeit keinerlei musikalische Aufzeichnungen überliefert sind, übernehmen das Instrument und<br />

die daraus abgeleiteten Spielweisen und Stimmungen die Rolle eines Führers durch das Dunkel der Geschichte.<br />

Gestützt werden die Erkenntnisse hieraus durch Beobachtungen an heute noch lebendigen mündlichen<br />

Musikkulturen sowie durch das Studium schriftlich überlieferter modaler Musik aus späterer Zeit." 39<br />

Als ein Ansatz zur Erstellung von Kontrafakten zu Veldekes Dichtungen hat A. Touber das Veldeke Lied Het is<br />

gûde nouwe mâre mit der Sequenz Stabat Mater verglichen und konnte immerhin aussagen, dass die<br />

„Viktorinische Form“ (Textstruktur/Form wie in vielen Texten von Adam von Sankt Viktor) nicht nur in dem<br />

Liedtext von Veldeke zu finden sei, sondern in vielen Texten der mittelhochdeutschen Lyrik. 40<br />

Günther Schweikle führt eine Liste mutmaßlicher Kontrafakturen an: 41<br />

a) zu provenzalischen Dichtern (Trobadors):<br />

Dietmar von Aist Bernart de Ventadorn<br />

Der winter waere mir ein zît (MF 35,16) Quan vei l´alauzeta mover (PC 70,43)<br />

Reinmar/Heinrich von Rugge Bernart de Ventadorn<br />

Vil wunneclîchen hôhe stât (MF 103,27) Quan vei l´alauzeta mover (PC 70,43)<br />

Rudolf von Fenis Folquet de Marseille<br />

Gewan ich ze minnen ie guoten wân Si tot me sui a tart aperceubutz (PC 155,2)<br />

(MF 80,1)<br />

Rudolf von Fenis Peire Vidal<br />

Nu ist niht mêre mîn gedinge (MF 84,10) Pos tornatz sui en Proensa (PC 364,37)<br />

Friedrich von Hausen Gaucelm Faidit<br />

Diu süezen wort habent mir getân (MF 44,13) Si tot m´ai tarzat mon chan (PC 167,53)<br />

Friedrich von Hausen Chrestien de Troyes<br />

Diu süezen wort habent mir getân (MF 44,13) (R 1664, s.u.)<br />

Friedrich von Hausen Folquet de Marseille<br />

Si darf mich des zîhen niet (MF 48,32) En chantan m´aven a membrar (PC 155,8)<br />

Friedrich von Hausen Bernart de Ventadorn<br />

Dô ich von der guoten schiet (MF 48,32) Pos prejatz mi seignor (PC 70,36)<br />

Reinmar Gaucelm Faidit<br />

Mîn ougen wurden liebes alse vol (MF 194,18) Mon cor e mi e mas bonas chansons (PC 167,37)<br />

39 Stefan MOR<strong>EN</strong>T, Die Trossinger Merowingerleier, in: Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hrsg.), Vom<br />

Minnesang zur Popakademie. Musikkultur in Baden-Württemberg, DRW-Verlag Weinbrenner und G. Braun<br />

Buchverlag, Karlsruhe 2010, S.135-139, S.139<br />

40 „Nach Veldeken können wir in der mittelhochdeutschen Lyrik noch oft das Übernehmen von Sequenzformen in<br />

Kanzonenaufgesänge beobachten. Ich gebe einige Beispiele. Die lateinischen Texte habe ich der<br />

mittellateinischen Poetik von Eberhard dem Deutschen, dem Laborintus, entnommen. Der Laborintus stammt<br />

zwar aus dem 13. Jahrhundert, diese Formen datieren aber nachweisbar aus dem 12. Jahrhundert.“ (S.74) Es<br />

war demnach gängige Praxis, solche Textformen für weltliche Dichtung zu wählen. – A. TOUBER, Veldekes Stabat<br />

Mater; in: Gilbert A.R. de Smet (Hrsg.), Heinric van Veldeken, Symposion Gent 23-24 Oktober 1970, Antwerpen<br />

1971, S.70-76<br />

41 Vgl. Günther SCHWEIKLE, Minnesang, in: Sammlung Metzler. Realien zur Literatur, Bd. 244, J. B. Metzlersche<br />

Verlagsbuchhandlung Stuttgart 1989, S.47-49<br />

11


) zu altfranzösischen Dichtern (Trouvères)<br />

Heinrich von Veldeke Pierre de Molins<br />

Mir hete wìlent zeiner stunde (MF 57,18) Fine amours et bone esperance (R 221)<br />

Heinrich von Veldeke Gace Brulé<br />

Swer ze der minne is sô fruot (MF 61,33) Oiés pour quoi plaing et soupir (R 1465)<br />

Hartmann von Aue Gace Brulé<br />

Ich muoz von rehte den tac iemer minnen Ire d´amours qui en mon cuer repaire (R 171)<br />

(MF 215,14)<br />

Rudolf von Fenis Gace Brulé<br />

Mit sange wânde ich mîne sorge krenken Tant m´a mene force de signorage (R 42)<br />

(MF 81,30; 83,11)<br />

Bligger von Steinach Gace Brulé<br />

Er funde guoten kouf an mînen jâren Tant m´a mene force de signorage (R 42)<br />

(MF 118,19)<br />

Hartwig von Raute Gace Brulé<br />

Mir tuot ein sorge wê in mînem muote Tant m´a mene force de signorage (R 42)<br />

(MF 116,1)<br />

Friedrich von Hausen Gace Brulé<br />

Ich lobe got der sîner güete (MF 50,19) Pensis d´amours vueil retraire (R 187)<br />

Friedrich von Hausen Blondel de Nesele<br />

Gelebt ich noch die lieben zît (MF 45,1) Se savoient mon tourment (R 742)<br />

Friedrich von Hausen Chastelain de Couci<br />

Mîn herze und mîn lîp diu wellent scheiden La douce vois du rossignol salvage (R 40)<br />

(MF 47,9)<br />

Friedrich von Hausen Conon de Béthune<br />

Mîn herze und mîn lîp diu wellent scheiden Ahi, Amours, con dure departie (R 1125)<br />

(MF 47,9)<br />

Friedrich von Hausen Guiot de Provins<br />

Ich denke underwîlen (MF 51,33) Ma joie premeraine (R 142)<br />

Bernger von Horheim Gace Brulé<br />

Nu lange ich mit sange (MF 115,27) Ne puis faillir a bone chancon faire (R 160)<br />

Bernger von Horheim Chrestien de Troyes<br />

Nu enbeiz ich doch des trankes nie D´Amours qui m´a tolu a moi (R 1664)<br />

(MF 112,1)<br />

Bernger von Horheim Conon de Béthune<br />

Wie solte ich armer der swaere getrûwen Mout me sermont Amors que je m´envoise<br />

(MF 114,21) (R 1837)<br />

Ulrich von Gutenberg Blondel de Nesle<br />

Ich hôrte ein merlikîn wol singen (MF 77,36) Bien doit chanter cui fine Amours adrece (R 482)<br />

12


Die Abkürzungen MF, PC und R stehen die Ausgaben:<br />

MF – Des Minnesangs Frühling. Unter Benutzung der Ausgabe von Karl Lachmann und Moriz Haupt, Friedrich<br />

Vogt und Carl von Kraus bearb. von Hugo Moser und Helmut Tervooren, 36., neu gestaltete und erweiterte<br />

Auflage, Bd. 1: Texte, Bd. 2: Editionsprinzipien, Melodien, Handschriften, Erläuterungen, 1977; Bd. 1: 37., rev.<br />

Auflage 1982<br />

PC – Alfred PILLET, Bibliographie der Troubadours. Ergänzt, weitergeführt und herausgegeben von Henry<br />

Carstens. 1933, 1968 2<br />

R – Gaston RAYNAUD, Bibliographie des chansonniers français des XIIIe et XIVe siècles. 2 Bände, Paris 1884; neu<br />

bearbeitet und ergänzt von Hans Spanke unter dem Titel: G. Raynauds Bibliographie des afrz. Liedes, Teil I<br />

(weitere Teile erschienen nicht) Leiden 1955<br />

Zu 6) Datensammlung zu Einzelthemen<br />

Gerne kann ich eine umfassendere Literaturliste einreichen, die bisherige Listen von mir zusammenfasst, wenn<br />

dies gewünscht sein sollte. Bitte lassen Sie mich wissen, ob eine solche Liste gewünscht ist. Danke!<br />

Auf die Anfrage von Herrn Baeten hin wurden zu einzelnen Themen Daten und Literatur gesammelt und<br />

weitergeleitet, so zum Minnesang allgemein, zur Carmina Burana, zum Dialoglied im Mittelalter, zum Ludus<br />

Danielis, zum Minnesänger Neidhart von Reuental, zum Mysterienspiel von Munsterbilzen.<br />

Für die weitere Beschäftigung mit Hendrik van Veldeke sind ggf. diesen Internetlinks hilfreich:<br />

http://titan.bsz-bw.de/bibscout/E-K/G/GE3003-GT1500/GF2501-GF6120/<br />

GF2615-GF6120/GF3367-GF6120/GF4032-GF4575/GF4433-GF4436/GF.4436<br />

- Verzeichnis von Sekundärliteratur zu Hendrik von Veldeke, zusammngestellt vom Bibliotheksservice Zentrum<br />

Baden-Württemberg.<br />

http://www.handschriftencensus.de/werke/164<br />

- Liste der Veldeke-Handschriften, zu denen Beschreibungen und Informationen vorliegen<br />

(Handschriftencensus)<br />

http://www.mediaevum.de/autoren/heinrich_von_veldeke.htm<br />

- Hendrik von Veldeke beim altgermanistischen Internetprotal Mediaevum.de, mit Einführungstext,<br />

Literaturhinweisen und Links<br />

Während meiner Literaturrecherche haben sich einige Publikationen als besonders interessant herausgestellt:<br />

„Höfische Kultur“, „Leben im 12. Jahrhundert“<br />

Gerhard NESTLER, Geschichte der Musik, Verlag Piper München und Verlag Schott Mainz, 1990 4<br />

Ferdinand SEIBT, Glanz und Elend des Mittelalters. Eine endliche Geschichte, Wolf Jobst Siedler Verlag Berlin<br />

1987, Sonderausgabe 1999<br />

Heinrich PLETICHA, Das Rittertum-Stand und Ansehen, Waffen und Rüstung, in: Heinrich Pleticha (Hrsg.),<br />

Deutsche Geschichte, Bd. 3: Die staufische Zeit 1152-1254, Verlagsgruppe Bertelsmann, Gütersloh 1985, S. 86-<br />

110<br />

13


Günter MERWALD, Die Dichtung der Stauferzeit, in: Heinrich Pleticha (Hrsg.), Deutsche Geschichte, Bd. 3: Die<br />

staufische Zeit 1152-1254, Verlagsgruppe Bertelsmann, Gütersloh 1985, S. 139-168<br />

Johannes FRIED, Das Mittelalter. Geschichte und Kultur, Deutscher Taschenbuch Verlag München 2011,<br />

ungekürzte Ausgabe (München 2008)<br />

L. J. R. MILIS, Counts, Cities, and Clerics: The Eleventh, Twelfth, and Thirteenth Centuries, in: J. C. H. Blom & E.<br />

Lamberts (Hrsg.), History of the Low Countries, [Erste Ausgabe: Geschiedenis van de Nederlanden, Berghahn<br />

Books New York, Oxford 1999,] Englische Ausgabe: History of the Low countries, übersetzt von James c.<br />

Kennedy, Berghahn Books New York, Oxford 2006.<br />

Michael ERBE, Belgien. Niederlande. Luxemburg, Geschichte des niederländischen Raumes, Verlag Kohlhammer<br />

Stuttgart Berlin Köln 1993<br />

„Hendrik van Veldeke“<br />

John R. SINNEMA, Hendrik Van Veldeke, Twayne Publishers, Inc. New York 1972<br />

Helmut TERVOOR<strong>EN</strong>, Zur mittelniederländischen Lyrik. Überlegungen zur Überlieferung des höfischen Liedes im<br />

13. und 14. Jahrhundert; in: Michael Zywietz, Volker Honemann, Christian Bettels (Hrsg.): Gattungen und<br />

Formen des europäischen Liedes vom 14. bis zum 16. Jahrhundert (Studien und Texte zum Mittelalter und zur<br />

frühen Neuzeit), Bd. 8, Münster 2005, S. 285-294<br />

Joseph SMITS <strong>VAN</strong> WAESBERGHE, De melodieën van Hendrik van Veldekes liederen, Amsterdam : Noord-Holl. Uitg.<br />

Mij., 1957 (31 S. Kart.)<br />

Jan GOOSS<strong>EN</strong>S, De schamele resten van de vroege Rijn-Maaslandse epiek, in: Verslagen en Mededelingen van de<br />

Kon. Academie voor Nederlandse Taal- en Letterkunde 115 (2005), afl. 1, p. 53-72.<br />

„Hendrik van Veldekes Eneasroman“<br />

Die umfangreichste Literaturliste zum Eneasroman Hendrik van Veldekes findet sich meines Wissens in der<br />

Fromm-Ausgabe:<br />

Hans FROMM (Hrsg.), Heinrich von Veldeke Eneasroman. Die Berliner Bilderhandschrift mit Übersetzung und<br />

Kommentar, Mit den Miniaturen der Handschrift und einem Aufsatz von Dorothea und Peter Diemer,<br />

Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main, 1992, 1. Auflage<br />

Das Faksimilie der Handschrift Ms. germ. fol. 282, Staatsbibliothek zu Berlin (Preußischer Kulturbesitz), findet<br />

sich hier:<br />

Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Elektronisches Faksimile des Ms. germ. fol. 282, Staatsbibliothek zu Berlin -<br />

Preußischer Kulturbesitz. Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert 2003. CD-ROM. EUR 29,90.<br />

ISBN: 3-89500-342-5.<br />

http://www.iaslonline.lmu.de/index.php?vorgang_id=910<br />

Der Wiener `Eneasroman` (Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vind. 2861) Heinrichs von Veldeke in Text<br />

und Bild. Untersuchungen zu Ikonographie und Textüberlieferung des ältesten höfischen Antikenromans in<br />

deutscher Sprache, Disseration, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br., 2001<br />

Heinrich von Veldeke: Eneas-Roman. Vollfaksimile des Ms. germ. fol. 282 der Staatsbibliothek zu Berlin.<br />

Preussischer Kulturbesitz. Einführung und kodikologische Beschreibung von Nikolaus Henkel. Kunsthistorischer<br />

Kommentar von Andreas Fingernagel, Dr. Ludwig Reichert Verlag Wiesbaden 1992<br />

14


Zu Primärquellen bzw. deren Auswertungen führen folgende Internetlinks:<br />

http://diglit.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg403/<br />

- Heindrik von Veldeke: Eneit. Digitalisat der Handschrift Cod. Pal. germ. 403 (Straßburg - "Werkstatt von 1418",<br />

1419) von der Unversitätsbibliothek Heidelberg.<br />

http://www.e-codices.unifr.ch/de/list/one/cb/0083<br />

- Hendrik von Veldeke: Eneide. Digitalisat der Handschrift Cod. Bodmer 83 der Fondation Martin Bodmer,<br />

Coligny.<br />

Papier 62 ff., 30.0 x 20.0 cm, Hessen, drittes Drittel des 14. Jahrhunderts: Heinrich von Veldeke, Eneide. Der<br />

Codex aus dem 14. Jahrhundert ist eine von sieben erhaltenen Handschriften, welche den Eneasroman<br />

Heinrichs von Veldeke vollständig überliefern.<br />

http://www.mr1314.de/1062<br />

- Marburger Repertorium. Beschreibung der Handschrift Berlin, Staatsbibl., mgf 282 (Heinrich von Veldeke:<br />

Eneas, ca. 1220-1230) mit einem Verzeichnis der Forschungsliteratur zur Handschrift.<br />

http://titus.uni-frankfurt.de/texte/etcs/germ/mndl/stserv/stser.htm<br />

- Veldekes Servatiuslegende, übersetzt ins Niederländische. Thesaurus Indogermanischer Text- und<br />

Sprachmaterialien (TITUS).<br />

http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/volltexte/2001/geist-soz/3/Texte/Antikenr/Eneit/zus_einei.htm<br />

- Zusammenfassung des Inhalts von Veldekes Eneide.<br />

Zu 7) Perspektiven für Projekte<br />

Langfristige Projekte wissenschaftlicher Natur<br />

Es ist auffällig, wie viele Publikationen im Feld der Sprachforschung und auch der historischen Wissenschaft<br />

zum Thema Minnesang bestehen. Auch an der Person Hendrik van Veldeke ist das Interesse immens groß. 42<br />

Andreas Haug, Professor für Musikwissenschaft am Institut für Musikforschung der Universität Würzburg,<br />

konnte in diesem Jahr ein großes Editionsprojekt starten: Corpus monodicum. Die einstimmige Musik des<br />

lateinischen Mittelalters. Gattungen – Werkbestände – Kontexte. Dieses Großprojekt ist Teil des<br />

Akademienprogramms der Akademie der Wissenschaft und Literatur Mainz<br />

(http://www.adwmainz.de/index.php?id=1294). Erfasst werden allerdings in diesem Forschungsprojekt allein<br />

lateinische Gesänge.<br />

Neue Wege unter Einbindung computergestützter Techniken werden versucht und richten sich insbesondere<br />

auf die Erstellung digitaler Musikeditionen. 43 Gemeint sind beispielsweise CCARH (Center for Computer Assisted<br />

Research in the Humanities at Stanford University), CFEO (Chopin's First Editions Online), CMME (Computerized<br />

Mensural Music Editing), DIAMM (Digital Image Archive of Medieval Music), DiMusEd (Digitale Musik Edition –<br />

Forschungsprojekt der Universität Tübingen), DME (Digital Mozart Edition), Edirom (Digitale Musikedition -<br />

42<br />

Mir ist nur eine Publikation begegnet, in der Hendrik van Veldekes Werke negativ besprochen wird: Hennig<br />

BRINKMANN, Entstehungsgeschichte des Minnesangs, in: Paul Kluckhohn, Erich Rothacker (Hrsg.), Deutsche<br />

Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 1925<br />

43<br />

Die Projekte OPERA, Edirom, TüBingen, e-sequence, MEI u.a. werden in der Juli-Ausgabe vom Magazin "Die<br />

Tonkunst" vorgestellt: Die Tonkunst. Magazin für klassische Musik und Musikwissenschaft, Juli 2011, Nr. 3, Jg. 5<br />

(2011), Thema: Perspektiven digitaler Musikedition<br />

15


Forschungsprojekt der Universität Paderborn), das Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und<br />

Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften, Universität Trier, MEI (The Music Encoding Initiative),<br />

MusicXML, muwimedial.de (Portal für computergestützte Musikwissenschaft), TEI (The Text Incoding Initiative)<br />

und TextGrid (Community-Grid für die Geisteswissenschaften). 44<br />

Direkte Vergleiche zum Reimschema in Veldekes Lieddichtungen können bereits unternommen werden durch<br />

die "Nederlandse Liederenbank", die vom Meertens Instituut (Joan Muyskenweg 25, 1096 CJ Amsterdam)<br />

unterhalten wird (http://www.liederenbank.nl/index.php?wc=true).<br />

Ein ähnliches Projekt, bei dem auch Audioaufnahmen mitberücksichtigt werden, ist das Projekt e-sequence -<br />

Digitale und multimediale Edition der Sequenzen Notkers des Stammlers (ca. 840-912) unter Leitung von Stefan<br />

Morent (http://www.dimused.uni-tuebingen.de/e-sequence.php). Tatsächlich ist dieses Projekt eingebunden<br />

in ein größeres Vorhaben mehrerer Projektpartner, so der Stiftsbibliothek Sankt Gallen, dem e-codices-Projekt,<br />

der Universität Freiburg/Schweiz, dem SWR Tübingen, der Universität Tübingen und dem Christophorus-Label.<br />

Die eingespielten Sequenzen Notkers sollen mit den entsprechenden Digitalisaten der Handschriften<br />

verbunden werden. Schlußendlich soll eine eigene Website erstellt werden, die "einen intuitiven und einfachen<br />

Zugang zu den Handschriften und den Audio-Aufnahmen erlaubt" (10. Oktober 2011: http://www.dimused.unituebingen.de/e-sequence.php).<br />

Auch zum Werk von Minnesängern sind Überlegungen zu digitalen Edition nicht neu. Heike Jurzik<br />

veröffentlichte beispielsweise im Jahr 2002 folgenden Artikel: Heike JURZIK, Digitale Editionen mittelalterlicher<br />

Liederhandschriften am Beispiel von Walthers ‚Palästinalied‘, in: Thomas Bein (Hrsg.), Walther von der<br />

Vogelweide, Beiträge zu Produktion, Edition und Rezeption, Walther-Studien, Bd. 1, Frankfurt a. M 2002, S.<br />

305–328<br />

Aus meiner Sicht wäre ein weiteres Internetportal wünschenswert, dass digitale Editionen von Texten und<br />

Melodien der Minnelyrik, den heutigen Stand der Kontrafakturforschung (Noteneditionen und<br />

Publikationslisten) und außerdem Audioaufnahmen vereint. Die Homepage der Alamire Foundation wäre aus<br />

meiner Sicht der optimale Ort für ein solches Portal. Nicht nur polyphone Musik könnte hier im Fokus sein,<br />

sondern auch die Minnesangforschung, Aufnahmen von Rekonstruktionen der Lieder und umfassende<br />

Informationen zum Thema. Es wäre die Frage, ob man ggf. neben dem Minnesang auch den Meistersang, der<br />

die Tradition der gelehrten Sangspruchdichtung fortsetzte, mitberücksichtigen könnte. Immerhin gab es<br />

prominente Minnesänger wie beispielsweise Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach, die<br />

ebenfalls für ihre Sangspruchdichtungen bekannt waren. 45<br />

Ideen für künstlerische Projekte<br />

Hendrik van Veldekes Servatiuslegende – das mittelalterliche Servatiusoffizium<br />

Ein Konzert, in dem die Gesänge des gregorianischen Servatiusoffiziums vorgetragen sowie Ausschnitte der<br />

Servatiuslegende von Hendrik van Veldeke rezitiert werden würden, wäre aus meiner Sicht eine herausragende<br />

Präsentation des maasländisch-limburgischen Minnesängers Hendrik van Veldeke. Als Ensemble könnte die<br />

Schola Maastricht unter der Leitung von Hans Heykens eingeladen werden, da diese bereits Teile des Offiziums<br />

eingespielt hat (vgl. die Aufnahme von Teilen des Servatiusoffiziums auf der CD De vier stadsdevoties van<br />

Maastricht der Maastrichter Schola 2011, STEMRA RADG03; Registratie, Editing, Mastering: Jo Smeets, Radio<br />

Transit Recording Service, Maastricht). Beim Gregorianikkongress 2011 in Poznan/Polen habe ich den Leiter der<br />

44 Alle LInks finden sich unter: http://www.adwmainz.de/index.php?id=680<br />

45 Volker MERT<strong>EN</strong>S, Minnesang und Meistersang im deutschen Südwesten, in: Badisches Landesmuseum<br />

Karlsruhe (Hrsg.), Vom Minnesang zur Popakademie. Musikkultur in Baden-Württemberg, DRW-Verlag<br />

Weinbrenner und G. Braun Buchverlag, Karlsruhe 2010, S.321-331, S.327<br />

16


Schola Maastricht, Herrn Heykens, kennengelernt, und im Gespräch hat sich ein Austausch zu den Aktivitäten<br />

rund um Hendrik van Veldeke ergeben. Herr Heykens zeigte sich sehr interessiert.<br />

Hendrik van Veldekes Eneasroman und seine Lieder – das Mainzer Hoffest von 1184<br />

Ziel einer besonderen Performance-Veranstaltung könnte die Inszenierung des Vortrags von Veldekes<br />

Lieddichtungen auf dem Mainzer Hoffest von 1184 sein. 46 In dieser Performance-Veranstaltung könnten auch<br />

Teile seines Epos Eneide vorgetragen werden. Die Abbildungen der Handschrift Ms.germ.fol.282, die heute in<br />

der Staatsbibliothek Berlin (Preußischer Kulturbesitz) aufbewahrt wird, könnten als Großprojektion gezeigt<br />

werden bzw. einen heutigen bildenden Künstler zu neuen Werken anregen, die großformatig während der<br />

Veranstaltung gezeigt werden könnten. Als Ausführende würde ich Benjamin Bagby und das Ensemble Ordo<br />

Virtutum unter der Leitung von Stefan Morent (http://www.ordovirtutum.org/) empfehlen.<br />

Dr. Inga Behrendt<br />

Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Alamire Foundation, Leuven und Lehrbeauftragte im Fach<br />

Musikwissenschaft an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim<br />

Inga Behrendt<br />

46<br />

Die Anwesenheit Veldekes auf diesem Hoffest ist belegt, da von ihm selbst einige kurze Äußerungen zu<br />

diesem Hoffest in seinem Eneasroman überliefert sind. Auch soll der Austausch mit den dort anwesenden<br />

Dichtern Veldekes eigenes Schaffen beeinflusst haben. Es ist daher wahrscheinlich, dass van Veldeken eigene<br />

Lieder auf dem Hoffest vorgetragen hat.<br />

17


ANHANG I<br />

Herkunft der Textübertragung und der Übersetzung:<br />

CD De vier stadsdevoties van Maastricht der Maastrichter Schola unter der Leitung von Hans Heykers, STEMRA<br />

RADG03 2011; Registratie, Editing, Mastering: Jo Smeets, Radio Transit Recording Service, Maastricht<br />

Sequenz Lux preclara<br />

Lux preclara, lux solempnis, Helder licht, plechtig licht,<br />

in qua vite lux perhennis waarmee het eeuwig<br />

illuxit Servacio. levenslicht Servatius beschijnt.<br />

Felix vita confessoris, Gelukzalig leven van de belijder,<br />

cuius merces est laboris wiens werkloon is de belonging<br />

vite retribution. met het [eeuwig] leven.<br />

Servus prudens et fidelis (Mt 24,45) De voorzichtige en trouwe dienaar<br />

hic promissum sed in celis ontvangt hier de belofte, maar in de hemel<br />

recipit denarium. krijgt hij zijn loon.<br />

Hanc adeptus est mercedem, Deze beloning verkreeg hij:<br />

heres regni coheredem dat de Erfgenaam tot medeerfgenaam<br />

fecit mercenarium. van het Koninkrijk, de huurling maakte.<br />

Christi miles et cognatus Soldaat en bloedverwant van Christus,<br />

stola fulget candidatus, straalt hij in het witte kleed, waarvan<br />

quam figurat lylium. de lelie het symbol is.<br />

Miles regnat iam cum Als soldaat regeert hij al met<br />

Rege, quem cognatum carnis lege de Koning, die Zijn bloedverwant naar vleselijke<br />

adoptat in filium. wet als zoon heeft aangenomen.<br />

Ad externas regiones Naar verre streken en<br />

et ignotas mantiones onbekende woningen ging hij<br />

peregrinus exiit. als pelgrim.<br />

Pro eternis ad externas, Omwille van de eeuwige ging<br />

ab externis ad eternas hij naar de verre, en van de verre ging hij<br />

mansiones transiit. naar de eeuwige woningen.<br />

Pauper Christi revelatur, Als arme van Christus openbaarde hij zich,<br />

angelico presulatur op aanwijzing van een engel word hij tot<br />

electus indicio. bissschop aangesteld.<br />

Visa tandem visione Maar door het aanschouwen van een visioen<br />

de perdenda regione over de vernietiging van de streek<br />

formidatur ulcio. ontstaat vrees voor (Goddelijke) wraak.<br />

Romam petit oraturus, Hij gaat naar Rome om te bidden,<br />

Petri Petrum petiturus om Petrus te bidden gaat hij de kerk<br />

intrat oratorium. van Petrus binnen.<br />

18


Petro preces sunt oblate, Gebeden worden gericht tot Petrus,<br />

sed cor gentis obstinate maar het hart van het halsstarrige volk verdient<br />

meretur contrarium. het tegenovergestelde.<br />

Revertenti clavis datur Wanneer hij teruggaat wordt hem een<br />

de manu Clavigeri, een sleutel gegeven, uit de handen van de<br />

per quam duplex designatur Sleuteldrager (=Petrus) symbol van de<br />

potestas presbiteri. tweevoudige priesterlijke macht.<br />

Clavem secum doctrinalem De sleutel van de kennis droeg de wijze man<br />

vir discretus detulit. met zich mee. Toen hij gevangen genomen was<br />

Estum captus estivalem verdroeg hij, beschaduwd, de zomerse hitte.<br />

obumbratus pertulit.<br />

Obumbrantem aquilam De adelaar die hem schaduw gaf, wanneer koning<br />

rex ut vidit Attila, Attila die ziet, brengt Attila tot inkeer het zien van de<br />

penitentem Attilam adelaar.<br />

visa reddit Aquila.<br />

Ad fidem convertitur Tot het geloof wordt bekeerd de koning,<br />

viso rex miraculo, door het zien van het wonder,<br />

fidelis efficitur hij wordt gelovig,<br />

gentilis a credulo. de heiden, van lichtgelovige.<br />

Sacro fonte rex renatus De koning, herboren in het<br />

et in fide confortatus heilige doopbekken, en<br />

cessit ydolatriam. bekrachtigd in het geloof verliet de afgoderij.<br />

Revocatus ab errore Van zijn dwaling<br />

confessorem cum honore teruggekomen, liet hij de<br />

remisit in patriam. belijder met alle eer teruggaan naar zijn land.<br />

Regressus nec distulit, Toen hij terug was talmde hij niet,<br />

sed Traiectum transtulit maar bracht hij naar Maastricht de<br />

sedem presulatus. bisschopszetel over.<br />

Furtum clavis edidit, De diefstal van de sleutel, die<br />

quam fur humo condidit, de dief in de grond gestopt had,<br />

aviam volatus. wird opgelost door het vliegen van vogels.<br />

Serve bone (Mt 15,51), fac, Servati, Goede dienaar, Servatius, maak dat bewaard<br />

ut in bono conservati servi tui in het goede, uw dienaren gered worden,<br />

Sint salvati in sanctorum numero. met het getal der heiligen.<br />

In secundo nos adventu Dat Gij bij de Tweede Komst ons op uw<br />

tuo serves interventu voorspraak bewaart voor het gezelschap der<br />

dampnatorum a conventu verdoemden en het scherpe woord. Amen.<br />

et a verbo aspero (Ps 90,3). Amen.<br />

19


ANHANG II<br />

1) Geistliche Spiele im Mittelalter<br />

2) Das Dreikönigsspiel von Munsterbilzen<br />

3) Die Carmina Burana<br />

4) Der Ludus Danielis<br />

Zu 1) Geistliche Spiele im Mittelalter<br />

Vom mittelalterlichen Schauen und von geistlichen Spielen<br />

Inga Behrendt<br />

Geistliche Spiele, verschiedentlich benannt als Liturgische Spiele oder Liturgische Dramen, sind seit dem 10.<br />

Jahrhundert bekannt. 47 Entstanden im Mittelalter, bezeichnet „Geistliches Spiel“ eine dramatisierte Darstellung<br />

von biblischen Handlungen, die im Rahmen der Liturgie oder in einem kirchlichen Umfeld aufgeführt worden<br />

sind. Das erste bekannte Liturgische Spiel setzt den Besuch am Heiligen Grab, die Visitatio sepulchri, in Szene.<br />

Im Rahmen der Osterliturgie wurde diese Visitatio sepulchri „aufgeführt“, d. h. die Szene des Besuchs der<br />

Frauen am Grab Jesu nach seiner Kreuzigung wurde in Dialogform wiedergeben und durch Einbeziehung<br />

verschiedener Orte im Kirchenraum verdeutlicht. Wer sich diese dramatisierte Umsetzung mit gesprochenen<br />

Dialogen wie in einem Schauspiel vorstellt, geht fehl. Denn tatsächlich sind die Dialogäußerungen der Personen<br />

die Textgrundlage von Antiphonen, d. h. von liturgischen Gesängen in zunächst lateinischer Sprache. Es gibt<br />

aber zumindest in den frühen Liturgischen Spielen auch Gesänge von beschreibender Natur, deren Texte keine<br />

Handlung weiterführt. Bei näherer Betrachtung der Visitatio sepulchri zeigt sich die Entwicklung der<br />

liturgischen Spiele im Verlauf des Mittelalters, denn im Laufe des Mittelalters nehmen die handlungstragenden<br />

Gesänge immer mehr zu. So tritt die Visitatio sepulchri zunächst nur in der kurzen Form (Typ I) auf und umfasst<br />

nur den Besuch der Marien am Grab. Aus diesem Typ I entwickelt sich ein Typ II, bei dem ein „Jüngerlauf“<br />

hinzugefügt ist, d. h. der Lauf von Petrus und Johannes zum Grab. Im Typ III wird zusätzlich die Szene<br />

nachgestellt, in der der Auferstandene vor Maria Magdalena erscheint. Die Begeisterung für die Liturgischen<br />

Spiele ließ den Wunsch nach weiteren Spielen aufkommen; zunächst entstand für Weihnachten die Visitatio<br />

praesepis (Besuch der Krippe). Im 12. Jahrhundert kamen weitere Spiele hinzu. So wurde die Passion<br />

nachgestellt, Maria oder der Hl. Nikolaus in einem Spiel verehrt, 48 oder es wurde die Anbetung durch die drei<br />

Weisen aus<br />

47<br />

Theo Stemmler, Liturgische Feiern und geistliche Spiele. Studien zu Erscheinungsformen des Dramatischen im<br />

Mittelalter, Tübingen 1970, S. 96-121, bes. S. 3<br />

48<br />

Theo Stemmler, Liturgische Feiern und geistliche Spiele. Studien zu Erscheinungsformen des Dramatischen im<br />

Mittelalter, Tübingen 1970, S. 96-121<br />

20


dem Morgenland oder die Erzählung von Joseph und seinen Brüdern zum Ausgangspunkt bei der Entstehung<br />

neuer Liturgischer Spiele. 49<br />

Im Spätmittelalter „waren es (im Osterfestkreis) die Palmprozession am Palmsonntag, dann die Passions- und<br />

Osterspiele, aus denen sich das mittelalterliche Theater entwickelte.“ 50 Arnold Angenendt nutzt in seinem<br />

beeindruckenden Werk „Geschichte der Religiosität im Mittelalter“, in dem er die mittelalterliche Religiosität<br />

umfangreich beschreibt, das Wort „Theater“. Doch mit Mimesis oder Charakterisierung haben die Liturgischen<br />

Spiele – wenigstens von ihrem Ursprung her – nichts gemein. Sie dienen zunächst nur dazu, die<br />

gottesdienstliche Vergegenwärtigung mit ihrem Mittel der Nachstellung von Handlungen in Gesängen, dazu<br />

noch liturgischen Gesängen (lat. Antiphonen) mit zu vollziehen. Dass was zuvor in der Liturgie integrative<br />

Aussage war (beispielsweise die Auferstehung Christi in der Osterliturgie), wird im Liturgischen Spiel durch die<br />

Darstellung nur weniger Szenen (beispielsweise des Besuchs der Marien am Grab und des Jüngerlaufs in der<br />

Visitatio sepulchri) imitiert und dadurch auf andere Weise präsent und erfahrbar.<br />

Dabei ist der christlichen Liturgie die dramatisierte Darstellung keineswegs fremd. Jede Eucharistiefeier setzt<br />

das letzte Abendmahl in Szene; in der Liturgie „vergegenwärtigen“ wir Christus – in der Person des Priesters, in<br />

der Gestalt des Brotes und der Heiligen Schrift sowie in uns selbst. Wir sprechen daher von Vergegenwärtigung<br />

in der Liturgie. 51 Das Theater bietet im Gegensatz dazu ein Schau-Spiel, d. h. eine, von einem Publikum<br />

rezipierbare dramatisierte Handlung auf der Bühne des Theaterhauses, weit weg vom Zuschauer: das<br />

Schauspiel kann der Besucher des Theaters ansehen und anhören. Liturgie und Schauspiel unterscheiden sich<br />

jedoch wesentlich durch die Vorstellung, dass in der Liturgie nicht nur eine Handlung wiederholt wird und<br />

damit neu erfahrbar gemacht wird, sondern diese tatsächlich neu wirksam geschieht. Auch das Schauspiel hat<br />

einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den Theaterbesucher. Theatersoziologen haben über den Einfluss<br />

des Schauspiels auf den Zuschauer vielfach gesprochen, exponiert ist Bertolt Brechts Vorstellung von der<br />

Katharsis durch einen Verfremdungseffekt in dem von ihm so genannte „didaktische Theater“. 52<br />

Der Unterschied zwischen Theatervorstellung und Liturgie liegt wohl darin, dass die Kirche davon ausgeht, dass<br />

in der Liturgie Vergegenwärtigung und eine Wirkung auf die Gläubigen als Tatsache geschieht, wobei in die<br />

Theateraufführung in vielerlei Art und Weise die Reproduktion einer Geschichte auf die Gläubigen wirken kann<br />

oder auch nicht. Um den Gegensatz klar deutlich zu machen, sei auf den Film hingewiesen, der nichts anderes<br />

als eine andere Spielart des Schauspiels darstellt. Wir konstatieren im Vergleich zum Theater noch mehr<br />

Einflussnahme auf den Zuschauer durch den Film, der heute das Theater fast zu verdrängen scheint. Während<br />

wir jedoch nach einem packenden Film immer noch sagen können: „Das war ja nur ein Film!“, ist sich der<br />

gläubige Christ sicher, dass in der Liturgie göttliche Offenbarung neu geschieht und nicht nur ein Schauspiel<br />

abläuft.<br />

So betrachtet unterscheiden sich der Anspruch von Liturgie und Schauspiel in vielerlei Hinsicht. Und doch war<br />

im Mittelalter etwas wesentlich gleich: die Rezeptionsmöglichkeit durch das Schauen. Schauen – das war<br />

gerade im späten Mittelalter die praktische Umsetzung des religiösen Lebens der wohl meisten Personen der<br />

Bevölkerung. Die Liturgie wurde in einem umfangreich detaillierten System verschiedener Abläufe und<br />

Handlungen in den religiösen Gemeinschaften und Kathedralen gefeiert. Dieses System faszinierte sicherlich<br />

den mittelalterlichen Menschen, der nicht dem geistlichen Stand angehörte. 53 Da er aber nur in Grenzen daran<br />

aktiv partizipieren konnte, blieb ihm, die liturgische Handlung vornehmlich durch das An-Schauen<br />

49<br />

Vgl. Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, 4.Auflage, Darmstadt 2009, S. 421<br />

50<br />

Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, 4.Auflage, Darmstadt 2009, S. 424<br />

51<br />

Albert Gerhards, Benedikt Kranemann, Einführung in die Liturgiewissenschaft, 2. Durchgesehene Auflage,<br />

Darmstadt 2008, S. 118<br />

52<br />

Vgl. Bertolt Brecht, Das epische Theater, in: Bertolt Brecht, Schriften zum Theater, 3, Frankfurt/ M. 1963<br />

53<br />

Eine umfangreiche Beschreibung zur Mentalitätsgeschichte des Mittelalters findet sich bei: Peter Dinzelbacher,<br />

Europa im Hochmittelalter 1050-1250. Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte, Darmstadt 2003<br />

21


mitzuerleben. Er konnte - i.d.R. befanden sich die Laien in der Kirche hinter dem Lettner - während des<br />

Hochgebets den Priester beobachten. Er konnte sich durch eine Opfergabe in Form eines Geldbetrags<br />

einbringen, in der Liturgie und in größerem Umfang auch darüber hinaus in Gebetsstiftungen für das eigene<br />

Seelenheil. Sicherlich kannte er das Kirchenjahr gut, dessen Inhalte und Abfolgen das Leben der Bevölkerung<br />

wie ein Kalender prägte. 54 Der mittelalterliche Laie konnte bei Prozessionen mitgehen. Er konnte einige<br />

Gesänge in der Kirche mitsingen, besonders diejenigen, die häufig wiederholt wurden wie das Salve regina und<br />

diejenigen, die in der Volkssprache gesungen wurden. 55 Für das Volk gab es zumindest an hohen Festtagen<br />

Predigten mit katechetischem Inhalt, die der Laie sich anhören konnte. Und er konnte zu besonderen Anlässen<br />

dem Liturgischen Spiel beiwohnen, das ihm gleichsam einer Predigt den Inhalt der Liturgie näherbringen sollte.<br />

Dabei ist es nicht verwunderlich, dass die Leise Christ ist erstanden gerade im Rahmen der Visitatio sepulchri<br />

gesungen wurde, denn muttersprachliche Gesänge konnte der Laie mitsingen. 56<br />

Liturgische Spiele entstammen demnach dem hochkomplexen System der spätmittelalterlichen Liturgie und<br />

richten sich an den, an die Rezeption religiöser Inhalte durch die Schau(-Mystik) gewohnten mittelalterlichen<br />

Menschen. Immer detaillierter wird die mittelalterliche Liturgie: neue Heiligenfeste mit ihren Gesängen und<br />

Lesungen werden komponiert - immer mehr volkssprachige Gesänge, die häufig Übersetzung bestehender<br />

lateinischer Gesänge darstellen, werden integriert – auch polyphone Musik wird aufgenommen – all dies<br />

vermehrt die Möglichkeit zur geistlichen Schau. Feste, Gesänge und instrumentale Musik – all dies hört oder<br />

sieht man. Als schließlich die Liturgie des Spätmittelalters derart detailliert und umfassend geworden war, als<br />

sich das Umfeld längst geändert hatte, da Städte und Bürgertum Bedeutung erlangt hatten, als die<br />

Wiederentdeckung des antiken Wissens wie eine Neugeburt empfunden wurde (Renaissance) und man<br />

humanistisch nach den Quellen suchte bei der philologischen Beschäftigung, da stand ein Wandel an: sicherlich<br />

ist nicht zu weitgegriffen, wenn man behauptet, dass diese Entwicklung in den Reformen eines Martin Luthers,<br />

Calvins und Zwinglis bzw. des Tridentinischen Konzils mündete. Aus heutiger Sicht werden wir stets die<br />

aufgeklärte Sichtweise begrüßen, dass in der Liturgie der Gläubige verstehen soll(te), was geschieht.<br />

Andererseits hat gerade das Spätmittelalter, und dies sicherlich unter dem Einfluss der täglichen Gebetspraktik<br />

in der Kirche, die heute hochgeschätzten Blüten der Mystik, der inneren Gottes-Schau, hervorgerufen: Texte<br />

von Hadewijch von Antwerpen (ca. 1220-1260), Mechthild von Magdeburg (ca. 1207-1282), Angela von Foligno<br />

(1248-1309), Gertrud von Helfta (1256-1302), Marguerite Porète (1250/60-1310), Beatrijs von Nazareth (1200-<br />

1268), Meister Eckhard (1260-1328) und die Bewegung der devotio moderna des 14. und 15. Jahrhunderts, um<br />

nur einige dieser Blüten zu nennen. 57 Betrachtet man diese Tatsache, kann die mittelalterliche Schau nicht als<br />

ein vergeistigtes egozentrisches Spiel angesehen werden, sondern als eine der vielen möglichen Weisen der<br />

Ausübung von Religiosität, die im Kontext der zur Schau hin orientierten Glaubensausübung ihre Wurzeln<br />

haben dürfte.<br />

54<br />

Noch heute bekannte Volksweisheiten wie z. B. diejenigen rund um die Heilige Cäcilia, die Schutzpatronin der<br />

Kirchenmusik Instrumentenbauer und Musiker, zeugen davon: „War an Simon und Juda kein Wind und Regen da,<br />

dann bringt ihn die Cäcilia.“, „Wenn es an Cäcilia schneit, dann ist der Winter nicht mehr weit.“ oder „Cäcilia im<br />

weißen Kleid, erinnert an die Winterzeit.“<br />

55<br />

Vgl. die Äußerungen von Franz Karl Praßl zum „Gemeindegesang als integraler Bestandteil mittelalterlicher<br />

Liturgie“: Franz Karl Praßl, Das Mittelalter, in: Christian Möller (Hrsg.), Kirchenlied und Gesangbuch, Mainz 2000,<br />

29-68, bes. S. 34-41 (Mainzer Hymnologische Studien 1)<br />

56<br />

Vgl. Zur Leise Christ ist erstanden im Kontext der Visitatio sepulchri: Franz Karl Praßl, Das Mittelalter, in:<br />

Christian Möller (Hrsg.), Kirchenlied und Gesangbuch, Mainz 2000, 29-68, bes. S. 59,60 (Mainzer Hymnologische<br />

Studien 1)<br />

57<br />

Vgl. Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 1997, S. 546ff<br />

22


Zu 2) Das Dreikönigsspiel von Munsterbilzen<br />

Das Dreikönigsspiel von Munsterbilzen 58 hat J. Smits van Waesberghe in seiner Textgestalt rekonstruiert. 59 Es<br />

ist ein Liturgisches Spiel mit lateinischen Gesängen, in dem, wie eingangs erwähnt, Texte des Evangeliums in<br />

Dialoge überführt worden sind. Thematisiert wird der Besuch durch die drei Weisen aus dem Morgenland (Mt<br />

2,1-23), die Flucht nach Ägypten, der Kindermord zu Betlehem und die Rückkehr der Heiligen Familie aus<br />

Ägypten. Da unter den Protagonisten Herodes herausragend ist, wurden Spiele ähnlichen Inhalts auch<br />

Herodesspiel genannt. Die verschiedenen Schauplätze der Handlung, beispielsweise der Thronsaal von Herodes,<br />

wurden von van Waesberghe fabelhaft rekonstruiert und können für eine erneute Aufführung herangezogen<br />

werden. Beteiligte Personen im Spiel sind u.a. die Magier, Josef und Maria mit dem Kind (schweigend), die<br />

Engel, ein Chor, die Schriftgelehrten, Hofnarren, die Schäfer, ein Kriegsoberst und drei Frauen.<br />

Das Dreikönigsspiel in seiner umfangreichen Fassung von Munsterbilzen - die Textfassung ist bei van<br />

Waesberghe immerhin 20 Seiten lang - ist laut van Waesberghe in einem Evangeliar des Klosters enthalten. 60<br />

Als Schreiber des Liturgischen Spiels gilt ein Theodoricus, der eine Zeit lang Abt von Sint-Truiden gewesen sein<br />

soll. 61 Das Dreikönigsspiel wird ebenfalls in verschiedenen anderen Handschriften überliefert, allerdings haben<br />

die Spiele in den verschiedenen Handschriften verschiedene Umfänge. Van Waesberghe führt 20 Handschriften<br />

an, wovon eine Handschrift keine Notation und von denen sieben Handschriften Notationen mit Linien<br />

aufweisen. Wünschenswert wäre eine erneute Rekonstruktion nach heutigen wissenschaftlichen Standards,<br />

wozu wenigstens diese 20 Handschriften erneut kollationiert werden sollten. Notwendig sind für die<br />

Melodierekonstruktion wenigstens die sieben Handschriften mit Notation auf Linien. Erschwert würde die<br />

Rekonstruktionsarbeit dadurch, dass die Handschriftenseiten zunächst von den Bibliotheken für diese Arbeit<br />

freigegeben werden müssen. Trotz vieler Digitalisierungsprojekte ist es häufig nicht leicht, gezielt bestimmte<br />

digitale Reproduktionen zu gelangen.<br />

Die Übersicht der Handschriftenfunde von J. Smits van Waesberghe zeigt, dass das Dreikönigsspiel weit in<br />

Europa und insbesondere im französischen Raum verbreitet war (Handschriftenfunde aus Nevers, Rouen, Laon,<br />

Orléans u.a.). Die Handschrift mit dem Dreikönigsspiel aus Munsterbilzen wird heute unter der Signatur Ms.<br />

299 in der Bibliothek der Bollandisten in Brüssel aufbewahrt. Das Dreikönigsspiel befindet sich in dieser<br />

Handschrift auf den Folios 179v bis 180v.<br />

58 Weitere Angaben zum Frauenkloster Munsterbilzen finden sich bei Van der Eycken: Johan und Michel Van der<br />

Eycken, „Wachten op de prins…“ Negen eeuwen adelijk damesstift Munsterbilzen, in: Historisch Studiecentrum<br />

Alden Biesen v.z.W. (Hrsg.), Bijdragen tot de Geschiedenis van de Duitse Orde in de Balije Biesen, Band 7,<br />

Bilzen 2000<br />

59 J. Smits van Waesberghe, Drie Koningen Spel van Munsterbilzen, in: Limburgse documenten II,1, Provincie<br />

Limburg, Hasselt 1987<br />

60 J. Smits van Waesberghe, Drie Koningen Spel van Munsterbilzen, in: Limburgse documenten II,1, Provincie<br />

Limburg, Hasselt 1987, Vorwort – S. 7<br />

61 J. Smits van Waesberghe, Drie Koningen Spel van Munsterbilzen, in: Limburgse documenten II,1, Provincie<br />

Limburg, Hasselt 1987, Vorwort – S. 8<br />

23


J. Smits van Waesberghe, Drie Koningen Spel van Munsterbilzen, in: Limburgse documenten II,1, Provincie<br />

Limburg, Hasselt 1987, S. 79<br />

24


J. Smits van Waesberghe, Drie Koningen Spel van Munsterbilzen, in: Limburgse documenten II,1, Provincie<br />

Limburg, Hasselt 1987, S. 80<br />

25


Das Dreikönigsspiel von Munsterbilzen nach der Handschrift 299 in der Bibliothek der Bollandisten in Brüssel,<br />

fol. 179v - 180v<br />

26


180r:<br />

27


180v:<br />

28


3) Die Carmina Burana<br />

Liturgische Spiele sind ebenfalls in der bekannten Carmina Burana enthalten, und zwar dort im vierten Teil der<br />

Sammlung.<br />

Carmina Burana bezeichnet eine Sammlung von Liedern in einer bestimmten mittelalterlichen Handschrift<br />

(Codex Buranus), die Anfang des 13. Jahrhunderts entstanden sein soll. 62 Diese Handschrift soll bis 1803 im<br />

Kloster Benediktbeuren im Allgäu (lat. Bura Sancti Benedicti) aufbewahrt worden sein und sich seitdem in der<br />

Bayerischen Staatsbibliothek München befinden (Signatur: clm 4660, bzw. clm 4660a für die Nachträge<br />

[Fragmenta Burana], Umfang: 112 + 7 Blätter). Seinen Namen hat der Codex im 19. Jahrhundert von dem<br />

ersten Herausgeber der Carmina Burana, Johann Andreas Schmeller, nach dem Ort ihrer Herkunft, der<br />

Bibliothek des Klosters Benediktbeuern in Oberbayern, erhalten.<br />

Entdeckt wurde die Carmina Burana vom Bibliothekar Johann Christoph von Aretin im Jahr 1803, als im Zuge<br />

der Säkularisation das Kloster Benediktbeuren aufgelöst wurde und die Schätze der Bibliothek nach Müchen<br />

gebracht wurden. 63<br />

Enthalten sind in der Carmina Burana insgesamt 254 Gesänge, wovon 50 mit deutschen Neumen versehen<br />

sind. Der ursprüngliche Teil umfasst die Seiten 1-228. Nachträge wurden eingefügt, aber auch angehängt als<br />

1*-26*.<br />

Die Sammlung untergliedert sich in vier Abschnitte:<br />

Teil 1: Moralisch-satirische Dichtung (Zum großen Teil sind es Conductus-Literatur der Notre-Dame-Schule. Die<br />

Lieder handeln von Geldgier, von der Unbeständigkeit des Glücks und von der Verderbtheit der Welt.)<br />

Teil 2: Liebesgedichte (Meist Scholarenpoesie. Die Lieder handeln von Sehnsucht und Triumph der Liebe, von<br />

Liebesklagen und auch ironischer Klage eines gebratenen Schwans. Tanzlieder u.a. gehören diesem Abschnitt<br />

an.)<br />

Teil 3: Trink- und Spielerlieder (z. B. Vagantenlyrik. In diesem Abschnitt werden blasphemische Parodien<br />

liturgischer Gesänge integriert, so eine Spielermesse und das Officium Iusorum)<br />

Teil 4: Spiele geistlichen Inhalts (Ein Weihnachtspiel, zwei Passionspiele und ein Auferstehungsspiel werden hier<br />

angeführt.)<br />

Als Herkunft der Handschrift wird folgendes festgestellt: „Die Lieder, von denen 49 mit dt. Zusatzstrophen<br />

versehen sind, wurden am südlichen Rand des dt. Sprachgebiets zu Pergament gebracht, wohl nicht in Kärnten<br />

(Bischoff 1967, Lipphardt 1982), sondern in Südtirol (Steer 1983). Die Niederschrift von CB 1-228 erfolgte wohl<br />

um 1230, sicher nach 1220 und nicht später als 1250 (Bischoff 1967), die der Nachträge großenteils Mitte bis<br />

Ende des Jahrhunderts.“ 64<br />

Der Codex verdankt seine Entstehung anscheinend literarisch und musikalisch geschulten Klerikerkreisen. Er<br />

war nie das Liederbuch eines Vaganten (vgl. Bernt 1978). Außerdem ist auffällig, dass Texte von bedeutenden<br />

62<br />

Für die folgenden Angaben wurden konsultiert: Benedikt K. Vollmann (Walther Lipphardt), „Carmina Burana“,<br />

in: Lexikon Musik in Geschichte und Gegenwart, zweite, neu bearbeitete Ausgabe, herausgegeben von Ludwig<br />

Finscher, Bd. 2, Bärenreiter-Verlag Kassel 1996, Spalten 456-459; Günther Massenkeil, „Carmina Burana“, in:<br />

Das neue Lexikon der Musik, auf der Grundlage des von Günther Massenkeil herausgegebenen „Großen<br />

Lexikons der Musik“ (1978-82/1987), Bd. 1, Verlag J. B. Metzler, Stuttgart 1996, S. 422<br />

63<br />

Helmut Loos, Blasphemie in Wort und Ton, Carl Orffs Carmina Burana, in: Norbert Bolin (Hrsg.), Im Klang der<br />

Wirklichkeit: Musik und Theologie. Martin Petzold zum 65. Geburtstag, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2011,<br />

161-169, bes. 163<br />

64<br />

Benedikt K. Vollmann (Walther Lipphardt), „Carmina Burana“, in: Lexikon Musik in Geschichte und Gegenwart,<br />

zweite, neu bearbeitete Ausgabe, herausgegeben von Ludwig Finscher, Bd. 2, Bärenreiter-Verlag Kassel 1996,<br />

Spalten 456-459, bes. 456<br />

30


Literaten des 13. Jahrhunderts enthalten sind, so u.a. solche von Archipoeta (CB 191, 220), Gottfried von St.<br />

Viktor (14*), Hugo Primas (194), Marner (3*, 6*, 9*), Petrus von Blois (29-31, 33, 63, 67, 72, 83f., 108), Philipp<br />

der Kanzler (21f., 26f, 34, 131, 189) und Walter von Châtillon (3, 8, 19, 41f., 123).<br />

Die Carmina Burana enthält nicht nur Gesänge in lateinischer Sprache, sondern auch deutschsprachige<br />

Strophen, die Minnesängern zugeschrieben werden: „Unter den deutschen Zusatzstrophen des zweiten Teils,<br />

die in der Bauform und – wo neumiert – auch in der Melodie Gleichheit oder doch starke Ähnlichkeit mit dem<br />

lat. Carmen erkennen lassen, finden sich Strophen, welche die mittelalterliche Überlieferung den<br />

Minnesängern Botenlouben (CB 48), Dietmar von Aist (113), Reinmar dem Alten (143, 144, 166), Walter von<br />

der Vogelweide (135, 151, 169), Heinrich von Morungen und Neidhart von Reuenthal (168) zuschreibt.“ 65 So<br />

zeigt sich, dass die Sammlung der Carmina Burana Übernahmen oder Verfremdungen von Gesängen aus<br />

verschiedenen Quellen und verschiedenen Stilen des zeitgenössischen Liedguts enthält. Neun Carmina<br />

stammen beispielsweise aus dem St. Martial Repertoire (vgl. Lipphardt 1955) und allein 19 weitere Carmina aus<br />

der Notre-Dame Schule. Andere Gesänge finden sich wieder in Vergleichshandschriften, wie beispielsweise GB-<br />

Ob, Add. A 44 oder I-Rvat, Regin. Lat. 344 1 . Das Officium Iusorum stellt eine Parodie bestehender liturgischer<br />

Gesänge dar (Carmina Burana 215).<br />

Wie bereits erwähnt sind vereinzelt Gesänge der Handschrift mit der linienlosen Notation in deutschen<br />

Neumen versehen. Mit Hilfe von anderen Quellen konnte ein Teil der Melodien rekonstruiert werden. Heute<br />

gehen Forscher davon aus, dass die Lieder der Carmina Burana alle gesungen werden sollten. Nach Günther<br />

Massenkeil sind heute insgesamt etwa 30 Melodien der Carmina Burana-Lieder bekannt. 66<br />

Im Teil vier der Carmina Burana, in dem geistliche Spiele enthalten sind, finden sich lateinische biblische und<br />

liturgische Texte. Während die Gesänge, die wörtliche Rede vertonen, jeweils gesungen wurde (sie sind<br />

durchgehend neumiert), wurden die Handlungen beschreibender Texte zu Rubriken umgeformt und rot notiert,<br />

so dass diese als szenische Anweisungen dienen.<br />

Die Bedeutung der Carmina Burana liegt in seiner Vielfältigkeit, da dem Leser ein umfassender Einblick in die<br />

mittelalterliche Lyrik gegeben wird. Aufgrund seiner teils volkstümlichen und teils gelehrten Inhalte wurde die<br />

Carmina Burana häufig gerühmt.<br />

Ausgaben der Texte<br />

Faksimileausgabe der Carmina Burana, herausgegeben von Bernhard Bischoff, 2 Bde., Verlag Prestel, München<br />

1967 (Band 1: Faksimile in Farbe, 120 Bl.; Band 2: Einführung zur Faksimile-Ausgabe der Benediktbeurer<br />

Liederhandschrift. Von Bernhard Bischoff, 40 S.)<br />

Carmina Burana, herausgegeben von Johann Andreas Schmeller (St 1847, Breslau 19044)<br />

Carmina Burana, mit Benutzung der Vorarbeiten W. Meyers kritisch, herausgegeben von Alfons Hilka,<br />

Otto Schumann und Bernhard Bischoff, 3 Bände, 1930, 1941, 1970<br />

Carmina Burana. Die Geschichte des Codex Buranus, lat. und deutsch, übertragen von C. Fischer, Übersetzung<br />

der mittelhochdeutschen Texte von H. Kuhn, Anmerkungen und Nachwort von G. Bernt, 1974<br />

Ausgabe von Melodien<br />

W. Lipphardt, Unbekannte Weisen zu den C.B., in: AfMw 12 (1955)<br />

65 Benedikt K. Vollmann (Walther Lipphardt), „Carmina Burana“, in: Lexikon Musik in Geschichte und Gegenwart,<br />

zweite, neu bearbeitete Ausgabe, herausgegeben von Ludwig Finscher, Bd. 2, Bärenreiter-Verlag Kassel 1996,<br />

Spalten 456-459, bes. 457<br />

66 Günther Massenkeil, „Carmina Burana“, in: Das neue Lexikon der Musik, auf der Grundlage des von Günther<br />

Massenkeil herausgegebenen „Großen Lexikons der Musik“ (1978-82/1987), Bd. 1, Verlag J. B. Metzler, Stuttgart<br />

1996, S. 422<br />

31


Sekundärliteratur<br />

Brückmann, John, Couchman, Jane, Du "Cantique des cantiques" aux "Carmina Burana", in der Zeitschrift „L'<br />

Erotisme au moyen âge“, (1977): 37-50<br />

Classen, Albrecht, The „Carmina Burana“. A mirror of Latin and vernacular literary traditions from a culturalhistorical<br />

perspective: transgression is the name of the game; in der Zeitschrift “Neophilologus“, 94 (2010): 477-<br />

497<br />

Görner, Florian, Deutsche Strophen in den Carmina Burana, GRIN Verlag, München 2007<br />

Hackemann, Matthias, Carmina Burana. Lieder aus Benediktbeuren, zweisprachige Ausgabe. Übersetzung aus<br />

dem Lateinischen von Matthias Hackemann, aus dem Mittelhochdeutschen von Ulrike Brandt-Schwarze, mit<br />

einem Glossar von Matthias Hackemann, Verlag Anaconda, Köln 2006 (Die Version des Originaltextes folgt der<br />

von B. Bischoff abgeschlossenen kritischen Edition von A. Hilka und O. Schumann, Heidelberg 1930-1970.)<br />

Huber, Christoph, Ekphrasis-Aspekte im Minnesang, zur Poetik der Visualisierung bei Heinrich von Morungen<br />

mit Blick auf die Carmina Burana und Walther von der Vogelweide, in der Zeitschrift „Der Tod der Nachtigall:<br />

Liebe als Selbstreflexivität von Kunst“ (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung; 6), (2009): [83] – 104<br />

Jung, Elisabeth, Die Sehnsucht des Minnesängers als Grundlage für das Konzept der Hohen Minne in den<br />

deutschen Strophen der Carmina Burana, GRIN Verlag, München 2010<br />

Loos, Helmut, Blasphemie in Wort und Ton. Carl Orffs Carmina Burana, in Norbert Bolin (Hrsg.), Im Klang der<br />

Wirklichkeit: Musik und Theologie. Martin Petzold zum 65. Geburtstag, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2011, 161-169<br />

Die Carmina Burana von Carl Orff<br />

Heute wir die Carmina Burana zunächst mit Carl Orffs Komposition assoziiert. Der Komponist Carl Orff hat in<br />

den Jahren 1935 bis 1936 seine Komposition Carmina Burana geschaffen, in der er einige Texte der Lieder aus<br />

den Teilen 1 bis 3 verwendet. Dabei bedient er sich der Textedition von Johann Andreas Schmeller von 1847.<br />

Carl Orff wählte 24 Lieder aus den 254 Texten der Sammlung und feiert in seiner Komposition nach Helmut<br />

Loos „das ungezügelte Ausleben der Laster als mittelalterliche Lebensfreue, der er selbst sehr zugetan war.“ 67<br />

Zu 4) Der Ludus Danielis<br />

Der Ludus Danielis ist in einer einzigen Handschrift überliefert, und zwar Egerton, Manuscript 2615, British<br />

Library London. Diese Handschrift wurde in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts (ca. 1227-34) erfasst. Das<br />

Spiel selbst wird jedoch in das 12. Jahrhundert datiert. 68 Die meisten Gesänge des Ludus Danielis sind in<br />

lateinischer Sprache; es gibt aber auch einige französische Einfügungen. Als Gattungen der einstimmigen<br />

Gesänge treten Conductus, Prosa und Versus auf. Die Handschrift 2615 hat 109 Lagen, wovon 93 Lagen<br />

beschrieben sind. Der Ludus Danielis befindet sich auf den Folien 95r bis 108r. Die Gesänge sind in<br />

diastematischer Neumennotation notiert (französische Neumen auf Linien). Als Textgrundlage für das Spiel<br />

dienten die ersten sechs Kapitel des biblischen Buchs Daniel sowie die apokryphe Bearbeitung der Kapitel 13<br />

und 14. Neben der Bibel diente die Historia de Daniel representanda von Scholar Hilarius Aurelianensis als<br />

Textgrundlage. Diese Historia kann nach Ogden als die unmittelbare Quelle für das Danielspiel. 69 Doch basiert<br />

67 Helmut Loos, Blasphemie in Wort und Ton. Carl Orffs Carmina Burana, in: Norbert Bolin (Hrsg.), Im Klang der<br />

Wirklichkeit: Musik und Theologie. Martin Petzold zum 65. Geburtstag, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2011,<br />

161-169, bes. S. 166<br />

68 Johannes Kandler, Gedoene ân wort daz ist ein tôter galm, in „Elementa <strong>Musica</strong>e“, Vol.5, Verlag Reichert<br />

Wiesbaden 2005, S.26-86, bes. S. 27 Auch die folgenden Angaben beruhen im Wesentlichen auf Kandlers<br />

Ausführungen.<br />

69 Johannes Kandler, Gedoene ân wort daz ist ein tôter galm, in „Elementa <strong>Musica</strong>e“, Vol.5, Verlag Reichert<br />

Wiesbaden 2005, S.26-86, bes. S. 30<br />

32


die Handschrift nicht allein auf dieser Vorlage, denn die französischen Einsprengsel lassen sich allesamt nicht in<br />

dem Danielspiel des Hilarius wiederfinden; auch weißt der Hilarius Text keine Melodien und keinerlei Notation<br />

auf. Margot Fassler geht davon aus, dass der Ludus Danielis ein liturgisches Spiel war, dass in der<br />

nachweihnachtlichen Zeit in der Kathedrale von Beauvais gesungen wurde. Es steht damit in Ausrichtung und<br />

Bedeutung dem Fest of Fools nahe.<br />

Sekundärliteratur<br />

F. Collins, Medieval Church Music-Dramas. A Repertory of Complete Plays, herausgegeben und transkribiert von<br />

F. Collins, Charlottesville 1976, S. 397-459<br />

Coussemaker, Edmond, Drames liturgiques du Moyen Age, Paris 1861, Nachdruck New York 1960<br />

Margot Fassler, The Feast of Fools and Danielis Ludus: Popular Tradition in a medieval Cathedral Play, in: Th.<br />

Forrest Kelly (Hrsg.), Plainsong in the age of polyphony. Cambridge 1992 (Cambridge Studies in Performance<br />

Practice, Vol. 2), S. 65-100<br />

David G. Hughes, Liturgical Polyphony at Beauvais in the thirteenth Century, in: Speculum 34 (1959), S.184-200<br />

Dunbar H. Ogden, The Staging of the Play of Daniel in the Twelfh Century, in: Dunbar H. Ogden (Hrsg.), The Play<br />

of Daniel, Critical Essays (Early drama, Art, and Music, Bd. 24), Kalamazoo 1996, S. 11-33<br />

Ausgaben zum Ludus Danielis<br />

The Play of Daniel, herausgeben von N. Greenberg, New York 1959<br />

The Play of Daniel. A Medieval liturgical Drama, transkribiert und herausgeben von W. L. Smoldon. und D.<br />

Wulston, Oxford 1976<br />

The Play of Daniel, herausgegeben und transkribiert von A. M. J. Zilstra, in: Dunbar H. Ogden (Hrsg.), The Play of<br />

Daniel: Critical Essays, (Early Drama, Art, and Music, Bd. 24), Kalamazoo 1996,S. 87-117<br />

33

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