14.01.2013 Aufrufe

DIE ERULER Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades der ...

DIE ERULER Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades der ...

DIE ERULER Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades der ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

ANGELIKA LINTNER-POTZ<br />

<strong>DIE</strong> <strong>ERULER</strong><br />

- eine misslungene Ethnogenese<br />

<strong>Diplomarbeit</strong> <strong>zur</strong> <strong>Erlangung</strong> <strong>des</strong><br />

Magistergra<strong>des</strong> <strong>der</strong> Philosophie aus <strong>der</strong><br />

Studienrichtung Geschichte eingereicht an<br />

<strong>der</strong> Universität Wien<br />

Wien, im Juni 2006


1 Einleitung ........................................................................................................................... 2<br />

2 Stamm und Gens, Volk und Ethnie: Zur Typologie von Gruppenidentitäten................... 9<br />

3 Ethnogenesen ................................................................................................................... 19<br />

3.1 Allgemeines zu frühmittelalterlichen Ethnogenesen................................................ 19<br />

3.2 Die Fremdwahrnehmung durch die antike Hochkultur............................................ 23<br />

3.3 Die Eigenwahrnehmung in den Origines gentium ................................................... 24<br />

3.4 Die Genese ostgermanischer (gotischer) Ethnien im Beson<strong>der</strong>en ........................... 26<br />

4 Übersicht über die Quellen............................................................................................... 31<br />

5 Der Eruler-Name .............................................................................................................. 40<br />

5.1 Der Eruler-Name in antiken Quellen ....................................................................... 40<br />

5.2 Die Bedeutung <strong>des</strong> Eruler-Namens .......................................................................... 41<br />

5.3 Erulische Eigennamen.............................................................................................. 44<br />

6 Der süd-skandinavische Ursprung ................................................................................... 47<br />

7 Die West-Eruler................................................................................................................ 56<br />

8 Die Ost-Eruler am Schwarzen Meer ................................................................................ 62<br />

8.1 Das dritte Jahrhun<strong>der</strong>t .............................................................................................. 62<br />

8.2 Das vierte Jahrhun<strong>der</strong>t.............................................................................................. 70<br />

9 Das auxilium palatinum (numerus) Erulorum.................................................................. 75<br />

10 Die Donau-Eruler ......................................................................................................... 78<br />

10.1 Bis <strong>zur</strong> Schlacht am Nedao 454/455 ........................................................................ 78<br />

10.2 Das „System von Nedao“......................................................................................... 85<br />

10.2.1 Überblick.......................................................................................................... 85<br />

10.2.2 Die archäologische Hinterlassenschaft <strong>der</strong> Reiche an <strong>der</strong> mittleren Donau .... 89<br />

10.2.3 Von <strong>der</strong> Schlacht am Nedao bis zum Abzug <strong>der</strong> Goten (454 bis 469/473) ..... 98<br />

10.2.4 Odowakars Herrschaft und die kleinen Fö<strong>der</strong>atenreiche an <strong>der</strong> Donau......... 105<br />

10.2.5 Die zwei donau-erulischen Dezennien (488 bis 508)..................................... 109<br />

11 Das Zerbrechen <strong>der</strong> erulischen Strukturen................................................................. 117<br />

12 Eruler als Teile an<strong>der</strong>er Ethnien................................................................................. 119<br />

12.1 Eruler und Gepiden ................................................................................................ 119<br />

12.2 Eruler im Norden.................................................................................................... 120<br />

12.3 Eruler im Byzantinischen Reich............................................................................. 121<br />

12.4 Eruler im Langobardenreich................................................................................... 128<br />

12.5 Eruler in <strong>der</strong> Ethnogenese <strong>der</strong> Bajuwaren.............................................................. 129<br />

13 Die erulische Gesellschaft – <strong>der</strong> Versuch eines Überblicks....................................... 131<br />

13.1 Allgemeines............................................................................................................ 131<br />

13.2 Demographisches ................................................................................................... 131<br />

13.3 Das Königtum bei den Erulern............................................................................... 133<br />

13.4 Die erulische Kriegergesellschaft........................................................................... 136<br />

13.5 Die erulische Familie und die Stellung <strong>der</strong> Frau.................................................... 139<br />

13.6 Alten- und Krankentötung...................................................................................... 140<br />

13.7 Die religiöse Dimension <strong>der</strong> erulischen Gesellschaft ............................................ 141<br />

14 Zusammenfassung...................................................................................................... 144<br />

15 Nachwort o<strong>der</strong> Wie man heute zum Eruler wird........................................................ 149<br />

16 Abkürzungsverzeichnis .............................................................................................. 151<br />

17 Bibliographie.............................................................................................................. 152<br />

1<br />

1


1 Einleitung<br />

Die Eruler stellen „als Volksgruppe“ mehr denn je „ein vieldiskutiertes historisches<br />

Problem“ dar. 1 Eine Arbeit, die sich eine Zusammenschau <strong>des</strong> Auftretens von Erulern 2<br />

<strong>zur</strong> Aufgabe macht, ist daher <strong>der</strong>zeit ein gewisses Wagnis.<br />

Das Wagnis wird nicht geringer angesichts <strong>der</strong> Tatsache, dass ethnische Prozesse und<br />

Identitäten und die unterschiedlichen Ansätze <strong>zur</strong> herrschaftlichen Organisation <strong>der</strong><br />

Gesellschaft am Ende <strong>der</strong> Antike bis hin <strong>zur</strong> Staatsbildung im Mittelalter, woraus sich<br />

in einem langen Prozess europäische Völker als Träger <strong>der</strong> Nationen herausbildeten,<br />

als aktuelle Forschungsfragen in letzter Zeit wie<strong>der</strong> an Bedeutung gewonnen haben. 3<br />

Dabei gilt es herauszuarbeiten, dass sich diese – neuerliche – Zuwendung zu den<br />

Ursprüngen von den nationalen bzw. nationalistischen Historismen <strong>des</strong> 19. und 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts deutlich unterscheidet.<br />

„Die Frage ‚Woher kommen wir?’ ist in allen Epochen gestellt worden; die Antwort<br />

sollte zugleich auf die nächste Frage Auskunft geben: ‚Wer sind wir?’. 4 Die mo<strong>der</strong>ne<br />

Geschichtsforschung stellte sich dieser Suche nach den Ursprüngen. Damit etablierte<br />

sie sich zugleich als Instanz, die mo<strong>der</strong>nen Identitäten eine Grundlage in <strong>der</strong> Tiefe <strong>der</strong><br />

Zeit geben konnte. Die mo<strong>der</strong>nen Nationen strebten nach wissenschaftlicher<br />

Legitimierung ihrer Ansprüche auf Souveränität und territoriale Expansion. Das<br />

Frühmittelalter spielte bei <strong>der</strong> Begründung nationaler Ansprüche, aber an<strong>der</strong>er<br />

Identitäten eine Schlüsselrolle; Chlodwig für Frankreich, die Angelsachsen für<br />

England, die Westgoten für Spanien, die Ottonen für Deutschland, die slawische und<br />

1 Krag, Rodulf, 58.<br />

2 Unter den umfangreicheren Darstellungen zu den Erulern seien eingangs hervorgehoben Brandt, Troels,<br />

The Heruls, http://www.gedevasen.dk/heruleng.html [30.04.2005]; Demougeot, Emilienne, La formation de<br />

l’Europe et les invasions barbares, t. 2/2, Paris 1979, 419–430; Ellegård, Alvar, Who were the Eruli?, in: Scandia<br />

53 (1987), 5–34; Gruber, Joachim, Art. Heruler, LexMA 4, 2184f; Heather, Peter, Disappearing and reappearing<br />

tribes, in: Pohl-Reimitz, Strategies, 1998, 95–111; Much, Rudolf, Art. Heruler, in: RGA (1. Aufl.) 2, 517–519;<br />

Neumann, Günter und Taylor, Matthew, Art. Heruler, in: RGA 14, 468–474; Pohl, Walter, Die Gepiden und die<br />

Gentes an <strong>der</strong> mittleren Donau nach dem Zerfall <strong>des</strong> Attilareiches, in: Wolfram, Herwig – Daim, Falko (Hg), Die<br />

Völker an <strong>der</strong> mittleren und unteren Donau im fünften und sechsten Jahrhun<strong>der</strong>t, Wien 1980, 240–305;<br />

Rappaport, Bruno, Art. Heruli, in: RE 8, 1150–1167; Schmidt, Ludwig, Die Ostgermanen (Geschichte <strong>der</strong><br />

deutschen Stämme bis zum Ausgang <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ung), verbesserter Nachdruck <strong>der</strong> 2. Aufl., München<br />

1941; Schwarcz, Andreas, Die Heruler an <strong>der</strong> Donau, in: Pabst, Christiane (Hg), Die Sprache als System und<br />

Prozess, FS Günter Lipold (60), Wien 2005, im Druck; Schwarz, Ernst, Germanische Stammeskunde,<br />

Heidelberg 1956; Wagner, Norbert, Herulische Namenprobleme. Givrus, Datius und an<strong>der</strong>es, in: Beiträge <strong>zur</strong><br />

Namensforschung 16 (1981), 406–421; Wenskus, Reinhard, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden <strong>der</strong><br />

frühmittelalterlichen Gentes, Köln 1961; Wolfram, Herwig, Die Goten. Von den Anfängen bis <strong>zur</strong> Mitte <strong>des</strong> 6.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts. Entwurf einer historischen Ethnographie, 3., neubearb. Aufl. München 1990 (zuerst 1979);<br />

Wolfram. Herwig, Grenzen und Räume – Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung. Österreichische<br />

Geschichte 378–907, Wien 1995, bes. 58–61.<br />

3 Vgl. dazu die Tätigkeit <strong>des</strong> Instituts für Mittelalterforschung an <strong>der</strong> Österreichischen Akademie <strong>der</strong><br />

Wissenschaften (http://www.oeaw.at/gema).<br />

4 Bezeichnen<strong>der</strong> Weise stellt Samuel Huntington, <strong>der</strong> Verfasser <strong>des</strong> vieldiskutierten „Clash of<br />

Civilizations“ in seinem jüngsten Buch genau diese Frage („Who are we?“) mit dem Untertitel: „Die Krise <strong>der</strong><br />

amerikanischen Identität“. Die Beantwortung dieser Frage entscheidet – so <strong>der</strong> Umschlagtext <strong>der</strong> deutschen<br />

Ausgabe – „über den Untergang o<strong>der</strong> das Fortbestehen <strong>des</strong> amerikanischen Volkes“.<br />

2<br />

2


magyarische Expansion in Osteuropa, Byzanz für Griechenland, zuletzt auch Karl <strong>der</strong><br />

Große für die Europäische Gemeinschaft sind Kernbestände solcher<br />

Gründungsmythen. Für die Frühgeschichts- und Mittelalterforschung waren die<br />

Folgen zwiespältig; einerseits rückte sie seit <strong>der</strong> Romantik ins Zentrum nationaler<br />

Aufmerksamkeit, an<strong>der</strong>erseits verstrickte sie sich in mo<strong>der</strong>ne Projektionen und<br />

Ideologien, <strong>der</strong>en Folgen teils noch immer auf ihr lasten.“ 5<br />

In Zeiten <strong>der</strong> Bemühung um die Vertiefung <strong>der</strong> europäischen Einigung ist es nicht<br />

verwun<strong>der</strong>lich, dass die europäischen Völker erneut auf <strong>der</strong> Suche nach ihrem<br />

Ursprung sind. Die Frage nach dem Ursprung muss jedoch neu formuliert werden. Sie<br />

ist dann als „falsch gestellt“ anzusehen, wenn „sie eine breite und vielfältige<br />

Entwicklung auf die Vorgeschichte <strong>des</strong> Bestehenden (o<strong>der</strong> eines Scheiterns) hin<br />

zuspitzt“. 6<br />

Mit welchem erkenntnisleitenden Interesse man auch immer an das Frühmittelalter<br />

heran gehen mag, „in vielen Gebieten fielen in jener Zeit Entscheidungen, die für<br />

spätere Identitäten wichtig blieben. Dass Europa überhaupt ein Europa <strong>der</strong> Völker<br />

wurde, liegt nicht zuletzt an <strong>der</strong> frühmittelalterlichen Verbindung von Herkunftssage,<br />

klassischer Ethnographie und biblischer Geschichte.“ 7<br />

Es kommt also forschungspolitisch zu einer Zuwendung zu einem „Europa <strong>der</strong><br />

Völker“, die den Schwerpunkt nicht mehr so sehr auf die Herausbildung <strong>der</strong><br />

neuzeitlichen Staatsnationen richtet. Die europäische Einigung motiviert dazu, den<br />

Blick einer Zeit zuzuwenden, in <strong>der</strong> die politische Ordnung noch nicht durch das<br />

Zusammenspiel von drei Elementen bestimmt war: <strong>der</strong> Staatsgewalt verstanden als<br />

souveräne Herrschaft auf einem Teil <strong>der</strong> Erdoberfläche, dem Staatsgebiet, ausgeübt<br />

über einen Teil <strong>der</strong> Menschheit, dem jeweiligen Staatsvolk. 8 In dieser klassischen<br />

Staatstheorie bestimmt die Ausübung von Herrschaft in einem definierten Raum die<br />

Zugehörigkeit zu einer bestimmten Staatsnation. Im mo<strong>der</strong>nen Staat ist das Staatsvolk<br />

als die Gesamtheit <strong>der</strong> Menschen unter einer Staatsgewalt definiert. Dieses politische<br />

System funktioniert aber offensichtlich besser, wenn eine Reihe von soziologischen<br />

Kriterien hinzukommen. Für das Zusammengehörigkeitsgefühl ist es von Vorteil,<br />

5 Presse-Information zum Symposion <strong>der</strong> Forschungsstelle für Geschichte <strong>des</strong> Mittelalters <strong>der</strong> ÖAW, 14.-<br />

16. Juni 2002: „Die Suche nach den Ursprüngen: Von <strong>der</strong> Bedeutung <strong>des</strong> frühen Mittelalters“<br />

(http://www.oeaw.at/shared/news/ 2002/press_inf_20020613.html).<br />

6 Ebda.<br />

7 Ebda.<br />

8 Dazu und zum Folgenden Vgl. Zippelius, Staatslehre, 72-84.<br />

3<br />

3


wenn das Staatsvolk zugleich eine politische Schicksalsgemeinschaft 9 , eine<br />

Kulturgemeinschaft und eine Abstammungsgemeinschaft bildet.<br />

Es ist daher nur zu verständlich, dass die Ausbildung <strong>des</strong> Nationalstaates von den<br />

Versuchen begleitet war, diese gemeinschaftsbildenden Elemente nachzuweisen bzw.<br />

zu konstruieren. Es kam dadurch zu einer Art Zirkelschluss: Einerseits wurde ein<br />

nationalstaatliches Volkstum konstruiert, und an<strong>der</strong>erseits wurde versucht, da<br />

Volkstum als quasi-natürliche Eigenschaft je<strong>des</strong> Individuums o<strong>der</strong> je<strong>der</strong> Gruppe von<br />

Menschen angesehen wurde, die Angehörigen <strong>des</strong> Staatesvolkes diesem Volkstum<br />

zuzuordnen. Die Beantwortung <strong>der</strong> Frage „Woher kommen die europäischen Völker?“<br />

wurde damit recht einfach und daher zugleich gefährlich manipulierbar. Es bedeutete<br />

nichts an<strong>der</strong>es als den Weg <strong>der</strong> Staatsnationen <strong>des</strong> 19. und 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts mit Hilfe<br />

eines selektiven Umgangs mit den Quellen zu verfolgen. Es galt die Ausübung <strong>der</strong><br />

jeweiligen Staatsgewalt in einem bestimmten Territorium aus <strong>der</strong> Geschichte <strong>des</strong><br />

jeweiligen Staatsvolkes, das man zugleich als Schicksals-, Kultur- und<br />

Abstammungsgemeinschaft sehen wollte, zu rechtfertigen. Der Nationalstaat und seine<br />

Begründung aus <strong>der</strong> Geschichte waren <strong>der</strong> einzige und alles beherrschende politische<br />

Bezugspunkt und Legitimitätsquelle. Wenn <strong>der</strong> Nationalstaat in Europa diese seine<br />

Exklusivität im gesamteuropäischen Kontext zunehmend verliert, dann hat dies auch<br />

für die Geschichte <strong>der</strong> europäischen „Völker“ mehrere Konsequenzen.<br />

Erstens wird <strong>der</strong> Blick immer mehr auf das Gesamte gerichtet, man wendet sich<br />

verstärkt „Völkern“ mit gesamteuropäischer Relevanz zu, was aus Anlass von<br />

Veranstaltungen bzw. Ausstellungen beson<strong>der</strong>s gerne herausgestellt wird. 10<br />

Zweitens werden zunehmend gesamteuropäisch wirkmächtige historische Abläufe<br />

analysiert, um das Gemeinsame hervor zu heben. 11<br />

9<br />

Inwieweit das Auseinan<strong>der</strong>klaffen hinsichtlich dieses Kriteriums problematisch werden kann, zeigt sich<br />

gegenwärtig in Deutschland beim Zusammenwachsen <strong>der</strong> beiden deutschen Staaten <strong>der</strong> Zeit <strong>des</strong> „Kalten<br />

Krieges“.<br />

10<br />

Als Beispiel sei auf das Vorwort zum Ausstellungskatalog <strong>der</strong> Keltenausstellung 1991 im Palazzo<br />

Grassi/Venedig verwiesen, wo es heißt: „An essential part of the exhibition is its subtitle, ‚The Origins of<br />

Europe.’ It was conceived with a mind to the great impending process of the unification of Western Europe, a<br />

process that pointed eloquently to the truly unique aspect of the Celtic civilization, namely its being the first<br />

historically documented civilization on a European scale. In fact, how else could a people fanned out from the<br />

central-eastern regions of Europe all the way to the Atlantic ocean and the North Sea, and even as far the Black<br />

Sea, be <strong>des</strong>cribed except in terms of their common European denominator? We felt, and still feel, that linking<br />

that past to this present was in no way forced, but indeed essential, and could very effectively call us back to our<br />

common roots.“<br />

11 Als Beispiel für diese Tendenz sei die Ausstellung „Europas Mitte um 1000“ genannt, die zwischen<br />

2000 und 2002, im Vorfeld <strong>der</strong> EU-Erweiterung von 2004 stattfand und sich mit den parallel verlaufenden<br />

Reichsbildungen <strong>der</strong> Polen, Tschechen und Ungarn befasste. Das Vorwort (S. III) zum 1. Band <strong>des</strong> Handbuchs<br />

4<br />

4


Drittens treten im europäischen Rahmen die Regionen in <strong>der</strong> Vor<strong>der</strong>grund, womit<br />

kleinräumigere und zugleich oft auch mo<strong>der</strong>ne Staatsgebiete übergreifende Identitäten<br />

wie<strong>der</strong> ins Bewusstsein gerückt werden. 12<br />

Viertens wird die Bedeutung von Wan<strong>der</strong>bewegungen in <strong>der</strong> europäischen Geschichte<br />

herausgestellt. Dies hat dazu geführt, dass die heutige Bevölkerung Europas mit ihren<br />

vielen Sprachen, Religionen, kulturellen und politischen Identitäten das Ergebnis von<br />

Migrationswellen ist, die im Grunde genommen niemals wirklich unterbrochen<br />

wurden. Es darf allerdings nicht verwun<strong>der</strong>n, dass angesichts gegenwärtiger Ängste<br />

eine Zeit, für die das Ende einer Kultur durch Wan<strong>der</strong>ungen als Hauptcharakteristikum<br />

angesehen wird, nunmehr beson<strong>der</strong>es Interesse hervorruft. Die Gefahr, dass einige<br />

Zeitgenossen Bedrohungen <strong>der</strong> Gegenwart als „Reinszenierung <strong>des</strong> Unterganges <strong>des</strong><br />

römischen Reiches“ auszulegen versucht sind, ist nicht von <strong>der</strong> Hand zu weisen. 13<br />

Wenn durch diese Ausrichtungen eine gemeineuropäische historische Tiefenstruktur<br />

<strong>der</strong> nationalen Identitäten gegen eine exklusive Vereinnahmung durch einzelne<br />

Nationen thematisiert wird, kann dies durchaus <strong>zur</strong> übernationalen Integration im<br />

„Neuen Europa“ beitragen. Es muss allerdings in diesem Zusammenhang auf die<br />

Gefahr hingewiesen werden, dass damit die klassischen Fehler <strong>der</strong> Ursprungssuche auf<br />

einer an<strong>der</strong>en, <strong>der</strong> europäischen, Ebene wie<strong>der</strong>holt werden könnten.<br />

Ungeachtet dieser Gefahren hat diese Forschung die Lösung von einer<br />

eindimensionalen Ausrichtung auf das Werden <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Staatsnationen<br />

erleichtert und geholfen, die Augen zu öffnen für die Komplexität <strong>der</strong> Frage nach den<br />

<strong>zur</strong> Ausstellung stellt heraus, dass „an <strong>der</strong> Wende vom zweiten zum dritten Jahrtausend ... die Frage nach dem<br />

gemeinsamen, die Ausbildung nationaler Vielgestaltigkeit und Individualität tragenden Fundament an Bedeutung<br />

(gewinnt).“ Und weiters: „Es entstanden Prägungen und Strukturen, die trotz territorialer Verschiebungen die<br />

eigenständige Entfaltung <strong>der</strong> Staaten und nationalen Kulturen bis heute ermöglichen. Sie bilden das Ferment<br />

eines neuen gegenwärtigen Europa: ein neues Erbe.“<br />

12 Als Beispiel sei das aus 1986 stammende Plädoyer <strong>des</strong> englischen Diplomaten C. Cope für „den Erhalt<br />

und die För<strong>der</strong>ung“ <strong>der</strong> „regionalen und sprachlichen Eigenheiten als Gegengewicht gegen die Nationalstaaten<br />

und als grenzüberschreitende Wie<strong>der</strong>belebung älterer Traditionen unter dem Dach eines geeinten Europa“<br />

genannt (zitiert nach Kaiser, Die Burgun<strong>der</strong>, 209). Dass dieses Plädoyer unter Hinweis auf die regionale<br />

Tradition Burgunds formuliert wurde, einer europäischen Region, <strong>der</strong>en Name heute noch an eine<br />

ostgermanische Ethnie erinnert, sei im Kontext dieser Arbeit ausdrücklich hervorgehoben.<br />

13 Geary (Europäische Völker, 19f) bringt ein instruktives Beispiel dafür, wie Parallelen explizit gezogen<br />

werden: „In einem in Le Monde veröffentlichten Artikel behauptete <strong>der</strong> französische Journalist und<br />

Kommentator Claude Allegre, man müsse nur mein eigenes Buch Before France and Germany lesen, das die<br />

Marketingabteilung <strong>des</strong> französischen Verlags mit dem absolut sinnentstellenden Untertitel Naissance de la<br />

France versehen hat, um zu realisieren, ‚wie eine mutmaßlich kontrollierte Einwan<strong>der</strong>ung (schon damals gab es<br />

Quoten) eine unzerstörbar erscheinende Welt <strong>zur</strong> Explosion brachte’. Vermutlich haben einige Zeitgenossen ein<br />

Interesse daran, die Geschichte <strong>des</strong> Unterganges <strong>des</strong> römischen Reiches auszulegen, weil sie hoffen, aus <strong>der</strong><br />

Vergangenheit zu lernen, wie sich die Zerstörung <strong>der</strong> europäischen Zivilisation durch neue barbarische Horden<br />

verhin<strong>der</strong>n lassen könnte.“<br />

5<br />

5


ethnischen Prozessen, die in Europa seit dem Untergang <strong>des</strong> weströmischen Reiches<br />

abliefen. Dabei wurde eine beachtliche Anzahl von neuen Organisationenformen<br />

entwickelt, um sich in einer Welt zu behaupten, <strong>der</strong>en Strukturen durch das römische<br />

Imperium, sein Heer, seine Städte sowie durch die Verbreitung <strong>des</strong> Christentums<br />

bestimmt waren. 14 Frühmittelalterliche „Stammesbildung“ war daher – so die bis heute<br />

weitgehend akzeptierte Grundthese von Reinhard Wenskus – hauptsächlich eine Frage<br />

<strong>der</strong> Ausbildung von „Verfassungs-Strukturen“. 15<br />

Um die zu den Ethnogenesen in Europa führenden historischen Prozesse zu verstehen,<br />

sollte man auch die „fehlgeschlagenen“ Versuche <strong>der</strong> europäischen Geschichte<br />

untersuchen. So sehr man als Historiker versucht ist, die Anfänge von „erfolgreichen“<br />

Entwicklungen zu analysieren, so wichtig ist es für das Verständnis <strong>der</strong> Abläufe, sich<br />

auch den „fehlgeschlagenen“ zuzuwenden 16 . Dies gilt vor allem für die<br />

frühmittelalterlichen historischen Prozesse Europas, in denen einerseits entscheidende<br />

Weichenstellungen geschahen und die sich an<strong>der</strong>erseits als immer komplexer und<br />

schematischen Erklärungen zunehmend unzugänglich erwiesen.<br />

Zu diesen fehlgeschlagenen Versuchen gehören auch jene Gruppen, die in <strong>der</strong><br />

Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit zunächst durchaus erfolgreich waren, dann aber nicht zum<br />

Ausgangspunkt einer europäischen Nation wurden. Einige dieser Gruppen sind also<br />

nicht sofort aus <strong>der</strong> Geschichte verschwunden, sie haben zumin<strong>des</strong>t durch einige<br />

Generationen hindurch stabile politische Gebilde geschaffen. Auf diese Weise konnte<br />

langfristig – wie im Falle <strong>der</strong> oben erwähnten Burgun<strong>der</strong> – zumin<strong>des</strong>t eine regionale<br />

Identität geschaffen werden. Es gibt weiters auch Gruppen, die in den Quellen<br />

erscheinen, verschwinden und später wie<strong>der</strong> auftauchen. Diese von Heather<br />

„disappearing and reappearing tribes“ 17 genannten Gruppen sind in Spätantike und<br />

Frühmittelalter ein gar nicht so seltenes Phänomen.<br />

Zu <strong>der</strong> Reihe <strong>der</strong> auftauchenden, verschwindenden und wie<strong>der</strong> auftauchenden<br />

spätantiken bzw. frühmittelalterlichen Gruppen gehören auch die in <strong>der</strong> Forschung zu<br />

14<br />

Vgl. Pohl, Introduction, 9.<br />

15<br />

Das Hauptwerk von Reinhard Wenskus, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden <strong>der</strong><br />

frühmittealterlichen gentes, erschien 1961.<br />

16<br />

Vgl. Pohl, Gepiden, Einleitung.<br />

17 Vgl. Heather, Disappearing, 95-111.<br />

6<br />

6


den Ostgermanen gerechneten Eruler. 18 In den Quellen sind sie von einer – allerdings<br />

nicht unumstrittenen – Erstnennung 267 anlässlich räuberischer Unternehmungen im<br />

Schwarzen Meer 19 bis <strong>zur</strong> letzten Erwähnung im Jahre 567 anlässlich <strong>des</strong> Misserfolges<br />

Sindualds, ein erulisches Kleinkönigtum vermutlich im heutigen Südtirol zu<br />

begründen, 20 also – bestenfalls – genau 300 Jahre existent. Ihre Geschichte ist die einer<br />

„ostgermanischen“ Gruppe, die ungeachtet ihres nahezu europaweiten Auftretens in<br />

den Quellen keine großartige Wan<strong>der</strong>geschichte, vergleichbar den Goten und<br />

Vandalen, aufweist. Aufgrund dieser Geschichte war es naheliegend, dass Heather die<br />

Eruler für seine „disappearing and reappearing tribes“ neben den Rugiern als Beispiele<br />

für seine Überlegungen herangezogen hat. 21<br />

Wie eingangs erwähnt ist die Geschichte <strong>der</strong> Eruler nicht zuletzt auf Grund dieser<br />

„zerrissenen“ Quellenlage von einer Reihe von Unklarheiten gekennzeichnet. Dabei<br />

sind einige Fragen zu stellen, wie sie für viele frühmittelalterliche Gruppen generell<br />

charakteristisch sind: „Wo und wann und in welchen Varianten taucht <strong>der</strong> Name ...<br />

auf, wer verwendet ihn wann und wie?“ 22 Dann stellen sich aber auch für sie<br />

spezifische Fragen: Waren die Eruler tatsächlich eine gens, die aus Südskandinavien<br />

Richtung Südosten wan<strong>der</strong>te, um dann gemeinsam mit Goten und an<strong>der</strong>en<br />

barbarischen „gentes“ den Balkan und Kleinasien durch Raubüberfälle unsicher zu<br />

machen? Welche Rolle spielten sie im ostgotischen Reich Ermanarichs? Hatte <strong>der</strong><br />

Dienst in <strong>der</strong> römischen Armee eine spezifische Bedeutung für den Erulerbegriff, wie<br />

dies Ellegård vermutet? 23 Woher kam die Gruppe <strong>der</strong> Eruler, die im 5. Jahrhun<strong>der</strong>t im<br />

Gebiet <strong>des</strong> heutigen Weinviertel und Südmähren sesshaft wurde und sich nach <strong>der</strong><br />

Nie<strong>der</strong>lage zu Beginn <strong>des</strong> 6. Jahrhun<strong>der</strong>ts gegen die Langobarden gleichsam in<br />

gentile 24 Bestandteile auflöste? Was identifiziert bis in die zweite Hälfte <strong>des</strong> 6.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts einige als Eruler bezeichnete ostgermanische Splittergruppen, die an<br />

18<br />

Die Zuordnung <strong>der</strong> Eruler zu den Ostgermanen ist heute weitestgehend unbestritten. Vgl. dazu ihre<br />

Einordnung in eine <strong>der</strong> acht ostgermanischen Gruppen durch Ludwig Schmidt (Ostgermanen, 80 ff).<br />

19<br />

Siehe unten Kap. 8.<br />

20<br />

Paulus Diaconus, Hist. Langob. II, 3.<br />

21<br />

Heather, Disappearing, 97 ff, 107 ff.<br />

22<br />

So die von R. Kaiser in Hinblick auf die Burgun<strong>der</strong> gestellten grundsätzlichen Fragen (Kaiser,<br />

Burgun<strong>der</strong>, 11).<br />

23<br />

Damit wären die Eruler übrigens nicht die einzigen. Vgl. dazu die These, dass sich <strong>der</strong><br />

Burgun<strong>der</strong>begriff aus einer kleinen Abteilung <strong>des</strong> römischen Heeres entwickelt hat (Beck, Bemerkungen). Zur<br />

Bedeutung <strong>des</strong> römischen Heeres für die Herausbildung germanischer Ethnien im Allgemeinen siehe unten 21f.<br />

24 Zum Begriff „gentil, Gentilismus“ siehe unten 11f.<br />

7<br />

7


mehreren Stellen Europas an <strong>der</strong> Genese an<strong>der</strong>er Ethnien teilnahmen und sich damit<br />

als wahrnehmbare Gruppe auflösten? War <strong>der</strong> Versuch einer regionalen<br />

Herrschaftsbildung durch Sinduald in Südtirol das letzte <strong>der</strong>artige dezidiert „erulische“<br />

Unternehmen in Mitteleuropa? Und last but not least haben die nach Norden (<strong>zur</strong>ück-<br />

?)gewan<strong>der</strong>ten Eruler etwas mit <strong>der</strong> Entstehung jener militärischen und politischen<br />

Strukturen zu tun, die um Uppsala ein Machtzentrum entstehen ließen, das in weiterer<br />

Folge <strong>zur</strong> Herausbildung <strong>der</strong> Vendel-Kultur führten und damit zum Ausgangspunkt<br />

<strong>des</strong> schwedischen Königtums wurden? 25<br />

So unbedeutend die Eruler im Gesamtkontext <strong>des</strong> europäischen Frühmittelalters auch<br />

gewesen sein mögen, eine Landkarte, auf <strong>der</strong> alle Gegenden markiert werden sollen,<br />

die mit Erulern in Verbindung gebracht werden, müsste jedenfalls ganz Europa<br />

umfassen.<br />

25 Vgl. dazu insbeson<strong>der</strong>e: Troels Brandt, The Heruls: 1. The Hypothesis of the Heruls<br />

http://www.gedevasen.dk/heruleng.html (30.04.2005).<br />

8<br />

8


2 Stamm und Gens, Volk und Ethnie: Zur Typologie von<br />

Gruppenidentitäten<br />

Wie immer man die Quellen auch lesen mag, es gab zweifellos im 5. und 6.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t eine kollektive erulische Identität, die sich sowohl im Selbstbewusstsein<br />

von Erulern und erulischen Gruppen, als auch in <strong>der</strong> Außenwahrnehmung deutlich<br />

manifestierte. Wie alle kollektiven Identitäten muss auch diese auf dem menschlichen<br />

Grundbedürfnis beruht haben, Gruppen zu bilden bzw. in Gruppen zu leben und damit<br />

eine soziale Identität aufzubauen. Diese soziale Identität steht in einem interaktiven<br />

Zusammenhang mit <strong>der</strong> persönlichen Identität <strong>des</strong> einzelnen Individuums, die im Zuge<br />

<strong>der</strong> Sozialisierung hergestellt wird:<br />

„Die persönliche Identität äußert sich in <strong>der</strong> Einheit einer unverwechselbaren<br />

Lebensgeschichte, die soziale Identität in <strong>der</strong> Zugehörigkeit eines Individuums zu<br />

verschiedenen Bezugsgruppen. Persönliche Identität sichert ‚vertikal’ die Konsistenz<br />

eines lebensgeschichtlichen Zusammenhangs, soziale Identität garantiert ‚horizontal’<br />

die Erfüllbarkeit <strong>der</strong> differierenden Ansprüche aller Rollensysteme, denen die Person<br />

zugehört.“ 26<br />

Dieses Zusammenspiel zwischen persönlicher und sozialer Identität ist gewissermaßen<br />

eine anthropologische Konstante. Unverzichtbar scheinende Begriffe wie Identität<br />

erweisen sich jedoch häufig als einigermaßen unklar und entziehen sich Versuchen sie<br />

theoretisch und methodisch genauer zu erfassen. Erikson, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Psychoanalyse<br />

kommend „dem Begriff <strong>der</strong> ‚Identität’ in den Sozialwissenschaften Anerkennung<br />

verschafft hat“, 27 versteht unter Gruppenidentität „die Konstanz <strong>der</strong> Symbole einer<br />

Gruppe trotz Fluktuation <strong>der</strong> Gruppenmitglie<strong>der</strong> – analog <strong>zur</strong> Konstanz <strong>der</strong><br />

biographischen Orientierungsmuster eines Individuums im Fortschreiten <strong>der</strong> Zeit“. 28<br />

Es muss in diesem Zusammenhang jedoch darauf hingewiesen werden, dass für<br />

mo<strong>der</strong>ne Analysen <strong>der</strong> Identität in einer komplexen Gesellschaft eine einheitliche<br />

Identität gar nicht vorstellbar ist. Es besteht eine Mehrheit von Identitäten, die sich<br />

immer wie<strong>der</strong> wandeln und daher oft nur für kurze Zeit bestimmbar sind. Ob dies für<br />

alle menschlichen Gesellschaften in dieser Ausprägung gilt, ist zwar fraglich, aber in<br />

Zeiten dynamischer Verän<strong>der</strong>ungen wie <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit muss man<br />

26<br />

Dubiel, Identität, 150.<br />

27<br />

Dubiel, Identität, 148.<br />

28<br />

Dubiel, Identität, 149.<br />

9<br />

9


10 10<br />

durchaus auch mit wandelnden und sich überlagernden Identitätsebenen rechnen. 29 Es<br />

ist weiter zu bedenken, dass „gerade in Zeiten ethnischer Verschiebungen ... von<br />

mehreren Idenitätsebenen und –angeboten unterschiedlich“ Gebrauch gemacht werden<br />

kann. 30 Schließlich neigen in solchen Zeiten Verbände uneinheitlicher Herkunft dazu,<br />

sich auf Grund eines gemeinsamen Schicksals als ethnisch bestimmte<br />

Abstammungsgemeinschaft zu verstehen und sich auf diese Weise relativ schnell eine<br />

neue Identität zu verschaffen. 31<br />

Die soziale Identität ergibt sich aus dem Selbstgefühl einer Gruppe, das mit <strong>der</strong><br />

Konstanz ihrer Symbole verknüpft ist und die Gruppenangehörigen im Bewusstsein<br />

verbindet, sich durch spezielle Eigenschaften von an<strong>der</strong>en Gruppen zu unterscheiden.<br />

Diesem subjektiven Element wird auch in <strong>der</strong> Geschichtswissenschaft immer mehr<br />

Bedeutung beigemessen. 32 Es muss aber festgehalten werden, dass das<br />

Selbstverständnis einer ethnisch homogenen und konstanten<br />

Abstammungsgemeinschaft <strong>der</strong> historischen Realität oft nicht entspricht und sich als<br />

Konstrukt einer Interessensgemeinschaft erweist.<br />

Jede Identitätssuche ist gleichzeitig immer auch Abgrenzung, <strong>zur</strong> Identität gehört<br />

immer auch Alterität. Dies gilt sowohl für die individuelle Identität 33 als auch für<br />

kollektive Identitäten, wo die Unterscheidung zwischen „uns“ und „den An<strong>der</strong>en“<br />

häufig als wesentlichstes Element für „Gruppen-Identität“ angesehen wird. In diesem<br />

Sinne erzählen Zeichen und Symbole ethnischer Identität immer etwas über die<br />

Unterschiede zwischen Menschen. 34<br />

Die ursprünglichste Gruppenidentität wird durch familiäre Beziehungen bestimmt:<br />

„Die Zähigkeit <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> Abstammungsgemeinschaft hat ihren letzten Grund doch<br />

offenbar darin, dass e n g e Verwandtschaft als die stärkste und ursprünglichste<br />

29 Vgl. dazu die Grabinschrift aus dem 3. Jahrhun<strong>der</strong>t, die in Pannonien für einen fränkischen Krieger<br />

verfasst wurde (CIL III 3567): Francus ego cives, Romanus miles in armis… [Ich bin fränkischer Bürger,<br />

römischer Sodat in Waffen], die sehr schön zeigt, dass auch damals jemand mehrfache Identitäten bejahen<br />

konnte. Der römische Begriff <strong>der</strong> Bürgerschaft zeigt überdies, wie tief bereits römische Terminologie in diese<br />

Kriegergesellschaft eingedrungen war, sodass sich ein germanischer miles romanus zugleich auch als fränkischer<br />

„Bürger“ verstehen konnte.<br />

30 Pohl, Germanen, 9.<br />

31<br />

Mühlmann (Rassen, 280) weist darauf hin, dass viele Stammesnamen auf diese Weise „auf politische<br />

Stiftungen <strong>zur</strong>ückgehen.“<br />

32 Pohl, Difference, 20f.<br />

33 Erikson stellt Sozialisation „als eine Kette von übernommenen und abgestoßenen Identifikationen mit<br />

primären Bezugspersonen vor, die erst mit <strong>der</strong> Adoleszenz abschließt“ (Dubiel, Identität, 148).<br />

34 So überschreibt W. Pohl seinen einleitenden Beitrag zum Sammelband Strategies of Distinction. The<br />

Construction of Ethnic Communities 300 - 800 mit: Telling the Difference: Signs of Ethnic Identity.


11 11<br />

Bindekraft <strong>der</strong> Vergesellung empfunden wird. Und tatsächlich scheinen die<br />

altertümlichsten kleinen Gruppen im allgemeinen aus Verwandten zu bestehen. Wo<br />

auch an<strong>der</strong>e Elemente in solchen Kleingebilden auftreten, sind sie entwe<strong>der</strong> durch<br />

Einheirat hineingekommen o<strong>der</strong> aber häufig durch förmliche „Adoptionen“,<br />

Blutsbrü<strong>der</strong>schaft“ u.ä. aufgenommen worden. Diese Übung kann man bereits als erste<br />

Folge einer „politischen Idee“ urtümlichster Art ansehen, <strong>des</strong> Gedankens nämlich,<br />

dass Gemeinschaft grundsätzlich nur durch Verwandtschaft konstituiert wird, dass<br />

Verwandtschaft also künstlich (magisch) hergestellt werden muß, wenn sie nicht durch<br />

Geburt gegeben ist.“ 35<br />

Ungeachtet <strong>des</strong>sen, dass familiäre Beziehungen eine beachtliche Vielfalt aufweisen 36<br />

und dass sie häufig auch terminologisch auf an<strong>der</strong>e Gruppen übertragen werden bzw.<br />

ihnen durchaus eine „politische Idee urtümlichster Art“ zu Grunde liegen kann,<br />

konstituieren sie zunächst nur kleine Horden. 37 Die vielfältigen Möglichkeiten<br />

familiäre Beziehungen zu definieren schaffen jedoch auch die Grundlage dafür größere<br />

Einheiten zu konstruieren, die auf familiären Beziehungsmustern beruhen. Dies konnte<br />

durch die Konstruktion einer gemeinsamen Abstammung geschehen, die es erlaubt<br />

politische Organisation als verwandtschaftlich begründet zu sehen. Es konnten sich<br />

aber auch gentile Segmente zu größeren Einheiten mit lockerer Bindung<br />

zusammenfinden, die sich als politisch agierende Gemeinschaft „gleichsam durch<br />

tägliches Plebiszit ihrer Mitglie<strong>der</strong> stets aufs Neue konstituiert.“ 38<br />

Derartige Konzepte wurden lange Zeit mit gentilem Bewusstsein umschrieben, was<br />

jedoch in <strong>der</strong> Literatur zunehmend hinterfragt wird. 39 Verzichtet man allerdings „auf<br />

eine exakte Definition, so lässt sich für die VWZ durchaus von ‚gentilem Bewußtsein’,<br />

‚gentiler Politik’ o<strong>der</strong> ähnlichem sprechen, zum Unterschied von einem am Ganzen<br />

<strong>der</strong> spätröm. Res publica o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Einheit <strong>der</strong> Kirche orientierten Denken und<br />

Handeln.“ 40<br />

In diesem Sinne lässt sich „gentiles politisches Bewusstsein“ auch nicht klar von den<br />

drei traditionellen Begriffen für größere Gruppenbildungen Volk, Stamm und Ethnie<br />

abgrenzen. Die gens konnte ebenso größere wie kleinere Verbände, Völker, Stämme<br />

o<strong>der</strong> Familien bezeichnen, 41 sie alle konnten und können verwandtschaftlich gedacht<br />

35<br />

Wenskus, Stammesbildung, 16.<br />

36<br />

Wenskus, Stammesbildung 9f., 108.<br />

37<br />

Wenskus, Stammesbildung, 17.<br />

38<br />

Postel, Ursprünge, 60.<br />

39<br />

Grundsätzlich zu dieser Problematik: Pohl, Gentilismus, 91ff.<br />

40 Pohl, Gentilismus, 95.<br />

41 Ebda.


12 12<br />

werden, wobei die Zuordnungen zu einer kleineren o<strong>der</strong> größeren Gemeinschaft je<br />

nach Zweck variieren können, wie das als alltägliche Erfahrung näherer und weiterer<br />

Verwandtschaft gegenwärtig ist. Mit an<strong>der</strong>en Worten: Gentiles Bewusstsein in dem<br />

genannten allgemeinen Sinn kann als Idee das Gerüst für unterschiedliche<br />

Gruppenbildungen darstellen, größere Einheiten sind dabei tendenziell unbeständige<br />

Konstrukte.<br />

Volk und Stamm sind zwei zentrale politische Begriffe, die, wie es in Europa die<br />

Regel ist, in römischen und biblischen Überlieferungen wurzeln (populus Romanus,<br />

Volk Israel). Geary spricht geradezu von <strong>der</strong> „Erfindung <strong>der</strong> Völker in <strong>der</strong> Antike.“ 42<br />

Nicht nur Völker, son<strong>der</strong>n auch Stämme werden seit <strong>der</strong> Antike als überall vorhanden<br />

vorausgesetzt, wobei für beide Begriffe das ganze antike Spektrum für<br />

Gruppenbildungen verwendet wird: ethnos, phylon, gens, civitas, populus, natio. 43 Im<br />

Allgemeinen ging man jedoch von <strong>der</strong> Vorstellung aus, Völker bestünden aus<br />

Stämmen: Bei Herodot sind Ethne in Gene aufgeteilt; aus römischen tribus setzt sich<br />

<strong>der</strong> populus romanus zusammen; die zwölf Stämme machen das Volk Israel aus.<br />

Das alltägliche Verständnis geht heute noch immer davon aus, dass man fast alle<br />

Menschen eindeutig einem bestimmten Volk zuordnen kann und dass diese<br />

Zugehörigkeit sich in <strong>der</strong> Regel in Sprache, Kultur, aber auch an<strong>der</strong>en objektiven<br />

Kriterien wie Recht und Siedlungsgemeinschaft äußert bzw. das Ergebnis von<br />

Konstruktionen wie <strong>der</strong> gemeinsamen Abstammung ist. Dabei wird häufig durch<br />

selektive Wahrnehmungen geschichtlicher Abläufe ein gemeinsames Schicksal<br />

beschworen. Dementsprechend war und sind <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Volkswerdung und seine<br />

Anwendung stark vom jeweiligen zeitlichen Umfeld <strong>des</strong> Autors abhängig. Einfach<br />

ausgedrückt war die Bedeutung <strong>des</strong> Begriffes Volk im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t eine an<strong>der</strong>e als<br />

in <strong>der</strong> nationalsozialistischen Zeit o<strong>der</strong> heute. Politische Instrumentalisierungen<br />

projizierten den spätneuzeitlichen Volks- und Nationsbegriff in die Geschichte und<br />

richten diese <strong>zur</strong> Bewältigung <strong>der</strong> jeweiligen Gegenwart zu Recht. Das<br />

„ ... zwanglose Nebeneinan<strong>der</strong>denken mythologisch-historisch fundierter Idealtypen,<br />

klassifizierenden Augenscheins, ethnisch legitimierter politischer Strukturen und<br />

realer Bevölkerungsvielfalt wurde im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t durch einen einheitlichen<br />

Volksbegriff abgelöst, <strong>der</strong> eine Klassifizierung nach objektiven Kriterien erfor<strong>der</strong>te.“ 44<br />

42 Geary, Europäische Völker, 53ff.<br />

43 Timpe, Germanen, 195.<br />

44 Pohl, Germanen, 7.


13 13<br />

Je „geschichtsbewusster“ eine Zeit ist, <strong>des</strong>to stärker gerät sie aber auch in Gefahr die<br />

Geschichte zu manipulieren. Um mit <strong>der</strong> Geschichte Politik machen zu können, bedarf<br />

es meist simplifizieren<strong>der</strong> Rückgriffe auf die Geschichte, was in Europa vielfach das<br />

Mittelalter als formatives Zeitalter betrifft. Europäische Völker sind in dieser<br />

„Pseudogeschichte“ wenn nicht „in einem fernen Moment <strong>der</strong> Prähistorie“ so „im<br />

Laufe eines Prozesses, <strong>der</strong> sich irgendwann im Mittelalter vollzog und ein für allemal<br />

endete“, entstanden. 45<br />

Angesichts <strong>der</strong> Implikationen, die <strong>der</strong> Begriff <strong>des</strong> „Volkes“ bzw. sein Missbrauch im<br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>t mit sich gebracht hat,<br />

„kann die Forschung (eigentlich) nur gewinnen, wenn statt <strong>der</strong> Abstraktion Volk<br />

wie<strong>der</strong> die Geschichte <strong>der</strong> Menschen, in ihrer Vielfalt und Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit, ins<br />

Zentrum gestellt wird. Ethnische Identität war für sie nicht Schicksal, son<strong>der</strong>n ihre<br />

Leistung – Orientierung, die einer unübersichtlichen Welt abgewonnen wurde.“ 46<br />

Eine Leistung, die man mit Jürgen Habermas darin sehen kann, dem Einzelnen eine<br />

Balance zwischen persönlicher und sozialer Identität zu ermöglichen. 47<br />

So gesehen sind Völker Abstraktionen, <strong>der</strong>en scheinbare Evidenz auf jeweils einigen<br />

wenigen, zu diesem Zweck beson<strong>der</strong>s herausgehobenen, Merkmalen aus <strong>der</strong> großen<br />

Vielfalt menschlicher Lebensformen beruht. 48 Ein Verfahren, das sich auch bei <strong>der</strong><br />

Bestimmung <strong>des</strong> weniger „belasteten“ Begriffs „Ethnie“ abzeichnet, auf den im<br />

Folgenden <strong>zur</strong>ück zu kommen sein wird.<br />

Der im Kontext <strong>der</strong> vorliegenden Arbeit traditionell bedeutsame Stammesbegriff setzt<br />

auch sprachlich eine gleiche Abstammung voraus. Dies schließt allerdings nicht aus,<br />

dass <strong>der</strong> Zusammenschluss von Stämmen zu einem Volk durch die Konstruktion einer<br />

gemeinsamen Abstammung ihre Legitimation erhält. In diesem Sinne werden zwar die<br />

zwölf Stämme Israels auf die Abstammung von zwölf Brü<strong>der</strong>n <strong>zur</strong>ückgeführt, die<br />

Abgrenzung zwischen Stamm und Volk bleibt jedoch lange Zeit unklar:<br />

„Neben <strong>der</strong> Anschauung vom Stamm als einer natürlichen Abstammungsgemeinschaft<br />

trat im Laufe <strong>des</strong> 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts eine zweite Vorstellung immer mehr in den<br />

Vor<strong>der</strong>grund. Gebrauchten noch Jacob G r i m m und Kaspar Z e u ß „Stamm“ und<br />

„Volk“ als synonyme Begriffe, so begann man seit <strong>der</strong> Wende <strong>des</strong> 18. zum 19.<br />

45<br />

Geary, Europäische Völker, 20.<br />

46<br />

Pohl, Völkerwan<strong>der</strong>ung, 22.<br />

47<br />

Dubiel, Identität, 150f.<br />

48<br />

Vgl. Pohl, Völkerwan<strong>der</strong>ung, 18.


14 14<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t nach dem Vorbild <strong>der</strong> Lutherbibel („die zwölf Stämme <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

Israels“) im Stamm ein Glied o<strong>der</strong> einen Teil <strong>des</strong> größeren Volkes zu sehen.“ 49<br />

Wie <strong>der</strong> Volksbegriff hat also <strong>der</strong> Stammesbegriff im 19. und 20. Jahrhun<strong>der</strong>t als<br />

politisches Konstrukt in Europa eine beachtliche Karriere gemacht:<br />

„In einer Geschichte <strong>des</strong> Stammesbegriffs könnte beispielhaft ein guter Teil <strong>der</strong><br />

Geschichte <strong>der</strong> politischen Ideen <strong>des</strong> 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts behandelt werden. Dem<br />

Rationalismus <strong>der</strong> Anstaltsstaaten und seiner Staatstheorien entsprach als dialektische<br />

Gegenströmung ein Irrationalismus, <strong>der</strong> <strong>der</strong> ‚Künstlichkeit’ <strong>des</strong> Staates die ideale<br />

Naturhaftigkeit <strong>des</strong> Stammes gegenüberstellt.“ 50<br />

In <strong>der</strong> Folge haben die Europäer dieses traditionelle Denken in Stämmen und Völkern<br />

wie die Römer auf die Barbaren auf die Menschen in ihren Kolonien übertragen. Wie<br />

in <strong>der</strong> Antike schuf man durch Einteilung und Benennung nicht nur eine<br />

Vereinfachung <strong>der</strong> internen Verwaltung:<br />

„Bis zum Beginn <strong>der</strong> Kolonialisierung gehörten die Menschen Zentral- und Ostafrikas<br />

jedoch vielen, sich einan<strong>der</strong> überlagernden Ideengeflechten und sozialen<br />

Organisationen an, und das gab ihnen viele mögliche Identitäten.“ 51<br />

Auf diese Weise gebildete Gruppen wurden von den Kolonialmächten zunächst in<br />

„Stämmen“ klassifiziert und dann zu Staatsvölkern in willkürlichen Grenzen<br />

zusammengefasst, in eine oft nur scheinbare Souveränität entlassen. Der „Tribalismus“<br />

erweist sich solcherart als immer noch aktuelles politisches Problem Afrikas. Bedingt<br />

durch Kolonialismus und Entkolonialisierung erwiesen sich Ethnogenesen und<br />

Staatsbildung als einan<strong>der</strong> überlagernde Prozesse, die in vielen Fällen bislang zu<br />

keinem guten Ende im Sinne einer Verwandlung multitribaler Gesellschaften in<br />

Staatsvölker geführt haben.<br />

Wenn auch die gemeinsame Abstammung für den Stammesbegriff im Vor<strong>der</strong>grund<br />

steht, so wird in <strong>der</strong> Literatur darüber hinaus eine Reihe von weiteren Aspekten<br />

angeführt. Wenskus nennt als Funktionen von Stämmen Heiratsgemeinschaft,<br />

Friedensgemeinschaft, Rechtsgemeinschaft, Siedlungsgemeinschaft, politische<br />

Gemeinschaft, Traditionsgemeinschaft sowie Sprach- und Kulturgemeinschaft. 52 An<br />

dieser Aufzählung ist bemerkenswert, dass erstens alle genannten Aspekte ineinan<strong>der</strong><br />

verschlungen sind bzw. aufeinan<strong>der</strong> aufbauen, und zweitens, dass sie sich<br />

49<br />

Wenskus, Stammesbildung, 82f.<br />

50<br />

Wenskus, Stammesbildung, 14.<br />

51<br />

Ranger, Kolonialismus, 22.<br />

52<br />

Wenskus, Stammesbildung, 14-112.


15 15<br />

grundsätzlich nur wenig von den genannten Kriterien <strong>des</strong> Volksbegriffs unterscheiden.<br />

Es ist daher festzuhalten, dass es für die traditionelle Verwendung <strong>der</strong> beiden Begriffe<br />

„Stamm“ und „Volk“ fließende Übergänge gab, 53 wobei im Allgemeinen galt, dass je<br />

kleiner eine Gruppe war und je stärker das Abstammungsprinzip betont wurde, <strong>des</strong>to<br />

eher von „Stamm“ gesprochen wurde. Je größer hingegen die Gruppe war und je<br />

komplexer die für sie konstitutiven politischen Strukturen, <strong>des</strong>to eher wurde von einem<br />

Volk gesprochen.<br />

Alles in allem sind die Begriffe „Volk“ und „Stamm“ durch ihren vielfachen<br />

Missbrauch wissenschaftlich <strong>des</strong>avouiert worden. Auch bei <strong>der</strong> Bezeichnung von<br />

frühneuzeitlichen Gruppen scheut zwar einerseits „die neuere Forschung vor <strong>der</strong><br />

Bezeichnung als Stamm und Volk <strong>zur</strong>ück“, 54 an<strong>der</strong>erseits wird betont, dass man<br />

immer noch „nicht leicht über die 1961 von Reinhard Wenskus erarbeiteten ‚Aspekte<br />

<strong>des</strong> Stammesbegriffs’ hinauskommen kann.“ 55<br />

Auf <strong>der</strong> Suche nach einem neuen Begriff ist man auf „Ethnie“ gestoßen, ein Begriff,<br />

<strong>der</strong> in den letzten Jahrzehnten in den Sozialwissenschaften – vor allem in <strong>der</strong> <strong>zur</strong><br />

Ethnologie mutierten Völkerkunde – zunehmend den Begriff „Volk“ verdrängt hat.<br />

Die in den mo<strong>der</strong>nen Sozialwissenschaften angeführten Kriterien für Ethnien<br />

unterscheiden sich auf den ersten Blick nur wenig von den Kriterien antiker und<br />

mittelalterlicher Autoren für Völker und Stämme, welche auf Sprache, Gewohnheiten,<br />

Religion, Waffen, Bekleidung u. dgl. verweisen. 56 Nichts<strong>des</strong>toweniger wird Ethnie im<br />

heutigen Sprachgebrauch „als kleine Einheit schwanken<strong>der</strong> Zusammensetzung dem<br />

Volk als <strong>der</strong> großen, geschichtlich gewordenen Einheit gegenübergestellt“ 57 . Ethnien<br />

stehen als weniger stabile soziale Einheiten ohne Staatsorganisation den Völkern<br />

gegenüber. Das erste entscheidende Unterscheidungskriterium zwischen Volk und<br />

Ethnie stellen also die politischen Strukturen dar. Ethnie, Ethnos ist eine Gruppe von<br />

Menschen mit gleicher Kultur und Sprache, die nicht politisch geeint sein muss, aber<br />

ein Gefühl <strong>der</strong> Zusammengehörigkeit hat, 58 ein „Wir-Gefühl“ aufweist.<br />

53<br />

Dies gilt bereits für die Klassifizierungen <strong>des</strong> Herodot, Vgl. oben 12.<br />

54<br />

So Kaiser in Hinblick auf die Burgun<strong>der</strong> (Kaiser, Burgun<strong>der</strong>, 11).<br />

55<br />

Wolfram, Goten, 20.<br />

56<br />

Vgl. die Zusammenfassung bei Pohl, Difference, 17 ff.<br />

57<br />

So die Umschreibung <strong>der</strong> beiden Begriffe in dtv-Lexikon, Bd. 5, 1999, 156.<br />

58 Ebda.


16 16<br />

Was die etymologische Herleitung betrifft, unterscheidet sich Ethnie von Stamm, da<br />

Ethnos mit Ethos in Verbindung steht. 59 Im Gegensatz zu gens o<strong>der</strong> Stamm verweist<br />

ethnos also nicht auf eine biologische Abstammungsgemeinschaft, son<strong>der</strong>n auch<br />

etymologisch auf ein durch Konstanz <strong>der</strong> Symbole gekennzeichnetes Kollektiv, auf<br />

gemeinsame Sprache, gemeinsames Brauchtum, gemeinsame Überzeugungen etc.<br />

Im Großen und Ganzen lässt sich daher sagen, dass <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Ethnie offener ist<br />

als <strong>der</strong> politisch aufgeladene Begriff <strong>des</strong> Volkes. Bei Ethnien stehen das<br />

organisatorisch und/o<strong>der</strong> kulturell vermittelte (Wir)Gefühl <strong>der</strong> Zusammengehörigkeit<br />

im Vor<strong>der</strong>grund, was nicht bedeuten soll, dass gemeinsame Abstammung (ob<br />

tatsächlich o<strong>der</strong> auch nur fiktiv, 60 spielt hier keine Rolle) nicht auch einen wichtigen<br />

Beitrag leisten kann. Wenskus betonte die Bedeutung <strong>des</strong> subjektiven Faktors <strong>der</strong><br />

Tradition, die vor allem Herkunftsmythos und Lebensordnung („Verfassung“) einer<br />

Gruppe umfasste. 61 Die Bereitschaft an<strong>der</strong>er, den so entstandenen Verband<br />

wahrzunehmen und anzuerkennen, kann durchaus im Spannungsverhältnis dazu<br />

stehen. Die Fremdwahrnehmung kann allenfalls <strong>der</strong> Selbstzuordnung vorausgehen<br />

o<strong>der</strong> mit ihr in einer komplizierten Wechselwirkung stehen. Ethnische Prozesse sind<br />

daher keine naturwüchsigen Entwicklungen, son<strong>der</strong>n komplexe gesellschaftliche und<br />

historische Abläufe.<br />

In <strong>der</strong> Forschung verzichtet man zunehmend darauf historisch konstante, fest<br />

umschriebene objektive Kriterien für ethnische Identität anzugeben, was als<br />

Essenzialismus o<strong>der</strong> Substanzialismus kritisiert wird. Man hat erkannt, dass es<br />

universell anwendbare eindeutige und objektive Merkmale eben nicht gibt und die<br />

Zuordnung einer Gruppe zu ethnischen Verbänden immer nur auf Grund einer mehr<br />

o<strong>der</strong> weniger aleatorischen Abwägung von den unterschiedlichsten Kriterien erfolgt. 62<br />

Einerseits stellen ethnische Identitäten daher Konstrukte dar. An<strong>der</strong>erseits wird ein<br />

unbegrenzter Konstruktivismus wohl zu Recht kritisiert, denn „in menschlichen<br />

Angelegenheiten ist nicht alles möglich“ 63 . Durch welche konstanten Symbole die<br />

soziale Identität bestimmt wird bzw. wie diese die Gruppe konstituiert, dafür steht<br />

59<br />

έθνος, τό, wahrscheinlich von έθος, die durch Gewohnheit verbundene Menge, Schaar, Haufen,<br />

(Pape-GDHW Bd. 1, 720).<br />

60<br />

So definiert Max Weber ethnische Gruppen durch den bloß „subjektiven Glauben an eine<br />

Abstammungsgemeinsamkeit“.<br />

61<br />

Wenskus, Stammesbildung, 54ff.<br />

62<br />

Vgl. Pohl, Germanen, 10.<br />

63<br />

Benhabib, Kulturelle Vielfalt, 25.


17 17<br />

zwar ein großes, letztlich aber nicht unbeschränktes Reservoir an Möglichkeiten <strong>zur</strong><br />

Verfügung.<br />

Ethnien können dementsprechend als Gruppen verstanden werden, die sich selbst eine<br />

kollektive Identität zuschreiben, wobei sie aus einem Reservoir von Elementen<br />

diejenigen auswählen, die als konstante Symbole <strong>der</strong> Identifizierung <strong>des</strong> Kollektivs<br />

dienen. Wie alle Klassifizierungen menschlichen Gruppen sind auch Ethnien insofern<br />

Konstrukte, als sie letztlich immer nur Ausschnitte aus <strong>der</strong> sozialen Wirklichkeit<br />

konkreter Menschen darstellen.<br />

Unter Ethnie soll daher im Folgenden ein Typ menschlicher Gruppenbildung<br />

verstanden werden, <strong>der</strong> einerseits über die Dominanz familiärer Bindungen und<br />

gentiler Konstrukte hinausgeht, an<strong>der</strong>erseits jedoch die organisatorische Verdichtung<br />

zu einem Staatsvolk nicht erfahren hat. 64<br />

Abgesehen von diesen beiden Angrenzungen nach oben und unten werden Ethnien<br />

durch unterschiedliche Zuordnungskriterien bestimmt, welche die ganze Bandbreite<br />

kultureller Phänomene im weitesten Sinne – von Sprache und Religion bis <strong>zur</strong><br />

Bewaffnung und Haartracht – umfassen, wie sie immer wie<strong>der</strong> auch für Stämme und<br />

Völker angegeben werden. Diese kulturellen Zuordnungskriterien stellen bewegliche<br />

Typenelemente dar, denen im Einzelnen verschiedenes Gewicht gegeben wird. Das<br />

Vorhandensein einzelner Elemente ist nicht notwendig deckungsgleich mit einer<br />

bestimmten Ethnie, sodass eine Ethnie einzelne Elemente auch mit an<strong>der</strong>en Gruppen<br />

gemeinsamen haben kann. Ethnien können sich daher durch die unterschiedlichsten<br />

konstanten Symbole voneinan<strong>der</strong> unterscheiden. Wichtig ist nur, dass diese in einer<br />

spezifischen Kombination in Eigen- und Fremdwahrnehmung die entscheidenden<br />

Kriterien liefern.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> mit den beiden Begriffen verbundenen terminologischen<br />

Schwierigkeiten wird im Folgenden, wenn es darum geht, die Eruler einem Kollektiv-<br />

Begriff zuzuordnen, we<strong>der</strong> im Sinne eines biologischen Essentialismus vom Stamm<br />

<strong>der</strong> Eruler noch eines ontologischen Essentialismus von einem erulischen Volk im<br />

Sinne <strong>des</strong> 19. und 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts gesprochen. Dementsprechend sollen daher im<br />

Folgenden die Eruler als gentile Verbände verstanden werden, die in komplexen<br />

64 Dabei ist nicht nur an den westlich-neuzeitlichen Staat zu denken, son<strong>der</strong>n auch an das Römische<br />

Reich, nachdem 212 durch die Constitutio Antoniana das römische Bürgerecht an alle Bewohner <strong>des</strong> Reiches<br />

verliehen wurde.


18 18<br />

Prozessen auftauchen, verschwinden und wie<strong>der</strong>auftauchen, dabei jedoch sowohl in<br />

ihrem Selbstverständnis als auch in <strong>der</strong> Außenwahrnehmung kontinuierlich in ihrer<br />

Identität wahrgenommen werden.<br />

Damit soll auch die Dynamik <strong>des</strong> prozesshaften Geschehens besser wie<strong>der</strong>gegeben<br />

werden:<br />

“The most fundamental point is that ethnic communities are not immutable biological<br />

or ontological essences, but the results of historical processes, or, as one might put it,<br />

historical processes in themselves.” 65<br />

Die Geschichte erulischer Identität gehört damit zu jenem „broad range of<br />

possibilities“, welche die Zeit <strong>der</strong> Transformation <strong>der</strong> römischen Welt an Formen von<br />

Kohäsion und sozialer Integration eröffnete. 66 Nur in diesem Sinne kann von<br />

erulischen gentes gesprochen werden, die ephemere ethnogenetische Prozesse erfahren<br />

haben, die jedoch zu keinen Abschluss kamen, wie die sofortige Desintegration <strong>der</strong><br />

Eruler nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage gegen die Langobarden gezeigt hat.<br />

65 Pohl, Introduction, 8.<br />

66 Ebda.


3 Ethnogenesen<br />

3.1 Allgemeines zu frühmittelalterlichen Ethnogenesen<br />

19 19<br />

Statt Stammesbildung und Volkwerdung wird seit geraumer Zeit von Ethnogenese<br />

gesprochen. Was bereits zu den Begriffen Volk und Stamm gesagt wurde, gilt nahe<br />

liegen<strong>der</strong> Weise auch für die Beschreibung <strong>des</strong> Entstehens <strong>der</strong> entsprechenden<br />

politischen Strukturen. Der Begriff Ethnogenese signalisiert größere Offenheit als<br />

Stammesbildung und Volkwerdung und betont zugleich die Dynamik <strong>des</strong> damit<br />

beschriebenen Prozesses. Vergleichbare Phänomene gibt es weltweit in einer großen<br />

Vielfalt, was hier nicht weiter verfolgt werden kann. 67 Aber auch die<br />

frühmittelalterlichen Ethnogenesen lassen sich nicht in ein einheitliches Schema<br />

pressen, wenn sich auch einige charakteristische Phänomene herausarbeiten lassen.<br />

Von allem Anfang an war <strong>der</strong> Begriff Ethnogenese mit <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong><br />

traditionell als Völkerwan<strong>der</strong>ung bezeichneten gentilen Dynamik verbunden. Als<br />

Prototypen von Ethnogenesen gelten dementsprechend die organisatorischen<br />

Leistungen gentiler Verbände <strong>zur</strong> Bewältigung <strong>der</strong> politischen und sozialen<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen, die in Europa am Übergang von <strong>der</strong> Antike zum Frühmittelalter<br />

<strong>zur</strong> Ausbildung komplexer gesellschaftlicher Strukturen geführt haben. Seit dem<br />

bahnbrechenden Werk von Reinhard Wenskus gehört es zum wissenschaftlichen<br />

Allgemeingut, dass Ethnogenesen keine biologischen, son<strong>der</strong>n politischverfassungsgeschichtliche<br />

Ereignisse darstellen. Ihr Baumaterial entnahmen sie<br />

allerdings zunächst gentilen Vorstellungswelten, in denen einerseits in<br />

verwandtschaftlichen Konzepten gedacht wurde, die Integration von peregrini und<br />

advenae in unterschiedlicher Offenheit jedoch möglich war. 68<br />

Es ist dabei allerdings von unterschiedlicher Integrationsbereitschaft auszugehen.<br />

Ostgermanische gentes dürften eine vergleichsweise hohe Integrationsbereitschaft<br />

67 Dass europäische Ethnogenesen nicht nur ein vor einigen Jahrhun<strong>der</strong>ten abgeschlossener Vorgang sind,<br />

son<strong>der</strong>n dass ganz unterschiedliche äußere Umstände bis in die jüngste Zeit zu ethnogenetischen Prozessen<br />

mitten in Europa führen können, zeigt die jüngste Geschichte <strong>der</strong> Lemkos (http://lemko.org [4. 12. 2005]) und<br />

<strong>der</strong> Tschangos (http://www.csango.hu/en/index2.html [4. 12. 2005]) aus dem ostmitteleuropäischen Raum.<br />

68 Postel, Ursprünge, 60.


20 20<br />

besessen haben, 69 während etwa „<strong>der</strong> Erfolg slawischer Lebensformen … anfangs<br />

offenbar gerade an ihrer mangelnden Integrationsbereitschaft (lag).“ 70<br />

Für Wenskus war <strong>der</strong> entscheidende Faktor für die verfassungsgeschichtlich bedingten<br />

ethnogenetischen Prozesse das Vorhandensein eines Traditionskernes, eine These, die<br />

sich als Modell für frühmittelalterliche Ethnogenesen im Großen und Ganzen<br />

durchgesetzt hat. 71 Sie hat allerdings insofern eine Weiterentwicklung erfahren, als in<br />

<strong>der</strong> Forschung die durch die tradierten Herkunftsüberlieferungen <strong>der</strong> erfolgreichen<br />

Ethnien suggerierte Kontinuität <strong>der</strong> Traditionskerne über Jahrhun<strong>der</strong>te immer häufiger<br />

„als mehr o<strong>der</strong> weniger zeitgenössische Konstruktionen“ gewertet wird. 72 Diese<br />

Konstruktionen von <strong>der</strong> Kontinuität von Traditionskernen werden vor allem <strong>zur</strong><br />

historiographischen Legitimation von Landnahmen eingesetzt, bei denen man sich<br />

einer Mischung aus biblischen, antiken und eigenen gentilen Traditionen bedient. 73<br />

Nicht nur die Identität ganzer Völker, selbst die Identität <strong>der</strong> Traditionskerne wird<br />

angesichts <strong>der</strong> im Zuge ethnogenetischer Prozesse immer wie<strong>der</strong> zu Tage tretenden<br />

Unterbrechungen und Neuanfänge zunehmend als Konstrukt angesehen, das<br />

aufeinan<strong>der</strong>folgende Ethnogenesen zusammen halten soll.<br />

Grundsätzlich ist dabei zu bedenken, dass es bei Ethnogenesen keine creatio ex nihilo<br />

gibt, son<strong>der</strong>n es bestehen immer schon Zugehörigkeiten gentil verfasster Gruppen zu<br />

größeren – kulturell, sprachlich etc. bestimmten – Einheiten, die im Zuge<br />

ethnogenetischer Prozesse Verdichtungen und Neukombinationen unterliegen.<br />

Ethnogenetische Prozesse stellen sich daher häufig als im Fluss befindliche<br />

Neukombinationen von gentilen Verbänden dar, ein Phänomen, das gerade für die<br />

gentile Dynamik <strong>des</strong> Frühmittelalters charakteristisch war. 74<br />

Ethnogenesen sind im Regelfall durch äußere Herausfor<strong>der</strong>ungen bestimmt. Zu diesen<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen gehören klimatische Verän<strong>der</strong>ungen ebenso wie Gefährdungen<br />

durch an<strong>der</strong>e Gruppen, die damit eventuell verbundene Notwendigkeit, sich auf<br />

Wan<strong>der</strong>ung zu begeben. In vielen Fällen waren die Ethnogenesen mitbestimmenden<br />

äußeren Herausfor<strong>der</strong>ungen durch die Konfrontation mit komplexeren Gesellschaften<br />

69 Zur Frage <strong>der</strong> Beson<strong>der</strong>heit „ostgermanischer Ethnogenesen“ siehe unten Kap. 3. 4.<br />

70<br />

Pohl, Awaren, 17.<br />

71<br />

Pohl, Gentilismus, 92.<br />

72<br />

Steuer, Kontinuitätsprobleme, 225.<br />

73 Corradini, Landnahme, 604.<br />

74 Pohl, Gentilismus, 96.


21 21<br />

bedingt. Diese Konfrontation hat beson<strong>der</strong>e Rückwirkungen auf das „Wir-Gefühl“,<br />

denn „das Bedürfnis nach ethnischer Zuordnung entsteht meist erst unter beson<strong>der</strong>en<br />

Bedingungen, etwa in Grenzzonen mit starker Fluktuation“ 75 .<br />

Im Falle <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit war das komplexere Gebilde das Römische Reich,<br />

das seit <strong>der</strong> Konfrontation von Caesar und Ariovist für sozialen Wandel auch jenseits<br />

seiner Grenzen gesorgt hatte. Die Römer hatten nicht nur auf die im Grenzbereich,<br />

son<strong>der</strong>n auch auf die weit außerhalb <strong>des</strong> römischen Territoriums lebenden Barbaren<br />

Einfluss.<br />

Die Herausfor<strong>der</strong>ung durch das römische Reich ließ die barbarischen Ethnien <strong>des</strong><br />

Frühmittelalters als konstitutionelle(n) Verbände entstehen, die unter Führung<br />

aristokratischer Kriegerfamilien Gruppen unterschiedlicher kultureller, sprachlicher<br />

und geographischer Abkunft in sich vereinten 76 . Diese Bindung an zunächst<br />

erfolgreiche Militärführer bedeutete in vielen Fällen aber auch das<br />

Auseinan<strong>der</strong>brechen eines Volkes schon durch eine einzige Nie<strong>der</strong>lage und erklärt das<br />

häufige Entstehen gentiler Neukombinationen und das Phänomen <strong>der</strong> „disappearing<br />

and reappearing tribes“ 77 .<br />

Für solche „kriegerisch verfassten Gruppen“ war es vor allem <strong>der</strong> Dienst im römischen<br />

Heer, <strong>der</strong> für die Ethnogenese von entscheiden<strong>der</strong> Bedeutung sein konnte. 78<br />

Militärische Gefolgschaften in römischem Dienst trugen <strong>zur</strong> Integration von Gruppen<br />

verschiedener ethnischer Herkunft und damit <strong>zur</strong> Herausbildung neuer Völker bei. 79<br />

Dass sich die römische Armee dabei bestehen<strong>der</strong> gefolgschaftlicher Elemente <strong>der</strong><br />

germanischen Sozialordnung bediente, ist ebenso wenig auszuschließen, wie dass die<br />

römische Armee dieser Struktur zum Durchbruch verholfen hat. Dabei wurde die alte<br />

Sippenordnung durch die einer bewaffneten Gefolgschaft verdrängt o<strong>der</strong> zumin<strong>des</strong>t<br />

überlagert. 80<br />

Geary spricht in diesem Zusammenhang von <strong>der</strong> „großartigsten und dauerhaftesten<br />

Schöpfung <strong>des</strong> politischen und militärischen Genies <strong>der</strong> Römer“, nämlich „<strong>der</strong><br />

75<br />

Pohl, Völkerwan<strong>der</strong>ung, 19.<br />

76<br />

Geary, Europäische Völker, 71.<br />

77<br />

Siehe oben 7.<br />

78<br />

Vgl. Corradini, Landnahme, 607.<br />

79<br />

Vgl. Pohl, Die Germanen, 71.<br />

80 Wolfram, Goten, 109ff.


22 22<br />

Schaffung <strong>der</strong> germanischen Welt.“ 81 Damit hat die Armee <strong>des</strong> Römischen Reiches<br />

auch germanische Ethnien <strong>des</strong> Frühmittelalters geschaffen und wesentlich <strong>zur</strong><br />

Nationenbildung Europas beigetragen. Als Durchbruch wird das 382 von Theodosius<br />

I. mit den Westgoten geschlossene foedus angesehen, das diese zum Kriegsdienst in<br />

eigenen Formationen und unter eigener Führung verpflichtete, dafür jedoch<br />

wirtschaftliche Grundlagen durch die Ansiedlung auf Reichsboden bereitstellte.<br />

Dadurch wurde für die barbarischen gentes ein starkes gemeinsames Interesse<br />

begründet und <strong>der</strong> Zusammenhalt und eine entsprechende Ethnogenese geför<strong>der</strong>t. 82<br />

Interessanter Weise werden in <strong>der</strong> Literatur als Beispiele für durch die römische<br />

Armee geschaffene Stämme zwei Gruppen genannt, die im 3. Jahrhun<strong>der</strong>t sowohl im<br />

Westen als auch im Osten auftauchen, nämlich Burgunden und Eruler. 83 Aber auch für<br />

die Ethnogenese <strong>der</strong> Bajuwaren seit dem 5. Jahrhun<strong>der</strong>t ist <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> im<br />

römischen Dienst stehenden Armeeangehörigen zu beachten. 84<br />

Im Vorfeld <strong>des</strong> Untergangs <strong>des</strong> Römischen Reichs waren die einströmenden<br />

Barbarengruppen einerseits Bedrohung, an<strong>der</strong>erseits dringend notwendig um die<br />

menschlichen Ressourcen <strong>des</strong> schrumpfenden römischen Heeres aufzubessern.<br />

An<strong>der</strong>erseits schufen die Römer mit den barbarischen Söldnerheeren Geister, die sie<br />

nun nicht mehr loswurden. Es wurde damit auch die Grundlage für ein Phänomen<br />

geschaffen, das immer dann auftritt, wenn die Zentralgewalt eines militarisierten<br />

Staates ihr Gewaltmonopol nicht mehr durchsetzen kann und ihre Macht an relativ<br />

unabhängige militärische Anführer abtreten muss, die selbständige Gefolgschaften<br />

aufbauen. 85<br />

Es konnten also ganz unterschiedliche organisatorische Rahmenbedingungen zu<br />

Ethnogenesen führen. Es bedarf jedoch immer eines Gemeinschaftsbewusstseins,<br />

welches allerdings durch die vielfältigsten Konstruktionen ermöglicht werden kann.<br />

Am Anfang einer Ethnogenese steht regelmäßig eine Interessengemeinschaft, die eine<br />

81<br />

Geary, Merowinger, 7.<br />

82<br />

Wolfram, Goten, 138ff.<br />

83<br />

Siehe unten 63.<br />

84<br />

Vgl. Böhme, Bedeutung, 23ff.<br />

85 Diese Kriegsherren werden heute mit dem Begriff „warlords“ bezeichnet. „Warlords“ kontrollieren in<br />

„schwachen Staaten“ (Afghanistan, Somalia und Westafrika, aber auch in einigen Gebieten am Balkan) als<br />

militärisch-politische Anführer begrenzte Gebiete unter Aufrechterhaltung <strong>der</strong> theoretischen Anerkennung <strong>der</strong><br />

Zentralgewalt. Sie üben die Herrschaft über ein Territorium lediglich <strong>zur</strong> Sicherung regionaler ökonomischer<br />

Interessen aus und nicht unbedingt mit dem Ziel <strong>der</strong> Errichtung eines Staates o<strong>der</strong> einer Regierung.


23 23<br />

Verstärkung <strong>der</strong> Interaktion zwischen den sie bildenden Gruppen bzw. ihren<br />

Mitglie<strong>der</strong>n verlangt. Je nach Anfor<strong>der</strong>ung kann sich daraus eine dauerhafte Gruppe<br />

bilden und im Laufe <strong>der</strong> Zeit eine gemeinsame Identität und eine gemeinsame<br />

Geschichte entwickelt werden. Wichtig ist dabei verständlicherweise, dass<br />

gemeinsame Interessen bestehen bzw. plausibel bleiben. Es entstand daher ein<br />

Ideengeflecht, im dem antike Vorstellungen von <strong>der</strong> Geschichte eines Volkes mit <strong>der</strong><br />

gentilen memoria verknüpft wurden.<br />

3.2 Die Fremdwahrnehmung durch die antike Hochkultur<br />

Geistesgeschichtlich bedeutsam ist, dass bis ins 6. Jahrhun<strong>der</strong>t die Quellen<br />

ausschließlich vom Standpunkt von Zivilisierten geschrieben wurden, die davon<br />

ausgingen, dass den Barbaren die zweite, kulturelle „Natur“ <strong>des</strong> Menschen fehle und<br />

alle zivilisatorischen Anstrengungen daher vergeblich seien. Diese Autoren schrieben<br />

<strong>der</strong> Kuriosität halber, aus kulturellem Sendungsbewusstsein o<strong>der</strong> Angst und Sorge. 86<br />

Die barbarische Welt blieb für sie im unverän<strong>der</strong>lichen, geschichtslosen Chaos<br />

gefangen. 87 Die Barbaren stünden den Römern „wie das Irrationale und die<br />

Hemmungslosigkeit <strong>der</strong> Vernunft“ 88 gegenüber.<br />

Von dieser Überlegung war es ein weiter Weg bis <strong>zur</strong> <strong>der</strong> Verherrlichung <strong>der</strong><br />

italienischen Goten durch einen römischen Staatsmann und Schriftsteller. Mitte <strong>des</strong> 6.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts schrieb <strong>der</strong> Senator Cassiodor 89 , Beamter und Berater <strong>der</strong><br />

Ostgotenkönige, eine Gotengeschichte, in <strong>der</strong> er die gotische origo zum Teil <strong>der</strong><br />

römischen Geschichte machte, wie es <strong>der</strong> Verfasser dem jungen König Athalarich in<br />

den Mund legte. 90 Er vereinigte beide Überlieferungen, die antike literarische<br />

Tradition mit Elementen <strong>der</strong> gentilen memoria <strong>der</strong> Goten. Aus <strong>der</strong> antiken<br />

Historiographie übernahm er dabei die seit dem 5. Jahrhun<strong>der</strong>t immer wie<strong>der</strong> zu<br />

findende Gleichsetzung <strong>der</strong> Goten mit Skythen, Geten und Dakern. 91<br />

86 Wolfram, Einführung, 21.<br />

87 Ebda.<br />

88 Themistios, Lehrer <strong>der</strong> Philosophie, praefectus urbi in Konstantinopel (383/84), <strong>der</strong> in einer seiner<br />

überlieferten Kaiserreden über das Bündnis mit den Westgoten berichtet (Oratio 10, 131 b-c; hg. von G. Downey<br />

und A. F. Norman, 3 Bde., Leipzig 1965–1974).<br />

89 Zu Cassiodor(us) siehe unten 38.<br />

90 Wolfram, Goten, 26.<br />

91 Vgl. SHA, Claudius, VI, 2 und Prokop, Vandalenkrieg I, 2, 3. Siehe dazu unten Anm. 355.


24 24<br />

Neben Cassiodor/Jordanes knüpften auch Isidor von Sevilla für die Westgoten, Gregor<br />

von Tours und Fredegar für die Franken „dort, wo sie im Prinzip neuartige Origines<br />

gentium und (germ.) Volksgesch. verfassten, durchweg an röm. Traditionen an.“ 92<br />

Wie kam es zu dieser Richtungsän<strong>der</strong>ung in <strong>der</strong> Denkweise zivilisierter Römer? „Seit<br />

Herodot hatte man fremde Völker vor allem durch das typisiert, was für einen<br />

Griechen ungewöhnlich war ...“ 93 . Insoweit hatten sich die Rahmenbedingungen in <strong>der</strong><br />

Spätantike einigermaßen geän<strong>der</strong>t. Eine barbarische Dynastie – die gotischen Amaler<br />

– herrschten nicht nur über römische Provinzen, son<strong>der</strong>n auch über das alte<br />

Reichszentrum selbst. 94 Damit war <strong>der</strong> Anspruch da, die Goten nicht mehr als<br />

unzivilisierte Fremdherrschaft aufzunehmen, son<strong>der</strong>n als Volk mit einer<br />

nachvollziehbaren, teilweise gleich ehrwürdigen Geschichte zu verstehen und seine<br />

Herrschaft zu legitimieren.<br />

Innere Fö<strong>der</strong>aten wie die Führer <strong>der</strong> Goten seit dem 4. Jahrhun<strong>der</strong>t hatten im Auftrag<br />

<strong>des</strong> Kaisers nicht nur über Volk und Heer <strong>der</strong> Goten, son<strong>der</strong>n auch über römische<br />

Untertanen Staatsgewalt ausgeübt. Da nach <strong>der</strong> hippokratischen Schule alleine Könige<br />

die ursprüngliche Wildheit <strong>der</strong> Barbaren etwas mil<strong>der</strong>n und einen höheren<br />

Kulturzustand für die barbarischen Völker erreichen konnten, 95 ist es nicht weiter<br />

verwun<strong>der</strong>lich, wenn dabei die gotischen Amaler als Königsdynastie in den<br />

Mittelpunkt <strong>der</strong> römisch-gotischen Geschichte traten. Es waren die amalischen<br />

Könige, die ihrem Volk Zusammenhalt und Tradition verliehen 96 und die menschliche<br />

Zeit <strong>zur</strong> römischen und gotischen Geschichte werden ließen. 97 Mit an<strong>der</strong>en Worten:<br />

Frühmittelalterliche Ethnogenesen waren immer „Produkte <strong>des</strong> antiken Diskurses.“ 98<br />

3.3 Die Eigenwahrnehmung in den Origines gentium<br />

Man wird aber auch davon ausgehen müssen, dass in allen frühmittelalterlichen<br />

Ethnien eine gentile memoria bestand, welche die Selbstwahrnehmung wi<strong>der</strong>spiegelte<br />

92<br />

Steuer, Kontinuitätsprobleme, 217.<br />

93<br />

Pohl, Germanen, 63.<br />

94<br />

Pohl, Völkerwan<strong>der</strong>ung, 41.<br />

95<br />

Dieser Sicht von <strong>der</strong> Bedeutung <strong>des</strong> Königtums galt allerdings nur für Barbaren. Ihr steht die<br />

königsfeindliche Tradition sowohl bei Griechen als auch bei Römern gegenüber, vgl. dazu Wolfram,<br />

Grundlagen, passim.<br />

96 Jarnut, Langobarden, 16.<br />

97 Wolfram, Origo gentis, 175.<br />

98 Postel, Ursprünge, 63.


25 25<br />

und Identität schuf. Diese gentile memoria wurde nun in den genannten Fällen von<br />

spätantiken Autoren in antike und alttestamentliche Kontexte gestellt. Die durch diese<br />

Verbindung entstandenen origines gentium 99 stellen keine einheitliche literarische<br />

Gattung dar, son<strong>der</strong>n sind in den unterschiedlichsten Werken enthalten. 100<br />

Wie ausgeführt ist es die Intention <strong>der</strong> origenes gentium, die Herrschaft barbarischer<br />

Völker zu legitimieren, sie sind also für die jeweilige politische Gegenwart konzipiert.<br />

In diesem Sinne machte Cassiodor in seiner origo Gothica „die gotische Herkunft <strong>zur</strong><br />

römischen Geschichte“ 101 . Er ging dabei von <strong>der</strong> antiken Überzeugung aus, dass<br />

Ursprung und Dauer eines Volkes das Werk von Göttern und Königen sei, „je länger<br />

ihre Reihe, <strong>des</strong>to länger das Leben <strong>des</strong> Volkes “102 , und schuf so aus <strong>der</strong> gentilen<br />

memoria eine Köngsliste. Dass <strong>der</strong> Ursprung eines Volkes göttlich bzw. ein Gott selbst<br />

war, entsprach offenbar auch gentilen Traditionen. 103<br />

Origines Gentium setzen im Regelfall militärischen Erfolg voraus, <strong>der</strong><br />

Selbstbewusstsein und Attraktivität <strong>der</strong> Gemeinschaft bedingt. Dabei treten einige<br />

immer wie<strong>der</strong>kehrende Motive auf, die auch aus antiken bzw. biblischen Kontexten<br />

bekannt waren und die frühmitterlalterlichen gentes auf die gleiche Stufe mit<br />

Griechen, Römern und dem Volk Israel stellten. Zu diesen Motiven gehörte <strong>der</strong><br />

Auszug eines meist kleinen Volkes unter <strong>der</strong> Führung eines Traditionskernes. Es folgte<br />

eine primordiale Tat, die in einem überraschenden Schlachtgewinn, <strong>der</strong> Überfuhr über<br />

ein Meer o<strong>der</strong> einen großen Fluss bestehen konnte und in einer Landnahme endete.<br />

Ursprung und Verlauf waren vielfach religiös bestimmt, dabei konnte auch ein<br />

Religionswechsel (ZB zum Wodans/Odinskult o<strong>der</strong> zum Christentum) eine Rolle<br />

spielen. 104<br />

Wolfram geht daher davon aus, dass origines gentium das Produkt ganz bestimmter<br />

Ethnogenesen waren:<br />

„… dass frühmittelalterliche Herkunftsgeschichten bloß jene germanischen Völker<br />

besitzen, die sich (1.) aus Skandinavien herleiten, die (2.) alte Namen, vera et antiqua<br />

99<br />

Als Begriff findet sich origo gentis in <strong>der</strong> mit den langobardischen leges überlieferten Origo gentis<br />

Langobardorum. Eine christlich überformte Fassung stellt die Historia Langobardorum Codicis Gothani vom<br />

Anfang <strong>des</strong> 9. Jahrhun<strong>der</strong>ts dar.<br />

100<br />

Wolfram, Origo gentis, 174.<br />

101 Cassiodor, Variae IX, 25, 5.<br />

102 Strabon, Geographika VII 292f.<br />

103 Wolfram zitiert Tacitus in: Reich, 52.<br />

104 Vgl. Wolfram, Origo gentis, 176f; Postel, Ursprünge, 61f.


26 26<br />

nomina, waren, das heißt, von Göttern abstammten und (3.) bereits in <strong>der</strong><br />

kaiserzeitlichen Überlieferung bis etwa 150 n. Chr. vorkommen, die (4.) aber<br />

ursprüngllich durchwegs als „kleine Völker“ bezeichnet werden und (5.) Namen<br />

führen, die mit dem Grundwort *theudo (Volk) verbunden werden können. Alle diese<br />

Völker besaßen (6.) Könige, <strong>der</strong>en Familientraditionen mit tragischem Inhalt in die<br />

germanische Heldensage aufgenommen wurden.“ 105<br />

Aus all dem lässt sich erklären, warum es origines gentium <strong>der</strong> Goten 106 und <strong>der</strong><br />

Langobarden gibt, 107 dass aber keine entsprechenden literarischen Produkte von<br />

an<strong>der</strong>en Wan<strong>der</strong>völkern wie Gepiden und Erulern bzw. von Völkern überliefert sind,<br />

<strong>der</strong>en Ethnogenese nach einem an<strong>der</strong>en Muster verlief, wie den Sachsen, Bajuwaren<br />

und Alemannen. 108<br />

3.4 Die Genese ostgermanischer (gotischer) Ethnien im<br />

Beson<strong>der</strong>en<br />

Vor allem die Ethnogenesen ostgermanischer Ethnien stellten ein relativ komplexes<br />

Phänomen dar und unterscheiden sich durchaus von westgermanischen Ethnogenesen.<br />

Es werden in <strong>der</strong> Literatur immer wie<strong>der</strong> die Unterschiede zwischen den<br />

westgermanischen Ethnogenesen <strong>der</strong> Franken und Alemannen einerseits und <strong>der</strong><br />

gotischen ostgermanischer Völker an<strong>der</strong>erseits betont. 109 Grundsätzlich unterscheidet<br />

Wolfram einen „westgermanischen Typ“ von königlosen und durch neue Namen<br />

gekennzeichneten, an <strong>der</strong> Grenze <strong>des</strong> Imperiums sich konstituierenden gentes ohne<br />

alte Traditionskerne von einem „ostgermanischen Typ“, <strong>der</strong> multiethnische gentes<br />

unter monarchischer Führung umfasst und <strong>der</strong>en Traditionskerne alte Namen tragen.<br />

Pohl spricht von einem fränkischen Modell einer offenen Ethnogenese, 110 die durch<br />

Fö<strong>der</strong>atenverträge und eine Expansion bestimmt war, welche die Verbindung mit den<br />

Ursprungsgebieten <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> zu den Franken zusammenwachsenden<br />

ethnischen Gruppierungen nicht abreißen ließ bzw. lassen musste.<br />

105<br />

Wolfram, Origo et religio, 33f.<br />

106<br />

Im Auftrag von König Theo<strong>der</strong>ich schrieb Cassiodor die älteste Ursprungsgeschichte, eine origo<br />

gentis, die auch <strong>zur</strong> Verherrlichung eines germanischen Volkes diente – die origo Gothica. Cassiodor<br />

versuchte dabei seine Geschichte <strong>der</strong> Goten <strong>zur</strong> Römischen Geschichte zu machen, indem er die antike,<br />

literarische Tradition mit <strong>der</strong> mündlichen Überlieferung <strong>der</strong> Goten verband.<br />

107<br />

Diese ist im Werk <strong>des</strong> Paulus Diaconus, nie<strong>der</strong>geschrieben in <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>des</strong> 7. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

und in <strong>der</strong> mit den langobardischen leges überlieferten origo gentis Langobardorum enthalten. Eine christlich<br />

überformte Fassung stellt die Historia Langobardorum Codicis Gothani vom Anfang <strong>des</strong> 9. Jahrhun<strong>der</strong>ts dar.<br />

108<br />

Vgl. Corradini, Landnahme, 607.<br />

109 Wenskus, Stammesbildung, 462.<br />

110 Pohl, Germanen, 37.


27 27<br />

Klare Abgrenzungen sind nicht immer möglich. So gehören die „westgermanischen“<br />

Langobarden eher zum „ostgermanischen“ Typ, da sie als kleines Volk startend, in<br />

entscheidenden Schlachten überraschend siegreich, ihre Ethnogenesen mit einer<br />

erfolgreichen Landnahme im Zentrum <strong>des</strong> Imperiums abschließen konnten. Sie<br />

wurden damit geradezu zum Prototyp einer frühmittelalterlichen Ethnogenese.<br />

Grundsätzlich entspricht dem Schema Wolframs hinsichtlich <strong>der</strong> origines gentium also<br />

die Geschichte ostgermanischer Gruppen. Was die Eruler betrifft, muss vorweg darauf<br />

hingewiesen werden, dass sie zwar traditionell zu den Ostgermanen gerechnet werden,<br />

in <strong>der</strong> Antike aber nicht immer zu den gotischen Völkern gezählt wurden. So erwähnt<br />

Prokop als solche neben Ost- und Westgoten nur Vandalen und Gepiden. 111<br />

Die Prototypen ostgermanischer Ethnogenesen finden sich in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> eine<br />

Kette von Ethnogenesen ausweisenden Goten. Das gotische Heerkönigtum, beruhend<br />

auf einer pluriethnischen wan<strong>der</strong>nden gentilen Interessengemeinschaft, transformierte<br />

diese schließlich in ein auf reichsrechtlichen Grundlagen beruhen<strong>des</strong> lateinischbarbarisches<br />

regnum. Diese Phase war sichtbar erreicht, als sich das schwer<br />

geschlagene tolosanische Westgotenreich nicht in ein mobiles Gotenheer auflöste,<br />

son<strong>der</strong>n sich territorial nach Süden verlagerte und dort zu einem <strong>der</strong> „ersten rechtlich<br />

begründeten Staatsvölker Europas wurde.“ 112<br />

Allerdings gab es aber auch innerhalb <strong>der</strong> ostgermanischen Gruppen in <strong>der</strong><br />

Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit Unterschiede. So waren die Goten im Vergleich zu kleineren,<br />

schlechter strukturierten gentes wie etwa auch den Erulern sicherlich die komplexere<br />

Gruppe. Die in diesem Sinne bessere Struktur <strong>der</strong> Goten führte damit zu einer<br />

Sogwirkung für an<strong>der</strong>e Gruppen mit ostgermanischem Kern. Diesen Gruppen verblieb<br />

letztlich nur die Möglichkeit eines Sich-einglie<strong>der</strong>n-lassens in die erfolgreichere<br />

Ethnie. An <strong>der</strong> Ethnogenese <strong>der</strong> Goten waren dementsprechend viele Gruppen<br />

beteiligt.<br />

So bestand das Gotenreich Ermanarichs aus einer Vielfalt von ethnischen Elementen<br />

<strong>des</strong> osteuropäischen Raumes. 113 Damit konnte aber auch eine Ethnogenese an<strong>der</strong>er<br />

gentes abgebrochen und letztlich verhin<strong>der</strong>t werden, zu denen im 4. Jahrhun<strong>der</strong>t auch<br />

die Eruler gehört haben dürften. Sie erscheinen in diesem Kontext als ein Teil dieses<br />

111 Prokop, Vandalenkrieg I, 2.<br />

112 Wolfram, Goten, 21.<br />

113 Vgl. unten 70.


28 28<br />

multiethnischen Gotenreiches, <strong>der</strong> von Ermanarich besiegt wurde und offenbar<br />

versuchte seine Selbständigkeit wie<strong>der</strong> zu erringen. Nach <strong>der</strong> hunnischen Katastrophe<br />

und <strong>der</strong> teilweise gentilen Auflösung <strong>des</strong> osteuropäischen Gotenreiches war ein<br />

erulischer – möglicherweise teilweise bereits gotisierter – Traditionskern<br />

gewissermaßen wie<strong>der</strong> frei und auf eine erulische Identität <strong>zur</strong>ück verwiesen.<br />

Auch das 418 in Gallien angesiedelte Gotenheer bestand aus „terwingisch-vesischen,<br />

greutungisch-ostrogothischen und unterschiedlich stark gotisierten, nicht-gotischen<br />

Elementen, darunter Alanen, thrakischen Bessi, baltischen Galinden, Warnen und<br />

wohl auch Erulern, ja vielleicht sogar Sachsen <strong>der</strong> Loire- und Garonnegruppen, die<br />

König Eurich vertraglich an sich zu binden wußte.“ 114 Die Goten setzten sich<br />

schlussendlich in diesem gentil-ethnischen Gemisch durch und schluckten die an<strong>der</strong>en<br />

gentilen Verbände. Damit wurde aber auch eine erfolgreiche Ethnogenese dieser<br />

an<strong>der</strong>en Gruppen verhin<strong>der</strong>t.<br />

Schließlich ist für Ethnogenese bzw. origines gentium auch <strong>der</strong> Glaube von<br />

Bedeutung. Dabei spielen vor allem Konversionen eine Rolle, welche mit primordialen<br />

Taten verbunden zu geschichtsträchtigen Ereignissen werden. Für germanische gentes<br />

kommen ganz allgemein zwei <strong>der</strong>artige Konversionen in Betracht, zunächst zum Kult<br />

<strong>des</strong> „männerrechtlich orientierten Gefolgschaftsgottes Odin-Wodan“ 115 und dann zum<br />

Christentum, das alle gentes im Verlauf ihrer Bewegungen und Reichsgründungen<br />

angenommen haben. 116 Allen voran die Goten, von denen bereits in den 40-er Jahren<br />

<strong>des</strong> 4. Jahrhun<strong>der</strong>ts eine Gruppe zum arianischen Glauben übertrat. Ihr Bischof<br />

Wulfila schuf mit <strong>der</strong> von ihm gebildeten gotischen Schriftsprache eine<br />

nationalsprachliche Liturgie.<br />

Wenn man nun die genannten Kriterien für frühmittelalterliche Ethnogenesen im<br />

Allgemeinen und ostgermanische Ethnogenesen im Beson<strong>der</strong>en auf die Eruler<br />

überträgt, so ist das Ergebnis enttäuschend. Es findet sich kein Hinweis auf einen<br />

beson<strong>der</strong>en Ursprung bzw. auf die Dauer <strong>des</strong> Volkes, das ein Werk von Göttern und<br />

Königen war. Es ist nicht die Rede von einer langen Reihe von Königen, die das<br />

Weiterbestehen <strong>des</strong> Volkes gesichert hätte. Nach dem Untergang <strong>des</strong> donau-erulischen<br />

114<br />

Wolfram, Goten, 20.<br />

115<br />

Wolfram, Origo et religio, 28.<br />

116<br />

Allgemein <strong>zur</strong> Christianiserung <strong>der</strong> Germanen siehe Angenendt, Frühmittelalter, bes. 159–203.


29 29<br />

Reiches ist in den Quellen zwar von einer stirps regia die Rede, 117 die Umstände sind<br />

aber wohl nicht dazu angetan, von <strong>der</strong>en göttlichem Ursprung zu berichten.<br />

Die in <strong>der</strong> eigenen Tradition bestehenden Ansätze, die im Falle <strong>der</strong> Eruler<br />

möglicherweise von Prokop für seine Darstellung herangezogen wurden, reichten für<br />

eine <strong>der</strong>artige literarische Verarbeitung offenbar nicht aus. Es brauchte anscheinend<br />

nicht nur die entsprechende Überlieferung, son<strong>der</strong>n auch die Herausfor<strong>der</strong>ung durch<br />

eine dauerhafte Ansiedlung auf Reichsboden.<br />

Es ist keine erulische Herkunftssage auf uns gekommen, die Eruler haben keine wie<br />

immer geartete origo gentis hinterlassen. Wenn man die von Wolfram angeführten<br />

Voraussetzungen für das Entstehen einer frühmittelalterlichen origo gentis 118 auf die<br />

Eruler überträgt, so wäre eine solche auch nicht zu erwarten. Die Herleitung aus<br />

Skandinavien ist indirekt erschließbar, und es gibt mit Rodulf einen König, <strong>des</strong>sen<br />

tragische Geschichte in die germanische Heldsage aufgenommen wurde. Alle an<strong>der</strong>en<br />

Voraussetzungen sind grundsätzlich nicht gegeben. Inwieweit Ansätze dazu vorhanden<br />

waren, die Prokop für seine Schil<strong>der</strong>ungen vorgelegen haben könnten, muss<br />

Spekulation bleiben.<br />

Es ist von den Erulern auch kein dramatischer Konversionsbericht bekannt. Dass sie in<br />

beson<strong>der</strong>er Weise mit dem Odins -Kult verbunden waren, dürfte feststehen, 119 ebenso,<br />

dass sie diesem länger als an<strong>der</strong>e Gruppen angehangen sind. Wenn im Bericht über<br />

den donau-erulischen Überfall auf Joviacum in <strong>der</strong> Vita Severini davon die Rede ist,<br />

dass sie die Bewohner <strong>des</strong> Ortes gefangen fortgeführt und den Presbyter erhängt<br />

hätten, 120 dürfte letzteres als Hinweis auf ein Opfer im Sinne dieses Glauben zu werten<br />

sein.<br />

Über den Beginn <strong>der</strong> christlichen Missionierung bei Erulern ist so gut wie nichts<br />

bekannt, in späterer Zeit finden sich sowohl arianische als auch orthodoxe Gruppen,<br />

wobei unklar ist, ob diese Trennung, wie Schmidt vermeint 121 , eine letzte<br />

entscheidende Spaltung zwischen den gepidischen und den Reichs-Erulern<br />

herbeigeführt hat. 122<br />

117<br />

Siehe unten 131.<br />

118<br />

Siehe oben 25.<br />

119<br />

Siehe unten Kap.13.7.<br />

120<br />

Eugippius, Vita Severini 24.<br />

121<br />

Schmidt, Ostgermanen, 554.<br />

122<br />

Zur Religion <strong>der</strong> Eruler siehe unten Kap. 13.7.


30 30<br />

Ungeachtet dieses Verschwindens <strong>der</strong> Eruler im 6. Jahrhun<strong>der</strong>t wird man jedoch davon<br />

ausgehen können, dass erulische Gruppen an <strong>der</strong> Ethnogenese praktisch aller sich<br />

herausbildenden multiethnischen gotischen Wan<strong>der</strong>völkern beteiligt waren. 123<br />

123 Wolfram, Goten, 19f.


4 Übersicht über die Quellen<br />

31 31<br />

Im Folgenden soll – grundsätzlich zeitlich geordnet – ein Überblick über die Autoren<br />

bzw. Quellen gegeben werden, in denen über Eruler berichtet wird.<br />

• P. Herennius Dexippos 124 wurde um 210 in Athen geboren. Als Angehöriger <strong>des</strong><br />

vornehmen Athener Geschlechtes <strong>der</strong> Kerykes bekleidete er eine Reihe von<br />

öffentlichen Ämtern. Er war Agonothet bei den Panathenäen und wurde zum archon<br />

basileus und archon eponymos gewählt. Vom Werk <strong>des</strong> Dexippos (vor allem eine<br />

Chronike Historia für die Zeit bis ca 271 und Skythika, ein Werk über die<br />

Germanen 125 ) sind nur 40 Fragmente erhalten. Informationen über die Eruler sind in<br />

Fragment 8 (aus <strong>der</strong> Chronike) und 24 (aus Skythika) enthalten. Dexippos hatte 267 die<br />

attische Abwehr gegen die Eruler organisiert und insoweit unmittelbaren Kontakt mit<br />

ihnen; er stellt damit eine wichtige authentische Quelle dar.<br />

Dexippos steht am Beginn einer Reihe von römischen bzw byzantinischen Autoren,<br />

welche in ihren Geschichtswerken kurz die Berichte über die erulischen Piratenzüge<br />

übernehmen:<br />

• Scriptores Historiae Augustae 126 , um 400 verfasst, stellen die Hauptquelle<br />

für das 3. Jahrhun<strong>der</strong>t dar. Sie sind eine Biographien-Reihe römischer Kaiser, die<br />

an Suetons Leben <strong>der</strong> Caesaren anknüpft und <strong>der</strong>en Zuverlässigkeit als recht<br />

umstritten gilt. 127 Über die Germanen wird meist nur am Rande berichtet.<br />

Erwähnt werden die Eruler ausdrücklich in <strong>der</strong> Vita <strong>des</strong> Claudius II. (268 – 270)<br />

unter den skythischen Völkern, die von diesem Kaiser bekämpft und besiegt<br />

wurden. 128<br />

• Zosimus 129 (425 – 518), ein juristisch gebildeter Heide, übernimmt in seiner<br />

Historia nea, 130 die in sechs Büchern die römische Geschichte von Augustus bis<br />

124<br />

Zu Dexippos siehe Petrikovits, Dexippos, 349ff.<br />

125<br />

Zur Gleichsetzung von Skythen mit östlichen „Reitervölkern“ an<strong>der</strong>er Herkunft siehe 64.<br />

126<br />

Scriptores Historiae Augustae (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana – BT),<br />

hg. von Ernst Hohl, ergänzt von Christa Samberger und Wolfgang Seyfarth), Leipzig 1971 3 . Die Texte sind unter<br />

http://www.thelatinlibrary.com/sha.html/ zu finden.<br />

127<br />

Vgl. Kettenhofen, Einfälle, 291; Karayannopulos-Weiss, Quellenkunde I, 187f.<br />

128<br />

SHA (Claudius), VI. 1-2.<br />

129<br />

Zu Zosimos siehe Alonso-Núñez, Zosimus, 677; Karayannopulos-Weiss, Quellenkunde II, 260f;<br />

jeweils mit ausführlicher Bibliographie.


32 32<br />

410 behandelt, ausführliche Informationen <strong>des</strong> Dexippos über die Piratenzüge<br />

<strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts (I, 39-46), ohne dabei die Eruler ausdrücklich zu erwähnen.<br />

• Stephanos von Byzanz, geb. zwischen 520 und 530, war ein in Konstantinopel<br />

tätiger Grammatiker. Seine nur in Auszügen erhaltenen 50 Bücher umfassenden<br />

ethnika enthalten Ortsnamen und ihre Herkunft. Darunter findet sich auch das<br />

Stichwort Helouroi, die als skythisches Volk bezeichnet werden, über das<br />

Dexippos berichtet habe. 131<br />

• Georgios Synkellos 132 , gest. nach 810, ein byzantinischer Mönch und<br />

Geschichtsschreiber, verfasste eine Ekloge chronographias, 133 die sich auf<br />

teilweise verlorene ältere Quellen stützte und von Adam bis Diokletian (284)<br />

reicht. Er erwähnt im Beson<strong>der</strong>en die erulischen Piratenzüge am Schwarzen Meer<br />

(717, 15-28) und ist damit die wichtigste Quelle für diese. 134<br />

• Joannes Zonaras 135 , ein byzantinischer Historiker und Jurist <strong>des</strong> 12.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts, verfasste eine Weltgeschichte (Chronicon) von <strong>der</strong> Schöpfung bis<br />

zum Jahre 1118 in 18 Büchern. 136 In 12, 24 erwähnt er, dass Galienus u.a. die<br />

scythischer und gotischer Herkunft seienden Airouloi in Thrakien geschlagen hat.<br />

• Claudius Mamertinus wird in einigen Handschriften als <strong>der</strong> Verfasser von zwei<br />

Festreden für den in Trier residierenden Kaiser Maximianus (284 – 305) gehalten 137 , in<br />

denen die Abwehr <strong>der</strong> Eruler durch den Kaiser beschrieben wird. 138 Die Reden finden<br />

sich in einer zum Ende <strong>des</strong> 4. Jahrhun<strong>der</strong>ts entstandenen Sammlung von<br />

130 Zosimos, Historia Nova (hg. von Ludwig Mendelssohn), Leipzig 1887. Dt.: Neue Geschichte,<br />

übersetzt von Otto Veh, durchgesehen und erläutert von Stefan Rebenich, Bibliothek <strong>der</strong> griechischen Literatur<br />

Bd. 31, Stuttgart 1990.<br />

131<br />

Stephani Byzantii Ethnicorum quae supersunt ex recensione Augusti Meinekii. Tomus Prior (Berlin<br />

1849) 269, 11 (H.G.M. I, 174, 13).<br />

132 Zu Georgios Synkellos siehe Schreiner, Georgios Synkellos, 1288.<br />

133 Synkellos, Georgios, Chronographia (hg. von Ludwig Dindorf), Corpus Script. Hist. Byz. 5, Berlin<br />

1829; Georgii Syncelli Ecloga Chronographica edidit A. A. Mooshammer, Leipzig 1984; Georgius Syncellus,<br />

The chronography of Geroge Synkellus, translated with introduction and notes by William Adler and Paul<br />

Tuffin, Oxford 2002.<br />

134 Details bei Kettenhofen, Einfälle, bei dem auch die relevante Textstelle abgedruckt und übersetzt ist.<br />

135<br />

Zu Joannes Zonaras siehe Karayannopulos-Weiss, Quellenkunde II, 430f; Maltese, Zonaras, 673f<br />

jeweils mit ausführlicher Bibliographie.<br />

136 Ioannis Zonaras Epitome historiarum, ed. Ludwig Dindorf, 6 Bde., Leipzig 1868-1875; Ioannis<br />

Zonaras Epitome historiarum libri XIII–XVIII, hg. von M. Pindar und Th. Büttner-Wobst, Corpus Script. Hist.<br />

Byz. 34, Berlin 1897.<br />

137 Er ist nicht zu verwechseln mit einem Literaten aus <strong>der</strong> engen Umgebung Kaiser Julians; zu diesem<br />

Vgl. Karayannopulos-Weiss, Quellenkunde II, 253.<br />

138 Panegyricus für Maximianus 5, 1, 2 und 4.


33 33<br />

Festansprachen zu Ehren verschiedener römischer Kaiser, den so genannten Panegyrici<br />

Latini, die in Gallien von prominenten Rhetoren gehalten wurden. 139<br />

• Ammianus Marcellinus 140 , ein römischer Geschichtsschreiber griechischer<br />

Herkunft, geb. um 335 in Antiochien (Syrien), gest. um 400 in Rom. Unter<br />

Konstantius trat er ins Heer ein und unter Julian nahm er an den Feldzügen gegen die<br />

Alemannen und Perser teil, zog sich aber später vom Kriegsdienst <strong>zur</strong>ück und lebte<br />

seit etwa 380 in Rom. Er schrieb um 390 eine an Tacitus anschließende Reichs- und<br />

Kaisergeschichte (Res Gestae) von Nerva bis zum Tod <strong>des</strong> Valens (96-378). 141 Dabei<br />

berichtet er in zuverlässiger Weise über die von ihm selbst miterlebte Zeit und erwähnt<br />

mehrfach die erulischen Einheiten <strong>des</strong> Reiches, vor allem <strong>der</strong>en Einsatz im Westen <strong>des</strong><br />

Reiches (XX, 1, 3; XX, 4, 2-4; XXVII, 1, 6; XVII, 8, 7).<br />

• In einigen Kosmographien <strong>des</strong> späten 4. Jahrhun<strong>der</strong>ts wurden die Eruler im<br />

Donauraum angeführt bzw in einem Fall zusätzlich auch dort, wo man West-Eruler zu<br />

vermuten hat.<br />

• Der Laterculus Veronensis, eine im Kern wahrscheinlich aus dem vierten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t stammende Kosmographie, 142 nennt die Eruler zweimal (XIII. 6 und<br />

30). Einerseits werden sie zwischen westlichen und an<strong>der</strong>erseits zwischen<br />

östlichen Völkern genannt. 143 Diese Quelle gilt als bedenklich, es ist jedoch<br />

darauf hinzuweisen, dass die als Beweis für die Unseriosität angeführten<br />

Doppelnennungen (Rugi, Heruli, Franci, Taifruli 144 ) 145 durchaus Gruppen<br />

betreffen, die – wie gerade die Eruler – in unterschiedlichen Gebieten vermutet<br />

werden.<br />

139<br />

Claudius Mamertinus, Panegyrici Latini/Panegyriques Latins, ed. Èdouard Galletier, 3 Bde., Paris<br />

1949-1955.<br />

140<br />

Zu Ammianus Marcellinus Vgl. Karayannopulos-Weiss, Quellenkunde II, 240f.<br />

141<br />

Res gestae, Römische Geschichte XIV-XXXI, hg. von Wolfgang Seyfahrt, Schriften und Quellen <strong>der</strong><br />

Alten Welt 21, 1-4, Berlin 1969-1971.<br />

142<br />

Laterculus Veronensis, ed. Otto Seeck (gemeinsam mit den Notitia Dignitatum), Berlin 1876. Der<br />

relevante Text ist abgedruckt, übersetzt und kommentiert bei Herrmann, Quellen, 401.<br />

143<br />

Siehe unten 62.<br />

144<br />

Damit sind die Taifalen gemeint, die als „Teilstamm“ <strong>der</strong> terwingischen Goten in den Quellen<br />

auftauchen (Vgl. dazu insbes. Schmidt, Ostgermanen, 546ff) und <strong>der</strong>en Beschreibung in manchem an die Eruler<br />

erinnert, Vgl. unten 136.<br />

145 So etwa bei Ellegård, Eruli, 22.


34 34<br />

• Julius Honorius, ein sonst unbekannter Rhetor, schrieb um 400 eine<br />

Cosmographia Iulii Caesaris, 146 die in drei Rezensionen überliefert ist. Die dritte<br />

Rezension aus dem 5. o<strong>der</strong> 6. Jahrhun<strong>der</strong>t liegt in zahlreichen Handschriften vor<br />

und zwar als Kosmographie eines erst später so genannten Aethicus. Das Werk<br />

ist in vier Abschnitte geglie<strong>der</strong>t, die nach den vier Teilen <strong>des</strong> die bewohnte Erde<br />

umgebenden Ozeans benannt sind. Im Allgemeinen gilt das kleine Werk als<br />

Beispiel für das niedrige Niveau <strong>der</strong> antiken Geographie in <strong>der</strong> römischen<br />

Spätzeit. Die Aufzählung führt von Spanien über Gallien und Germanien bis zum<br />

Schwarzen Meer. Die Eruler werden darin als Stamm zwischen Markomannen<br />

und Quaden, also im mittleren Donauraum erwähnt. 147<br />

• Der Liber Generationis 148 enthält ebenfalls eine Völkerliste (33), in <strong>der</strong> die<br />

Eruler im mittleren Donauraum zwischen Markomannen, Vandalen, Quaden und<br />

Hermunduren genannt werden.<br />

• In den zum Ende <strong>des</strong> 4. Jahrhun<strong>der</strong>ts verfassten Notitia Dignitatum, welche ein<br />

Verzeichnis <strong>der</strong> durch den Kaiser zu besetzenden Positionen sowohl in <strong>der</strong> Zivil- als<br />

auch <strong>der</strong> Heeresverwaltung inklusive Standorten enthält, 149 wird die Einheit Numerus<br />

Erulorum <strong>der</strong> Auxilia Palatina erwähnt, die in Italien stationiert war (Occident. V, 18,<br />

163 und VII, 13). 150<br />

• Sidonius Apollinaris 151 wurde wahrscheinlich im Jahre 431 in Lyon geboren und<br />

starb nach 480. Aus vornehmer gallo-römischer Familie stammend, erhielt er eine<br />

gründliche traditionelle Bildung, heiratete die Tochter <strong>des</strong> Senators und späteren<br />

Kaisers Avitus (455 – 456) und feierte ihn wie seinen Nachfolger Majorian mit<br />

Panegyriken. Um 471 wurde er Bischof von Arverna (Clemont-Ferrand) und<br />

verteidigte die Stadt 472 – 475 gegen die Westgoten. Nach <strong>der</strong> Eroberung war er<br />

zeitweilig verbannt, von 476 o<strong>der</strong> 477 an wie<strong>der</strong> im Amt. In seinen Werken 152 nimmt<br />

146 Geographi Latini Minores, ed. Alexan<strong>der</strong> Riese, Heilbronn 1878.<br />

147 Siehe unten 78.<br />

148 Geographi Latini Minores, ed. Alexan<strong>der</strong> Riese, Heilbronn 1878.<br />

149 Notitia Dignitatum omnium tam civilium quam militarium in partibus orientis/occidentis, ed. Otto<br />

Seeck, Berlin 1876 (Neudruck 1962).<br />

150 Zum Numerus Erulorum siehe auch Kap. 9.<br />

151 Zu Sidonius Apollinaris siehe Krautschick, Sidonius, 271-273.<br />

152 Sidonius Apollinaris, Carmina (hg. von Christian Luetjohann), MGH AA 8, Berlin 1887, 173-264;<br />

Sidonius Apollinaris Epistulae (hg. von Christian Luetjohann), MGH AA 8, Berlin 1887, 1-172.


35 35<br />

er mehrfach Bezug auf die West-Eruler, er nennt sie sowohl in einem Paneygricus für<br />

Avitus 153 als auch in einem Brief an Lampridius. 154<br />

• Sophronius Eusebius Hieronymus, bedeuten<strong>der</strong> lateinischer Kirchenvater, 155 als<br />

Sohn christlicher Eltern um 347 im dalmatinischen Stridon geboren, war er früh <strong>zur</strong><br />

Ausbildung nach Rom gekommen. Nach seiner Taufe war er längere Zeit in Gallien<br />

und lebte anschließend kurz in Aquileia. Ab 373 hielt er sich – mit Unterbrechungen<br />

(382-385 in Rom) – im Orient auf. Gestorben ist er 419 o<strong>der</strong> 420 in Bethlehem.<br />

Hieronymus kannte also die Gebiete an <strong>der</strong> Grenze aus eigener Anschauung. Um 409<br />

schrieb er in einem Brief an eine junge Witwe aus <strong>der</strong> Gallia Narbonensis mit dem<br />

Namen Geruchia, 156 die er von einer weiteren Eheschließung abhalten wollte. Er<br />

verwies sie darin auf die Unsicherheit <strong>der</strong> politischen bzw. militärischen Lage in<br />

Gallien und zählte die Barbarenvölker auf, die damals Gallien heimsuchten. Unter<br />

diesen erwähnte er auch die Eruler. 157<br />

• Hydatius 158 , geb. um 395 und gest. um 470, stammte aus Lemica, Provinz<br />

Gallaecia, im Nordwesten <strong>der</strong> iberischen Halbinsel. Noch als Kind hatte er<br />

Gelegenheit zu einer Orientreise, wobei ihn eine Begegnung mit Hieronymus tief<br />

beeindruckte. 416 trat er in den geistlichen Stand ein und wurde 427 Bischof von<br />

Aquae Flaviae in <strong>der</strong> Nähe seiner Heimatstadt. Hydatius war auch politisch aktiv und<br />

unternahm u.a. 431/32 eine Gesandtschaftsreise zu Aëtius nach Gallien. In seiner<br />

Chronik beschrieb er erulische Piratenzüge an <strong>der</strong> Atlantikküste in den Jahren 456 und<br />

459. Er knüpft mit seinem Werk 159 an Hieronymus an (daher <strong>der</strong> ihr von Mommsen<br />

gegebene Titel Continuatio Chronicorum Hieronymoniorum).<br />

153 Carm. 7, 235; siehe unten 85<br />

154 Epist. 8, 9; siehe unten 59.<br />

155 Zu seiner Person siehe Camelot, Hieronymus, 326-329.<br />

156 Edition <strong>der</strong> Briefe <strong>des</strong> Hieronymus: Epistulae, hg. von. I. Hilberg 1910/1918; editio altera<br />

supplementis aucta 1996: epp. 1-70, CSEL Vol. 54; epp. 71-120, CSEL Vol. 55; epp. 121-154, CSEL Vol. 56/1;<br />

Indices, zusammengestellt von M. Kamptner 1996, CSEL Vol. 56/2.<br />

157 Siehe unten 58.<br />

158 Zu seiner Person siehe Stephen Muhlberger, The Fifth-Century Chroniclers. Prosper, Hydatius and the<br />

Gallic Chronicler of 452, Leeds 1990.<br />

159 Hydatius Lemicus, Continuatio chronicorum Hieronymoniorum (hg. von Theodor Mommsen), MGH<br />

AA 11, Berlin 1894, 1-36. Richard W. Burgess, The »Chronicle« of Hydatius and the »Consularia<br />

Constantinopolitana«, two contemporary accounts of the final years of the Roman Empire (ed. Mit englischer<br />

Übersetzung), Oxford 1993.


36 36<br />

• Eugippius 160 , geb. um 465/467 in Noricum (?), gest. nach 533, ein Gefährte und<br />

Schüler <strong>des</strong> Hl. Severin, 161 verfasste ein kleines Werk über das Leben <strong>des</strong> Heiligen, 162<br />

das in einer unvergleichbaren Weise über den Zustand Nie<strong>der</strong>- und Oberösterreichs in<br />

<strong>der</strong> Spätantike informiert. Er beschreibt darin den Überfall einer erulischen Streifschar<br />

auf die Stadt Joviacum an <strong>der</strong> Donau (Vita Severini, 24), das nunmehr mit Haibach bei<br />

Aschach an <strong>der</strong> Donau in OÖ identifiziert wird. Das Ereignis dürfte um 480<br />

stattgefunden haben, also zu einem Zeitpunkt, als das kurzlebige erulische Reich noch<br />

nicht entstanden war und erulische Banden nur selten so weit im Westen auftauchten.<br />

• Magnus Felix Ennodius 163 , geb. 473/74 in Pavia, gest. 521, Bischof von Pavia,<br />

häufig in kirchendiplomatischer Mission und für König Theo<strong>der</strong>ich tätig. Er erwähnt<br />

in seiner Vita <strong>des</strong> Antonius von Lérins 164 , dass im letzten Jahrzehnt <strong>des</strong> 5.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts Eruler neben Franken und Sachsen Pannonien aufs Grausamste<br />

heimgesucht haben (13f).<br />

• Excerpta Valesiana 165 , zwei in Bruchstücken erhaltene Schriften, <strong>der</strong>en Verfasser<br />

unbekannt sind. 166 Das zweite Fragment (Theodoriciana) enthält einen Hinweis<br />

darauf, dass Eruler zu den Kerntruppen <strong>des</strong> Odowakar gehörten (II, 54).<br />

• Marcellinus comes 167 , gest. Mitte <strong>des</strong> 6. Jahrhun<strong>der</strong>ts, Sekretär <strong>des</strong> späteren<br />

Kaisers Justinian, setzte mit seinem Chronicon das Werk <strong>des</strong> Hieronymus und <strong>des</strong><br />

Hydatius bis 534 – bzw mit Ergänzungen bis 548 – fort. 168 Für das Jahr 512 (Ind. V)<br />

berichtet er über die Ansiedlung von Erulern in <strong>der</strong> Nähe von Singidinum unter Kaiser<br />

Anastasius. 169<br />

160<br />

Zur Person <strong>des</strong> Eugippius siehe Pohl, Eugippius und Severin.<br />

161<br />

Zur Person <strong>des</strong> Hl. Severin siehe Wolfram, Räume, 46ff; Pohl, Eugippius und Severin.<br />

162<br />

Eugippius, Vita sancti Severini, hg. von Theodor Mommsen, MGH SS rerum Germanicarum, Berlin<br />

1898; Das Leben <strong>des</strong> heiligen Severin, hg. u. übers. von Rudolf Noll, Passau 2 1981.<br />

163<br />

Zu Ennodius siehe http://www.sbg.ac.at/ges/people/rohr/ennodius/ennodius.htm.<br />

164<br />

Ennodii Episcopi Ticinensis, De Vita Beati Antonii Lerinensis, hg. Migne, Patrologiae Graecae, LXIII,<br />

239; Magni Felicis Ennodi opera (hg. von Friedrich Vogel, MGH AA 7, Berlin 1885).<br />

165<br />

Zu den Excerpta Valesiana siehe Veh, Gotenkriege, 1213.<br />

166<br />

Anonymus Valesianus, pars posterior (hg. von Theodor Mommsen, MGH AA 9, Berlin 1892), 306-<br />

328; Excerpta Valesiana (hg. von Jacque Moreau und Velizar Velkov, Leipzig 1968). Abgedruckt, übersetzt und<br />

mit Anmerkungen versehen bei Veh, Gotenkriege, 1213-1251.<br />

167<br />

Zur Person <strong>des</strong> Marcellinus Vgl. Karayannopulos-Weiss, Quellenkunde II, 283f; Brian Croke, Count<br />

Marcellinus and his chronicle, Oxford u.a. 2001.<br />

168<br />

The chronicle of Marcellinus (hg. von Brian Coke, Abdruck <strong>der</strong> Edition von Theodor Mommsen,<br />

englische Übersetzung und Kommentar), Sydney 1995.<br />

169<br />

Text siehe: http://www.thelatinlibrary.com/marcellinus.html. (24.3.2006)


37 37<br />

• Prokopios von Caesaraea 170 , geb. um 500, gest. um 562, stammte aus <strong>der</strong><br />

Oberschicht und durchlief eine rhetorisch-juristische Ausbildung. Er wurde zum<br />

wichtigsten Historiker <strong>der</strong> Zeit Justinians I. Ihm verdanken wir die meisten und<br />

detailreichsten Informationen über die Eruler. Sein Geschichtswerk in 8 Büchern<br />

(Über die Kriege – Hyper ton polemon), entstanden um 545-553, behandelt in den<br />

Büchern 1 und 2 die Kriege mit dem Sassanidenreich in den Jahren 530 bis 532 und<br />

540 bis 549 (Perserkrieg), 3 und 4 mit den Vandalen in den Jahren 533 bis 535<br />

(Vandalenkrieg) und 5 bis 7 mit den Goten in den Jahren 545 bis 553 (Gotenkriege). 171<br />

Das achte Buch behandelt Kriege in Italien und an <strong>der</strong> Donau- bzw Ostgrenze in den<br />

Jahren 551 und 552. Da Prokop als Sekretär Belisars diesen auf seinen Feldzügen<br />

begleitete, stellt er insbeson<strong>der</strong>e <strong>des</strong>sen Taten in den Vor<strong>der</strong>grund.<br />

Prokop hatte dabei notwendiger Weise häufig persönlichen Kontakt mit Erulern. Seine<br />

eingehende Beschreibung davon „was die Eruler für Menschen sind“ (Gotenkriege II,<br />

14 und 15), hat das überlieferte Bild <strong>der</strong> Eruler wie keine an<strong>der</strong>e Quelle entscheidend<br />

geprägt Darüber hinaus werden Eruler von Prokop an vielen weiteren Stellen <strong>der</strong><br />

„Gotenkriege“ erwähnt. 172 Im Perserkrieg 173 und im Vandalenkrieg 174 berichtet er vom<br />

Einsatz erulischer Einheiten und erulischer Heerführer in römischen Diensten.<br />

• Agathias von Myrina 175 war ein gegen 536 geborener byzantinischer Jurist und<br />

Historiker. Unter Justin II. fasste er den Entschluss, das Werk seines bewun<strong>der</strong>ten<br />

Vorbil<strong>des</strong> Prokop fortzusetzen. An<strong>der</strong>s als dieser besaß er jedoch keine unmittelbaren<br />

Kenntnisse vieler beschriebener Ereignisse, son<strong>der</strong>n war auf Informationen aus zweiter<br />

Hand angewiesen. Aus diesem Grund bzw. wegen seines Hanges, seine stilistischen<br />

Fähigkeiten herauszustellen, ebenso wie zu moralisierenden Stellungnahmen sind viele<br />

Details in seinen Schil<strong>der</strong>ungen mit Vorsicht zu behandeln. Sein Geschichtswerk<br />

170 Zur Person <strong>des</strong> Prokopios siehe Berthold Rubin, Art. Prokopios, in: Pauly-Wissowa RE 23.1/1957,<br />

273–599; Karayannopulos-Weiss, Quellenkunde II, 280; Averil Cameron: Procopius and the Sixth Century,<br />

Berkeley 1985; Rebenich, Prokop, 479-481.<br />

171 Prokopios, De bellis libri VIII: De bello Persico I-II, De bello Vandalico I-II (III-IV), De bello Gothico<br />

I-IV (V-VIII) (hg. von Otto Veh, Prokop, Werke 2-4, München 1966-1971).<br />

172<br />

Gotenkriege II, 18; II, 19; III, 1; III, 13; III, 26; III, 27; III, 33; III, 34; III, 39; IV 9; IV 25; IV, 26; IV,<br />

28; IV, 30; IV, 31; IV, 33.<br />

173 Perserkrieg I, 13; I, 14; I, 24; II, 3; II, 21; II, 24; II, 25.<br />

174 Vandalenkrieg I, 11; II, 4; II, 14; II, 17.<br />

175 Vgl. Gärtner, Agathias, 93f; Karayannopulos-Weiss, Quellenkunde II, 281; Veh, Gotenkriege, 1206ff.


38 38<br />

(Historiarum libri V) 176 enthält einige Hinweise zu den Erulern in Italien nach dem<br />

Sieg über die Ostgoten (I, 11, 14, 15; II, 2, 7-9; III, 6, 20).<br />

• Menan<strong>der</strong> Protector 177 , ein um die Mitte <strong>des</strong> 6. Jahrhun<strong>der</strong>s geborener und nach<br />

582 gestorbener byzantinischer Historiker mit rhetorischer und juristischer<br />

Ausbildung, über <strong>des</strong>sen Leben wenig bekannt ist. Er knüpfte an Agathias an, den er<br />

zu seinem Vorbild nahm, und beschrieb die Zeit von 538 bis 582. Von diesem Werk<br />

sind nur Fragmente erhalten, 178 Fragment 7 erwähnt, dass die Pannonia secunda,<br />

welche Justinian im Jahre 562 den Awaren <strong>zur</strong> Ansiedlung anbot, ehemals von den<br />

Erulern bewohnt worden war. 179<br />

• Flavius Magnus Aurelius Cassiodorus 180 , geb. um 490, gest. um 583, Senator<br />

und Sekretär Theo<strong>der</strong>ichs, Prätorianerpräfekt, schrieb u. a. eine Gotengeschichte (De<br />

origine actibusque Getarum o<strong>der</strong> Getica), die uns jedoch nur aus <strong>der</strong><br />

Zusammenfassung von Jordanes, auf die gleich <strong>zur</strong>ückzukommen ist, überliefert ist. Er<br />

zog sich nach 540 in das von ihm gegründete Kloster Vivarium (Kalabrien) <strong>zur</strong>ück.<br />

Über die Eruler erfahren wir außerdem aus einigen Briefen und Amtsschreiben <strong>des</strong><br />

Theo<strong>der</strong>ich, die Cassiodorus in seine Variae epistulae aufgenommen hat, eine<br />

Sammlung von 486 Aktenstücken und Urkunden ostgotischer Könige bzw von<br />

solchen, die er selbst als Prätorianerpräfekt verfügt hatte. 181<br />

• Jordanes 182 , gest. nach 551, <strong>der</strong> selbst gotischer o<strong>der</strong> alanischer Abstammung<br />

war, hat in seinem Hauptwerk Getica im Wesentlichen die verloren gegangenen 533<br />

fertig gestellten zwölf Bücher <strong>der</strong> Gotengeschichte <strong>des</strong> Cassiodor zusammengefasst. 183<br />

Aufgrund dieser Quellenüberlieferung sind wir nicht nur über die Goten besser<br />

informiert als über alle an<strong>der</strong>en Germanen, son<strong>der</strong>n wir verdanken diesem Werk auch<br />

eine Reihe wichtiger Berichte über die Eruler, für die er nach Prokop die wichtigste<br />

176<br />

Agathias von Myrina, Historiarum libri V (hg. von Rudolf Keydell), Corpus Font. Hist. Byzant. 4e,<br />

Berlin 1967; teilweise herausgegeben und übersetzt von Otto Veh, Gotenkriege, Anhang, 1107–1214.<br />

177<br />

Zu seiner Person Vgl. Karayannopulos-Weiss, Quellenkunde II, 283.<br />

178<br />

Menan<strong>der</strong> Protector, Fragmenta (hg. von Ludwig Dindorf, H.G.M. II); Migne, Patrologiae Graecae,<br />

CXIII, 791–927; Menan<strong>der</strong> Protector, Historia, hg. und übers. von R. C. Blockley, The History of Menan<strong>der</strong> the<br />

Guardsman, Liverpool 1985.<br />

179 Migne, Patrologiae Graecae CXIII, 795.<br />

180 Zur Person <strong>des</strong> Cassiodor siehe Alonso-Núnez–Gruber, Cassiodorus, 1551–1554.<br />

181 Cassiodorus, Variae epistolae, hg. von Theodor Mommsen, MGH AA 122, Berlin 1894, 1-385.<br />

182 Zur Person <strong>des</strong> Jordanes Vgl. Karayannopulos-Weiss, Quellenkunde II, 286; Weißensteiner, Jordanes.<br />

183 Jordanis Romana et Getica, hg. von Theodor Mommsen, MGH AA V/1, Berlin 1882, 1-138; Iordanis<br />

de origine actibusque Getarum, hg. von F. Giunta und A. Grillone, Fonti per la storia d’Italia 117, 1991.


39 39<br />

Quelle darstellt (Getica 3.23, 23.117, 23.121, 46.242, 50.261). Allerdings ist<br />

Cassiodor/Jordanes als Panegyriker <strong>des</strong> amalischen Herrscherhauses bzw. Apologet<br />

<strong>der</strong> Goten gewissermaßen Partei, was sowohl bei <strong>der</strong> Beschreibung <strong>des</strong> Konfliktes<br />

zwischen Ermanarich und den Ost-Erulern 184 als auch <strong>des</strong> Verhältnisses von<br />

Theo<strong>der</strong>ich zum Erulerkönig Rodulf 185 zu beachten ist.<br />

• In einem Brief an den Frankenkönig Childebert bezeichnet sich <strong>der</strong> byzantinische<br />

Kaiser Maurikios I. (582–602) u.a. als Erullicus (Epistolae Austrasicae, XLII 186 ).<br />

• Origo Gentis Langobardorum, ist als Vorspann in den langobardischen leges<br />

enthalten. Eine christlich überformte Fassung stellt die Historia Langobardorum<br />

Codicis Gothani vom Anfang <strong>des</strong> 9. Jahrhun<strong>der</strong>ts dar. 187 Sie enthält einen kurzen<br />

Hinweis auf den Sieg <strong>des</strong> Langobardenkönigs Tato über die Eruler unter Rodulf.<br />

• Paulus Diaconus 188 , geb. 720/730, gest. um 799, entstammte einer alten<br />

langobardischen Familie. Er war Mönch in Monte Cassino und nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage<br />

<strong>der</strong> Langobarden gegen Karl d. Gr. an <strong>des</strong>sen Hof als Lehrer und literarisch tätig. In<br />

seinen letzten Jahren wie<strong>der</strong> in Monte Cassino verfasste er sein Hauptwerk, die<br />

Historia Langobardorum, in dem er die Geschichte einer germanischen Ethnie nach<br />

den Regeln <strong>der</strong> klassischen Historiographie darstellte. 189 Das Werk enthält eine Reihe<br />

von Informationen über die Eruler, die das Zusammentreffen bzw. die Konflikte<br />

zwischen Langobarden und Erulern betrafen (Hist. Langob. I, 19-20) 190 , aber auch die<br />

Geschichte von Sinduald, den „König <strong>der</strong> Brenter, <strong>der</strong> vom Stamm <strong>der</strong> Eruler noch<br />

übrig war“ (Hist. Langob. II, 3). 191<br />

Eine umstrittene Erwähnung <strong>der</strong> Eruler findet sich auch in <strong>der</strong> römischen Geschichte<br />

<strong>des</strong> Paulus Diaconus (Hist. Rom. 14, 2). 192<br />

184 Siehe unten 71.<br />

185 Siehe unten 109.<br />

186 Text siehe http://www.thelatinlibrary.com/epistaustras.html (28. 12. 2005).<br />

187 Siehe Pohl, Origo gentis, 183–189.<br />

188 Zur Person <strong>des</strong> Paulus Diaconus vgl. Pohl, Paulus Diaconus; Gasparri, Paulus Diaconus.<br />

189 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum (hg. von Georg Waizt), MGH SS rerum Langobardicarum,<br />

Hannover 1878, 12-187; Paulus Diakonus, Geschichte <strong>der</strong> Langobarden (übers. von Otto Abel, hg. Von<br />

Alexan<strong>der</strong> Heine), Essen 1985.<br />

190 Siehe unten 111.<br />

191 Siehe unten 125.<br />

192 Vgl. Karayannopulos-Weiss, Quellenkunde II, 320f.


5 Der Eruler-Name<br />

5.1 Der Eruler-Name in antiken Quellen<br />

40 40<br />

Die in Kapitel 4 erwähnten Quellen enthalten mehrere Varianten bzw. Schreibweisen<br />

<strong>des</strong> Eruler-Namens, 193 was in <strong>der</strong> Literatur unterschiedlich bewertet wird.<br />

Die mit Abstand am besten belegte Form ist Eruli bzw. Έρουλοι (Αίρουλοι). Sie findet<br />

sich bereits für die Zeit um 300, wo Eruli am Schwarzen Meer unter den scythischen<br />

Völkern aufgezählt werden, die von Claudius II. bekämpft und besiegt wurden.<br />

Im 4. und 5. Jahrhun<strong>der</strong>t findet sich diese Form in allen Quellen, welche die West-<br />

Eruler erwähnen: in den Festreden <strong>des</strong> Mamertinus, 194 bei Ammianus Marcellinus 195<br />

und bei Hydatius. 196 Vor allem aber ist diese Form im 6. Jahrhun<strong>der</strong>t in den<br />

wichtigsten Quellen für die Eruler überhaupt enthalten, nämlich bei Prokop, Agathias<br />

und Cassiodor. Die Variante Eroli ist eine Ausnahme, die lediglich in zwei Quellen<br />

vorkommt. 197<br />

Die Voransetzung <strong>des</strong> H (Heruli, Έρουλοι) stellt mit Abstand die zweithäufigste<br />

Variante dar. Sie findet sich vor allem bei Jordanes. Diese Form ist unetymologisch<br />

und stellt eine häufig vorkommende Prothese dar. Herleitungen <strong>des</strong> (H)erulernamens,<br />

die das H voraussetzen, werden daher in <strong>der</strong> Literatur meist <strong>zur</strong>ückgewiesen. 198<br />

An<strong>der</strong>erseits wird im Schrifttum aber auch ein gemeinsames Bedeutungsfeld mit<br />

Harjis 199 , Hariern, Haruden angenommen, 200 sodass vielleicht ein ursprünglich<br />

vorhandenes Anfangs-H nicht völlig ausgeschlossen werden kann.<br />

Jordanes überliefert auch die Son<strong>der</strong>variante Eluri und knüpft an eine griechische<br />

Volksetymologie an, nach <strong>der</strong> die Elurer (= Eruler) ihren Namen von den mäotischen<br />

Sümpfen (elos = Sumpf) bekommen hätten. 201 Dabei zitiert Jordanes einen Historiker<br />

Ablabius, <strong>des</strong>sen Werk über die Geschichte <strong>der</strong> Goten er offenbar über Vermittlung<br />

193<br />

Schönfeld, Wörterbuch, 78–80; Reichert, Lexikon, 254–258.<br />

194<br />

Siehe oben 32 und unten 57.<br />

195<br />

Siehe oben 32 und unten 57.<br />

196<br />

Siehe oben 35 und unten 58f.<br />

197<br />

Schönfeld, Wörterbuch, 79.<br />

198<br />

Schönfeld, Wörterbuch, 80.<br />

199<br />

Vgl. Wolfram, Gotische Studien, 84, Green, Language and History, 86.<br />

200<br />

Siehe unten 41.<br />

201<br />

Jordanes, Getica 23, 117. Aber auch eine Ableitung von ailouros (griech. für Wiesel, Schleichkatze)<br />

ist möglich.


41 41<br />

von Cassiodor kannte. Ablabius seinerseits muss Dexippos gekannt haben. 202<br />

Schließlich findet sich ein einziges Mal auch die Variante Έλουροι bei Stephanos von<br />

Byzanz. 203<br />

Ellegård leitet aus diesen Unklarheiten ab, dass die Gleichsetzung von Eruli mit Eluri<br />

möglicher Weise ein Werk <strong>der</strong> späteren Historiker war und daher über die Identität <strong>der</strong><br />

Elurer <strong>des</strong> Dexippos mit den Erulern <strong>der</strong> späteren Zeit keine verbindliche Aussage zu<br />

treffen sei. 204<br />

5.2 Die Bedeutung <strong>des</strong> Eruler-Namens<br />

Hinsichtlich <strong>der</strong> Herkunft <strong>des</strong> Eruler-Namens besteht eine Vielzahl von Herleitungen<br />

und Verknüpfungen, sie scheint <strong>der</strong>zeit unklarer zu sein als je zuvor.<br />

Ganz allgemein ist darauf hinzuweisen, dass die Selbstbezeichnung von Gruppen<br />

häufig ethnozentrisch verallgemein<strong>der</strong>nd bzw. selbstberühmend ist. In Skandinavien<br />

scheinen <strong>der</strong>artige ethnozentrisch identifizierende Allgemeinbegriffe beson<strong>der</strong>s häufig<br />

zu sein. 205 Einprägsame Beispiele stellen die Namen <strong>der</strong> beiden Hauptstämme<br />

Schwedens dar 206 : Goten hat nach herrschen<strong>der</strong> Meinung die Grundbedeutung Männer<br />

und Svear – ebenso wie die Ethnonyme Sueben und Semnonen 207 – die<br />

Grundbedeutung wir selbst (also etwa: Die Unsrigen).<br />

Neben diesen Allgemeinbegriffen kommen Eigenschaftsnamen vor, die auf<br />

kriegerische Tugenden verweisen. Zu dieser Gruppe gehören Chaibonen 208 und <strong>der</strong><br />

möglicherweise sprachlich zusammenhängende Komplex Harier, Haruden und Eruler.<br />

Plinius berichtet im 1. vorchristlichen Jahrhun<strong>der</strong>t von den Hirri 209 , Tacitus von den<br />

suebischen Hariern, die sich vor einem Kampf völlig schwarz einfärbten und nur<br />

nachts angriffen. Ein dämonisches Kriegertum, das sich mit einem Geister- bzw.<br />

Totenheer identifizierte und zugleich eine wirksame psychologische Kriegsführung<br />

202<br />

Vgl. Gärtner, Ablabius, 10.<br />

203<br />

Stephanos von Byzanz, Ethnika, 269, 11.<br />

204<br />

Ellegård, Eruli, bes 28f.<br />

205<br />

Vgl. An<strong>der</strong>sson, Skandinavische Stämme, 588ff.<br />

206<br />

Vgl. An<strong>der</strong>sson, Gøtar, 278.<br />

207<br />

Castritius, Semnonen, 153. Zur Vielfalt <strong>der</strong> Deutungen vgl. jedoch Rübekeil, Sweben, 184ff.<br />

208<br />

Die hier nicht weiter zu verfolgende, nur in den zwei Festreden <strong>des</strong> Mamertinus (siehe unten 55, 57)<br />

auftauchende Bezeichnung „Chaibonen“ wird als preisende Selbstbezeichnung mit <strong>der</strong> Bedeutung „die<br />

Kampflustigen, Streitbaren“ gedeutet (Vgl. Neumann, Chaibonen, 364).<br />

209<br />

Plinius, Naturgeschichte, IV, 27.


42 42<br />

bedeutet, denn „das Auge ist in allen Schlachten dasjenige was zuerst besiegt wird.“ 210<br />

Auf die möglichen Verknüpfungen <strong>des</strong> Erulernamens mit den Hariern verweist Troels<br />

Brandt:<br />

“The name of the Harii is supposed to <strong>der</strong>ive from harjaR/harjiZ (=army/warrior) and<br />

it is possibly a wi<strong>des</strong>pread component found in names like Harigast (Negauer helmet),<br />

Hariso (Himlingoeje/Herul in Concordia) and Hariwulf (Scania/Blekinge). Tacitus<br />

placed them just south of the Gotones at Upper Vistula, and they may have followed<br />

the Goths to the Black Sea when the migrating Gothic groups passed. After the Gothic<br />

migration we never heard about these strong warriors, but southeast of the new Gothic<br />

kingdom a new tribe of harrying warriors was met - the Heruli. According to Tacitus<br />

the Harii painted their shields and their bodies black and attacked in the night as a<br />

ghostly army. Some scholars connect them with the legends about ”The wild hunt” in<br />

the night – also connected with Odin/Wothan. In French the hunter is called<br />

Harlequin/Hellequin (Eorle cyn/Harleking?). Their disappearence could be explained<br />

by a change of name at the Sea of Asov caused by the influence of the common Alanic<br />

language of the region. This is of course pure guesswork, but it would in all aspects<br />

make sense if the Heruls were a conglomerate of neighbouring Harii, Goths and<br />

Iranians.<br />

Hervig Wolfram has proposed that the Heruls were first established as a warriorband<br />

with an etymology connected to the word "harjaR/harjiZ". This appears to be the most<br />

reasonable suggestion, if this group operating in the bor<strong>der</strong>areas of the Goths later<br />

formed a people at the Black Sea - maybe with members of their neighbours joining<br />

them by marriage and ethnogenesis.” 211<br />

Um Christi Geburt taucht die Bezeichnung Haruden für Kriegerscharen sowohl in<br />

Norwegen als auch in Jütland und Thüringen auf. 212 Sie findet sich in <strong>der</strong> Einzahl als<br />

Männername Hordar, <strong>der</strong> ursprünglich wohl als Beiname verwendet wurde und laut<br />

Wagner immerhin von drei <strong>der</strong> namentlich bekannten Erulern (Arouth, Aordus und<br />

Arufus) getragen wurde. 213 Die altwestnordische Form ist zudem als Odinsname<br />

bezeugt. Die Bedeutung <strong>der</strong> Stammesbezeichnung Haruden wurde nach verbreiteter<br />

Ansicht von einem Wort für Wald hergeleitet.<br />

An<strong>der</strong>sson sieht dagegen die Identifikation von Haru<strong>des</strong> mit idg. *Karut-s, das auch in<br />

altirisch caur, cur vorliegt und Held bedeutet. 214 Immer wie<strong>der</strong> wird auf Grund dieser<br />

Etymologie eine Verbindung zu den alten Theorien von Otto Höfler hergestellt. So<br />

auch jüngst die amerikanische Religionswissenschaftlerin Kris Kershaw in ihrer Arbeit<br />

210 Tacitus, Germania, 43, 4.<br />

211 Brandt, Heruls, 2. Myths of Origin.<br />

212 An<strong>der</strong>sson, Hordar, 116.<br />

213 Vgl. Reichert, Lexikon, 75; Wagner, Namensprobleme, 414ff.<br />

214 An<strong>der</strong>sson, Hordar, 116.


43 43<br />

über Odin, den einäugigen Gott und die indogermanischen Männerbünde, welche eine<br />

ähnliche Ableitung – von idg. *koryos – annimmt. 215<br />

Damit wäre Haruden in die Nähe <strong>der</strong> Etymologie von Eruler gerückt, da die<br />

ursprüngliche Bedeutung <strong>des</strong> Wortstammes *er- <strong>des</strong> Grundwortes *erula-, *erila-,<br />

*erla- Kampf und Streit umfasst. Ein aus diesem Bedeutungsfeld abgeleiteter<br />

Eigenname ist daher wohl als Eigenschaftsname („kämpferisch-mutig“), unter<br />

Umständen auch als Funktionsname („Streiter“, „Kämpfer“) zu deuten. Die<br />

Erweiterung durch –ul bzw. –il könnte die Deutung <strong>des</strong> Namens als<br />

kämpfen<strong>der</strong>/mutiger Wolf (vgl skandinavisch härjulvar) ermöglichen. 216<br />

Was den Eruler-Namen schließlich gegenüber den an<strong>der</strong>en genannten<br />

Eigenschaftsbezeichnungen beson<strong>der</strong>s heraushebt, ist die mögliche Verknüpfung mit<br />

dem Begriff erilaR, <strong>der</strong> in Inschriften in ganz Skandinavien gefunden wurde. 217 Diese<br />

Inschriften haben offensichtlich religiös-magische Bedeutung und finden sich auf<br />

Waffen, Amuletten und Runensteinen. Als Interpretationen kommt neben <strong>der</strong><br />

einfachen Übersetzung Ich (bin) erilar bzw. Ich (bin ein) Erule die Deutung: Ich (bin<br />

<strong>der</strong>) Runenmeister in Frage. ErilaR wäre damit ein Hinweis auf magische<br />

Runenkundigkeit. 218 Hinsichtlich <strong>der</strong> häufigen Verknüpfung von erilaR mit ek und<br />

haiteka (= heiße ich) wird in <strong>der</strong> Literatur auf die Parallelen zu rituellen<br />

Namensanrufungen in Sakraldichtungen verwiesen. 219<br />

ErilaR war also vermutlich ein Titel, <strong>der</strong> seinen Träger magisch-religiös<br />

herausgehoben hat und eine kultische Organisation von Runenmeistern durchaus<br />

wahrscheinlich sein lässt. 220 Runenkundigkeit kann sowohl mit kultischen, als auch<br />

mit kriegerischen und politischen Funktionen verbunden gewesen sein. 221 Auf diese<br />

Weise – wenn <strong>der</strong> Zusammenhang auch nicht ganz klärt ist – könnte auch eine<br />

215<br />

Kershaw, Odin, passim.<br />

216<br />

Vgl. http://www.all-science-fair-projects.com/science_fair_projects_encyclopedia/Heruli,<br />

(28.12.2005)<br />

217<br />

Vgl. dazu Sundqvist, Priester, 428f. mit ausführlicher Literatur. Eine Liste <strong>der</strong> bis jetzt bekannten<br />

Runen-Inschriften Harii/Harjilaz/Erilaz findet sich auf http://www.all-science-fairprojects.com/science_fair_projects_encyclopedia/Heruli.<br />

(28.12.2005)<br />

218<br />

Etwa so wie heute <strong>der</strong> webmaster den Hinweis auf die ebenfalls manchmal magisch anmutende EDV-<br />

Kundigkeit darstellt.<br />

219<br />

Stoklund, Kragehul, 280.<br />

220<br />

Vgl. Dillmann, Runenmeister, 542.<br />

221<br />

Vgl. Sundqvist, Priester, 429.


44 44<br />

Verbindung von erilaR mit anordisch jarl (Häuptling), altenglisch eorl (Held, Fürst,<br />

Edler), altsächsisch erl (freier Mann) hergestellt werden. 222<br />

Der Wortstamm *erla findet sich schließlich in zweistämmigen germanischen<br />

Personennamen, verbunden mit auch sonst häufig vorkommenden zweiten Teilen wie<br />

–win, –fried, –gard, –traud (Erlwin, Erlfried, Erlgard, Erltraud). 223<br />

Zusammenfassend kann <strong>zur</strong> Herkunft <strong>des</strong> Eruler-Namens <strong>der</strong>zeit offenbar nur gesagt<br />

werden, dass er ein Kollektivbegriff 224 war, <strong>der</strong> wahrscheinlich als kriegerische<br />

Selbstbezeichnung von aus Skandinavien stammenden Gruppen getragen wurde. Für<br />

eine <strong>der</strong>artige funktionelle Erklärung <strong>des</strong> Eruler-Namens, <strong>der</strong> damit auch den späteren<br />

Bezeichnungen „Wikinger“ und „Normannen“ ähnlich wäre, scheint immer merh zu<br />

sprechen. 225 Dies würde das Auftauchen von Erulern (wie auch von Haruden) in<br />

unterschiedlichen Gebieten plausibel machen, aber auch zu <strong>der</strong> alten, von Otto<br />

Höfler 226 aufgestellten These von <strong>der</strong> Bedeutung von Männerbünden für germanische<br />

Ethnogenesen passen, die jüngst von Kris Kershaw 227 wie<strong>der</strong> vertreten wurde.<br />

5.3 Erulische Eigennamen<br />

Hinweise auf die Sprache <strong>der</strong> Eruler geben nur die in den lateinischen und<br />

griechischen Quellen erwähnten Eigennamen für Eruler. Sie „lassen sich im Hinblick<br />

auf diagnostische Dialektmerkmale nicht von gotischen Namen <strong>der</strong>selben Zeit<br />

unterscheiden.“ 228 Bei <strong>der</strong> Interpretation dieses Sachverhaltes ist allerdings Vorsicht<br />

geboten, denn dies kann sowohl auf „sekundäre Gotisierung“ als auch einfach auf<br />

lateinische und griechische Transskriptionsgewohnheiten <strong>zur</strong>ückzuführen sein. 229<br />

Mit den erulischen Namensproblemen und damit zugleich mit <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong><br />

Sprache <strong>der</strong> Eruler hat sich Norbert Wagner befasst. 230 Er untersucht in seinem<br />

Aufsatz den gesamten Namensbestand, <strong>der</strong> realistischer Weise überhaupt mit den<br />

222<br />

Vgl. Neumann, Heruler, 468.<br />

223<br />

Neumann, Heruler, 468.<br />

224<br />

Auf diesen Ursprung hat erstmals Müllenhoff verwiesen, Vgl. Rappaport, Heruli, 1151.<br />

225<br />

Pohl, Völkerwan<strong>der</strong>ung, 123.<br />

226<br />

Siehe unten 135.<br />

227<br />

Kershaw, Odin, passim.<br />

228 Neumann, 469.<br />

229 Ebda.<br />

230 Wagner, Namensprobleme, 406–421.


45 45<br />

Erulern in Zusammenhang gebracht werden kann, davon ausgehend, dass „für die<br />

Aussagefähigkeit etwa zu kulturellen, sozialen, personalen Beziehungen … <strong>der</strong> ganze<br />

nachweisbare Namensvorrat eines germanischen Stammesverban<strong>des</strong> von Belang,<br />

interessant und ergiebig“ sei, und man sich daher „nicht auf <strong>des</strong>sen mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

großen germanischen Anteil beschränken“ dürfe. 231<br />

Generell kann man davon ausgehen, dass <strong>der</strong> überlieferte Bestand <strong>der</strong> von Erulern<br />

geführten Namen „mäßig und nicht durchgehend germanisch“ 232 ist. Die ersten<br />

tradierten erulischen Namen sind die zweier Anführer, Andonno-ballus und Naulo-<br />

batus, die 267 von <strong>der</strong> Maeotis aus Raubzüge zu See und Land durchführten. Zu<br />

diesem Zeitpunkt gab es an <strong>der</strong> Maeotis sowohl thrakische als auch griechische<br />

Bevölkerungselemente, dementsprechend kann man letzteren Namen für griechisch<br />

halten. 233 Der erste Name dagegen wird meist als keltisch angesehen, er erinnert<br />

allerdings auch an den thrakischen Stammesnamen Triballi. 234 In <strong>der</strong> zweiten Hälfte<br />

<strong>des</strong> 4. Jahrhun<strong>der</strong>ts findet sich dann im Zusammenhang mit den Erulern ein eindeutig<br />

germanischer Name, <strong>der</strong> <strong>des</strong> an <strong>der</strong> Maeotis herrschenden Erulerkönigs Alarich.<br />

In etwa zeitgleich werden die Namen zweier im numerus Herulorum dienen<strong>der</strong><br />

Soldaten/Söldner genannt: ein Vitalianus, <strong>der</strong> 364 zum protector domesticus beför<strong>der</strong>t<br />

wurde, und ein Maiorinus, <strong>der</strong> auf seiner Grabinschrift aus dem 4. Jahrhun<strong>der</strong>t zu<br />

Athen als <strong>der</strong> Einheit <strong>der</strong> Eruler zugehörig bezeichnet wird. 235 Die Einheit <strong>der</strong> Eruler<br />

wurde 364 in seniores und iuniores aufgeteilt. Im Winter <strong>des</strong> Jahres 394/395 werden<br />

auf Steinsarkophagen in Concordia in Oberitalien Namen von Angehörigen <strong>der</strong><br />

Abteilung <strong>der</strong> Eruli seniores genannt, Batemodus, Hariso, Sindia, Gunthia und<br />

Sivima[rus] 236 . Bis auf den letzten Namen, <strong>der</strong> keltischem Ursprung sein dürfte,<br />

handelt sich hierbei um germanische Namen. Da die zu den Eruli seniores gehörenden<br />

Soldaten nicht notwendig Eruler sein mussten, besteht zwar eine gewisse<br />

Wahrscheinlichkeit, jedoch keine Sicherheit, dass es sich bei den Genannten um Eruler<br />

handelt. 237 Auch die drei im 5. Jahrhun<strong>der</strong>t in römischen Diensten stehenden<br />

231 Ebda, 407.<br />

232 Ebda, 406.<br />

233 Ebda, Anm 7.<br />

234 Ebda, 407f.<br />

235 Zum numerus Erulorum siehe unten Kap.9.<br />

236 Wagner, Namensprobleme, Fußnote 14.<br />

237 Ebda, 408f.


46 46<br />

Germanen Sindila 238 , Valila 239 und Herila 240 tragen ostgermanische Namen, können<br />

aber müssen nicht Eruler gewesen sein. 241<br />

Die größte Zahl von überlieferten erulischen Namen stammt aus dem 6. Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />

Zu diesem Zeitpunkt kämpften erulische Anführer mit ihren Leuten, im Sold <strong>des</strong><br />

Kaisers stehend, praktisch an allen Fronten <strong>des</strong> Reiches. Über sie sind wir durch die<br />

Berichte von Prokop und Agathias relativ gut informiert. Die Namen <strong>der</strong> gegen<br />

Vandalen, Goten und Perser kämpfenden erulischen Anführer Fara 242 , Visandus,<br />

Alvith, Fanotheus, Filimuth, Arufus, Aruth 243 , Uligangus, Fulkaris 244 und Sindvald<br />

(Sinduald) lassen sich problemlos als germanisch erklären; lediglich ein Verus, <strong>der</strong><br />

gemeinsam mit Filimuth die gegen die Sassaniden kämpfenden Eruler befehligt, trägt<br />

einen lateinischen Namen, 245 <strong>der</strong> Name Givrus ist nicht eindeutig zuzuordnen. 246<br />

Was die im 6. Jahrhun<strong>der</strong>t genannten Erulerkönige betrifft, so sind die beiden Namen<br />

Rodulf 247 und Suartuas (Svartva) 248 leicht germanisch zu erklären. Grepes ist<br />

wahrscheinlich ein gräzisierter germanischer Name, 249 im Falle <strong>des</strong> von den Erulern<br />

getöteten Königs Ochus wird ein iranischer Ursprung in Erwägung gezogen. 250 Das<br />

königliche Brü<strong>der</strong>paar Datius und Aordus kann wohl als <strong>der</strong> „Däne“ und <strong>der</strong> „Harude“<br />

verstanden werden. 251<br />

Es zeigt sich also, dass <strong>der</strong> Befund hinsichtlich <strong>der</strong> erulischen Namen und damit einer<br />

erulischen Sprache äußerst mager ist. Die wenigen eindeutig Erulern zuordenbaren<br />

238<br />

Vgl. Martindale II, 1016.<br />

239<br />

Vgl. Martindale II, 1147.<br />

240<br />

Vgl. Martindale II, 546.<br />

241<br />

Ebda, 410.<br />

242<br />

Der Personenname Fara findet sich bei mehreren germanischen Ethnien. Seine Grundbedeutung ist<br />

eine gewohnheitsmäßig reisende Person. Wichtig ist auch die Bedeutungsvariante fahrende Schar bzw. Familie,<br />

Geschlecht. Diese ist in langobardischen Rechtsquellen am deutlichsten zu erschließen: „Die fara war also die<br />

Lebensgemeinschaft und Organisationsform von Untergruppen <strong>des</strong> wan<strong>der</strong>nden Langobardenvolkes, zu <strong>der</strong>en<br />

Aufgaben neben <strong>der</strong> Kriegsführung auch die Wahrung <strong>des</strong> inneren Friedens, die Versorgung von Mensch und<br />

Vieh mit Nahrung u.ä. gehört haben müssen“ (Jarnut, Fara, 283). Zu dem Eruler-Anführer Fara siehe unten 122.<br />

243 Zu Aruth siehe unten 121;124.<br />

244 Zu Fulkaris siehe unten 123f..<br />

245 Wagner, Namensprobleme, 411f.<br />

246 Wagner, Namensprobleme, 412f.<br />

247 Zu Rodulf siehe unten 87; 109f.<br />

248 Zu Suartuas siehe unten 135.<br />

249 Wagner, Namensprobleme, 414.<br />

250 Ebda, 416.<br />

251 Ebda, 415ff.


47 47<br />

Namen sind jedoch – soweit überhaupt germanisch – ostgermanisch deutbar und vor<br />

allem von gotischen Namen nicht zu unterscheiden.<br />

6 Der süd-skandinavische Ursprung<br />

Der südskandinavische Ursprung <strong>des</strong> Traditionskerns <strong>der</strong> Eruler ist herrschende<br />

Meinung. Sie entsprächen damit dem berühmten Zitat <strong>des</strong> Jordanes von <strong>der</strong> Insel<br />

Skandia als Völkerwerkstatt und Gebärerin <strong>der</strong> Völker, 252 stünden in <strong>der</strong> Tradition <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en später als ostgermanisch bezeichneten Ethnien und wären nach Vandalen,<br />

Rugiern, Burgunden und Goten als „letztes nordisches Volk auf festländischem<br />

Boden“ erschienen. 253<br />

Die südskandinavische These geht auf Prokop 254 und Jordanes 255 <strong>zur</strong>ück, also auf jene<br />

Autoren, denen wir generell die meisten Informationen über die Eruler verdanken.<br />

Prokop erwähnt allerdings keine skandinavische Herkunft, die Schil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Wan<strong>der</strong>ung jenes Teiles <strong>der</strong> Eruler, <strong>der</strong> sich nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage gegen die<br />

Langobarden „unter vielen Führern königlichen Geblüts“ nach Norden wandte, 256 kann<br />

jedoch als Rückkehr in alte Stammessitze interpretiert werden.<br />

Auch die Stelle bei Jordanes ist unklar. 257 Zunächst ist sprachlich nicht eindeutig, wer<br />

die größten Menschen auf ganz Skandza sind: Jordanes lässt sich einerseits so<br />

verstehen, dass die von den durch ihre Körpergröße berühmten Suetiden<br />

abstammenden Dänen die Eruler – „wiewohl diese an Wuchs die größten Menschen<br />

auf ganz Skandza sind“ – aus ihren eigenen Wohnsitzen verdrängt hätten o<strong>der</strong> aber<br />

an<strong>der</strong>erseits, dass die die Eruler verdrängenden Dänen von den Suetiden abstammen,<br />

den an Wuchs größten Menschen auf ganz Skandza.<br />

Schwerer als die Frage, wer nun die Größten in ganz Skandza waren, wiegt jedoch,<br />

dass <strong>der</strong> Zeitpunkt <strong>der</strong> dänischen Westwan<strong>der</strong>ung und einer etwaigen Verdrängung <strong>der</strong><br />

Eruler ein Problem darstellt. Während früher das Auftauchen <strong>der</strong> Eruler am Schwarzen<br />

Meer im 3. Jahrhun<strong>der</strong>t mit diesem Ereignis erklärt wurde, setzte sich seit <strong>der</strong> Arbeit<br />

252 Jordanes, Getica IV, 25.<br />

253 Schmidt, Ostgermanen, 83.<br />

254 Zu Prokop siehe oben 37.<br />

255 Zu Jordanes siehe oben 38f.<br />

256 Prokop, Gotenkriege II, 14.<br />

257 Jordanes, Getica XXIII, 117.


48 48<br />

von Lauritz Weibull 258 die Auffassung durch, dass Jordanes seine Erzählung auf die<br />

jüngste Vergangenheit bezieht und das Ereignis daher um 500 n. Chr. anzusiedeln<br />

wäre. 259 Von dieser Zeit an wären die nordischen Eruler aus <strong>der</strong> Geschichte<br />

verschwunden und Dänen als Wikinger in Westeuropa aufgetreten. 260<br />

Die These, dass die Eruler von den aus Südschweden eindringenden Dänen – wann<br />

auch immer – von den Inseln verdrängt wurden, wurde jedoch von einigen Autoren<br />

grundsätzlich in Frage gestellt. Während Much sich noch für Seeland und an<strong>der</strong>e<br />

dänische Inseln als Heimat <strong>der</strong> Eruler entscheidet, sehen sie Rappaport 261 und Schmidt<br />

in Südschweden, konkret in den Landschaften Halland, Småland, Schonen und<br />

Blekinge 262 , Demougeot in Halland. 263<br />

Noch weiter geht Alvar Ellegård. Er bezweifelt überhaupt die These vom<br />

skandinavischen Ursprung <strong>der</strong> Eruler, da es keinen eindeutigen Beweis für eine<br />

skandinavische Herkunft <strong>der</strong> Eruler gebe. Selbst in <strong>der</strong> Hauptquelle, dem<br />

Geschichtswerk Prokops, fände man keinen Rückhalt für diese Annahme. Hinter <strong>der</strong><br />

Idee <strong>der</strong> Rückkehr <strong>der</strong> Eruler nach ihrer Nie<strong>der</strong>lage gegen die Langobarden vermutet<br />

er eine Beeinflussung durch Jordanes. 264<br />

Aufgrund dieser Unklarheiten in den schriftlichen Quellen wird in jüngster Zeit immer<br />

häufiger versucht, mit Hilfe <strong>der</strong> archäologischen Befunde mehr Licht in die Frage <strong>der</strong><br />

südskandinavischen Herkunft <strong>der</strong> Eruler zu bringen. 265 Grundsätzlich ist in <strong>der</strong><br />

römischen Kaiserzeit für diesen Raum von <strong>der</strong> Kontinuität kleinräumiger Gruppen<br />

auszugehen. Goldhortfunde und fürstliche Bestattungen <strong>der</strong> römischen Kaiserzeit und<br />

<strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit in Jütland und auf den dänischen Inseln zeigen aber auch<br />

das Entstehen von Bewegungen auf, die von Ost nach West verlaufen. So genannte<br />

„Reichtumszentren“ verdeutlichen beachtliche Handelskontakte <strong>zur</strong> römischen Welt<br />

und wi<strong>der</strong>spiegeln eine zunehmend stärker sozial geglie<strong>der</strong>te Gesellschaft. Es<br />

258<br />

Vgl. dazu Schmidt, Ostgermanen, 548 Anm 6; Brandt, Heruli, 6. Sources and Critics.<br />

259<br />

Schmidt, Ostgermanen, 548 bezeichnet die Angabe <strong>des</strong> Jordanes als „nicht ohne Grund angezweifelt“<br />

und verweist auf Weibull.<br />

260<br />

Wessén, Dänen, 176.<br />

261<br />

Rappaport, Heruli, 1151.<br />

262<br />

Schmidt, Ostgermanen, 548f.<br />

263<br />

Demougeot, Formation 1, 419.<br />

264<br />

Ellegård, Eruli, 12f.<br />

265<br />

Vgl. dazu insbeson<strong>der</strong>e Brandt, Heruls, passim.


49 49<br />

kristallisieren sich dabei unterscheidbare Traditionen in Jütland, auf Fünen und<br />

Seeland bzw. in Südschweden heraus.<br />

Im Süden Jütlands lässt sich archäologisch <strong>der</strong> recht homogene Over Jerstal-Kreis für<br />

die Zeit von 50 v. Chr. bis zum Beginn <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts nachweisen, für den eine<br />

stark hierarchisch geprägte Gesellschaft charakteristisch war, an <strong>der</strong>en Spitze<br />

Kleinfürsten standen, <strong>der</strong>en Gräber den exklusiven Zugang zu römischen Importgütern<br />

aufweisen. Im 3. Jahrhun<strong>der</strong>t brachen im Osten und Süden Jütlands unruhigere Zeiten<br />

aus, was zum Bau von Befestigungsanlagen (Olgerdiget) zwischen dem jütischen und<br />

anglischen Siedlungsgebiet führte. 266<br />

Auf Ost-Fünen finden sich Grablegen, die auf Reichtumszentren hinweisen, die sich<br />

jedoch deutlich von den seeländischen „Fürstengräbern“ unterscheiden. Sie stehen<br />

dagegen im Fundgut mit Südost-Europa in Verbindung. 267 Die gilt sowohl für das<br />

zwischen 200 und 550 n. Chr. belegte Gudme, das Übergänge <strong>zur</strong> Wikingerzeit<br />

aufweist, 268 als auch für Årslev, Brangstrup und Hågerup in <strong>der</strong> 1. Hälfte <strong>des</strong> 3.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts. 269<br />

Auch in Südost-Seeland kam es im 3. und 4. Jahrhun<strong>der</strong>t zu einer auffälligen<br />

Konzentration von charakteristischen Fürstengräbern o<strong>der</strong> Häuptlingsgräbern, von<br />

denen Stevns das bedeutendste ist. 270 Die Funde von römischen Münzen, Bronze- und<br />

Glaserzeugnissen beweisen das Vorhandensein von Reichtumszentren mit engen<br />

Verbindungen zum Römischen Reich. Dass die Zahl <strong>der</strong> Fürstengräber auf Seeland<br />

sehr hoch und die Übergänge zu normalen Bestattungen häufig gleitend sind, 271 könnte<br />

auch darauf hindeuten, dass es sich nicht unbedingt um Fürstengräber handelt, son<strong>der</strong>n<br />

um Familienoberhäupter bzw. kriegerische Gefolgsherrn, die durch Handel und<br />

Kriegsdienste wohlhabend geworden sind. Dabei ist auch zu bedenken, dass sich<br />

266<br />

Hoffmann, Dänemark, 166f.<br />

267<br />

Lund Hansen, Hågerup, 352.<br />

268<br />

Stocklund, Gudme, 143.<br />

269<br />

Vgl. Lund Hansen, Römische Kaiserzeit, 104; Ders, Hågerup, 352.<br />

270<br />

Das zweite Fürstengrabzentrum <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts findet sich in Mitteldeutschland, sie könnten auf<br />

die Führungsschicht suebischer Kriegerverbände <strong>zur</strong>ückgehen, die Träger <strong>der</strong> elbgermanischen Expansion waren<br />

(Vgl. dazu Timpe, Germanen, 198). Wenn auch ähnliche soziale und kulturelle Voraussetzungen gegeben sein<br />

könnten, sind die Beziehungen zwischen den beiden Zentren unklar. Vgl. dazu Gebühr, Fürstengräber, 193.<br />

271 Ebda.


50 50<br />

Prestigegüter nicht notwendiger Weise in Gräbern <strong>der</strong> Gefolgsherren, son<strong>der</strong>n in den<br />

Bestattungen <strong>der</strong> nächst ranghohen Gefolgsleute finden. 272<br />

Was die ethnische Dynamik auf dem Boden Schonens, <strong>der</strong> dänischen Inseln und<br />

Jütlands ab dem 3. Jahrhun<strong>der</strong>t betrifft, so ist nach dem gegenwärtigen Stand <strong>der</strong><br />

Forschung ein Zusammenwachsen von kleineren Verbänden „aus <strong>der</strong> Unruhe <strong>der</strong><br />

Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit heraus, die auch den Norden Europas erfasste“, anzunehmen. 273<br />

Für das 5. Jahrhun<strong>der</strong>t lässt sich schließlich zumin<strong>des</strong>t in Dänemark ein deutlicher<br />

Bevölkerungsrückgang nachweisen, bei kultureller Kontinuität <strong>der</strong> <strong>zur</strong>ückbleibenden<br />

Bevölkerung. 274 Es dürfte also in diesem Jahrhun<strong>der</strong>t zu einer Abwan<strong>der</strong>ung<br />

gekommen sein. Ob diese Abwan<strong>der</strong>ung nur nach Westen (Britannien) gerichtet war<br />

o<strong>der</strong> in einem nennenswerten Ausmaß auch nach Süden/Südosten, lässt sich nicht<br />

sagen. 275 Die nachfolgende dänische Reichsbildung geschah jedenfalls in einer<br />

Stoßrichtung von Ost nach West. Im Sinne <strong>der</strong> Theorie von den Traditionskernen wird<br />

man also von einer dänischen Ethnogenese sprechen können, <strong>der</strong>en Traditionskern von<br />

kriegerischen Gefolgschafts-Verbänden gestellt wurde, die sich von Schonen nach<br />

Westen bewegten und die dort vorhandenen (noch) kleinen Gruppen und<br />

Stammessplitter integrierten. 276 Die dabei zunehmende Bedeutung von Fürstensitzen<br />

wird in <strong>der</strong> dänischen Forschung als Ausgangspunkte für erste Reichsbildungen<br />

gedeutet. 277<br />

In den genannten „Reichtumszentren“ lässt sich ein bemerkenswert intensiver<br />

Austausch von Sachgütern mit <strong>der</strong> Ukraine und dem Donauraum nachweisen. Die<br />

Verbindungen zwischen <strong>der</strong> Ostsee und dem Schwarzen Meer (bzw. dem Asovschen<br />

Meer) über die Flussläufe und zwischen <strong>der</strong> Ostsee und dem mittleren Donaugebiet<br />

entlang <strong>der</strong> Bernsteinstraße gehen weit <strong>zur</strong>ück. Sie schaffen traditionelle Achsen für<br />

die Mobilität von Menschen, von Händlern und Kriegern, von <strong>der</strong>en Waren und<br />

Kulturen, die vom Neolithikum bis zu den warägischen Gründungen im Mittelalter<br />

andauerte. 278<br />

272<br />

Steuer, Gefolgschaft, 548.<br />

273<br />

Hoffmann, Dänemark, 148.<br />

274<br />

Hoffmann, Dänemark, 168.<br />

275<br />

Vgl. Becker, Dänemark, 168.<br />

276<br />

Vgl. Hoffmann, Dänemark, 148.<br />

277<br />

Vgl. Steuer, Fürstensitze, 226f.<br />

278<br />

Vgl. dazu insbeson<strong>der</strong>e Kaliff, Connections.


51 51<br />

Derartige Kontakte sind kein Phänomen <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit, denn bereits in<br />

den vorchristlichen Jahrhun<strong>der</strong>ten sind solche Bezüge deutlich, wie die Verbreitung<br />

von Kronenhalsringen – das sind Scharnierringe mit Zacken an <strong>der</strong> Oberseite, wodurch<br />

sie an Kronen erinnern – deutlich macht. Nachweise sind aus Dänemark,<br />

Norddeutschland, Polen, Rumänien und <strong>der</strong> Ukraine publiziert und werden in einen<br />

ostkeltischen bzw. bastarnisch-skirischen Zusammenhang gestellt. 279 In den ersten<br />

nachchristlichen Jahrhun<strong>der</strong>ten finden sich identische Halsringtypen in <strong>der</strong> Ukraine<br />

ebenso wie in Dänemark, Südschweden und Gotland. 280<br />

Auch Fibelformen <strong>der</strong> Römischen Kaiserzeit zeigen die Verbindungen entlang <strong>der</strong><br />

durch die NW-SO-gerichteten Flussläufe gebildeten Achse Ostsee-Schwarzmeergebiet<br />

auf. 281 Gusshenkelkrüge finden sich vereinzelt in Skandinavien, im 3. und 4.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t in <strong>der</strong> südlichen Ukraine, vor allem auf <strong>der</strong> Halbinsel Kerč und später (im<br />

5. Jahrhun<strong>der</strong>t) in Ungarn sowie schließlich in einem Grabfund in einer Schottergrube<br />

in Wien/Leopoldau. 282 Halbmondförmige Eimerbeschläge 283 und das Vorkommen von<br />

Hemmoorer Eimern und Holz-Eimern mit Glasbeigabe 284 sind ebenso über den<br />

genannten Raum verbreitet. Die Kontakte zwischen Südskandinavien und <strong>der</strong><br />

(gotischen) Sântana-de-Mureş-Černjachov-Kultur 285 werden u.a. durch<br />

südskandinavische Rosettenfibeln, berlockförmige Bernsteinperlen, Eisenkämme und<br />

an<strong>der</strong>e südskandinavische Kammtypen verdeutlicht. 286 Umgekehrt stammen zahlreiche<br />

Funde in SO-Fünen aus dem Schwarzmeergebiet wie etwa halbmondförmige<br />

Anhänger <strong>des</strong> Hortes von Brangstrup. 287<br />

Auch die – ursprünglich sarmatische – ostgermanische Idee <strong>der</strong> Fenstergefäße fand<br />

über diese Handels- und Wan<strong>der</strong>ungsachse ihren Weg in nordgermanisches und<br />

279<br />

Müller, Kronenhalsringe, 392–394.<br />

280<br />

Kazanski, Schwarzes Meer, 431.<br />

281<br />

Godłowski, Fibel, 484f, 490, weist darauf hin, dass für die Genese <strong>der</strong> Fibeln mit umgeschlagenem<br />

Fuß ihr Ursprung aus dem Dnjeprgebiet bzw. dem Schwarzmeerraum kaum mehr zweifelhaft sei. Sie sind von<br />

diesem Raum ausstrahlend ganz am Anfang <strong>der</strong> jüngeren RKZ im östlichen Mitteleuropa nachweisbar (485f).<br />

282<br />

Mitscha-Märheim, Jahrhun<strong>der</strong>te, 42f.<br />

283 Steuer, Eimer, 587f.<br />

284 Ebda, 590.<br />

285<br />

Der Name dieser Kultur ist durch zwei geographisch weit auseinan<strong>der</strong>liegende Leitfunde (in<br />

Siebenbürgen bzw in <strong>der</strong> Nähe von Kiew) bestimmt, die mit West- bzw Ostgoten identifiziert werden. Siehe<br />

dazu Ioniţă, Sântana-de-Mureş-Černjachov-Kultur, 445-455.<br />

286<br />

Lund Hansen, Römische Kaiserzeit, 104.<br />

287 Ebda.


52 52<br />

nordseegermanisches Gebiet. 288 Fenstergefäße finden sich zuletzt auch in <strong>der</strong> Olstejn-<br />

Kultur, die früher mit nach Norden rückwan<strong>der</strong>nden Germanen verbunden wurde und<br />

nun baltischen gentes in den Masuren zugeordnet wird. 289<br />

Alle diese Befunde machen deutlich, dass die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen<br />

Skandinavien und dem Süden bzw. Südosten Europas kaum überschätzt werden<br />

können, sie bringen jedoch keine unmittelbar für die Beantwortung <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong><br />

Herkunft <strong>der</strong> Eruler verwertbaren Ergebnisse. Es stellt sich vor allem das Problem, ob<br />

bzw. wie mobilen Krieger- und Händlerverbänden „die Mobilisierung sesshafter<br />

Bevölkerungsgruppen gelang, wie sich etwa <strong>der</strong> Übergang von Beutezug zu<br />

Landnahmebewegung abspielte.“ 290 Derartige Mobilisierungen mussten keine<br />

Massenbewegungen darstellen, son<strong>der</strong>n konnten durch verhältnismäßig kleine<br />

Gruppen in Gang gesetzt werden, denn „Skandinavien exportierte keine Massen von<br />

Heeren und Völkern, son<strong>der</strong>n vielmehr hervorgehobene sakrale Traditionen, die weite<br />

Strecken überwinden konnten, entwe<strong>der</strong> mit kleinen Traditionskernen, o<strong>der</strong> noch<br />

häufiger ohne direkte Vermittlung.“ 291<br />

Die Art und Weise <strong>des</strong> Auftauchens <strong>der</strong> Eruler sowohl im Westen als auch im Osten<br />

<strong>des</strong> Imperium Romanum erinnert schließlich vor<strong>der</strong>gründig an die Wikinger:<br />

„Die Expansion skandinavischer Krieger, Kaufleute und in <strong>der</strong> Folge landnehmen<strong>der</strong><br />

Gruppen an die südliche und östliche Ostseeküste, aber auch ins Innere Russlands<br />

verbinden Nordgermanen mit dem übrigen Europa. Wenn auch die Intensität bzw. die<br />

Zahl <strong>der</strong> daran beteiligten Menschen noch diskutiert wird, so bieten diese Expansionen<br />

<strong>der</strong> Wikingerzeit aus dem Norden ein Modell, wie um Chr. Geb. o<strong>der</strong> in den Jh. zuvor<br />

skand. Gruppen in den Süden gezogen sein können, wobei die Träger dieser<br />

Elitegruppen Namen wie Burgunden, Wandalen, Heruler, Langobarden, Goten trugen<br />

und als Traditionskerne diese für weitere Ethnogenesen transportiert haben könnten<br />

(sofern sich in diesen Mythen nicht nur Konstruktionen <strong>der</strong> Historiker <strong>des</strong> 6./7. Jh.s<br />

spiegeln) ...“ 292<br />

Auch auf die Vertrautheit <strong>der</strong> Eruler mit <strong>der</strong> Seeschifffahrt wird immer wie<strong>der</strong><br />

verwiesen. 293 Dazu ist zweierlei zu sagen.<br />

Erstens muss beachtet werden, dass in dieser Zeit von mit Paddeln und Ru<strong>der</strong>n<br />

angetriebenen Schiffen <strong>der</strong> Eisenzeit auszugehen ist. Der älteste Fund eines<br />

288 Häßler, Fenstergefäße, 379f.<br />

289 Zur Olstejn-Kultur siehe unten 51.<br />

290 Timpe, Germanen, 202.<br />

291 Wolfram, Origo, 33.<br />

292 Steuer, Nordgermanen, 286f.<br />

293 Schmidt, Ostgermanen, 548.


53 53<br />

seegängigen, mit überlappenden Planken gebauten Schiffes, das dänische<br />

Hjortspringboot, stammt von 300 v. Chr. 294 Dieser Typ war also im 3. nachchristlichen<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t längst vertraut und stand daher auch für etwaige „erulische“ Beutezüge<br />

entlang den Küsten in Ost und West <strong>zur</strong> Verfügung. Während sie im Westen in kleinen<br />

Gruppen die Küsten unsicher machten, müssten sie, um die im 3. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

genannten Siedlungsräume zu erreichen, den Weg entlang <strong>der</strong> Flüsse gegangen sein,<br />

den Jahrhun<strong>der</strong>te später die Waräger genommen haben. Mit Mast und Segel waren<br />

skandinavische Schiffe jedoch erst seit dem 6./7. Jahrhun<strong>der</strong>t, also nach <strong>der</strong> „Eruler-<br />

Zeit“, ausgestattet, die großen Wandlungen in Konstruktion und Bauweise <strong>der</strong> Schiffe,<br />

die zu den bekannten „Wikinger-Schiffen“ führten, vollzogen sich überhaupt erst ab<br />

dem 9. Jahrhun<strong>der</strong>t. 295<br />

Zweitens scheinen trotz einer gewissen Vertrautheit <strong>der</strong> Eruler mit dem Meer große<br />

Unternehmungen über See noch mit Schwierigkeiten verbunden gewesen zu sein. So<br />

gesehen ist es nicht verwun<strong>der</strong>lich, dass die Völker im Norden <strong>des</strong> Schwarzen Meeres<br />

hinsichtlich ihrer „Seetüchtigkeit“ zunächst auf die Schiffe (und Mannschaften?) <strong>des</strong><br />

von ihnen eroberten Bosporanischen Reiches angewiesen waren. 296<br />

Es ist noch auf die Frage zu verweisen, ob sich auch gentile Gruppen mit an<strong>der</strong>en<br />

ethnischen Bezeichnungen aus dem südskandinavischen Raum auf den Weg nach<br />

Südosten gemacht haben. In dem gegen Ende <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts verfassten Periplus<br />

Ponti Euxini <strong>des</strong> Pseudo-Arrian 297 wird ein gotisch sprechen<strong>der</strong> Stamm namens<br />

„Eudousianoi“ an <strong>der</strong> kaukasischen Küste <strong>des</strong> Schwarzen Meeres genannt. Der<br />

Volksname „Eudousianoi“ wird mit den bei Tacitus unter den an <strong>der</strong> Ostsee<br />

wohnenden sieben Nerthusstämmen erwähnten „Eudusen“ 298 in Verbindung gebracht,<br />

die wie<strong>der</strong>um mit den bei Caesar in <strong>der</strong> Aufzählung <strong>der</strong> mit Ariovist verbündeten<br />

Stämmen genannten Sedusii 299 zusammenhängen dürften. 300 Derselbe Volksname<br />

294 Simek, Wikinger, 16.<br />

295 Crumlin-Pe<strong>der</strong>sen, Wikingerschiffe, 111.<br />

296 Siehe unten 69.<br />

297 Flavius Arrianus, Periplus Ponti Euxini, 182, nr. XLII § 22 (ed. with introd., transl. and commentary<br />

by Aidan Liddle, London 2003).<br />

298 Tacitus, Germania, c. 40.<br />

299 Caesar, De bello Gallico, I, 51.<br />

300 Wolfram, Goten, 32; Wenskus, Stammesbildung; Schmidt, Ostgermanen, 549f.


54 54<br />

taucht in Varianten bei Orosius (Eduses, Edures, Eudures) 301 und bei Ptolemaios<br />

(Phoundousioi) 302 auf. Es ergeben sich mit diesem Volksnamen einige Probleme, seine<br />

Etymologie ist umstritten, er wird meist von „<strong>zur</strong> Jungmannschaft gehörend“<br />

hergeleitet. 303 Wenskus weist in diesem Zusammenhang auf die Parallele zum<br />

Juthungen-Namen hin, E. Schwarz sah überhaupt die Juthungen als die Nachkommen<br />

<strong>der</strong> Eudusen im Heer <strong>des</strong> Ariovist an. 304 Eine weitere Verbindung mit den<br />

Volksnamen Eutii bzw. Eucii, die nach Jütland verweisen würde – so spricht Schmidt<br />

von <strong>der</strong> Abwan<strong>der</strong>ung von Jüten zum Schwarzen Meer – ist in <strong>der</strong> Literatur eher<br />

umstritten. 305 Wie dem auch sei, <strong>der</strong> Hinweis auf die „gotisch“ sprechenden<br />

Eudusianer an <strong>der</strong> Ostküste <strong>des</strong> Schwarzen Meeres lässt jedenfalls die gentile Vielfalt<br />

von zumin<strong>des</strong>t teilweise germanischen Gruppen im Südosten größer erscheinen und<br />

erhöht damit die Wahrscheinlichkeit dort befindlicher erulischer Traditionskerne.<br />

Man kann das Kapitel über einen möglichen südskandinavischen Ursprung <strong>der</strong> Eruler<br />

nicht abschließen, ohne auf das beachtliche archäologisch fassbare kulturelle<br />

Beziehungsnetz Skandinaviens auch zum Donauraum vor allem im 5. und 6.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t zu verweisen. Es konnte durchaus von jenem Teil <strong>der</strong> Donau-Eruler zu<br />

Beginn <strong>des</strong> 6. Jahrhun<strong>der</strong>ts genutzt worden sein, <strong>der</strong> laut Prokop nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage<br />

gegen die Langobarden den Weg nach Norden genommen hat. Auf die archäokulturellen<br />

Beziehungen zwischen Donauraum und Skandinavien ab dem Beginn <strong>des</strong><br />

6. Jahrhun<strong>der</strong>t muss später eingegangen werden, da sich dahinter auch die Frage nach<br />

einem archäologischen Nachweis <strong>der</strong> bei Prokop erwähnten erulischen<br />

Nordwan<strong>der</strong>ung verbirgt. 306<br />

Zusammenfassend lässt sich hinsichtlich einer skandinavischen Abkunft <strong>der</strong> Eruler<br />

sagen, dass eine letzte Unsicherheit nicht ausräumbar zu sein scheint. Es spricht doch<br />

Einiges dafür, dass <strong>der</strong> Name Eruler von kleinen Traditionskernen, gebildet von<br />

Kriegerscharen <strong>des</strong> Nordens, benutzt wurde. Sie kamen von den nur wenige<br />

Unterschiede aufweisenden kleinräumigen gentilen Gesellschaften <strong>der</strong> dänischen<br />

301<br />

Paulus Orosius, Historiarum adversus paganos VI, 7 (hg. und mit einem krit. Kommentar versehen von<br />

Karl Zangemeister, Wien 1882, Reprograf. Nachdr. Hil<strong>des</strong>heim 1967).<br />

302<br />

Ptolemaios, 2, 11, 7.<br />

303<br />

Siehe Neumann, Eudusii, 618ff.<br />

304<br />

Schwarz, Stammeskunde 1956, 174.<br />

305<br />

Vgl. Neumann, Eudusii, 619; Eggers, Jüten, 93f.<br />

306 Siehe unten 118.


55 55<br />

Inseln, aus Südschweden, möglicherweise auch aus Norwegen. Sei wiesen eine<br />

gewisse Vertrautheit mit küstennaher Schifffahrt auf und setzten sich auf <strong>der</strong> Krim und<br />

um die Maeotis fest, wo sie einen engen Kontakt mit sarmatisch-alanischen Gruppen<br />

aufnahmen. Man wird dabei auch nicht völlig ausschließen können, dass diese kleinen<br />

Gruppen aus dem südskandinavischen Raum erst im Zuge <strong>des</strong> Ausgreifens nach dem<br />

Süden, ob als Piraten, Händler, Krieger o<strong>der</strong> schließlich auch als Emigranten, als<br />

kollektive Selbstbezeichnung den „Gattungs“-Namen „Eruler“ angenommen haben.


7 Die West-Eruler<br />

56 56<br />

Von Erulern im Westen hören wir erstmals in den zwei, einem gewissen Mamertinus<br />

zugeschriebenen Festreden, die in Trier vor dem dort residierenden Kaiser<br />

Maximianus gehalten wurden. 307<br />

In <strong>der</strong> ersten Rede, einer Festrede auf Kaiser Maximianus vom 21. April 289, wird <strong>der</strong><br />

im Jahre 286 von Maximianus unterdrückte Aufstand <strong>der</strong> Bagauden in Gallien und <strong>der</strong><br />

darauf folgende Barbareneinfall durch Burgundionen und Alamannen, Chaibonen 308<br />

und Eruler behandelt. Während <strong>der</strong> Bagaudenaufstand auf Anordnung Maximians<br />

durch den Abtransport <strong>der</strong> Lebensmittelvorräte in die befestigten Städte beendet<br />

werden konnte, wollte <strong>der</strong> Kaiser die Chaibonen und Eruler „nicht durch den gleichen<br />

listigen Plan vernichten“, und diese in offenem Kampf und durch einen einzigen<br />

Angriff besiegen. Er brauchte „nicht das ganze Heer … son<strong>der</strong>n nur wenige<br />

Kohorten“, um „sämtliche Chaibonen und sämtliche Heruler so vernichtend“ zu<br />

schlagen, „dass von ihrem Untergang ihren daheim gebliebenen Frauen und Müttern<br />

kein Flüchtling, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Schlacht entronnen wäre, son<strong>der</strong>n allein <strong>der</strong> Ruhm (seines)<br />

Sieges die Kunde brachte.“ 309 Chaibonen und Eruler werden in diesem Text als „<strong>der</strong><br />

Kraft nach die ersten, den Wohnsitzen nach die am entferntesten Wohnenden unter<br />

den Barbaren, bezeichnet“. 310 Aus diesem Text geht zweierlei hervor. Erstens waren<br />

Chaibonen und Eruler – auch wenn loci ultimi als rhetorischer topos zu werten ist –<br />

jedenfalls von weiter hergekommen als Burgundionen und Alamannen und<br />

höchstwahrscheinlich über das Meer. Zweitens dürfte es sich, wie bei Piraten nicht<br />

an<strong>der</strong>s zu erwarten, bei Chaibonen und Erulern um relativ kleine Gruppen gehandelt<br />

haben. Dass die Eruler dabei über See von loci ultimi gekommen waren, ist jedenfalls<br />

plausibler als die These Ellegårds, dass es sich um Eruler aus dem an Raetien und<br />

Noricum angrenzenden Barbaricum gehandelt hätte. Gegen die Auffassung Ellegårds<br />

spricht nicht nur die Erwähnung <strong>der</strong> Eruler in an<strong>der</strong>en Quellen als Piraten, son<strong>der</strong>n er<br />

307<br />

Siehe oben 32f.<br />

308<br />

Der Name <strong>der</strong> Chaibonen taucht nur in diesen beiden Festreden auf. Es handelt sich wahrscheinlich<br />

um eine preisende Selbstbezeichnung mit <strong>der</strong> Bedeutung „die Kampflustigen, Streitbaren“ (Vgl. Neumann,<br />

Chaibonen, 364). Die Herkunft <strong>der</strong> chaibonischen Kriegerscharen ist umstritten, meist wird sie auf <strong>der</strong><br />

kimbrischen Halbinsel bzw. den dänischen Inseln vermutet (Vgl. Wenskus, Chaibonen, 364), was eine<br />

Nachbarschaft zu den möglichen Ursprungsitzen <strong>der</strong> Eruler bedeuten würde.<br />

309 Zu Mamertinus siehe oben 32. Der Text <strong>der</strong> Reden ist abgedruckt bei Herrmann, Quellen, 373.<br />

310 Ebda, 371.


57 57<br />

muss auch davon ausgehen, dass Raetien und Noricum von Mamertinus zu den<br />

gallischen Provinzen gezählt werden. 311<br />

Die anschließende Geburtstagsrede für Kaiser Maximianus enthält zunächst eine<br />

Rekapitulation <strong>der</strong> vorigen Rede und Berichte von weiteren Auseinan<strong>der</strong>setzungen mit<br />

Germanen:<br />

„Der Lorbeer, <strong>der</strong> er (d.h. Diocletianus) mit seinen Siegen über die Völker, welche<br />

Syrien zum Nachbar haben, gewann, und seine Siege in Rätien und Sarmatien haben<br />

dich, Maximianus, an seinem Triumph mit brü<strong>der</strong>licher Freude teilnehmen lassen.<br />

Ebenso haben in unserer Gegend die Vernichtung <strong>des</strong> Stammes <strong>der</strong> Chaibonen und<br />

Heruler sowie <strong>der</strong> Sieg jenseits <strong>des</strong> Rheins und die Unterdrückung <strong>der</strong> Piratenkriege<br />

durch die Unterwerfung <strong>der</strong> Franken Diocletianus die Erfüllung seiner Wünsche<br />

gebracht.“ 312<br />

Im 4. Jahrhun<strong>der</strong>t saßen Eruler offenbar an <strong>der</strong> Nordseeküste. Ammianus Marcellinus<br />

berichtet mehrfach und immer im Zusammenhang mit Batavern von erulischen<br />

Hilfstruppen (res gestae XX, 1. 3; XX, 4, 2; XXVII, 1, 6; XXVII, 8, 7). 313 Beson<strong>der</strong>s<br />

bemerkenswert ist die Stelle, wo Kaiser Constantius II. von dem Caesar und späteren<br />

Kaiser Julian verlangt, die besten Truppen aus Gallien in den Osten zu senden, um sie<br />

an <strong>der</strong> parthischen Front einzusetzen. Als beste Truppen Julians werden an erster<br />

Stelle Eruler und Bataver genannt. 314 Julian versuchte sich dem Befehl <strong>des</strong> Kaisers zu<br />

entziehen, indem er darauf hinwies, dass den Hilfstruppen von jenseits <strong>des</strong> Rheins<br />

zugesichert worden wäre, nicht jenseits <strong>der</strong> Alpen eingesetzt zu werden, 315 und dass<br />

überdies Eruler und Bataver wegen eines Einsatzes gegen aufständische Pikten und<br />

Skoten nicht zu Verfügung stünden. 316 Einige Jahre später erwähnt Ammianus<br />

Marcellinus noch einmal den Einsatz von Erulern in Britannien, als diese unter<br />

Theodosius <strong>zur</strong> Nie<strong>der</strong>werfung eines Aufstan<strong>des</strong> eingesetzt werden. 317<br />

Einerseits stellten also die Eruler zusammen mit den Batavern den Römern regelmäßig<br />

Hilfstruppen. An<strong>der</strong>erseits bedrohten sie – begünstigt durch den Zusammenbruch <strong>der</strong><br />

römischen Verwaltung bzw. Verteidigungskapazität bis in das 5. Jahrhun<strong>der</strong>t – die<br />

311 Ellegård, Eruli, 18f.<br />

312 Abgedruckt bei Herrmann, Quellen, 377.<br />

313 Zum hier erwähnten auxilium palatinum (numerus) Erulorum siehe Kap. 9.<br />

314 Ammianus Marcellinus, res gestae XX, 4, 2.<br />

315 Ammianus Marcellinus, res gestae XX, 4, 4.<br />

316 Ammianus Marcellinus, res gestae XX, 1, 3.<br />

317 Ammianus Marcellinus, res gestae XXVII, 8, 7.


58 58<br />

atlantischen Küsten durch Piratenzüge kleiner Gruppen, wie wir sie bei Hydatius<br />

geschil<strong>der</strong>t finden. 318<br />

Die oben zitierten Kosmographien 319 erwähnen die Eruler in zwei Fällen nur im<br />

Donauraum zwischen Markomannen und Quaden, in einem Fall werden sie sowohl im<br />

Donauraum als auch in Westeuropa angeführt: Der Laterculus Veronensis nennt die<br />

Eruler zweimal (XIII. 6 und 30):<br />

„Unter den barbarischen Stämmen, die an <strong>der</strong> Grenze <strong>des</strong> Reiches unter den<br />

(römischen) Kaisern mächtig wurden, werden genannt: Scoti, Picti, Calidoni, Rugi,<br />

Heruli, Saxones, Franci, Gallouari, Canari, Crinsiani, Amsiuari, Angri, Angriuari,<br />

Fleui, Bructeri, Cati, Burgunziones, Alamani, Sueui, Franci, Gallouari, Iotungi,<br />

Armilausini, Marcomani, Quadi, Taifruli, Hermundubi, Uandali, Sarmatae, Heruli,<br />

Rugi, Sciri, Carpi, Scitae, Taifruli, Gothi…“<br />

Man geht davon aus, dass diese Liste vor dem letzten Viertel <strong>des</strong> 4. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

verfasst worden ist, da die Hunnen darin noch keine Erwähnung finden und die Goten<br />

in <strong>der</strong> Aufzählung weit im Osten angesetzt werden. Die Eruler werden sowohl im<br />

Nordwesten zwischen Rugiern und Sachsen genannt, als auch an <strong>der</strong> Donau zwischen<br />

Markomannen, Quaden und Taifalen. Dies kann als Hinweis auf West- bzw.<br />

Ost/Donau-Eruler, aber auch als Hinweis auf die Verdächtigkeit <strong>des</strong> Textes gedeutet<br />

werden. Da aber die Doppelerwähnung von an<strong>der</strong>en Gruppen (Rugier, Franken und<br />

Taifalen) jeweils durchaus einen Sinn macht, muss die zweifache Erwähnung unter<br />

an<strong>der</strong>em <strong>der</strong> Eruler keineswegs eine Korruption <strong>des</strong> Textes sein. 320<br />

Zu Beginn <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts erwähnt <strong>der</strong> Kirchenvater Hieronymus 321 die Eruler. In<br />

einem Brief an eine junge Witwe aus <strong>der</strong> Gallia Narbonensis mit dem Namen<br />

Geruchia, die er von einer weiteren Eheschließung abhalten wollte, verwies er auf die<br />

Unsicherheit <strong>der</strong> politischen bzw. militärischen Lage in Gallien:<br />

„Über das Elend unserer Gegenwart will ich mich kurz fassen. Es ist nicht unser<br />

Verdienst, dass wir wenigen bislang noch übrig geblieben sind; das ist ein Werk <strong>der</strong><br />

Barmherzigkeit <strong>des</strong> Herrn. Eine Unzahl übermäßig wil<strong>der</strong> Stämme haben alle<br />

gallischen Provinzen in Besitz genommen. Alles Land zwischen Alpen und Pyrenäen,<br />

umschlossen vom Ozean und vom Rhein, haben Quaden, Vandalen, Sarmaten,<br />

Alanen, Gepiden, Heruler, Sachsen, Burgun<strong>der</strong>, Alamannen und – beklagenswertes<br />

Reich! – die pannonischen Feinde verwüstet. 322<br />

318 Siehe unten 59.<br />

319 In <strong>der</strong> Cosmographia Iulii Caesaris und im Liber Generationis, Vgl. oben 33f.<br />

320 So etwa bei Ellegård, Eruli, 22.<br />

321 Zur Person <strong>des</strong> Kirchenvaters siehe oben 35.<br />

322 Epist. 123, 7, 2-3.


59 59<br />

„Der Brief ist nach dem Sturz Stilichos (22.8.408), aber noch vor dem Einbruch <strong>der</strong><br />

Vandalen, Sueben und Alanen in Spanien (409) geschrieben worden.“ 323<br />

Als Fortsetzer <strong>des</strong> Hieronymus lässt Hydatius 324 seine Chronik mit dem Jahre 379<br />

beginnen. Er berücksichtigt zunächst das gesamte Reich, doch engt sich sein<br />

Gesichtskreis nach den Barbareneinbrüchen von 409 immer mehr auf seine engere<br />

Heimat und ihre Nachbargebiete ein. Deutlich spiegeln sich in seinem Werk die<br />

invasionsbedingten Leiden <strong>der</strong> Provinzialbevölkerung wi<strong>der</strong>. Die Chronik schließt mit<br />

dem Jahr 469. Hydatius beschreibt die Raubzüge <strong>der</strong> Eruler nach Spanien. Im Jahre<br />

455 landeten demnach eine Anzahl Leute vom Stamme <strong>der</strong> Eruler, etwa 400<br />

Leichtbewaffnete, mit 7 Schiffen an <strong>der</strong> Küste von Lucus (Lugo in Galicia). Die aus<br />

den Zahlenangaben zu erschließende Kapazität <strong>der</strong> Schiffe passt gut zum<br />

archäologischen Befund. 325 Durch den plötzlichen Angriff einer zusammengelaufenen<br />

Volksmenge wurden sie in die Flucht geschlagen, wobei aber nur zwei Mann aus ihrer<br />

Schar getötet wurden. Bei <strong>der</strong> Rückkehr in ihre Heimat plün<strong>der</strong>ten sie die<br />

Küstengegenden von Kantabrien und Verdullien. 459 suchten Eruler, die nach <strong>der</strong><br />

Baetica zogen, aufs grausamste einige Küstenstriche <strong>des</strong> Sprengels von Lucus heim.<br />

Das Erstarken <strong>der</strong> fränkischen Macht setzte dem Treiben <strong>der</strong> kleinen erulischen<br />

Piratenunternehmen ein Ende. 326 In ihrer Unabhängigkeit in Frage gestellt bemühten<br />

sich die Westeruler um 476 um die Freundschaft <strong>der</strong> Westgoten. Dafür geben die<br />

Briefe und Gedichte <strong>des</strong> Sidonius Zeugnis. 327 435/36 rühmt Sidonius die kriegerischen<br />

Leistungen <strong>des</strong> späteren Kaiser Avitus (455-456) als Unterfeldherr <strong>des</strong> Aëtius:<br />

„Denn nach dem Krieg gegen die Juthungen und in Noricum, nach Unterwerfung<br />

Vindelikiens befreite er, mit dir vereint, siegreich den Belger, den <strong>der</strong> trotzige<br />

Burgun<strong>der</strong> bedrängt hatte. Besiegt wird dort <strong>der</strong> Heruler im Lauf, <strong>der</strong> Hunne im<br />

Bogenschießen, <strong>der</strong> Franke im Schwimmen, <strong>der</strong> Sauromate im Gebrauch <strong>des</strong> Schil<strong>des</strong>,<br />

<strong>der</strong> Salier im Fußkampf, <strong>der</strong> Gelone im Gebrauch <strong>des</strong> Krummschwertes.“ 328<br />

Unter den im Text erwähnten Erulern versteht man allgemein die West-Eruler an <strong>der</strong><br />

Nordseeküste. Es ist allerdings nicht völlig ausgeschlossen, dass die Donau-Eruler<br />

323<br />

Herrmann, Quellen, 513.<br />

324<br />

Zur Person <strong>des</strong> Hydatius siehe oben 35.<br />

325<br />

Herrmann, Quellen, 557.<br />

326<br />

Schmidt, Ostgermanen, 558–560.<br />

327<br />

Zu Sidonius Apollinaris siehe oben 34f.<br />

328<br />

Sidonius Apollinaris, Carm. 7, 235.


60 60<br />

gemeint waren. 329 Ihre leichte Ausrüstung hebt auch Jordanes im Vergleich <strong>zur</strong><br />

schweren Panzerung <strong>der</strong> Alanen hervor. 330 Sidonius böte damit das von Schmidt 331<br />

vermisste Zeugnis für ihre Beteiligung an einem hunnischen Kriegszug. 332<br />

Eine weitere Erwähnung <strong>der</strong> Eruler findet sich in einem Brief <strong>des</strong> Sidonius an<br />

Lampridius:<br />

„Auch bleibt sogar dem Herrscher (d.h. Eurich) selbst wenig freie Zeit, während <strong>der</strong><br />

unterworfene Erdkreis ihn um Entscheide angeht. Hier sehen wir, wie <strong>der</strong> blauäugige<br />

Sachse, zuvor an das Meer gewöhnt, das Festland fürchtet; die Schere begnügt sich<br />

nicht damit, ihre Schnitte auf die obersten Spitzen <strong>des</strong> Scheitels zu begrenzen, son<strong>der</strong>n<br />

erhöht den Ansatz <strong>der</strong> Haare. So werden die Haare bis auf die Haut abgeschnitten; <strong>der</strong><br />

haarbedeckte Schädel wird verkürzt und das Gesicht verlängert. Hier erwartest du,<br />

greiser Sugambrer (d.h. Franke), dass von deinem nach deiner Nie<strong>der</strong>lage geschorenen<br />

Hinterkopf wie<strong>der</strong>um neue Haare auf deinen alten Nacken herabfallen. Hier geht <strong>der</strong><br />

blauäugige Heruler umher, <strong>der</strong> die äußersten Winkel <strong>des</strong> Ozeans bewohnt und beinahe<br />

die gleiche Farbe hat wie die algenreiche Meerflut. Der sieben Fuß große Burgun<strong>der</strong><br />

bittet hier häufig mit gebeugtem Knie demütig um Frieden.“ 333<br />

Der Brief wurde 476 geschrieben. Die Verse stammen aus einem in den Brief<br />

eingefügten Gedicht, das den Westgotenkönig Eurich verherrlicht. Durch seine<br />

Schmeicheleien will Sidonius seine Rückberufung auf den Bischofssitz in Clermont<br />

erwirken, den er nach <strong>der</strong> Eroberung <strong>der</strong> Stadt durch die Westgoten 475 hatte<br />

verlassen müssen.<br />

Einzelheiten <strong>der</strong> diplomatischen Missionen sind unbekannt, doch hat Eurich den<br />

Warnen, Thüringern und Erulern Unterstützung gewährt, also jenen Ethnien, die im<br />

Rücken <strong>der</strong> Franken saßen. Was also die Erwähnung <strong>des</strong> Erulers an Eurichs Hof<br />

betrifft, so wird man davon ausgehen müssen, dass er das Zusammenwirken von<br />

Westgoten und Erulern gegen die Franken vermitteln soll.<br />

Die West-Eruler werden in einem Schreiben Theo<strong>der</strong>ichs angesprochen, <strong>der</strong> bei ihnen,<br />

den Warnen und Thüringern um Unterstützung <strong>der</strong> Westgoten gegen die Franken<br />

wirbt. 334 Die Könige dieser Völker werden aufgefor<strong>der</strong>t, Theo<strong>der</strong>ich in seinem<br />

Bemühen zu unterstützen, den Frankenkönig Chlodwig <strong>zur</strong> Einstellung seiner<br />

Feindseligkeiten gegen den Westgotenkönig Alarich II. zu bewegen. Er erinnert sie<br />

329 Vgl. das <strong>zur</strong>ückhaltende Urteil von Rappaport, Heruli, 1153.<br />

330<br />

Jordanes, Getica L, 261.<br />

331<br />

Schmidt, Ostgermanen, 550.<br />

332<br />

Hermann, Quellen, 559.<br />

333<br />

Sidonius Apollinaris, Epist. 8, 9, 5, 31 – 33.<br />

334 Cassiodor, Variae III, 3.


61 61<br />

daran, dass die Westgoten sie gegen die Franken unterstützt hätten, und weist auf die<br />

drohende Gefahr <strong>der</strong> fränkischen Expansion hin. In diesem Schreiben ist auch von<br />

einem König <strong>der</strong> Eruler die Rede, allerdings dürfte dieser in den Augen Theo<strong>der</strong>ichs,<br />

wie die Formulierung <strong>des</strong> Schreibens zeigt, keinen hohen „diplomatischen“ Rang<br />

besessen haben. 335<br />

Danach findet sich keine Erwähnung <strong>der</strong> West-Eruler. Die Piraten aus dem Norden,<br />

die von den Franken im 6. und 7. Jahrhun<strong>der</strong>t durchaus abgewehrt werden konnten,<br />

werden als Sachsen, Dänen und Jüten bezeichnet. Im 9. Jahrhun<strong>der</strong>t bekam die<br />

Bedrohung aus dem Norden durch die Wikinger dann eine völlig neue Qualität.<br />

Bis zum Ende <strong>des</strong> 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts wurde auch die These vertreten, dass sich Ende <strong>des</strong><br />

5. o<strong>der</strong> Anfang <strong>des</strong> 6. Jahrhun<strong>der</strong>ts (West)Eruler in <strong>der</strong> Mark Brandenburg<br />

nie<strong>der</strong>gelassen hätten, was allerdings bereits von Schmidt <strong>zur</strong>ückgewiesen wurde. 336<br />

Allerdings unterstellt dies, dass es sich bei den Erulern um einen klassischen Stamm<br />

handelt. Wenn man allerdings, wie bereits oben angeführt, den Begriff „Eruler“ als<br />

einen bei skandinavischen bzw ostgermanischen Gruppen vorkommenden<br />

Eigenschaftsnamen von Kollektiven versteht, dann ist sein Auftauchen in<br />

verschiedenen Gebieten nicht weiter überraschend.<br />

335 Schmidt, Ostgermanen, 560.<br />

336 Schmidt, Ostgermanen, 560f.


8 Die Ost-Eruler am Schwarzen Meer<br />

8.1 Das dritte Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

62 62<br />

Auf die weit <strong>zur</strong>ückgehenden, auch archäologisch gut belegten Kontakte zwischen<br />

dem pontischen Raum und Skandinavien wurde bereits oben verwiesen. 337 In den<br />

schriftlichen Quellen werden im Pontusgebiet als Barbaren nördlicher Herkunft Ende<br />

<strong>des</strong> 3./Anfang <strong>des</strong> 2. Jahrhun<strong>der</strong>ts v. Chr. erstmals Skiren erwähnt. 338 Jahrhun<strong>der</strong>te<br />

später erfolgte die Wan<strong>der</strong>bewegung <strong>der</strong> Goten als Träger <strong>der</strong> Wielbark-Kultur entlang<br />

<strong>der</strong> Flussläufe in Richtung Pontusgebiet. Sie vollzog sich in mehreren Schüben, von<br />

denen zwei zum Ende <strong>des</strong> 2. Jahrhun<strong>der</strong>ts bzw. im Laufe <strong>des</strong> dritten Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

archäologisch nachgewiesen sind. 339 In <strong>der</strong> Folge zogen sich Alanen und Sarmaten<br />

nach Osten <strong>zur</strong>ück, und die griechischen Städte an den Flussmündungen wie Tyras<br />

(Dnjestr) und Olbia (Bug) gingen unter bzw. verloren an Bedeutung und wurden<br />

ihrerseits Ausgangspunkte <strong>der</strong> folgenden Überfälle barbarischer Streifscharen auf das<br />

Reichsgebiet.<br />

Diese Ereignisse am Schwarzen Meer müssen in einen weiteren Kontext gestellt<br />

werden. In <strong>der</strong> Mitte <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts bedrohen germanische Gruppen in Wellen<br />

entlang <strong>der</strong> Reichsgrenzen von <strong>der</strong> Rheinmündung bis zum Schwarzen Meer das in<br />

eine innere Krise geratene Imperium Romanum, bei dem <strong>der</strong> Limes abschnittweise<br />

geräumt wurde. 340<br />

Allgemein ist die Quellenlage für diese Zeit nicht wirklich gut, die „trümmerhafte<br />

Überlieferung <strong>des</strong> 3. Jh. n. Chr. ist oft beklagt worden.“ 341 Von Cassius Dio (ca. 230)<br />

bis Ammianus Marcellinus (ca. 380) sind keine umfassenden Geschichtswerke<br />

überliefert. Informationen erhalten wird von den Scriptores Historiae Augustae, 342 im<br />

Beson<strong>der</strong>en von den Viten <strong>der</strong> beiden Gallieni und Claudius II. Bei Eutropius 343 findet<br />

337 Siehe oben Kap. 6.<br />

338 Kazanski, Schwarzes Meer, 431.<br />

339 Kazanski, Schwarzes Meer, 431; Wolfram, Goten, 53.<br />

340 Hier ist auf einen 1992 in Augsburg gefundenen Siegesalter <strong>des</strong> Postumus zu verwiesen, <strong>der</strong> das<br />

Verhältnis <strong>der</strong> inneren zu den äußeren Ursachen <strong>des</strong> Limesfalls in einem neuen Licht erscheinen ließ. Vgl. dazu<br />

Schallmayer, Limesfall.<br />

341 Kettenhofen, Einfälle, 291.<br />

342 Siehe oben 31.<br />

343 Abriss <strong>der</strong> römischen Geschichte, IX, 8f (Eutropii breviarium ab urbe condita, hg. Otto Lendle und<br />

Peter Steinmetz, übersetzt von Friedhelm L. Müller, mit Einleitung und Anmerkungen, lateinisch-deutsch,<br />

Stuttgart 1995.


63 63<br />

sich lediglich <strong>der</strong> Hinweis, dass unter Gallienus Einbrüche entlang <strong>der</strong> gesamten<br />

Grenzen – für Griechenland, Mazedonien, Pontus und Kleinasien nennt er die<br />

Verwüstung durch die Goten – das römische Reich fast vernichtet hätten.<br />

Nicht nur die „politische Kontrolle <strong>der</strong> Römer über die Germania“ geriet im 3.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t außer Kontrolle, „son<strong>der</strong>n auch ihr ethnisches Orientierungsvermögen ins<br />

Schwanken. Die meisten <strong>der</strong> aus dem 1. Jahrhun<strong>der</strong>t bekannten Namen verschwinden.<br />

In <strong>der</strong> Regel ist nur pauschal von Germanen die Rede.“ 344 Es werden allerdings neue<br />

Gruppen erwähnt, die sich offensichtlich im Vorfeld <strong>des</strong> Imperiums<br />

zusammengeschlossen haben, wie etwa Sachsen, Franken und Alemannen. In zwei<br />

Fällen treten Gruppen gleichen Namens sowohl im Osten wie im Westen in das<br />

Blickfeld antiker Autoren. Es handelt sich um die schon länger bekannten<br />

Burgunden 345 und die neu auftretenden Eruler, wobei zwischen diesen beiden Gruppen<br />

auffällige Parallelen bestehen. Im Westen waren Burgunden und Eruler mit<br />

Alamannen und Chaibonen an einem Einfall in Gallien beteiligt, wie uns die beiden<br />

Festreden vor Kaiser Maximianus in Trier überliefern, die im Zusammenhang mit den<br />

West-Erulern bereits erörtert wurden. 346 Im Osten erlitten Burgunden zunächst eine<br />

verheerende Nie<strong>der</strong>lage gegen die Gepiden unter Fastida, über die Jordanes<br />

berichtet. 347 Es wird allgemein angenommen, dass sich die burgundischen Reste den<br />

Siegern angeschlossen hätten und mit diesen nach Südosten abgezogen seien. Es ist<br />

allerdings umstritten, ob die von Zosimus als Teilnehmer an Raubzügen gegen das<br />

Römische Reich erwähnten Urugunden mit Ost-Burgun<strong>der</strong>n zu identifizieren seien. 348<br />

Schmidt zieht den Schluss, dass Tanais an <strong>der</strong> Mündung <strong>des</strong> Don „von den<br />

Burgun<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> Herulern zerstört worden sein (dürfte)“. 349<br />

Die Beurteilung <strong>der</strong> Ereignisse im Osten <strong>des</strong> Reiches wird dadurch erschwert, dass die<br />

Quellen nur fragmentarisch überliefert sind. Vom Werk <strong>des</strong> Dexippos über die<br />

Germanen (skythika) sind nur 40 Fragmente erhalten. Auf das Werk <strong>des</strong> Dexippos sind<br />

aber die relativ umfangreichen Informationen bei späteren byzantinischen Autoren<br />

344<br />

Pohl, Germanen, 27.<br />

345<br />

Der Burgundennamen taucht bereits im 1. Jahrhun<strong>der</strong>t bei Plinius dem Älteren auf, wo sie als Teil <strong>der</strong><br />

Vandilier genannt werden (Vgl. Kaiser, Burgun<strong>der</strong>, 15).<br />

346<br />

Siehe oben 56.<br />

347<br />

Jordanes, Getica XVII, 97.<br />

348<br />

Schmidt, Ostgermanen, 210.<br />

349 Ebda.


64 64<br />

<strong>zur</strong>ückzuführen. 350 Zosimus berichtet über die Seeangriffe <strong>der</strong> Boranen auf und Goten<br />

und Boraner im Laufe <strong>der</strong> 50er Jahre <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts 351 und über ein großes<br />

Seeunternehmen übriggebliebener Skythen, Eruler, Peuken und Goten 268/69. 352 Ein<br />

zusammenhängen<strong>der</strong> Bericht über einen Seezug 267/68, an dem hauptsächlich Eruler<br />

beteiligt waren, ist bei Georgios Synkellos 353 und in den Viten <strong>der</strong> beiden Gallieni<br />

überliefert. 354 Die Vita <strong>des</strong> Claudius zählt die skythischen Völker – darunter auch die<br />

Eruler – auf, die nach einem großen Piratenzug von Claudius II. bekämpft und besiegt<br />

wurden. 355 Johannes Zonaras beschreibt die Ereignisse im Umfeld <strong>der</strong> Belagerung von<br />

Thessaloniki, welche die Barbaren bei Herannahen <strong>des</strong> Kaisers abgebrochen haben. 356<br />

Als Quelle kann auch die Kanonische Epistel <strong>des</strong> Gregorios Thaumaturgos 357<br />

herangezogen werden, in <strong>der</strong> dieser Gewissensfragen eines Bischofs angesichts <strong>der</strong><br />

Geschehnisse während <strong>der</strong> pontischen Beutezüge <strong>der</strong> Boranen und Goten 254<br />

erörtert. 358<br />

Die vorhandenen Quellen beschreiben folgen<strong>des</strong> Bild: Im Zuge <strong>der</strong> Reichskrise <strong>des</strong> 3.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts kam es im Nordwesten <strong>des</strong> Pontusgebietes laufend zu Überfällen <strong>der</strong><br />

entlang Pruth, Dnjestr, Bug und Dnjepr siedelnden Goten, die das Donaugebiet und<br />

Moesien bedrohten. Östlich davon, auf <strong>der</strong> Krim, an <strong>der</strong> Meerenge von Kerč und um<br />

die Maeotis war die militärische Lage noch schwieriger geworden. Das bosporanische<br />

Königreich als römischer Klientelstaat geriet zwischen Alanen und germanischen<br />

350<br />

Vgl. oben 31f.<br />

351<br />

Zosimus, 1, 31,2 – 35.<br />

352<br />

Zosimus, 1, 42, 1.<br />

353<br />

Georgios Synkellos, 717, 15–28.<br />

354<br />

SHA, Gallieni. Es ist hier jedoch an “die Diskussion um die Glaubwürdigkeit <strong>der</strong> Historia Augusta zu<br />

erinnern, um die sich auftürmenden Probleme zu erahnen.“ (Kettenhofen, Einfälle, 291).<br />

355<br />

„Denique Scytharum diversi populi, Peuci, Grutungi Austrogoti, Tervingi, Visi, Gipe<strong>des</strong>, Celtae etiam<br />

et Eruli, praedae cupiditate in Romanum solum inrup[uen]erunt atque illic pleraque vastarunt, dum aliis<br />

occupatus est Claudius dumque se ad id bellum, quod confecit, imperatorie instruit, ut videantur fata Romana<br />

boni principis occupatione lentata, sed credo, ut Claudii gloria adcresceret eiusque fieret gloriosior toto penitus<br />

orbe victoria.“ (SHA, Claudius, VI, 2).<br />

In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass „(d)er Skythenname ... lange Zeit einen<br />

weiteren und engeren Begriffsumfang (besitzt), <strong>des</strong>sen Grenzen unbestimmbar und fließend sind.“ (Wolfram,<br />

Ethnogenesen, 100). Im Großen und Ganzen werden lange Zeit alle polyethnischen Verbände von Reiterkriegern<br />

aus dem Osten als „Skythen“ bezeichnet um dann teilweise vom Gotenbegriff ersetzt zu werden.<br />

356 Johannes Zonaras, XII, 26.<br />

357<br />

Gregorios Thaumaturgos (“<strong>der</strong> Wun<strong>der</strong>täter”), geboren um 213, gestorben 270/275 war Bischof von<br />

Neokaisareia in Pontus.<br />

358 Es geht dabei um das Essen von „Götzenfleisch“ durch christliche Gefangene, um die Situation<br />

vergewaltigter Frauen, aber auch um die Teilnahme <strong>der</strong> Christen, die sich wie Goten und Boranen verhalten<br />

hätten, an den Plün<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Barbaren. Vgl. dazu Wolfram, Goten, 59f.


65 65<br />

Gruppen in eine prekäre Situation und wurde schließlich das Opfer <strong>der</strong> Boranen, eines<br />

an <strong>der</strong> Ostseite <strong>der</strong> Maeotis siedelnden Volkes wahrscheinlich sarmatischen<br />

Ursprungs. 359 Diese haben sich laut Zosimus <strong>der</strong> bosporanischen Flotte bemächtigt<br />

bzw. <strong>der</strong>en Bedienungsmannschaft „übernommen“ und in <strong>der</strong> Folge die Küstengebiete<br />

an <strong>der</strong> kaukasischen Küste <strong>des</strong> Schwarzen Meeres angegriffen. 360<br />

In dieses politische Vakuum um das Asov’sche Meer drangen nach herrschen<strong>der</strong><br />

Auffassung auch Eruler ein. 361 „Gegen Ende <strong>des</strong> 3. und in <strong>der</strong> ersten Hälfte <strong>des</strong> 4. Jh.<br />

gerät das nordwestliche Verbreitungsgebiet <strong>der</strong> Alanen unter den Einfluß <strong>der</strong> gotisch<br />

gefärbten Tscherniachov-Sîntana de Mureş-Kultur.“ 362 In dieser Kontaktzone von<br />

Alanen und <strong>der</strong> „gotischen“ Sântana-de-Mureş-Černjachov-Kultur müssen auch die<br />

Eruler eine Rolle gespielt haben, wenn man davon ausgeht, dass sie seit <strong>der</strong> Mitte <strong>des</strong><br />

3. Jahrhun<strong>der</strong>ts um das Asov’sche Meer bzw. die Meerenge von Kerč siedelten und<br />

damit unmittelbar an die seit dem 1. nachchristlichen Jahrhun<strong>der</strong>t eingenommenen<br />

Wohnsitze <strong>der</strong> Alanen angrenzten. Verblüffend ist allerdings, dass an<strong>der</strong>s als bei den<br />

Goten keine Synthese mit den Steppenvölkern in <strong>der</strong> Kriegsführung deutlich wird,<br />

son<strong>der</strong>n ganz im Gegenteil, die Eruler in den Quellen als Leichtbewaffnete immer<br />

wie<strong>der</strong> den alanischen Panzerreitern gegenüber gestellt werden. 363<br />

Die Angriffe <strong>der</strong> Barbaren auf die östlichen Provinzen <strong>des</strong> Reiches hatten bereits 238<br />

und 248-253 auf dem Landwege begonnen, als Goten und Karpen die untere Donau<br />

überschritten und den ganzen Ostbalkan bedrohten. Anfang <strong>der</strong> 50er Jahre starteten die<br />

ersten Piratenzüge. Ihre Beschreibung wurde von Zosimos und Georgios Synkellos aus<br />

den Skythika <strong>des</strong> Dexippos übernommen. Auch die Historia Augusta (Maximus et<br />

Balbinus) bezeugen, dass Dexippos, <strong>der</strong> scriptor horum temporum, die ersten Einfälle<br />

<strong>der</strong> Goten und Karpen behandelt hat.<br />

Über die ersten Seeunternehmen berichtet Zosimus 364 : Im Jahre 255 richtete sich ein<br />

Angriff gegen die Stadt Pityus in <strong>der</strong> Südostecke <strong>des</strong> Schwarzen Meeres und konnte<br />

schließlich vom Stadtkommandanten Successianus abgewehrt werden. Bereits im<br />

nächsten Jahr war ein gotisch-karpisches Seeunternehmen dagegen erfolgreich, da<br />

359 Vgl. Wolfram, Goten, 58.<br />

360 Zosimus, Hist. Nea 1, 31–33.<br />

361 Rappaport, Heruli, 1154; Schmidt, Ostgermanen, 549; Taylor, 470.<br />

362 Düwel, Alanen, 128.<br />

363 Siehe unten 84.<br />

364 Zosimus, Hist. Nea 1, 31,2–35.


66 66<br />

Pityus und Trapezus eingenommen und geplün<strong>der</strong>t werden konnten. 365 Es folgten <strong>der</strong><br />

erste große Bithynien-Zug mit <strong>der</strong> Einnahme von Chalkedon, Nikomedeia und Nikaia<br />

257/58 und quellenmäßig nicht eindeutig gesicherte Aktionen 262 und 263. 366<br />

Über eine Teilnahme von Erulern an diesen ersten Unternehmungen können nur<br />

Vermutungen angestellt werden. So wird in <strong>der</strong> Literatur die Beteiligung von Erulern<br />

bei <strong>der</strong> Zerstörung von Tanais an <strong>der</strong> Donmündung im Jahre 255 für möglich<br />

gehalten. 367 In den Quellen tauchen die Eruler als neues ethnisches Element im<br />

pontischen Raum bzw. erst im Zusammenhang mit barbarischen Seeunternehmen im<br />

Jahre 267 auf, als ein Piratenzug seinen Ausgangspunkt von <strong>der</strong> Maeotis, also dem<br />

Asov’schen Meer nahm.<br />

Hinsichtlich <strong>der</strong> konkreten Abläufe <strong>der</strong> Ereignisse 267 bis 269 besteht in <strong>der</strong> Literatur<br />

heute keine Einigkeit. Im älteren Schrifttum ging man von zwei unterschiedlichen<br />

barbarischen Unternehmungen aus, über die einerseits Georgios Synkellos und<br />

an<strong>der</strong>erseits Zonaras berichten. 368 Jüngere Autoren dagegen sind <strong>der</strong> Meinung, dass<br />

die beiden antiken Geschichtsschreiber den selben Piratenzug beschreiben, 369 <strong>der</strong><br />

jedoch möglicherweise durch drei relativ unabhängig operierende Abteilungen<br />

erfolgte. 370 Demgegenüber kehrt Kettenhofen nach einer genauen Analyse <strong>der</strong> Quellen<br />

<strong>zur</strong> Auffassung <strong>zur</strong>ück, es habe sich um zwei unterschiedliche Unternehmen<br />

gehandelt. 371 Demnach wäre zwischen dem Seezug <strong>der</strong> Eruler von 267/68 während <strong>der</strong><br />

Regierungszeit <strong>des</strong> Kaisers Gallienus (253–268) und dem <strong>der</strong> Goten von 269/70, den<br />

Kaiser Claudius II. (268–270) abwehrte, klar zu trennen. Ich folge in <strong>der</strong> kurzen<br />

Beschreibung <strong>des</strong> erulischen Seezuges <strong>der</strong> minutiösen, sich auf Georgios Synkellos<br />

und die Vita <strong>des</strong> Gallienus stützenden Darstellung von Kettenhofen. 372<br />

Demnach dürfte <strong>der</strong> Zug <strong>der</strong> Eruler im Frühjahr 267 von <strong>der</strong> Maeotis aufgebrochen<br />

sein, wo schwere Verwüstungen in den Jahren 266 bis 268 nachweisbar sind. 373 Die<br />

365 Ebda; Vgl. auch den sich auf diese Ereignisse beziehenden kanonischen Brief <strong>des</strong> Gregorios<br />

Thaumaturgos von Neokaisareia (siehe oben Anm. 355).<br />

366 Vgl. Schwarcz, Seezüge, 50f.<br />

367 Schmidt, Ostgermanen, 210, 550.<br />

368 Schmidt, Ostgermanen, 215ff.<br />

369 Kettenhofen, Einfälle, 291ff.<br />

370 So etwa Wolfram, Goten, 63.<br />

371 Kettenhofen, Einfälle.<br />

372 Kettenhofen, Einfälle, 300ff.<br />

373 Schwarcz, Seezüge, 52.


67 67<br />

Kampfhandlungen haben sich bis ins Jahr 268 erstreckt, als Gallienus, <strong>der</strong> sich den<br />

‚Skythen’ in den Weg stellte, die bereits nach Thrakien zu gelangen suchten, im<br />

April/Mai dieses Jahres nach Italien <strong>zur</strong>ückgerufen wurde“ 374 , um dort die Revolte <strong>des</strong><br />

Aureolus zu unterdrücken. 375<br />

Georgios Synkellos 376 gibt die Zahl <strong>der</strong> Schiffe mit 500 an, die sich nach Westen<br />

wandten. Die Historia Augusta (Gallieni) berichten davon, dass sie unterwegs bei <strong>der</strong><br />

Donaumündung großen Schaden verursachten. 377 Nach <strong>der</strong> Weiterfahrt gelang ihnen<br />

zwar die Einnahme von Byzantion und Chrysopolis, nach einem verlustreichen<br />

Seegefecht wichen sie zunächst jedoch nach Hieron <strong>zur</strong>ück, um bei günstigerem<br />

Fahrtwind am nächsten Tag Kyzikos zu erobern und zu plün<strong>der</strong>n. Es folgen die<br />

Plün<strong>der</strong>ung bithynischer Städte und <strong>der</strong> Inseln Lemnos und Skyros. Nach <strong>der</strong> Landung<br />

in Achaia kam es zu großflächigen Verheerungen auf <strong>der</strong> Peloponnes, welche<br />

archäologisch gut belegt sind. In Olympia brechen die Verzeichnisse ab, in Eleusis und<br />

Gytheion finden sich Inschriften, welche sich auf die Kämpfe beziehen. Sparta, Argos<br />

und Korinth fielen ihnen ebenso zum Opfer wie Athen, wo es <strong>zur</strong> Einäscherung <strong>der</strong><br />

Agora kam. 378 In dieser Situation war Dexippos beson<strong>der</strong>s nahe am Geschehen, da es<br />

ihm gelang an <strong>der</strong> Spitze einer Schar von 2000 freiwilligen Athenern einer Erulerschar<br />

einen Hinterhalt zu legen und sie zu schlagen. 379 Der Rest <strong>der</strong> Eruler zog sich über<br />

Epirus, Macedonien und Moesien nach Norden <strong>zur</strong>ück. Am Nestos wurden sie von<br />

Gallienus gestellt und schwer geschlagen, 3000 Eruler sollen dabei gefallen sein. 380 Ihr<br />

Führer Naulobatus 381 ergab sich und trat in römische Dienste.<br />

Auch am Zug im Jahre 269 dürften Eruler teilgenommen haben. 382 Für dieses<br />

Unternehmen werden unglaubliche Zahlen berichtet: Die Zahl <strong>der</strong> Teilnehmer wird<br />

374 Kettenhofen, Einfälle, 304.<br />

375 Zosimus, Hist. Nea 1, 40, 1.<br />

376 Die Schil<strong>der</strong>ung folgt im Wesentlichen Georgios Synkellos, 717, 15-28.<br />

377 SHA, Gallieni, 13, 6.<br />

378 Wenn das Internet als Maß für das aktuelle Interesse und die heute den Erulern zugemessene<br />

Bedeutung gelten kann, dann war die Zerstörung <strong>der</strong> Athener agora ihr historisch bedeutsamster Akt, auf die<br />

eine große Zahl von Eintragungen zum Suchwort „Heruler“ im Internet verweist.<br />

379 Zosimos, Hist. Nea 1, 39, 1; Georgios Synkellos 717, 9.<br />

380 Darüber berichtet auch SHA, Gallieni, 13, 9; 21, 5.<br />

381 Zu diesem Namen siehe oben 45.<br />

382 SHA, Claudius, 6, 2; Details bei Rappaport, Heruler, 1155; Kettenhofen, Einfälle, 306.


68 68<br />

mit 300.000, die Anzahl <strong>der</strong> Schiffe mit 2000 angegeben. 383 Es startete im Frühjahr<br />

269 an <strong>der</strong> Mündung <strong>des</strong> Dnjestr, führte ebenfalls entlang <strong>der</strong> Westküste <strong>des</strong><br />

Schwarzen Meeres und durch den Bosporus in die Ägäis. In <strong>der</strong> Ägäis teilten sich die<br />

Flotten, ein Teil wandte sich nach Kreta, Rhodos und Zypern. Kaiser Claudius II. zog<br />

nach seinem Sieg über die Alemannen zu Beginn <strong>des</strong> Jahres 270 auf den Balkan. Das<br />

Heer <strong>der</strong> Invasoren gab die Belagerung von Thessalonike auf und zog nach Norden.<br />

Bei Naissus konnte sie <strong>der</strong> Kaiser stellen und ihnen eine vernichtende Nie<strong>der</strong>lage<br />

zufügen, diesmal wird von 50.000 gefallenen Feinden berichtet. 384 Die Flotte hingegen<br />

konnte unter Verlusten <strong>zur</strong>ückkehren. 385<br />

Von 276 haben wir einen letzten Bericht über einen möglicherweise unter erulischer<br />

Beteiligung – <strong>der</strong> Ausgangspunkt war die Maeotis – erfolgten Raubzug entlang <strong>der</strong><br />

Ostküste <strong>des</strong> Schwarzen Meeres, <strong>der</strong> über die Kolchis quer durch Kleinasien bis<br />

Kilikien führte. Er wurde von den Kaisern Tacitus, Florianus und Probus gestoppt. 386<br />

Vom Ende <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts bis zum Vorabend <strong>des</strong> Hunneneinfalls haben wir keine<br />

Nachricht von den Erulern. Dies ist – wie bereits erwähnt – keine Seltenheit und führt<br />

daher immer wie<strong>der</strong> zu Spekulationen. So fehlen etwa auch für die Gepiden, nachdem<br />

sie gegen Ende <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts erstmals in das Blickfeld <strong>der</strong> Römer gelangten, die<br />

historischen Quellen im 4. und 5. Jahrhun<strong>der</strong>t, und die Archäologie „sucht anhand <strong>der</strong><br />

verfügbaren hist. Angaben nach jenem Gebiet, wo das Volk (= die Gepiden) in diesem<br />

Zeitraum gelebt haben könnte.“ 387 Gleiches gilt etwa auch für die Langobarden. 388<br />

Nach diesem Überblick über die schriftlichen Quellen zu den Ost-Erulern soll kurz <strong>der</strong><br />

relevante archäologische Befund gestreift werden.<br />

Grundsätzlich ist die Entstehung ostgermanischer gentes im ostmitteleuropäischen<br />

bzw. osteuropäischen Raum zwischen Ostsee und Schwarzem Meer ein nicht ganz<br />

geklärter Vorgang bzw ihre Zuordnung zu archäologisch fassbaren Kulturen<br />

einigermaßen umstritten. 389 Man muss jedenfalls davon ausgehen, dass ostgermanische<br />

383<br />

SHA, Claudius, 6, 4; 8, 2.<br />

384<br />

Zosimus, Hist. Nea 1, 43, 2.<br />

385<br />

Zosimus, Hist. Nea I, 44, 2; SHA, Claudius, 12, 1.<br />

386<br />

Zosimus, Hist. Nea 1, 64; SHA, Tacitus, 14; SHA, Probus, 12, 4. Vgl. Schmidt, Ostgermanen, 222,<br />

550; Schwarcz, Seezüge, 56.<br />

387<br />

Tóth, Gepiden, 118.<br />

388<br />

Vgl. Pohl, Langobarden, 62.<br />

389<br />

Vgl. dazu Bierbrauer, Goten, 408ff.


69 69<br />

gentes aus in südöstlicher Richtung vorstoßenden „latènisierten“, das heißt von <strong>der</strong><br />

keltischen Eisenzeit erfassten, ostseegermanischen Gruppen entstanden sind, die<br />

an<strong>der</strong>e Germanen und Balten sowie sarmatische und alanische Gruppen integrierten.<br />

Von 150 n. Chr. an besteht ein enger Kontakt <strong>der</strong> südlichen Ostseeküste sowohl mit<br />

den dänischen Inseln als auch mit dem Schwarzen Meer, die mit <strong>der</strong> Wielbark-Kultur<br />

bzw <strong>der</strong>en Trägern (Goten, Gepiden, Rugier) in zusammenhängt. 390 Ab dem 3.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t sind nicht nur ein Dünnerwerden <strong>der</strong> Besiedlung feststellbar (im<br />

Zusammenhang mit <strong>der</strong> Südostwan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Goten stehend?), son<strong>der</strong>n auch<br />

„rückläufige, vom Schwarzen Meer kommende Einwirkungen.“ 391<br />

Dass diese gentile Neuordnung im 2. und 3. Jahrhun<strong>der</strong>t auch an <strong>der</strong> Maeotis mit <strong>der</strong><br />

Nie<strong>der</strong>lassung skandinavischer Gruppen in Verbindung gestanden sein dürfte, wurde<br />

bereits oben erwähnt. 392 Sie können in <strong>der</strong> Absicht angelegt worden sein, einerseits<br />

den Fernhandel über die östlichste Flussverbindung vom Don zu Wolga und Kama zu<br />

kontrollieren und an<strong>der</strong>erseits die Häfen für diesen Handel nach dem Zusammenbruch<br />

<strong>des</strong> Bosporanischen Reiches sowie als Ausgangspunkte für Plün<strong>der</strong>ungszüge über das<br />

Schwarze Meer zu sichern 393 , was wie eine Vorwegnahme <strong>der</strong> warägischen Expansion<br />

Jahrhun<strong>der</strong>te später erscheint.<br />

Allerdings waren die gegen das römische Imperium aus dem nordpontischen Gebiet<br />

gestarteten Seeunternehmen in den 70er Jahren <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts wie<strong>der</strong> zu Ende.<br />

Sie hatten das Reich zwar kurzfristig ins Wanken gebracht, letztlich sind sie jedoch für<br />

die Angreifer disaströs verlaufen. Es sieht so aus, als wäre die Kraft <strong>der</strong> Angreifer<br />

angesichts <strong>der</strong> verheerenden Nie<strong>der</strong>lagen gegen römische Heere gebrochen gewesen,<br />

sodass das Imperium sein Verteidigungssystem im Pontusgebiet gegen Ende <strong>des</strong> 3.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts wie<strong>der</strong> halbwegs in Stand setzen konnte. Auf <strong>der</strong> SW-Krim, an <strong>der</strong><br />

Meeresenge von Kerč und in Abchasien werden Klientelrandstaaten eingerichtet, die<br />

sich durch eine hohe Militarisierung und eine Fülle von römischen Importen im<br />

Fundmaterial auszeichnen. Neben einer dominierenden sarmatisch-alanischen<br />

Komponente finden sich etwa auf <strong>der</strong> SW-Krim germanische Funde, die auf zwei<br />

Einwan<strong>der</strong>ungswellen – eine erste nicht eindeutig bestimmbare im 3. Jahrhun<strong>der</strong>t und<br />

390<br />

Machajewski, Pommern, 280.<br />

391<br />

Ebda, 281.<br />

392<br />

Siehe oben 54f.<br />

393<br />

Vgl. Kettenhofen, Einfälle.


70 70<br />

eine zweite mit ostgotischem Černjachov-Charakter im 4. und beginnenden 5.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t („Krimgoten“) – hinweisen. Die Anwesenheit von skandinavischen<br />

Bevölkerungsgruppen ist in zwei Nekropolen (Aj-Todor und Catyr-Dag) an <strong>der</strong><br />

Südküste <strong>der</strong> Krim bezeugt, hier wird ein Zusammenhang mit Erulern 394 o<strong>der</strong><br />

Eudosen 395 vermutet.<br />

Neben diesen „Krimgermanen“ verweist das Fundmaterial auch auf die Existenz von<br />

„Don-Germanen“. Gegen Ende <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts entstand auf den Ruinen <strong>des</strong> im<br />

Jahre 255 zerstörten Tanais eine Siedlung mit Nekropole neu, in <strong>der</strong> sich Keramik und<br />

Fibeln germanischen Ursprungs fanden, was in <strong>der</strong> Literatur als Hinterlassenschaft <strong>der</strong><br />

Eruler 396 gedeutet wird. Schließlich sind bereits für das 3. Jahrhun<strong>der</strong>t nordische<br />

Runeninschriften im Umfeld <strong>des</strong> Schwarzen Meeres nachgewiesen. 397<br />

Das archäologische Material weist also für das En<strong>des</strong> <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts auf die<br />

Anwesenheit zumin<strong>des</strong>t kleiner nordgermanischer Gruppen auf <strong>der</strong> Südküste <strong>der</strong> Krim<br />

und an <strong>der</strong> Donmündung hin. Diese können durchaus mit Erulern in Verbindung<br />

gebracht werden, wobei nicht auszuschließen ist, dass sie als Soldaten im gegen Ende<br />

<strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts wie<strong>der</strong> hergestellten pontischen Verteidigungssystem <strong>der</strong> Römer<br />

tätig waren. Es kann allerdings nur darüber spekuliert werden, inwieweit diese<br />

Gruppen einen gentilen Traditionskern für eine germanisch-alanisch-sarmatische<br />

Mischbevölkerung und damit für das Bestehen einer erulischen Identität im 4.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t geliefert haben.<br />

8.2 Das vierte Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

Im Laufe <strong>des</strong> 4. Jahrhun<strong>der</strong>ts erfolgte offenbar eine Konsolidierung <strong>der</strong> ostgotischen<br />

Herrschaft in Osteuropa, die sich immer weiter nach Norden und Osten ausdehnte.<br />

Ihren Höhepunkt erreichte dieser Prozess unter König Ermanarich, <strong>der</strong> zunächst die<br />

meist finnischen Völker <strong>des</strong> Nordens und Ostens in Abhängigkeit gebracht hatte, ehe<br />

er gegen die Eruler in <strong>der</strong> östlich-südöstlichen Nachbarschaft vorging. Wolfram<br />

vermutet, dass „zuerst die wirtschaftliche Grundlage <strong>der</strong> Eruler zerstört werden<br />

394<br />

Kazanski, Schwarzes Meer, 436.<br />

395<br />

Kazanski, Ukraine, 384.<br />

396<br />

Kazanski, Schwarzes Meer, 433.<br />

397<br />

Lund-Hansen, Römische Kaiserzeit, 70, 72.


71 71<br />

musste, indem ihnen <strong>der</strong> Fernhandel mit den Wolgavölkern entzogen wurde, bevor sie<br />

zu unterwerfen waren.“ 398<br />

Für die Ostgoten waren die Eruler möglicherweise so etwas wie ein konkurrieren<strong>des</strong><br />

Fernhandelsunternehmen. Unter Umständen entstand für die Goten eine ähnliche<br />

„Störung <strong>des</strong> gentilen Gleichgewichts“ wie zu Beginn <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts im<br />

Verhältnis zu den Sarmaten. 399 Die Eruler am Asov’schen Meer gerieten im Zuge <strong>der</strong><br />

gotischen Expansion unter einen „Gotisierungsdruck“, mit dem die Nie<strong>der</strong>lage <strong>des</strong><br />

erulischen Königs Alarich nach einer offenbar erbittert geführten Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit Ermanarich, von <strong>der</strong> uns Jordanes berichtet 400 , im Zusammenhang steht. Damit<br />

könnte eine erste frühe erulische Ethnogenese einen entscheidenden Rückschlag<br />

erfahren haben.<br />

Wenn <strong>der</strong> von Ermanarich unterworfene König Alarich aufgrund seines Namens mit<br />

dem (visi-)gotischen Königsgeschlecht <strong>der</strong> Balthen in Verbindung zu bringen ist, dann<br />

kann dies zweierlei bedeuten. Entwe<strong>der</strong> hatten die erulischen Kriegerverbände nur ein<br />

vergleichsweise schwaches Königtum zugelassen, das lediglich am Kriegsglück seines<br />

Trägers hing und sogar für Nichteruler offen war, und/o<strong>der</strong> erulische Königsgeschlechter<br />

standen seit dem Ende <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts in Konkurrenz – die<br />

Verbindungen selbstverständlich nicht ausschloss – mit dem schließlich erfolgreichen<br />

gotischen Königsgeschlecht <strong>der</strong> Amaler bzw. waren mit dem zweiten großen gotischen<br />

Königsgeschlecht <strong>der</strong> Balthen versippt.<br />

Der gotisch-erulische Konflikt unter Ermanarich wurde auch mit <strong>der</strong> sagenhaften<br />

Überlieferung um die Ermordung <strong>der</strong> Rosomonin Sunilda in Verbindung gebracht. Der<br />

Rosomonen-Name wird nur von Jordanes in einer kurzen sagenhaft überhöhten<br />

Erzählung um das Ende Ermanarichs überliefert. Legenden von Zwist und Verrat in<br />

Königssippen deuten zwar eher auf eine romantisch-verklärte historische Sichtweise<br />

hin. Es könnte hinter diesen Überlieferungen jedoch eine gewisse Konkurrenz<br />

zwischen Königsgeschlechtern <strong>der</strong> Rosomonen bzw. <strong>der</strong> Amaler stehen.<br />

398<br />

Wolfram, Ermanarich, 511.<br />

399<br />

Vgl. dazu Wolfram, Goten, 61f.<br />

400<br />

Jordanes (Getica XXIII, 117) zitiert einen Historiker Ablabius, <strong>des</strong>sen Werk über die Geschichte <strong>der</strong><br />

Goten er offenbar über Vermittlung von Cassiodor kannte. Ablabius seinerseits muss Dexippos gekannt haben<br />

(Vgl. Gärtner, Ablabius, 10).


72 72<br />

In <strong>der</strong> Erzählung <strong>des</strong> Jordanes bricht ein Angehöriger <strong>der</strong> infida Rosomonorum gens –<br />

<strong>des</strong>sen Name unbekannt bleibt – die Treue durch heimtückische Flucht. 401 Ermanarich<br />

lässt im Zorn über den Verrat ihres Mannes Sunilda von wilden Pferden<br />

auseinan<strong>der</strong>reißen, worauf diese von ihren Brü<strong>der</strong>n Sarus 402 und Ammius durch einen<br />

Stich mit dem Schwert in die Seite gerächt wurde. Ermanarich starb, da er „ebenso<br />

wenig den Schmerz seiner Wunde, als die Einfälle <strong>der</strong> Hunnen ertragen konnte,<br />

hochbetagt und lebenssatt im 110. Lebensjahr.“ 403 Die Forschung neigt heute dazu,<br />

den Rosomonen-Namen für historisch zu halten. 404 Er wird mehrheitlich als „die mit<br />

Rot Versehenen“ gedeutet. 405 Unklar bleibt dabei jedoch die Verwendung von gens.<br />

Gschwantler und ihm folgend Wolfram setzen die Rosomonen mit den Erulern<br />

gleich. 406 In diesem Fall böte sich eine weitere Gleichsetzung mit dem Namen „Ros“,<br />

„Rus“ für die Waräger an. 407 Die Gleichsetzung von Rosomonen mit Erulern hat sich<br />

jedoch nicht durchgesetzt. 408<br />

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Ammianus Marcellinus, ein<br />

Zeitgenosse Ermanarichs, von einem – rituellen? – Selbstmord <strong>des</strong> greisen Königs<br />

angesichts <strong>der</strong> drohenden Nie<strong>der</strong>lage gegen die Hunnen spricht. In <strong>der</strong> Literatur wird<br />

die Version <strong>des</strong> Jordanes als eine erste innergotische Sagenausgestaltung gesehen. In<br />

dieser wird <strong>der</strong> schnelle Zusammenbruch <strong>des</strong> Ostgotenreiches in einer Rachefabel<br />

plausibel gemacht, die durchaus politischen Ereignissen entsprungen sein mag. 409 Das<br />

heldische Rachestreben wird als sittliches Gebot positiv gewertet und lässt Ermanarich<br />

als Störer <strong>der</strong> Ordnung verantwortlich werden. 410 Ermanarich wird in <strong>der</strong> Heldensage<br />

401<br />

Jordanes, Getica, XXIV, 128f.<br />

402<br />

Über <strong>des</strong>sen Identität mit einem 406 bis 412 in den Quellen aufscheinenden gotischen Heerführer<br />

gleichen Namens kann nur spekuliert werden, Vgl. Castritius, Sarus, 523.<br />

403<br />

Jordanes, Getica, XXIV, 130.<br />

404<br />

Vgl. Neumann, Rosomonen, 353.<br />

405<br />

Ebda, 354.<br />

406<br />

Gschwantler, 200; Wolfram, Goten, 97f.<br />

407<br />

Mitscha-Märheim, Jahrhun<strong>der</strong>te, 29. Mitscha-Märheim phantasiert weiters davon, dass die Eruler „in<br />

alter Zeit auch den Namen Ros trugen.“ Er knüpft daran die Überlegung an, dass <strong>der</strong> Name „Rosdorf“, den eine<br />

im Mittelalter abgekommene Siedlung bei Spannberg am Oberen Weidenbach trug, mit den im 5. und 6.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t dort siedelnden Erulern in Verbindung gebracht werden könnte (Mitscha-Märheim, Jahrhun<strong>der</strong>te,<br />

115).<br />

408<br />

Vgl. Neumann, Rosomonen, 354f; Castritius, Rosomonen, 346.<br />

409<br />

Zur Verarbeitung <strong>des</strong> Schicksals Ermanarichs siehe die Beiträge von Gschwantler, Ermanrich und<br />

Beck, Ermanarich.<br />

410<br />

Beck, Ermanarich, 513. Dieser gotischen Version steht die norwegisch-isländische Überlieferung sehr<br />

nahe: Die eddischen Hamdismál lassen nicht nur alle bei Jordanes vorkommenden Namen noch deutlich


73 73<br />

immer mehr zum dämonischen Tyrannen und Zerstörer <strong>des</strong> eigenen Geschlechts und<br />

Ver<strong>der</strong>ber <strong>des</strong> eigenen Volkes.<br />

Seit dem Ende <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>t hatten die Eruler offenbar nur mehr geringe Chancen<br />

neben den Goten ein selbstständiges und unabhängiges Volk zu werden, auch wenn sie<br />

im 4. Jahrhun<strong>der</strong>t anscheinend noch eines <strong>der</strong> stärkeren „nichtgotischen“ Elemente im<br />

nordpontischen Raum dargestellt haben. Ob die in <strong>der</strong> vorhunnischen Zeit aus den<br />

Quellen ableitbare gotisch-erulische Konkurrenz – auch wenn die Rosomonen-Sage<br />

damit nicht unbedingt in Verbindung gebracht werden kann – auf das Vorhandensein<br />

eines identitätsvermittelnden erulischen „gentilen Traditionskerns“ verweist, muss<br />

wohl offen bleiben. Mit den Amalern hat sich jedenfalls <strong>der</strong> erfolgreichste<br />

Traditionskern <strong>zur</strong> Ingangsetzung <strong>der</strong> ostgotischen Ethnogenese durchgesetzt.<br />

Was das Vorhandensein von Erulern nach dem Hunneneinfall betrifft, so vermutet<br />

Schmidt, dass die nach Claudian in Eutropius 1, 242ff. im Jahre 398 vom Kaukasus<br />

her in Kleinasien einfallenden und bis Syrien vordringenden „Geten“ Eruler gewesen<br />

sein könnten. 411<br />

Inwieweit das auch für das 4. Jahrhun<strong>der</strong>t feststellbare Vorhandensein<br />

ostgermanischen Fundstoffes an <strong>der</strong> Schwarzmeerküste und im Vorland <strong>des</strong><br />

Nordkaukasus „erulisch“ interpretiert werden kann, lässt sich – wie so oft bei den<br />

Erulern – nicht eindeutig belegen. Hinweise darauf finden sich in einem „Fürstengrab“<br />

<strong>der</strong> Nekropole von Sinjavka, das Bestandteile einer weiblichen ostgermanischen<br />

Tracht enthielt, die für den Horizont „Untersiebenbrunn“ 412 charakteristisch sind 413<br />

bzw. in einem männlichen Grab Beigaben enthält, die Parallelen auf dem Territorium<br />

<strong>des</strong> Bosporanischen Reiches aufweisen. 414 In die gleiche Richtung weist auch das<br />

weitere Vorhandensein von nordischen Runeninschriften auf <strong>der</strong> Krim und im Umfeld<br />

<strong>der</strong> Maiotis. 415<br />

erkennen, auch eine Reihe von Details sind noch unverän<strong>der</strong>t enthalten. Die moralische Dimension verschiebt<br />

sich in Richtung auf Kritik an einem nicht von Vernunft und Einsicht gesteuerten Handeln (Beck, Hermanarich,<br />

513f). Im Zusammenhang mit Ermanarich und <strong>der</strong> Swanhildensage steht auch die Harlungensage, die in<br />

verstreut in deutscher und englischer Überlieferung erhalten ist (Beck, Hermanarich, 514).<br />

411<br />

Schmidt, Ostgermanen, 264f.<br />

412 Siehe unten 93f.<br />

413 Kazanski, Schwarzes Meer, 438.<br />

414 Kazanski, Sinjavka, 466.<br />

415 Lund-Hansen, Römische Kaiserzeit, 70, 72.


74 74<br />

Schließlich muss in diesem Zusammenhang nochmals auf den Ende <strong>des</strong> 5.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts verfassten Periplus Ponti Euxini <strong>des</strong> Pseudo-Arrian 416 verwiesen werden,<br />

in dem ein gotisch sprechen<strong>der</strong> Stamm namens „Eudousianoi“ an <strong>der</strong> kaukasischen<br />

Küste <strong>des</strong> Schwarzen Meeres genannt wird. Damit wird auch die bei Prokop 417 zu<br />

findende Bezeichnung Eulysia für die östlich an die Maeotis angrenzenden und bis <strong>zur</strong><br />

Kolchis reichenden Gebiete in Zusammenhang gebracht. Die Eudusianer <strong>des</strong> Pseudo-<br />

Arrian werden aber auch mit den Tetraxiten in Verbindung gebracht, die nach Prokop<br />

ein Bündnis mit den nach dem Untergang <strong>des</strong> Attilareiches in die pontischen Steppen<br />

<strong>zur</strong>ückkehrenden utigurischen Hunnen eingegangen waren und sich an <strong>der</strong> Nordost-<br />

Küste <strong>des</strong> Schwarzen Meeres nie<strong>der</strong>gelassen hatten. 418<br />

416 Siehe oben 53f.<br />

417 Prokop, Gotenkriege, IV, 4.<br />

418 Als archäologischer Nachweis für diese Gruppe gilt <strong>der</strong> Bestattungsplatz von Djurso, Vgl. Kazanski,<br />

Schwarzes Meer, 438.


9 Das auxilium palatinum (numerus) Erulorum<br />

75 75<br />

Die Bedeutung <strong>des</strong> Dienstes <strong>der</strong> Eruler in <strong>der</strong> römischen Armee muss beson<strong>der</strong>s<br />

heausgehoben werden. „Das auxilium palatinum (numerus) Erulorum wird in <strong>der</strong><br />

römischen Kriegsgeschichte wie<strong>der</strong>holt erwähnt. Es war eines <strong>der</strong> ältesten<br />

germanischen auxilia palatina <strong>des</strong> römischen Heeres, galt als eines <strong>der</strong> besten<br />

Regimenter“ 419 und bestand aus 500 Mann. 420 Dieses Regiment war zunächst<br />

wahrscheinlich aus Erulern aufgestellt worden, die nach einer Nie<strong>der</strong>lage gegen die<br />

Römer von diesen übernommen wurden. Es könnte sich einerseits um die Eruler <strong>des</strong><br />

Naulobatus handeln, die von Gallienus am Nestos besiegt wurden. 421 Meist wird in <strong>der</strong><br />

Literatur jedoch angenommen, dass die Namen gebenden Gruppen West-Eruler waren,<br />

die gemeinsam mit den Chaibonen am Nie<strong>der</strong>rhein geschlagen worden waren, wie uns<br />

in den oben erwähnten Panegyriken <strong>des</strong> Mamertinus berichtet wird. 422 Die Offiziere<br />

dieser zum Reichsheer gehörenden Truppe waren römische Bürger, meist erulischer<br />

o<strong>der</strong> [später?!] sonst germanischer Abstammung. 423<br />

Dass die Inschrift II auf dem berühmten „Negauer Helm“ als kerul zu lesen und als<br />

Abkürzung für kenturia Eruli zu interpretieren sei, wäre ein beson<strong>der</strong>s früher Hinweis<br />

auf erulische Präsenz im römischen Heer, gilt jedoch als unwahrscheinlich. 424<br />

357 kämpfte die erulische Einheit in <strong>der</strong> Schlacht bei Straßburg, 425 360 nahm sie an<br />

einem Kriegszug gegen Pikten und Skoten teil, wo es auch <strong>zur</strong> Ansiedlung von Erulern<br />

gekommen sein soll. 426 361 bis 364 war die erulische Einheit im Osten eingesetzt. 364<br />

wurde die Einheit in seniores und iuniores aufgeteilt. 427 Im selben Jahr beför<strong>der</strong>te<br />

Kaiser Jovian einen im numerus Erulorum dienenden Vitalianus zum Magister einer<br />

Kohorte in <strong>der</strong> Palastgarde, später zum comes. 428<br />

419<br />

Schmidt, Ostgermanen, 559.<br />

420<br />

Schmidt, Ostgermanen, 563.<br />

421<br />

Siehe oben 67.<br />

422<br />

Vgl. Rappaport, Heruli, 1152; Herrmann, Quellen, 559.<br />

423<br />

Schmidt, Ostgermanen, 563.<br />

424<br />

Taylor, Heruler, 470; Nedoma, Inschriften, 18f.<br />

425<br />

Vgl. zum Folgenden Wagner, Namensprobleme, 409.<br />

426<br />

Ammianus Marcellinus, res gestae XX, 1, 3.<br />

427<br />

Wagner, Namensprobleme, 409.<br />

428<br />

wysiwyg://53http://freepages.history ... eb.com/~catshaman/24erils4/0horse2.htm. (26.03.05).


76 76<br />

Als zu diesem Zeitpunkt ein Krieg gegen die Parther ausbrach, for<strong>der</strong>te Kaiser<br />

Constantius II. von Julian die Überlassung <strong>der</strong> Eruler, Bataver, Petulanten und<br />

Kelten. 429 365 werden die Eruler am Rhein – allerdings wenig erfolgreich – gegen die<br />

Alemannen eingesetzt, 430 um 368/69 wie<strong>der</strong> in Britannien zu kämpfen. 431 In einer<br />

Athener Grabinschrift aus dem 4. Jahrhun<strong>der</strong>t wird ein <strong>der</strong> erulischen Einheit<br />

angehöriger Maiorinus genannt. 432<br />

Um 400 werden in den Notitia dignitatum erulische Einheiten erwähnt, 433 eine Legion<br />

war in Concordia im Nordosten Italiens stationiert, 434 ihr Symbol waren zwei<br />

konzentrische Kreise, die offenbar ein „logo“ für Concordia darstellen. Dieser Einheit<br />

gehörten die bereits oben 435 erwähnten Batemodus, Hariso, Sindia, Gunthia und<br />

Silvima(rus) an, die auf Steinsarkophagen aus 394/95 genannt werden.<br />

Später findet sich keine ausdrückliche Erwähnung dieser „erulischen“ Einheiten in den<br />

Quellen. Was die Präsenz von Erulern in <strong>der</strong> regulären römischen Armee <strong>des</strong> 5.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts generell betrifft, vermutet Schmidt, dass ein 462 gestorbener comes<br />

Herila sowie <strong>der</strong> 471 als comes et magister utriusque militiae erwähnte Flavius<br />

Theodobius Valila, <strong>der</strong> die Kirche Sant´Andrea Katabarbara auf dem Esquilin und eine<br />

weitere in Tivoli stiftete, Eruler waren. 436<br />

Die Stationierung in Italien findet eine Bestätigung durch Grabsteine in Puteoli und<br />

Vitulanum, auf denen von Erullia und Aerulliae gesprochen wird. 437 Möglich ist<br />

schließlich den weiteren ostgermanischen Fundstoff in Italien aus dem 5. Jahrhun<strong>der</strong>t,<br />

<strong>der</strong> auf auch von Romanen belegten Bestattungsplätzen zu finden ist, mit „in Italien<br />

über längere Zeit garnisonierenden germanischen Soldaten bzw. Offizieren und ihren<br />

Familien (‚innere foe<strong>der</strong>ati’) zu verbinden“ 438 und darunter waren auch Angehörige<br />

<strong>des</strong> auxilium palatinum (numerus) Erulorum.<br />

429 Ammianus Marcellinus, res gestae XX, 4, 2.<br />

430 Ammianus Marcellinus, res gestae XXVII, 1, 6; Zosimus, Hist. Nea IV, 9.<br />

431 Ammianus Marcellinus, res gestae XXVII, 8, 7.<br />

432 Wagner, Namensprobleme, 408.<br />

433 Not. dign. occid. V, 162; VII, 13.<br />

434 CIL V 8750; Rappaport, Heruli, 1059.<br />

435 Siehe oben 45.<br />

436 Schmidt, Ostgermanen, 550f; skeptisch hingegen Wagner, Namensprobleme, 410.<br />

437 wysiwyg://53http://freepages.history ... eb.com/~catshaman/24erils4/0horse2.htm. (26.03.05).<br />

438 Bierbrauer, Italien, 585.


77 77<br />

Von den seit dem 4. Jahrhun<strong>der</strong>t in <strong>der</strong> regulären römischen Armee dienenden Erulern<br />

sind die im 6. Jahrhun<strong>der</strong>t vor allem in den Kriegen gegen Perser, Vandalen und Goten<br />

aufgrund beson<strong>der</strong>er Fö<strong>der</strong>atenverträge unter eigenen Führern eingesetzten Einheiten<br />

zu unterscheiden. 439<br />

Alvar Ellegård stellt das auxilium palatinum (numerus) Erulorum in den Mittelpunkt<br />

seiner Überlegungen den Ursprung <strong>der</strong> Eruler betreffend. Seine Anwort auf die Frage<br />

“Who then were the Eruli?“ lautet nämlich:<br />

“The Eruli were a loose group of Germanic warriors which came into being in the late<br />

third century in the region north of the Danube limes that extends roughly from Passau<br />

to Vienna. Several of them were recruited into the Roman army in the fourth century.<br />

But they also continued to exist as an independent Germanic group. Like other such<br />

groups they were un<strong>der</strong> aristocratic lea<strong>der</strong>ship.” 440<br />

Mit dieser Sicht sind allerdings einige Probleme verbunden. Wenn die Eruler auf<br />

germanische Kriegerbanden <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts im Raum nördlich <strong>der</strong> Donau<br />

zwischen Passau und Wien <strong>zur</strong>ückgehen, dann müsste es sich im Kern wohl um<br />

suebische – markomannische bzw. quadische – Gruppen handeln. Warum diese <strong>der</strong><br />

Ausgangspunkt einer Einheit <strong>der</strong> römischen Armee mit dem Namen auxilium<br />

palatinum (numerus) Erulorum sein sollen und nicht die aus den Quellen sowohl im<br />

Westen als auch im Osten belegbaren Gruppen, von denen berichtet wird, dass einige<br />

von ihnen von <strong>der</strong> römischen Armee übernommen wurden, ist schwer<br />

nachzuvollziehen.<br />

Wenn man allerdings wie Ellegård davon ausgeht, dass „Eruler“ lediglich eine<br />

Krieger-Selbstbezeichnung ist, auf die „niemand ein Monopol beanspruchen<br />

könne“, 441 dann muss dies für West-Eruler und Ost-Eruler ebenso wie für die von<br />

Ellegård postulierten frühen Donau-Eruler und dem nach seiner Meinung aus diesen<br />

gebildeten numerus Erulorum gelten.<br />

439<br />

Vgl. dazu Kap. 12.3.<br />

440<br />

Ellegård, Eruli, 29.<br />

441<br />

If Erulus really meant simply „warrior“, nobody could claim a monopoly for it (Ellegård, Eruli, 29).


10 Die Donau-Eruler<br />

10.1 Bis <strong>zur</strong> Schlacht am Nedao 454/455<br />

78 78<br />

Ein viertes Mal tauchen Eruler in den Quellen jenseits <strong>der</strong> mittleren Donau auf, wo sie<br />

laut Prokop „seit altersher ... hausten“. 442<br />

Die ethnische „Landschaft“ <strong>des</strong> Donauraumes war in den ersten nachchristlichen<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ten durch zwei Expansionen bestimmt, die von Norden und Süden <strong>der</strong><br />

Donau zustrebten. Unter Augustus wurden die Gebiete südlich <strong>der</strong> Donau – im<br />

Wesentlichen handelte es sich dabei um das norische Königreich – durch römische<br />

Truppen besetzt und die römische Provinzialverwaltung eingerichtet. Im Laufe <strong>des</strong> 1.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts n. Chr. wurden die Gebiete nördlich <strong>des</strong> Stromes durch elbgermanische<br />

Markomannen 443 bzw. Quaden 444 besiedelt, was nicht nur zu den<br />

„Markomannenkriegen“ <strong>des</strong> 2. Jahrhun<strong>der</strong>ts führte, son<strong>der</strong>n langfristig ein ethnisch<br />

germanisches Substrat („Sueben“ 445 ) für die Ethnogenesen dieses Raumes im<br />

Frühmittelalter schuf. Es gab zwar sowohl nördlich als auch südlich <strong>der</strong> Donau<br />

keltische Bevölkerungsreste, die aber im Laufe <strong>des</strong> 2. Jahrhun<strong>der</strong>ts soweit integriert<br />

wurden, dass sie we<strong>der</strong> historisch noch archäologisch greifbar sind. 446<br />

Im Zuge <strong>der</strong> hunnisch-ostgermanischen Westbewegung nach 376 kamen weitere<br />

gentes in den Donauraum. Ostgermanen, Alanen und Hunnen ließen sich nun<br />

zwischen <strong>der</strong> romanischen Bevölkerung und den elbgermanisch-suebischen<br />

Markomannen und Quaden in Pannonien nie<strong>der</strong>. Das polyethnische Völkergemisch<br />

war im Laufe von wenigen Jahrzehnten durch das Hinzukommen immer neuer<br />

ethnischer Elemente einem stetigen Wandel unterworfen. Der Anteil stationär<br />

gebliebener Populationen ist schwer zu bestimmen.<br />

Als Teil <strong>des</strong> ethnischen Konglomerats, welches das Reich <strong>des</strong> Ermanarich gebildet<br />

hatte und sich nach dem Einfall <strong>der</strong> Hunnen in Bewegung setzte, verschlug es nach<br />

herrschen<strong>der</strong> Meinung auch diesem Herrschaftsgebilde angehörende Eruler nach<br />

Mitteleuropa. Jedenfalls werden sie dort in <strong>der</strong> Kosmographie <strong>des</strong> Julius Honorius,<br />

442<br />

Prokop, Gotenkriege II, 14, 1.<br />

443<br />

Literatur zu Markomannen: Tejral, Markomannen, 306–308.<br />

444 Literatur zu Quaden: Kolnik, Quaden, 638–640.<br />

445<br />

Castritius, Sweben, 193ff.<br />

446<br />

Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 5.


79 79<br />

einem sonst unbekannten Rhetor, erstmals Ende <strong>des</strong> 4. o<strong>der</strong> im 5. Jahrhun<strong>der</strong>t in einer<br />

zumeist aus einer Aneinan<strong>der</strong>reihung von Namen bestehenden geographischen<br />

Übersicht erwähnt. 447 Wenn man die Einordnung <strong>der</strong> Eruler zwischen Markomannen<br />

und Quaden ernst nimmt, gehörten Eruler zu den ersten ostgermanischen gentes, die<br />

sich nach Westen gewandt hatten.<br />

Markomannen und Quaden waren <strong>zur</strong> Zeit <strong>der</strong> Kriege mit den Römern im 2.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t offensichtlich bereits ethnische Konglomerate mit einem namengebenden<br />

Kern gewesen. Nachdem die römische Abwehr größere Ambitionen in die Schranken<br />

gewiesen hatte, verblieben die elbgermanischen Kerne dieser Verbände aufgrund <strong>des</strong><br />

durch die römische Politik nördlich <strong>der</strong> Donau geschaffenen Niemandslan<strong>des</strong> 448 in<br />

größerer Distanz zum Limes.<br />

Im 4. Jahrhun<strong>der</strong>t schoben sich die Markomannen wie<strong>der</strong> näher an die Donau heran.<br />

Am Nordufer <strong>der</strong> Donau in Wien-Leopoldau und Wien-Aspern wurden ausgedehnte<br />

germanische Siedlungen aus <strong>der</strong> 2. Hälfte <strong>des</strong> 4. Jahrhun<strong>der</strong>ts ausgegraben, die als<br />

Marktplätze angesehen werden. 449 Der nach den Markomannenkriegen menschenleere<br />

Sicherheitsstreifen scheint Ende <strong>des</strong> 4. Jahrhun<strong>der</strong>ts nicht mehr bestanden zu haben.<br />

Im letzten Jahrzehnt <strong>des</strong> Jahrhun<strong>der</strong>ts verdichten sich die Quellenhinweise auf die<br />

Anwesenheit <strong>der</strong> Markomannen noch einmal. Da ist zunächst ein Brief <strong>des</strong> 397<br />

verstorbenen Bischofs Ambrosius von Mailand an eine christliche<br />

Markomannenfürstin namens Fritigil, in dem er ihr den Rat gibt, ihr Mann möge sich<br />

den Römern unterwerfen – ein Rat, dem sie gemäß Paulinus von Mailand, dem<br />

Verfasser <strong>der</strong> Vita <strong>des</strong> Hl. Ambrosius tatsächlich folgte. 450 Diese Episode steht<br />

möglicherweise im Zusammenhang damit, dass <strong>zur</strong> gleichen Zeit neue römische<br />

Einheiten aus Markomannen gebildet wurden, die nach dem Kaiser Honorius<br />

benannten Honoriani seniores und Honoriani iuniores bei den auxilia palatina 451<br />

sowie die Reitereinheit equites Marcomanni in Afrika. 452 In den Notitia dignitatum<br />

447<br />

Julius Honorius, Kosmographie, 26. Zu Julius Honorius siehe oben 34.<br />

448<br />

Cassius Dio, Römische Geschichte, 71, 15 (Dio Cassius, Roman History, hg. u. übers. von Earnest<br />

Cary, 9. vols., London 1914-1927).<br />

449<br />

Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 6f.<br />

450<br />

„Als sie den Brief erhalten hatte, überredete sie ihren Ehegatten, sich samt seinem Volk den Römern<br />

anzuvertrauen. Als sie nach Mailand kam, trauerte sie sehr um den heiligen Bischof, den zu treffen sie<br />

herbeigeeilt war, den sie aber nicht mehr fand, weil er bereits verstorben war.“<br />

451<br />

Not. dign. occid. V, Auxilia palatina.<br />

452 Not. dign. occid. VI, Vexillationes comitatenses.


80 80<br />

wird Anfang <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts unter den Militärpräfekten <strong>der</strong> Provinz Pannonia I<br />

ohne weitere Ortsangabe ein tribunus gentis Marcomannorum genannt. 453 Da er in <strong>der</strong><br />

geographisch geordneten Liste vor dem Legionspräfekten von Vindobona erwähnt<br />

wird, könnte er seinen Sitz in Asturis/Klosterneuburg o<strong>der</strong> aber jenseits <strong>der</strong> Donau am<br />

Oberleiserberg gehabt haben, wo zu dieser Zeit die Befestigungsanlagen <strong>des</strong> dortigen<br />

traditionell römisch geprägten Zentrums im markomannischen Siedlungsraum massiv<br />

verstärkt wurden. 454<br />

Im Zusammenhang mit dieser Erwähnung wird <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Literatur immer wie<strong>der</strong><br />

genannte verheerende Einfall von Markomannen in die römischen Provinzen südlich<br />

<strong>der</strong> Donau im Jahre 395 von Wolfram in Frage gestellt, da die markomannnischen<br />

Fö<strong>der</strong>aten für einige Jahre einen relativen Frieden gesichert haben dürften. 455<br />

Gegen Ende <strong>des</strong> 4. Jahrhun<strong>der</strong>ts war es zum Zusammenbruch <strong>der</strong> römischen<br />

Strukturen an <strong>der</strong> mittleren Donau gekommen, 456 in <strong>der</strong> plastischen Darstellung <strong>des</strong><br />

Ammianus Marcellinus:<br />

„Während dies in fernen Gegenden vor sich ging, verbreiteten schreckliche Gerüchte<br />

die Nachricht, die Völker <strong>des</strong> Nordens verursachten neue und ungewöhnlich große<br />

Bewegungen: Über das ganze Gebiet von den Markomannen und Quaden bis zum<br />

Schwarzen Meer sei eine Menge von unbekannten Barbarenvölkern mit<br />

unvorhergesehener Gewalt aus ihren Wohnsitzen verdrängt worden und ziehe im<br />

Donaugebiet in einzelnen Banden mit ihren Familien umher.“ 457<br />

Hieronymus nennt unter den Völkern, die dann weiter nach Gallien ziehen, auch die<br />

Eruler. 458 Der herrschenden Meinung nach haben sich vor allem aber die am Rande <strong>der</strong><br />

Westslowakei, <strong>der</strong> March und <strong>der</strong> Donau entlang <strong>des</strong> nordpannonischen Limes<br />

lebenden Quaden den seit ca. 400 an <strong>der</strong> mittleren Donau ansässigen Vandalen<br />

angeschlossen, die aufgrund <strong>des</strong> gotischen Drucks 459 o<strong>der</strong> wegen einer Hungersnot 460<br />

unter dem König Godegisel westwärts gezogen sind. Sie stellten jenen Teil dieses<br />

453<br />

Not. dign. occid. XXXIV, Dux Pannoniae Primae.<br />

454<br />

Vgl. Wiesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 8; Stuppner, Oberleiserberg, 485.<br />

455<br />

Vgl. Wolfram, Grenzen, 29f.<br />

456<br />

Einen Überblick über die die Ereignisse bietet Wolfram, Reich, 184ff.<br />

457<br />

Ammianus Marcellinus, res gestae XXXI, 4, 2.<br />

458<br />

Zum Brief <strong>des</strong> Hieronymus an die Geruchia siehe oben 58f.<br />

459<br />

So Jordanes, Getica XXXI, 161.<br />

460<br />

So Prokop, Vandalenkrieg, I, 3, 1.


81 81<br />

Wan<strong>der</strong>volkes dar, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Folge als Sueben bezeichnet wird 461 und schließlich nach<br />

<strong>der</strong> Trennung von den Vandalen in Galizien, <strong>der</strong> Nordwestecke <strong>der</strong> iberischen<br />

Halbinsel, ein kurzlebiges Reich gegründet hat.<br />

Auch „<strong>der</strong> breite Horizont an verwüsteten und verlassenen Siedlungsobjekten und<br />

Siedlungen aus <strong>der</strong> Anfangsphase <strong>der</strong> VWZ lässt darauf schließen, dass <strong>der</strong><br />

wesentliche Teil <strong>der</strong> donausueb. Bevölkerung seine urspr. Sitze im nord-danubischen<br />

Raum schon nach 400 verlassen hatte ...“. Nichts<strong>des</strong>toweniger „darf eine beschränkte<br />

und punktuelle Weiterbesiedlung, vornehmlich <strong>der</strong> Höhenanlagen, zu Recht vermutet<br />

werden“, wie vor allem die bereits genannten markomannisch/spätsuebisch zu<br />

deutenden „Palast“-Anlagen aus dem 5. Jahrhun<strong>der</strong>t am Oberleiserberg im Weinviertel<br />

veranschaulichen. 462<br />

Einige Autoren gehen überdies davon aus, dass in den Gebirgstälern <strong>der</strong><br />

Mittelslowakei ein Teil <strong>der</strong> Quaden <strong>zur</strong>ückgeblieben ist, um nach <strong>der</strong> Schlacht am<br />

Nedao als (Donau-)Sueben wie<strong>der</strong> Bedeutung zu erlangen. 463 Aber auch die Reste<br />

markomannischer Gruppen können bei <strong>der</strong> Bildung <strong>der</strong> nachhunnenzeitlichen<br />

suebischen gentes an <strong>der</strong> Donau eine Rolle gespielt haben, wenn diese auch<br />

quellenmäßig nur schwer nachzuweisen sind. Grundsätzlich gilt, dass „die enge<br />

Verwandtschaft <strong>der</strong> materiellen Kultur <strong>der</strong> Markomannen und Quaden ... keine<br />

Festlegung einer festen Grenze zwischen beiden Stämmen (erlaubt).“ 464 Jedenfalls<br />

dürften vor allem die Markomannen mit ihrer lang andauernden Bewegung nach<br />

Süden spätestens im Laufe <strong>der</strong> ersten Hälfte <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts den pannonischen<br />

Westen zwischen Wienerwald, Plattensee und Donauknie „suebisiert“ haben und<br />

später weiter nach Süden bis in den Saveraum vorgedrungen sein. 465 Jedenfalls<br />

gehören diese Donausueben zu einer gens, die nach <strong>der</strong> Schlacht am Nedao durchaus<br />

einen lokalen Machtfaktor bildete. 466<br />

461 Zum Sueben-Begriff gibt es eine umfangreiche Literatur, Vgl. dazu die Zusammenstellungen bei<br />

Timpe, Germanen, 197–200 und Scharf, Sweben, 192f.<br />

462 Tejral, Markomannen, 306.<br />

463 Bona, Ungarns Völker, 120; Kolnik, Quaden, 636; kritisch dazu Lotter, Rolle, bes. 279ff.<br />

464 Kolnik, Quaden, 636.<br />

465 Vgl. Lotter, Rolle, 281f. Einen archäologischen Nachweis kann man in den überraschend ähnlichen<br />

reichen Frauenbestattungen mit werkstattgleichem Inventar aus diesem Raum sehen; Vgl. Bóna, Ungarns<br />

Völker, 121.<br />

466 Siehe unten 97f.


82 82<br />

Nach dem Abzug <strong>der</strong> Fö<strong>der</strong>aten bzw. marodierenden Barbarengruppen nach Gallien<br />

und Italien im ersten Jahrzehnt <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts stießen die Hunnen in den<br />

pannonischen Raum vor und stabilisierten ihre Herrchaft auch durch Verträge mit<br />

Ostrom (427) und Westrom (433). In <strong>der</strong> Folge etablierte sich ein polyethnisches<br />

Völkergemisch, wobei lediglich die kriegerische Führungsschicht einem gewissen<br />

hunnischen Akkulturierungsdruck ausgesetzt war. In <strong>der</strong> kurzen Zeit <strong>der</strong> hunnischen<br />

Herrschaft im Donauraum konnte jedenfalls keine tiefergehende homogenisierende<br />

Ethnogenese stattfinden. Überdies war die Bevölkerung im Laufe <strong>der</strong> wenigen<br />

Jahrzehnte durch Abwan<strong>der</strong>ungen und das Hinzukommen immer neuer ethnischer<br />

Elemente auch weiterhin einem stetigen Wandel unterworfen, wenn auch große Teile<br />

<strong>der</strong> Population offensichtlich stationär blieben.<br />

Die ursprüngliche einheimische Bevölkerung, Romanen und Germanen, bildete die<br />

wirtschaftliche Grundlage und stand dafür unter dem „Schutz“ <strong>der</strong> fremden gentes.<br />

Dabei ging es um wirtschaftlich prosperierende „Gebietszuteilungen“, dh. um das<br />

Vorhandensein einer „funktionierenden“ einheimischen Bevölkerung als<br />

Ernährungsbasis für die gentilen Kriegergesellschaften.<br />

Gruppen, die sich an diese „parasitäre“ Lebensweise gewöhnt haben, geraten häufig<br />

sehr schnell in eine prekäre Situation. Wenskus zeigt dies am Beispiel <strong>der</strong><br />

Verreiterung <strong>der</strong> Quaden auf. 467 Die Übernahme <strong>der</strong> reiternomadischen Lebensweise<br />

verlangt die Symbiose mit einem bäuerlich lebenden Volk, zu dem man als aggressivunterdrücken<strong>der</strong><br />

„Partner“ in völlige Abhängigkeit gerät. 468 Dessen ungeachtet ist das<br />

Auftreten reiternomadischer Ethnien „in <strong>der</strong> Geschichte viel spektakulärer und auf<br />

Grund <strong>des</strong> erraubten Reichtums auch archäologisch spurenreicher als das <strong>der</strong> Völker,<br />

die in bäuerlichen Lebensformen verharrten. So dürfte allein <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schlag in<br />

Literatur und Bodenfunden noch nichts über die zahlenmäßige Stärke und Bedeutung<br />

eines Stammes aussagen.“ 469 Dieser Befund könnte auch für das Verhältnis von<br />

Markomannen und Quaden gelten. Während die Quaden die reiternomadische<br />

Lebensweise übernahmen, scheinen die Markomannen bei <strong>der</strong> bäuerlichen<br />

Lebensweise geblieben zu sein.<br />

467<br />

Wenskus, Stammesbildung, 561.<br />

468<br />

Es handelt sich um ein Phänomen, das mit den „Sieben Samurai“ bzw. den „Glorreichen Sieben“ zu<br />

den großen Themen <strong>der</strong> Filmkunstgeschichte wurde.<br />

469<br />

Lotter, Rolle, 280.


83 83<br />

Diese sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen werden bei den noch zu<br />

besprechenden weiteren Zäsuren in <strong>der</strong> Entwicklung dieser Gesellschaften immer<br />

wie<strong>der</strong> schlagend, wie etwa bei <strong>der</strong> Zerstörung <strong>des</strong> Rugierreiches 488 und <strong>der</strong><br />

folgenden Umsiedlung <strong>der</strong> romanischen Bevölkerung, wodurch den verschiedenen<br />

germanischen gentes die Ernährungsbasis entzogen wurde, aber auch nach <strong>der</strong><br />

Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> Eruler gegen die Langobarden. 470<br />

Obwohl sie für einige Jahrzehnte im 5. Jahrhun<strong>der</strong>t in den zeitgenössischen Quellen<br />

nicht erwähnt werden, muss man jedenfalls davon ausgehen, dass die Eruler zu diesem<br />

Völkergemisch <strong>des</strong> Donauraumes gehörten. Ein <strong>der</strong>artiger Befund ist ein<br />

Charakteristikum dieser Zeit, so fehlen auch für die hunnischen (Ost-)Goten in <strong>der</strong><br />

Zeit von 375/76 bis zum Attila-Zug 451 „so gut wie alle absoluten Daten über Zeit und<br />

Ort <strong>des</strong> Geschehens“. 471<br />

Paulus Diaconus führt die Eruler erst wie<strong>der</strong> unter den Völkern an, die in Gallien auf<br />

Attilas Seite kämpften, was Schmidt jedoch bezweifelt: „Über ihre Beteiligung an den<br />

hunnischen Kriegszügen erfahren wir nichts“ ... „Auch nicht von Paulus Diaconus hist.<br />

Rom. 14, 2, <strong>der</strong> übrigens völlig unselbständig ist.“ 472 Was die Schlacht auf den<br />

Katalaunischen Fel<strong>der</strong>n betrifft, wird in <strong>der</strong> Literatur jedoch allgemein angenommen,<br />

dass Eruler auf hunnisch-ostgotischer Seite beteiligt waren. 473<br />

Als Attila 453 nach nur acht Regierungsjahren starb, zerfiel sein Reich binnen kurzer<br />

Zeit 474 . Einerseits hatten sich die alten hunnischen Stammesstrukturen unter Attila<br />

weitestgehend aufgelöst, an<strong>der</strong>erseits war ein neues System entstanden, das völlig auf<br />

die <strong>des</strong>potische Herrschaft Attilas ausgerichtet war. Der oströmische Gesandte Priscus<br />

beschreibt diese Gruppe von Würdenträgern („loga<strong>des</strong>“), welche die Verwaltung <strong>des</strong><br />

Attilareiches besorgte. 475 Dieses stellte eine Art indirekter reiternomadischer<br />

Herrschaft dar, welche im Wesentlichen auf einem Netzwerk politischer<br />

Abhängigkeiten beruhte, das die Anhäufung von Beutegütern, Lösegel<strong>der</strong>n und<br />

Tributzahlungen ermöglichte. Die Könige <strong>der</strong> größeren abhängigen gentes, wie vor<br />

470<br />

Siehe unten 115.<br />

471<br />

Bierbrauer, Goten, 418.<br />

472<br />

Schmidt, Ostgermanen, 550 und Anm. 6.<br />

473<br />

Schmidt, Ostgermanen, 550.<br />

474<br />

Einen Überblick über den Zerfall <strong>des</strong> Attilareiches und seine Folgen für die gentes <strong>des</strong> mittleren<br />

Donauraumes bietet Pohl, Völkerwan<strong>der</strong>ung, 118ff.<br />

475<br />

Zur Ausstattung dieser Herrschaftsträger bzw. den entsprechenden Funden in „Fürstengräbern“ dieser<br />

Zeit siehe unten 89ff.


84 84<br />

allem <strong>der</strong> Gote Walamer, <strong>der</strong> Skire Edika und <strong>der</strong> Gepide Ardarich, spielten innerhalb<br />

dieses auf Attila als Person ausgerichteten Netzwerkes eine herausragende Rolle. Laut<br />

Jordanes zählten sie zu seinen beson<strong>der</strong>en Vertrauensleuten. 476 Dass <strong>der</strong> Gepidenkönig<br />

Ardarich „<strong>der</strong> <strong>des</strong>ignierte Nachfolger Attilas als Herrscher <strong>des</strong> Gesamtbereiches<br />

gewesen sei (sei), geht wohl zu weit“, 477 wi<strong>der</strong>spiegelt jedoch die Situation nach dem<br />

Tode <strong>des</strong> Hunnenkönigs. Trotz o<strong>der</strong> besser wegen <strong>des</strong> Vorhandenseins zahlreicher<br />

Söhne bedeutete <strong>der</strong> Tod Attilas ohne geregelte Nachfolge das Ende <strong>des</strong><br />

Hunnenreiches. 478 Die Teilungspläne <strong>der</strong> Söhne Attilas führten zu einer scharfen<br />

Reaktion bei den abhängigen gentes, die eine Koalition unter König Ardarich an <strong>der</strong><br />

Spitze bildeten. Diesem im Wesentlichen gentilen Bündnis gehörten unter gepidischer<br />

Führung Rugier, Skiren, Eruler und Sueben an. Die Entscheidung für o<strong>der</strong> gegen die<br />

Hunnen wurde in <strong>der</strong> Schlacht am Nedao (wahrscheinlich 454) ausgefochten:<br />

„Nun rüstete man sich zum gegenseitigen Vernichtungskrieg. In Pannonien an dem<br />

Fluss, <strong>der</strong> Nedao heißt, kam es zum Kampf. Hier stießen die verschiedenen Völker<br />

aufeinan<strong>der</strong>, welche Attila in seiner Botmäßigkeit gehalten hatte. Die Reiche spalteten<br />

sich mit den Völkern, und aus einem Körper wurden verschiedene Glie<strong>der</strong>, welche<br />

nicht mehr dass Leid tragen halfen, wenn eines litt, son<strong>der</strong>n nach Vernichtung <strong>des</strong><br />

Hauptes gegeneinan<strong>der</strong> wüteten; die tapfersten Stämme, die nie auf einen<br />

ebenbürtigen Feind gestoßen wären, wenn sie nicht sich selbst zerfleischten, wollten<br />

sich selbst aufreiben. Wahrlich, das muß ein bewun<strong>der</strong>nswertes Schauspiel gewesen<br />

sein, wo man sah den mit Spießen kämpfenden Goten, den mit dem Schwert wütenden<br />

Gepiden, <strong>der</strong> seine Waffe in <strong>der</strong> Wunde <strong>der</strong> Rugier zerbricht, den Suawen, <strong>der</strong> mit<br />

seiner Geschwindigkeit, den Hunnen, <strong>der</strong> mit dem Bogen sich hervortut, den Alanen,<br />

<strong>der</strong> in schwerer Rüstung, den Heruler, <strong>der</strong> mit leichter Bewaffnung zum Kampfe<br />

schreitet. Nach langem, schwerem Streit also lächelte den Gepiden ein unverhoffter<br />

Sieg. Denn an dreißigtausend <strong>der</strong> Hunnen und <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Völker, die zu ihnen<br />

hielten, tötete <strong>des</strong> Ardarich und seiner Mitverschworenen Schwert.“ 479<br />

Der als Schlachtenort genannte pannonische Fluss Nedao ist nicht sicher lokalisiert, es<br />

bestehen dazu zahlreiche Hypothesen, als am wahrscheinlichsten gilt <strong>der</strong>zeit ein<br />

Nebenfluss <strong>der</strong> Save o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Theiss. 480<br />

Ein zweiter Diskussionspunkt um die Schlacht am Nedao ist die Frage nach <strong>der</strong><br />

Teilnahme <strong>der</strong> Ostgoten. Die antike Überlieferung lässt ihre eindeutige Einordnung am<br />

Geschehen nicht zu.<br />

476 Jordanes, Getica XXXVIII, 199f.<br />

477 Wenskus, Ardarich, 398.<br />

478 Prosper, Chronik, 1370.<br />

479 Jordanes, Getica L, 260ff. Eine Analyse <strong>des</strong> Schlachtenberichtes findet sich bei Pohl, Gepden, 254ff.<br />

480 Siehe dazu Pohl, Gepiden, 259f; Castritius, Nedao, 49; Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 13.


85 85<br />

Als aber die Goten sahen, dass die Gepiden die Wohnsitze <strong>der</strong> Hunnen siegreich<br />

behaupteten, die Hunnen aber ihre alten Wohnsitze besetzten, zogen sie es vor, das<br />

Römische Reich zu bitten, statt mit eigener Gefahr in ein frem<strong>des</strong> Land einzudringen,<br />

und bekamen Pannonien, eine weithin sich erstreckende Ebene mit Obermösien im<br />

Osten, Dalmatien im Süden, Norikum im Westen, <strong>der</strong> Donau im Norden, ein Land, das<br />

mit sehr vielen Städten geziert ist, von denen die nächste Sirmium, die letzte<br />

Vindomina (=Vindobona) ist. 481<br />

Vermutlich haben Goten auf beiden Seiten gekämpft. Offen bleibt allerdings, ob die<br />

valamerischen Goten zu den Verlierern gehörten o<strong>der</strong> vielleicht „nur“ nicht an <strong>der</strong><br />

Schlacht beteiligt waren. 482 Die anhaltende Feindschaft gegenüber <strong>der</strong> Koalition <strong>der</strong><br />

Donauvölker spricht jedenfalls eher dagegen, dass die Goten Valamers mit auf <strong>der</strong><br />

Siegerseite standen. 483 Auch die Tatsache, dass die valamerischen Goten sich weiter<br />

auf pannonischen Reichsboden <strong>zur</strong>ück zogen bzw. ziehen mussten als die an<strong>der</strong>en<br />

gentes, spricht dafür, dass sie am Nedao zumin<strong>des</strong>t nicht auf Seiten <strong>der</strong> Sieger<br />

gestanden waren. Auf Reichsboden hatten sie aber offensichtlich für die kommenden<br />

Jahre bessere Ausgangsbedingungen erhalten und konnten so bis <strong>zur</strong> zweiten<br />

donauländischen Völkerschlacht <strong>der</strong> 2. Hälfte <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts, <strong>der</strong> Schlacht an <strong>der</strong><br />

Bolia, 484 die gewissermaßen eine Fortsetzung <strong>der</strong> Schlacht am Nedao darstellte, <strong>zur</strong><br />

dominanten Ethnie in diesem Raum werden.<br />

10.2.1 Überblick<br />

10.2 Das „System von Nedao“<br />

Wie es für <strong>der</strong>artige einschneidende Auseinan<strong>der</strong>setzungen charakteristisch ist,<br />

wurden die „ethnogenetischen Karten“ nach <strong>der</strong> Schlacht am Nedao neu gemischt.<br />

„Nach Attilas Tod erlebten wenige Jahrzehnte den Aufstieg und Fall eines skirischen,<br />

suebischen, sarmatischen, rugischen und erulischen Reiches an <strong>der</strong> mittleren Donau,<br />

sahen den Kampf <strong>der</strong> zwei amalischen Theo<strong>der</strong>iche mit ihren Heeren um das<br />

ostgotische Königtum und den römischen Patricius-Titel.“ 485<br />

Wolfram spricht in Bezug auf den Donau- und Ostalpenraum im 5. Jahrhun<strong>der</strong>t vom<br />

„System von Nedao“ als dem Versuch <strong>des</strong> Imperiums die römische Struktur und<br />

481 Jordanes, Getica L, 264.<br />

482 Vgl. Wolfram, Goten, 259ff; Pohl, Gepiden, 258ff.<br />

483<br />

Vgl. dazu auch die epische Verarbeitung <strong>der</strong> Schlacht am Nedao durch die Heldendichtung (Castritius,<br />

Nedao, 51).<br />

484<br />

Siehe unten 99f.<br />

485 Pohl, Awaren, 54.


86 86<br />

Staatlichkeit in irgendeiner Form aufrecht zu erhalten, indem gentes wechseln<strong>der</strong><br />

ostgermanischer Herkunft bzw. Zusammensetzung als römische Fö<strong>der</strong>aten in das<br />

herkömmliche System eingebaut wurden. 486 Das heißt, dass sie in eigenen<br />

Formationen und unter eigener Führung Kriegsdienst im römischen Heer zu leisten<br />

hatten. Dazu passt gut die Bemerkung <strong>des</strong> Sidonius Apollinaris in einem Panegyricus<br />

zum Jahre 455, dass <strong>der</strong> weströmische Kaiser Avitus die lange verlorenen<br />

pannonischen Provinzen allein durch seinen Anmarsch wie<strong>der</strong> gewonnen habe. 487 458<br />

zog Kaiser Maiorianus mit einem Heer, das ausschließlich aus Söldnern bestand, die<br />

von <strong>der</strong> mittleren Donau stammten, gegen die Vandalen. Die Quelle nennt praktisch<br />

alle gentes dieses Raumes mit Ausnahme <strong>der</strong> Eruler und Skiren genannt. 488<br />

Dieses politische System auf Basis <strong>der</strong> äußeren kaiserlichen Anerkennung bei<br />

weitgehend innerer Selbstständigkeit währte bis zum Abzug <strong>der</strong> Langobarden und <strong>der</strong><br />

Landnahme <strong>der</strong> Awaren, Anklänge daran gibt es sogar noch im 9. Jahrhun<strong>der</strong>t. 489<br />

Die Sieger von Nedao verteilten zunächst die Beute untereinan<strong>der</strong>. Die Gepiden hatten<br />

als die führende Ethnie 490 im „gentilen Ballungsraum“ <strong>des</strong> Karpatenbeckens aus <strong>der</strong><br />

„Konkursmasse <strong>des</strong> Attila-Reiches den Löwenanteil erkämpft“ 491 . Zunächst nahmen<br />

sie die Gebiete an <strong>der</strong> Theiß bis zu <strong>der</strong>en Mündung in die Donau ein; als zweiter<br />

Siedlungsschwerpunkt kam nach dem Sieg am Nedao das innere Siebenbürgen, die<br />

ehemalige römische Provinz Dacia, hinzu. 492 Hier dürfte sich ein königliches Zentrum<br />

befunden haben, das mit den Funden von Apahida zu verorten ist, vielleicht<br />

Grabstätten Ardarichs o<strong>der</strong> seines Nachfolgers. Auch eine Reihe an<strong>der</strong>er<br />

völkerwan<strong>der</strong>ungszeitlicher Goldschatzfunde innerhalb <strong>des</strong> Karpatenbogens werden<br />

den Gepiden zugeordnet. 493 Nach dem Abzug <strong>der</strong> Goten 473 nahmen die Gepiden auch<br />

die Povinz Pannonia Secunda ein und errichteten in Sirmium vorübergehend eine<br />

weitere Residenz, von wo sie um 504 von den Ostgoten (comes Pitzia) wie<strong>der</strong><br />

486<br />

Wolfram, Salzburg, Anm. 28.<br />

487<br />

Zitiert bei Lotter, Rolle, 284.<br />

488<br />

Sidonius Apollinaris, carm. V.<br />

489<br />

Wolfram, Salzburg, Anm. 29. Cyrill und Method konnten, „von Konstantinopel gesandt und von Rom<br />

anerkannt, die Bayerische Kirche, die die traditionellen Gegebenheiten vernachlässigt hatte, herausfor<strong>der</strong>n, ja in<br />

die Schranken weisen.“<br />

490<br />

Zu <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Gepiden nach Nedao siehe insbeson<strong>der</strong>e Pohl, Gepiden, beson<strong>der</strong>s 268ff..<br />

491<br />

Pohl, Awaren, 50.<br />

492<br />

Pohl, Gepiden, 270ff; Nagy, Gepiden, 120.<br />

493<br />

Zu Apahida und den an<strong>der</strong>en Fundorten siehe Pohl, Gepiden, 270ff; Harhoiu, Schatzfund.


87 87<br />

verdrängt wurden. 494 Das Gepidenreich stellte später in <strong>der</strong> ersten Hälfte <strong>des</strong> 6.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts einen beachtlichen politischen Faktor dar 495 , <strong>der</strong> auch auf die Eruler eine<br />

entsprechende Anziehungskraft ausübte. 496<br />

Daneben entstanden die weiteren kleinen, meist kurzlebigen Fö<strong>der</strong>aten-„Reiche“ <strong>der</strong><br />

Sueben, Skiren, Sarmaten, pannonischen Goten, Rugier und auch <strong>der</strong> Eruler. Unter<br />

entwickelte sich ein Verdrängungswettbewerb, so dass man, wenn man die<br />

donauländische Zeit <strong>der</strong> Langobarden dazuzählt, von einem in mehrere Phasen<br />

aufgeglie<strong>der</strong>ten Jahrhun<strong>der</strong>t <strong>des</strong> Systems von Nedao sprechen kann. Die erste Phase<br />

endete mit <strong>der</strong> Schlacht an <strong>der</strong> Bolia (469). In dieser Zeit hatten sich von den<br />

genannten Gruppen zunächst vor allem die Sueben und Skiren konsolidiert, waren aber<br />

bald mit dem Übergewicht <strong>der</strong> in Pannonien unter <strong>der</strong> Herrschaft von drei Teilkönigen<br />

(Theodemer, Valamer und Videmer) siedelnden Ostgoten konfrontiert. 497 Die Siege<br />

<strong>der</strong> Ostgoten über die Reste <strong>der</strong> hunnischen Völker unter <strong>der</strong> Herrschaft <strong>des</strong><br />

Attilasohns Dintzik und über Sueben und Skiren beunruhigten auch die an<strong>der</strong>en<br />

Gruppen <strong>des</strong> Raumes und führten zu einer breiten antigotischen Allianz. 498 Die<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzungen gipfelten schließlich 469 in <strong>der</strong> Schlacht an <strong>der</strong> Bolia. 499 Die<br />

Goten unter <strong>der</strong> Führung <strong>des</strong> Königs Theodemer, <strong>des</strong> Vaters Theo<strong>der</strong>ichs, besiegten<br />

ein buntes gentiles Gemisch – Wolfram spricht von <strong>der</strong> „pannonischen<br />

Völkerschlacht“ 500 – von Sueben, Sarmaten, Skiren, Gepiden und Rugiern, 501 verstärkt<br />

durch eine oströmische Truppenabteilung. In <strong>der</strong> Folge kam es jedoch zu einem Abzug<br />

<strong>der</strong> siegreichen Goten (473), sodass <strong>der</strong> Raum für weitere Reichsbildungen im Nedao-<br />

System frei wurde. 502<br />

Die zweite Phase ist durch die Etablierung <strong>des</strong> „Kremser“ Rugierreiches und das<br />

Entstehen eines erulischen Herrschaftsmittelpunktes östlich bzw. nordöstlich davon<br />

494<br />

Siehe unten 110.<br />

495<br />

Vgl. Pohl, Awaren, 52ff.<br />

496<br />

Siehe unten Kap. 12.1.<br />

497<br />

Vgl. Wolfram, Goten.<br />

498<br />

Vgl. Schwarcz, Die Goten in Pannonien.<br />

499<br />

Siehe unten 99f.<br />

500<br />

Vgl.Pohl, Gepiden; Wolfram, Salzburg, 18.<br />

501<br />

Jordanes, Getica LIV, 277–279.<br />

502<br />

Vgl. Varády, Das letzte Jh. Pannoniens.


88 88<br />

bestimmt. 503 Sie dauerte bis <strong>zur</strong> Vernichtung <strong>des</strong> Rugierreiches im Jahre 488 durch<br />

Odowakars Bru<strong>der</strong> Hunwulf.<br />

Als die dritte Phase kann man die eigentlichen „zwei donauerulischen Dezennien“<br />

bezeichnen. In das durch die Nie<strong>der</strong>lage und den Abzug <strong>des</strong> Großteils <strong>der</strong> Rugier und<br />

<strong>der</strong> romanischen Bevölkerung entstandene Herrschaftsvakuum traten nunmehr die<br />

Eruler ein. Es mehren sich die Quellen für die Donau-Eruler. Sie kamen nicht nur in<br />

das Gesichtsfeld <strong>der</strong> römisch-byzantinischen, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> gotischen und<br />

langobardischen Geschichtsschreibung. Erstmals in <strong>der</strong> erulischen Geschichte kam es<br />

zu einer eigenen „Reichsbildung“, sie sollte auch die einzige bekannte dieses gentilen<br />

Verban<strong>des</strong> bleiben. Diese dritte Phase endete damit, dass die Herrschaftsbildung <strong>der</strong><br />

Eruler am Aufstand <strong>der</strong> langobardischen „Heloten“ 504 , die seit <strong>der</strong> Mitte <strong>des</strong> 5.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts in den norddanubischen Raum eingesickert waren 505 , vermutlich im Jahre<br />

508 zerbrach. Es ist vor allem die Geschichte <strong>des</strong> Erulerkönigs Rodulf, welche alle<br />

Autoren bewegte. Einerseits ist es die Waffensohnschaft zu Theo<strong>der</strong>ich, und<br />

an<strong>der</strong>erseits ist es die Legende vom Übermut <strong>der</strong> Eruler und ihres Königs, welcher <strong>zur</strong><br />

Nie<strong>der</strong>lage gegen die Langobarden führte.<br />

Die vierte Phase ist mit <strong>der</strong> donauländischen Zeit <strong>der</strong> Langobarden identisch und endet<br />

mit <strong>der</strong>en Abzug nach Italien im Jahr 568. Sie kann einerseits nur bedingt zum System<br />

von Nedao gerechnet werden, da die Langobarden erst später in den donauländischen<br />

„Nedao-Raum“ eingedrungen waren. An<strong>der</strong>erseits aber sind die Langobarden in<br />

diesem Raum gewissermaßen die Erben von Rugiern, Erulern, Sueben und Sarmaten.<br />

Sie stehen den Gepiden, <strong>der</strong> von den Siegern von Nedao übriggebliebenen gens,<br />

gegenüber und werden als Herren über den westlichen Teil dieses Raumes in die<br />

ostgotische und oströmische Politik einbezogen.<br />

Was die Eruler in dieser vierten Phase betrifft, ist das eine Zeit, in <strong>der</strong> sie noch als<br />

gentile Splitter genannt werden, die im römischen Reich o<strong>der</strong> in an<strong>der</strong>e Ethnien<br />

aufgenommen wurden. Es findet sich in diesem Zeitraum allerdings immer wie<strong>der</strong><br />

aufflackernd ein schwaches Königstum. 506<br />

503<br />

Wolfram, Grenzen, 58.<br />

504<br />

Wolfram, Salzburg, 20.<br />

505<br />

Zum zeitlichen Ablauf und <strong>der</strong> Intensität elbgermanischer Besiedlung seit <strong>der</strong> Mitte <strong>des</strong> 5.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts siehe unten (Bierbrauer, Langobarden, 78).<br />

506<br />

Siehe unten 134f.


10.2.2 Die archäologische Hinterlassenschaft <strong>der</strong> Reiche an <strong>der</strong> mittleren Donau<br />

89 89<br />

Archäologische Hinweise auf die Donau-Eruler stehen im Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

unübersichtlichen ethnischen Vielfalt, wie sie sich seit dem Beginn <strong>des</strong> 5.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts im mittleren Donauraum entfaltete. In Nie<strong>der</strong>österreich, Mähren und <strong>der</strong><br />

West-Slowakei lassen sich „tiefgreifende Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Siedlungsstruktur und<br />

in den Grabfunden feststellen.“ 507 Die großen suebischen Brandgräberfel<strong>der</strong> werden<br />

nicht mehr belegt, es tritt ein neuer Grubenhaustyp auf, und geschützte Anhöhen<br />

werden als Siedlungsplätze ausgebaut. 508<br />

Die archäologische Hinterlassenschaft <strong>des</strong> 5. und beginnenden 6. Jahrhun<strong>der</strong>ts an <strong>der</strong><br />

mittleren Donau zeigt einerseits eine beachtliche Vielfalt und an<strong>der</strong>erseits die<br />

Schwierigkeit, die Funde bestimmten Gruppen zuzuordnen. Im Wesentlichen sind es<br />

vier Komponenten, die in dieser Zeit ihren Nie<strong>der</strong>schlag finden: spätrömisches,<br />

elbgermanisches, hunnisch-alanisches und ostgermanisches Fundmaterial.<br />

Aus den Jahren 375-450 ist an <strong>der</strong> mittleren Donau eine Reihe von Grabfunden<br />

bekannt, <strong>der</strong>en Beigaben durchaus reichlich sind. Auch an den westlichen bzw.<br />

nördlichen Grenzen dieses Fundbezirkes, in Ungarn, Mähren und Nie<strong>der</strong>österreich<br />

entdecken Archäologen immer wie<strong>der</strong> Einzelgräber o<strong>der</strong> kleine Gräbergruppen –<br />

große Gräberfel<strong>der</strong> waren nicht üblich – , die Gold und Silber enthalten. Sie haben<br />

einen ausgesprochen steppennomadischen Charakter und/o<strong>der</strong> sind ostgermanisch und<br />

belegen aus archäologischer Sicht die ethnischen Verschiebungen in westlicher<br />

Richtung, die bis Anfang <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>t währten. Hier ist vor allem auf die<br />

Dynamik <strong>der</strong> „gotischen“ Sântana-de-Mureş-Černjachov-Kultur 509 zu verweisen.<br />

Diese expandiert auf Kosten spätkaiserzeitlicher Kulturphänomene in Osteuropa und<br />

breitet sich bis nach Mitteleuropa aus. 510 Tejral weist anhand <strong>der</strong> spätkaiserzeitlichfrühvölkerwan<strong>der</strong>ungszeitlichen<br />

Fundstellen in Mähren speziell auf zwei auffällige<br />

Erscheinungen hin, auf die Verän<strong>der</strong>ung in den Siedungsstrukturen und auf das<br />

Eindringen „fremdartiger, überwiegend osteuropäischer Formen in das autochthone<br />

507 Stuppner, Österreich, 625.<br />

508 Ebda.<br />

509<br />

Allgemeines <strong>zur</strong> Sântana-de-Mureş-Černjachov-Kultur siehe den einschlägigen Artikel von Ioniţă im<br />

RGA.<br />

510<br />

Tejral, Probleme, 351.


90 90<br />

Kultursubstrat,“ darunter ein verstärktes Auftreten <strong>des</strong> Körperbestattungsritus 511 auch<br />

außerhalb <strong>der</strong> romanischen Bevölkerung <strong>des</strong> Imperiums. 512<br />

Was die Sachkultur betrifft, so dominiert vorerst die spätrömische Kultur in allen ihren<br />

Ausprägungen, wird aber immer mehr durch suebische, ostgermanische und hunnisch-<br />

alanische Traditionen im archäologischen Fundmaterial ergänzt und ersetzt. Vor allem<br />

<strong>der</strong> Charakter <strong>der</strong> vereinzelten handgemachten Keramik aus den Siedlungen macht<br />

eine ethnische Heterogenität <strong>der</strong> Bevölkerung deutlich. 513<br />

Generell gilt für diese Zeit, dass mehr als 90 % <strong>des</strong> nicht-römischen Fundmaterials aus<br />

Gräberfel<strong>der</strong>n stammt, <strong>der</strong> „Forschungsstand hinsichtlich <strong>der</strong> dazugehörigen<br />

Siedlungen“ ist deutlich schlechter. Es konnten bisher nur wenige nicht-romanische<br />

Siedlungen erforscht werden. Dazu gehören die beiden Marktplätze in Wien-<br />

Leopoldau und Wien-Aspern, <strong>der</strong> Oberleiserberg, Schiltern, Stillfried und<br />

Unterlanzendorf. 514<br />

Unter den Gräbern stechen Fürstengräber und Frauengräber hervor, aber auch<br />

Grabstätten einfacher Krieger befinden sich darunter.<br />

Ein beson<strong>der</strong>s charakteristisches Element stellen die Fürstengräber dar:<br />

In <strong>der</strong> reiternomadischen Welt <strong>des</strong> Hunnenreiches ist das Phänomen <strong>der</strong> Fürstengräber<br />

als Wi<strong>der</strong>spiegelung <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzungen mit Byz. entstanden. Von hier aus<br />

gingen auch Vorbil<strong>der</strong> für vergleichbare Bestattungen im mittleren Europa aus, wobei<br />

<strong>der</strong> Zufluß von Gold aus dem spätröm. bzw. byz. Reich als Tributzahlungen die<br />

entsprechende materielle Grundlage geschaffen hat, Schmuck- und<br />

Waffenausstattungen mit Gold zu überfrachten. 515<br />

Den südrussischen und ukrainischen meist als hunnisch interpretierten Vorbil<strong>der</strong>n 516<br />

enstpricht nicht nur das recht zahlreiche Fundmaterial aus Rumänien, Polen und<br />

Ungarn, 517 son<strong>der</strong>n auch eine Reihe von vergleichbar ausgestatteten Fürstengräbern<br />

weiter im Westen (Bayern, Württemberg, Elsass) bis hin zum Chil<strong>der</strong>ich-Grab in<br />

511<br />

Tejral, Probleme, 353.<br />

512<br />

Die ursprüngliche romanische Bevölkerung begrub ebenfalls unverbrannt (Friesinger-Adler,<br />

Nie<strong>der</strong>österreich, 23).<br />

513<br />

Tejral, Probleme, 353.<br />

514<br />

Vgl. Stadler, Bevölkerungsstrukturen, 304ff., Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 25, wobei beson<strong>der</strong>s<br />

die Fundsituation in Nie<strong>der</strong>österreich angesprochen ist.<br />

515<br />

Steuer, Fürstengräber, 195.<br />

516<br />

Menghin (Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit, 22) erwähnt die Funde von Jakusowice, Lermontovskaja Skala bzw.<br />

Borovoje in Kasachstan.<br />

517<br />

Als bedeutendster hunnischer Fundkomplex <strong>der</strong> ersten Hälfte <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts gilt Szeged-<br />

Nagyszéksós; Vgl. Kürti, Fürstliche Funde, 163.


91 91<br />

Tournai, welches „an hunnischem Erbe sogar die Königsgräber <strong>der</strong> Gepiden<br />

übertrifft.“ 518<br />

In diesen reich ausgestatteten Gräbern wird die herrschende Schicht einer<br />

Mangelwirtschaft fassbar sein, <strong>der</strong>en gentiles Bevölkerungssubstrat sich in<br />

wechselnden suebischen und ostgermanischen, sarmatisch-alanischen und hunnischen<br />

„Fö<strong>der</strong>atenreichen“ organisiert. 519 Die wirtschaftliche Grundlage bildeten Dienste für<br />

das Imperium und die Arbeitsleistung <strong>der</strong> ursprünglichen romanischen und<br />

germanischen Bevölkerung. Zu beachten ist auch, dass dieses soziale Schema <strong>der</strong><br />

Attilazeit ein relativ einheitliches Ausstattungsmuster in <strong>der</strong> Führungsschicht<br />

hervorgebracht hat, das gleichsam „supranationalen“ Charakter hatte, wie etwa das<br />

Vorhandensein von massiv goldenen Armringen und von goldenen Schwertgriffen<br />

quer durch Europa deutlich macht. 520 In einer vielzitierten Stelle berichtet Priskos, 521<br />

dass diese Führungsschicht <strong>des</strong> auf Attila ausgerichteten hunnischen Machtsystems<br />

durch ihre prächtige mit Gold und Edelsteinen verzierte Kleidung hervorstach. Die<br />

Fürstengräber <strong>der</strong> Attilazeit und <strong>der</strong> darauf folgenden „Reiche“ geben diese<br />

Beobachtung <strong>des</strong> byzantinischen Gesandten sehr genau wie<strong>der</strong>.<br />

Aus diesen Gründen können die Funde aus sich selbst heraus noch nicht genauer<br />

datiert werden, außer vielleicht auf die erste o<strong>der</strong> zweite Hälfte <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts, da<br />

um die Mitte <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts ein Wandel im nachattilazeitlichen Horizont <strong>des</strong><br />

donauländischen Kulturkomplexes deutlich wird. Es lässt sich die Vermehrung <strong>der</strong><br />

Fundstellen von Grablegen meist germanischer Kleinkönige konstatieren, die zunächst<br />

Angehörige <strong>des</strong> hunnischen Gentes-Verban<strong>des</strong> waren und sich nach <strong>des</strong>sen Untergang<br />

verselbständigt hatten bzw. Fö<strong>der</strong>aten <strong>des</strong> römischen Reiches geworden waren. Das<br />

herausragendste Beispiel dafür stellt die Fürstenbestattung von Blučina-Cehavy dar, 522<br />

das Skelettgrab eines 30- bis 40-jährigen Mannes, gefunden 1953 auf einer Anhöhe<br />

südlich von Brünn. 523 Es weist eine reiche und vielfältige Beigabenausstattung auf und<br />

518 Bóna, Hunnenreich, 128.<br />

519 Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 9.<br />

520 Menghin, Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit, 24.<br />

521<br />

Priskos, Fragment 8. Das Werk <strong>des</strong> Priskos ist in den Excerpta de legationibus Kaiser Konstantin VII.<br />

Porphyrogenetos überliefert; ed. von Ludwig Dindorf, H.G.M. II, Leipzig 1871 und Carl de Boor, Berlin 1903.<br />

Eine Übersetzung mit Kommentar bietet Ernst Doblhofer, Byzantinische Diplomaten und östliche Barbaren,<br />

Byzantinische Geschichtsschreiber, Bd. IV, Graz-Wien-Köln 1955.<br />

522<br />

Tejral, Probleme, 353.<br />

523 Werner, Blučina, 76f.


92 92<br />

wird daher zeitlich <strong>der</strong> zweiten Hälfte bzw. dem letzten Drittel <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

zugeordnet. Beson<strong>der</strong>s interessant ist <strong>der</strong> rundstabige massive goldene<br />

Handgelenkring, <strong>der</strong> als Würde- und Herrschaftszeichen zu interpretieren ist. 524<br />

„Das Grab von Blučina zeigt durch Beigabe von Sattel und Reflexbogen, aber auch in<br />

<strong>der</strong> Cloissonnétechnik noch starke Reminiszenzen an die donauländischen<br />

Fürstengräber <strong>der</strong> Attilazeit. Goldgriffspatha und Gürtelschnalle gehören aber bereits<br />

in die Zeit <strong>des</strong> Chil<strong>der</strong>ichgrabes und <strong>der</strong> daran anschließenden alamannischfränkischen<br />

Adelsgräber, ... Bei Gleichzeitigkeit mit den Gräbern von Tournai<br />

(Chil<strong>der</strong>ich + 482) und Apahida würde sich für die Grablegung das letzte Drittel <strong>des</strong> 5.<br />

Jh. ergeben.“ 525<br />

Das Grab von Blučina wird als erulisch 526 bzw. als erulisch o<strong>der</strong> langobardisch 527<br />

angesehen, obwohl das Fehlen ausgeprägt elbgermanischer Elemente gegen die<br />

letztere Zuordnung spricht. 528 Art <strong>der</strong> Ausstattung, Ort und Zeit <strong>des</strong> Grabes von<br />

Blučina dürfte daher wie bei keinem an<strong>der</strong>en Grab eine erulische Zuordnung nahe<br />

legen, wenn diese auch immer noch spekulativ ist.<br />

Erulisch o<strong>der</strong> langobardisch kann ebenso ein Grabdenkmal im riesigen<br />

vorgeschichtlichen Hügel von Žurań 529 bei Podoli, östlich von Brünn sein, von dem<br />

aus Napoleon die Schlacht von Austerlitz beobachtete. Das kreisrunde Grabdenkmal<br />

enthält neben den Resten von ursprünglichen schnurkeramischen und<br />

hallstattzeitlichen Bestattungen auch zwei in den Felsboden gehauene Kammergräber<br />

mit Spuren von Holzeinbauten aus dem 5. Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />

Als man im Jahre 1853 begann, den Hügel auszugraben, fand man eine Grabkammer<br />

mit den Skeletten eines Menschen und eines Pfer<strong>des</strong>, ein Stück einer hölzernen<br />

Totenlade, Fragmente einer Elfenbeinpyxis – eine Dose aus <strong>der</strong> Zeit um 500 – und<br />

einige Eisengegenstände unbestimmten Zwecks. Fast hun<strong>der</strong>t Jahre später erfolgten<br />

weitere Nachgrabungen. Nun fand man eine zweite Grabkammer mit menschlichen<br />

Skelettresten, Scherben von Glas- und Tongefäßen, Goldfäden und den Goldbeschlag<br />

eines Holzgefäßes. Die Goldsachen und die Elfenbeinpyxis weisen darauf hin, dass<br />

524<br />

Bestattungen mit <strong>der</strong>artigen Armringen finden sich häufig in Fürsten- bzw. Häuptlingsgräbern, sie<br />

stehen in <strong>der</strong> römischen Tradition und werden in – meist ost- – germanischen Zusammenhängen als<br />

entsprechende Rangabzeichen gedeutet. Vgl. dazu Steuer, Sozialstrukturen, 248f.<br />

525<br />

Werner, Blučina, 77.<br />

526 Mączyńska, Völkerwan<strong>der</strong>ung, 164f.<br />

527 Werner, Blučina, 77.<br />

528 Filip, Böhmen und Mähren, 154.<br />

529 Vgl Pohl, Völkerwan<strong>der</strong>ung, 191.


93 93<br />

unter dem Hügel zwei vornehme, vielleicht königliche Personen beigesetzt wurden,<br />

<strong>der</strong>en Gräber in späterer Zeit jedoch gründlich ausgeraubt worden waren.<br />

Was die Zuschreibung grundsätzlich als ostgermanisch zu qualifizieren<strong>der</strong><br />

Fürstengrabfunde zu einer bestimmten gens betrifft, seien es Rugier, Eruler, Skiren<br />

o<strong>der</strong> Ostgoten, sieht die Archäologie <strong>zur</strong>zeit keine <strong>der</strong>artige Möglichkeit. 530 Deshalb<br />

werden sie allgemein als ostgermanisch bezeichnet, obwohl auch diesbezüglich<br />

Vorsicht an den Tag zu legen ist, wie das Beispiel <strong>des</strong> oben erwähnten hunnischen<br />

Erbes im Chil<strong>der</strong>ich-Grab in Tournai deutlich macht: Hätte man ohne die klare<br />

Zuordnung zu Chil<strong>der</strong>ich nur auf Grund <strong>der</strong> Grabbeigaben die Grablegung eines<br />

fränkischen Königs in Erwägung gezogen?<br />

Grundsätzlich wird man davon ausgehen können, dass angesichts <strong>des</strong>sen in <strong>der</strong> Frage<br />

<strong>der</strong> „ethnischen“ Zuordnung meist nur von Wahrscheinlichkeiten gesprochen werden<br />

kann, die sich aus einer Gesamtsicht <strong>des</strong> archäologischen Befun<strong>des</strong> unter<br />

Berücksichtigung <strong>der</strong> schriftlichen Quellen ergeben. Diese werden sowohl hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> möglichen Räume als auch hinsichtlich <strong>der</strong> zeitlichen Einordnung zu befragen<br />

sein. Hier bilden die überlieferten Siedlungsgebiete nach <strong>der</strong> Schlacht am Nedao einen<br />

ersten Anhaltspunkt. 531 Gegen Ende <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts wird überdies eine Zuordnung<br />

zu den Goten immer unwahrscheinlicher, da diese spätestens 473 aus dem<br />

Karpathenbecken abgezogen waren.<br />

Erst in den letzten Dezennien <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts wird ein Ausdifferenzierungsprozess<br />

<strong>des</strong> donauländischen Kulturkomplexes archäologisch fassbar. Dieser wi<strong>der</strong>spiegelt<br />

offenbar das Entstehen neuer lokaler sozio-ökonomischer und politischer Strukturen<br />

nach dem Abziehen <strong>der</strong> Ostgoten. 532 In diesem Sinne steigt im letzten Drittel <strong>des</strong> 5.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts aufgrund zeitlicher Übereinstimmung mit <strong>der</strong> entsprechenden<br />

schriftlichen Quellenlage die Wahrscheinlichkeit erulischer Gräber. 533<br />

Neben den Fürstengräbern sind für die genannte Bevölkerungsschicht auch reiche<br />

Frauengräber charakteristisch, wie sie etwa in Smolin und Untersiebenbrunn gefunden<br />

wurden. Typisch für diese Frauengräber ist das Auftauchen von min<strong>des</strong>tens zwei<br />

großen Silberblechfibeln mit Zierblechen, die paarig auf <strong>der</strong> Brust im Schulterbereich<br />

530<br />

Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 17.<br />

531<br />

Vgl. Bierbrauer, Tiszalök, 2.<br />

532<br />

Filip, Böhmen und Mähren, 153.<br />

533 Tejral, Probleme, 356.


94 94<br />

getragen seit <strong>der</strong> Mitte <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts zum typischen Trachtbestandteil<br />

ostgermanischer Frauengräber gehören. Diese Silberblechfibeln werden als Grundlage<br />

für relativchronologische Ordnungsversuche ostgermanischer Frauengräber<br />

genommen, worauf hier nicht weiter eingegangen werden kann. 534 Die Funde solcher<br />

Fibeln reichen vom Schwarzmeergebiet, den Gräbern <strong>der</strong> Sântana-de-Mureş-<br />

Černjachov-Kultur über den mittleren Donauraum bis in den italienischen bzw.<br />

spanischen Lebensraum <strong>der</strong> Goten.<br />

Die formale, technologische und künstlerische Entwicklung <strong>der</strong> Silberfibeln (Größe<br />

bzw. Länge, Form <strong>der</strong> Fußplatte, Verwendung von Silberdraht) wird in <strong>der</strong> Literatur<br />

als Hauptkriterium für eine Chronologie <strong>der</strong> Frauengräber herangezogen. So wird von<br />

einer „nach-tscherniachovzeitlichen Phase“ um 400 im Donauraum gesprochen, auf<br />

welche <strong>der</strong> „Horizont Untersiebenbrunn – Laa an <strong>der</strong> Thaya“ folgt. 535<br />

Im 5. Jahrhun<strong>der</strong>t liegt das Zentrum <strong>der</strong> Gräber dieses Horizontes mit großen<br />

Silberblechfibeln im mittleren Theiß-Stromgebiet, mährische und slowakische Funde<br />

sind daher am Rande dieses Verbreitungsgebietes gelegen. Man wird in all diesen<br />

Fällen aber nicht nur an gotische gentes denken dürfen, son<strong>der</strong>n an<strong>der</strong>e<br />

ostgermanische gentes nicht wirklich ausschließen können. Es ist dabei zu beachten,<br />

dass die Goten in <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts eher nur kurzfristig in dem<br />

hier zu untersuchenden Raum gesiedelt haben. 536 Eine weitere Beson<strong>der</strong>heit vor allem<br />

<strong>des</strong> nie<strong>der</strong>österreichischen Fundmaterials sind Weißblechspiegel („Nomadenspiegel“)<br />

in Frauen- und Kin<strong>der</strong>gräbern (Untersiebenbrunn, Laa an <strong>der</strong> Thaya, Großharras,<br />

Marchegg, Mödling). Sie werden auf eine mittelasiatische Herkunft <strong>zur</strong>ückgeführt und<br />

von Friesinger-Adler allesamt gotisch gedeutet. 537<br />

Der bedeutendste Fund eines Frauengrabes stammt aus Untersiebenbrunn im<br />

Marchfeld. Der Grabinhalt gilt als das kostbarste Zeugnis germanischer Kunst <strong>zur</strong> Zeit<br />

<strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ung auf österreichischem Boden. 538 Das Grab wurde im Jänner 1910<br />

durch Zufall in einer Schottergrube entdeckt und enthält die Überreste einer 20- bis<br />

350f.<br />

534<br />

Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 29; Nagy, Gepiden, 120; Bierbauer, Tiszalök, 1f.<br />

535<br />

Menghin, Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit, 22f.<br />

536<br />

Vgl. dazu insbeson<strong>der</strong>e Bóna, Ungarns Völker, 120.<br />

537<br />

Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 29f. Allgemeines zu den Nomadenspiegeln vgl. Steuer, Spiegel,<br />

538 Stadler, Ostgermanische Gräber, 343.


95 95<br />

24-jährigen Frau mit kariöser Hüftgelenkserkrankung. 539 Außer den gefundenen<br />

Gläsern römischer Erzeugung sind alle Grabbeigaben – zwei große vergoldete<br />

Silberblechfibeln, zwei einfache Silberblechfibeln, goldene Armreifen, Ohrgehänge,<br />

Ketten und Fingerringe, silberne Toilettegegenstände und Tischgerät – germanischer<br />

Herkunft. Im April 1910 wurde in geringer Entfernung vom ersten Grabfund das Grab<br />

eines etwa siebenjährigen Mädchens angefahren; dieses enthielt kleine Fibeln und<br />

Toilettegegenstände.<br />

1967 wurde von Erwin Keller an Hand von Vergleichen mit an<strong>der</strong>en Gräbern das<br />

Vorhandensein eines unter den an<strong>der</strong>en Gräbern liegenden Männergrabes vermutet,<br />

eine Theorie, die inzwischen überwiegend akzeptiert wird. 540 Gegenstände <strong>des</strong><br />

Männergrabes sind ein goldener Halsring, Schmuck und Objekte, die zu einem<br />

Schwertgehänge gehört haben, sowie Zaum- und Sattelzeug.<br />

Sowohl das Frauen- als auch das Männergrab unterscheiden sich wesentlich vom<br />

übrigen zeitgleichen nie<strong>der</strong>österreichischen Fundmaterial und entsprechen – vor allem<br />

hinsichtlich <strong>des</strong> Fundmaterials im Männergrab – <strong>der</strong> „Fürsten“-Grablege von Blučina<br />

sowie dem Frauengrab von Smolin. 541<br />

Mehr als dass <strong>der</strong> Grabfund von Untersiebenbrunn ein Bestattungsplatz jener<br />

führenden ostgermanischen Bevölkerungsschicht sei, die in <strong>der</strong> ersten Hälfte <strong>des</strong> 5.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts im Donauraum siedelte (Phase D2 Hochfelden/Untersiebenbrunn), lässt<br />

sich <strong>der</strong>zeit nicht mit Sicherheit sagen. 542 Meist wird <strong>der</strong> Grabkomplex einem<br />

alanischen o<strong>der</strong> ostgermanischen Fürstengeschlecht gotischer o<strong>der</strong> erulischer Herkunft<br />

zugeschrieben. Verbindungen mit Funden im Umfeld <strong>des</strong> Bosporanischen Reiches, <strong>der</strong><br />

Krim bis hin zu den Abhängen <strong>des</strong> Kaukasus dürften evident sein, eine alanische<br />

Zuordnung wird in <strong>der</strong> Forschung überwiegend abgelehnt. 543 Gegen eine gotische<br />

Grablege spricht allerdings die Waffenbeigabe im Männergrab. Damit ist eine (ost-)<br />

erulische Anknüpfung zumin<strong>des</strong>t möglich.<br />

1908 wurde – kurz vor <strong>der</strong> Entdeckung <strong>des</strong> Grabes von Untersiebenbrunn – ein Grab<br />

in Laa an <strong>der</strong> Thaya gefunden, dem eine weitere Entdeckung 1911 folgte. Die erste<br />

539 Stadler, Bevölkerungsstrukturen, 306; Ders., Ostgermanische Gräber, 342ff.<br />

540 Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 26f; Stadler, Bevölkerungsstrukturen, 306.<br />

541 Vgl. Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 27f.<br />

542 Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 29; Stadler, Ostgermanische Gräber, 343; Bierbrauer,<br />

Untersiebenbrunn, 498.<br />

543 Bierbrauer, Untersiebenbrunn, 499.


96 96<br />

Bestattung enthält ein Frauengrab, die zweite ein Männergrab. Im Frauengrab fanden<br />

sich die charakteristischen zwei großen Silberblechfibeln, 544 im Männergrab eine<br />

relativ bescheidene Waffenbeigabe.<br />

Auch diese Grabstätte verweist, wenn auch weniger prunkvoll als Untersiebenbrunn,<br />

auf die ostgermanische Führungsschicht <strong>des</strong> Raumes. Für eine genauere Deutung<br />

dieser Funde und ihre chronologische Stellung – über den vagen Hinweis auf die Mitte<br />

<strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts hinaus – besteht <strong>der</strong>zeit keine Einigkeit. 545 In <strong>der</strong> Literatur werden<br />

Goten 546 , Sueben o<strong>der</strong> Rugier 547 genannt, man wird aber auch Eruler nicht<br />

ausschließen können. Gleiches gilt für eine Reihe von einfachen Kriegergräbern mit<br />

kennzeichnenden Waffenteilen, wobei für den österreichischen Raum die Grabfunde<br />

von Wien-Leopoldau beson<strong>der</strong>s zu nennen sind. 548<br />

Zur Fundgruppe „Untersiebenbrunn“ aus dem 1. Drittel <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts werden<br />

auch die Männergräber von Lébény und Lengyeltóti gezählt. Sie „lassen sich wegen<br />

klarer Unterschiede im Grabkult gut von den reiternomadischen Hunnen (Totenopfer)<br />

... unterscheiden“ und sich somit <strong>der</strong> ostgermanisch-alanischen Fö<strong>der</strong>atenkultur<br />

zuordnen. 549<br />

Etwas jünger als Untersiebenbrunn dürfte das Frauengrab von Smolin, nördlich von<br />

Breclav/Nikolsburg gelegen, sein. 550 Die reiche Ausstattung <strong>des</strong> im Rahmen eines<br />

Gräberfel<strong>des</strong> gelegenen Frauengrabes verweist auf nordpontische Traditionen bzw. die<br />

Sântana-de-Mureş-Černjachov-Kultur sowie auf donauländisches Erbe, wie vor allem<br />

zwei Silberblechfibeln mit Palmetteneinfassung, eine stempelverzierte silberne<br />

Drittfibel mit umgeschlagenem Fuß und goldene Ohrgehänge verdeutlichen. 551 Was<br />

die zeitliche Einordnung betrifft, wird in <strong>der</strong> Literatur die fortgeschrittene erste Hälfte<br />

<strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts diskutiert, was eine ethnische Zuordnung beson<strong>der</strong>s schwierig<br />

macht. An<strong>der</strong>erseits aber liegt Smolin recht zentral in jenem Raum, den im Laufe <strong>des</strong><br />

5. Jahrhun<strong>der</strong>ts die Eruler einnahmen.<br />

544 Stadler, Bevölkerungsstrukturen, 306; Ders., Ostgermanische Gräber, 345.<br />

545<br />

Filip, Böhmen und Mähren, 152.<br />

546<br />

So wohl Wiesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 29.<br />

547<br />

Bóna, Ungarns Völker, 121.<br />

548<br />

Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 30ff.<br />

549<br />

Bierbrauer, Lébény, 175.<br />

550<br />

Zu Smolin siehe Tejral, Smolin, 160ff.<br />

551<br />

Vgl. Filip, Böhmen und Mähren, 152.


97 97<br />

Als weitere u. U. auch erulische Grablegen gelten ein Männer- und ein Kin<strong>der</strong>grab, die<br />

bei Kelleraushubarbeiten 1954 in Mödling, Lerchengasse angeschnitten und teilweise<br />

zerstört wurden. Es handelt sich um ostgermanische Einzelgräber aus dem 5.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t. Das Kin<strong>der</strong>grab enthielt Silberblechfibeln und einen zerbrochenen<br />

Nomadenspiegel aus Silber. 552 Als rugisch o<strong>der</strong> erulisch wird auch ein Grabfund in<br />

Groharras bezeichnet, <strong>der</strong> aus dem ausgehenden 5. Jahrhun<strong>der</strong>t stammen soll und die<br />

charakteristischen zwei Silberblechfibeln enthält. 553<br />

Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass „für das 5. Jahrhun<strong>der</strong>t eine starke<br />

ostergermanisch-donauländische Bevölkerungskomponente im Raum nördlich <strong>der</strong><br />

mittleren Donau“ feststellbar ist, „wobei sich <strong>der</strong> Schwerpunkt dieser Gruppe im 2.<br />

Drittel <strong>des</strong> Jahrhun<strong>der</strong>ts nach Tejral nach Norden, nach Mittel- und Südmähren und ins<br />

östliche Weinviertel verschob.“ Dabei kann vor allem auf „das Vorkommen von<br />

Schädeldeformationen und einen gewissen Anteil von mongoliden und<br />

vor<strong>der</strong>asiatischen Typen im anthropologischen Material hingewiesen werden.“ 554<br />

Zum Ende <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts kommen als Alternative zu ostgermanischen bzw.<br />

erulischen Gräbern zunehmend auch langobardisch-elbgermanische in Betracht. Bis<br />

vor Kurzem war es etwa – durch die Forschungen von J. Tejral bestimmt –<br />

herrschende Meinung, dass im mährischen Raum erst in den letzten Jahren <strong>des</strong> 5.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts „zum Unterschied vom älteren Grabhorizont mit einem an das Donauland<br />

und Schwarzmeergebiet sich anlehnenden Inventar ... <strong>der</strong> jüngere, mit Waffen<br />

ausgestattete Fundhorizont bestimmte elbgerm. Elemente“ aufweist, „die die Annahme<br />

vom Bestehen <strong>der</strong> langob. Zugehörigkeit unterstützen.“ 555 Demgegenüber hat Stein<br />

„eine mehrheitlich elbgerm. Prägung Mährens“ bereits seit <strong>der</strong> Mitte <strong>des</strong> 5.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts vermutet. Diese setzt zwischen 450 und 480 im Brünner Becken und an<br />

<strong>der</strong> mittleren Thaya ein, um nach dem Untergang <strong>des</strong> Rugierreiches südwestlich in das<br />

„Rugiland“ und weiter südlich <strong>der</strong> Donau zu expandieren. 556<br />

552 Stadler, Ostgermanische Gräber, 341f.<br />

553 Stadler, Ostgermanische Gräber, 346.<br />

554 Schwarcz, Heruler, 3f., <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Folge auf das von Tejral bearbeitete Material in den Gräbern von<br />

Šlapanice, Černin, Mistrin, Tasov, Novy Šaldorf, Velatice und Gaweinstal verweist. Vgl. dazu auch Pohl,<br />

Gepiden, 277.<br />

555 Filip, Böhmen und Mähren, 154.<br />

556 Stein, Langobarden, passim; Bierbrauer, Langobarden, 78ff.


98 98<br />

Man kann aufgrund <strong>der</strong> archäologischen Funde also früher als bisher angenommen mit<br />

<strong>der</strong> Anwesenheit landnehmen<strong>der</strong> Langobarden im westlichen Mähren, dem nördlichen<br />

und westlichen Weinviertel bzw. dem Tullnerfeld und im Traisental rechnen. 557<br />

Östlich <strong>der</strong> March, im südlichen Weinviertel bzw. im Marchfeld wird man im letzten<br />

Viertel <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts und zu Beginn <strong>des</strong> 6. Jahrhun<strong>der</strong>ts auch weiterhin von<br />

erulischer Besiedlung ausgehen können, denn hier setzt die elbgermanische Belegung<br />

erst ab 510 ein. 558 Es könnte sich also das erulische Machtzentrum um 500 entlang <strong>der</strong><br />

March nach Süden verlagert haben. 559 Versuche, „archäologische Denkmäler“ in<br />

Ungarn den Erulern zuzuordnen, haben sich bislang allerdings als nicht haltbar<br />

erwiesen. 560<br />

Alle diese archäologischen Befunde entsprechen den schriftlichen Quellen, die über<br />

den Sieg <strong>der</strong> Langobarden über die Eruler und die Verdrängung bzw. Auflösung dieser<br />

gens berichten. Lediglich in <strong>der</strong> Hegykö-Gruppe 561 aus <strong>der</strong> Langobardenzeit kann man<br />

die Gegenwart von erulischen Gruppen annehmen, welche sich später entwe<strong>der</strong> dem<br />

exercitus Langobardorum auf seinem Weg nach Italien angeschlossen haben o<strong>der</strong> aber<br />

in Westungarn <strong>zur</strong>ückgeblieben sind und zum germanischen Bevölkerungssubstrat <strong>der</strong><br />

frühawarischen Zeit gehören. 562<br />

10.2.3 Von <strong>der</strong> Schlacht am Nedao bis zum Abzug <strong>der</strong> Goten (454 bis 469/473)<br />

Wie erwähnt war das Ergebnis <strong>der</strong> Schlacht am Nedao, dass die an <strong>der</strong> Schlacht<br />

führend beteiligten Gepiden den größten Anteil <strong>des</strong> hunnischen Machtbereichs in<br />

Mitteleuropa übernahmen, während die kleineren Sieger-Ethnien westlich von den<br />

Gepiden und an den Grenzen <strong>des</strong> Imperiums Platz fanden. Es handelt sich dabei um<br />

Sueben, Skiren, Rugier, Eruler, und Sarmaten. Die pannonischen Goten unter <strong>der</strong><br />

Führung <strong>der</strong> drei amalischen Brü<strong>der</strong> Theodemer, Valamer und Videmer wichen nach<br />

<strong>der</strong> Schlacht weiter auf Reichsboden <strong>zur</strong>ück, wo sie von Kaiser Marcian angesiedelt<br />

wurden und trotz <strong>des</strong> Nie<strong>der</strong>ganges Pannoniens in <strong>der</strong> Hunnenzeit relativ gute<br />

557<br />

Dies zeigen die Gräberfel<strong>der</strong> von Erpersdorf, Maria Ponsee und die vor wenigen Jahren entdeckten<br />

von Pottenbrunn.<br />

558<br />

Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 37.<br />

559<br />

Vgl Pohl, Völkerwan<strong>der</strong>ung, 191.<br />

560<br />

Bóna, Ungarns Völker, 122, 125f.<br />

561 Siehe unten Kap. 12.4.<br />

562 Siehe unten 126.


99 99<br />

ökonomische Bedingungen vorfanden. Sie konnten daher in <strong>der</strong> Folge eine starke<br />

machtpolitische Basis aufbauen, Druck auch nach Norden ausüben und den Raum<br />

zunehmend militärisch und politisch dominieren. „Die Geschichte <strong>des</strong> Donau-<br />

Karpaten-Raumes zwischen 454 und 473 ist ... in erster Linie eine Kriegsgeschichte<br />

<strong>der</strong> Ostgoten.“ 563<br />

Entsprechend den Quellen waren von den genannten donauländischen gentes zunächst<br />

Sueben und Skiren aktiv. Die Rugier werden erst für das Ende dieser Phase fassbar,<br />

die Eruler spielen in den Quellen dieser Zeit praktisch keine Rolle.<br />

Ein Ethnonym, das nach <strong>der</strong> Schlacht am Nedao im wahrsten Sinne <strong>des</strong> Wortes an <strong>der</strong><br />

Donau wie<strong>der</strong> „auftauchte“, ist die Bezeichnung Sueben. 564 Die „Donau-Sueben“ 565<br />

werden sowohl mit Quaden als auch mit Markomannen identifiziert. 566 Quaden<br />

könnten sich von ihren Sitzen nördlich <strong>der</strong> Donau in <strong>der</strong> hunnischen Zeit sowohl in<br />

Mähren als auch in <strong>der</strong> Slowakei in die Berge <strong>zur</strong>ückgezogen und nun wie<strong>der</strong> nach<br />

Süden ausgebreitet haben. Markomannische Gruppen könnten bei <strong>der</strong> Bildung <strong>der</strong><br />

nachhunnenzeitlichen suebischen gens an <strong>der</strong> Donau entsprechend <strong>der</strong> These von<br />

Lotter 567 eine größere Rolle gespielt haben, wenn diese Anknüpfung quellenmäßig<br />

auch etwas mager begründet zu sein scheint. Grundsätzlich gilt, dass „die enge<br />

Verwandtschaft <strong>der</strong> materiellen Kultur <strong>der</strong> Markomannen und Quaden ... keine<br />

Festlegung einer festen Grenze zwischen beiden Stämmen (erlaubt)“, 568 sodass eine<br />

über den Grad <strong>der</strong> Beteiligung <strong>der</strong> beiden „Stämme“ an <strong>der</strong> neu auftauchenden<br />

donausuebischen gens eine endgültige Aussage nicht möglich erscheint.<br />

Wie <strong>der</strong> archäologische Befund deutlich macht, wurden die Gebiete nördlich <strong>der</strong><br />

Donau kurz nach 400 weitestgehend verlassen, da <strong>der</strong> offenbar größere Teil <strong>der</strong><br />

reiternomadisch lebenden „quadisch-suebischen“ Bevölkerung mit den Vandalen nach<br />

Westen zog, während die bäuerlich lebende „markomannisch-suebische“ Bevölkerung<br />

sich nach Süden ausbreitete. 569 Nach dem Sieg am Nedao wären diese suebischen<br />

563<br />

Pohl, Gepiden, 264.<br />

564<br />

Zum Sueben-Begriff gibt es eine umfangreiche Literatur, siehe oben Anm. 461.<br />

565<br />

Zu den Donausueben in <strong>der</strong> ersten Hälfte <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts siehe oben 77ff. Vgl. dazu weiters Lotter,<br />

Rolle, passim; Pohl, Gepiden, 274ff; Castritius, Sweben, 196ff.<br />

566<br />

Bona, Ungarns Völker, 120; Kolnik, Quaden, 636; kritisch dazu Lotter, Rolle, bes. 279ff.<br />

567 Lotter, Rolle, passim, insbeson<strong>der</strong>e 281ff.<br />

568<br />

Kolnik, Quaden, 636.<br />

569<br />

Lotter, Rolle, 280f.


100<br />

Gruppen weiter nach Süden über die Donau bis zum Plattensee bzw. zu Drau und Save<br />

vorgedrungen.<br />

Die Konflikte zwischen den Siegern von Nedao und den Ostgoten begannen gemäß<br />

Jordanes etwa 467 mit einem Raubzug eines suebischen „dux“ namens Hunimundus<br />

(Hunumundus). 570 Während die Ostgoten in einen Krieg gegen den Hunnenkönig<br />

Dintzik in <strong>der</strong> Gegend von Sirmien verwickelt waren, hatte Hunimund Dalmatien<br />

geplün<strong>der</strong>t und die Herden <strong>der</strong> Goten geraubt. Auf ihrer Rückkehr wurden die Sueben<br />

von Theodemer, einem <strong>der</strong> drei ostgotischen Teilkönige und Vater Theo<strong>der</strong>ichs, am<br />

Pelso-See 571 gestellt und besiegt. Hunimund unterwarf sich und wurde von Theodemer<br />

an Sohnes statt angenommen. Doch kaum zu den Seinen <strong>zur</strong>ückgekehrt hetzte<br />

Hunimund die Skiren gegen die Goten auf.<br />

Die Skiren als zweite in <strong>der</strong> ersten Nedao-Phase aktive gens gehören zu den ältesten in<br />

den Quellen erwähnten germanischen Gruppen, sie treten wie die Bastarnen bereits um<br />

200 v. Chr. als Ankömmlinge am Ende einer Südostwan<strong>der</strong>ung am Schwarzen Meer<br />

auf. 572 In <strong>der</strong> Folge besteht für die Skiren eine beson<strong>der</strong>s lange Lücke in den Quellen,<br />

sie scheinen we<strong>der</strong> in den Markomannenkriegen <strong>des</strong> 2. Jahrhun<strong>der</strong>ts noch bei den<br />

Raubzügen <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts auf. Castritius vermutet, dass die Skiren in dieser Zeit<br />

„unter den Bastarnen subsumiert wurden, über die durchgängig berichtet wurde.“ 573<br />

Erst die Veroneser Völkertafel 574 nennt sie wie<strong>der</strong> und reiht sie als einen mächtigen<br />

Verband zwischen Sarmaten und Karpen ein. Castritius geht davon aus, dass<br />

„skirische Teilgruppen“ an den verschiedenen Unternehmungen hunnischer und<br />

germanischer Kriegerscharen im 5. Jahrhun<strong>der</strong>t teilgenommen habe, „ohne dass dies<br />

die Überlieferung für mitteilungswert hielt.“ 575<br />

Jordanes erwähnt Edika und seinen älteren Sohn Hunulf 468/69 als primates <strong>des</strong><br />

Skirenreiches, das offenbar von den Donaunebenflüssen Waag und Eipel bis ins<br />

mittlere Alföld reichte. 576 Edika hatte zu den loga<strong>des</strong> am Hof Attilas gezählt und bei<br />

570<br />

Jordanes, Getica, LIII, 273.<br />

571<br />

Der lacus pelso(d)is dürfte eher <strong>der</strong> Plattensee als <strong>der</strong> Neusiedlersee sein, Vgl. Lotter, Rolle, 285.<br />

Theodemer dürfte überdies hier, und zwar in <strong>der</strong> römischen Festung Valcum (heute Keszthely-Fenékpuszta),<br />

seinen Hauptsitz errichtet haben.<br />

572<br />

Zu den Skiren siehe Castritius, Skiren; Pohl, Gepiden, 273f.<br />

573<br />

Castritius, Skiren, 641.<br />

574<br />

Siehe oben 33.<br />

575<br />

Castritius, Skiren, 642.<br />

576<br />

Jordanes, Getica LIV, 277.


101<br />

<strong>der</strong> Schlacht von Nedao auf Seite <strong>der</strong> Sieger die Skiren angeführt. Die Skiren ließen<br />

sich nun in offenbarer Fehleinschätzung <strong>der</strong> eigenen Möglichkeiten und in <strong>der</strong><br />

Hoffnung auf kaiserliche Unterstützung 577 vom Suebenkönig Hunimund dazu<br />

anstiften, die Goten anzugreifen. Im Jahr 468 wurden die Skiren an einem<br />

unbekannten Ort vernichtend geschlagen, <strong>der</strong> Gotenkönig Valamer kam dabei<br />

allerdings laut Jordanes ums Leben. 578 Reste <strong>des</strong> skirischen Heeres konnten sich mit<br />

einem Rückzug über die Donau in Sicherheit bringen und waren dann kurz darauf<br />

nochmals an <strong>der</strong> Schlacht an <strong>der</strong> Bolia am antigotischen Bündnis beteiligt.<br />

Die nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> Skiren für die Donausueben eintretende prekäre Situation<br />

findet bei Eugippius einen deutlichen Nie<strong>der</strong>schlag, sowohl die Zerstörung von<br />

Asturis/Klosterneuburg als auch die Flucht aus Comagenis/Tulln wi<strong>der</strong>spiegeln die<br />

(gotische) Bedrohung aus Pannonien für die (suebischen?) Fö<strong>der</strong>atenbesatzungen <strong>der</strong><br />

Städte. 579<br />

Nach <strong>der</strong> vernichtenden Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> Skiren gegen die Ostgoten bemühten sich die<br />

Sueben aufs Neue um eine Koalition gegen die Ostgoten. Dabei trat neben Hunimund<br />

als weiterer „Suebenkönig“ <strong>der</strong> sonst unbekannte Alarich auf, <strong>der</strong> auch als Eruler<br />

bezeichnet wird. 580 Sarmaten und die Reste <strong>der</strong> Skiren unter ihren Häuptlingen Edika<br />

und Hunwulf waren am antigotischen Bündnis ebenso beteiligt wie Gepiden und<br />

Rugier. Am Fluss Bolia in Pannonien, so berichtet uns Jordanes schlug die verbündete<br />

Armee ihr Lager auf. Die Lokalisierung ist umstritten, am plausibelsten ist eine<br />

Gleichsetzung mit <strong>der</strong> Eipel (ungar. Ipoly). 581<br />

„Die Goten hatten nach Walamirs Tod zu seinem Bru<strong>der</strong> Thiudimir ihre Zuflucht<br />

genommen. Obwohl dieser schon lange neben seinen Bür<strong>der</strong>n König gewesen war,<br />

nahm er doch jetzt erst die Zeichen höherer Machtstellung an. Er rief seinen jüngren<br />

Bru<strong>der</strong> Widimir herbei, und nachdem er mit diesem die Sorgen für den Krieg geteilt<br />

hatte, griff er notgedrungen zu den Waffen. Als sich <strong>der</strong> Kampf entspann, behielten<br />

die Goten die Oberhand, so dass das Feld vom Blut <strong>der</strong> getöteten Feinde wie ein rotes<br />

Meer erschien und Waffen und Leichen bergartig aufgetürmt das Gefilde auf mehr als<br />

10 000 Schritte bedeckten. Als das die Goten sahen, erfüllte sie unaussprechlicher<br />

Jubel, weil sie ihres Königs Walamir Blut und das Unrecht, das die Feinde begangen,<br />

577<br />

Kaiser Leo I. hatte tatsächlich den illyrischen Heermeister angewiesen, die Skiren zu unterstützen<br />

(Priskos, fragm 45, ed. Blockley).<br />

578 Jordanes, Getica LIII, 276.<br />

579 Vgl. dazu im Beson<strong>der</strong>en Lotter, Rolle, 289f.<br />

580<br />

Der Name Alarich wird mehrfach im Kontext mit Erulern genannt. Auch <strong>der</strong> Erulerkönig, <strong>der</strong> am<br />

Maeotis Ermanarich unterlegen war, hieß Alarich, Vgl. oben 71.<br />

581<br />

Zur Schlacht an <strong>der</strong> Bolia Vgl. Schmidt, Ostgermanen, 98, 275f; Wenskus, Bolia; Wolfram, Goten,<br />

265f; Pohl, Gepiden, 266ff.


102<br />

mit einer so großen Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong>selben gerächt hatten. Wer von <strong>der</strong> unzähligen,<br />

bunten Menge <strong>der</strong> Feinde zu entrinnen imstande war, kam mit Mühe und Not ruhmlos<br />

durch die Flucht nach Hause.“ 582<br />

Für Sueben und Skiren bedeutete die Nie<strong>der</strong>lage an <strong>der</strong> Bolia das Ende als selbständig<br />

agierende gentes. Jordanes berichtet auch noch von einem Rachefeldzug Theodemers<br />

gegen Hunimund, <strong>der</strong> sich zu den verbündeten Alemannen geflüchtet hatte 583 und von<br />

dort möglicherweise noch einige Unruhe gestiftet hat. 584 Soweit sie nicht mit<br />

Hunimund nach Westen geflüchtet sind, blieben sie möglicherweise unter <strong>der</strong> Führung<br />

<strong>des</strong> als Eruler bezeichneten Fürsten Alarich in <strong>der</strong> Slowakei und Pannonien, von wo<br />

sie nach Süden expandierten 585 und vermutlich zum bäuerlichen „Substrat“ <strong>des</strong><br />

Erulerreiches bei <strong>des</strong>sen Ausgreifen in diese Gebiete gehörten. 586<br />

Nach <strong>der</strong> erulischen Nie<strong>der</strong>lage gegen die Langobarden hören wir nochmals von den<br />

Sueben, als sie vom Langobardenkönig Wacho im Zuge <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzungen mit<br />

den Gepiden unterworfen wurden. 587 In Folge sind die Sueben <strong>des</strong> mittleren<br />

Donauraumes offensichtlich mehrheitlich mit den Langobarden, die laut den Quellen<br />

als zahlenmäßig schwacher Stamm systematisch an<strong>der</strong>e gentes assimilierten, 588 nach<br />

Italien abgezogen. 589<br />

Auch die Skiren lösten sich nach <strong>der</strong> Schlacht an <strong>der</strong> Bolia als fassbare soziale Gruppe<br />

auf. Ihr „König“ Edika scheint bei <strong>der</strong> Schlacht den Tod gefunden zu haben. 590 Die<br />

Reste <strong>der</strong> skirischen Verbände gingen in <strong>der</strong> Heermacht Odowakars auf, <strong>der</strong> offenbar<br />

selbst skirischer Abkunft war. 591 Man wird aber davon ausgehen können, dass zwar<br />

auch die Skiren in <strong>der</strong> Folge bei zu Großgruppen führenden Ethnogenesen beteiligt<br />

waren, auf Grund ihrer wahrscheinlich geringen Zahl wird man ihren Beitrag jedoch<br />

582 Jordanes, Getika LIV, 278–279.<br />

583<br />

Zu den mit diesem Schlussakt <strong>der</strong> donausuebischen Geschichte verbundenen Fragen <strong>des</strong> Verhältnisses<br />

von alemannischen Sueben zu Donausueben Vgl. insbes Lotter, Rolle und Castritius, Sweben, 200.<br />

584<br />

Zur Identität <strong>des</strong> von Jordanes erwähnten Hunimund mit dem bei Eugippius genannten Hunumund<br />

siehe Lotter, Rolle, 291ff.<br />

585 „Die im n. Teil Pann.s siedelnden Sweben (Ménföcsanak, Tatabánya, Esztergom) expandierten nach<br />

dem Abzug <strong>der</strong> O-Goten nach S (Szabandbattyán, Dunaújváros, Hács, Dabronc, Kapolcs) ...“ (Vida, Ungarn,<br />

463).<br />

586 Siehe oebn 98.<br />

587 Origo gentis Langob. C. 4 ; Paulus Diaconus, Hist. Langob. I, 21. Vgl. dazu Lotter, Rolle, 296.<br />

588 Prokop, Gotenkriege III, 34, 3.<br />

589 Paulus Diaconus, Hist. Langob. IV, 5.<br />

590 Pohl, Edika, 446.<br />

591 Zur Person Odowakars siehe Wolfram, Odowakar, 573–575; Castritius, Heermeister.


103<br />

nicht allzu hoch einschätzen dürfen. 592 Sueben und Skiren haben damit ein ähnliches<br />

Schicksal erfahren wie später die Eruler.<br />

Schließlich ist auch noch auf die Sarmaten zu verweisen, die vergleichbar den Erulern<br />

eine egalitäre Kriegergesellschaft bildeten. 593 Ihre Geschichte ist durch eine<br />

fortwährende Ost-West-Wan<strong>der</strong>ung und einen dabei stattfindenden stetigen<br />

Kulturaustausch mit germanischen gentes und Ethnien gekennzeichnet. Sie sind<br />

erstmals im Raum zwischen Don und unterer Wolga belegt, wo sie mit den Ost-<br />

Erulern in Kontakt gekommen sein müssten. Ein enges Verhältnis bestand in <strong>der</strong> Folge<br />

mit den Goten im Bereich <strong>der</strong> Sântana-de-Mureş-Černjachov-Kultur. Sarmatische<br />

gentes, Jazygen und Roxolanen, befanden sich seit dem 1. nachchristlichen<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t aber auch in <strong>der</strong> ungarischen Tiefebene und Dakien. Sie waren in <strong>der</strong><br />

Folge als Verbündete <strong>der</strong> Markomannen und Quaden in die Kämpfe gegen Rom<br />

involviert. Nach dem Hunneneinfall in diesem Raum teilten sie das Schicksal <strong>der</strong><br />

germanischen gentes und wurden im Verlaufe <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts schließlich auf das<br />

südliche Alföld beschränkt, von wo Teile von ihnen um Aufnahme ins römische Reich<br />

ersuchten. Bei <strong>der</strong> Schlacht an <strong>der</strong> Bolia standen sie unter ihren Königen Beuca und<br />

Babai auf Seiten <strong>der</strong> Verlierer. 471 wurden sie im Raum Singidinum von den Ostgoten<br />

unter Theo<strong>der</strong>ich nochmals besiegt und sind in <strong>der</strong> Folge als Handelnde in diesem<br />

Raum bedeutungslos geworden. Wie die Sueben dieses Raumes schlossen sich Reste<br />

<strong>der</strong> Sarmaten laut Paulus Diaconus 568 den Langobarden bei ihrem Zug nach Italien<br />

an. 594<br />

Nach den Siegen über Sueven, Skiren und dann über die vereinigten Heere <strong>der</strong> Donau-<br />

gentes an <strong>der</strong> Bolia drangen die Goten gegen die Donau und in das Wiener Becken vor<br />

und wurden so zu Nachbarn von Rugiern und Erulern.<br />

Die Rugier gehörten zwar zum Bündnis <strong>der</strong> Verlierer an <strong>der</strong> Bolia, bekamen jedoch<br />

den Zorn <strong>der</strong> Sieger vergleichsweise in geringem Maße zu spüren. Die Goten<br />

verhin<strong>der</strong>ten allerdings den Abzug <strong>der</strong> Rugier unter Flaccitheus nach Italien durch das<br />

Sperren <strong>der</strong> Straße von Savaria/Szombathely über Poetovio/Pettau nach Aquileia. 595 In<br />

592 Castritius, Skiren, 643 betont jedoch ungeachtet <strong>der</strong> auch von ihm herausgestellten geringen Zahl <strong>der</strong><br />

Skiren, dass sie „in diesem Prozess eine Rolle gespielt haben, ohne dass wir ihren Beitrag auch nur ungefähr<br />

bemessen können.“<br />

593 Zu den Sarmaten Vgl. Eggers, Sarmaten; Ioniţă, Sarmaten; Pohl, Gepiden, 276f.<br />

594 Paulus Diaconus, Hist. Langob. II, 26.<br />

595 Eugippius, Vita Severini 5.


104<br />

<strong>der</strong> Folge kam es jedoch zu einer Verständigung zwischen Rugiern und den<br />

abziehenden Goten, wobei dem Rugierkönig Feletheus-Fewa eine wahrscheinlich<br />

amalische Gemahlin namens Giso gegeben wurde. Dies brachte die Rugier aber in<br />

einen gefährlichen Gegensatz zu Odowakar, <strong>der</strong> den von den Goten verlassenen<br />

pannonischen Raum von Italien aus sichern wollte, was nicht ganz 20 Jahre später das<br />

Ende <strong>des</strong> Rugierreiches herbeiführen sollte. Über die weiteren Vorgänge im<br />

Rugierreich, die in die zweite Nedao-Phase gehören, sind wir durch die Vita Severini<br />

weit besser informiert als über das Schicksal <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Fö<strong>der</strong>atenreiche an <strong>der</strong><br />

Donau.<br />

Unter den Nutznießern <strong>des</strong> Sieges an <strong>der</strong> Nedao waren auch die Eruler. Nachdem sie<br />

unter hunnischer bzw. gotischer Dominanz kein selbständiges „Heerkönigtum“<br />

entwickelt hatten, kam es offenbar zu einer gewissen „Sesshaftwerdung“ und <strong>zur</strong><br />

Ausbildung eines erulischen Herrschaftsschwerpunktes. Allerdings treten sie in <strong>der</strong><br />

ersten Phase <strong>des</strong> Nedao-Systems in den Quellen nicht als Handelnde auf.<br />

Der Raum <strong>des</strong> erulischen Herrschaftsbereiches ist bis zum Zusammenbruch <strong>des</strong><br />

erulischen „Reiches“ nicht klar bestimmbar. Auch die bereits oben angeführten<br />

archäologischen Funde 596 helfen kaum weiter. Prokop 597 spricht davon, dass die Eruler<br />

seit altersher jenseits <strong>der</strong> Donau hausten. Dies entspricht <strong>der</strong> Bemerkung <strong>des</strong> Julius<br />

Honorius, dass die Eruler zwischen den Markomannen und Quaden wohnten. 598<br />

Ludwig Schmidt ordnet ihnen das Gebiet „im Rücken <strong>der</strong> Skiren und Sueben zwischen<br />

March und Eipel“ bei <strong>der</strong> „Verteilung <strong>der</strong> Siegesbeute“ nach <strong>der</strong> Schlacht am Nedao<br />

zu. 599 Ob das erulische Herrschaftsgebiet so weit nach Osten gereicht hat, amg<br />

dahingestellt bleiben, unbestritten dürfte sein, dass man in dieser Zeit von einem<br />

erulisch bestimmten politischen Gebilde in Südmähren und dem nördlichen<br />

Weinviertel entlang von March und Thaya sprechen kann. Damit hätten sie östlich <strong>der</strong><br />

Rugier, nördlich <strong>der</strong> Sueben und nordwestlich <strong>der</strong> Skiren gesiedelt.<br />

Ob Eruler an <strong>der</strong> Schlacht an <strong>der</strong> Bolia beteiligt waren, ist strittig. Schmidt geht mit<br />

Sicherheit davon aus. 600 Für eine Beteiligung von erulischen Gruppen sprechen sowohl<br />

596<br />

Siehe oben 87ff.<br />

597<br />

Prokop, Gotenkriege II, 14.<br />

598<br />

Julius Honorius, 26. Siehe oben 77f.<br />

599<br />

Schmidt, Ostgermanen, 550.<br />

600<br />

Schmidt, Ostgermanen, 275, 551.


105<br />

die Erwähnung <strong>des</strong> als Erulerkönig bezeichneten Alarich 601 als auch <strong>der</strong> relativ große<br />

Anteil von Erulern in <strong>der</strong> Gefolgschaft Odowakars auf seinem Weg nach Italien.<br />

Wenskus dagegen hält angesichts <strong>der</strong> sonstigen Haltung <strong>der</strong> Eruler gegenüber den<br />

Goten die Beteiligung für eher unwahrscheinlich. 602<br />

In gewisser Weise wie<strong>der</strong>holte sich nach <strong>der</strong> Schlacht an <strong>der</strong> Bolia die Dramaturgie,<br />

wie sie die Folge <strong>der</strong> Schlacht am Nedao gewesen war – allerdings erst nachdem die<br />

siegreichen und zunächst dominierenden Ostgoten den Raum verlassen hatten und in<br />

die römischen Balkanprovinzen zogen. Es kam zu einer Neuordnung <strong>des</strong> ethnischen<br />

Gemisches, bei dem einige Verlierer <strong>der</strong> Schlacht an <strong>der</strong> Bolia ihr Territorium sogar<br />

erweitern konnten. Die Gepiden setzten sich in Teilen Pannoniens fest und errichteten<br />

einen weiteren Königssitz in Sirmium, wo sie erst wie<strong>der</strong> von den Ostgoten 504<br />

verdrängt werden. 603 Rugier und Eruler konnten ihre Herrschaft stabilisieren bzw.<br />

erweitern.<br />

10.2.4 Odowakars Herrschaft und die kleinen Fö<strong>der</strong>atenreiche an <strong>der</strong> Donau<br />

Die nächste Phase im System von Nedao ist durch die Herrschaft Odowakars in Italien<br />

bestimmt. Ein weiteres Charakteristikum dieser Phase ist die Etablierung eines<br />

rugischen „Fö<strong>der</strong>atenreiches“ an <strong>der</strong> Donau, über das wir durch die Vita Severini<br />

beson<strong>der</strong>s gut informiert sind. Meist wird angenommen, dass das Zentrum dieses<br />

rugischen Regnums gegenüber von Favianis/Mautern lag, d.h. im Bereich von Krems<br />

und Langenlois, und vom Ostrand <strong>des</strong> Waldviertels bis zu einer Linie reichte, die vom<br />

Bisamberg über die Leiserberge bis <strong>zur</strong> Thaya führte. 604<br />

Der Rugiername ist bereits aus dem 1. und 2. Jahrhun<strong>der</strong>t bekannt, wo sie an <strong>der</strong><br />

Ostsee gewohnt haben sollen 605 und damit zu den Trägern <strong>der</strong> Wielbark-Kultur gehört<br />

haben dürften. Der Name <strong>der</strong> Rugier findet sich vergleichbar dem Eruler-Namen in<br />

verschiedenen Regionen, so auch in Norwegen (Rogaland), ohne dass damit eine<br />

Wan<strong>der</strong>ungsbewegung verbunden gewesen sein muss. 606<br />

601 Der Name Alarich wird mehrfach im Kontext mit Erulern genannt. Auch <strong>der</strong> Erulerkönig, <strong>der</strong> am<br />

Maeotis Ermanarich unterlegen war, hieß Alarich, Vgl. oben 71.<br />

602 Wenskus, Bolia, 213.<br />

603 Siehe unten 110.<br />

604 Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 14.<br />

605 Tacitus, Germania, 44.<br />

606 Pohl, Rugier, 455.


106<br />

Wie auch an<strong>der</strong>e Ethnien <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit sind sie in <strong>der</strong> Folgezeit nicht<br />

sicher bezeugt und tauchen – übrigens mit den Erulern – erst wie<strong>der</strong> im Völkerkatalog<br />

<strong>des</strong> Laterculus Veronensis aus dem 4. Jahrhun<strong>der</strong>ts und in einer späten Rezension <strong>der</strong><br />

Kosmographie <strong>der</strong> Julius Honorius auf. 607 Sidonius Apollinaris führt sie in <strong>der</strong> Liste<br />

<strong>der</strong> Völker an, die Attila nach Gallien folgen. 608 Jordanes erwähnt ihre Teilnahme an<br />

<strong>der</strong> Schlacht am Nedao 454 auf Seiten <strong>der</strong> Sieger und auf Seiten <strong>der</strong> Verlierer gegen<br />

die pannonischen Ostgoten in <strong>der</strong> Schlacht an <strong>der</strong> Bolia 469. 609 Nach <strong>der</strong> verlorenen<br />

Schlacht an <strong>der</strong> Bolia und nach <strong>der</strong> Machtübernahme von König Flaccitheus dürften<br />

die Rugier einen Abzug nach Italien erwogen haben, <strong>der</strong> von den Goten zunächst<br />

blockiert wurde. 610 Es kam jedoch offensichtlich zu einem Ausgleich mit den Goten,<br />

sodass das „Reich <strong>des</strong> Flaccitheus an Macht zunehmen“ und er sein Leben „in Ruhe<br />

und Frieden beschließen“ konnte. 611 Die Stabilisierung <strong>des</strong> Rugierreiches erfolgte nach<br />

dem Abzug <strong>der</strong> Goten aus Pannonien ab 471/72 und dem Zuzug <strong>der</strong> von Thüringern<br />

und Alemannen bedrohten romanischen Bevölkerung aus dem oberösterreichischen<br />

Gebiet. Der Nachfolger <strong>des</strong> Flaccitheus, König Feletheus-Fewa, dem eine<br />

wahrscheinlich amalische Gemahlin namens Giso gegeben wurde, 612 betrieb eine<br />

gotenfreundliche Politik. Nach dem Untergang <strong>der</strong> römischen Zentralverwaltung 476<br />

dürften die Rugier als Fö<strong>der</strong>aten ihr Gebiet südlich <strong>der</strong> Donau erweitert und in<br />

Ufernorikum zwischen Enns und Wienerwald für eine gewisse politische Stabilität<br />

gesorgt haben.<br />

Dieses Ausgreifen <strong>der</strong> rugischen Macht und ein Bündnis mit Theo<strong>der</strong>ichs Ostgoten<br />

und Konstantinopel brachte Fewa/Feletheus jedoch in einen Gegensatz zu Odowakar.<br />

Als unmittelbarer Anlass für den Angriff Odowakars auf das Rugierreich wird in den<br />

Quellen ein Konflikt in <strong>der</strong> rugischen Königssippe angeführt. 613 Wie dem auch sei,<br />

Odowakar wollte einer konzertierten Aktion aller Gegner offenbar zuvor kommen.<br />

607<br />

Siehe oben 34.<br />

608<br />

Sidonius Appolinaris, carm 7.<br />

609<br />

Siehe oben 100. Zum Schicksal <strong>der</strong> Rugier nach <strong>der</strong> Schlacht an <strong>der</strong> Bolia siehe Pohl, Gepiden, 278ff;<br />

Pohl, Rugier, 456f.<br />

610<br />

Eugippius, Vita Severini 5. Zu <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> Rugier in <strong>der</strong> Vita Severini Vgl. Lotter,<br />

Severinus; Wolfram, Reich; Pohl-Diesenberger, Eugippius.<br />

611<br />

Eugippius, Vita Severini 5.<br />

612<br />

Die amalische Verwandtschaft <strong>der</strong> Rugier-Königin wird von Theo<strong>der</strong>ich als Grund für die Ermordung<br />

Odowakars in Vollzug von Blutrache angegeben, Vgl. Ennodius, Panegyricus Theodorico regi dictus, 25, Migne,<br />

Patrologiae Graecae, LXIII, 167ff).<br />

613 Eugippius, Vita Severini, 44.


107<br />

Entwe<strong>der</strong> am 15. November o<strong>der</strong> 18. Dezember 487 kam es im Tullnerfeld am rechten<br />

Donauufer zu einer verlustreichen Schlacht, bei <strong>der</strong> König Feletheus von Odowakars<br />

Bru<strong>der</strong> Hunwulf und dem römischen Comes Pierius vernichtend geschlagen wurde.<br />

Der rugische König und seine gotische Frau wurden als Gefangene nach Italien geführt<br />

und ermordet. Der gotenfreundliche Hauptteil <strong>der</strong> Rugier flüchtete zu Theo<strong>der</strong>ich und<br />

schloss sich später <strong>des</strong>sen Italienzug an. 614<br />

Die römischen Provinzialen wurden von einem weiteren Heer Odowakars nach Italien<br />

geholt, sodass auch das Gebiet in Nie<strong>der</strong>österreich südlich <strong>der</strong> Donau stark entvölkert<br />

<strong>zur</strong>ückgelassen wurde. Es gibt aber auch archäologische Belege für das Verbleiben<br />

einer Anzahl von Romanen in Nie<strong>der</strong>österreich 615 sowie einer romanischen Kontinuität<br />

in Westungarn. 616 Das Gebiet stand nun für die Expansion an<strong>der</strong>er gentes, im<br />

Konkreten waren dies Eruler und vor allem Langobarden, <strong>zur</strong> Verfügung.<br />

Die Eruler saßen vorerst östlich <strong>der</strong> Rugier. Als Pannonien zwischen 468 und 473<br />

sukzessive „gotenfrei“ wurde, 617 konnten die Eruler wie die an<strong>der</strong>en ethnischen<br />

Gruppen <strong>des</strong> Raumes ihre Situation deutlich verbessern. „Nach dem Abzug <strong>der</strong> Goten<br />

aus Pannonien griffen die Heruler mächtig um sich.“ 618 In den Quellen treten sie in<br />

dieser zweiten Phase <strong>des</strong> Nedao-Systems allerdings lediglich durch einen Überfall auf<br />

Joviacum an <strong>der</strong> Donau (Haibach bei Aschach an <strong>der</strong> Donau in OÖ) um 480 in<br />

Erscheinung. Die Vita Severini berichtet, dass eine erulische Schar Joviacum<br />

verwüstet, die Bewohner gefangen fortgeführt und den Presbyter erhängt hätte. 619<br />

Wenn Alarich ein erulischer „Heerkönig“ war, dann spricht einiges dafür, dass nach<br />

seinem Tod am Schlachtfeld an <strong>der</strong> Bolia wenigstens ein Teil <strong>der</strong> „heerführerlos“<br />

gewordenen Eruler sich Odowakar anschloss und diesem auch bei seinem Zug nach<br />

Italien folgte. 620 In den letzten Jahren vor dem Fall <strong>des</strong> weströmischen Reiches hatten<br />

Skiren, Eruler und Rugier als Fö<strong>der</strong>aten den Kern <strong>der</strong> kaiserlichen Truppen gebildet.<br />

614<br />

Siehe unten 107.<br />

615<br />

Vgl. Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 21.<br />

616<br />

Hier ist auf die so genannte Keszthely-Kultur zu verweisen, die noch weit in die awarische Zeit<br />

hineingereicht haben dürfte (Vgl. Pohl, Gepiden, 280ff; Tóth, Geschichte, passim).<br />

617<br />

Vgl. dazu Wolfram, Goten, 259ff; Pohl, Gepiden, 264ff.<br />

618<br />

Schmidt, Ostgermanen, 551.<br />

619<br />

Eugippius, Vita Severini, 24.<br />

620 In den Quellen werden sehr unterschiedliche Angaben über die Herkunft Odowakars gemacht. Vieles<br />

ist bis heute unklar, so vor allem auch die Frage, ob Odowakar <strong>der</strong> jüngere Sohn <strong>des</strong> oben erwähnten skirischhunnischen<br />

Fürsten Edika war (Vgl. Pohl, Edika, 446f.).


108<br />

Als ihnen die Gleichstellung mit den regulären Truppen und entsprechende<br />

Landzuteilungen (es wird von Landfor<strong>der</strong>ung seitens <strong>der</strong> Eruler, Skiren und<br />

Turkilingen berichtet) von Orestes verweigert wurden, führte dies schließlich <strong>zur</strong><br />

„Königserhebung“ Odowakars. 621<br />

Was den Anteil <strong>der</strong> Eruler an <strong>der</strong> Herrschaft Odowakars betrifft, so dürfte dieser nicht<br />

unbeträchtlich gewesen sein. Man kann davon ausgehen, dass die Eruler jedenfalls<br />

einen hohen Anteil unter den unzufriedenen „foe<strong>der</strong>ati“ Odowakars stellten, sodass die<br />

Feststellung <strong>der</strong> Konsularfasten berechtigt erscheint, er wäre 476 von „seinen Erulern“<br />

in Italien zum König ausgerufen worden. 622<br />

Als die Ostgoten 488 unter Theo<strong>der</strong>ich als magister militum durch Kaiser Zeno<br />

legitimiert nach Italien eingefallen waren, scheinen Eruler bis zuletzt im belagerten<br />

Ravenna und bei seinen Durchbruchsversuchen die Hauptmacht Odowakars gebildet<br />

zu haben. So machte Odowakar einen letzten verzweifelten Ausbruchsversuch in <strong>der</strong><br />

Nacht zum 10. Juli 491 „mit seinen Kerntruppen, den Herulern“ 623 , wurde jedoch<br />

abgeschlagen. Auch „herulische Scharen von <strong>der</strong> Donau, die den Stammengenossen zu<br />

Hilfe kommen wollten, (wurden) mit blutigen Köpfen wie<strong>der</strong> heimgeschickt.“ 624<br />

Nach Nie<strong>der</strong>lage und Ermordung Odowakars war sein aus verschiedenen<br />

Volksgruppen bestehen<strong>des</strong> Heer führerlos geworden. Möglicherweise verstärkten die<br />

dabei übriggebliebenen Eruler, soweit sie das von Theo<strong>der</strong>ich angeordnete<br />

Massaker 625 überlebt haben, durch Rückkehr in den Donauraum das Erulerreich, das<br />

seit dem Beginn <strong>der</strong> 90er Jahre offensichtlich an Bedeutung zunahm.<br />

Von nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage Odowakars in Italien verbleibenden Eruler ist jedenfalls<br />

keine Rede mehr, wenn man von <strong>der</strong> Bemerkung <strong>des</strong> Paulus Diaconus absieht, dass<br />

die unter Sinduald im Heer <strong>des</strong> Narses kämpfenden Eruler die Reste <strong>der</strong> Eruler<br />

Odowakars waren. 626 Die Eruler werden jedenfalls nirgends in vergleichbarer Weise<br />

herausgehoben wie die Rugier, die als Verbündete von Theo<strong>der</strong>ich geschlossen in<br />

621<br />

Prokop, Gotenkriege I, 1, 4–8.<br />

622<br />

Auctorium Havniensis ordo prior a. 476. In <strong>der</strong> gleichen Quelle (a. 487) wird Odowakar anlässlich <strong>der</strong><br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den Rugiern nochmals König <strong>der</strong> Eruler genannt.<br />

623<br />

Ensslin, Theo<strong>der</strong>ich, 70.<br />

624<br />

Schmidt, Ostgermanen, 299.<br />

625<br />

Ennodius, Panegyricus Theodorico regi dictus, 51 (Migne, Patrologiae Graecae, LXIII, 167ff); Vgl.<br />

Schmidt, Ostgermanen, 300.<br />

626<br />

Paulus Diaconus, Hist. Langob. II, 3.


109<br />

Nordost-Italien angesiedelt wurden, kein connubium mit den Goten besaßen 627 und<br />

innerhalb <strong>des</strong> Ostgotenreiches sogar einen Führungsanspruch erheben konnten (so war<br />

<strong>der</strong> „Ostgotenkönig“ Erarich rugischer Abstammung). 628<br />

Sowohl die Konfrontation mit <strong>der</strong> komplexeren Gesellschaft <strong>der</strong> Goten als auch mit<br />

dem oströmischen Reich ließen ein gewisses Selbstständigwerden und ein eigenes<br />

Königtum zu. Überdies könnte das erulische Element ab 493 durch führerlos<br />

gewordene Eruler aus Odowakars Heer verstärkt worden sein, sodass auch das<br />

personelle Substrat zum Anstoß für eine erfolgreiche Ethnogenese vorhanden war.<br />

Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass <strong>zur</strong> gleichen Zeit weiter westlich<br />

die „Ethnogenese“ <strong>der</strong> Bajuwaren begann. Hier zeigt sich bei zunächst vergleichbarer<br />

Ausgangslage ein deutlich an<strong>der</strong>er Verlauf als bei den Rugiern und Erulern,<br />

ungeachtet <strong>des</strong>sen, dass Angehörige dieser beiden ethnischen Verbände<br />

möglicherweise an <strong>der</strong> bajuwarischen Ethnogenese beteiligt waren. 629<br />

Ähnliches gilt für die noch weiter westlich bzw. nordwestlich erfolgende Ethnogenese<br />

<strong>der</strong> Alemannen und Thüringer. Auch diese beiden Völker stießen seit 480 immer<br />

wie<strong>der</strong> nach Süden bzw Osten vor, befanden sich damit sowohl im Vorfeld <strong>des</strong><br />

ostgotischen als auch <strong>des</strong> fränkischen Reiches.<br />

10.2.5 Die zwei donau-erulischen Dezennien (488 bis 508)<br />

Von einer konsolidierten erulischen Herrschaft, die eine <strong>der</strong> Voraussetzungen für eine<br />

erfolgreiche Ethnogenese gewesen wäre, konnte man in den ersten Jahrzehnten nach<br />

<strong>der</strong> Schlacht am Nedao kaum sprechen. Erst die Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> Rugier und <strong>der</strong> von<br />

Odowakar angeordnete Rückzug <strong>der</strong> romanischen Bevölkerung ließen dafür Platz. Mit<br />

<strong>der</strong> Auflösung <strong>der</strong> römischen Strukturen von Rätien bis West-Pannonien hatten sich<br />

also neue ethnogenetische Rahmenbedingungen in diesem Raum ergeben.<br />

Die beiden donau-erulischen Dezennien begannen mit <strong>der</strong> Zerstörung <strong>des</strong> rugischen<br />

Reiches und dem Rückzug <strong>der</strong> römischen Bevölkerung aus dem östlichen<br />

Ufernorikum, <strong>der</strong> offenbar die ökonomische Basis für die Bildung kleiner Reiche in<br />

diesem Raum vermin<strong>der</strong>n und eine Art Niemandsland schaffen sollte. Damit war <strong>der</strong><br />

Rückzug <strong>der</strong> Römer möglicherweise auch eine Antwort auf die Bedrohung durch<br />

627<br />

Prokop, Gotenkriege III, 2, 1f.<br />

628<br />

Prokop, Gotenkriege III, 2, 3.<br />

629 Siehe unten Kap. 12.5.


110<br />

erulische Scharen. Ungeachtet <strong>des</strong> wirtschaftlichen Verlustes hat diese Aktion<br />

jedenfalls dazu geführt, dass die Eruler ihren Herrschaftsbereich ausdehnen konnten.<br />

Bei Prokop lesen wir daher über die Eruler: „Im Laufe <strong>der</strong> Zeit gewannen sie, was<br />

Macht und Volkszahl anlangte, einen Vorsprung vor allen benachbarten<br />

Barbarenvölkern; sie griffen diese also an, besiegten sie und plün<strong>der</strong>ten sie aus.“ 630<br />

Politisch gesehen war das donau-erulische Reich zunehmend von <strong>der</strong> Politik<br />

Theo<strong>der</strong>ichs bestimmt, im nordalpinen Vorfeld eine Reihe von Klientelreichen zu<br />

etablieren, welche die ostgotische Herrschaft in Italien sowohl gegenüber dem Kaiser<br />

im Osten als auch gegenüber den laufend mächtiger werdenden Franken im Westen<br />

abzusichern hatten. Alemannen, Bajuwaren und Eruler waren damit grundsätzlich in<br />

einer ähnlichen Position. 631<br />

Man kann gewissermaßen von einer Vorfeldethnogenese sprechen, wie sie für die<br />

Ethnogenesen im Umfeld von stabilen und mächtigeren Herrschaftsgebilden<br />

charakteristisch ist. Insoweit hatten die wenigen Jahrzehnte aktiver ostgotischer Politik<br />

in diesem Raum ähnliche Konsequenzen wie die Politik Roms auf die Ethnogenesen<br />

im „freien Germanien“ bzw. später die Vorfeldpolitik <strong>des</strong> Awarenreiches auf<br />

slawische Ethnogenesen. 632<br />

Die Eruler hatten damit in einer zeitlichen und räumlichen Nische ein lockeres<br />

Herrschaftssystem ausgebildet, das jedoch die für eine erfolgreiche Ethnogenese<br />

kritische Größe und Verdichtung letztlich nicht erreichte. Bedeutende Gruppen von<br />

Erulern waren zwar offensichtlich in <strong>der</strong> 2. Hälfte <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>t sesshaft<br />

geworden waren und hatten auch ein (schwaches) Königtum, dass sie sich aber<br />

gegenüber den Ethnien „mit den wirkungsvolleren Organisationsformen“ 633 nicht<br />

durchsetzen konnten.<br />

Der Untergang <strong>des</strong> Rugierreiches hatte zwei unmittelbare Folgen. In den westlichen<br />

Teil <strong>der</strong> nunmehr bevölkerungsarm gewordenen Gebiete rückten die Langobarden aus<br />

Böhmen nach, „blieben da, weil es einen fruchtbaren Boden hatte, viele Jahre“ und<br />

unterwarfen sich zunächst <strong>der</strong> erulischen Oberhoheit. 634 Die Eruler dürften ihrerseits<br />

630 Prokop, Gotenkriege II, 14, 8.<br />

631 Vgl. Wolfram, Ethnogenesen, 111.<br />

632 Vgl. dazu die allgemeinen Bemerkungen <strong>zur</strong> Abhängigkeit ethnogenetischer Prozesse von<br />

übermächtigen staatlichen Gebilden, oben 20f.<br />

633 Wolfram, Origo Gentis, 23.<br />

634 Paulus Diaconus, Hist. Langob. I, 19.


111<br />

ihre Herrschaft auf Ufernoricum ausgedehnt haben. 635 Nachdem auf Befehl<br />

Theo<strong>der</strong>ichs 493 unter den Mannschaften Odowakars ein Blutbad angerichtet worden<br />

war, könnte ein Teil <strong>der</strong> überlebenden erulischen Krieger aus Italien an die Donau<br />

<strong>zur</strong>ückgekehrt sein und das erulische Element dort wie<strong>der</strong> verstärkt haben.<br />

Die Situation in <strong>der</strong> bereits angesprochenen Herrschaftsnische wird von Prokop so<br />

beschrieben, dass die Eruler (seit 491?) keine Gegner mehr hatten, gegen welche sie<br />

losziehen konnten. Da legten sie die Waffen nie<strong>der</strong>, blieben ruhig und lebten drei Jahre<br />

lang in Frieden. 636<br />

In <strong>der</strong> Folge wurden sie in das Sicherheitssystem <strong>des</strong> Theo<strong>der</strong>ich eingebunden.<br />

Durchaus im Sinne alter römischer Politik bemühte sich <strong>der</strong> König um die militärische<br />

und politische Sicherheit im nordalpinen Vorfeld Italiens. Diese Politik hatte nördlich<br />

<strong>der</strong> West- und Zentralalpen entscheidenden Einfluss auf die Ethnogenese <strong>der</strong><br />

Alemannen und Bajuwaren. In diesem Sinne versuchte Theo<strong>der</strong>ich offenbar auch das<br />

ostalpine Vorfeld zu sichern, versah den Erulerkönig Rodulf mit Geschenken (Pferde,<br />

Schilde, Waffen und Geräte) und machte ihn so zum Waffensohn. Zwei Texte, von<br />

Jordanes und Cassiodor gehen auf diese „Adoption“ ein. In einem Brief Theo<strong>der</strong>ichs<br />

an „die Könige <strong>der</strong> Eruler“ in den variae Cassiodors heisst es:<br />

„König Theo<strong>der</strong>icus an den Herulerkönig: Durch Waffen an Sohnes Statt<br />

angenommen zu werden, gilt unter den Völkern bekanntlich als große Auszeichnung,<br />

weil nur <strong>der</strong> dieser Adoption würdig ist, <strong>der</strong> <strong>zur</strong>echt als überaus tapfer anerkannt wird.<br />

Von unserer leiblichen Nachkommenschaft werden wir oft enttäuscht: keine<br />

Kraftlosen kennt man dagegen unter denen, die das öffentliche Ehrenzeugnis<br />

hervorgebracht hat. Diese verdanken nämlich ihre Rangstellung nicht <strong>der</strong> Natur,<br />

son<strong>der</strong>n ausschließlich ihren Verdiensten … Und darum zeugen wir dich nach <strong>der</strong><br />

Sitte <strong>der</strong> Völker und auf männliche Weise durch die vorliegende Gunstbezeugung als<br />

Sohn, damit du – ein anerkannter Krieger – wie es sich gehört durch Waffen geboren<br />

werden mögest. Wir senden dir Rosse, Schwerter, Schilde und weiteres Kriegsgerät:<br />

aber was in je<strong>der</strong> Hinsicht überwiegt, wir gestehen dir unser öffentliches Ehrenzeugnis<br />

zu. Als <strong>der</strong> Erste unter den Völkern wirst du betrachtet werden, <strong>der</strong> du durch <strong>des</strong><br />

Theo<strong>der</strong>icus Urteil anerkannt wirst. (3) Ergreife daher die Waffen mir und dir zum<br />

Nutzen. Jener verlangt von dir große Ergebenheit, <strong>der</strong> dich stärker zu schützen<br />

beabsichtigt: Prüfe dein Herz, und du wirst Gehorsam nicht nötig haben …“ 637<br />

Jordanes hingegen berichtet in <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> Insel Skandza von einem König<br />

Rodwulf:<br />

635 Schmidt, Ostgermanen, 551.<br />

636 Prokop, II, 14, 10.<br />

637 Cassiodor, Variae IV, 2, 1-3.


112<br />

„Über sie [Eruler] herrschte vor noch nicht vielen Jahren <strong>der</strong> König Rodulfus, <strong>der</strong> sein<br />

eigenes Reich für gering achtete und sich in den Schutz <strong>des</strong> Gotenkönigs Theo<strong>der</strong>icus<br />

begab, wo er fand, was er wünschte.“ 638<br />

Ob dieser Rodwulf mit dem König <strong>der</strong> Donau-Eruler identisch ist, wird in <strong>der</strong> Literatur<br />

wegen <strong>der</strong> Erwähnung im Zusammenhang mit Skandza öfters bezweifelt. 639 Es ist aber<br />

eher unwahrscheinlich, dass sich zwei verschiedene Erulerkönige gleichen Namens<br />

unter den Schutz Theo<strong>der</strong>ichs begaben. 640<br />

Das Sicherheitssystem Theo<strong>der</strong>ichs brach in wenigen Jahren ein. Er hatte im Jahr 504<br />

ein Heer unter comes Pitzia gegen die Gepiden in <strong>der</strong> Pannonia Sirmiensis gesandt, <strong>der</strong><br />

nach seinem Sieg die Provinz dem Ostgotenreich einverleibte. Dabei schlug Pitzia<br />

auch ein oströmisches Heer, das den Gepiden zu Hilfe kommen sollte. Dies führte zu<br />

einer Verärgerung in Konstantinopel und zu einer Neuorientierung <strong>der</strong> kaiserlichen<br />

Bündnispolitik, die nun auf die Franken setzte. Diese besiegten 506 die Alemannen<br />

und 507 die Westgoten. Damit hatte sich innerhalb weniger Jahre die politische<br />

Landkarte aufgrund einer neu ausgerichteten kaiserlichen Politik zugunsten <strong>der</strong><br />

Franken und entscheidend zu Ungunsten <strong>der</strong> Ostgoten verän<strong>der</strong>t. Diese neue Situation<br />

gefährdete auch das mit Theo<strong>der</strong>ich verbündete Erulerreich. Die Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

geschah durch die Langobarden. Sie waren vermutlich unter dem Lethinger-König<br />

Godeoc in das von den Rugiern verlassene Rugiland eingewan<strong>der</strong>t. 641 „Nach etlichen<br />

Jahren“ verließen sie das fruchtbare „Rugiland“ und wohnten in den weiten Ebenen,<br />

die in ihrer Sprache „Feld“ genannt werden. 642 Der politische Kontext <strong>der</strong><br />

langobardischen Einwan<strong>der</strong>ung im Donauraum erscheint nur schwer rekonstruierbar,<br />

ihre Anwesenheit aber ist archäologisch gut erschlossen. 643 Nachdem sie drei Jahre<br />

dort zugebracht hatten, erhob sich Krieg zwischen dem Langobardenkönig Tato und<br />

dem Erulerkönig Rodulf, <strong>der</strong> zum Ende <strong>des</strong> Eruler-Reiches führte. Prokop beschreibt<br />

dieses Ende nüchtern, jedoch wie üblich „eruler-verabscheuend“, folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

„Im Lauf <strong>der</strong> Zeit gewannen sie [die Eruler] was Macht und Volkszahl anlangte, einen<br />

Vorsprung vor allen benachbarten Barbarenvölkern; sie griffen also diese an,<br />

besiegten sie und plün<strong>der</strong>ten sie aus. Schließlich machten sie auch die Langobarden,<br />

die schon Christen waren und einige an<strong>der</strong>e Stämme aus Habsucht und Herrschgier<br />

638 Jordanes, 3, 24.<br />

639 Vgl. Schmidt, Ostgermanen, 549 Anm. 2. Martindale PLRE 2, 946 dagegen setzt die beiden gleich.<br />

640 Vgl. Pohl, Völkerwan<strong>der</strong>ung, 145.<br />

641 Paulus Diaconus, Hist. Langob. I, 19.<br />

642 Paulus Diaconus, Hist. Langob. I, 20.<br />

643 Pohl, Rugiland, 458; Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 37f.


113<br />

tributpflichtig, ein unerhörtes Vorgehen bei den Barbaren in jenen Län<strong>der</strong>n. Als nun<br />

Anastasius römischer Kaiser wurde [491-518], legten die Heruler, da es keine weiteren<br />

Völker mehr zu bekriegen gab, ihre Waffen nie<strong>der</strong> und verhielten sich ruhig. Drei<br />

Jahre lebten sie so in Frieden, waren aber mit diesem Zustand ganz und gar nicht<br />

zufrieden. Sie überhäuften daher ihren König Rodulfus mit bitteren Vorwürfen;<br />

ständig wurden sie bei ihm vorstellig, nannten ihn feig und weibisch und schleu<strong>der</strong>ten<br />

ihm höhnend noch an<strong>der</strong>e Schimpfworte ins Gesicht. Rodulfus wollte diese<br />

Schmähungen nicht ruhig hinnehmen und zog gegen die Langobarden, obwohl diese<br />

ihm nichts zuleide getan hatten. Er konnte ihnen we<strong>der</strong> ein Vergehen <strong>zur</strong> Last legen,<br />

noch sich auf irgendeinen Vertragsbruch berufen, kurzum <strong>der</strong> Krieg, den er begann,<br />

entbehrte je<strong>des</strong> sachlichen Grun<strong>des</strong>. Sowie die Langobarden davon hörten, schickten<br />

sie Gesandte an Rodulfus und baten um Auskunft, weshalb denn die Heruler sie<br />

angreifen wollten. Gleichzeitig erklärten sie sich bereit, sofern sie am Tribut etwas<br />

hätten fehlen lassen, dies sofort mit hohen Zinsen ersetzen zu wollen Sie würden auch,<br />

wenn die Heruler die Abgaben zu niedrig fänden, dieselben ungesäumt erhöhen.<br />

Obwohl die Gesandten solche Angebote machten, schickte sie Rodulfus unter<br />

Drohungen <strong>zur</strong>ück und setzte seinen Feldzug fort. Wie<strong>der</strong>um erschienen<br />

langobardische Gesandte vor ihm und brachten inständig flehend die gleiche Bitte vor.<br />

Als auch die zweite Gesandtschaft unverrichteter Dinge hatte abziehen müssen,<br />

suchten zum dritten Male Abgeordnete den Rodulfus auf und beschworen die Heruler,<br />

sie sollten doch nicht ohne jeden Grund einen Krieg vom Zaum brechen. Sonst<br />

müssten sie sich – ganz gegen ihren Willen und nur unter dem harten Zwang <strong>der</strong> Not –<br />

den Angreifern entgegenstellen. Gott sei ihr Zeuge, auf <strong>des</strong>sen Wink hin schon ein<br />

kleinwinziger Tropfen aller menschlichen Macht wehren könne. Er wisse, wer am<br />

Kriege schuld sei, und werde dementsprechend für beide Völker den<br />

Kampfendentscheid herbeiführen. Das waren die Worte <strong>der</strong> Langobarden, mit denen<br />

sie die Angreifer abhalten zu können glaubten; die Heruler in<strong>des</strong>sen wollten auch nicht<br />

das min<strong>des</strong>te vom Nachgiebigkeit wissen, son<strong>der</strong>n waren zum Kampf mit den<br />

Langobarden entschlossen. Als nun beide Heere sich ganz nahe gegenüberstanden,<br />

war <strong>der</strong> Himmel über den Langobarden von einer schwarzen, sehr dichten Wolke<br />

bedeckt, während <strong>der</strong> über den Herulern in aller Helligkeit strahlte. Aus diesem<br />

Vorzeichen hätte man schließen können, dass die Heruler zu ihrem Ver<strong>der</strong>ben in den<br />

Kampfs zogen; denn für Barbaren, die eine Entscheidung suchen, ist das das<br />

ungünstigste Zeichen. Doch auch darauf achteten die Heruler nicht, son<strong>der</strong>n gingen<br />

voller Leichtsinn und Übermut auf die Feinde los und versprachen sich von ihrer<br />

zahlenmäßigen Überlegenheit einen siegreichen Ausgang <strong>des</strong> Krieges. Als es dann <strong>zur</strong><br />

Schlacht kam, fielen zahlreiche Heruler, darunter auch Rodulfus selbst, während <strong>der</strong><br />

Rest, ohne an Wi<strong>der</strong>stand zu denken in aller Eile entfloh. Bei <strong>der</strong> Verfolgung durch<br />

die Feinde fand die Mehrzahl den Tod und nur wenige konnten sich retten.“ 644<br />

Paulus Diaconus verleiht <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung zwischen Langobarden und Erulern<br />

sagenhaft-moralisierende Züge 645 :<br />

„Nach dem sie [die Langobarden] hier drei Jahre zugebracht hatten, erhob sich Krieg<br />

zwischen Tato und Rodulfus dem Herulerkönig. Zwischen beiden hatte zuvor ein<br />

Bündnis bestanden; die Ursache <strong>des</strong> Streits war folgende: Der Bru<strong>der</strong> <strong>des</strong> Rodulfus<br />

644 Prokop, Gotenkriege II,14, 8–22.<br />

645 Die Brü<strong>der</strong> Grimm haben in ihren deutschen Sagen den Untergang <strong>des</strong> Erulerreiches nach Paulus<br />

Diaconus in <strong>der</strong> Sage von „Rodulf und Rumetrud“ Übernommen. Die Sage vom „Letzten Herulerkönig“ hat<br />

schließlich auch in eine Sammlung <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>österreichischen Sagenwelt Eingang gefunden (Die Sage findet<br />

sich bei Calliano, Carl, Nie<strong>der</strong>österreichischer Sagenschatz, Bd II, Wien 1924, 5; abgedruckt auch unter<br />

http://www.sagen.at/texte/sagen/oesterreich/wienerwald).


114<br />

war zu Tato gekommen, um einen Frieden zu schließen. Als dieser seine Botschaft<br />

ausgerichtet hatte und nun wie<strong>der</strong> heimkehrte, begab es sich, dass er vor dem Haus <strong>der</strong><br />

Königstochter, die Rumetruda hieß, vorbeizog. Als diese die vielen Männer und das<br />

vornehme Geleit sah, fragte sie, wer es wohl sein könnte, <strong>der</strong> ein so hohes Gefolge<br />

habe… [Er kehrte bei ihr ein und wurde von ihr heimtückisch ermordet] … Als das<br />

dem König Rodulfus gemeldet wurde, da jammerte er über den grausamen Tod seines<br />

Bru<strong>der</strong>s und entbrannte seines Schmerzes nicht mächtig von dem Verlagen, den<br />

Bru<strong>der</strong> zu rächen; er brach das eben erst mit Tato abgeschlossene Bündnis und erklärte<br />

ihm den Krieg. Beide Heere trafen im Blachfeld zusammen: Rodulfus schickte die<br />

Seinen in den Kampf, er selbst aber blieb, am Siege gar nicht zweifelnd, im Lager<br />

beim Brettspiel sitzen. Es waren aber die Heruler damals äußerst kriegsgeübt, und<br />

hatten durch viele Siege, die sie schon erfochten, einen großen Namen ; entwe<strong>der</strong> um<br />

leichter zu streiten, o<strong>der</strong> um zu zeigen, dass sie die vom Feinde kommenden Wunden<br />

verachteten, zogen sie nackt in die Schlacht und bedeckten nur die Schamteile. Auf<br />

<strong>der</strong>en Stärke baute nun <strong>der</strong> König ganz fest und hieß, während er selbst sorgenlos am<br />

Spiele saß, einen seiner Leute auf einen daneben stehenden Baum steigen, damit <strong>der</strong><br />

ihm den Sieg <strong>der</strong> Seinigen gleich melden könne, drohte ihm aber dabei das Haupt<br />

abzuschlagen, wenn er von <strong>der</strong> Flucht <strong>der</strong> Heruler berichtete. Als dieser nun die<br />

Schlachtenreihe <strong>der</strong> Heruler wanken sah, gab er auch die häufigen Fragen <strong>des</strong> Königs,<br />

wie es mit den Herulern stehe, immer die Antwort, sie kämpften vortrefflich. Und da<br />

er nicht frei zu sprechen wagte, so tat er das Unglück, das er mit ansah, nicht früher<br />

kund, als bis das gesamte Heer vor dem Feind floh. Jetzt brach er, wiewohl zu spät, in<br />

den Ruf aus: „Wehe dir armes Herulervolk, das durch den Zorn <strong>des</strong> himmlischen<br />

Herrscher gestraft wird.“ Durch diese Worte beunruhigt, sprach <strong>der</strong> König: „Fliehen<br />

denn etwa meine Heruler?“ Jener erwi<strong>der</strong>te: „Nicht ich, son<strong>der</strong>n du selbst, König, hast<br />

das gesagt.“ Als nun, wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt, <strong>der</strong> König und alle um<br />

ihn in ihrer Bestürzung unschlüssig waren, was zu tun sei, kamen die Langobarden<br />

über sie und hieben sie nie<strong>der</strong>. Auch <strong>der</strong> König selbst, so mannhaft er sich auch hielt,<br />

wurde umgebracht. Als aber die Heruler da und dorthin auseinan<strong>der</strong> flohen, traf sie <strong>der</strong><br />

Zorn <strong>des</strong> Himmels, so dass sie die grünen Flachsfel<strong>der</strong> für Wasser ansahen, das sie<br />

durchschwimmen könnten; wie sie aber die Arme zum Schwimmen ausbreiteten,<br />

wurden sie vom Schwert <strong>der</strong> Feinde jämmerlich erschlagen. Nach gewonnenem Sieg<br />

teilten die Langobarden die reiche Beute unter sich, die sie im Lager machten. Tato<br />

aber trug <strong>des</strong> Rodulfus Banner, das sie Bandum nennen sowie den Helm davon, den<br />

dieser im Streit gewöhnlich getragen hatte. Und seit <strong>der</strong> Zeit war die Kraft <strong>der</strong> Heruler<br />

gebrochen, so dass sie von da an keinen eigenen König mehr über sich hatten.“ 646<br />

Hintergrund <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung war offensichtlich <strong>der</strong> Versuch die konsolidierte<br />

erulische Herrschaft abzusichern, die durch die nach Süden bzw. Südosten<br />

expandierenden Langobarden gefährdet war. Die Langobarden hatten offenbar nicht<br />

nur die Donau überschritten, son<strong>der</strong>n durch die Unterwerfung <strong>der</strong> dort nach Ausweis<br />

<strong>der</strong> archäologischen Funde noch vorhandenen romanischen Bevölkerung ihre<br />

wirtschaftlichen Grundlagen und ihren Machtbereich erweitert. 647<br />

In diesem Zusammenhang ist nicht unwichtig, wo sich das von Paulus Daconus<br />

erwähnte „Feld“ befand, in dem die Langobarden nach dem Auszug aus dem<br />

646<br />

Paulus Diaconus I, 19; II, 3.<br />

647<br />

Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 43.


115<br />

„Rugiland“ drei Jahre wohnten. In <strong>der</strong> Literatur würde es früher entwe<strong>der</strong> im Alföld<br />

zwischen Donau und Theiss o<strong>der</strong> im Marchfeld vermutet. 648 Wenn man davon ausgeht,<br />

dass die von den Römern nicht vollständig verlassenen Gebiete südlich <strong>der</strong> Donau<br />

zunächst unter eine lockere Kontrolle <strong>der</strong> Eruler gekommen waren, dann ist es wohl<br />

naheliegend, dass die Langobarden unter erulischer Hoheit stehend nunmehr in von<br />

diesen kontrollierten Gebieten zu Konkurrenten wurden. Es käme wohl das Wiener<br />

Becken in Frage, allerdings beginnt die „langobardische Belegung“ hier erst im Jahre<br />

526. 649 Gegen das Alföld spricht, dass es wohl zu weit südöstlich außerhalb einer<br />

möglichen erulischen Kontrolle lag und überdies vor dem 3. Jahrzehnt <strong>des</strong> 6.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts keine langobardischen Funde aufweist.<br />

Am wahrscheinlichsten ist daher das Tullner Feld. Es liegt geographisch dem<br />

„Rugiland“ mit seinem Kremser Zentrum nahe, und seine Inbesitznahme war daher<br />

wohl keine dramatische Umsiedlung, was dem Quellenbefund durchaus entsprechen<br />

würde. Auch aus archäologischen Gründen scheint es die plausibelste Variante zu sein,<br />

wie vor allem die 98, zwischen 1965 und 1972 untersuchten Gräber von Maria Ponsee<br />

verdeutlichen. 650 Nach dem Sieg über die Eruler dehnten die Langobarden ihre<br />

Nie<strong>der</strong>lassungen in das ehemals von den Erulern beherrschte Gebiet an Thaya und<br />

March aus und rückten immer weiter nach Südosten vor.<br />

Das Ende <strong>des</strong> Erulerreiches ist offenbar so abrupt gekommen, dass Theo<strong>der</strong>ich eine<br />

unmittelbare militärische Unterstützung nicht mehr leisten konnte. Die Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong><br />

Eruler war offensichtlich so total, dass an eine Wie<strong>der</strong>herstellung ihrer Macht mit<br />

Hilfe <strong>der</strong> Ostgoten nicht zu denken war.<br />

Der Zusammenbruch <strong>des</strong> politischen Netzes <strong>des</strong> großen Gotenkönigs war schlagartig<br />

offenkundig geworden. Von den drei von Theo<strong>der</strong>ich auch durch Ansiedlungen<br />

geför<strong>der</strong>ten Vorfeld-Ethnogenesen im Donauraum war damit die erulische im Osten<br />

gescheitert, und <strong>der</strong> Versuch eine alemannische Vorfeldethnogenese gegen die<br />

Franken zu beeinflussen hatte mit dem Sieg <strong>der</strong> Franken eine an<strong>der</strong>e Richtung<br />

bekommen. Die bajuwarische Ethnogenese in <strong>der</strong> Mitte erwies sich als erfolgreich,<br />

nicht zuletzt <strong>des</strong>halb, weil auch sie in den Sog <strong>der</strong> fränkischen Reichsbildung geriet. 651<br />

648<br />

Schwarz, Stammeskunde 1956, 194; Beck, Feld, 303; Pohl, Rugiland, 458.<br />

649<br />

Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 38.<br />

650<br />

Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 40ff.<br />

651<br />

Die Annales S. Rudberti Salisburg. (MGH SS 13, 1881, 237, 6) berichten zum Jahr 508: „Hoc tempore<br />

gens Noriscorum seu Bavarorum primitus a suis sedibus per Gotos expulsa, revertitur.“


116<br />

Die Donau-Eruler waren als gentile Gruppe existenziell getroffen. Bemerkenswert ist,<br />

dass sich nur wenige Eruler an ihren Verbündeten Theo<strong>der</strong>ich gewandt haben. Laut<br />

Cassiodor 652 sind nach einigen jahren einzelne Eruler von Theo<strong>der</strong>ich als Flüchtlinge<br />

aufgenommen worden. Theo<strong>der</strong>ich for<strong>der</strong>te in einem Schreiben die Behörden von<br />

Pavia aus dem Jahre 512 auf, Erulern für ihre Reise nach Ravenna ein Schiff und<br />

Verpflegung für 5 Tage <strong>zur</strong> Verfügung zu stellen. Am Ende <strong>der</strong> Herrschaft<br />

Theo<strong>der</strong>ichs waren jedoch eine große Zahl <strong>der</strong> übriggebliebenen Eruler oströmische<br />

„foe<strong>der</strong>ati“ geworden und haben später beim „Kampf um Rom“ zum Ende <strong>des</strong><br />

ostgotischen Reiches beigetragen.<br />

652 Cassiodor, Variae IV, 25.


11 Das Zerbrechen <strong>der</strong> erulischen Strukturen<br />

117<br />

Der erulisch-langobardische Konflikt und die Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> Eruler im Jahr 508 ist das<br />

zentrale Ereignis <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Donau-Eruler. Ihre Lebensgrundlagen waren<br />

zerstört:<br />

„Daher konnten sich die Heruler nicht mehr in ihren angestammten Wohnsitzen<br />

halten. Sie brachen sogleich von dort auf und durchzogen auf ihren weiten<br />

Wan<strong>der</strong>ungen mit Weib und Kind das ganze Gebiet jenseits <strong>der</strong> Donau. Schließlich<br />

kamen sie in die früheren Sitze <strong>der</strong> Rugier, die zusammen mit dem Gotenheer nach<br />

Italien abgezogen waren, und ließen sich dort nie<strong>der</strong>. Da aber in dem menschenleeren,<br />

wüsten Gebiete eine Hungersnot drohte, gaben sie es bald wie<strong>der</strong> auf und kamen ganz<br />

in die Nähe <strong>des</strong> Gepidenlan<strong>des</strong>. Auf ihre dringenden Bitten gestatteten ihnen zunächst<br />

die Gepiden, sich als Nachbarn anzusiedeln.“ 653<br />

Die Nie<strong>der</strong>lage gegen die Langobarden hatte das Geflecht aus politischen Strukturen<br />

und Ideen aufgelöst, noch bevor es tatsächlich zu einer Ethnogenese gekommen<br />

war/kommen konnte bzw. bevor die kritische Masse an Ideen und Strukturen erreicht<br />

war. Der für jede Ethnogenese notwendigen Interessengemeinschaft wurde die<br />

Grundlage entzogen, ein definiertes erulisches Ideengeflecht war noch nicht<br />

entstanden gewesen. Das Ende <strong>des</strong> Eruler-Reiches stellt geradezu das Gegenmodell zu<br />

<strong>der</strong> von Wolfram beschriebenen Situation <strong>des</strong> schwer geschlagenen tolosanischen<br />

Westgotenreiches dar, das sich nicht in ein mobiles „Gotenheer“ bzw. einzelne<br />

Heerhaufen auflöste, son<strong>der</strong>n sich territorial nach Süden verlagerte und dort zu einem<br />

<strong>der</strong> ersten „rechtlich begründeten Staatsvölker“ Europas wurde. 654<br />

Der Versuch <strong>der</strong> restlichen Eruler nomadisch jenseits <strong>der</strong> Donau herum zu wan<strong>der</strong>n<br />

bzw. sich im von den Langobarden verlassenen ehemals rugischen Gebiet nie<strong>der</strong> zu<br />

lassen scheiterte. Diese im Donauraum verbliebenen Eruler könnten sich im<br />

menschenleeren und verwüsteten Gebiet als Grabräuber betätigt haben, da praktisch<br />

alle langobardischen Gräber noch im Fleischverband geplün<strong>der</strong>t worden sind. 655<br />

Die Eruler spalteten sich also in mehrere Gruppen auf und gingen in <strong>der</strong> Folge in<br />

an<strong>der</strong>en Ethnien auf. Der größere Teil schloss sich den Gepiden an und teilte <strong>der</strong>en<br />

Schicksal. 656 Eine weitere Gruppe zog in den Norden „<strong>zur</strong>ück“. 657 Ein Teil zog über<br />

653 Prokop, Gotenkriege, II, 14, 23-26.<br />

654 Wolfram, Goten, 22.<br />

655<br />

Vgl. Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 44ff und 57, die im Beson<strong>der</strong>en auf das in Hauskirchen<br />

aufgefundene Grab einer langobardischen Fürstin verweisen.<br />

656<br />

Siehe unten Kap. 21.1.


118<br />

die Donau und wurde von Anastasius bzw. Justinian auf Reichsboden angesiedelt. Sie<br />

haben noch unter eigenen Anführern einen beachtlichen Anteil an den germanischen<br />

Hilfstruppen gestellt, die für die Byzantiner gegen Perser, Vandalen und Goten<br />

gekämpft haben. Vor allem unter den Truppen, die unter Narses Italien für Justinian<br />

von den Ostgoten „<strong>zur</strong>ückeroberten“, waren sie oft an vor<strong>der</strong>ster Front. 658<br />

Schließlich dürften sich auch einige Eruler den Langobarden angeschlossen haben. 659<br />

Das Ergebnis <strong>der</strong> erulischen Nie<strong>der</strong>lage gegen die Langobarden war also, „dass die<br />

„Rest-Eruler in <strong>der</strong> Pannonia ... abwechselnd auf römischer, gepidischer und<br />

langobardischer Seite, aber auch gegeneinan<strong>der</strong> (kämpften).“ 660 An<strong>der</strong>erseits blieb im<br />

Rahmen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Ethnien manchmal auch erulisches Bewusstsein erhalten bzw.<br />

scheint ein letztes Mal aufgeflammt zu sein, wie das Schicksal Sindualds zeigt, <strong>der</strong><br />

jedoch sein „Königtum unter an<strong>der</strong>em Namen zu restaurieren“ versuchte. 661<br />

657<br />

Siehe unten Kap. 12. 2.<br />

658<br />

Siehe unten Kap. 12. 3.<br />

659<br />

Siehe unten Kap. 12. 4.<br />

660<br />

Pohl, Awaren, 55.<br />

661<br />

Pohl, Awaren, 57.


12 Eruler als Teile an<strong>der</strong>er Ethnien<br />

12.1 Eruler und Gepiden<br />

119<br />

Über jene Eruler, die sich zu den Gepiden begeben hatten, haben wir genauere<br />

Kenntnis durch Prokop. 662 Nachdem sich ein Teil <strong>der</strong> geschlagenen Eruler zunächst in<br />

das von den Langobarden verlassene Rugiland <strong>zur</strong>ückgezogen hatte, fanden sie dieses<br />

Gebiet völlig verödet vor. Sie konnten daraus keinen wirtschaftlichen Gewinn erzielen,<br />

da sie gewohnt waren, „nur von den Erträgnissen <strong>der</strong> Arbeit unterworfener Völker zu<br />

leben.“ 663 Sie wandten sich daher an die Gepiden und dürften im Süden von <strong>der</strong>en<br />

Gebiet, an <strong>der</strong> unteren Theiß, angesiedelt worden sein. Aber auch von dort mussten sie<br />

angesichts <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den Gepiden weichen:<br />

„Bald aber begannen sie [die Gepiden] ohne jede Veranlassung mit Gewalttaten gegen<br />

sie: Sie schändeten die Frauen <strong>der</strong> Heruler, raubten Vieh und an<strong>der</strong>e Habe, kurzum<br />

verübten alle erdenklichen Verbrechen und begannen schließlich mit freventlichen<br />

Angriffen. Den Herulern war dies auf die Dauer unerträglich. Sie überschritten daher<br />

den Ister [Donau] und wollten sich hier bei den Römern ansiedeln. Damals regierte<br />

Kaiser Anastasius, <strong>der</strong> sie sehr freundlich aufnahm und ihnen dort Wohnsitze<br />

anwies.“ 664<br />

Ein nicht unwesentlicher Teil <strong>der</strong> Eruler dürfte sich also nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage gegen die<br />

Langobarden den Gepiden angeschlossen haben und dann, soweit sie nicht in <strong>der</strong><br />

Folge auf römisches Gebiet ausgewichen sind, das weitere Schicksal <strong>der</strong> Gepiden<br />

geteilt haben. 530 griffen Gepiden und Eruler die Provinz Pannonia Sirmiensis an und<br />

wurden von den Ostgoten <strong>zur</strong>ückgeschlagen. Es dürfte in <strong>der</strong> Folge mehrfach dazu<br />

gekommen sein, dass erulische Gruppen sich nach Nie<strong>der</strong>lagen gegen Byzanz den<br />

Gepiden angeschlossen haben. So vor allem die „Datius-Eruler“ nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage<br />

gegen ein byzantinisches Heer, das auf dem Weg war, die Langobarden gegen die<br />

Gepiden zu unterstützen, bei <strong>der</strong> auch Aordus, <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> <strong>des</strong> Datius fiel. 665<br />

In den seit <strong>der</strong> Wende vom 5. zum 6. Jahrhun<strong>der</strong>t auftauchenden Reihengräbern <strong>der</strong><br />

Gepiden in Siebenbürgen („östlicher Reihenfel<strong>der</strong>kreis“), die bis in die Awarenzeit<br />

belegt wurden, lässt sich nachweisen, dass die Bevölkerung <strong>der</strong> Theißgegend Handels-<br />

662<br />

Prokop, Gotenkriege II, 14, 23-25.<br />

663<br />

Schmidt, Ostgermanen, 553.<br />

664<br />

Prokop, Gotenkriege II, 14, 27f.<br />

665<br />

Schmidt, Ostgermanen, 555, 545-547; siehe unten 122.


120<br />

und persönliche Kontakte zu Skandinavien unterhalten haben muss. 666 Dass hier<br />

erulische Verbindungen durchschimmern, kann nur vermutet werden.<br />

12.2 Eruler im Norden<br />

Jener Rest <strong>der</strong> Eruler, <strong>der</strong> die Donau nicht überschreiten wollte, so berichtet Prokop,<br />

„fand an den äußersten Grenzen <strong>der</strong> bewohnten Erde eine neue Heimat. Unter vielen<br />

Führern königlichen Geblüts durchzogen sie zunächst nacheinan<strong>der</strong> sämtliche Gebiete<br />

<strong>der</strong> Sklavenier, wan<strong>der</strong>ten dann durch viel unbesiedeltes Land und gelangten<br />

schließlich zu den so genannten Warnen. Der Weg führte sie hierauf durch das Gebiet<br />

<strong>der</strong> Danen, ohne dass die dortigen wilden Völker ihnen etwas zuleide taten. Endlich<br />

erreichten sie den Ozean und fuhren <strong>zur</strong> Insel Thule, wo sie dann blieben.“ 667<br />

Der Nachricht über die nach Norden ziehenden Eruler bei Prokop kann grundsätzlich<br />

als glaubwürdig gelten. Prokops Informationen über Skandinavien (etwa die genaue<br />

Beschreibung <strong>der</strong> Mitternachtssonne!) sowie sein Bericht über die einen neuen König<br />

suchende erulische Gesandtschaft (Datius/Aordus-Episode) vermittelt ein Bild von<br />

hoher Authentizität. Ellegård, <strong>der</strong> die These vom skandinavischen Ursprung <strong>der</strong> Eruler<br />

in Frage stellt, bezweifelt dagegen konsequenter Weise auch die Idee <strong>der</strong> Rückkehr <strong>der</strong><br />

Eruler nach ihrer Nie<strong>der</strong>lage gegen die Langobarden und vermutet eine Beeinflussung<br />

<strong>des</strong> Prokop durch Jordanes. 668<br />

Direkte archäologische Nachweise für den erulischen Zug nach Norden fehlen. Auch<br />

die in <strong>der</strong> älteren Literatur als masurgermanisch bezeichnete „Olsztyn“-Kultur lässt<br />

keine genaueren Schlüsse zu. Sie wird heute <strong>der</strong> westbaltischen Kultur zugerechnet.<br />

Allerdings geht man allgemein davon aus, dass Zuwan<strong>der</strong>er aus dem Süden an <strong>der</strong><br />

Ausbildung dieser Gruppe beteiligt waren. Dabei können neben Balten auch<br />

rückwan<strong>der</strong>nde Goten o<strong>der</strong> Eruler beteiligt gewesen sein. 669 In diesem Zusammenhang<br />

sind einige große Bestattungsplätze zu erwähnen, die um die Wende <strong>des</strong> 5./6.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts im Küstenbereich Pommerns angelegt wurden, und <strong>der</strong>en Ausstattung<br />

Analogien zu Skandinavien aufweisen. 670 Dies kann mit dem bereits oben<br />

erwähnten 671 archäologisch fassbaren kulturellen Beziehungsnetz zusammenhängen,<br />

666<br />

Nagy, Gepiden, 121ff.<br />

667<br />

Prokop, Gotenkriege II, 15, 1f.<br />

668<br />

Ellegård, Eruli, 12f.<br />

669<br />

Godłowski, Daumen, 263; Nowakowski, Masuren, 428f.<br />

670 Machajewski, Pommern, 282.<br />

671 Siehe oben 48ff.


121<br />

das den Donauraum im 5. und 6. Jahrhun<strong>der</strong>t mit Skandinavien verband, und das von<br />

den nach Norden ziehenden Erulern genutzt worden sein konnte.<br />

Archäologisch nachweisbar ist auch ein signifikanter kultureller Umbruch in Süd- und<br />

Mittelschweden, <strong>der</strong> Querverbindungen zu donauländisch-ostgermanischen Funden<br />

aufweist. 672 Bereits <strong>der</strong> späte Sösdala-Stil <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts weist deutliche<br />

Anklänge an den Untersiebenbrunn-Horizont auf. 673 Sösdala- und Nydam-Stil gehen<br />

um 500 in einen neuen Stil über, <strong>der</strong> deutliche Impulse von <strong>der</strong> donauländischostgermanischen<br />

Kultur empfängt. Inwieweit dieser kulturelle Anstoß zu Beginn <strong>des</strong> 6.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts erstens mit rückwan<strong>der</strong>nden Erulern zu tun hatte und zweitens einen<br />

Einfluss auf die weitere Entwicklung in Schweden bis hin <strong>zur</strong> Etablierung <strong>der</strong> Vendel-<br />

Dynastie um Uppsala in <strong>der</strong> Mitte <strong>des</strong> Jahrhun<strong>der</strong>ts hatte, muss offen bleiben und kann<br />

im Rahmen dieser Arbeit selbstverständlich nicht nachgezeichnet werden. 674<br />

Ganz allgemein weist Heiko Steuer in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die<br />

durch die Verfasser <strong>der</strong> origenes gentium „geschaffene Erinnerung“ von Stämmen wie<br />

<strong>der</strong> Langobarden, Goten, Burgun<strong>der</strong> und Eruler<br />

„beträchtlichen Anteil an einer rückwirkenden Ethnogenese <strong>der</strong> Nordgermanen in<br />

Scandia/Scandza (hatte), <strong>der</strong>en ‚ausgewan<strong>der</strong>te’ Gruppen ... eingebunden waren in die<br />

mittel- und westeuropäische Welt, doch durch die Erinnerung an eine mythische<br />

Herkunft nachträglich <strong>zur</strong> Schaffung <strong>der</strong> Nordgermanen beitrugen.“ 675<br />

12.3 Eruler im Byzantinischen Reich<br />

Ein großer Teil <strong>der</strong> besiegten Eruler, die sich zunächst zu den Gepiden begeben hatten,<br />

zog nach den Auseinan<strong>der</strong>setzungen mit diesen über die Donau und unterwarf sich<br />

Kaiser Anastasius, „... <strong>der</strong> sie sehr freundlich aufnahm und ihnen dort Wohnsitze<br />

anwies.“ Diesem Bericht entspricht auch eine kurze Anmerkung bei Marcellinus<br />

Comes, dass das Volk <strong>der</strong> Eruler auf Geheiß <strong>des</strong> Kaisers Anastasius auf römischen<br />

Län<strong>der</strong>eien und in römischen Städten angesiedelt wurde. 676<br />

672<br />

Siehe dazu vor allem Brandt, Heruls, 15ff. unter Verweis auf die Arbeiten von Birgit Arrhenius und<br />

Charlotte Fabech.<br />

673<br />

Bittner-Wróblewska, Sösdala, 211.<br />

674 Vgl. dazu ausführlich Brandt, Heruls, 51.<br />

675 Steuer, Nordgermanen, 288.<br />

676 Marcellinus Comes, Chronik a. 512.


122<br />

Sie wurden in einer <strong>zur</strong> Präfektur Illyricum orientale gehörigen Provinz, vermutlich<br />

Dacia ripensis, als Fö<strong>der</strong>aten angesiedelt. Zunächst erwiesen sie sich für die Römer als<br />

unzuverlässige Partner:<br />

„Die Heruler erregten aber bald durch Übergriffe gegen ihre römischen Nachbarn den<br />

Zorn <strong>des</strong> Kaisers. Dieser schickte ein Heer gegen sie, und die Römer töteten in einer<br />

siegreichen Schlacht die meisten von ihnen. Mühelos hätten sie alle vernichten<br />

können, doch wandten sich die Überlebenden schutzflehend an die Feldherrn und<br />

baten diese, man möge sie schonen und künftighin als Bun<strong>des</strong>genossen und Diener <strong>des</strong><br />

Kaisers annehmen. Kaiser Anastasius hörte davon und gewährte ihre Bitte. So kam es,<br />

dass ein Teil <strong>der</strong> Heruler am Leben blieb, sie wurden aber we<strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>genossen <strong>der</strong><br />

Römer noch leisteten sie ihnen sonst einen Dienst.“ 677<br />

Aber auch danach scheinen sich die Eruler nicht wohl verhalten zu haben. Man<br />

versuchte jedoch weiter sie zu befrieden:<br />

„Als Kaiser Iustinianus <strong>zur</strong> Regierung gelangte, beschenkte er sie mit fruchtbarem<br />

Land und an<strong>der</strong>en Gütern. Auf diese Weise gewann er sie zu vollwertigen<br />

Bun<strong>des</strong>genossen und bewog sie auch, insgesamt das Christentum anzunehmen.“ 678<br />

Durch die Ansiedlung <strong>der</strong> Eruler in Pannonia II, konkret im fruchtbaren Gebiet südlich<br />

<strong>der</strong> Save um Singidinum, wo sie <strong>der</strong> Grenzsicherung gegen die Gepiden dienten,<br />

konnte Justinian die Eruler weitestgehend beruhigen, auch wenn ihre Streifzüge nicht<br />

völlig aufhörten, denn sie blieben auch weiterhin gegenüber den Römern<br />

unzuverlässig und überfielen „immer wie<strong>der</strong> aus Habgier ihre Nachbarn ohne sich<br />

<strong>des</strong>sen zu schämen.“ 679 Im Jahr 530 wird ein großer Raubzug von Gepiden, Erulern<br />

und Bulgaren erwähnt. 680 Grabfunde in Jakovo, in <strong>der</strong> Nähe Belgrads liegend, könnten<br />

als archäologische Hinterlassenschaft <strong>der</strong> Eruler im 6. Jh. gedeutet werden. 681 Auch<br />

auf den Fund eines ostgermanischen Frauengrabes in Ulpiana im heutigen Kosovo<br />

muss hier verwiesen werden. Dieses zeigt ein deutlich südskandivisches Gepräge und<br />

kann in den Zusammenhang mit dem erulischen Heerführer Suartuas 682 gestellt<br />

werden, <strong>der</strong> 552 in Ulpiana erwähnt wird. 683<br />

Es wird auch in <strong>der</strong> Folge von erulischen Königen berichtet, aber <strong>der</strong>en Stellung blieb<br />

eine prekäre. So ermordeten sie ihren König namens Ochus „ganz plötzlich und ohne<br />

677 Prokop, Gotenkriege II, 14, 29–32.<br />

678 Prokop, Gotenkriege II, 14, 33.<br />

679 Prokop, Gotenkriege II, 14, 35.<br />

680 Jordanes, Hist. Rom. 363; Marcellinus Comes, Chronik a. 530.<br />

681 Milinković, Serbien, 213.<br />

682 Zu Suartuas siehe 123f. und 135.<br />

683 Prokop, Gotenkriege IV, 25, 13; vgl. dazu Milinković, Ulpiana, 415.


123<br />

Grund, einzig und allein <strong>des</strong>halb, weil sie von nun an ohne König leben wollten“ 684<br />

Für den eruler-kritischen Prokop ein unerhörter, zugleich dummer und barbarischer<br />

Entschluss. Es war daher für ihn selbstverständlich, dass sie bald nach <strong>der</strong> Freveltat<br />

Reue erfasste: „Sie mussten bald zugeben, dass sie ohne Herrscher und Führer nicht<br />

bestehen konnten.“ 685 Hier steht Prokop durchaus in <strong>der</strong> oben 686 erwähnten Tradition<br />

<strong>der</strong> hippokratischen Schule, dass alleine Könige die ursprüngliche Wildheit <strong>der</strong><br />

Barbaren etwas mil<strong>der</strong>n und einen höheren Kulturzustand barbarischer Völker<br />

erreichen könnten.<br />

Nach vielen Überlegungen beschlossen die Eruler, „einen Spross <strong>des</strong> königlichen<br />

Hauses von <strong>der</strong> Insel Thule herbeizuholen.“ … „Sie sandten daher einige Edle auf die<br />

Insel Thule. Sie sollten dort nachforschen, ob sie einen Mann königlichen Geblüts<br />

ausfindig machen könnten, und diesen gleich mitnehmen.“ 687 Offensichtlich ging es<br />

also um ein Mitglied einer königlichen Sippe <strong>der</strong> nach Skandinavien <strong>zur</strong>ückgekehrten<br />

Eruler, die sich ja nach Prokop unter <strong>der</strong> Leitung von vielen Führern königlichen<br />

Geblüts auf den Weg in Norden gemacht haben. 688<br />

„Nach ihrer Ankunft auf <strong>der</strong> Insel fanden sie auch viele Männer aus königlichem<br />

Geschlecht, und so wählten sie einen aus, <strong>der</strong> ihnen am meisten zusagte, und machten<br />

sich mit ihm auf die Rückreise. Er starb aber, während er im Lande <strong>der</strong> Danen weilte,<br />

an einer Krankheit. Daraufhin fuhren die Gesandten nochmals auf die Insel und holten<br />

sich einen an<strong>der</strong>en Königsspross namens Datius. Sein Bru<strong>der</strong> Aordus und zweihun<strong>der</strong>t<br />

junge Heruler aus Thule schlossen sich ihm als Begleitung an.“ 689<br />

Inzwischen hatte aber die an<strong>der</strong>e, offensichtlich römerfreundliche und orthodoxe<br />

Partei die lange Wartezeit genützt und den Kaiser gebeten, er möge ihnen einen König<br />

senden.<br />

„Da die Reise lange dauerte, kam den Herulern in <strong>der</strong> Gegend von Singidunum <strong>der</strong><br />

Gedanke, er könne ihren Interessen schaden, wenn sie sich ohne Einwilligung <strong>des</strong><br />

Kaisers Justinian einen König aus Thule holten. Sie schickten also Gesandte nach<br />

Byzanz und baten den Kaiser, er möge ihnen einen König senden, <strong>der</strong> ihm genehm sei.<br />

Alsbald schickte ihnen dieser einen Heruler namens Suartuas, <strong>der</strong> schon lange in <strong>der</strong><br />

Hauptstadt wohnte. Diesem huldigten die Heruler zunächst und führte willig seine<br />

Anordnungen aus, da er nach dem Herkommen regierte. Doch schon nach wenigen<br />

Tagen kam ein Bote mit <strong>der</strong> Nachricht, die Gesandtschaft von Thule sei gar nicht mehr<br />

684 Prokop, Gotenkriege II, 14, 38.<br />

685 Prokop, Gotenkriege II, 14, 42.<br />

686 Siehe oben 24.<br />

687 Prokop, Gotenkriege II, 15, 28f.<br />

688 Zu diesem Namen Vgl. Wagner, Namenprobleme, 416.<br />

689 Prokop, Gotenkriege II, 15, 26f.


124<br />

fern. Suartuas befahl daraufhin seinen Leuten, ihnen entgegen zu ziehen, um sie zu<br />

töten. Mit diesem Entschluss waren die Heruler auch einverstanden und rückten<br />

sogleich mit ihm ins Feld. Doch als man nur noch eine Tagesreise voneinan<strong>der</strong><br />

entfernt war, verließen alle bei Nacht den Suartuas und liefen zu den Ankömmlingen<br />

über, so dass er allein nach Byzanz fliegen musste.“ 690<br />

Der Kaiser versuchte zwar seinen Kandidaten “mit allen Mitteln“ durchzusetzen, wie<br />

Prokop zu berichten weiß, und <strong>der</strong> römerfreundliche Teil kehrte auch wie<strong>der</strong> unter die<br />

kaiserliche Oberhoheit <strong>zur</strong>ück. Der größere Teil <strong>der</strong> Eruler unter <strong>der</strong> Leitung <strong>des</strong><br />

Datius schloss sich aus „Furcht vor <strong>der</strong> römischen Macht den Gepiden an“. 691 Suartuas<br />

wurde vom Kaiser jedoch nicht als König eingesetzt, son<strong>der</strong>n zum Befehlshaber <strong>der</strong> in<br />

Byzanz stationierten Truppen ernannt, 692 von einer Königseinsetzung ist in <strong>der</strong> Folge<br />

keine Rede mehr.<br />

Eruler gehörten in <strong>der</strong> Folgezeit <strong>der</strong> polyethnischen Kommandeursschicht in<br />

Konstantinopel an. Eine beispielhafte Karriere in dieser militärischen Führungsschicht<br />

machte Mundo, ein germanischer Condottiere <strong>der</strong> Nach-Attila-Zeit, <strong>der</strong> sowohl<br />

königlich-gepidischer als auch hunnischer Abstammung gewesen sein dürfte. 693 Er war<br />

einer <strong>der</strong> Hauptakteure bei <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schlagung <strong>des</strong> Nika-Aufstan<strong>des</strong> 532, 694 an <strong>der</strong><br />

auch eine erulische Einheit beteiligt war. 695 Eine Enkelin <strong>des</strong> Mundo war mit dem<br />

Eruler Aruth verheiratet. 696<br />

Die erulischen Einheiten standen auch im Vandalenkrieg an vor<strong>der</strong>ster Front. Nach <strong>der</strong><br />

Flucht <strong>des</strong> Vandalenkönigs Gelimer nach Medeus 697 im Gebirge Pappuas im Jahr 533<br />

beauftragte Belisar<br />

„… den Oberst Pharas und eine auserlesene Schar mit <strong>der</strong> Belagerung <strong>des</strong> Berges. Das<br />

war ein tapferer, tüchtiger und braver Mann, obgleich er ein Heruler war. Es ist<br />

nämlich ein wahres Wun<strong>der</strong> und verdient großes Lob, wenn ein Heruler nicht treulos<br />

und dem Trunke ergeben, son<strong>der</strong>n tugendhaft ist. Pharas was es übrigens nicht nur für<br />

seine Person, son<strong>der</strong>n hatte auch seine Landsleute, die mit ihm waren, gut gezogen.<br />

Diesem Pharas also befahl Belisar, am Fuß <strong>des</strong> Berges Standquartier für den Winter zu<br />

690 Prokop, Gotenkriege II, 15, 30–35.<br />

691 Prokop, Gotenkriege II, 15, 36.<br />

692 Prokop, Gotenkriege IV, 25, 11.<br />

693 Zur Lebensgeschichte <strong>des</strong> Mundo Vgl. Pohl, Gepiden, 290ff.<br />

694 Joannes Malalas, Chronographia XVIII, 475ff.<br />

695 Prokop, Perserkrieg I, 24, 40-53.<br />

696 Prokop, Gotenkriege III, 1, 36; IV, 26, 13.<br />

697 Heute: Midiya in <strong>der</strong> Nähe von Algier.


125<br />

beziehen, und sorgfältig Wache zu halten, so dass Gelimer we<strong>der</strong> entschlüpfen noch<br />

Proviant zu ihm gelangen könne. Pharas kam seinem Auftrag nach.“ 698<br />

Fara kann Gelimer schließlich überzeugen sich zu ergeben. 699<br />

Allerdings war die erulische Beteiligung am Vandalenfeldzug nicht ohne Risiko. Im<br />

römischen Heer dienende Arianer, darunter auch einige Eruler, die Ehen mit<br />

vandalischen Frauen eingegangen waren, stellten Besitzansprüche auf die Län<strong>der</strong>eien,<br />

die die Frauen als vandalische Gattinnen besessen hatten. Das zweite – wahrscheinlich<br />

größere – Problem war die Haltung Kaiser Justinians „einen Christenmenschen, <strong>der</strong><br />

nicht rechtsgläubig war, we<strong>der</strong> <strong>zur</strong> Taufe noch zu einem an<strong>der</strong>en Sakrament<br />

zuzulassen.“ 700 Das führte <strong>zur</strong> Eskalation am Osterfest im Jahre 534, als arianische<br />

Kin<strong>der</strong> nicht getauft werden konnten. Dieser religiöse Konflikt mündete schließlich in<br />

einen Aufstand unter <strong>der</strong> Führung <strong>des</strong> Stotzas, an dem auch arianische Eruler aus dem<br />

römischen Heer beteiligt gewesen sein dürften. 701<br />

538 stellte Justinian seinem Feldherrn Narses <strong>zur</strong> Unterstützung <strong>des</strong> in Italien<br />

kämpfenden Belisar neben 5000 Römer 2000 Eruler <strong>zur</strong> Verfügung. Diese sollten im<br />

Gotenkrieg zu den byzantinischen Kerntruppen gehören. Dabei bestand offensichtlich<br />

eine beson<strong>der</strong>e Bindung an Narses, denn nachdem <strong>der</strong> Kaiser Narses nach<br />

Konstantinopel <strong>zur</strong>ückbeor<strong>der</strong>t hatte, verweigerten die erulischen Truppen Belisar die<br />

Gefolgschaft. 545 konnte Narses die erulischen Einheiten wie<strong>der</strong> für den Kampf gegen<br />

die Ostgoten gewinnen und sie in thrakischen Winterquartieren versammeln.<br />

Diese Bindung von Erulern an Narses und ihr „Verrat“ an Belisar könnte übrigens ein<br />

Grund für die negative Haltung <strong>des</strong> Prokop als Gefolgsmann Belisars ihnen gegenüber<br />

sein, <strong>der</strong> ihnen ja immer wie<strong>der</strong> vor allem Treulosigkeit vorwirft.<br />

Über die Situation <strong>der</strong> Eruler nach dem Untergang <strong>des</strong> Gotenreiches in Italien berichtet<br />

<strong>der</strong> Fortsetzer <strong>des</strong> Prokop Agathias. 702 Als ein großes Heer von Franken und<br />

Alemannen über die Alpen in die Po-Ebene einfiel, schickte Narses ihnen Truppen<br />

entgegen. Eine Abteilung, großenteils aus erulischen Hilfsscharen bestehend, wurde<br />

geführt von dem jungen Erulerfürsten Fulkaris. Agathias berichtet:<br />

698<br />

Prokop, Vandalenkrieg II, 4.<br />

699<br />

Prokop, Vandalenkrieg II, 6ff.<br />

700<br />

Prokop, Vandalenkrieg II, 14.<br />

701<br />

Zum Verlauf dieses letzten Aufbäumens vandalischer Kräfte in Afrika siehe Prokop, Vandalenkrieg II,<br />

17, 14; Gotenkriege III, 39, 14.<br />

702<br />

Siehe oben 37f.


126<br />

„Der Erulerführer Fulkaris war zwar ein tapferer Mann, <strong>der</strong> vor nichts in <strong>der</strong> Welt sich<br />

fürchtete, aber ein tollkühner Wagehals, <strong>der</strong> in seinem Übermut leicht zu weit ging.<br />

Seiner Ansicht nach war es nicht die Aufgabe eines Heerführers, das Heer zu ordnen<br />

und aufzustellen, son<strong>der</strong>n er setzte seine Ehre hauptsächlich darein, allen sichtbar im<br />

Vor<strong>der</strong>treffen zu kämpfen, sich mit vollem Ungestüm auf die Feinde zu werfen und<br />

eigenhändig dreinzuschlagen.<br />

Damals nun kannte sein Übermut keine Grenzen, und er versuchte einen Handstreich<br />

auf die Stadt Parma, die sich bereits in den Händen <strong>der</strong> Franken befand. Nun hätte er<br />

wenigstens Streiftrupps vorschicken müssen, um sich möglichst genau über die Feinde<br />

zu unterrichten, und danach in guter Ordnung anrücken. Statt<strong>des</strong>sen führte er in<br />

blindem Vertrauen auf seine ungestüme Tapferkeit die Erulerschar und was er an<br />

römischen Soldaten bei sich hatte, völlig ungeordnet in Eile vorwärts, ohne an ein<br />

mögliches Unheil auch nur zu denken.<br />

Der Frankenherzog wusste von seinem Anmarsch und verbarg im Amphitheater, nicht<br />

weit von <strong>der</strong> Stadt, die tapfersten seiner Leute, die er sorgfältig ausgesucht hatte, so<br />

dass sie einen furchtbaren Hinterhalt bildeten, stellte Wachen aus und wartete ab. Als<br />

nun Fulkaris und seine Leute an dem Hinterhalt vorbeigezogen waren, stürzten die<br />

Franken auf ein gegebenes Zeichen hervor und griffen den ungeordneten, völlig<br />

unvorbereiteten Zug in dichten Reihen an. Die ersten, auf die sie trafen, stießen sie<br />

sämtlich nie<strong>der</strong>, da diese durch den plötzlichen Überfall vollständig überrascht waren<br />

und umzingelt wurden. Die Mehrzahl merkte noch gerade, in was für eine schlimme<br />

Lage sie gekommen waren, und suchten ihre Rettung auf schimpfliche Weise: sie<br />

kehrten den Feinden den Rücken zu und flohen Hals über Kopf, ohne an Gegenwehr<br />

und ihre langjährige Waffengeübtheit zu denken.<br />

Als so das Heer zersprengt war, blieb Fulkaris mit seinem Gefolge allein <strong>zur</strong>ück. Er<br />

hielt es unter seiner Würde, ebenso davonzulaufen, und zog einen ruhmvollen Tod<br />

einer schimpflichen Rettung vor. Ein Grabdenkmal bot ihm eine günstige<br />

Rückendeckung, und so stand er festen Fußes da und streckte viele Feinde nie<strong>der</strong>,<br />

indem er bald gewaltig vorsprang, bald mit dem Gesicht gegen den Feind Schritt für<br />

Schritt <strong>zur</strong>ückwich. Er hätte sich noch ganz gut durch die Flucht retten können. Als<br />

aber seine Leute ihn dazu auffor<strong>der</strong>ten, sagte er: "Wie könnte ich Narses’ scharfer<br />

Zunge standhalten, wenn er mich <strong>der</strong> Unbesonnenheit beschuldigt?" Er hatte also<br />

mehr Furcht gescholten als getötet zu werden und blieb auf dem Platze, indem er sich<br />

aufs tapferste wehrte und zu kämpfen nicht eher abließ, als bis er, von Feinden dicht<br />

umdrängt, die Brust von vielen Speeren durchbohrt, das Haupt durch einen Beilhieb<br />

gespalten, mit dem Tode ringend vornüber auf seinen Schild fiel.<br />

Die, die bei ihm ausgehalten hatten, fanden sämtlich über seinem Leichnam den Tod,<br />

teils durch eigene Hand, teils von den Feinden überwältigt.“ 703<br />

Für die Neubesetzung <strong>des</strong> Postens <strong>des</strong> Obersten über die Eruler boten sich nach dem<br />

Tod <strong>des</strong> Fulkaris Aruth und Sinduald an, „zwei hervorragende Männer gleichen<br />

Ansehens.“ 704 Letzterer wurde von Narses ernannt.<br />

Sinduald wurde später noch zweimal erwähnt. Er entschied sich trotz eines Konflikts<br />

mit Narses vor einer Schlacht letztlich doch noch dafür, mit seinen Erulern in den<br />

Reihen <strong>der</strong> Byzantiner gegen die Franken zu kämpfen. Auch in dieser Episode werden<br />

wir mit Eruler-Klischees konfrontiert:<br />

703<br />

Agathias, Historien I, 14.<br />

704<br />

Agathias, Historien I, 20.


127<br />

„Das fränkische Kriegsvolk war also von solcher Erregung gepackt und hatte schon<br />

die Waffen ergriffen. Auch Narses hieß seine Römer sich rüsten; dann führte er sie aus<br />

dem Lager heraus in den Raum zwischen beiden Heeren, wo sie sich in<br />

Schlachtordnung aufstellen sollten. Während die Truppen schon in Bewegung waren<br />

und <strong>der</strong> Feldherr sein Pferd bestiegen hatte, erhielt er die Meldung, dass ein Heruler,<br />

kein unbedeuten<strong>der</strong> Mann aus <strong>der</strong> Menge, son<strong>der</strong>n ein hochangesehener Adeliger,<br />

einen seiner Haussklaven, <strong>der</strong> sich irgendwie vergangen hatte, aufs grausamste getötet<br />

habe. Sofort faßt er sein Pferd beim Zügel und läßt den Mör<strong>der</strong> vor sich kommen; hielt<br />

er es doch für sündhaft, in den Kampf zu ziehen, bevor das Verbrechen nicht getilgt<br />

und gesühnt sei. Auf seine Fragen hin bekannte sich <strong>der</strong> Barbar zu seiner Tat und<br />

leugnete sie nicht ab, im Gegenteil, er erklärte sogar, daß die Herren mit ihren Sklaven<br />

nach Gutdünken verfahren dürften, und dass es auch den an<strong>der</strong>en so ergehen werde,<br />

wenn sie sich nicht ordentlich benähmen. Da sich nun <strong>der</strong> Mann, ohne irgendwelche<br />

Reue über seine Untat zu empfinden, noch frech und übermütig zeigte und aus seiner<br />

Mordgier kein Hehl machte, gab Narses seinen Doryphoren Weisung, ihn zu töten. Ein<br />

Stich mit dem Schwerte in die Seite setzte seinem Leben ein Ende. Die Schar <strong>der</strong><br />

Heruler war darüber nach Barbarenart höchst beleidigt und erzürnt und wollte sogar<br />

dem Kampfe fern bleiben. Narses jedoch, <strong>der</strong> auf diese Art den Fluch <strong>der</strong> bösen Tat<br />

von sich abgewandt hatte, kümmerte sich nur wenig um die Heruler und zog in die<br />

Schlacht, indem er mit lauter Stimmer allen <strong>zur</strong>ief, wer am Siege teilhaben wolle,<br />

möge sich ihm anschließen. So offensichtlich baute er auf göttliche Hilfe und ging<br />

seines Weges, als stünde alles schon längst fest. Doch Sindual, <strong>der</strong> Führer <strong>der</strong> Heruler,<br />

hielt es für eine Schande und Schmach, wenn man angesichts einer so gewalteigen<br />

Schlachtentscheidung ihn und sein Heer <strong>der</strong> Fahnenflucht bezichtige und von ihnen<br />

den Eindruck gewinne, dass sie in Wirklichkeit Angst vor den Feinden hätten und ihre<br />

Anhänglichkeit an den Toten nur zum Vorwand und Deckmantel für Feigheit<br />

nähmen. Das ließ ihn nicht ruhen, und so gab er Narses Bescheid, er möge sich doch<br />

etwas gedulden, sie würden sich alsbald bei ihm einfinden. Dieser antwortete, er<br />

könne zwar nicht warten, wolle aber dafür sorgen, dass auch sie einen entsprechenden<br />

Platz in <strong>der</strong> Schlachtordnung erhielten, selbst wenn sie sich etwas verspäteten. So<br />

marschierten die Heruler, wohlgerüstet und geordnet, im Schritte mit.“ 705<br />

Auch die späteste Erwähnung <strong>der</strong> Eruler ist mit Sinduald verknüpft. Sinduald, <strong>der</strong> von<br />

Narses an die Spitze <strong>der</strong> erulischen Truppen gesetzt und <strong>zur</strong> Sicherung <strong>des</strong> Brenners<br />

eingesetzt worden war, versuchte offenbar 567/568 eine eigene Herrschaft im heutigen<br />

Südtirol zu etablieren und proklamierte sich dort zum König.<br />

„Nichts<strong>des</strong>toweniger hatte Narses noch einen Kampf gegen Sindulald, den König <strong>der</strong><br />

Brenter, <strong>der</strong> vom Stamm <strong>der</strong> Heruler noch übrig war, die Odoakar auf seinem Zug<br />

nach Italien einst mit sich geführt hatte. Dieser Sinduald hatte zuerst treulich zu Narses<br />

gehalten und darum große Belohnung von ihm bekommen; als er sich nun aber<br />

neuerdings übermütig gegen ihn auflehnte und selbst den König machen wollte, wurde<br />

er von ihm in <strong>der</strong> Schlacht überwunden, gefangen genommen und an einem hohen<br />

Galgen aufgehängt.“ 706<br />

705 Agathias, Historien II, 7.<br />

706 Paulus Diaconus, Hist. Langob. II, 3.


12.4 Eruler im Langobardenreich<br />

128<br />

Ein Teil <strong>der</strong> Eruler schloss sich nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage den siegreichen Langobarden an.<br />

Rodulfs Tochter Sigilinda fiel als kleines Mädchen in Hände <strong>der</strong> Langobarden und<br />

wurde später die dritte Frau <strong>des</strong> Langobardenkönigs Wacho und die Mutter seines<br />

Sohnes und Nachfolger Waltari. 707<br />

Die Frage nach dem Vorhandensein von Erulern in den langobardischen Reichen stellt<br />

sich zunächst für die pannonische Zeit <strong>der</strong> Langobarden. Dabei ist auf die „Hegykö“-<br />

Gruppe zu verweisen. Hier finden sich nicht nur Bestattungen von Romanen aus West-<br />

Pannonien, son<strong>der</strong>n auch von Germanen nicht langobardischer Herkunft und an<strong>der</strong>en<br />

Volkssplittern, die bereits vor <strong>der</strong> langobardischen Eroberung um 510 in dieser<br />

Gegend ansässig waren. Bóna geht davon aus, dass es sich bei diesen Gräbern um die<br />

Bestattungen <strong>der</strong> von den Langobarden aus dem Donau-Tal vertriebenen bzw.<br />

umgesiedelten Bevölkerung handelte. Aufgrund von Grabfunden, die jenen gleichen,<br />

die in <strong>der</strong> Gegend von Bassiana gefunden wurden, wo auf oströmisches Gebiet<br />

geflüchtete Eruler angesiedelt wurden, 708 ist es möglich, dass sich unter <strong>der</strong> Hegykö-<br />

Gruppe auch Eruler befunden haben. 709<br />

Als Justinian 546/47 die Langobarden in Pannonia als Fö<strong>der</strong>aten bestätigte, schlossen<br />

sich dem exercitus Langobardorum auch erulische Gruppen an. 710 Wie so oft stellt<br />

sich auch beim Abzug <strong>der</strong> Langobarden aus Pannonien die Frage, ob Teile <strong>der</strong><br />

Bevölkerung <strong>zur</strong>ückgeblieben sind. Nachdem lange Zeit von einem Totalabzug<br />

ausgegangen wurde, haben sich inzwischen neue Funde <strong>der</strong>art gehäuft, dass mit einer<br />

zahlreichen germanischen nicht-gepidischen Population gerechnet werden muss, die<br />

bis ins 7. Jahrhun<strong>der</strong>t das heutige Westungarn kontinuierlich besiedelte. Erst im 8.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t wird eine einheitliche spätawarische Bevölkerung aus den Grabfunden<br />

fassbar, in <strong>der</strong> die germanischen Elemente völlig verschwunden sind. 711 Vor allem das<br />

Gräberfeld von Zamárdi am Plattensee weist auf eine große germanische<br />

Gemeinschaft hin, „die in <strong>der</strong> Frühawarenzeit am Goldreichtum <strong>der</strong> Awaren Anteil<br />

707<br />

Paulus Diaconus, Hist. Langob, I, 21.<br />

708<br />

Zu dieser Eruler-Gruppe siehe oben 121.<br />

709<br />

Vgl. Vida, Ungarn, 464.<br />

710<br />

Pohl, Awaren, 56.<br />

711<br />

Stadler, Beiträge, 1ff.


129<br />

hat, was sicherlich auf die Teilnahme bei den awarischen Feldzügen <strong>zur</strong>ückzuführen<br />

ist.“ 712<br />

Man kann davon als wahrscheinlich ausgehen, dass ein Teil <strong>der</strong> „langobardischen“<br />

Eruler in Westungarn verblieben ist, während ein an<strong>der</strong>er Teil sich den abziehenden<br />

Langobarden angeschlossenen hat. Es finden sich allerdings keine konkreten Hinweise<br />

auf Eruler im italienischen Langobardenreich.<br />

12.5 Eruler in <strong>der</strong> Ethnogenese <strong>der</strong> Bajuwaren<br />

In Bayern siedelten sich während <strong>der</strong> Herrschaft Theo<strong>der</strong>ichs eine Vielzahl von<br />

Ethnien an, Ostgoten, Thüringer, Langobarden, Rugier, Eruler und Skiren. Sie trafen<br />

auf Alemannen, vor allem aber auf Germanen aus Böhmen, die als Söldner im<br />

römischen Heer gedient haben. Für die Ethnogenese <strong>der</strong> Bayern, „eine beispielhafte<br />

colluvies gentium“ 713 , bestimmend und namensgebend wurden nach einer verbreiteten<br />

die „Männer aus Böhmen“, die Baiovarii. Das germanische Konglomerat verschmolz<br />

mit den Resten <strong>der</strong> keltisch-romanischen Vorbevölkerung zu den Bayern. Während die<br />

Politik Theo<strong>der</strong>ichs bei den Erulern im Osten Noricums und im Westen Pannoniens<br />

nicht zu einer erfolgreichen Ethnogenese führte, war sie in Rätien und im Westen<br />

Noricums entsprechend dem „westgermanischen Modell“ 714 langfristig erfolgreich.<br />

Anhand <strong>der</strong> Funde aus den großen Reihengräberfel<strong>der</strong>n wie jenen von Ergolding,<br />

Altheim, Altdorf, Viecht, Altenerding, Bittenbrunn und Straubing lässt sich deutlich<br />

ablesen, wie sich aus den diversen Schmuck-Formen sehr bald ein neuer,<br />

charakteristisch bajuwarischer Stil entwickelte. Ein beliebtes Schmuck-Element, etwa<br />

bei Broschen, blieben Adler-Darstellungen, welche die Goten im Osten von den<br />

Reitervölkern übernommen hatten. Ein Gürtelaufsatz, <strong>der</strong> einem Frühbajuwaren aus<br />

Viecht ins Grab mitgegeben wurde, ist gepidischen Ursprungs. Vor allem die Funde<br />

von Klettham weisen auf eine ostgermanische Mischbevölkerung hin. 715<br />

Es wäre in diesem Zusammenhang schließlich auch auf die isolierte<br />

Forschungsmeinung von Karl August Eckhardt hinzuweisen, dass Fara, <strong>der</strong> als<br />

26f.<br />

712 Stadler, Beiträge, 2.<br />

713 Wolfram, Ethnogenesen, 108.<br />

714 Zu <strong>der</strong> Gegenüberstellung von „westgermanischer“ und „ostgermanischer“ Ethnogenese siehe oben<br />

715 Vgl. dazu Fischer–Geisler, Herkunft; Beck, Bajuwaren, 612f.


130<br />

erulischer Unterführer Belisars 533/534 im Vandalenkrieg kämpfte und 535 verstarb,<br />

sowie <strong>der</strong> von Narses hingerichtete erulische Heerführer Sinduald 716 im Stammbaum<br />

<strong>der</strong> Agilolfinger zu finden wären. 717 Der Name einer <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Lex Baiuvariorum<br />

genannten genealogiae „Faringa“ soll nach dieser These als ein aus dieser „erulischen“<br />

Tradition sekundär entstandener Agilolfingerzweig zu deuten sein. 718<br />

716 Siehe oben 124f.<br />

717 Eckhardt, Merowingerblut, zitiert nach Wenskus, Agilolfinger, 97f.<br />

718 Vgl. Wenskus (Fara, 199), <strong>der</strong> den Namen eines <strong>der</strong> genealogiae <strong>der</strong> Bayern „Faringa“ als einen von<br />

Fara abgeleiteten „sekundär entstandenen Agilolfingerzweig“ deutet.


13 Die erulische Gesellschaft – <strong>der</strong> Versuch eines<br />

Überblicks<br />

13.1 Allgemeines<br />

131<br />

Die Beschreibung davon „was die Heruler für Menschen sind“, 719 wird bis heute durch<br />

die Schil<strong>der</strong>ung Prokops bestimmt. Als zentrale Eigenschaften <strong>der</strong> Eruler werden ihre<br />

kriegerische Haltung bzw. ihre spezifische Art <strong>der</strong> Kriegsführung genannt. Sie zieht<br />

sich wie ein roter Faden durch alle Quellen. Da sich diese Beschreibungen in<br />

verschiedenen Details von den allgemeinen Beschreibungen barbarischer<br />

Gesellschaften deutlich abheben, ist erstens davon auszugehen, dass wir es hier<br />

tatsächlich mit einer identitätsvermittelnden Eigenschaft zu tun haben, und zweitens,<br />

dass man bei erulischen ethnogenetischen Prozessen Traditionskerne erwarten kann,<br />

die sehr stark durch Kriegerverbände bestimmt waren.<br />

Wie bereits mehrfach erwähnt, haben erulische Verbände sowohl als reguläre Truppen<br />

im römischen Heer gedient als auch als foe<strong>der</strong>ati. 720 Einerseits wurde dadurch das<br />

Gefolgschaftselement verstärkt, an<strong>der</strong>erseits scheinen die Eruler eine relativ egalitäre<br />

Gesellschaft gebildet zu haben, wie es für Kriegerverbände nicht untypisch ist. Dies<br />

hatte für die Organisationsstruktur erulischer Gruppen bzw. <strong>der</strong> sie erfassenden<br />

ethnogenetischen Prozesse eine Reihe von spezifischen Konsequenzen, auf die in <strong>der</strong><br />

Folge noch einzugehen ist.<br />

13.2 Demographisches<br />

Was die Zahl <strong>der</strong> Eruler betrifft, so liefern die Quellen eine Reihe von Anhaltspunkten,<br />

die bereits von Ludwig Schmidt ausgewertet wurden. 721 Schmidt spricht zunächst von<br />

den pontischen Erulern und schätzt schließlich, dass die Eruler nach <strong>der</strong> „Ankunft am<br />

Asowschen Meere etwa 20.000 Menschen zählten.“ 722 . Diese Zahlenangabe steht im<br />

Zusammenhang mit <strong>der</strong> Teilnahme von Erulern bei den barbarischen Seeunternehmen<br />

am Schwarzen Meer. 723<br />

719<br />

Prokop, Gotenkriege II, 14, 1.<br />

720<br />

Siehe oben 74ff.<br />

721<br />

Schmidt, Ostgermanen, 562f.<br />

722<br />

Schmidt, Ostgermanen, 562.<br />

723 Siehe oben 67.


132<br />

Was die West-Eruler anlangt, wird man von geringen Zahlen auszugehen haben. Es ist<br />

regelmäßig nur von wenigen hun<strong>der</strong>t Kriegern die Rede. 724<br />

Was die Anzahl <strong>der</strong> Donau-Eruler betrifft, so dürfte <strong>der</strong> Schlüssel in <strong>der</strong> Bemerkung<br />

Prokops liegen, dass die Eruler, „im Laufe <strong>der</strong> Zeit was Macht und Volkszahl betrifft,<br />

einen Vorsprung vor allen benachbarten Barbarenvölkern gewannen.“ 725 Man wird<br />

davon ausgehen müssen, dass die Eruler im Laufe <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts und vor allem<br />

während <strong>der</strong> zweiten und dritten Phase <strong>des</strong> Nedao-Systems 726 wie Bajuwaren und<br />

Langobarden in <strong>der</strong> vergleichbaren Situation auch an<strong>der</strong>e ethnische Elemente<br />

aufgenommen, vielleicht aber auch weiteren Zuzug aus dem Norden erhalten haben.<br />

Die erulische gens wird in dieser Zeit wohl einige Zehntausend Menschen mit einigen<br />

Tausend Kriegern umfasst haben.<br />

Auch nach <strong>der</strong> katastrophalen Nie<strong>der</strong>lage gegen die Langobarden und dem<br />

Auseinan<strong>der</strong>fallen <strong>der</strong> Eruler in kleinere Gruppen ist <strong>der</strong>en Zahl noch immer<br />

beachtlich. Trotz <strong>des</strong> ständigen A<strong>der</strong>lasses an Kriegern, die in <strong>der</strong> römischen Armee<br />

dienten bzw. als foe<strong>der</strong>ati für die Römer kämpften, werden immer wie<strong>der</strong> aufs Neue<br />

erulische Truppen mit relativ hoher Mannschaftsstärke genannt.<br />

Im Jahr 538 stellte Justinian Narses <strong>zur</strong> Unterstützung <strong>des</strong> in Italien kämpfenden<br />

Belisar 2000 Eruler <strong>zur</strong> Verfügung. Diese sollten im Gotenkrieg in <strong>der</strong> Folge zu den<br />

byzantinischen Kerntruppen gehören.<br />

545 sind 3000 Krieger <strong>der</strong> „byzantinischen“ Eruler zu den Gepiden übergegangen,<br />

während 1500 Mann unter die römische Obödienz <strong>zur</strong>ückkehrten. 727 Wenige Jahre<br />

später besteht <strong>der</strong> Kern <strong>der</strong> Truppen <strong>des</strong> Narses im Gotenkrieg schon wie<strong>der</strong> aus 3000<br />

berittenen Erulern unter dem Befehl <strong>des</strong> Filimuth 728 und an<strong>der</strong>er Führer. 729 Das ist<br />

jedoch die letzte die Eruler betreffende Zahlenangabe.<br />

724<br />

Siehe oben 59.<br />

725<br />

Prokop, Gotenkriege II, 14, 8.<br />

726<br />

Siehe oben 86f.<br />

727<br />

Schmidt, Ostergermanen, 555.<br />

728<br />

Zu diesem Namen siehe oben 46.<br />

729<br />

Prokop, Gotenkriege IV, 26, 12.


13.3 Das Königtum bei den Erulern<br />

133<br />

Wie aus den Quellen hervorgeht, gehörten die Eruler grundsätzlich zu jenen<br />

ethnischen Gruppen, die eine Königstradition kannten. Es ist jedoch zu beachten, dass<br />

<strong>der</strong> auch bei ihnen verwendete Titel rex „flexibel genug (war), um einerseits ein<br />

monarchisches Großkgt., an<strong>der</strong>erseits aber die Fürsten von Kleingruppen wie bei den<br />

Alemannen <strong>des</strong> 4. Jh.s zu beschreiben.“ 730<br />

Was Könige bei den Ost-Erulern betrifft, so scheinen sich diese auf dem Wege zu<br />

einer Königsherrschaft befunden zu haben. Der bei Jordanes 731 erwähnte König <strong>der</strong><br />

Eruler Alarich 732 unterlag erst nach schweren und blutigen Kämpfen den Ostgoten<br />

Ermanarichs. Die Erzählung macht den Eindruck, als wäre mit dieser Nie<strong>der</strong>lage eine<br />

schon im Laufen befindliche Ethnogenese unter königlicher Führung abgebrochen<br />

worden.<br />

Bei den West-Erulern erhalten wir erst relativ spät, aus einem Brief Theo<strong>der</strong>ichs aus<br />

dem Jahre 501, Nachrichten von einem König. 733<br />

Bei den Donau-Erulern findet sich in den Quellen zunächst ein Erulerkönig Alaraich,<br />

<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Schlacht an <strong>der</strong> Bolia teilgenommen hat. 734 Schließlich stellt <strong>der</strong> donau-<br />

erulische König Rodulf mit seiner tragischen Geschichte den Höhepunkt erulischen<br />

Königtums dar.<br />

Es gab bei den Erulern – wie etwa auch bei den Langobarden 735 – offensichtlich eine<br />

Mehrzahl von Familien, die eine zum Königtum befähigende nobilitas<br />

beanspruchten. 736 Davon geben zwei Stellen bei Prokop Zeugnis. So hat sich ein Teil<br />

<strong>der</strong> Eruler nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage gegen die Langobarden „unter vielen Führern<br />

königlichen Geblüts“ nach Norden gewandt. 737 Die Mehrzahl „königlicher Familien“<br />

wird aber auch aus <strong>der</strong> von Prokop beschriebenen Situation deutlich, dass sich die<br />

Eruler wie<strong>der</strong> einen König wünschten und dabei unterschiedliche Vorgangsweisen<br />

730 Pohl, Gentilismus, 99.<br />

731 Jordanes, Getica XXIII, 117.<br />

732<br />

In <strong>der</strong> Literatur wird ein Zusammenhang <strong>der</strong> erulischen Alariche mit den gleichnamigen<br />

Westgotenkönige als möglich angesehen, was bedeuten würde, dass das westgotische Königshaus <strong>der</strong> Balthen<br />

mit den Erulern in Verbindung stand (Vgl. Wenskus, Alarich, 129; Wolfram, Goten, 44f).<br />

733<br />

Siehe oben 60.<br />

734 Siehe oben 99f.<br />

735 Höfler, Abstammungstraditionen, 22.<br />

736 Vgl. Tacitus, Germania, Kap. 7.<br />

737 Siehe oben 118.


134<br />

möglich waren. So wichtig Abstammungstraditionen von Familien auch gewesen sein<br />

mögen, 738 erwecken diese Vorgänge allerdings den Eindruck, dass bei den Erulern<br />

über „urzeitliche Verwandtschaftsverhältnisse“ hinaus zwischen den „Königsfamilien“<br />

und den erulischen Verbänden „keine logisch o<strong>der</strong> juridisch eindeutige Theorie<br />

bestanden habe.“ 739<br />

Die Stellung <strong>des</strong> Königs ist jedenfalls auffällig schwach. Seine Legitimation ist stark<br />

mit erfolgreichen kriegerischen Unternehmungen verbunden. Prokop berichtet, dass<br />

die Eruler im Donauraum, da es für sie „keine weiteren Völker mehr zu bekriegen<br />

gab“, ihre Waffen nie<strong>der</strong>legten und sich ruhig verhielten:<br />

„Drei Jahre lebten sie so in Frieden, waren aber mit diesem Zustand ganz und gar nicht<br />

zufrieden. Sie überhäuften daher ihren König Rodulfus mit bitteren Vorwürfen;<br />

ständig wurden sie bei ihm vorstellig, nannten ihn feig und weibisch und schleu<strong>der</strong>ten<br />

ihm höhnend noch an<strong>der</strong>e Schimpfworte ins Gesicht. Rodulfus wollte diese<br />

Schmähungen nicht ruhig hinnehmen und zog gegen die Langobarden, obwohl diese<br />

ihm nichts zuleide getan hatten.“ 740<br />

Dies entspricht dem archaischen Konzept einer egalitären Kriegergesellschaft. An<br />

an<strong>der</strong>er Stelle stellt Prokop im Zusammenhang mit <strong>der</strong> unvermittelten Ermordung<br />

eines Königs namens Ochus fest, dass <strong>der</strong> König bei den Erulern nur „dem Namen<br />

nach ein solcher“ gewesen wäre und „sich in fast nichts von irgend einem<br />

gewöhnlichen Stammesgenossen (unterschied). Alle verlangten mit ihm wie mit<br />

ihresgleichen zusammen zu sitzen und zu schmausen, und je<strong>der</strong> nahm sich die Freiheit,<br />

ihn frech zu beschimpfen.“ 741<br />

Ähnliche Beschreibungen eines schwachen Königtums kommen gerade auch bei<br />

ostgermanischen Völkern häufiger vor. So kann etwa <strong>der</strong> gepidische König zumin<strong>des</strong>t<br />

nicht offen gegen die Meinung seiner logimoi handeln. 742 Es ist auch auf Jordanes zu<br />

verweisen, <strong>der</strong> die wirtschaftlichen Grundlagen <strong>der</strong> germanischen Reiche im mittleren<br />

Donauraum – im konkreten Fall <strong>der</strong> Goten – sehr hellsichtig beschreibt: “Später, als da<br />

und dort bei den Nachbarvölkern die Ergebnisse <strong>der</strong> Raubzüge spärlicher ausfielen,<br />

fehlte es auch den Goten allmählich an Nahrung und Kleidung, und es wurde ihnen,<br />

738<br />

Lange Zeit scheint „bei nordischen Thronkämpfen kein Prätendent ernsthafte Aussichten gehabt zu<br />

haben ..., <strong>der</strong> nicht eine Blutszugehörigkeit zu den Ynglingar für sich in Anspruch nehmen konnte“ (Höfler,<br />

Abstammungstraditionen, 20). Was hier für den Fall herauszustellen wäre, dass die Ynglingar – wie dies Toels<br />

Brandt vermutet (Heruls, +++) – tatsächlich erulische Wurzeln gehabt haben.<br />

739<br />

Höfler, Abstammungstraditionen, 22.<br />

740 Prokop, Gotenkriege II, 14, 10.<br />

741 Prokop, Gotenkriege II, 14, 38.<br />

742 Prokop, Gotenkriege IV, 27, 23.


135<br />

Leuten, denen schon lange <strong>der</strong> Krieg die einzige Erwerbsquelle gewesen war, <strong>der</strong><br />

Friede unbequem.“ 743 Eine <strong>der</strong>artige Mischung aus egalitär-kriegerischer Tradition und<br />

wirtschaftlicher Notwendigkeit wird wohl auch das Handeln <strong>der</strong> Donau-Eruler<br />

bestimmt haben.<br />

Die Schwäche <strong>des</strong> auf kriegerischen Erfolgen beruhenden Königtums wird in dem<br />

Moment greifbar, als das erulische Königtum – vergleichbar dem thüringischen 531<br />

und dem gepidischen 568 – in <strong>der</strong> katastrophalen Nie<strong>der</strong>lage gegen die Langobarden<br />

gleichsam seine Existenzberechtigung verliert. Für Paulus Diaconus war mit dieser<br />

Nie<strong>der</strong>lage „ihre Kraft gebrochen, so dass sie von da an keinen eigenen König mehr<br />

über sich hatten.“ 744 Denn, wie auch immer es begründet wurde, es konnte in <strong>der</strong><br />

damaligen Welt letztlich nur ein von einem König geführtes Volk Gleichrangigkeit mit<br />

an<strong>der</strong>en Völkern beanspruchen. 745<br />

Es gelang den Erulern also keine „Zentralisierung <strong>der</strong> Macht unter einem<br />

unangefochtenen König“ wie den Goten, Vandalen, Langobarden o<strong>der</strong> Franken. Es<br />

muss auch im Zusammenhang mit dem Misslingen <strong>der</strong> Etablierung eines erulischen<br />

Königtums darauf hingewiesen werden, dass die erfolgreichen Könige <strong>der</strong> genannten<br />

Völker nicht nur militärisch erfolgreich gewesen waren, son<strong>der</strong>n auch ihre Reiche auf<br />

römischem Boden in einem „Verfassungskompromiss“ mit imperialen Strukturen<br />

etabliert haben. 746 Die Ermordung <strong>des</strong> Königs Ochus „ganz plötzlich und ohne Grund,<br />

einzig und allein <strong>des</strong>halb, weil sie von nun an ohne König leben wollten“ 747 , macht<br />

dies ebenso deutlich wie <strong>der</strong> bald darauf gefasste Entschluss, doch wie<strong>der</strong> einen König<br />

zu bestellen bzw. bestellen zu lassen.<br />

Auch die Geschichte <strong>des</strong> Versuches einen neuen König aus Skandinavien zu holen, wo<br />

es offenbar eine ganze Reihe von Kandidaten königlichen Bluts gab, die in Frage<br />

kamen, bzw. die Alternative sich einfach einen König vom Kaiser zu erbitten,<br />

illustriert sehr deutlich die Position <strong>des</strong> erulischen Königs. Prokop schil<strong>der</strong>t gleichsam<br />

743 Jordanes, Getica LVI, 283. Die germanischen Könige erinnern hier überdies an den frühgriechischen<br />

Basileus: Odysseus, <strong>der</strong> sich nach seiner Rückkehr nach Ithaka zunächst nicht zu erkennen gibt, erzählt in einer<br />

erfundenen Lebensgeschichte, wie er mit Idomeneus, dem Basileus von Kreta, vom demos gezwungen wurde,<br />

am Kriegszug gegen Troja teilzunehmen: „Da befahlen sie mir, mit Idomeneus, unserm Basileus, Führer <strong>der</strong><br />

Schiffe zu sein gegen Ilios; alle Versuche mich zu befreien misslangen; mich schreckte <strong>der</strong> Tadel <strong>des</strong> Volkes.“<br />

(Diesen Hinweis verdanke ich meiner Schwester Andrea Potz).<br />

744 Paulus Diaconus, Hist. Langob. I, 20.<br />

745 Vgl. Schnei<strong>der</strong>, Königswahl, 8.<br />

746 Vgl. dazu Pohl, Gentilismus, 99.<br />

747 Prokop, Gotenkriege II, 14, 38.


136<br />

angewi<strong>der</strong>t die Wankelmütigkeit <strong>der</strong> Eruler, die zuerst dem vom Kaiser gesandten<br />

Kandidaten Suartuas huldigten und, seinen Anweisungen folgend, die aus dem Norden<br />

kommenden zu töten bereit waren, dann aber zu diesen überliefen, sodass Suartuas<br />

nach Konstantinopel fliehen musste. Prokops Reaktion war getragen vom totalen<br />

Unverständnis eines spätantiken Autors für eine egalitäre Gesellschaft.<br />

Nach <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung um die Königskandidaten zwischen den beiden<br />

erulischen Parteien schlossen sich die Anhänger <strong>der</strong> nordischen Partei aus „Furcht vor<br />

<strong>der</strong> römischen Macht den Gepiden an“ 748 und dürften dabei unter <strong>der</strong> Führung <strong>des</strong><br />

Brü<strong>der</strong>paares Datius und Aordus geblieben sein. 749 Der Kaiser versuchte zunächst<br />

seinen Kandidaten Suartuas „mit allen Mitteln“ durchzusetzen, wie Prokop zu<br />

berichten weiß. Nachdem dies jedoch misslang, war von einer Königseinsetzung für<br />

den römerfreundlichen Teil keine Rede mehr. Suartuas wurde statt<strong>des</strong>sen vom Kaiser<br />

zum Befehlshaber <strong>der</strong> in Byzanz stationierten Truppen ernannt. 750<br />

13.4 Die erulische Kriegergesellschaft<br />

Wie bereits mehrfach erwähnt, dürften im Zentrum erulischer Gruppen Kriegerbünde<br />

gestanden haben, wie sie für germanische Gruppen nicht untypisch waren. Wie<br />

<strong>der</strong>artige Bünde zustande kommen, erfahren wir bei Tacitus, wenn er den Beginn <strong>des</strong><br />

Bataver-Aufstan<strong>des</strong> damit beschreibt, dass <strong>der</strong>en Führer sie „nach barbarischem<br />

Brauch und unter herkömmlichen Verwünschungen verpflichtete.“ 751<br />

Für <strong>der</strong>artige Kriegergesellschaften sind spezielle Formen von Initiationsriten<br />

charakteristisch. 752 Dementsprechend werden solche Phänomene nicht selten auch von<br />

an<strong>der</strong>en germanischen Gesellschaften berichtet. Bei den Chatten ließen sich junge<br />

Krieger, zölibatär in Kriegergruppen lebend und ohne weitere Tätigkeit ausübend,<br />

Haar und Bart so lange wachsen, bis sie einen Feind getötet hatten. 753 In diesem<br />

Zusammenhang wurden auch, was sehr umstritten ist, die Berichte über den<br />

748<br />

Prokop, Gotenkriege II, 15, 36.<br />

749<br />

Prokop, Gotenkriege III, 34, 45.<br />

750<br />

Prokop, Gotenkriege IV, 25, 11.<br />

751<br />

Tacitus, Hist. 4, 14–15.<br />

752<br />

Meier, Initiationsriten, 442.<br />

753 Tacitus, Germania 31.


137<br />

Kriegerbund <strong>der</strong> Harier, 754 die als Vorfahren von sagenhaften Einheriern und ohne<br />

Schutzpanzer kämpfenden Berserkern bezeichnet werden. 755<br />

Obwohl hier das Phänomen von kriegerischen Initiationsriten in germanischen<br />

Gesellschaften mehr o<strong>der</strong> weniger greifbar wird, bietet sich jedoch kein kohärentes<br />

Bild. Es zeigen sich vielfältige Erscheinungsformen, die bei vielen Völkern Parallelen<br />

aufweisen. Die von Otto Höfler aufgestellte Theorie, 756 dass Kriegerbünde das<br />

konstitutive Element germanischer Gesellschaften gewesen seien, wird heute meist<br />

<strong>zur</strong>ückgewiesen, wohl nicht zuletzt auch <strong>des</strong>halb, weil sie durch die Nähe Höflers zu<br />

NS-Gedankengut in Misskredit kam. Dessen ungeachtet steht die Frage nach <strong>der</strong> Rolle<br />

von Kriegerbünden für die Organisation germanischer Gesellschaften auch weiterhin<br />

auf <strong>der</strong> Tagesordnung germanistischer Forschung. 757<br />

Zu diesen germanischen Gesellschaften, denen eine Art Initiationsritus nachgesagt<br />

wurde, gehörten auch die Eruler. Nach dem überlieferten Ritus mussten junge Männer<br />

als Mutprobe nackt und ohne Schild kämpfen, bis sie einen Feind getötet hatten. 758 In<br />

diesem Zusammenhang ist an Tacitus zu erinnern, <strong>der</strong> erwähnt, dass <strong>der</strong> Verlust <strong>des</strong><br />

Schil<strong>des</strong> in <strong>der</strong> Schlacht als Schande gesehen wurde und zum Verlust politischer<br />

Rechte führte. 759<br />

Weiters wird von einem Ausbildungsverhältnis zwischen einem erfahrenen Krieger<br />

und einem jungen Krieger, also von einer Art „Knappen-Ritter-Verhältnis“, berichtet.<br />

Das würde bedeuten, dass die jungen Männer zunächst in <strong>der</strong> Obhut eines älteren,<br />

erfahrenen Krieger standen. Diese für Kriegergesellschaften nicht untypische<br />

beson<strong>der</strong>e Beziehung zwischen einem älteren und einem jüngeren Mann wäre –<br />

abgesehen von <strong>der</strong> allgemeinen Tendenz Prokops, den Erulern alles Schlechte<br />

nachzusagen – eine weitere Erklärung für den Vorwurf Prokops, dass die Eruler<br />

wi<strong>der</strong>natürlichen Geschlechtsverkehr pflegten. 760 Ein ähnlicher Vorwurf 761 findet sich<br />

bei den Taifalen, wo zwischen jungen Männern und älteren Kriegern eine beson<strong>der</strong>e<br />

754<br />

Tacitus, Germania, 43, 4; Vgl. oben 41f.<br />

755<br />

Eggers, Kriegerbünde, 343f. Zu den Berserkern Vgl. Höfler, Berserker.<br />

756<br />

Höfler, Kultische Geheimbünde <strong>der</strong> Germanen, erschienen 1934, neugedruckt 1993.<br />

757<br />

Eggers, Kriegerbünde.<br />

758<br />

Jordanes, Getica L, 261; Paulus Diaconus, Hist. Langob. I, 20; Prokop, Perserkrieg II, 25.<br />

759<br />

Tacitus, Germania, Kap. 6.<br />

760<br />

Prokop, Gotenkriege II, 14, 36.<br />

761<br />

Ammianus Marcellinus, res gestae XXXI, 9, 5. Vgl. Schmidt, Ostgermanen, 548.


138<br />

Beziehung bezeugt ist, aus <strong>der</strong> sie sich durch eine tapfere Tat – die Erlegung eines<br />

Ebers o<strong>der</strong> Bären – lösten. Auch für an<strong>der</strong>e Kriegergesellschaften sind <strong>der</strong>artige<br />

Verhältnisse überliefert. 762<br />

Was die Kampfesweise <strong>der</strong> Eruler betrifft, so wird ihre leichte Bewaffnung immer<br />

wie<strong>der</strong> als Charakteristikum herausgestellt. Bemerkenswert ist, dass es im pontischen<br />

Raum zu keiner Angleichung <strong>der</strong> Eruler an die Bewaffnung <strong>der</strong> Steppenvölker<br />

gekommen ist. Wenskus sieht den Grund darin, dass Stämme wie die Eruler erst in <strong>der</strong><br />

Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit in den pontischen Raum vorgestoßen sind und in <strong>der</strong> kurzen<br />

Zeit bis zum Hunneneinfall ihre Kampfesweise nicht verän<strong>der</strong>t haben. 763 Es ist aber<br />

auch zu beachten, dass sich später eine erulische Reitereinheit im römischen Heer<br />

findet. 764<br />

Aus Prokops Darstellung kann abgeleitet werden, dass die Donau-Eruler ihren<br />

Unterhalt nicht nur als kriegerische Schmarotzergesellschaft bestritten, son<strong>der</strong>n sehr<br />

wohl auch Viehzucht betrieben haben. Er berichtet, dass jene Eruler, die bei den<br />

Gepiden Aufnahme gefunden haben, unter an<strong>der</strong>em darunter litten, dass diese ihr<br />

„Vieh und an<strong>der</strong>e Habe“ raubten. 765 Einige Jahre später wurde <strong>der</strong> Rest dieser Gruppe,<br />

die von Anastasius auf oströmischen Boden angesiedelt worden war, von Justinian mit<br />

fruchtbarem Land beschenkt, was auf einen Übergang zu bäuerlicher Betätigung<br />

verweist. 766<br />

Archäologische Funde weisen darauf hin, dass zwischen <strong>der</strong> Ostsee und dem<br />

Schwarzen Meer (bzw. dem Asowschen Meer) über die Flussläufe und zwischen <strong>der</strong><br />

Ostsee und dem mittleren Donaugebiet entlang <strong>der</strong> Bernsteinstraße weit<br />

<strong>zur</strong>ückreichende Verbindungen vorhanden waren, die vom Neolithikum bis zu den<br />

warägischen Gründungen im Mittelalter andauerten. Diese führten zu traditionellen<br />

Achsen für die Mobilität von Menschen, von Händlern und Kriegern, von <strong>der</strong>en Waren<br />

762 Meiner Schwester Andrea Potz verdanke ich schließlich den Hinweis auf Kreta, wo es eine<br />

wahrscheinlich auf die dorische Einwan<strong>der</strong>ung <strong>zur</strong>ückzuführende Männerweihe gab, bei <strong>der</strong> die sexuelle<br />

Komponente jedoch unbestritten ist. Aber auch in diesem Fall gilt: „Die Liebesbeziehung zwischen alten<br />

Kriegern und heranwachsenden Jungen war nicht (o<strong>der</strong> doch nicht vorrangig) Ausdruck von Sexualität, son<strong>der</strong>n<br />

eine streng reglementierte soziale Einrichtung, die die Epheben auf die Übernahme neuer Rollen als Bürger und<br />

Krieger vorbereitete.“ (Chaniotis, Kreta, 55).<br />

763 Wenskus, Bewaffnung, 462.<br />

764 Siehe oben Kap. 9.<br />

765 Prokop, Gotenkriege II, 14, 27.<br />

766 Prokop, Gotenkriege II, 14, 33.


139<br />

und Kulturen. Man kann davon ausgehen, dass die Eruler ähnlich den späteren<br />

Wikingern auch als Händler tätig waren.<br />

13.5 Die erulische Familie und die Stellung <strong>der</strong> Frau<br />

Zwei entscheidende Ereignisse <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Eruler sind mit einem<br />

charakteristischen mythisch-legendären topos verbunden. Sowohl im Kampf mit den<br />

Ostgoten <strong>zur</strong> Zeit Ermanarichs als auch in <strong>der</strong> Vorgeschichte <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage gegen die<br />

Langobarden werden die politischen Konflikte als Auseinan<strong>der</strong>setzungen zwischen<br />

den beteiligten Königsfamilien dargestellt, bei denen Frauen eine beson<strong>der</strong>e Rolle<br />

spielen.<br />

Auch die mit den Erulern in Verbindung gebrachten Frauengräber weisen auf einen<br />

beachtlichen sozialen Status hin. Allerdings sind reiche Grabbeigaben bei<br />

Frauengräbern <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts, 767 die offensichtlich einer herrschenden Schicht<br />

zuzuordnen sind, nicht überraschend. Insbeson<strong>der</strong>e das Grab <strong>der</strong> „lahmen Fürstin“ und<br />

ihrer Tochter in Untersiebenbrunn ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Die<br />

ebenfalls reich ausgestatteten Gräber von Laa an <strong>der</strong> Thaya und Smolin sind<br />

typologisch eng miteinan<strong>der</strong> verbunden.<br />

Für den von den Donau-Erulern besiedelten Raum ist weiters auf die vor allem bei<br />

Frauen vorzufindende Schädeldeformation durch turmartiges Hochbinden im<br />

Säuglings- und Kin<strong>des</strong>alter zu verweisen. Sie wird als von den Hunnen übernommene<br />

Sitte angesehen und findet sich in Mähren und Nie<strong>der</strong>österreich von <strong>der</strong> Mitte <strong>des</strong> 5.<br />

bis in die erste Hälfte <strong>des</strong> 6. Jahrhun<strong>der</strong>ts vor allem im Kontext von ostgermanischen<br />

Funden, wodurch eine Nähe zu den Erulern vermutet werden kann. 768<br />

Als eine die Stellung <strong>der</strong> Frau betreffende Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> erulischen Gesellschaft<br />

stellt auch die von Prokop angeführte Sitte <strong>der</strong> Witwen-Selbsttötung „in alter Zeit“<br />

dar:<br />

„War ein Heruler gestorben, so mußte seine Ehefrau, sofern sie auf guten Ruf und<br />

ehren<strong>des</strong> Gedenken Wert legte, neben dem Grabe ihres Mannes alsbald ihrem Leben<br />

durch Erhängen ein Ende machen. Sonst galt sie für den Rest ihres Lebens als ehrlos<br />

und die Sippe ihres Mannes fühlte sich dadurch gekränkt.“ 769<br />

767<br />

Siehe oben 92ff.<br />

768<br />

Zur Sitte <strong>der</strong> Schädeldeformation Vgl. Alt, Schädeldeformationen.<br />

769 Prokop, Gotenkriege II, 14, 2.


140<br />

Da es über diese Stelle hinaus keine sicheren Belege für die Witwentötung bei den<br />

Germanen gibt, wird in <strong>der</strong> Literatur dieser Bericht auch angezweifelt. 770 Diese Stelle<br />

wird vor allem auch mit <strong>der</strong> Tendenz Prokops in Verbindung gebracht, die Eruler zu<br />

verunglimpfen und ihnen alle aus <strong>der</strong> Antike bekannten negativen Barbaren-Klischees<br />

anzuhängen. 771 Es spricht jedoch trotzdem einiges für ihre Authentizität, nicht zuletzt<br />

da Prokop ja von einer Sitte aus alter – vielleicht sogar mythischer? – Zeit spricht. Der<br />

Vergleich mit Herodots Bericht über die Witwentötung bei den Thrakern 772 zeigt in<br />

den Details zu starke Unterschiede auf, als dass man von einer Übernahme dieses<br />

ethnographischen Vorbil<strong>des</strong> sprechen kann.<br />

13.6 Alten- und Krankentötung<br />

Als eine Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> Eruler wird von Prokop 773 an erster Stelle in seinem Bericht<br />

die rituelle Alten- und Krankentötung herausgestellt. Sobald bei ihnen jemand alt o<strong>der</strong><br />

krank geworden sei, „hätte er seine Verwandten bitten müssen, ihn so rasch wie<br />

möglich zu töten.“ Sie hätten dann einen Scheiterhaufen errichtet, ihn darauf gelegt,<br />

und ein nicht mit ihm verwandter Eruler hätte ihn mit einem Dolch erstochen. Der<br />

Tote sei auf dem Scheiterhaufen verbrannt und die Reste bestattet worden.<br />

Diese Schil<strong>der</strong>ung entspricht durchaus einer Reihe von altnordischen Belegen sowie<br />

dem Bericht <strong>des</strong> Ibn Fadlan von den Rus, den schwedischen Warägern im Nordwesten<br />

Russlands aus dem 10. Jahrhun<strong>der</strong>t. 774 Falls hier eine altnordische Sitte zumin<strong>des</strong>t für<br />

Notzeiten greifbar wird, wäre dies ein weiterer Hinweis auf die Herkunft <strong>der</strong> Eruler<br />

bzw. ihren Hang zu archaischen Verhaltensweisen. Man wird weiters aber auch davon<br />

ausgehen können, dass die Eruler <strong>der</strong>artige Bräuche unter Umständen auch skythisch-<br />

sarmatischem bzw. hunnischem kulturellem Einfluss zu verdanken haben.<br />

770 Vgl. dazu vor allem Nedoma, Selbsttötung, 133f.<br />

771 Reichert, Frau, 491.<br />

772<br />

Herodot, Historien 5,5 „Bei den Stämmen nördlich <strong>der</strong> Krestonaier herrscht folgende Eigenart: Je<strong>der</strong><br />

Mann besitzt viele Frauen, und wenn einer von ihnen stirbt, so kommt es unter den Frauen zu großem Streit.<br />

Auch die Freunde <strong>des</strong> Toten beteiligen sich eifrig daran festzustellen, welche Frau wohl <strong>der</strong> Verstorbene am<br />

meisten geliebt habe. Welcher nun <strong>der</strong> Ehrenpreis zuerkannt ist, die wird unter dem Feiergeleite von Männern<br />

und Frauen am Grabe von ihren nächsten Angehörigen umgebracht und dann mit ihrem Manne begraben. Die<br />

an<strong>der</strong>en Frauen sind sehr unglücklich; denn das ist für sie die größte Schande.“<br />

773<br />

Prokop, Gotenkriege II, 14,.<br />

774 Ranke, Alten- und Krankentötung, 210f.


13.7 Die religiöse Dimension <strong>der</strong> erulischen Gesellschaft<br />

141<br />

Wie schon etliche Male erwähnt, kommen die Eruler bei Prokop so schlecht weg wie<br />

keine an<strong>der</strong>e barbarische Ethnie, sie sind „überhaupt die allerschlechtesten Menschen,<br />

die es gibt, und sollen ihrer Schandtaten wegen ein schimpfliches Ende nehmen“, 775<br />

denn „es gibt nämlich keine unberechenbareren und unzuverlässigeren Menschen als<br />

die Heruler.“ 776 Trunksucht und Treulosigkeit sind nur zwei <strong>der</strong> negativen<br />

Eigenschaften, die er den Erulern anlastet.<br />

Selbst wenn man Prokop eine starke Abneigung gegen die Eruler unterstellt, fügen<br />

sich doch seine Darstellungen in eine Reihe an<strong>der</strong>er Quellen, sodass sie nicht von<br />

vornherein als Erfindungen bzw. als Bild eines Zivilisierten von „klassischen“<br />

Barbaren-topoi abgetan werden können.<br />

Auch eine mögliche religiöse Abneigung wurde bei Prokop angenommen, darf aber<br />

nicht überschätzt werden. Man gewinnt aus den Bemerkungen bei Prokop jedenfalls<br />

den Eindruck, dass die Eruler ihrer alten Religion länger treu geblieben sind als an<strong>der</strong>e<br />

Germanen. Nach Prokop verehrten die Eruler „eine Menge Götter, <strong>der</strong>en Huld sie auch<br />

durch Menschenopfer gewinnen zu müssen glaubten.“ 777 Generell ist darauf<br />

hinzuweisen, dass die „Faktizität <strong>des</strong> Phänomens“ Menschenopfer bei den Germanen<br />

„nicht in Frage gestellt werden“ kann. 778 Bereits Tacitus erwähnt, dass von den<br />

Göttern Mercurius – also das Pendant von Odin bzw. Wotan – am meisten verehrt<br />

wird, dem auch an bestimmten Tagen Menschenopfer dargebracht werden. 779 Es ist<br />

weiters davon auszugehen, dass <strong>der</strong>artige Rituale häufig im Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

Opferung von besiegten Gegnern standen, wie ebenfalls bereits von Tacitus 780 und in<br />

<strong>der</strong> Folge mehrfach in Bezug auf römische Kriegsgefangene berichtet wird. 781 In<br />

diesem Zusammenhang ist vor allem auf mit dem Odin/Wotan-Kult verbundene<br />

Menschenopfer zu verweisen, wobei die Gefangenen an einem Baum aufgehängt<br />

werden, wie Prokop von den Einwohnern von Thule zu erzählen weiß. 782 Hier bietet<br />

775 Prokop, Gotenkriege, II, 14, 36.<br />

776 Prokop, Gotenkriege, II, 14, 41.<br />

777 Prokop, Gotenkriege, II, 14, 1.<br />

778 Hultgård, Menschenopfer, 545.<br />

779 Tacitus, Germania, c. 9.<br />

780 Tacitus, Annalen, 1, 61, 3ff.<br />

781 Orosius, 5, 16, 1 ff; Florus, 30, 24; Sidonius Apollinaris, Epist. 6, 6, 15.<br />

782 Prokop, Gotenkriege II, 15, 23f.


142<br />

sich <strong>der</strong> Vergleich mit dem Bericht <strong>des</strong> Eugippius an, wonach die Eruler nach ihrem<br />

Überfall auf Joviacum den dortigen Priester erhängt hätten. 783<br />

Einen wahrscheinlich an<strong>der</strong>en religiösen Hintergrund haben Tötungen in Verbindung<br />

mit Bestattungen. Auf die von Prokop für die Eruler erwähnte rituelle Selbsttötung von<br />

Witwen wurde bereits oben verwiesen. 784<br />

Es wird jedoch im Laufe <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>t. auch bei den Erulern zu Übertritten zum<br />

Christentum gekommen sein, 785 und zwar wie bei den meisten christlichen Germanen<br />

im Osten zum Arianismus. Das homöische Christentum lässt sich jedenfalls leichter<br />

mit dem Glauben an Christus als „Gefolgschaft for<strong>der</strong>nden Herrn“ als an einen<br />

göttlichen Erlöser verbinden, was <strong>der</strong> germanischen Vorstellungswelt eher<br />

entsprochen haben dürfte. 786<br />

Sichere Kenntnis vom Christentum <strong>der</strong> Eruler besitzen wir erst aus <strong>der</strong> Zeit nach dem<br />

Untergang <strong>des</strong> Reiches <strong>der</strong> Donau-Eruler. Dabei ist einiges unklar. Jene Teile <strong>der</strong><br />

Eruler, welche die Byzantiner in Sirmien angesiedelt haben, wurden 528 unter dem<br />

Häuptling Gretes von Justinian <strong>zur</strong> Übernahme <strong>des</strong> orthodoxen Glaubens bewogen. 787<br />

An<strong>der</strong>erseits seien von dem nach dem Siege über die Vandalen in Afrika stationierten<br />

römischen Heer nicht weniger als tausend Mann Anhänger <strong>der</strong> Lehre <strong>des</strong> Arius<br />

gewesen, von denen die meisten Barbaren und unter diesen eine entsprechende Anzahl<br />

Eruler gewesen seien. Die arianischen Germanen seien von den vandalischen Priestern<br />

aufgereizt worden, da unter Justinian <strong>der</strong> Vollzug <strong>der</strong> Sakramente und an<strong>der</strong>er heiliger<br />

Handlungen durch nichtorthodoxe Priester verboten war, sodass diese zu Ostern nicht<br />

ihre Kin<strong>der</strong> taufen durften und auch sonst keine <strong>der</strong> zu diesem Fest üblichen heiligen<br />

Handlungen vollziehen konnten. Immerhin dürften sich einige Eruler soweit mit ihrem<br />

arianischen Glauben identifiziert haben, dass sie sich an dem folgenden Aufstand <strong>des</strong><br />

Stotzas beteiligten. 788<br />

783<br />

Eugippius, Vita Severini, 24.<br />

784<br />

Siehe oben 136f.<br />

785<br />

Zur Bekehrung <strong>der</strong> Eruler zum Christentum siehe Schmidt, Bekehrung, 385–387; Schmidt,<br />

Ostgermanen, 558.<br />

786<br />

Friesinger-Adler, Nie<strong>der</strong>österreich, 52. Wenn in <strong>der</strong> 2. Hälfte <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts das Haupt <strong>der</strong><br />

„monophysitischen“ Partei in Alexandrien Timotheos, <strong>der</strong> auch zweimal Patriarch war (458–460 und 476–480)<br />

den Beinamen „o elouros“ getragen hatte, wird man dies doch eher als den Spitznamen „das Wiesel“ als die<br />

„ethnische“ Herkunft „<strong>der</strong> Eruler“ zu interpretieren haben.<br />

787<br />

Prokop, Gotenkriege II, 14, 33.<br />

788 Siehe oben 122f.


143


14 Zusammenfassung<br />

144<br />

1. Zur Herkunft <strong>des</strong> Eruler-Namens kann <strong>der</strong>zeit offenbar nur gesagt werden, dass er<br />

ein Kollektivbegriff war, <strong>der</strong> wahrscheinlich als kriegerische Selbstbezeichnung<br />

von – zumin<strong>des</strong>t ursprünglich – aus Skandinavien stammenden Gruppen getragen<br />

wurde. Es würde in das Gesamtbild <strong>der</strong> in Skandinavien immer wie<strong>der</strong> ihren<br />

Ausgang nehmenden ethnischen Dynamik passen, dass sich nordische Gruppen<br />

u.U. auch voneinan<strong>der</strong> unabhängig mit gängigen kriegerischen<br />

Selbstbezeichnungen schmücken, was das Auftauchen von Erulern in<br />

unterschiedlichen Gebieten plausibel machen würde.<br />

2. Die Verbindungen zwischen <strong>der</strong> Ostsee und dem Schwarzen Meer (bzw. dem<br />

Asovschen Meer) über die Flussläufe und zwischen <strong>der</strong> Ostsee und dem mittleren<br />

Donaugebiet entlang <strong>der</strong> Bernsteinstraße gehen weit <strong>zur</strong>ück. Derartige Kontakte<br />

sind kein Phänomen <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit, denn bereits in den<br />

vorchristlichen Jahrhun<strong>der</strong>ten sind solche Bezüge deutlich. Sie schaffen<br />

traditionelle Achsen für die Mobilität von Menschen, von Händlern und Kriegern,<br />

von <strong>der</strong>en Waren und Kulturen, vom Neolithikum bis zu den warägischen<br />

Gründungen im Mittelalter. Dieses Kommunikationsnetz könnte sehr gut von<br />

jenen Gruppen genutzt worden sein, die als Eruler in vielfältigen sachlichen und<br />

örtlichen Zusammenhängen in <strong>der</strong> spätrömischen Kaiserzeit und <strong>der</strong><br />

Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit aufgetauchten. Die Parallelen in den Sachgütern zwischen<br />

Skandinavien, <strong>der</strong> Ukraine und dem Donauraum sind durchaus bemerkenswert.<br />

3. Eine letzte Unsicherheit hinsichtlich <strong>der</strong> skandinavischen Abkunft <strong>der</strong> Eruler<br />

scheint nicht ausräumbar zu sein. Es spricht jedoch einiges dafür, dass <strong>der</strong> Name<br />

Eruler von kleinen Traditionskernen, gebildet von Kriegerscharen <strong>des</strong> Nordens,<br />

benutzt wurde. Sie kamen von den nur wenige Unterschiede aufweisenden<br />

kleinräumigen gentilen Gesellschaften <strong>der</strong> dänischen Inseln, aus Südschweden,<br />

möglicherweise auch aus Norwegen. Sie wiesen eine gewisse Vertrautheit mit<br />

küstennaher Schifffahrt auf und setzten sich auf <strong>der</strong> Krim und um die Maeotis fest,<br />

wo sie einen engen Kontakt mit sarmatisch-alanischen Gruppen aufnahmen. Man<br />

wird dabei auch nicht völlig ausschließen können, dass diese kleinen Gruppen aus<br />

dem südskandinavischen Raum erst im Zuge <strong>des</strong> Ausgreifens nach dem Süden, ob


145<br />

als Piraten, Händler, Krieger o<strong>der</strong> schließlich auch als Emigranten, als kollektive<br />

Selbstbezeichnung den „Gattungs“-Namen „Eruler“ angenommen haben.<br />

4. Erulische Verbände werden unter den ab dem 3. Jahrhun<strong>der</strong>t entlang <strong>der</strong><br />

Nordgrenze <strong>des</strong> Römischen Reiches aktiv werdenden germanischen Gruppen<br />

genannt und beteiligen sich an den Einfällen sowohl im Westen als auch am<br />

Schwarzen Meer.<br />

5. Das Entstehen ostgermanischer gentes im ostmitteleuropäischen bzw.<br />

osteuropäischen Raum zwischen Ostsee und Schwarzem Meer ist insgesamt ein<br />

nicht ganz geklärter Vorgang bzw. ihre Zuordnung zu archäologisch fassbaren<br />

Kulturen einigermaßen umstritten. Man muss jedenfalls davon ausgehen, dass<br />

ostgermanische gentes aus in südöstlicher Richtung vorstoßenden „latènisierten“,<br />

das heißt von <strong>der</strong> keltischen Eisenzeit erfassten, ostseegermanischen Gruppen<br />

entstanden sind, die an<strong>der</strong>e Germanen und Balten sowie sarmatische und alanische<br />

Gruppen integrierten. Von 150 n. Chr. an besteht ein enger Kontakt <strong>der</strong> südlichen<br />

Ostseeküste sowohl mit den dänischen Inseln als auch mit dem Schwarzen Meer,<br />

<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Wielbark-Kultur bzw. <strong>der</strong>en vermutlichen Trägern (Goten, Gepiden,<br />

Rugier) zusammenhängt. Ab dem 3. Jahrhun<strong>der</strong>t sind nicht nur ein Dünnerwerden<br />

<strong>der</strong> Besiedlung in Südskandinavien feststellbar (im Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

Südostwan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Goten stehend?), son<strong>der</strong>n auch rückläufige, vom Schwarzen<br />

Meer kommende Einflüsse.<br />

6. Ab dem 3. Jahrhun<strong>der</strong>t sind nordische Runeninschriften im Umfeld <strong>des</strong> Schwarzen<br />

Meeres nachgewiesen. Das archäologische Material weist für das Ende <strong>des</strong> 3.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts auf die Anwesenheit zumin<strong>des</strong>t kleiner nordgermanischer Gruppen<br />

auf <strong>der</strong> Südküste <strong>der</strong> Krim und an <strong>der</strong> Donmündung hin. Diese können durchaus<br />

mit Erulern in Verbindung gebracht werden, wobei nicht auszuschließen ist, dass<br />

sie als Soldaten im gegen Ende <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts wie<strong>der</strong> hergestellten<br />

pontischen Verteidigungssystem <strong>der</strong> Römer tätig waren.<br />

7. Es kann allerdings nur darüber spekuliert werden, inwieweit diese Gruppen einen<br />

gentilen Traditionskern für eine germanisch-alanisch-sarmatische<br />

Mischbevölkerung geliefert haben, welche die alte aus Skandinavien stammende<br />

Eigenschaftsbezeichnung übernahm und damit das Bestehen einer erulischen<br />

Identität im 4. Jahrhun<strong>der</strong>t ermöglicht hat, die bei <strong>der</strong> Westwan<strong>der</strong>ung unter<br />

hunnischem Druck erhalten blieb.


146<br />

8. Seit <strong>der</strong> Mitte <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts tauchen als Eruler bezeichnete Gruppen an <strong>der</strong><br />

Nordsee- bzw. Atlantikküste auf. Einerseits bedrohten sie – begünstigt durch den<br />

Zusammenbruch <strong>der</strong> römischen Verwaltung bzw. Verteidigungskapazität bis in<br />

das 5. Jahrhun<strong>der</strong>t – die Küsten durch Piratenzüge kleiner Gruppen. An<strong>der</strong>erseits<br />

stellten die Eruler zusammen mit den Batavern den Römern regelmäßig<br />

Hilfstruppen. Ihr Auftreten erscheint wie eine Vorwegnahme späterer<br />

Wikingerzüge in kleinem Rahmen.<br />

9. Das dritte Auftauchen <strong>des</strong> Eruler-Namens ist mit dem auxilium palatinum<br />

(numerus) Erulorum verbunden. Wenn man wie Ellegård davon ausgeht, dass<br />

„Eruler“ lediglich eine Krieger-Selbstbezeichnung ist, auf die „niemand ein<br />

Monopol beanspruchen könne“, dann muss dies für West-Eruler und Ost-Eruler<br />

ebenso wie für die von Ellegård postulierten frühen Donau-Eruler und dem nach<br />

seiner Meinung aus diesen gebildeten numerus Erulorum gelten.<br />

10. Wenn die Donau-Eruler auf germanische Kriegerbanden <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts im<br />

Raum nördlich <strong>der</strong> Donau zwischen Passau und Wien <strong>zur</strong>ückgehen sollten, dann<br />

müsste es sich wohl um vorwiegend suebische – markomannische bzw. quadische<br />

– Gruppen handeln. Warum diese <strong>der</strong> Ausgangspunkt einer Einheit <strong>der</strong> römischen<br />

Armee mit dem Namen auxilium palatinum (numerus) Erulorum sein sollen und<br />

nicht die aus den Quellen sowohl im Westen als auch im Osten belegbaren<br />

Gruppen, von denen berichtet wird, dass einige von ihnen von <strong>der</strong> römischen<br />

Armee übernommen wurden, ist allerdings schwer nachzuvollziehen.<br />

11. Die archäologische Hinterlassenschaft <strong>des</strong> 5. und beginnenden 6. Jahrhun<strong>der</strong>ts an<br />

<strong>der</strong> mittleren Donau zeigt einerseits eine beachtliche Vielfalt und an<strong>der</strong>erseits –<br />

vor allem bis <strong>zur</strong> Schlacht am Nedao – die Schwierigkeit, die Funde bestimmten<br />

Gruppen zuzuordnen. Im Wesentlichen sind es vier Komponenten, die in dieser<br />

Zeit ihren Nie<strong>der</strong>schlag finden und sich teilweise zu einem interethnisch<br />

donauländischem Komplex vereinen: spätrömisches, hunnisch-alanisches,<br />

ostgermanisches und elbgermanisches Fundmaterial.<br />

12. Aufgrund <strong>der</strong> weitgehenden Ununterscheidbarkeit ostgermanischer Funde sind<br />

archäologische Nachweise für erulische Besiedlung im Donauraum nicht zu<br />

erbringen. Das spricht zunächst we<strong>der</strong> für noch gegen einen erulischen Anteil.<br />

Man wird nicht alle Funde automatisch als gotisch qualifizieren können, son<strong>der</strong>n<br />

in Gegenden, wo die Anwesenheit <strong>der</strong> Eruler in den Quellen bezeugt ist, wie etwa


147<br />

entlang March und Thaya, bei ostgermanischen Funden im Zweifel auch eine<br />

erulische Hinterlassenschaft ins Auge fassen müssen. So wird z.B. gegen Ende <strong>des</strong><br />

5. Jahrhun<strong>der</strong>ts eine Zuordnung zu den Goten immer unwahrscheinlicher, da diese<br />

spätestens 473 aus dem Karpathenbecken abgezogen waren. Als Kriterien können<br />

weiters das Vorhandensein von Waffen (im Gegensatz <strong>zur</strong> „Waffenlosigkeit“<br />

gotischer Gräber) gelten.<br />

13. Das donau-erulische Reich bildete Ende <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts eine Art<br />

Vorfeldethnogenese, wie sie für die Ethnogenesen im Umfeld von stabilen und<br />

mächtigeren Herrschaftsgebilden charakteristisch ist. Insoweit hatten die wenigen<br />

Jahrzehnte aktiver ostgotischer Politik in diesem Raum ähnliche Konsequenzen<br />

wie die Politik Roms auf die Ethnogenesen im „freien Germanien“ bzw. später wie<br />

Vorfeldpolitik <strong>des</strong> Awarenreiches auf slawische Ethnogenesen. Die Eruler hatten<br />

damit in einer zeitlichen und räumlichen Nische ein lockeres Herrschaftssystem<br />

ausgebildet, dass jedoch die für eine erfolgreiche Ethnogenese kritische Größe und<br />

Verdichtung letztlich nicht erreichte.<br />

14. Wolfram spricht im Zusammenhang mit dem Donau- und Ostalpenraum in <strong>der</strong> 2.<br />

Hälfte <strong>des</strong> 5. Jahrhun<strong>der</strong>ts vom „System von Nedao“, als dem Versuch <strong>des</strong><br />

Imperiums, die römische Struktur und Staatlichkeit in irgendeiner Form aufrecht<br />

zu erhalten, indem gentes wechseln<strong>der</strong> ostgermanischer Herkunft bzw.<br />

Zusammensetzung als römische Fö<strong>der</strong>aten in das herkömmliche System eingebaut<br />

wurden. Zu diesen gentes gehören vor allem auch die Eruler, die nach dem<br />

Misslingen einer eigenen „Reichsbildung“ im 6. Jahrhun<strong>der</strong>t in eigenen<br />

Formationen und unter eigener Führung Kriegsdienst im römischen Heer zu<br />

leisten hatten.<br />

15. Die Nie<strong>der</strong>lage gegen die Langobarden hatte das Geflecht aus politischen<br />

Strukturen und Ideen aufgelöst, noch bevor es tatsächlich zu einer Ethnogenese<br />

gekommen war/kommen konnte bzw. bevor die kritische Masse an Ideen und<br />

Strukturen erreicht war. Der für jede Ethnogenese notwendigen<br />

Interessengemeinschaft wurde die Grundlage entzogen, ein definiertes erulisches<br />

Ideengeflecht war noch nicht entstanden. Das Ende <strong>des</strong> Eruler-Reiches stellt<br />

geradezu ein Gegenmodell zu <strong>der</strong> von Wolfram beschriebenen Situation <strong>des</strong><br />

schwer geschlagenen tolosanischen Westgotenreiches dar. Während sich das<br />

Eruler-Reich in einzelne Heerhaufen auflöste, verlagerte sich das geschlagene


148<br />

Gotenheer nach Süden und wurde dort zu einem <strong>der</strong> ersten „rechtlich begründeten<br />

Staatsvölker“ Europas.<br />

16. Die Reste <strong>der</strong> Eruler kämpften abwechselnd auf römischer, gepidischer und<br />

langobardischer Seite, aber auch gegeneinan<strong>der</strong>, bis sie sich gleichsam in den<br />

an<strong>der</strong>en Ethnien auflösten.<br />

17. Nur manchmal blieb im Rahmen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Ethnien auch erulisches Bewusstsein<br />

erhalten bzw. scheint ein letztes Mal aufgeflammt zu sein, wie das Schicksal<br />

Sindualds zeigt, <strong>der</strong> jedoch sein „Königtum unter an<strong>der</strong>em Namen zu restaurieren“<br />

versuchte.<br />

18. Zusammenfassend kann man unter Erulern daher Banden von Kriegern (manchmal<br />

auch Händlern) verstehen, die sich, im Kern aus Südskandinavien stammend, mit<br />

einem dort gebräuchlichen kollektiven Eigenschaftsnamen schmücken. Sie<br />

tauchen erstmals an mehreren Stellen <strong>der</strong> Nordgrenze <strong>des</strong> Römischen Reiches<br />

während <strong>des</strong>sen Krise ab <strong>der</strong> Mitte <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>t auf. Als<br />

„Kriegshandwerker“ lassen sie sich relativ unkompliziert in römische<br />

Söldnerdienste übernehmen. Wo immer sie auftauchen, wird ihre Identität durch<br />

kulturelle Archaismen und spezifische kriegerische Traditionen bestimmt. Im<br />

donauländischen Nedao-System erhält eine größere Gruppe kurzfristig die Chance,<br />

im System von Nedao unter königlicher Führung eine „Vorfeldethnogenese“ als<br />

kriegerische Oberschicht in Gang zu setzen. An dieser „Aufgabe“ scheitern die<br />

Donau-Eruler wohl aufgrund ihrer archaischen Strukturen als instabile<br />

Kriegergesellschaft.<br />

19. Die Eruler erscheinen in vieler Hinsicht als die Vorläufer <strong>der</strong> Wikinger. Sowohl<br />

entlang <strong>der</strong> Atlantikküste als auch entlang <strong>der</strong> osteuropäischen Flusssysteme sind<br />

sie als Krieger und wahrscheinlich auch als Händler tätig und verdingen sich als<br />

Söldner am Kaiserhof. Inzwischen hat sich nicht nur die politische Landschaft<br />

Europas und <strong>des</strong> Mittelmeerraumes verän<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n auch die Technik <strong>des</strong><br />

Schiffsbaus.


15 Nachwort o<strong>der</strong> Wie man heute zum Eruler wird<br />

Die mo<strong>der</strong>ne Rezeption <strong>der</strong> Eruler hat eine beachtliche Bandbreite.<br />

149<br />

Die „Eigenbezeichnung“ als (H-) Erule wird heute von Mitglie<strong>der</strong>n diverser Gruppen<br />

getragen. Entgegen meinen „Erwartungen“, bei <strong>der</strong> Internet-Recherche auch mit ultra-<br />

rechten Gruppierungen konfrontiert zu werden, stehen die nicht wirklich im<br />

Vor<strong>der</strong>grund. Ich habe eher nur skurrile Beispiele gefunden. So z.B. eine Art<br />

„Glaubensgemeinschaft“ 789 , die esoterisch-zeitgeistig auf vorchristlichem Glauben<br />

basiert, sowie Sekten 790, in <strong>der</strong>en Offenbarung(en) die Heruler alttestamentarische<br />

Anknüpfungen aus dem Buch Daniel erfahren. 791<br />

Anbschließend möchte ich noch zwei „Highlights“ nennen. Das wären einerseits drei<br />

Verbindungen im MKV 792 . Erwähnenswert dabei ist vor allem die zweite Strophe <strong>des</strong><br />

Bun<strong>des</strong>lie<strong>des</strong> <strong>der</strong> Herulia Wolkersdorf, die 1920 gegründet wurde und die Eruler<br />

national-regional für das Weinviertel vereinnahmt:<br />

Es haben uns're Ahnen hier, die Heruler, gestritten, für's deutsche Volk im Schlachtrevier<br />

gern Not und Tod erlitten. D'rum auf, Herulen, scharet euch, singt, dass es mächtig töne: [:<br />

Wir schützen unser Österreich wie echte Ostmarksöhne! :]<br />

Schließlich findet sich noch im Norden Deutschlands eine Pfadfin<strong>der</strong>-Sippe vom<br />

Stamm Heruler, inklusive HerulerInnen. 793 Wie man heute dort Heruler/-in wird?<br />

Komm einfach auf unseren wöchentlichen Heimabenden vorbei!<br />

Wenn das Prokop wüsste ...<br />

789 http://www.wodanserben.de/ (5.6.2006).<br />

790 Als Beispiel: http://otkrovenie.de/beta/traktat/PWH_deutsch.pdf (4.6.2006)<br />

791 2. DREI HÖRNER WERDEN AUSGERISSEN (Dan.7,8)<br />

Die Reiche <strong>der</strong> Heruler, Vandalen und<br />

Ostgoten wi<strong>der</strong>setzten sich dem "kleinen<br />

Horn". Sie wurden <strong>des</strong>halb 507-538<br />

n.Chr. "ausgerissen", d.h. vernichtet.<br />

792 MKV = Mittelschülerkartellverband;<br />

nämlich: Herulia Stockerau (HES), www.heruliastockerau.at.<br />

Herulia Wien (HEW), www.herulia-wien.at.<br />

Herulia Wolkersdorf (HRW), www.herulia.at<br />

793 Pfadfin<strong>der</strong> & Pfadfin<strong>der</strong>innenbund Nordlicht e.V. - Stamm Heruler,<br />

http://www.stadt-schenefeld.de/Detail.asp?ID=10&Art=Verein#Adresse.


150


AA Auctores antiquissimi<br />

Bd., Bde. Band, Bände<br />

16 Abkürzungsverzeichnis<br />

CIL Corpus Inscriptionum Latinarum<br />

CSEL Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum<br />

Epist. Epistolae<br />

Erg.Bde. Ergänzungsbände<br />

Hg Herausgeber<br />

H.G.M. Historici Graeci Minores<br />

HZ Historische Zeitschrift<br />

Kap. Kapitel<br />

LexMA Lexikon <strong>des</strong> Mittelalters<br />

LThK Lexikon für Theologie und Kirche<br />

MGH Monumenta Germania Historia<br />

MIÖG Mitteilungen <strong>des</strong> Instituts für Österreichische Geschichtsforschung<br />

ÖAW Österreichische Akademie <strong>der</strong> Wissenschaften<br />

RE Paulys Realencyclopädie <strong>der</strong> classischen Altertumswissenschaften<br />

RGA Reallexikon.<strong>der</strong> Germanischen Altertumskunde<br />

Sbd. Son<strong>der</strong>band<br />

SS Scriptores<br />

VIÖG Veröffentlichungen <strong>des</strong> Instituts für Österreichische<br />

Geschichtsforschung<br />

VWZ Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit<br />

ZRG – GA Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung<br />

151


17 Bibliographie<br />

ADLER, Horst, Die Langobarden in Nie<strong>der</strong>österreich, Ausstellungskatalog: Germanen. Awaren.<br />

Slawen in Nie<strong>der</strong>österreich. Das erste Jahrtausend nach Christus, Wien 1977, 73–87.<br />

ALONSO-NÚÑEZ, José Maria – GRUBER, Joachim, Art. Cassiodorus, in: LexMA II, 1551–1554.<br />

ALONSO-NÚÑEZ, José Maria, Art. Zosimus, in: LexMA IX, 677.<br />

ALT, Kurt W., Art. Schädeldeformationen, in: RGA 26, 571–577.<br />

AMORY, Patrick, Names, Ethnic Identity and Community in Fifth- und Sixth-Century Burgundy, in:<br />

Viator 25 (1994), 1–30.<br />

AMORY, Patrick, People and Identity in Ostrogothic Italy, in: Cambridge studies in Medieval life<br />

and thought. Fourth series 33, Cambridge 1997, 489–554.<br />

ANDERSSON, Thosten, Art. Gøtar, in: RGA 12, 278–283.<br />

ANDERSSON, Thosten, Art. Hordar, in: RGA 15, 15f.<br />

ANGENENDT. Arnold, Das Frühmittelalter: die abendländische Christenheit von 400 bis 900,<br />

Stuttgart 2 1995.<br />

BECK, Heinrich, Art. Feld. § 1 Namenkundliches, in: RGA 8, 302f.<br />

BECK, Heinrich, Probleme <strong>der</strong> völkerwan<strong>der</strong>ungszeitlichen Religionsgeschichte, 475–488.<br />

BECK, Marcel, Bemerkungen <strong>zur</strong> Geschichte <strong>des</strong> ersten Burgun<strong>der</strong>reiches, in: Schweizerische<br />

Zeitschrift für Geschichte 13 (1963), 433-457.<br />

BECKER, Carl-Heinrich, Art. Dänemark. § 11. Völkerwan<strong>der</strong>ungs- und Merowingerzeit, in: RGA 5,<br />

167–169.<br />

BENHABIB, Seyla, Kulturelle Vielfalt und demokratische Gleichheit. Politische Partizipation im<br />

Zeitalter <strong>der</strong> Globalisierung, Frankfurt/Main 1999.<br />

BENINGER, Eduard, Die Langobarden an <strong>der</strong> March und Donau, in: REINERTH, Hans (Hg),<br />

Vorgeschichte <strong>der</strong> deutschen Stämme, 2. Bd. Die Westgermanen, Leipzig 1940, 827–864.<br />

BENINGER, Eduard, Die Quaden, in: REINERTH, Hans (Hg), Vorgeschichte <strong>der</strong> deutschen<br />

Stämme, 2. Bd. Die Westgermanen, Leipzig 1940, 669–743.<br />

BIERBRAUER, Volker, Die germanische Aufsiedlung <strong>des</strong> östlichen und mittleren Alpengebietes im<br />

6. und 7. Jahrhun<strong>der</strong>t aus archäologischer Sicht, in: BEUMANN, Helmut - SCHRÖDER,<br />

Werner (Hg), Frühmittelalterliche Ethnogenese im Alpenraum. Nationes Bd. 5, Sigmaringen<br />

1985, 9–47.<br />

BIERBRAUER, Volker, Art. Goten. II. Archäologisches, in: RGA 12, 407–427.<br />

BIERBRAUER, Volker, Art. Italien § 16. Germanen in Italien, in: RGA 15, 585–593.<br />

BIERBRAUER, Volker, Art. Langobarden. § 12. Die Langob. im 5. Jh. bis 568, in: RGA 18, 78–83.<br />

BIERBRAUER, Volker, Art. Lébény, in: RGA 18, 173–176.<br />

BIERBRAUER, Volker, Art. Tiszalök, in: RGA 31, 1–4.<br />

BIERBRAUER, Volker, Art. Untersiebenbrunn, in: RGA 31, 495–501.<br />

BITTNER-WRÓBLEWSKA, Anna, Sösdala und Sösdala-Stil, in: RGA 29, 211–213.<br />

BÖHME, Horst W., Zur Bedeutung <strong>des</strong> spätrömischen Militärdienstes für die Stammesbildung <strong>der</strong><br />

Bajuwaren, in: DANNHEIMER, Hermann – DOPSCH, Heinz (Hg) Die Bajuwaren. Von<br />

Severin bis Tassilo 488-788 (Ausstellungskatalog), München-Salzburg 1988, 23–37.<br />

BÓNA, István, Das Hunnenreich, Stuttgart 1991.<br />

BÓNA, István, Ungarns Völker im 5. und 6. Jahrhun<strong>der</strong>t. Eine historisch-archäologische<br />

Zusammenschau, in: MENGHIN, Wilfried u.a. (Hg), Die Archäologie <strong>des</strong> 5. und 6.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts an <strong>der</strong> mittleren Donau und <strong>der</strong> östlich-merowingische Reihengräberkreis,<br />

(Ausstellungskatalog: Germanen, Hunnen und Awaren. Schätze <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit),<br />

Nürnberg 1987, 116–131.<br />

BRANDT, Troels, The Heruls, http://www.gedevasen.dk/heruleng.html [30.04.2005]<br />

BRATOŽ, Rajko, (Hg), Slowenien und die Nachbarlän<strong>der</strong> zwischen Antike und karolingischer<br />

Epoche. Die Anfänge <strong>der</strong> slowenischen Ethnogenese, Situla 39 (2000), 2 vols.<br />

BRECHT, Stephanie, Die römische Reichskrise von ihrem Ausbruch bis zu ihrem Höhepunkt in <strong>der</strong><br />

Darstellung byzantinischer Autoren (Althistorische Studien <strong>der</strong> Universität Würzburg 1),<br />

Rahden/Westfalen 1999.<br />

152


BRUNNER, Karl, gem. mit Brigitte Merta (Hg.), Ethnogenese und Überlieferung<br />

(Veröffentlichungen <strong>des</strong> Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 31) Wien 1994.<br />

BRUNNER, Karl, Die fränkischen Fürstentitel im 9. und 10. Jahrhun<strong>der</strong>t, in: Intitulatio II, hrg. v. H.<br />

Wolfram (MIÖG Ergb. 24) Wien u.a. 1973.<br />

CAMELOT, Pierre-Thomas, Art. Hieronymus, in: 2 LThK 5, 326–329.<br />

CAMERON, Averil, Procopius and the Sixth Century, Berkeley 1985.<br />

CASTRITIUS, Helmut, Art. Nedao, in: RGA 21, 49–51.<br />

CASTRITIUS, Helmut, Art. Rosomonen. § 2. Historisches, in: RGA 25, 355–358.<br />

CASTRITIUS, Helmut, Art. Sarus, § 2. Historisches, in: RGA 26, 522–525.<br />

CASTRITIUS, Helmut, Art. Semnonen, in: RGA 28, 152–158.<br />

CASTRITIUS, Helmut, Art. Skiren. § 2. Historisch, in: RGA 28, 640–645.<br />

CASTRITIUS, Helmut, Art. Sweben. § 8. - § 11, in: RGA 30, 193 – 205.<br />

CASTRITIUS, Helmut, Ethnogenetische Vorgänge am Ende <strong>der</strong> Antike: Unvollendete bzw..<br />

erfolglose Ethnogenesen, in: Bratoz, Rajko (Hg.), Slowenien und die Nachbarlän<strong>der</strong> zwischen<br />

Antike und karolingischer Epoche Bd. I, Ljubljana 2000, 331–339.<br />

CASTRITIUS, Helmut, Semnonen – Juthungen – Alemannen. Neues (und Altes) <strong>zur</strong> Herkunft und<br />

Ethnogenese <strong>der</strong> Alemannen, in: GEUENICH, Dieter (Hg), Die Franken und Alemannen bis<br />

<strong>zur</strong> „Schlacht bei Zülpich“ (496/97) (= Erg.bde zum RGA 19), Berlin 1998, S. 349–366.<br />

CASTRITIUS, Helmut, Zur Sozialgeschichte <strong>der</strong> Heermeister <strong>des</strong> Westreichs. Einheitliches<br />

Rekrutierungsmuster und Rivalitäten im spätrömischen Militäradel, in: MIÖG 92/1984, 1–33.<br />

CHANIOTIS, Angelos, Das antike Kreta, München 2004.<br />

CRUMLIN-PEDERSEN, Ole, Art. Wikingerschiffe, in: LexMA IX, 110–112.<br />

DĄBROWSKA, Teresa, Art. Oksywie-Kultur, in: RGA 22, 45–54.<br />

DĄBROWSKA, Teresa, Art. Przeworsk-Kultur. § 1. Jüngere und vorrömische Eisenzeit, § 2. Frühe<br />

römische Kaiserzeit, in: RGA 22, 540–553.<br />

DEMOUGEOT, Emilienne, La formation de l’Europe et les invasions barbares, 2 Bde, Paris 1979.<br />

DILLMANN, Franz X., Runenmeister. B. Religiöse Aspekte, in: RGA 25, 542–546.<br />

DUBIEL, Helmut, Art. Identität, Ich-Identität, in: Ritter, Joachim & Grün<strong>der</strong>, Karlfried (Hg),<br />

Historische Wörterbuch <strong>der</strong> Philosophie, Bd. 4, Basel 1976, Sp. 148–151.<br />

ECKHARDT, Karl August, Merowingerblut, Bd. II, Agilolfinger und Etichonen (Deutschrechtliches<br />

Archiv: Germanenrechte N.F. 11), 1965.<br />

EGGERS, Martin, Art. Jüten. § 2 Historisches, in: RGA 16, 93–96.<br />

EGGERS, Martin, Art. Kriegswesen. § 4. Kriegerbünde. 1. Altertum bzw. südliche Germania, in:<br />

RGA 17, 343–345.<br />

EGGERS, Martin, Art. Sarmaten. § 1. Historisches, in: RGA 26, 503–508.<br />

ELLEGÅRD, Alvar, Who were the Eruli?, in: Scandia 53 (1987), 5–34.<br />

ENSSLIN, Wilhelm, Theo<strong>der</strong>ich <strong>der</strong> Große, München 2 1959.<br />

FILIP, Jan, Art. Böhmen und Mähren. § 8 VWZ, in: RGA 3, 150–154.<br />

FISCHER, Thomas – GEISLER, Hans, Herkunft und Stammesbildung <strong>der</strong> Baiern aus<br />

archäologischer Sicht, in: DANNHEIMER, Hermann – DOPSCH, Heinz (Hg), Die<br />

Bajuwaren. Von Severin bis Tassilo 488-788 (Ausstellungskatalog), München-Salzburg 1988,<br />

61–68.<br />

FRIED, Johannes, Gens und regnum. Wahrnehmungs- und Deutungskategorien <strong>des</strong> politischen<br />

Wandels im Frühen Mittelalter, in: MIETHKE, Jürgen – SCHREINER, Klaus (Hg), Sozialer<br />

Wandel im Mittelalter, Sigmaringen 1994, 73–104.<br />

FRIESINGER, Herwig - ADLER, Horst, Die Zeit <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ung in Nie<strong>der</strong>österreich<br />

(Wissenschaftliche Schriftenreihe Nie<strong>der</strong>österreich), St. Pölten-Wien 1979.<br />

FRIESINGER, Herwig - DAIM, Falko (Hg), Die Bayern und ihre Nachbarn, Bd. II, Wien 1985.<br />

FRIESINGER, Herwig - DAIM, Falko (Hg), Typen <strong>der</strong> Ethnogenese unter beson<strong>der</strong>er<br />

Berücksichtigung <strong>der</strong> Bayern, Bd II, Wien 1990.<br />

GÄRTNER, Hans, Ablabius, in: RGA 1, 10.<br />

GÄRTNER, Hans, Agathias, in: RGA 1, 93f.<br />

GASPARRI, Stefano, Paulus Diaconus, in: LexMA VI, 1825f.<br />

153


154<br />

GEARY, Patrick J., Before France and Germany. The Creation and Transformation of the<br />

Merovingian World, New York/Oxford 1988.<br />

GEARY, Patrick J., Die Bedeutung von Religion und Bekehrung im Frühmittelalter, in: GEUENICH,<br />

Dieter (Hg), Die Franken und Alemannen bis <strong>zur</strong> „Schlacht bei Zülpich“ (496/97) (= Erg.bde<br />

zum RGA 19), Berlin 1998, 438–450.<br />

GEARY, Patrick J., Die Merowinger. Europa vor Karl dem Großen, München 1996.<br />

GEARY, Patrick J., Ethnic identity as a situational construct, in: Mitteilungen <strong>der</strong> anthropologischen<br />

Gesellschaft in Wien 112 (1982) S. 15–26.<br />

GEARY, Patrick J., Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden <strong>der</strong><br />

Nationen, Frankfurt am Main 2002.<br />

GODŁOWSKI, Kazimierz, Art. Fibel und Fibeltracht. G. Vorrömische Eisenzeit und römische<br />

Kaiserzeit im östlichen Mitteleuropa und in Osteuropa, in: RGA 8, 478–496.<br />

GODŁOWSKI, Kazimierz, Germanen und Slawen. Das Aufhören <strong>der</strong> germanischen Kulturen an <strong>der</strong><br />

mittleren Donau und das Problem <strong>des</strong> Vordringens <strong>der</strong> Slawen, in: WOFRAM, Herwig –<br />

DAIM, Falko (Hg), Die Völker an <strong>der</strong> mittleren und unteren Donau im fünften und sechsten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t, Wien 1980, 225–232.<br />

GODŁOWSKI, Kazimierz, The Chronology of the Late Roman and Early Migration Periods in<br />

Central Europe, Krakau 1970.<br />

GOETZ, Hans-Werner, Regnum: Zum politischen Denken in <strong>der</strong> Karolingerzeit, in: ZRG-GA 104<br />

(1987) 110–189.<br />

GOFFART, Walter, The narrators of barbarian history (A.D. 550-800) Jordanes, Gregory of Tours,<br />

Bede and Paul the Deacon, Princeton 1988.<br />

GREEN, Dennis Howard, Language and history in the early Germanic world, Cambridge 2000.<br />

GROTHUSEN, Klaus D. (Hg) Ethnogenese und Staatsbildung in Südosteuropa, Göttingen 1997.<br />

GRUBER, Joachim, Art. Heruler, LexMA IV, 2184f.<br />

GSCHWANTLER, Otto, Ermanrich, sein Selbstmord und die Hamdirsage. Zur Darstellung von<br />

Ermanrichs Ende in getica 24, 129 f., in: WOLFRAM, Herwig – DAIM, Falko (Hg), Die<br />

Völker an <strong>der</strong> mittleren und unteren Donau im fünften und sechsten Jahrhun<strong>der</strong>t, Wien 1980,<br />

188–204.<br />

HARHOIU, Radu, Der Schatzfund von Szilágysomlyó/Simleu Silvaniei und die Schlacht von Nedao,<br />

http://www.archaeology.ro/harhoiu.htm [19.07.2005]<br />

HÄSSLER, Hans-Jürgen, Art. Fenstergefäße, in: RGA 8, 376–382.<br />

HAUPTFELD, Georg, Die gentes im Vorfeld <strong>der</strong> Ostgoten und Franken im 6. Jahrhun<strong>der</strong>t, in:<br />

WOLFRAM, Herwig – SCHWARCZ, Andreas (Hg), Die Bayern und ihre Nachbarn,<br />

Denkschriften <strong>der</strong> ÖAW, Philosophisch-historische Klasse 179, Wien 1985, 121f.<br />

HEATHER, Peter, Disappearing and reappearing tribes, in: Pohl-Reimitz, Strategies, 1998, 95–111.<br />

HEATHER, Peter, The Goths The peoples of Europe, Oxford-Cambridge 1996.<br />

HERRMANN, Joachim (Hg), Griechische und lateinische Quellen <strong>zur</strong> Frühgeschichte Mitteleuropas<br />

bis <strong>zur</strong> Mitte <strong>des</strong> 1. Jahrtausends u.Z., 4 Bde., Berlin 1988ff.<br />

HOFFMANN, Erich; Art. Dänemark. II. Historisches, in: RGA 5, 147–155.<br />

HÖFLER, Otto, Art. Abstammungstraditionen, in: RGA 1, 18–29.<br />

HÖFLER, Otto, Art. Berserker, in: RGA 2, 298–304.<br />

HÖFLER, Otto, Kultische Geheimbünde <strong>der</strong> Germanen, Frankfurt 1934 (Neudruck 1993).<br />

HULTGÅRD, An<strong>der</strong>s, Menschenopfer, in: RGA 19, 533–546.<br />

INSLEY, Jane, Heaδobardan, in: RGA 14, 93f.<br />

IONIŢĂ, Ion, Art. Santana-de-Mures-Cernjachov-Kultur, in: RGA 28, 445–455.<br />

IONIŢĂ, Ion, Art. Sarmaten, in: RGA 28, 508–512.<br />

JARNUT, Jörg, Art. Fara, in: LexMA IV, 283f.<br />

JARNUT, Jörg, Geschichte <strong>der</strong> Langobarden, Stuttgart 1982.<br />

KAISER, Reinhold, Das römische Erbe und das Merowingerreich, München 1993 (Enzyklopädie<br />

deutscher Geschichte 26).<br />

KAISER, Reinhold, Die Burgun<strong>der</strong> (urban-Taschenbücher 586), Stuttgart 2004.


KALIFF, An<strong>der</strong>s, Gothic connections. Contacts between eastern Scandinavia and southern<br />

Baltic coast 1000 BC – 500 AD, Uppsala 2001.<br />

KAZANSKI, Michel, Art. Schwarzes Meer, in: RGA 27, 431–442.<br />

KAZANSKI, Michel, Art. Sinjavka, in: RGA 28, 464–466.<br />

KAZANSKI, Michel, Art. Ukraine, § 2. Archäologisch, in: RGA 31, 373–391.<br />

KELLER, Hagen, Strukturverän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> westgermanischen Welt am Vorabend <strong>der</strong><br />

fränkischen Großreichsbildung. Fragen, Suchbil<strong>der</strong>, Hypothesen, in: GEUENICH, Dieter<br />

(Hg), Die Franken und Alemannen bis <strong>zur</strong> „Schlacht bei Zülpich“ (496/97) (= Erg.bde. zum<br />

RGA 19), Berlin 1998, 581–607.<br />

KERSHAW, Kris, The One-eyed God. Odin and the (Indo-) Germanic Männerbünde. The Journal of<br />

Indo-European Studies, Monograph Series No. 36, Washington 2000.<br />

KETTENHOFEN, Erich, Die Einfälle <strong>der</strong> Heruler ins Römische Reich im 3. Jh. n. Chr., in: Klio 74<br />

(1992), 291–313.<br />

KOLNIK, Titus, Art. Quaden. § 3. Hist. Angaben und arch. Hintergründe, in: RGA 23, 631–640.<br />

KRAG, Claus, Art. Rodulf, in: RGA 25, 58f.<br />

KRAUTSCHICK, Stefan, Art. Sidonius Apollinaris, in: RGA 28, 271–273.<br />

KÜRTI; Béla, Fürstliche Funde <strong>der</strong> Hunnenzeit aus Szeged-Nagyszéksós, in: MENGHIN, Wilfried<br />

u.a. (Hg), Die Archäologie <strong>des</strong> 5. und 6. Jahrhun<strong>der</strong>ts an <strong>der</strong> mittleren Donau und <strong>der</strong> östlichmerowingische<br />

Reihengräberkreis, (Ausstellungskatalog: Germanen, Hunnen und Awaren.<br />

Schätze <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit), Nürnberg 1987, 163–184.<br />

LOTTER, Friedrich, Die germanischen Stammesverbände im Umkreis <strong>des</strong> Ostalpen-<br />

Mitteldonauraumes nach <strong>der</strong> literarischen Überlieferung zum Zeitalter Severins, in:<br />

WOFRAM, Herwig – SCHWARCZ, Andreas (Hg), Die Bayern und ihre Nachbarn, Bd. I,<br />

Wien 1985, 29–59.<br />

LOTTER, Friedrich, Die Rolle <strong>der</strong> Donausueben in <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit, in: MIÖG<br />

LXXVI/1968, 275–298.<br />

LOTTER, Friedrich, Severinus von Noricum, Legende und historische Wirklichkeit, Stuttgart 1976.<br />

LOTTER, Friedrich, Völkerverschiebungen im Ostalpen-Mitteldonauraum ziwschen Antike und<br />

Mittelalter (375–600) (= Erg.bde zum RGA 39), Berlin-New York 2003.<br />

LÖWE, Heinz, Art. Eugippius, in: RGA 7, 620–622.<br />

LUND, Allan A. Die ersten Germanen. Ethnizität und Ethnogenese, Heidelberg 1999.<br />

LUND-HANSEN, Ulla, Art. Hågerup, in: RGA 13, 351f..<br />

LUND-HANSEN, Ulla, Art. Römische Kaiserzeit, in: RGA 25, 90–108.<br />

LUND-HANSEN, Ulla, Art. Schlangenkopfringe, in: RGA 27, 147–156.<br />

MACHAJEWSKI, Henryk, Art. Pommern. § 4. Ur- und Frühgeschichte, in: RGA 23, 274–284.<br />

MĄCZYŃSKA, Magdalena, Art. Przeworsk-Kultur. § 3. Jüngere und Späte Römische Kaiserzeit, §<br />

4. Frühe Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit, in: RGA 23, 553–567.<br />

MĄCZYŃSKA, Magdalena, Die Völkerwan<strong>der</strong>ung. Geschichte einer ruhelosen Epoche, Düsseldorf<br />

2004.<br />

MALTESE, Enrico V., Art. Zonaras, in: LexMA IX, 673f.<br />

MARTINDALE, John R., The Prosopography of the Later Roman Empire, vol II 395–527,<br />

Cambridge 1980.<br />

MEIER, Mischa, Initiation und Initiationsriten. § 2. Initiationsriten als Übergangsriten, in: RGA 15,<br />

440–443.<br />

MENGHIN, Wilfried u.a. (Hg), Die Archäologie <strong>des</strong> 5. und 6. Jahrhun<strong>der</strong>ts an <strong>der</strong> mittleren Donau<br />

und <strong>der</strong> östlich-merowingische Reihengräberkreis (Ausstellungskatalog: Germanen, Hunnen<br />

und Awaren. Schätze <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit), Nürnberg 1987.<br />

MENGHIN, Wilfried, Die Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit im Karpatenbecken, in: MENGHIN, Wilfried u.a.<br />

(Hg), Die Archäologie <strong>des</strong> 5. und 6. Jahrhun<strong>der</strong>ts an <strong>der</strong> mittleren Donau und <strong>der</strong> östlichmerowingische<br />

Reihengräberkreis (Ausstellungskatalog: Germanen, Hunnen und Awaren.<br />

Schätze <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit), Nürnberg 1987, 15–26.<br />

MILINKOVIĆ, Mihailo, Art. Serbien, in: RGA 28, 197–218.<br />

MILINKOVIĆ, Mihailo, Art. Ulpiana, in: RGA 31, 412–416.<br />

155


156<br />

MITSCH-MÄRHEIM, Herbert, Dunkler Jahrhun<strong>der</strong>te goldene Spuren. Die Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit in<br />

Österreich, Wien 1963.<br />

MUCH, Rudolf, Art. Heruler, in: RGA (1. Aufl.) 2, 517–519.<br />

MÜHLMANN, Wilhelm, Rassen, Ethnien, Kulturen, Berlin 1964.<br />

MÜLLER, Rosemarie, Art. Germanen, Germania, Germanische Altertumskunde – Archäologie, in:<br />

RGA 11, 309–317.<br />

MÜLLER, Rosemarie, Art. Kronenhalsringe, in: RGA 17, 392–395.<br />

NAGY, Margit, Art. Gepiden. Das Königreich im Osten <strong>des</strong> Karpatenbeckens, in: RGA 11, 120–123.<br />

NEDOMA, Robert, Art. Selbsttötung, in: RGA 28, 129–135.<br />

NEDOMA, Robert, Die Inschriften auf dem Helm B von Negau, Möglichkeiten und Grenzen <strong>der</strong><br />

Deutung norditalischer epigraphischer Denkmäler (= Philologica Germanica 17). Wien 1995.<br />

NEUMANN, Günter, Art. Chaibonen, in: RGA 4, 363f.<br />

NEUMANN, Günter, Art. Eudusii, in: RGA 7, 617–620.<br />

NEUMANN, Günter, Art. Heruler. § 1. Philologisches, in: RGA 14, 468–474.<br />

NEUMANN, Günter, Art. Rosomonen. § 1. Der Name, in: RGA 25, 353–355.<br />

NOWAKOWSKI, Woiciech, Art. Masuren, in: RGA 19, 422–432.<br />

PETRIKOVITS, Harald v., Art. Dexippos, in: RGA 5, 349–351.<br />

POHL, Walter, Die Gepiden und die Gentes an <strong>der</strong> mittleren Donau nach dem Zerfall <strong>des</strong><br />

Attilareiches, in: WOFRAM, Herwig – DAIM, Falko (Hg), Die Völker an <strong>der</strong> mittleren und<br />

unteren Donau im fünften und sechsten Jahrhun<strong>der</strong>t, Wien 1980, 240–305.<br />

POHL, Walter, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa, 567-822 n. Chr. München 1988.<br />

POHL, Walter, Paulus Diaconus und die „Historia Langobardorum“, in: Text und Tradition.<br />

Historiographie im frühen Mittelalter, hg. Von Anton SCHARER und Georg<br />

SCHEIBELREITER, VIÖG 32, Wien 1994, 375–405.<br />

POHL, Walter, Tradition, Ethnogenese und literarische Gestaltung. Eine Zwischenbilanz, in:<br />

Ethnogenese und Überlieferung, in: BRUNNER, Karl - MERTA, Brigitte (Hg), Angewandte<br />

Methoden <strong>der</strong> Frühmittelalterforschung (= Veröffentlichungen <strong>des</strong> Instituts für<br />

Österreichische Geschichtsforschung 31). Wien/München 1994, 9–26.<br />

POHL, Walter, Introduction: Strategies of Distinction, in: POHL, Walter – REIMITZ, Helmut (Hg):<br />

Strategies of Distinction, The Construction of Ethnic Communities, 300 – 800 (The<br />

Transformation of the Roman World vol.2), Leiden/Boston/Köln 1998, 1–15.<br />

POHL, Walter, Telling the Difference, in: POHL, Walter – REIMITZ, Helmut (Hg): Strategies of<br />

Distinction, The Construction of Ethnic Communities, 300 – 800 (The Transformation of the<br />

Roman World vol.2), Leiden/Boston/Köln 1998, 17–69.<br />

POHL, Walter, Die Germanen (Enzyklopädie deutscher Geschichte 57), München 2000.<br />

POHL, Walter, Die Völkerwan<strong>der</strong>ung. Eroberung und Integration, Stuttgart 2001.<br />

POHL, Walter (Hg), Eugippius und Severin. Der Autor, <strong>der</strong> Text und <strong>der</strong> heilige (Forschungen <strong>zur</strong><br />

Geschichte <strong>des</strong> Mittelalters 2, Gedenkschriften <strong>der</strong> ÖAkadWiss, Hist-Phil Kl. 297), Wien<br />

2001.<br />

POHL, Walter, Art. Edika, in: RGA 6, 446f.<br />

POHL, Walter, Art. Gentilismus, in: RGA 11, 91–101.<br />

POHL, Walter, Art. Goten. III. Historisches, in: RGA 12, 427–443.<br />

POHL, Walter, Langobarden. II. Historisches, in: RGA 18, 60–69.<br />

POHL, Walter, Art. Origo gentis. § 3. Langobarden, in: RGA 22, 183–189.<br />

POHL, Walter, Art. Paulus Diaconus, in: RGA 22, 527–532.<br />

POHL, Walter, Art. Rugier. § 2. Historisches, in: RGA 25, 455–458.<br />

POHL, Walter, Art. Rugiland, in: RGA 25, 458f.<br />

POSTEL, Verena, Die Ursprünge Europas. Migration und Integration im frühgen Mittelalter,<br />

Stuttgart 2004.<br />

RANGER, Terence, Kolonialismus in Ost- und Zentralafrika. Von <strong>der</strong> traditionalen <strong>zur</strong> traditionellen<br />

Gesellschaft - Einsprüche und Wi<strong>der</strong>sprüche, in: GREVEMEYER, Jan-Heeren (Hg),<br />

Traditionelle Gesellschaften und europäischer Kolonialismus“, Frankfurt/Main 1981, 16–46.<br />

RANKE, Kurt, Alten- und Krankentötung, in: RGA 1, 210f.


RAPPAPORT, Bruno, Art. Heruli, in: RE 8, 1150–1167.<br />

REBENICH, Stefan, Art. Prokop von Caesarea, in: RGA 23, 479–481.<br />

RECK, Heinrich, Art. Ermanarich. § 2 Sagengeschichtliches, in: RGA 7, 512–515.<br />

REICHERT, Hermann, Art. Frau, in: RGA 9, 477–508.<br />

REICHERT, Hermann, Lexikon <strong>der</strong> altgermanischen Namen, 9, 254–258.<br />

REINERTH, Hans, Vorgeschichte <strong>der</strong> deutschen Stämme, 3 Bde., Leipzig 1940.<br />

ROTH, Helmuth, Bajuwaren. II. Archäologisches, in: RGA 1, 610–627.<br />

ROTH, Helmuth, Bemerkungen und Notizen <strong>zur</strong> „Ethnogenese“ von „Franken“ und „Alemannen“,<br />

in: GEUENICH, Dieter (Hg), Die Franken und Alemannen bis <strong>zur</strong> „Schlacht bei Zülpich“<br />

(496/97) (= Erg.bde zum RGA 19), Berlin 1998, S. 628–635.<br />

RÜBEKEIL, Ludwig, Art. Sweben. § 1. Der Name, in: RGA 30, 184–188.<br />

SCHALLMAYER, Egon (Hg), Nie<strong>der</strong>bieber, Postumus und <strong>der</strong> Limesfall, Bad Homburg 1996.<br />

SCHARF, Ralf, Art. Sweben. § 2. - 7., in: RGA 30, 188–193.<br />

SCHMIDT, Kurt Dietrich, Die Bekehrung <strong>der</strong> Ostgermanen zum Christentum, Göttingen 1939.<br />

SCHMIDT, Ludwig, Die Ostgermanen (Geschichte <strong>der</strong> deutschen Stämme bis zum Ausgang <strong>der</strong><br />

Völkerwan<strong>der</strong>ung), verbesserter Nachdruck <strong>der</strong> 2. Aufl., München 1941.<br />

SCHNEIDER, Reinhard, Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter. Untersuchungen <strong>zur</strong><br />

Herrschaftsnachfolge bei den Langobarden und Merowingern. Stuttgart 1972.<br />

SCHÖNFELD, Moritz, Wörterbuch, <strong>der</strong> altgermanischen Personen- und Völkernamen: nach <strong>der</strong><br />

Überlieferung <strong>des</strong> klassischen Altertums bearbeitet, Heidelberg 1911 (Unveränd. Neudruck,<br />

Heidelberg 1965).<br />

SCHREINER, Peter, Art. Georgios Synkellos, in: LexMA IV, 1288.<br />

SCHULZE, Hagen Karl, Reichsaristokratie, Stammesadel und fränkische Freiheit. Neuere<br />

Forschungen <strong>zur</strong> frühmittelalterlichen Sozialgeschichte, in: HZ 227 (1978) S. 353–373.<br />

SCHWARCZ, Andreas, Die Heruler an <strong>der</strong> Donau, in: PABST, Christiane (Hg), Die Sprache als<br />

System und Prozess, FS Günter Lipold (60), Wien 2005, im Druck.<br />

SCHWARCZ, Andreas: Der Nordadria- und Westbalkanraum im 6. Jahrhun<strong>der</strong>t zwischen Goten und<br />

Byzantinern, in: BRATOŽ, Rajko (Hg), Slowenien und die Nachbarlän<strong>der</strong> zwischen Antike<br />

und karolingischer Epoche. Die Anfänge <strong>der</strong> slowenischen Ethnogenese, Situla 39 (2000), 2<br />

vols., 59–71.<br />

SCHWARCZ, Andreas: Die Goten in Pannonien und auf dem Balkan nach dem Ende <strong>des</strong><br />

Hunnenreiches bis zum Italienzug Theo<strong>der</strong>ichs <strong>des</strong> Großen, in: MIÖG 100 (1992), 50–83.<br />

SCHWARCZ, Andreas: Die gotischen Seezüge <strong>des</strong> 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts, in: Renate Pillinger, Andreas<br />

Pülz u. Hermann Vetters (Hg), Die Schwarzmeerküste in <strong>der</strong> Spätantike und im frühen<br />

Mittelalter. Referate <strong>des</strong> dritten, gemeinsam mit dem Bulgarischen Forschungsinstitut in<br />

Österreich veranstalteten Symposions 16.-19. Oktober 1990 in Wien. Schriften <strong>der</strong> Balkan-<br />

Kommission <strong>der</strong> ÖAW, Antiquarische Abteilung, Wien 1992, 47–57.<br />

SCHWARZ, Ernst (Hg), Zur germanischen Stammeskunde: Aufsätze zum neuen Forschungsstand,<br />

Darmstadt 1972.<br />

SCHWARZ, Ernst, Das Ende <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit in Nie<strong>der</strong>österreich, Forschungen und<br />

Fortschritte 28 (1954), 69–72.<br />

SCHWARZ, Ernst, Die Krimgoten, in: Saeculum 4 (1953), 156–164.<br />

SCHWARZ, Ernst, Die Urheimat <strong>der</strong> Goten und ihre Wan<strong>der</strong>ungen ins Weichselland und nach<br />

Südrussland, in: Saeculum 4 (1953), 13–26.<br />

SCHWARZ, Ernst, Germanische Stammeskunde zwischen den Wissenschaften. Herausgegeben vom<br />

Konstanzer Arbeitskreis für Mitteralterliche Geschichte. Konstanz/Stuttgart 1967.<br />

SCHWARZ, Ernst, Germanische Stammeskunde, Heidelberg 1956.<br />

SIMEK, Rudolf, Die Wikinger, München 1998.<br />

SMITH, Anthony D., The ethnic origins of nations (Paperback-Ausgabe), Cambridge 1996.<br />

STADLER, Peter, Awarische Beiträge <strong>zur</strong> Ausstellung Hunnen + Awaren, http://www.nhmwien.ac.at/NHM/Prehist/...Ibturn96/AwarischeBeitraege/Index.html<br />

.<br />

STADLER, Peter, Die Bevölkerungsstrukturen nach Eugippius und den archäologischen Quellen, in:<br />

MENGHIN, Wilfried u.a. (Hg), Die Archäologie <strong>des</strong> 5. und 6. Jahrhun<strong>der</strong>ts an <strong>der</strong> mittleren<br />

157


Donau und <strong>der</strong> östlich-merowingische Reihengräberkreis, (Ausstellungskatalog: Germanen,<br />

Hunnen und Awaren. Schätze <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit), Nürnberg 1987, 297–310.<br />

STEUER, Heiko, Art. Eimer, in: RGA 6, 582–601.<br />

STEUER, Heiko, Art. Fürstengräber. § 5. Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit, in: RGA 10, 195f.<br />

STEUER, Heiko, Art. Fürstensitze. § 3. Römische Kaiserzeit und Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit, in: RGA<br />

10, 225–232.<br />

STEUER, Heiko, Art. Gefolgschaft, in: RGA 10, 546–554.<br />

STEUER, Heiko, Art. Kontinuitätsprobleme, in: RGA 17, 219–230.<br />

STEUER, Heiko, Art. Nordgermanen, in: RGA 21, 277–289.<br />

STEUER, Heiko, Art. Spiegel. § 2 Archäologisch, in: RGA 29, 347–352.<br />

STEUER, Heiko, Theorien <strong>zur</strong> Herkunft und Entstehung <strong>der</strong> Alemannen. Archäologische<br />

Forschungsansätze, in: GEUENICH, Dieter (Hg), Die Franken und Alemannen bis <strong>zur</strong><br />

„Schlacht bei Zülpich“ (496/97), (= Erg.bde zum RGA 19), Berlin 1998, 270–324.<br />

STOCKLUND, Marie, Art. Gudme, in: RGA 13, 142–149.<br />

STOCKLUND, Marie, Art. Kragehul. § 6. Runologisches, in: RGA 17, 279–281.<br />

STOCKLUND, Marie, Art. Lindholmen, in: RGA 18, 463f.<br />

STUPPNER, Alois Art. Oberleiserberg, in: RGA 21, 483–486.<br />

STUPPNER, Alois, Art. Österreich. II. Archäologisches § 4: Römische Kaiserzeit. in: RGA 21, 620–<br />

628.<br />

SUNDQVIST, Olof, Art. Priester und Priesterinnen, § 4. Skandinavische Quellen, in: RGA 23, 428–<br />

435.<br />

TAYLOR, Matthew, Art. Heruler. § 2. Historisches, in: RGA 14, 470–474.<br />

TEJRAL, Jaroslav, Probleme <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit nördlich <strong>der</strong> mittleren Donau, in:<br />

MENGHIN, Wilfried u.a. (Hg), Die Archäologie <strong>des</strong> 5. und 6. Jahrhun<strong>der</strong>ts an <strong>der</strong> mittleren<br />

Donau und <strong>der</strong> östlich-merowingische Reihengräberkreis, (Ausstellungskatalog: Germanen,<br />

Hunnen und Awaren. Schätze <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit), Nürnberg 1987, 351–360.<br />

TEJRAL, Jaroslav, Archäologische Beiträge <strong>zur</strong> Kenntnis <strong>der</strong> völkerwan<strong>der</strong>ungszeitlichen<br />

Ethnostrukturen nördlich <strong>der</strong> mittleren Donau, in: FRIESINGER, Herwig – DAIM, Falko<br />

(Hg), Typen <strong>der</strong> Ethnogenese unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung <strong>der</strong> Bayern, Bd II, Wien<br />

1990, 9–87.<br />

TEJRAL, Jaroslav, Die Völkerwan<strong>der</strong>ungen <strong>des</strong> 2. und 3. Jahrhun<strong>der</strong>ts und ihr Nie<strong>der</strong>schlag im<br />

archäologischen Befund <strong>des</strong> Mitteldonauraumes, in: TEYRAL, Jaroslav (Hg), Das<br />

mitteleuropäische Barbaricum und die Krise <strong>des</strong> römischen Weltreiches im 3. Jahrhun<strong>der</strong>t,<br />

Brno 1999, 137–213.<br />

TEJRAL, Jaroslav, Art. Markomannen. § 2. Archäologisches, in: RGA 19, 302–308.<br />

TEJRAL, Jaroslav, Art. Smolin, in: RGA 29, 160–162.<br />

TIMPE, Dieter, Nachdr. d. Art. aus RGA, 11 (1998), Germanen, Germania, Germanische<br />

Altertumskunde, Berlin 1998.<br />

TODD, Malcolm, Die Germanen. Von den frühen Stammesverbänden zu den Erben <strong>des</strong><br />

Weströmischen Reiches, Stuttgart 2000.<br />

TÒTH, Àgnes, Art. Gepiden, § 2 Archäologisches, in: RGA 11, 118–120.<br />

TÒTH, Endre, Zur Geschichte <strong>des</strong> nordpannonischen Raumes im 5. und 6. Jahrhun<strong>der</strong>t, in:<br />

WOFRAM, Herwig – DAIM, Falko (Hg), Die Völker an <strong>der</strong> mittleren und unteren Donau im<br />

fünften und sechsten Jahrhun<strong>der</strong>t, Wien 1980, 94–100.<br />

VIDA, Tivadar, Art. Ungarn. § 6. Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit, in: RGA 31, 461–468.<br />

WAGNER, Norbert, Getica. Untersuchungen zum Leben <strong>des</strong> Jordanes und <strong>zur</strong> frühen Geschichte <strong>der</strong><br />

Goten. Quellen und Forschungen <strong>zur</strong> Sprach- und Kulturgeschichte <strong>der</strong> Germanischen Völker<br />

22, Berlin 1967.<br />

WAGNER, Norbert, Herulische Namenprobleme. Givrus, Datius und an<strong>der</strong>es, in: Beiträge <strong>zur</strong><br />

Namensforschung 16 (1981), 406– 421.<br />

WEISSENSTEINER, Johann, Art. Jordanes. § 2. Historisches, in: RGA 16, 77–80.<br />

WENSKUS, Reinhard, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden <strong>der</strong> frühmittelalterlichen<br />

Gentes, Köln 1961.<br />

158


159<br />

WENSKUS, Reinhard, Sächsischer Stammesadel und fränkischer Reichsadel, Göttingen 1976.<br />

WENSKUS, Reinhard, Art. Agilolfoner, in: RGA 1, 96–98.<br />

WENSKUS, Reinhard, Art. Alarich, in: RGA, 1, 129<br />

WENSKUS, Reinhard, Art. Ardarich, in: RGA 1, 398.<br />

WENSKUS, Reinhard, Art. Bewaffnung, in: RGA 2, 458–462.<br />

WENSKUS, Reinhard, Art. Bolia, in: RGA 3, 213.<br />

WENSKUS, Reinhard, Art. Chaibonen, in: RGA 4, 364.<br />

WENSKUS, Reinhard, Art. Fara. II. Historisches, in: RGA 8, 196–205.<br />

WERNER, Joachim, Art. Blučina, in: RGA 3, 76f.<br />

WERNER, Joachim, Dančeny und Brangstrup. Untersuchungen <strong>zur</strong> Černjachov-Kultur zwischen<br />

Sereth und Dnjestr und zu den „Reichtumszentren“ auf Fünen, Bonner JB. 188, 1988, 241–<br />

286.<br />

WERNER, Karl Ferdinand, Die „Franken“. Staat o<strong>der</strong> Volk? in: GEUENICH, Dieter (Hg), Die<br />

Franken und Alemannen bis <strong>zur</strong> „Schlacht bei Zülpich“ (496/97), (= Erg.bde zum RGA 19),<br />

Berlin 1998, 95–101.<br />

WESSÉN, Elias, Art. Dänen, in: RGA 5, 175–177.<br />

WIECZOREK, Alfried u.a. (Hg), Die Franken. Wegbereiter Europas. Vor 1500 Jahren: König<br />

Chlodwig und seine Erben, 2 Bde., Mainz 1996.<br />

WOLFRAM, Herwig, 'Theogonie, Ethnogenese und ein kompromittierter Großvater im Stammbaum<br />

Theodorichs <strong>des</strong> Großen' in: Kurt-Ulrich Jäschke und Reinhard Wenskus (Hg), Festschrift für<br />

Helmut Beumann, Sigmaringen 1977, 80–97.<br />

WOLFRAM, Herwig – DAIM, Falko (Hg), Die Völker an <strong>der</strong> mittleren und unteren Donau im<br />

fünften und sechsten Jahrhun<strong>der</strong>t, Wien 1980.<br />

WOLFRAM, Herwig – SCHWARCZ, Andreas (Hg), Die Bayern und ihre Nachbarn, Bd. I, Wien<br />

1985.<br />

WOLFRAM, Herwig, Ethnogenesen im frühmittelalterlichen Donau- und Ostalpenraum (6. – 10.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t), in: BEUMANN, Helmut und Werner Schrö<strong>der</strong> (Hg), Frühmittelalter<br />

Ethnogenesen im Alpenraum (Nationes 5), Sigmaringen 1985, S. 97–151.<br />

WOLFRAM, Herwig – SCHWARCZ, Andreas (Hg), Anerkennung und Integration. Zu den<br />

wirtschaftlichen Grundlagen <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ungszeit 400 – 600, Wien 1988.<br />

WOLFRAM, Herwig, Die Goten. Von den Anfängen bis <strong>zur</strong> Mitte <strong>des</strong> 6. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Entwurf einer<br />

historischen Ethnographie, 3. neubearb. Aufl. München 1990 (zuerst 1979).<br />

WOLFRAM, Herwig, 'Einleitung o<strong>der</strong> Überlegungen <strong>zur</strong> Origo Gentis', in: WOLFRAM, Herwig –<br />

POHL, Walter (Hg), Typen <strong>der</strong> Ethnogenese unter beson<strong>der</strong>e Berücksichtigung <strong>der</strong> Bayern 1.<br />

Denkschriften <strong>der</strong> ÖAW, Philosophisch-historische Klasse 201 (1990) 19–31.<br />

WOLFRAM, Herwig, Origo et religio. Ethnische Traditionen in frühmittelalterlichen Quellen, in:<br />

HARTMANN, Wilfried (Hg), Mittelalter. Annäherungen an eine fremde Zeit, Regensburg<br />

1993, 27–39.<br />

WOLFRAM. Herwig, Grenzen und Räume – Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung.<br />

Österreichische Geschichte 378–907, Wien 1995.<br />

WOLFRAM, Herwig, Die Germanen, München 1995.<br />

WOLFRAM, Herwig, Typen <strong>der</strong> Ethnogenese. Ein Versuch, in: GEUENICH, Dieter (Hg), Die<br />

Franken und Alemannen bis <strong>zur</strong> „Schlacht bei Zülpich“ (496/97) (= Erg.bde zum RGA 19),<br />

Berlin 1998, S. 608–627.<br />

WOLFRAM, Herwig, Gotische Studien, Volk und Herrschaft im Frühen Mittelalter, München 2005.<br />

WOLFRAM, Herwig, Grundlagen und Ursprünge <strong>des</strong> europäischen Königtums, in: DILCHER,<br />

Gerhard – DISTLER, Eva-Marie, Leges – Genetes – Regna. Zur Rolle von germanischen<br />

Rechtsgewohnheiten und lateinischer Schrífttradition bei <strong>der</strong> Ausbildung <strong>der</strong><br />

frühmittelalterlichen Rechtskultur, Berlin 2006, 185–196.<br />

WOLFRAM, Herwig, Art. Ermanarich. § 1. Historisches, in: RGA 7, 510–512.<br />

WOLFRAM, Herwig, Art. Odowakar. § 2. Historisches, in: RGA 21, 573–575.<br />

WOLFRAM, Herwig, Art. Origo gentis. § 1. Allgemeines, in: RGA 22, 174–178.<br />

WOLFRAM, Herwig, Art. Origo gentis. § 2. Goten, in: RGA 22, 178–183.


ZIENTARA, Benedykt, Populus – Gens – Natio. Einige Probleme aus dem Bereich <strong>der</strong> ethnischen<br />

Terminologie <strong>des</strong> frühen Mittelalters, in: DANN, Otto (Hg), Nationalismus in vorindustrieller<br />

Zeit (Studien <strong>zur</strong> Geschichte <strong>des</strong> neunzehnten Jahrhun<strong>der</strong>ts 14), München 1986, 11–20.<br />

ZIPPELIUS, Reinhold, Allgemeine Staatslehre, München 1999 14 .<br />

160

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!