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Die verschiedenen Ebenen von Walt Disney und ... - kunstschule.at

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! Michael Car<br />

Arbeit für Kunstgeschichte <strong>und</strong> Morphologie, 1. <strong>und</strong> 2. Semester, 31. Mai 2011<br />

<strong>Die</strong> <strong>verschiedenen</strong> <strong>Ebenen</strong> <strong>von</strong> <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> <strong>und</strong> seinen Filmen<br />

Abstract<br />

Wie funktionieren <strong>Disney</strong>filme? Wer war der Mann, dessen Namen die Filme ziert?<br />

Von den Beweggründen des jungen <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> Filme zu machen über seine Bedeutung<br />

bei der Ausarbeitung, stellt sich ein ausgeprägter Idealismus heraus. Obwohl er selbst<br />

schon früh das Zeichnen eingestellt h<strong>at</strong>, steht <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong>s Name im Vordergr<strong>und</strong>. <strong>Disney</strong><br />

ließ seine Mitarbeiter das Anim<strong>at</strong>ionshandwerk perfektionieren <strong>und</strong> schaffte sich somit<br />

einen renomierten Pl<strong>at</strong>z in der Unterhaltungsindustrie. Dass <strong>Disney</strong>s Charakter nicht dem<br />

perfekten Bild seiner Filme entsprach, zeigen besonders die 1940er Jahre, als <strong>Walt</strong><br />

<strong>Disney</strong> kein Verständnis für einen gerechtfertigten Streik seiner Belegschaft aufbrachte<br />

<strong>und</strong> seinem Land sowohl als Lieferant für Kriegspropaganda als auch als Informant <strong>von</strong><br />

angeblichen kommunistischen Aktivitäten diente.<br />

Nach <strong>Disney</strong>s Tod, verloren die Anim<strong>at</strong>ionsfilme an Qualität <strong>und</strong> gelangen erst in den<br />

1990er Jahren wieder zu einem Höhepunkt.<br />

! 1


! Michael Car<br />

Forschungsexposé<br />

Bereits seit frühester Kindheit war ich <strong>von</strong> den vielseitigen Spektakel der <strong>Disney</strong><br />

Anim<strong>at</strong>ionsfilme fasziniert. Mit zehn Jahren schenkten mir meine Eltern die offizielle <strong>Walt</strong><br />

<strong>Disney</strong> Biographie <strong>von</strong> Bob Thomas, die ich sofort verschlang. Im Laufe der Jahre begann<br />

ich Lehrbücher der <strong>Disney</strong>anim<strong>at</strong>oren zu studieren <strong>und</strong> beschloss mein Leben teilweise<br />

dieser Kunstrichtung zu widmen.<br />

Als die Notwendigkeit zu einer wissenschaftlichen Arbeit im Kunstbereich bestand, gab es<br />

kein anderes Thema, zu dem ich soviel Wissen gesammelt h<strong>at</strong>te, wie zu <strong>Disney</strong>.<br />

Bei weiterer Forschung offenbarte sich mir, was ich zuvor nur spekulieren konnte. Über<br />

<strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> wird meist sehr einseitig, romantisiert berichtet. Durch Zufall entdeckte ich die<br />

britische Dokument<strong>at</strong>ion „The Secret Lives: <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong>“, in der Zeitzeugen, oft enge<br />

Mitarbeiter, das Bild <strong>Disney</strong>s als moralisches Idol destabilisieren. Ich verglich darauf die<br />

neuen Erkenntnisse mit meinen beschönigenden Biographien <strong>und</strong> fand dort<br />

erstaunlicherweise genug Hinweise, die die neg<strong>at</strong>iven Aussagen über <strong>Disney</strong><br />

untermauern. Leider fanden sich zusätzlich außer ein paar Internetquellen, die stets mit<br />

größter Vorsicht zu betrachten sind, nicht mehr Dokumente, die neues Licht auf <strong>Disney</strong><br />

<strong>und</strong> seine Filme werfen. Deshalb folgere ich daraus, dass für alles im Bezug auf <strong>Disney</strong><br />

der Schein wichtiger als das Sein zu sein scheint, wie sooft im Showbusiness.<br />

Anmerkung:<br />

Namen <strong>und</strong> Filmtitel halten sich an das amerikanische Original.<br />

<strong>Die</strong> „ebenda“ Anmerkungen in den Fußnoten folgen den zuvor gelisteten Quellenangaben.<br />

! 2


! Michael Car<br />

Essay<br />

Was ist ein <strong>Disney</strong> Anim<strong>at</strong>ed Classic?<br />

Unter <strong>Disney</strong> Anim<strong>at</strong>ed Classic versteht man prinzipiell das, was allgemein als <strong>Disney</strong>film<br />

verstanden wird. <strong>Die</strong> Bezeichnung <strong>Disney</strong>film wäre aber irreführend, da die <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong><br />

Company im Gr<strong>und</strong>e eine große Unterhaltungsindustrie wie viele andere in Los Angeles ist<br />

<strong>und</strong> größtenteils Realfilme oder Filme anderer Anim<strong>at</strong>ionsstudios produziert. Den<br />

Gr<strong>und</strong>stein legte aber der heute im Gegens<strong>at</strong>z zum Realfilm- <strong>und</strong> Fernsehzweig nur mehr<br />

gering genutzte Anim<strong>at</strong>ionszweig dieses Konzerns. <strong>Die</strong> Kriterien zur Aufnahme in den<br />

Kanon der <strong>von</strong> den <strong>Disney</strong> Studios zu Werbezwecken selbst benannten <strong>Disney</strong> Anim<strong>at</strong>ed<br />

Classics (DAC), auch <strong>Disney</strong> Anim<strong>at</strong>ed Fe<strong>at</strong>ures, lauten folgendermaßen. <strong>Die</strong> Filme<br />

müssen komplett animiert (traditionell oder am Computer), im Kino aufgeführt <strong>und</strong> in den<br />

<strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> Anim<strong>at</strong>ion Studios konzipiert worden sein. Der erste DAC war Snow White<br />

and the Seven Dwarfs <strong>von</strong> 1937, der derzeit aktuellste, Nummer 50 im Kanon, Tangled<br />

<strong>von</strong> 2010 1 . Standardisiert wurde dieser Kanon jedoch erst vor kurzem, sodass es auch zu<br />

Unterschieden in der Aufreihung kam. <strong>Die</strong> europäische Sparte <strong>von</strong> <strong>Disney</strong> zählte etwa<br />

Mischfilme, die Realsequenzen mit animierten vereinigen (z.B.: Mary Poppins) lange zu<br />

den „Klassikern“. 2<br />

Wie kommt es zum ersten DAC? Was waren die Beweggründe?<br />

Begonnen mit einfachen, nicht mehr als 8 Minuten überschreitenden Zeichentrickfilmen,<br />

sammelte <strong>Walt</strong> <strong>und</strong> seine Bruder Roy <strong>Disney</strong> innerhalb kürzester Zeit die engagiertesten<br />

künstlerischen Talente aus den USA <strong>und</strong> perfektionierte den sogenannten <strong>Disney</strong> Stil bis<br />

1 (Internetquelle)<br />

Wikipedia<br />

http://en.wikipedia.org/wiki/<strong>Disney</strong>_anim<strong>at</strong>ed_fe<strong>at</strong>ures_canon#Official_canon<br />

(28. Jänner 2011)<br />

2 (Internetquelle)<br />

Wikipedia<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_<strong>Disney</strong>-Filme<br />

(28. Jänner 2011)<br />

! 3


! Michael Car<br />

zu einer „Illusion des Lebens“. 3 Nun lenkte <strong>Disney</strong> alle Energien auf einen abendfüllenden<br />

Zeichentrickfilm, etwas, das es in der Form zuvor noch nicht gab.<br />

Der russische Regisseur Sergej Eisenstein sagte 1937 über <strong>Disney</strong>s ersten animierten<br />

Langfilm, es wäre der großartigste Film, der je gedreht wurde. 4 Der Titel diese Films lautet<br />

Snow White and the Seven Dwarfs.<br />

Im Laufe der Wirtschaftskrise zeigte es sich zunehmend schwieriger die Leute zu<br />

unterhalten. Plötzlich entschieden sich Kinobetreiber in den USA zunehmend Double<br />

Fe<strong>at</strong>ures anzubieten, die jedoch den Kurzfilmen den Pl<strong>at</strong>z nahmen. 5 So gesehen war es<br />

eine ganz n<strong>at</strong>ürliche Folgerung, dass die <strong>Disney</strong> Brüder sich anpassten, um ihr Studio<br />

weiterführen zu können. <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong>s persönliche Inspir<strong>at</strong>ion lag an einer<br />

Kindheitserinnerung, bei der er einer Großvorführung des Stummfilms Snow White mit<br />

Marguerite Clark in der Hauptrolle beiwohnte. Auf vier Leinwände wurde gleichzeitig<br />

projiziert, für <strong>Disney</strong> das größte Kinoerlebnis seines Lebens. 6 Damit ist <strong>Disney</strong>s Stoffwahl<br />

nachvollziehbar, denn der Idealist <strong>Disney</strong> strebte für seinen eigenen Film auch das Größte<br />

an.<br />

Wer war eigentlich <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong>? Tragen die Filme zu Recht seinen Namen?<br />

Als <strong>Walt</strong>er Elias <strong>Disney</strong> 1901 in Chicago geboren, erlebte er seine prägendste Zeit 1906<br />

bis 1910 in Marceline, Misssouri. Sein V<strong>at</strong>er Elias betrieb dort eine Farm, erkrankte aber<br />

gegen Ende der Jahre an Typhus. <strong>Die</strong> Erinnerungen an dieses Landleben begleiten<br />

<strong>Disney</strong> sein Leben lang <strong>und</strong> finden zahlreiche Verarbeitungen in seinen Filmen. Allein die<br />

Abenteuer seiner frühen Figuren, wie Oswald the Lucky Rabbit <strong>und</strong> Mickey Mouse spielen<br />

hauptsächlich in ländlicher Gegend. <strong>Die</strong> <strong>Disney</strong> Archivaren Dave Smith <strong>und</strong> Steven Clark<br />

beschreiben diesen Einfluss folgendermaßen: „Der junge <strong>Walt</strong> war begeistert <strong>von</strong> all dem,<br />

was er auf der Farm erlebte, (...). Bei seinen Ausflügen in die umliegenden Wälder traf er<br />

3 (selbstständige Quelle)<br />

Frank Thomas; Ollie Johnson, The Illusion of Life – <strong>Disney</strong> Anim<strong>at</strong>ion, New York: Hyperion 1995<br />

4 (Internetquelle)<br />

Screen Savour: Snow White and the Seven Dwarfs (1937), in:<br />

http://www.screensavour.net/2008/08/snow-white-and-seven-dwarfs-1937.html<br />

(27. Jänner 2011)<br />

5 (selbstständige Quelle)<br />

Bob Thomas; Peter Schad (Übers.), <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> – <strong>Die</strong> Original-Biographie, München: Ehapa 1986<br />

6 ebenda<br />

! 4


! Michael Car<br />

auf Waschbären, Füchse <strong>und</strong> andere Tiere <strong>und</strong> entwickelte hier seine Liebe zur N<strong>at</strong>ur, die<br />

ihn sein ganzes Leben nicht mehr loslassen sollte.“ 7 Erste zeichnerische Versuche<br />

endeten teils positiv, teils neg<strong>at</strong>iv. Einerseits konnte er erste Zeichnungen verkaufen – ein<br />

Detail, das bereits auf den kapitalistischen Unternehmergeist des Erwachsenen <strong>Walt</strong><br />

<strong>Disney</strong> hinweist –, andererseits beschmierte er die eigene Hauswand mit Teer, ohne zu<br />

wissen, dass sich dieser nicht mehr wegputzen ließe. 8<br />

Einzelne Erlebnisse, wie der Brand eines nachbarlichen Stalls, der einen gewaltigen<br />

Eindruck bei <strong>Disney</strong> hinterließ, waren Vorbild zu Szenen seiner späteren Filme. <strong>Disney</strong>s<br />

ließ seinen ersten Kontakt mit der Gewalt des Feuers wird in der dram<strong>at</strong>ischen<br />

Waldbrandszene in Bambi ausdrücken. 9<br />

Ein kultureller Schock für <strong>Disney</strong> war der Umzug in die Großstadt Kansas City, wobei sich<br />

neue Faszin<strong>at</strong>ionen auft<strong>at</strong>en, wie die örtlichen Vergnügungsparks, die er aus Geldgründen<br />

nur <strong>von</strong> außen betrachten konnte. Später erfüllte sich <strong>Disney</strong> diesen Kindheitstraum,<br />

indem er seine eigenen, perfekten Vergnügungsparks eröffnete, nämlich <strong>Disney</strong>land <strong>und</strong><br />

<strong>Disney</strong>world.<br />

<strong>Disney</strong> fertigte als Schüler Karik<strong>at</strong>uren für die Schülerzeitung an, arbeitet sich langsam als<br />

Karik<strong>at</strong>urist hoch, bis er schließlich bei einer Werbeagentur den Sohn niederländischer<br />

Einwanderer Ubbe Iwwerks, später Ub Iwerks genannt, kennenlernte. Über die Werbung<br />

lernten sie auch das Handwerk des Trickfilms <strong>und</strong> beschlossen bald ein eigenes<br />

Filmunternehmen zu eröffnen. Mit der Zeit merkte <strong>Disney</strong>, dass ihm sein Kollege<br />

zeichnerisch weit überlegen war, stellte aber trotzdem den eigenen Namen über Iwerksʻ. 10<br />

<strong>Die</strong>ses Prinzip führte <strong>Disney</strong> in weiterer Entwicklung seines Unternehmens fort <strong>und</strong> stellte<br />

das Zeichnen schon bald komplett ein. Ein gutes Beispiel für dieses Prozess ist die<br />

Erfindung <strong>von</strong> Mickey Mouse. <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> steuerte die Idee zur Figur <strong>und</strong> den Namen bei,<br />

Ub Iwerks entwickelt jedoch die gesamte Darstellung des Äußeren. Auch in Zukunft war es<br />

<strong>Disney</strong>, der lediglich die Projekte überwachte, die künstlerischen Talente lenkte <strong>und</strong> seine<br />

eigene, perfekte Welt <strong>von</strong> anderen aufbauen ließ. <strong>Die</strong>se idealistische Sehnsucht zeichnet<br />

aber auch die künstlerische Energie aus, die sich durch die Werke zieht, die <strong>Disney</strong>s<br />

7 (selbstständige Quelle)<br />

Dave Smith; Steven Clark; Klaus Strzyz (Übers.), <strong>Disney</strong> – <strong>Die</strong> ersten 100 Jahre, Berlin: Egmont Ehapa<br />

2001<br />

8 ebenda<br />

9 (unselbstständige Quelle)<br />

o.A., Dalí & <strong>Disney</strong>: A D<strong>at</strong>e with Destino, in: Fantasia 2000, Blu-ray, o.O.: <strong>Disney</strong> 2010<br />

10 (selbstständige Quelle)<br />

Anreas Pl<strong>at</strong>thaus, Von Mann & Maus – <strong>Die</strong> Welt des <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong>, Berlin: Henschel 2001<br />

! 5


! Michael Car<br />

Namen tragen. Seit Beginn der <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> Studios ließen sich unzählige Künstler, <strong>von</strong><br />

dieser Faszin<strong>at</strong>ion des Perfekten mitreißen.<br />

Wie funktioniert ein DAC? Eine morphologische Betrachtung.<br />

Doch woraus besteht dieses Perfekte? Ein Hauptziel <strong>Disney</strong>s war es in anspruchsvoller<br />

Weise zu Unterhalten 11 . <strong>Die</strong> Filme sind auf ein möglichst breites Publikum ausgerichtet,<br />

sollen Kinder <strong>und</strong> das Kind im Erwachsenen ansprechen. Das war <strong>Disney</strong> besonders<br />

wichtig. Wie oben beschrieben, wollte er seine Kindheit idealisiert wiederbeleben. <strong>Die</strong>ser<br />

Standpunkt änderte sich nach <strong>Disney</strong>s Tod in manchen Produktionen, doch dazu später<br />

mehr. <strong>Disney</strong> war sehr bedacht in der Stoffwahl. Nicht zufällig fanden Märchen<br />

Verarbeitung in seinen Filmen. Märchen zählen, nach meiner persönlichen Hypothese, zu<br />

den ursprünglichsten Geschichten der Menschheit. Sie beschreiben meist Entwicklungen,<br />

wie das Erwachsenwerden, <strong>und</strong> tragen unter ihrer fantastischen Hülle oft eine universelle<br />

Wahrheit. 12 Kinder verstehen intuitiv diese Wahrheit, weshalb heute Märchen allgemein als<br />

Kindergeschichten gelten. Doch die Geschichten, die Märchen erzählen, haben sich in uns<br />

eingeprägt <strong>und</strong> treffen autom<strong>at</strong>isch auf Wohlwollen, wenn wir Fiktion mit ähnlichem<br />

Charakter konsumieren. <strong>Die</strong> Gr<strong>und</strong>idee <strong>von</strong> Aschenputtel wird auch heute noch<br />

regelmäßig in unzähligen Liebesromanen <strong>und</strong> Filmen verarbeitet, Versionen da<strong>von</strong> gab es<br />

bereits im Ägypten des 1. Jahrh<strong>und</strong>erts v. u. Z. <strong>und</strong> um 860 in China. 13<br />

<strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> t<strong>at</strong> also nichts anderes als viele Geschichtenerzähler zuvor. Er nahm<br />

bekannte Stoffe <strong>und</strong> passte sie seinen eigenen Vorstellungen an.<br />

Ein markanter Punkt ist die Individualisierung der einzelnen Figuren. Snow White bietet<br />

sich dabei als gutes Beispiel an. Im Märchen zeigen die sieben Zwerge keine<br />

differenzierten Charaktereigenschaften. Um die humorvolle Wirkung seines Films zu<br />

unterstützen, gaben <strong>Disney</strong>s Storyartists den Zwergen individuelle Namen, Gestalt <strong>und</strong><br />

Eigenschaften. In einer kurz davor erschienenen Snow White Filmversion des Fleischer-<br />

11 (selbstständige Quelle)<br />

Anreas Pl<strong>at</strong>thaus, Von Mann & Maus – <strong>Die</strong> Welt des <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong>, Berlin: Henschel 2001<br />

12 (selbständige Quelle)<br />

Eugen Drewermann, Lieb Schwesterlein, laß mich herein – Grimms Märchen tiefenpsychologisch gedeutet,<br />

München: dtv 2002<br />

13 (Internetquelle)<br />

Wikipedia<br />

http://en.wikipedia.org/wiki/Cinderella<br />

(31. Mai 2011)<br />

! 6


! Michael Car<br />

Studios mit Betty Boop als Schneewittchen, agieren die Zwerge identisch <strong>und</strong> hinterlassen<br />

daher beim Zuschauer keinen bleibenden Eindruck. 14 Das könnte einer der Gründe sein,<br />

weshalb sich heute der Fleischer Film nicht ins kulturelle Gedächtnis der westlichen Welt<br />

geprägt h<strong>at</strong>, im Gegens<strong>at</strong>z zu <strong>Disney</strong>s Version.<br />

Im Allgemeinen sind Nebenfiguren bei <strong>Disney</strong> für den humorvollen Anteil des Films<br />

verantwortlich, während Pro- <strong>und</strong> Antagonisten einer starken idealisierten schwarz/weiß<br />

Zeichnung unterliegen. Schneewittchen h<strong>at</strong> ein reines Herz <strong>und</strong> ist durch <strong>und</strong> durch gut.<br />

<strong>Disney</strong> wollte seinen Prinz so perfekt darstellen, dass er furchtbare Angst vor einer<br />

Verzerrung dieser ästhetischen Männlichkeit h<strong>at</strong>te. <strong>Die</strong> Anim<strong>at</strong>oren mussten daher zu dem<br />

verpönten Ausweg des Rotoskopieren greifen. Das heißt, Fotos bildeten die Vorlage der<br />

einzelnen Anim<strong>at</strong>ionszeichnungen 15 . <strong>Die</strong> Figur als Anim<strong>at</strong>ion verliert dadurch ihre<br />

Stimmigkeit in ihrem frei animierten Umfeld, wirkt steif <strong>und</strong> st<strong>at</strong>isch. Ein ironisches Detail,<br />

denn strebte jeder <strong>Disney</strong>zeichner die lebensechte Perfektion der Bewegung an, wirken<br />

die dem Leben 1:1 nachempf<strong>und</strong>en Bewegungen jedoch unecht.<br />

Ein weitere wichtiger Bestandteil eines DAC liegt in seinem Musicalcharakter. Musik als<br />

universale Sprache kann zum Beispiel Kleinkinder Emotionen vermitteln, die sie allein aus<br />

dem Dialog nicht verstanden hätten. Außerdem befand sich <strong>Disney</strong> mitten in der<br />

Anfangszeit des Tonfilms, der damals seine Zuschauer mit berauschenden Tonerlebnissen<br />

locken wollte. Im Gegens<strong>at</strong>z zu vielen seiner Realfilmkollegen vergaß <strong>Disney</strong> dabei nicht<br />

auf Handlung <strong>und</strong> optischen Anspruch, der sogar noch Spuren des expressionistischen<br />

Stummfilms zeigt, wie in der Szene, wo Schneewittchen durch den Wald flieht <strong>und</strong> in<br />

Wahnvorstellungen die Bäume sich zu bedrohlichen Monstern wandeln.<br />

Im Laufe der Arbeit an den Kurzfilmen, entwickelten <strong>Disney</strong>s Angestellte immer<br />

ausgefeiltere Techniken zum Einfangen optischer Tiefenwirkung. <strong>Die</strong> sogenannte<br />

Multiplankamera (Abb.1) entstand auf diese Weise <strong>und</strong> fand gleich in den ersten DACs<br />

Verwendung. In ein zimmergroßes Metallgestell werden Zelluloidfolien mit genügend<br />

Zwischenraum auf Rollen aufgespannt, was eine unglaubliche Dreidimensionalität<br />

inklusive Unschärfen <strong>und</strong> im flächigem Rahmen perspektivische Veränderung bei<br />

Kamerafahrten hervorrufen kann. 16 Der Arbeitsaufwand <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen<br />

Kosten stellten sich aber als sehr hoch heraus, weshalb dieses komplexe Kameramodell<br />

14 (selbstständige Quelle)<br />

Anreas Pl<strong>at</strong>thaus, Von Mann & Maus – <strong>Die</strong> Welt des <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong>, Berlin: Henschel 2001<br />

15 ebenda<br />

16 (selbstständige Quelle)<br />

Bob Thomas; Peter Schad (Übers.), <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> – <strong>Die</strong> Original-Biographie, München: Ehapa 1986<br />

! 7


! Michael Car<br />

nur sehr bedacht eingesetzt wurde. Das Ergebnis war jedoch ein dem Realfilm sich<br />

annähernder N<strong>at</strong>uralismus, der so im Anim<strong>at</strong>ionsfilm noch nie dagewesen war.<br />

Ein besonderes Augenmerk verdient n<strong>at</strong>ürlich die eigentlich Anim<strong>at</strong>ion der DACs. In den<br />

frühen Kurzfilmen versuchten sich die Trickzeichner noch an möglichst unrealistischen<br />

Bewegungen, um den humoristischen Effekt des Anim<strong>at</strong>ionsfilms noch zu überspitzen.<br />

Tiere h<strong>at</strong>ten Gliedmaßen wie aus Gummi (Rubber Hose Anim<strong>at</strong>ion) <strong>und</strong> folgten selten den<br />

an<strong>at</strong>omischen Merkmalen echter Lebewesen. So wird in einem Cartoon Mickeys Kopf <strong>von</strong><br />

Minnie Mouse in seine dreifache Länge gezogen, was heute direkt unansehlich brutal<br />

wirkt. <strong>Disney</strong> drängte seine Mitarbeiter nach <strong>und</strong> nach zu mehr in sich stimmigen,<br />

physischen N<strong>at</strong>uralismus, der seine Figuren glaubwürdiger machen soll. Dabei half<br />

besonders die „Squash and Stretch“ Technik. Jedes auf der Erde lebendes Wesen ist an<br />

eine gemeinsame Kraft geb<strong>und</strong>en, die Schwerkraft. Schon leichte Andeutungen der<br />

Masse reichen aus, eine Figur als lebend anzuerkennen. Ein Black Pete (K<strong>at</strong>er Karlo), der<br />

seinen dicken Bauch hebt, um ihn wieder auf den Boden sacken zu lassen, h<strong>at</strong> einerseits<br />

einen komischen Effekt, verleiht der Figur aber auch die Illusion <strong>von</strong> Masse. Eine<br />

Gummiball, der beim Hüpfen nie die Form eines Kreises verlässt, wirkt unecht. Bekommt<br />

er beim Aufprall <strong>und</strong> Hochschnellen elliptische Merkmale, kann der Zuschauer die<br />

Dynamik des Aufpralles direkt spüren. 17 (Abb. 2)<br />

Zu guter Letzt enden alle DACs mit einem Happy End, wie man es <strong>von</strong> Hollywood kennt.<br />

Der Prinz weckt die Schöne (Snow White, Sleeping Beauty), die Puppe wird ein echtes<br />

Kind (Pinocchio), die Dämonen werden <strong>von</strong> Glaube <strong>und</strong> Hoffnung in Form der<br />

Aufgehenden Sonne vertrieben (Fantasia). Ob diese Aussagen positive moralische<br />

Einflüsse auf seine Zuseher ausüben, ist n<strong>at</strong>ürlich fraglich.<br />

Warum war <strong>Disney</strong> ein Idealist?<br />

Meine Bezeichnung <strong>Disney</strong>s als Idealisten kann n<strong>at</strong>ürlich zu Verwirrung führen. Ich<br />

verwende den Begriff hier im ethischen Sinne. Zit<strong>at</strong> wikipedia:<br />

17 (selbstständige Quelle)<br />

Frank Thomas; Ollie Johnson, The Illusion of Life – <strong>Disney</strong> Anim<strong>at</strong>ion, New York: Hyperion 1995<br />

! 8


! Michael Car<br />

„Der ethische Idealismus, der auch im alltäglichen Sprachgebrauch übliche Begriff,<br />

bezeichnet eine Lebenseinstellung, bei der ein Mensch altruistischen Ideen bzw. Idealen<br />

folgt <strong>und</strong> nicht egoistisch nach m<strong>at</strong>eriellen Gütern strebt.“ 18<br />

N<strong>at</strong>ürlich war <strong>Disney</strong> in diesem Sinn kein reiner Idealist. Auch wenn er sicherlich den<br />

m<strong>at</strong>eriellen Gütern, die seine Filme einspielten, nicht abgeneigt war, stellte er aber stets<br />

seine Ideale in den Vordergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> überließ Geldangelegenheiten seinem Bruder Roy. 19<br />

<strong>Die</strong>se Ideale waren jedoch teilweise fragwürdiger N<strong>at</strong>ur, worüber der weitere Verlauf<br />

dieser Arbeit aufklärt.<br />

Wie waren <strong>Disney</strong>s Ideale begründet? In welchem Bezug stand er zu seiner Zeit?<br />

Anhand des Ausdrucks der Filme selbst lässt sich zusammenfassen, dass <strong>Disney</strong> stets<br />

nach dem Perfekten (ideale Darstellung der Charakterklischees) gesucht h<strong>at</strong> <strong>und</strong> ein<br />

Streben nach Harmonie zeigt (Happy Ends). Dabei lässt sich <strong>Disney</strong>s Vorstellung <strong>von</strong><br />

allgemeingültigen Werten erkennen, die einer konserv<strong>at</strong>iven Gr<strong>und</strong>haltung folgen, wie in<br />

der repetierten Idee der überstilisierten, wahren Liebe zu erkennen ist. Mit <strong>Disney</strong>s<br />

infantilen Blick auf die Welt, lässt sich vielleicht auch die Mentalität der McCarthy Ära<br />

erklären. Ein starke schwarz/weiß Zeichnung in „gut“ <strong>und</strong> „böse“ lässt den Menschen<br />

vergessen nach dem Gr<strong>und</strong> oder Motiv dieses Bösen zu fragen. Kaum ein<br />

Kommunistenjäger h<strong>at</strong> wohl den Inhalt des Kommunismus verstanden, wie eine Rede J.<br />

Edgar Hoovers, damaliger Chef des FBIs, zeigt: „Communism, in reality, is not a political<br />

party. Itʻs a way of live – an evil and malignant way of life. It reveals a condition akin to<br />

disease th<strong>at</strong> spreads like an epidemic and like an epidemic a quar<strong>at</strong>ine is beeing<br />

necessary to keep it from infecting the N<strong>at</strong>ion.“ 20<br />

18 (Internetquelle)<br />

Wikipedia<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/Idealismus<br />

(29. Mai 2011)<br />

19 (selbstständige Quelle)<br />

Bob Thomas; Peter Schad (Übers.), <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> – <strong>Die</strong> Original-Biographie, München: Ehapa 1986<br />

20 (unselbständige Quelle)<br />

J. Edgar Hoover, Testimony before HUAC March 26, 1947, in: Ellen Schrecker, The age of McCarthyism,<br />

New York: Pelgrave 2002<br />

! 9


! Michael Car<br />

<strong>Disney</strong> stand immer für das vermeintliche Gute <strong>und</strong> dieses Gute folgte den Richtlinien der<br />

amerikanischen Regierung. Bevor die USA Deutschland den Krieg erklärte, symp<strong>at</strong>hisierte<br />

<strong>Disney</strong> mit den Nazis, besuchte sogar die berüchtigten US-Meetings. 21<br />

<strong>Die</strong>se Faszin<strong>at</strong>ion <strong>Disney</strong>s mit der Teilen der Nazi-Ideologie ist leicht nachvollziehen,<br />

bew<strong>und</strong>erte er wohl den mystischen Blick der N<strong>at</strong>ionalsozialisten auf die Welt <strong>und</strong> fand<br />

vermutlich Parallelen in seiner Suche nach dem Perfekten <strong>und</strong> dem Streben der Nazis<br />

nach dem perfekten Menschen.<br />

Kaum stand Nazideutschland den USA als Feindbild gegenüber, überzeichnete <strong>Disney</strong> die<br />

Nazis als die Überbösen. <strong>Disney</strong> war immer eifrig dabei seinem Land zu dienen. Bereits<br />

im 1. Weltkrieg fälschte er seinen Ausweis, um das Mindestalter der Rekrutierung zu<br />

erreichen. 22 Im 2. Weltkrieg stellte er sich bereit Propagandafilme für die amerikanische<br />

Regierung herzustellen. Plötzlich war die Naziideologie verachtenswert <strong>und</strong> zerstörerisch,<br />

wie <strong>Disney</strong> im Kurzfilm Educ<strong>at</strong>ion for De<strong>at</strong>h zeigt. 23<br />

Einerseits produzierte das Studio in dieser Zeit Lehrfilme, wie den abendfüllenden Victory<br />

Through Airpower, in dem <strong>Disney</strong> zeigt, wie Deutschland zu stoppen ist, nämlich durch<br />

totales Bombardement. 24 Andererseits blieb <strong>Disney</strong> seinen Figuren treu <strong>und</strong> brachte<br />

propagandistische Inhalte in die üblichen Unterhaltungskurzfilme. Als bestes Beispiel dient<br />

hier Der Fuehrerʻs Face. Donald Duck erwacht im „Nutzi Land“, wo alle Objekte, <strong>von</strong> der<br />

Windmühle bis zu den Wolken, die Form einer Swastika haben (Abb. 3). 48 St<strong>und</strong>en am<br />

Tag muss er arbeiten <strong>und</strong> bei jeder Gelegenheit „Heil Hitler“ rufen. Schließlich wacht<br />

Donald in seinem eigenen Bett auf, sieht den Sch<strong>at</strong>ten einer St<strong>at</strong>ue, die den rechten Arm<br />

hebt, will schon „Heil Hitler“ rufen, merkt aber gerade noch, dass es sich um den Sch<strong>at</strong>ten<br />

einer kleinen Freiheitsst<strong>at</strong>ue handelt, die auf seinem Fensterbrett steht. Donald, in Stars<br />

21 (selbstständige Quelle)<br />

Joseph Bullman, The Secret Lives – <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong>, TV, London: Chanel 4 1995<br />

22 (selbstständige Quelle)<br />

Bob Thomas; Peter Schad (Übers.), <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> – <strong>Die</strong> Original-Biographie, München: Ehapa 1986<br />

23 (unselbständige Quelle)<br />

Clyde Geronim, Educ<strong>at</strong>ion for De<strong>at</strong>h (1943), in: Leonard Maltin, <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> – On the Front Lines, DVD,<br />

Burbank: <strong>Disney</strong> 2004<br />

24 (unselbständige Quelle)<br />

James Algar; Clyde Geronimi; Jack Kinney; H. C. Potter, Victory Through Airpower (1943), in: Leonard<br />

Maltin, <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> – On the Front Lines, DVD, Burbank: <strong>Disney</strong> 2004<br />

! 10


! Michael Car<br />

and Stripes Pyjama, küsst die St<strong>at</strong>ue <strong>und</strong> quakt: „Am I glad to be a citizen of the United<br />

St<strong>at</strong>es of America!“ 25<br />

Abseits <strong>Disney</strong>s fraglicher politischen Einstellung offenbarte der Studioboss spätestens<br />

zwei Jahre zuvor die neg<strong>at</strong>iven Seiten seines Charakters.<br />

Der Streik <strong>von</strong> 1941. Wie kam es dazu?<br />

<strong>Disney</strong> schwebte stets eine harmonisch, künstlerische Atmosphäre in seinem Studio vor.<br />

Er wollte ein kollegiales Zusammenarbeiten, sah sein Studio wie eine große Familie.<br />

Begrüßte ein Neuangestellter <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> mit Mr. <strong>Disney</strong>, winkte dieser schnell ab <strong>und</strong><br />

sagte: „Call me <strong>Walt</strong>!“ <strong>Die</strong>s machte n<strong>at</strong>ürlich enorm positiven Eindruck auf die Belegschaft.<br />

<strong>Disney</strong> regte an, ihn einfach Uncle <strong>Walt</strong> zu nennen, wenn man über ihn sprach. 26 <strong>Disney</strong><br />

sah sich anscheinend als Überv<strong>at</strong>er seiner großen Familie, den <strong>Disney</strong> Studios. Ganz<br />

p<strong>at</strong>riachalisch führte er auch seinen Betrieb. Nur Männer wurde in die kleine Gruppe der<br />

Hauptanim<strong>at</strong>oren aufgenommen. Frauen h<strong>at</strong>ten eine spezielle Aufgaben. In einem<br />

separ<strong>at</strong>en Gebäude saßen sie fließbandarbeitendend. Sie tuschten <strong>und</strong> kolorierten die<br />

Bleistiftzeichnungen der Anim<strong>at</strong>oren des Nachbargebäudes. <strong>Die</strong>s war die sogenannte Ink<br />

and Paint Abteilung. <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> zahlte den Frauen Mindestlöhne <strong>und</strong> zeigte offen seine<br />

Misogynie. Er meinte, die Frauen lenken die Hauptzeichner <strong>von</strong> der Arbeit ab. Frauen ab<br />

30 entließ er, weil seiner Ansicht nach jüngere weibliche Arbeitskräfte effizienter arbeiten.<br />

<strong>Disney</strong> stellte außerdem prinzipiell keine afro-amerikanischen Mitarbeiter ein. Über<br />

jüdische Vorfahren einzelner MitarbeiterInnen wollte er nichts wissen. 27 <strong>Die</strong>se rassistische<br />

Haltung <strong>Disney</strong>s spiegelt sich jedoch nicht offensichtlich in den Filmen wider, weil <strong>Disney</strong><br />

aus kommerzieller Hinsicht ein größtmögliches, weltweites Publikum erreichen wollte.<br />

Besonders die schlechtbezahlte Belegschaft der Studios verlangte nun nach einer<br />

Gewerkschaft, die ihre Interessen vertritt <strong>und</strong> ein Veto gegen <strong>Disney</strong>s autokr<strong>at</strong>er<br />

Studioleitung einlegen konnte. <strong>Disney</strong> sah sich durch diese Forderungen persönlich<br />

25 (unselbständige Quelle)<br />

o.A., Der Fuehrerʻs Face (1942), in: Leonard Maltin, <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> – On the Front Lines, DVD, Burbank:<br />

<strong>Disney</strong> 2004<br />

26 (selbständige Quelle)<br />

Joseph Bullman, The Secret Lives – <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong>, TV, London: Chanel 4 1995<br />

27 ebenda<br />

! 11


! Michael Car<br />

angegriffen. 28 Als dann schließlich The Reluctant Dragon in die Kinos kam, ein Film der die<br />

<strong>Disney</strong> Studios als lustige Traumfabrik zeigt, war das Fass zum Überlaufen gebracht.<br />

Angeregt durch den linken Gewerkschaftsführer Herbert Sorrell sammelten sich etwa ein<br />

Drittel der Studiobelegschaft vor den Toren. 29 Mit Schildern verkündeten sie ihren Unmut<br />

über die Arbeitszustände <strong>und</strong> versuchten <strong>Disney</strong>-loyale Angestellte am Betreten des<br />

Studiogeländes zu hindern. Nur zwei der Hauptanim<strong>at</strong>oren fanden sich unter den<br />

Streikenden, der Goofy Zeichner Art Babbitt <strong>und</strong> sein Fre<strong>und</strong> Bill Tytla. Tytla war<br />

hochgeschätzt <strong>von</strong> <strong>Disney</strong> wegen seiner ausdrucksstarken Anim<strong>at</strong>ionen, wie den<br />

teuflischen Chernabog in Fantasia, die Zwerge in Snow White <strong>und</strong> die überemotionale<br />

Szene in Dumbo, als der kleine Elefant, seine eingesperrte Mutter besucht.<br />

Als einmal Art Babbitt den vorfahrenden <strong>Disney</strong> verbal <strong>at</strong>tackierte, sprang dieser aus<br />

seinem Auto <strong>und</strong> konnte gerade noch vor Handgreiflichkeiten zurückgehalten werden. 30<br />

<strong>Disney</strong> engagierte nun den kriminellen William Bioff, der einzelne Streikende terrorisierte<br />

<strong>und</strong> mit vorgehaltener Waffe die Niederlegung des Streikes verlangte. Bioff war kein<br />

Unbekannter in Hollywood. Auf diese Weise gelang es ihm schon bei anderen Studios<br />

Streiks aufzulösen. 31<br />

Zur gleichen Zeit startete die amerikanische Regierung eine wirtschaftliche Expansion<br />

nach Südamerika, aus Furcht, die Nazis könnten dort Einfluss gewinnen. 32 Roy <strong>Disney</strong>,<br />

der die geschäftliche Leitung des Studios inneh<strong>at</strong>te, nahm dies als Gelegenheit seinen<br />

Bruder vor weiteren Fauxpas zu bewahren. Während <strong>Walt</strong> nun in Südamerika seine Filme<br />

anpries <strong>und</strong> nach neuer Inspir<strong>at</strong>ion suchte, die in den Filmen Saludos Amigos <strong>und</strong> The<br />

Three Caballeros Früchte trug, löste Roy den Streik auf, indem er Gewerkschaften den<br />

Einfluss auf das Studio erlaubte. <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> regierte furios auf diese Nachricht, 33 ließ die<br />

Freizeiteinrichtungen im Studio abbauen <strong>und</strong> führte Steckuhren ein. Art Babbitt kündigte er<br />

entgegen seines Vertrags. <strong>Die</strong>ser klagte seine Anstellung wieder ein, aber <strong>Disney</strong><br />

28 (selbstständige Quelle)<br />

Bob Thomas; Peter Schad (Übers.), <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> – <strong>Die</strong> Original-Biographie, München: Ehapa 1986<br />

29 ebenda<br />

30 (selbstständige Quelle)<br />

Anreas Pl<strong>at</strong>thaus, Von Mann & Maus – <strong>Die</strong> Welt des <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong>, Berlin: Henschel 2001<br />

31 (selbständige Quelle)<br />

Joseph Bullman, The Secret Lives – <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong>, TV, London: Chanel 4 1995<br />

32 (selbstständige Quelle)<br />

Bob Thomas; Peter Schad (Übers.), <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> – <strong>Die</strong> Original-Biographie, München: Ehapa 1986<br />

33 (selbständige Quelle)<br />

Joseph Bullman, The Secret Lives – <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong>, TV, London: Chanel 4 1995<br />

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! Michael Car<br />

sonderte ihn <strong>von</strong> den anderen Anim<strong>at</strong>oren ab. Babbitt musste schließlich zur Marine<br />

gehen, um in der Zeit der Propagandafilme weiterarbeiten zu können. 34<br />

Emotional angegriffen sah <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> die Kommunisten als Ursache des Streiks, obwohl<br />

keiner seiner Angestellte je Mitglied einer kommunistischen Partei war. 35 <strong>Disney</strong> gab 1947<br />

vor dem House of Un-American Activities die Namen einzelnen Streikenden als<br />

Kommunisten bekannt, 36 ein besonders asoziales Verhalten, da den Beschuldigten ein<br />

Arbeitsverbot drohen konnte. J. Edgar Hoover gab <strong>Disney</strong> anschließend den Posten eines<br />

Special Agent in Charge. <strong>Disney</strong> sollte dem FBI über mögliche kommunistische Aktivitäten<br />

in Hollywood berichten <strong>und</strong> t<strong>at</strong> dies auch ausgiebig, was eine Reihe an Akten bezeugt, die<br />

jedoch komplett geschwärzt wurden. 37<br />

<strong>Disney</strong> nach seinem Tod. Wie kommt es zur <strong>Disney</strong> Renaissance?<br />

Enttäuscht <strong>von</strong> seinen streikenden Zeichnern wandte sich <strong>Disney</strong> nach dem Streik immer<br />

mehr <strong>von</strong> den Anim<strong>at</strong>ionsfilmen ab, da andere Projekte, wie <strong>Disney</strong>land, ein stärkeres<br />

Interesse bei ihm hervorriefen. Das erste Goldene Zeitalter der DACs war schon nach dem<br />

Film Bambi, 1942, vorbei. 38 Eine neue Glanzzeit gab es erst 1950 mit Cinderella <strong>und</strong><br />

schließlich wohl den stilistischen Höhepunkt aller DACs 1959 mit Sleeping Beauty.<br />

Bemerkenswerterweise zeigt sich bei letzterem die geringere Bedeutung <strong>Disney</strong>s<br />

künstlerischen Kontrolle, da er das stilisierte Konzept <strong>von</strong> Eyvind Earle, 39 das an<br />

34 (selbstständige Quelle)<br />

Anreas Pl<strong>at</strong>thaus, Von Mann & Maus – <strong>Die</strong> Welt des <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong>, Berlin: Henschel 2001<br />

35 (selbständige Quelle)<br />

Joseph Bullman, The Secret Lives – <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong>, TV, London: Chanel 4 1995<br />

36 (Internetquelle)<br />

The Testimony of <strong>Walt</strong>er E. <strong>Disney</strong> Before the House Committee on Un-American Activities<br />

http://filmtv.eserver.org/disney-huac-testimony.txt<br />

(31. Mai 2011)<br />

37 (selbständige Quelle)<br />

Joseph Bullman, The Secret Lives – <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong>, TV, London: Chanel 4 1995<br />

38 (sebstständige Quelle)<br />

Jeff Kurtti, The Art of The Princess and the Frog, San Francisco: Chronicle Books 2009<br />

39 (Internetquelle)<br />

The Art of <strong>Disney</strong> Anim<strong>at</strong>ion – Les coulisses des productions <strong>Disney</strong>-Pixar<br />

http://artofdisney.canalblog.com/archives/la_belle_au_bois_dormant/index.html<br />

(30. Jänner 2011)<br />

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! Michael Car<br />

mittelalterliche Wandteppiche angelehnt ist, im Nachhinein zu eckig für seinen Geschmack<br />

fand <strong>und</strong> eine menschliche Tiefe vermisste. 40 (Abb. 4)<br />

The Jungle Book war der letzte Zeichentrickfilm, bei dem <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> aktiv beteiligt war.<br />

1966 starb er an Lungenkrebs. In der Zeit danach verloren die Filme immer mehr an<br />

Qualität <strong>und</strong> versanken teilweise in oberflächlicher Unterhaltung. In den 1980er Jahren<br />

startete die neue Gener<strong>at</strong>ion an <strong>Disney</strong> Anim<strong>at</strong>oren einen Versuch der Revitalisierung <strong>von</strong><br />

DACs. Typische <strong>Disney</strong> Elemente <strong>und</strong> Tabus sollten gesprengt werden. Black Cauldron,<br />

der Film der dabei herauskam, lässt jegliche Gesangsnummern aus, zeigte ursprünglich<br />

eine angedeutete Nacktszene <strong>und</strong> beinhaltet erschreckende Zombie Skelette mit<br />

herunterhängenden Hautfetzen. Jeffrey K<strong>at</strong>zenberg, der gerade ohne Erfahrung die<br />

Leitung der Anim<strong>at</strong>ionsabteilung übernommen h<strong>at</strong>te, ließ erstmals in der Geschichte der<br />

DACs fertig animiertes M<strong>at</strong>erial schneiden. <strong>Die</strong>ser Vorgang gilt deshalb als Tabu, weil oft<br />

Mon<strong>at</strong>e Arbeit in einer solchen Sequenz stecken. So wurden die für ungeeignet<br />

empf<strong>und</strong>enen Elemente entfernt. 41<br />

Mit dem Engagement des Komponisten <strong>und</strong> Texter Duos Alan Menken <strong>und</strong> Howard<br />

Ashman begann 1989 die sogenannte <strong>Disney</strong> Renaissance mit dem Film The Little<br />

Mermaid. Besonders Broadway Schreiber Ashman war es ein Anliegen, die r<strong>und</strong>e Qualität<br />

der ersten DACs wiederzubeleben.<br />

Mit Menken <strong>und</strong> Ashman rückte erneut die Musik in den Mittelpunkt. <strong>Die</strong> Leiter der<br />

Anim<strong>at</strong>ionsabteilung erkannten Ashmans Talent <strong>und</strong> ließen ihn zuerst mit seinen Liedern<br />

die Handlung aufbauen, die Figuren charakterisieren, bevor sie diese Elemente selbst<br />

weiter ausfeilten. Der Broadwaycharakter, der aus diesem Vorgang entstand, sprach auch<br />

wieder mehr Erwachsene an. Beauty and the Beast <strong>von</strong> 1992 wurde beispielsweise in<br />

einer Kritik als das beste Broadwaymusical des Jahres gekürt, mit dem Zus<strong>at</strong>z, obwohl es<br />

nicht am Broadway gespielt wird. 42<br />

The Little Mermaid <strong>und</strong> Beauty and the Beast leiteten eine Reihe an stilistisch ähnlichen<br />

Filmproduktionen ein, die inhaltlich sogar die besten Werke aus <strong>Disney</strong>s Golden Age<br />

übertrafen. The Hunchback of Notre Dame <strong>von</strong> 1996 spricht beispielsweise heikle <strong>und</strong><br />

komplexe Themen an, wie Toleranz <strong>von</strong> Minderheiten (Roma <strong>und</strong> Sinti Them<strong>at</strong>ik),<br />

40 (selbstständige Quelle)<br />

Bob Thomas; Peter Schad (Übers.), <strong>Walt</strong> <strong>Disney</strong> – <strong>Die</strong> Original-Biographie, München: Ehapa 1986<br />

41 (selbständige Quelle)<br />

Don Hahn, Waking Sleeping Beauty, Film, Los Angeles: <strong>Disney</strong> 2009<br />

42 (unselbständige Quelle)<br />

Don Hahn, Beyond Beauty – The Untold Story, in: Beauty and the Beast, Blu-ray, Burbank: <strong>Disney</strong> 2010<br />

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! Michael Car<br />

körperliche Behinderungen (Quasimodo), <strong>und</strong> neurotische, sexuelle Begierde (Frollo).<br />

Besonders die Figur des Frollo zeigt sich als vielschichtigster Bösewicht im ganzen <strong>Disney</strong><br />

Universum. Als einer der wenigen ist Frollo nicht prinzipiell böse. Seine Boshaftigkeit lässt<br />

sich nachvollziehen in seiner fan<strong>at</strong>ischen, falsch ausgelegten Religiosität. Seine Begierde<br />

zu Esmeralda kompensiert er durch ein Klagelied an Maria („Hellfire“), eine Szene die<br />

unglaublich expressiv ausgearbeitet wurde.<br />

Als Kompromiss erscheint in Hunchback auch eine versöhnliche Religiosität in Form des<br />

gutmütigen Erzdiakon. In Victor Hugos Buchvorlage belegt Frollo den Posten des<br />

Erzdiakons, während er in der <strong>Disney</strong> Version lediglich weltlicher Richter ist. 43<br />

The Hunchback of Notre Dame stellt für <strong>Disney</strong> einen bis heute nicht mehr erreichten<br />

künstlerischen Höhepunkt in seiner Gesamtheit als Film dar. Allein die Musik, wofür Alan<br />

Menken mit einem zweiten, erfahrenen Broadwaykomponisten, Stephen Schwartz,<br />

zusammenarbeitete, zeugt <strong>von</strong> einer komplexen Sensibilität die Dram<strong>at</strong>ik der Handlung zu<br />

unterstreichen. Von den Chornummern, die den mittelalterlichen Choral des <strong>Die</strong>s Irae<br />

verarbeiten, über die anspruchsvolle Instrumentalisierung, könnte man meinen, das die<br />

Musik allein reiche, den Zuschauer in seinen Bann zu ziehen. Als einzigen Schwachpunkt<br />

lässt sich die Computeranim<strong>at</strong>ionen nennen, die zwar teils gekonnt eingesetzt wurden<br />

(Glocken, bewegte Gegenstände), jedoch in Form der Massenszenen noch vollkommen<br />

unausgereift waren. Glücklicherweise fallen diese steifen, puppenhaften<br />

Menschenmengen erst auf, wenn man dezidiert darauf hingewiesen wird.<br />

Anfang des neuen Jahrtausends verdrängte schließlich die zuerst nur als Hilfsmittel<br />

konzipierte Computeranim<strong>at</strong>ion (CGI) den handgezeichneten <strong>Disney</strong>anim<strong>at</strong>ionsfilm.<br />

Inhaltlich wechselten diese CGI-Filme zu oberflächlichen Komödien mit durchsichtigen<br />

kommerziellen Str<strong>at</strong>egien. So wurde der Titel des neuesten Films <strong>von</strong> Rapunzel zu<br />

Tangled geändert, aus Angst ein männliches Publikum könne den Kinosälen fernbleiben. 44<br />

43 (selbständige Quelle)<br />

Stephen Rebello, The Art of The Hunchback of Notre Dame, New York: Hyperion 1996<br />

44 (Internetquelle)<br />

Los Angeles Times | <strong>Disney</strong> wrings the pink out of ʻRapunzelʻ<br />

http://herocomplex.l<strong>at</strong>imes.com/2010/03/10/disneys-rapunzel-gets-a-makeover/<br />

(30. Jänner 2011)<br />

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! Michael Car<br />

Bildanhang<br />

Abb. 1: <strong>Die</strong> Multiplankamera<br />

Abb. 2: <strong>Die</strong> Squash and Stretch Technik" Abb. 3: Das Nutzi Land in Der Fuehrerʻs Face<br />

Abb. 4: Eyvind Earle, Konzeptmalereien für Sleeping Beauty<br />

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