SELBSTHILFE: EINE KRAFT, DIE VERBINDET - Wiener ...

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„Ich mache Mut zum Neubeginn“ SCHÄDEL-HIRN-TRAUMA: DIESE DIAGNOSE ÄNDERTE DAS LEBEN VON SIGRID KUNDELA VON GRUND AUF. MIT EINEM BUCH UND DER GRÜNDUNG EINER SELBSTHILFEGRUPPE FAND SIE NEUEN LEBENSMUT. DIESEN WILL SIE AN ANDERE BETROFFENE WEITERGEBEN. Martina Stehrer Spaß muss sein: die Selbsthilfegruppe Schädel-Hirn-Trauma beim Bowling-Nachmittag. Ein Verkehrsunfall im Juni 1992 stellte das Leben von Sigrid Kundela von einer Minute auf die andere auf den Kopf. Die 28-Jährige krachte unverschuldet mit ihrem Auto frontal in ein mit Tempo 130 entgegenkommendes Auto. Kundela überlebte mit einem Schädel-Hirn- Trauma und einer zertrümmerten rechten Stirnhälfte. In einer aufwendigen Operation wurde diese mit Schrauben und Plättchen wiederhergestellt. Doch der Seele hilft keine Operation. Kundela arbeitete als Journalistin, ihre Freizeit verbrachte sie als Trainerin einer Volti- SCHWERPUNKTTHEMA SELBSTHILFE „Der Austausch mit anderen Betroffenen gibt Kraft. Selbsthilfegruppen tragen deshalb wesentlich zur Gesundung bei.“ Sigrid Kundela, Gründerin der Selbsthilfegruppe für Schädel-Hirn-Trauma giergruppe. Der Unfall zog eine schwere Sehbehinderung und weitere Einschränkungen nach sich, die Arbeiten, Reiten und Sport unmöglich machten. Kundela wurde depressiv und nahm 20 Kilo zu. „Ich kam mir völlig nutzlos vor“, erinnert sie sich. Sechs Jahre später kam die Kehrtwende: Ein Arzt und eine Klinische Neuropsychologin brachten sie auf die Idee, ihre Geschichte in einem Buch aufzuarbeiten. Mit der Arbeit an „Mein neues Leben“ und dem Erfolg bekam Kundela neuen Lebensmut. Psychohygiene im Alltag. Zufällig lernte sie die Selbsthilfegruppe für Schädel-Hirn-Trauma in der Klinik Mauer bei Amstetten kennen. Sie beschloss, mit einem Neurologen eine Gruppe für Schädel-Hirn-Trauma-PatientInnen zu gründen. „Ich habe mir damit eine neue Aufgabe geschaffen.“ Seit 1998 organisiert die heutige Pensionistin Treffen mit Vorträgen und zum Erfahrungsaustausch. Die Gruppe bietet aber auch einen Englischkurs, Ausflüge, betreibt Kegeln und Minigolf. Finanziert wird all das über Spenden und aus Verkaufserlösen von Selbstgebasteltem. Sechs Mal im Jahr publiziert die Gründerin außerdem eine Zeitung. Und: Sie berät Betroffene und Ange hörige – sowohl via Telefon als auch im Rehabilitationszentrum Meidling. „Das Leben nach einem Unfall geht weiter“, sagt Kundela mit fester Stimme. Wer wüsste es besser als sie. ● www.shg-sht.at, Tel.0664/323 36 26 Fotos: Lisa Gastager, Corbis, Privat
BRAUCHEN LEUTE MIT LERNSCHWIERIGKEITEN FÜRSPRECHERINNEN ODER BETREUERINNEN? NEIN! SIE KÖNNEN FÜR SICH SELBST SPRECHEN. DIE BEWEGUNG „PEOPLE FIRST“ TRITT DAFÜR EIN. Ruth Ferrari Zuerst kommt stets der Mensch Wenn du glaubst, du seist behindert, dann solltest du dich weiterhin verstecken. Wenn du glaubst, du seist eine Person, dann komm raus und sag es der Welt“, so das Motto von Ray Loomis, einem der Gründer von „People First“, der Selbstvertretungsbewegung von Menschen mit Lernschwierigkeiten. Selbstvertretung bedeutet, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten selbst SprecherInnen für ihre Rechte und ihr gesamtes Leben sein sollen und nicht von BetreuerInnen oder sonstigen FürsprecherInnen vertreten werden wollen. Niemand braucht eine Etikette. „Die ,People First‘-Bewegung soll Menschen mit Lernschwierigkeiten ermächtigen, für ihre Interessen selbst einzutreten, ihre Anliegen in die gesellschaftliche Diskussion einzubringen, gängige Vorurteile abzubauen und einen anderen Blickwickel von Menschen mit Lernschwierigkeiten in der Gesellschaft zu schaffen“, erläutert Mag. a Angelika gesunde stadt – winter 2010 Vötsch-Rosenauer von der Wiener Gesundheitsförderung. Doch wie kam es dazu? Ein Blick zurück: In den 70er-Jahren wurden in den USA und Kanada die ersten Treffen für Menschen mit sogenannter „geistiger Behinderung“ organisiert. 1974 verwehrten sich in Oregon die Beteiligten gemäß dem Slogan „Etiketten sind für Dosen, nicht für Menschen“ dagegen, weiter als geistig behindert bezeichnet zu werden. Sie nannten sich „People First“, um zu demonstrieren, dass auch Menschen mit Lernschwierigkeiten in erster Linie Menschen sind und ihre Beeinträchtigung erst an zweiter Stelle kommt. Über Großbritannien und Schweden kam die Idee nach Mitteleuropa. „Die Bewegung ist heute überall aktiv und offen für alle, die mitwirken wollen, Barrieren in der Umwelt abzuschaffen“, erklärt Mag. Oliver Koenig vom Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien. „Denn Betroffene wollen nicht nur selbstbestimmt wohnen, für ihre Arbeit gerecht entlohnt werden und sich überall selbst vertreten, sondern sie fordern auch eine leichtere Sprache.“ Gemein- SCHWERPUNKTTHEMA SELBSTHILFE „Durch meine Teilnahme in der Gruppe fühle ich mich nicht mehr alleine. Gemeinsam können wir viel erreichen.“ Christine Schilling, Mitglied von „Vienna People First“ sam mit UnterstützerInnen bringen sie deshalb ihre Anliegen durch Vorträge in Bildungs- und Behinderteneinrichtungen an die Öffentlichkeit. Menschenrechte werden umgesetzt. Auch in Österreich gibt es mit der Plattform „Netzwerk Selbstvertretung Österreich“ eine „People First“-Bewegung – in Wien sind zwei Gruppen aktiv: „Vienna People First“ und die „Selbstvertreter der Lebenshilfe“. Und was sagen die Mitglieder? Christine Schilling von „Vienna People First“ berichtet: „Die Gruppe gibt mir die Möglichkeit, dass ich nicht alleine bin. Gemeinsam können wir mehr erreichen – vor allem auch politisch!“ ● www.selbstbestimmt-leben.net/wibs www.viennapeoplefirst-gaw.at 15
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