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Testwerkstatt: Alternative Aufgabentypen entwickeln

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Foto: Lutz Pape<br />

STANDARDS<br />

Viele kennen sie aus der Fahrschulprüfung und aus Fernseh-<br />

Shows, aber spätestens seit der PISA-Studie erscheinen<br />

Multiple-Choice-Tests in einem neuen Licht. Können „Mehrfachwahlaufgaben“<br />

so etwas Vielschichtiges wie das Verständnis<br />

eines literarischen Textes angemessen überprüfen?<br />

Im folgenden Beitrag zeigt eine Expertin für Aufgabenentwicklung<br />

Möglichkeiten und Grenzen dieser Testform.<br />

<strong>Testwerkstatt</strong>: <strong>Alternative</strong><br />

<strong>Aufgabentypen</strong> <strong>entwickeln</strong><br />

Iris Winkler<br />

Aufgabenart: Mehrfachwahlaufgaben<br />

und Kurzantwortaufgaben<br />

zu einem literarischen Text<br />

Klassenstufen: 9–10<br />

Kopiervorlagen: 2<br />

Das Konzept der Bildungsstandards<br />

setzt darauf, regelmäßig den<br />

Lernstand der Schülerinnen und<br />

Schüler zu überprüfen. Lehrende<br />

sind also gefordert, den Lernfortschritt<br />

der eigenen Schüler kompetent<br />

zu diagnostizieren. Nur so<br />

sind Informationen über bereits<br />

Erreichtes und noch bestehende<br />

Defizite zu gewinnen und gezielt<br />

Schlussfolgerungen für die weitere<br />

Unterrichtsgestaltung zu ziehen.<br />

Notwendig hierfür sind geeignete<br />

Instrumente zur Leistungsmessung.<br />

Wie aber sehen solche geeigneten<br />

Instrumente aus, um im<br />

Deutschunterricht literarisches<br />

Verstehen zu überprüfen? Dieser<br />

Frage geht der folgende Beitrag<br />

nach, indem er schrittweise die<br />

Entwicklung und Auswertung eines<br />

Textverstehenstests erläutert.<br />

Illustriert werden die Ausführungen<br />

anhand eines Tests zu Arthur<br />

Schnitzlers Parabel „Die grüne<br />

Krawatte“ (Text auf S. 38 in diesem<br />

Heft). Der vorgestellte Test<br />

(s. S. 44/45) ist geeignet für die<br />

9./10. Jahrgangstufe (Mittlerer<br />

Schulabschluss) und wurde<br />

in vier neunten Klassen erprobt.<br />

Testentwicklung –<br />

Was soll überprüft<br />

werden?<br />

Diese Frage gilt es vor Beginn der<br />

Testentwicklung zu klären; denn<br />

welche Aufgaben für einen Test<br />

geeignet sind, hängt wesentlich<br />

auch davon ab, was „gemessen“<br />

werden soll. Hinweise, auf welche<br />

einzelnen Aspekte sich Aufgaben<br />

zur Überprüfung von Leseverstehen<br />

beziehen können, finden sich<br />

in den „Bildungsstandards für den<br />

Mittleren Schulabschluss“ 1 für<br />

das Fach Deutsch im Kompetenzbereich<br />

„Lesen – mit Texten und<br />

Medien umgehen“ (a.a.O., S.<br />

16–18). Damit ein Textverstehenstest<br />

nicht einseitig nur bestimmte<br />

Teilkompetenzen von Lesekompetenz<br />

erfasst, bieten die in der<br />

PISA-Studie unterschiedenen<br />

Teilkompetenzen von Lesekompetenz<br />

– „Informationen ermitteln“,<br />

„Textbezogenes Interpretieren“,<br />

„Reflektieren und Bewerten“<br />

– zusätzlich eine wichtige Hilfestellung<br />

bei der Aufgabenentwicklung<br />

(vgl. Abb. 3). 2 Um eine möglichst<br />

differenzierte Auskunft über<br />

die Lesekompetenz der Lernenden<br />

zu erbringen, muss ein Test<br />

also Aufgaben zu allen drei Teilkompetenzen<br />

enthalten. 3<br />

Aufgabenarten – Wie soll<br />

überprüft werden?<br />

Wenn Schüler in Leistungssituationen<br />

ihr Verständnis literarischer<br />

Texte unter Beweis stellen<br />

sollen, sind sie meistens mit komplexen<br />

Aufgabenstellungen konfrontiert,<br />

die in einem Aufsatz<br />

zu bearbeiten sind. Repräsentativ<br />

für diese verbreitete Praxis sind<br />

nicht zuletzt auch die Aufgabenbeispiele<br />

in den Standards für den<br />

Mittleren Bildungsabschluss. Als<br />

Instrumente zur Überprüfung von<br />

Textverstehen sind diese Aufgabenarten<br />

gleichwohl wenig geeignet.<br />

Dies liegt zuallererst daran,<br />

dass hier der Ausweis der Leseleistung<br />

an die Schreibleistung<br />

gekoppelt und der Test damit<br />

nicht valide ist. 4<br />

Eine sinnvolle <strong>Alternative</strong><br />

bieten vor diesem Hintergrund<br />

Mehrfachwahl- und Kurzantwortaufgaben.<br />

Sie ermöglichen die<br />

Überprüfung jeweils eines relativ<br />

klar bestimmbaren Teilaspekts<br />

von Lesekompetenz und damit<br />

auch eine differenzierte Analyse<br />

der Ergebnisse. Insbesondere bei<br />

Mehrfachwahlaufgaben kommt<br />

als Vorteil hinzu, dass sie schnell<br />

und objektiv auszuwerten sind.<br />

Sie erlauben einen Nachweis der<br />

Leseleistung unabhängig von der<br />

Schreibleistung. Kurzantwortaufgaben<br />

geben im Unterschied zu<br />

globalen Interpretationsaufträgen<br />

den Lernenden einen Orientierungsrahmen<br />

vor, auf welchen<br />

Aspekt zu achten ist. So sind die<br />

Aufgaben auch für leistungsschwächere<br />

Schüler bearbeitbar.<br />

Weder Mehrfachwahl- noch Kurzantwortaufgaben<br />

sind deshalb<br />

40 Deutschunterricht 5 / 2005


zwangsläufig einfache Aufgaben,<br />

wie die Ergebnisse des vorgestellten<br />

Tests zeigen.<br />

Mehrfachwahlaufgaben<br />

formulieren<br />

Bei der Formulierung von Mehrfachwahlaufgaben<br />

sind ein paar<br />

„Faustregeln“ zu beachten. Je<br />

mehr Antworten (Distraktoren)<br />

zur Wahl gestellt werden, desto<br />

geringer ist die Gefahr, dass die<br />

richtige Antwort nur durch Zufall<br />

angekreuzt wird. Im Test zu<br />

Schnitzlers „Krawatte“ wurden<br />

jeweils vier mögliche Antworten<br />

angeboten. Mit dieser Zahl erreicht<br />

man bereits eine recht geringe<br />

Zufallswahrscheinlichkeit.<br />

Gleichzeitig bleibt das Problem<br />

lösbar, die nötige Menge gleich<br />

plausibler Distraktoren zu formulieren.<br />

Grundsätzlich gilt, dass<br />

eine Mehrfachwahlaufgabe umso<br />

schwieriger zu lösen ist, je mehr<br />

sich die einzelnen Distraktoren<br />

ähneln. Liegen die Distraktoren<br />

weit auseinander, vereinfacht das<br />

die Aufgabe. Wichtig ist auch,<br />

dass die Distraktoren in derselben<br />

Kategorie liegen. Für Aufgabe 1<br />

bedeutet das etwa, dass alle Distraktoren<br />

eine „Lehre“ formulieren<br />

müssen. Die Antwort „… welche<br />

Bedeutung die grüne Krawatte<br />

im Leben von Herrn Cleophas<br />

hat“ würde z. B. nicht in diese<br />

durch die einführende Frage festgelegte<br />

Kategorie passen. Aufgabe<br />

1, die auf übergeordnetes Textverständnis<br />

zielt, wurde an den Anfang<br />

des Tests gestellt, um für die<br />

folgenden auf verschiedene Einzelaspekte<br />

bezogenen Fragen einen<br />

allgemeinen Verständnisrahmen<br />

vorzugeben, in den die Lernenden<br />

die Detailbeobachtungen<br />

einordnen können. Innerhalb des<br />

gesamten Tests ist die Position der<br />

richtigen Antworten von Aufgabe<br />

zu Aufgabe zu variieren.<br />

Schwierigkeiten<br />

einschätzen<br />

Ein Test sollte wenige sehr schwierige<br />

und sehr einfache Aufgaben<br />

und in der Mehrzahl Aufgaben<br />

mittleren Schwierigkeitsgrades<br />

enthalten. Dies ist erforderlich,<br />

damit die Ergebnisse aussagekräf-<br />

Deutschunterricht 5 / 2005<br />

tig sind. Wenn nämlich sehr viele<br />

Aufgaben so einfach (schwierig)<br />

sind, dass alle (so gut wie keine)<br />

Teilnehmenden sie lösen können,<br />

schneiden alle annähernd gleich<br />

gut (schlecht) ab. Der Test lässt<br />

dann keine Rückschlüsse zu auf<br />

das tatsächliche Leistungsvermögen<br />

der einzelnen Lernenden.<br />

Um den Schwierigkeitsgrad einer<br />

Aufgabe zum Leseverstehen vorab<br />

theoretisch zu bestimmen, sind u. a.<br />

folgende Kriterien nützlich:<br />

● bei Mehrfachwahlaufgaben:<br />

der Ähnlichkeitsgrad der Distraktoren<br />

(s. o.);<br />

● die Anforderungen an das Vorwissen<br />

(speziell, komplex oder<br />

eher allgemein?);<br />

● der Entscheidungsspielraum,<br />

den eine Aufgabe eröffnet<br />

(ist die Zahl der möglichen<br />

Antworten unbegrenzt – auf<br />

wenige reduziert – auf eine<br />

klar bestimmte Information beschränkt?);<br />

● der geforderte Präzisionsgrad<br />

(detaillierte, fokussierende<br />

oder überfliegende Lektüre?);<br />

● der notwendige Integrationsgrad<br />

(sind viele, voneinander<br />

entfernt liegende Informationen<br />

aus dem Text sinnvoll aufeinander<br />

zu beziehen oder wenige<br />

dicht beieinander liegende<br />

Informationen?). 5<br />

Dabei ist das Zusammenspiel der<br />

genannten Einflussfaktoren zu be-<br />

rücksichtigen. So macht ein niedriger<br />

Entscheidungsspielraum<br />

eine Aufgabe noch nicht einfach,<br />

wenn z. B. der geforderte Integrationsgrad<br />

sehr hoch ist (s. Abb. 3).<br />

Aufg. Nr. Standardbezug geforderte vorab eingeschätzter<br />

(vgl. (vgl. Bildungs- Teilkompetenz Schwierigkeitsgrad<br />

Material- standards für den und Begründung<br />

seiten) Mittleren Schulabschluss)<br />

2 wesentliche Elemente Textbezogenes mittel<br />

eines Textes erfassen: Interpretieren (Entscheidungsspielraum<br />

Konliktverlauf (S. 16) gering bis mittel,<br />

Präzisionsgrad mittel,<br />

Integrationsgrad hoch;<br />

weit auseinander liegende<br />

Distraktoren)<br />

7 wesentliche Elemente Informationen mittel<br />

eines Textes erfassen: ermitteln (Entscheidungsspielraum<br />

Figuren (S. 16) gering bis mittel,<br />

Präzisionsgrad mittel<br />

bis hoch, Integrationsgrad<br />

gering; relativ ähnliche<br />

Distraktoren)<br />

9 eigene Deutungen Reflektieren hoch<br />

des Textes <strong>entwickeln</strong>, und Bewerten (Entscheidungsspielraum<br />

am Text belegen (S. 17) hoch, Präzisionsgrad mittel,<br />

Integrationsgrad hoch)<br />

Abb. 3: Aufgaben aus dem Test zum Text von Schnitzler mit einer Einschätzung ihrer Schwierigkeit.<br />

41


STANDARDS<br />

Testauswertung:<br />

Aufgaben überprüfen<br />

Wie sieht die tatsächliche Schwierigkeit<br />

der Aufgaben aus, gemessen<br />

an der Lösungswahrscheinlichkeit<br />

der jeweiligen Aufgabe?<br />

Bestimmt wird die Lösungswahrscheinlichkeit<br />

über den Mittelwert<br />

der aufgetretenen Aufgabenlösungen.<br />

Dazu wird pro Schüler und<br />

Aufgabe jeweils der Wert „1“ für<br />

gelöst, der Wert „0“ für nicht gelöst<br />

vergeben, bei den offenen<br />

Aufgaben „0,5“ für teilweise gelöst<br />

(vgl. Kasten mit Lösungserwartungen).<br />

Einfach ist die Berechnung<br />

mit Statistikprogrammen<br />

wie SPSS, doch auch die Berechnung<br />

mit Taschenrechner ist<br />

problemlos möglich (dazu pro<br />

Aufgabe die Summe der vergebenen<br />

Werte ermitteln und durch<br />

die Anzahl der Schüler dividieren,<br />

die die Aufgabe bearbeitet<br />

haben). 6 Abb. 4 zeigt die auf diese<br />

Weise bestimmten tatsächlichen<br />

Aufgabenschwierigkeiten des<br />

durchgeführten Tests 7 , für die Gesamtstichprobe<br />

und differenziert<br />

nach den Schularten der teilnehmenden<br />

Schüler. So sind die Aufgaben<br />

1 (Lösungswahrscheinlichkeit<br />

33,85%) und 9 (32,31%)<br />

insgesamt die schwierigsten Aufgaben<br />

im Test. Besonders hervorzuheben<br />

ist, dass Aufgabe 1<br />

diesen Schwierigkeitsgrad trotz<br />

der Vorgabe von Antwortmöglichkeiten<br />

erreicht.<br />

Ungeeignete Aufgaben<br />

aufspüren<br />

Die ermittelten Lösungswahrscheinlichkeiten<br />

ermöglichen<br />

auch, untaugliche Aufgaben aufzuspüren.<br />

Für die am Test teilnehmenden<br />

Klassen – Spezialschüler,<br />

„Durchschnitts“-Gymnasiasten<br />

und Regelschüler – sind begründet<br />

verschiedene Leistungsniveaus<br />

anzunehmen. Die „normalen“<br />

Gymnasiasten müssten die Aufgaben<br />

demnach häufiger lösen können<br />

als die Regelschüler, aber weniger<br />

häufig als die hochbegabten<br />

Spezialschüler. Verdächtig sind<br />

also zum einen Aufgaben, bei de-<br />

Mittel- Gesamt- Gymnasium Gymnasium Regelschule<br />

werte stichprobe ‚spezial’ ‚normal’ ‚Realschulzweig’<br />

Aufgabe Nr.<br />

(n = 66) (n1 = 15) (n2 = 35) (n3 = 16)<br />

1 ,3385 ,4667 ,4118 ,0625<br />

2 ,7273 ,8667 ,7714 ,5000<br />

3 ,5234 ,5333 ,6000 ,3214<br />

4 ,8939 1,000 ,9429 ,6875<br />

5 ,8030 1,000 ,8000 ,6250<br />

6 ,4308 ,6667 ,4706 ,1250<br />

7 ,6615 ,9333 ,6765 ,3750<br />

8 ,6462 ,8667 ,6324 ,4688<br />

9 ,3231 ,5000 ,3529 ,0938<br />

10 ,7121 ,7667 ,7000 ,6875<br />

Abb. 4: Bei einer systematischen Testauswertung<br />

geben die Mittelwerte der Testteilnehmer Auskunft<br />

über die Schwierigkeit der Aufgaben. Je niedriger der<br />

Wert, umso schwieriger ist die Aufgabe.<br />

42<br />

nen alle drei Gruppen (innerhalb<br />

einer Lerngruppe: leistungsstärkste<br />

und leistungsschwächste Lernende)<br />

in etwa gleich gut antworten.<br />

Solche Aufgaben differenzieren<br />

zu wenig und wurden deshalb<br />

aus dem Test entfernt. Ebenso<br />

misstrauisch zu betrachten sind<br />

Aufgaben, bei denen die Lernenden<br />

mit dem insgesamt besten<br />

Testergebnis deutlich schlechter<br />

abschneiden als die Lernenden<br />

mit dem insgesamt schlechtesten<br />

Testergebnis. Auch diese Aufgaben<br />

eignen sich offensichtlich<br />

nicht zur Feststellung des tatsächlichen<br />

Leistungsvermögens und<br />

müssen bei einer künftigen Verwendung<br />

des Test weggelassen<br />

oder modifiziert werden. Genauer<br />

zu prüfen sind schließlich auch<br />

Mehrfachwahlaufgaben, bei denen<br />

einzelne Distraktoren überhaupt<br />

nicht gewählt wurden. Diese<br />

Distraktoren sind für die Lernenden<br />

offenbar nicht hinreichend<br />

plausibel und müssen ggf.<br />

ersetzt oder verändert werden.<br />

Schlussfolgerungen für<br />

die Lernenden ziehen<br />

Wie lässt sich ein solcher Test für<br />

die weitere Unterrichtsplanung<br />

und die Förderung der Lernenden<br />

nutzen? Hierzu ist es nötig, die<br />

Ergebnisse noch etwas genauer zu<br />

betrachten und z. B. zu erheben,<br />

wie häufig welche Antwortmöglichkeiten<br />

gewählt wurden. Für<br />

die Aufgaben 5 und 7 ergibt sich<br />

dabei folgendes Bild: Sechs von<br />

sechzehn Regelschülern wählen<br />

Antwort 5a und 5b, ein Viertel<br />

der Regelschüler/innen kreuzt<br />

Antwort 7a an. Damit offenbaren<br />

diese Lernenden deutliche Defizite<br />

im Wortschatzwissen. „Gemein“<br />

verstehen sie im Sinne von<br />

„fies“, „unangenehm“; „erlauben“<br />

hat für sie mit „dürfen“ zu tun.<br />

Hier bestehen also allem Anschein<br />

nach ganz grundlegende<br />

Hürden für das Verstehen literarischer<br />

Texte. Eine Konsequenz aus<br />

dem Ergebnis könnte gezielte<br />

Wortschatzarbeit sein (Wortfelder<br />

bilden, Synonyme finden, mit Stilebenen<br />

experimentieren).<br />

Interessant ist auch die Beobachtung,<br />

dass die meisten Lernenden<br />

offensichtlich die eigene Lebenswirklichkeit<br />

mit der literarischen<br />

Wirklichkeit identifizieren.<br />

Nur so erklärt sich u. a., dass bei<br />

Aufgabe 1 die Antworten b, c und<br />

d für die Mehrzahl der Schülerinnen<br />

und Schüler wählbar waren.<br />

Diese Distraktoren bieten Antworten<br />

an, die verstärkt die eigenen<br />

Erfahrungen der Lernenden<br />

widerspiegeln. Die Ergebnisse zu<br />

Aufgabe 10 stützen gleichfalls die<br />

angeführte These. Diese Aufgabe<br />

konnte unabhängig von der Wahl<br />

der Antwortmöglichkeit a oder b<br />

gelöst werden. Maßgeblich war<br />

die Qualität der Begründung (vgl.<br />

Kasten). Die meisten Teilnehmenden<br />

entschieden sich für Antwort<br />

a. Diejenigen, die a gewählt haben,<br />

begründen diese Wahl zum<br />

Deutschunterricht 5 / 2005


überwiegenden Teil aus pragmatisch-lebensweltlicher<br />

Perspektive<br />

und ohne Bewusstsein für die Gestaltung<br />

des literarischen Textes,<br />

z. B.: Cleophas sei schließlich unschuldig,<br />

oder: diese Leute, die C.<br />

helfen, hätten Mitleid mit ihm.<br />

Für alle an der Erprobung des<br />

Tests teilnehmenden Klassen erscheint<br />

es demnach sinnvoll, im<br />

Unterricht das Konzept von Literatur/literarischer<br />

Wirklichkeit zu<br />

thematisieren.<br />

✒<br />

Erwartete Lösungen für den Test auf Seite 45<br />

1) Mehrfachwahlaufgaben<br />

1a, 2d, 4b, 5c, 6b, 7d<br />

2) Kurzantwortaufgaben<br />

Aufgabe 3 „Raumgestaltung“<br />

Vollständige Lösung („1“): Es wird erwartet, dass die Korrespondenz<br />

zwischen der gegebenen Information (zurückgezogen<br />

oder nah der Stadt oder evtl. auch „Haus“ für reich,<br />

wohlhabend) und der Sonder-/Außenseiterstellung Cleophas‘<br />

erkannt wird und dieser Zusammenhang mit Bezug auf den<br />

Konfliktverlauf begründet wird.<br />

Teilweise gelöst („0,5“): Hinweis auf Sonder-/Außenseiterstellung/Isolation<br />

wird erkannt, aber es fehlt die Begründung/Erläuterung<br />

mit Bezug auf den Konfliktverlauf.<br />

Nicht gelöst („0“): wörtl. Wiedergabe, Paraphrase, fehlender<br />

Bezug zur gegebenen Information, Allgemeinplatz („soll über<br />

die Lebensumstände von C. informieren“ o. Ä.)<br />

Aufgabe 8 „Motiv“<br />

Vollständige Lösung (1): Neid plus Begründung; es muss<br />

deutlich werden, dass der Neid daher rührt, dass die Leute<br />

mit den Zwirnsfäden es Cleophas nicht gleich tun können.<br />

Teilweise gelöst (0,5): Neid als Motiv wird erkannt, aber es<br />

fehlt die Begründung/Erläuterung; oder: Hinweis auf den<br />

größeren Wohlstand, gepflegtere Erscheinung des C., aber<br />

fehlende Schlussfolgerung (Neid der Leute wegen fehlender<br />

eigener Möglichkeiten)<br />

Nicht gelöst (0): Paraphrase; falsche Begründung („finden<br />

Zwirnsfäden schöner“ o. Ä.); richtige und falsche Begründung<br />

sind gleichberechtigt nebeneinander genannt; fehlender<br />

Bezug zur Frage.<br />

Aufgabe 9 „Titel“<br />

Für vollständige Lösung (1) wird erwartet,<br />

● dass die Identifikation des Cleophas mit dem äußeren<br />

Merkmal der grünen Krawatte erkannt wird;<br />

Autorin<br />

Dr. Iris Winkler ist Wissenschaftliche Assistentin<br />

am Lehrstuhl für Fachdidaktik Deutsch der<br />

Universität Jena. Kontakt: FSU Jena, Institut<br />

für Germanistische Literaturwissenschaft,<br />

Fürstengraben 18, 07740 Jena<br />

Deutschunterricht 5 / 2005<br />

● dass erkannt wird, dass über dieses Merkmal die Abgrenzung<br />

der Leute von Cleophas erfolgt/dass die grüne Krawatte<br />

der Ansatzpunkt aller Vorurteile gegen Cleophas<br />

ist; Meinungsäußerung („geeigneter Titel, weil …“) muss<br />

zumindest implizit erkennbar sein.<br />

Teilweise Lösung (0,5): Die oben angeführten Aspekte werden<br />

nur z. T. angeführt (Meinungsäußerung plus eine der<br />

beiden Begründungen).<br />

Nicht gelöst (0): Grüne Krawatte wird als Nebensächlichkeit<br />

eingestuft; Bedeutung der Krawatte wird nicht erklärt, sondern<br />

nur angemerkt, dass die Krawatte zentraler Gegenstand<br />

ist; falsche Erklärung.<br />

Aufgabe 10 „Fortsetzung“<br />

Die Bewertung der Lösung erfolgt unabhängig davon, welcher<br />

Distraktor gewählt wurde. Die Begründung der Wahl<br />

gehört unbedingt zur Lösung der Aufgabe.<br />

Für vollständige Lösung (1) wird erwartet:<br />

● stimmiger Zusammenhang zwischen der gewählten Variante<br />

und der Begründung<br />

● Bezugnahme der Begründung auf die Gestaltung des Textes,<br />

ggf. implizit Begründung für die Ablehnung der anderen<br />

Variante; z. B.: zu a) Text mit Lehre; aber es soll keine<br />

negative (Variante b), sondern eine positive Lehre geben;<br />

zu b) Konflikt läuft zwingend auf das Unheil hin, permanente<br />

Steigerung, bisher hat sich keiner der Leute für<br />

C. engagiert; a ist deshalb nicht schlüssig.<br />

Teilweise gelöst (0,5): Die Begründung bezieht sich auf die<br />

Motivation der handelnden Figuren (z. B. „haben Mitleid mit<br />

C.“, „sind wütend auf ihn“) oder den Leserwunsch nach<br />

einem Happy-End/das Gerechtigkeitsempfinden des Lesers<br />

(„C. hat doch gar keine Schuld“), ohne dass der parabolische<br />

Charakter oder die Konfliktgestaltung des Textes berücksichtigt<br />

werden.<br />

Nicht gelöst (0): Keine Begründung; Paraphrase des Distraktors.<br />

ANMERKUNGEN UND LITERATUR<br />

ARTELT, CORDULA/STANAT, PETRA/SCHNEIDER, WOLFGANG/SCHIEFELE, ULRICH/LEHMANN,<br />

RAINER: Die PISA-Studie zur Lesekompetenz: Überblick und weiterführende Analysen.<br />

In: SCHIEFELE, ULRICH/ARTELT, CORDULA/SCHNEIDER, WOLFGANG/STANAT, PETRA:<br />

Struktur, Entwicklung und Förderung von Lesekompetenz. Vertiefende Analysen im Rahmen<br />

von PISA 2000. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2004, S. 139 –168<br />

Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Mittleren Schulabschluss (Jahrgangsstufe 10).<br />

Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 04.12.2003<br />

(www.kmk.org)/schul/Bildungsstandards/Deutsch_MSA_BS_04-12-03.pdf)<br />

BÜHNER, MARKUS: Einführung in die Test- und Fragebogenkonstruktion. München u. a.:<br />

Pearson Studium 2004<br />

KÖSTER, JULIANE: PISA-Aufgaben sind anders. Ein Vergleich mit deutschen Prüfungsaufgaben<br />

und eine Anregung für den Unterricht. In: Praxis Deutsch (2002), H. 176,<br />

abrufbar im Internet unter www.praxis-deutsch.de<br />

1 Abbrufbar im Internet unter www.kmk.org<br />

2 Zum Lesekompetenzmodell von PISA vgl. z. B. ARTELT u. a. (2004), S. 140–144.<br />

Auf das Lesekompetenzmodell von PISA beziehen sich implizit auch die Bildungsstandards<br />

(vgl. z. B. a.a.O., S. 10, 24).<br />

3 Ein Aufgabenbeispiel, das lediglich Anforderungen im Bereich „Informationen ermitteln“<br />

stellt und deshalb als problematisch zu bewerten ist, analysiert Köster (2002).<br />

4 Vgl. ausführlicher Köster (2002).<br />

5 Vgl. ARTELT u. a. (2004), S. 154f.<br />

6 Genauere und doch gut verständliche Informationen zur Bestimmung des Mittelwertes<br />

und Schwierigkeitsindexes finden sich bei Bühner (2003), S. 74, 78/79.<br />

43


44<br />

LEISTUNGSMESSUNG I<br />

COPY<br />

Deutschunterricht<br />

5/2005<br />

Name ____________________________________________________________ Klasse _______________ Datum _________________________<br />

Arthur Schnitzler, „Die grüne Krawatte“ – ein Test zum Leseverstehen<br />

1. Wenn du davon ausgehst, dass hinter dieser Geschichte eine „Lehre“ steckt: Was soll der Text zeigen?<br />

Der Text soll zeigen,<br />

❏ a) wie es zur Ausgrenzung und Verleumdung von Außenseitern kommt.<br />

❏ b) welche Rolle die passende Kleidung für das Ansehen einer Person spielt.<br />

❏ c) welche Folgen es hat, wenn man so tut, als ob man etwas Besseres wäre.<br />

❏ d) dass man es nie allen recht machen kann.<br />

2. Wenn man die Entwicklung des Konfliktes zwischen Cleophas und den Leuten<br />

grafisch darstellen will – welche der folgenden Varianten entspricht am genauesten<br />

dem im Text dargestellten Konfliktverlauf?<br />

a)<br />

c)<br />

Ablehnung Cleophas’ durch die Leute<br />

Ablehnung Cleophas’ durch die Leute<br />

gering hoch<br />

gering hoch<br />

Anfang Zeit<br />

Ende<br />

Anfang Zeit<br />

Ende<br />

3. Im ersten Satz heißt es: „Cleophas wohnte zurückgezogen in seinem Hause nah der Stadt“.<br />

Anfang Zeit<br />

Ende<br />

Wenn du bedenkst, wie die Geschichte weitergeht: Warum ist diese Information für den Leser wichtig?<br />

4. Wofür steht in der Geschichte der Park?<br />

❏ a) Bedürfnis der Menschen nach Erholung ❏ c) Leben in der Natur<br />

❏ b) Öffentlichkeit und Gemeinschaftserleben ❏ d) Bewahrung von Recht und Ordnung<br />

b)<br />

d)<br />

Ablehnung Cleophas’ durch die Leute<br />

Ablehnung Cleophas’ durch die Leute<br />

gering hoch<br />

gering hoch<br />

Anfang Zeit<br />

Ende


LEISTUNGSMESSUNG II<br />

5. Im Text heißt es: „Einige versuchten, es ihm gleichzutun, und legten grüne Krawatten an wie er –<br />

freilich waren sie aus gemeinerem Stoff […]“ (Z. 10).<br />

Welche Erklärung für den unterstrichenen Ausdruck passt?<br />

COPY<br />

Deutschunterricht<br />

5/2005<br />

Die Krawatten der Leute waren<br />

❏ a) aus unangenehm kratzigem Stoff. ❏ c) aus nicht so kostbarem Material.<br />

❏ b) ein Zeichen für schlechten Charakter. ❏ d) von hässlichem Aussehen.<br />

6. Wenn im Text steht „Aber manche waren sehr schlau …“ (Z. 28), bedeutet das,<br />

❏ a) dass diese Leute klüger sind als die anderen.<br />

❏ b) dass diese Leute sich für besonders klug halten.<br />

❏ c) dass diese Leute sich mehr auf ihren Verstand als auf ihre Augen verlassen.<br />

❏ d) dass diese Leute dümmer sind als die anderen.<br />

7. „Besonders gab es eine Gesellschaft von Leuten, der ihre Mittel nichts anderes erlaubten,<br />

als Zwirnsfäden um den Hals zu schlingen.“<br />

Was erfährst du in diesem Teil des Textes (Z. 34–36) über die Leute mit den Zwirnsfäden?<br />

Diese Leute<br />

❏ a) dürfen keine Krawatten tragen. ❏ c) finden Zwirnsfäden schöner als Krawatten.<br />

❏ b) wollen, dass alle Leute Zwirnsfäden tragen. ❏ d) können sich keine Krawatten leisten.<br />

8. Die Leute mit den Zwirnsfäden „hassten überhaupt alle, die Krawatten trugen, und besonders Herrn Cleophas …“<br />

(Z. 40/41). Was ist der Grund für diesen Hass?<br />

9. Der Text trägt den Titel „Die grüne Krawatte“. Findest du, dass das ein passender Titel ist?<br />

Begründe deine Antwort, indem du erklärst, welche Bedeutung die grüne Krawatte in der Geschichte hat.<br />

10. Der Text verrät uns nicht, wie es mit Herrn Cleophas weiter geht.<br />

Wenn du eine Fortsetzung der Geschichte schreiben solltest, welche Variante würdest du wählen?<br />

a) Einige Leute ergreifen Partei für Herrn Cleophas und helfen ihm.<br />

b) Es kommt zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen Herrn Cleophas.<br />

Begründe deine Wahl.<br />

45


5<br />

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LEICHT ODER SCHWER? – SEITE 1<br />

M 1 � Alfred Polgar: Kain und Abel<br />

Abel, wenn er vor den Mordabsichten seines Bruders Kain geflohen<br />

wäre, wäre „Emigrant“ geschimpft worden und hätte<br />

als solcher bittere Unannehmlichkeiten zu erdulden gehabt. Er<br />

wäre sein Leben lang in der Welt herumgelaufen mit dem<br />

Abel-Zeichen auf der Stirn.<br />

Quelle: Klaus Zobel (Hrsg.), Moderne Kurzprosa. Eine Textsammlung<br />

für den Deutschunterricht. Paderborn u. a. 1978 (Schöningh), S. 39<br />

M 2 � Arthur Schnitzler: Die grüne Krawatte<br />

Ein junger Herr namens Cleophas wohnte zurückgezogen in<br />

seinem Hause nah der Stadt. Eines Morgens wandelte ihn die<br />

Lust an, unter Menschen zu gehen. Da kleidete er sich wohlanständig<br />

an wie immer, tat eine grüne Krawatte um und begab<br />

sich in den Park. Die Leute grüßten ihn höflich, fanden, dass<br />

ihm die grüne Krawatte vorzüglich zu Gesicht stehe, und sprachen<br />

durch einige Tage mit viel Anerkennung von der grünen<br />

Krawatte des Herrn Cleophas. Einige versuchten, es ihm gleichzutun,<br />

und legten grüne Krawatten an wie er –<br />

freilich waren sie aus gemeinerem Stoff und ohne<br />

Anmut geknüpft.<br />

Bald darauf machte Herr Cleophas wieder<br />

einen Spaziergang durch den Park, in<br />

einem neuen Gewand, aber mit der gleichen<br />

grünen Krawatte. Da schüttelten<br />

einige bedenklich den Kopf und sagten:<br />

„Schon wieder trägt er die grüne Krawatte<br />

… Er hat wohl keine andere …“ Die etwas<br />

nervöser waren, riefen aus: „Er wird uns noch zur<br />

Verzweiflung bringen mit seiner grünen Krawatte!“<br />

Als Herr Cleophas das nächste Mal unter die<br />

Leute ging, trug er eine blaue Krawatte. Da riefen<br />

einige: „Was für eine Idee, plötzlich mit einer blauen<br />

Krawatte daherzukommen?“ Die Nervöseren<br />

aber riefen laut: „Wir sind gewohnt, ihn mit einer<br />

grünen zu sehen! Wir brauchen es uns nicht gefallen<br />

zu lassen, dass er heute mit einer blauen erscheint!“<br />

Aber manche waren sehr schlau und sagten:<br />

„Ah, uns wird er nicht einreden, dass diese<br />

Krawatte blau ist. Herr Cleophas trägt sie, und daher<br />

ist sie grün.“<br />

Das nächste Mal erschien Herr Cleophas, wohlanständig<br />

gekleidet wie immer, und trug eine Krawatte<br />

vom schönsten Violett. Als man ihn von weitem<br />

kommen sah, riefen die Leute höhnisch aus: „Da kommt<br />

der Herr mit der grünen Krawatte!“<br />

Besonders gab es eine Gesellschaft von Leuten, der ihre<br />

Mittel nichts anderes erlaubten, als Zwirnsfäden um den Hals<br />

zu schlingen. Diese erklärten, dass Zwirnsfäden das Elegan-<br />

COPY<br />

Deutschunterricht<br />

5 / 2005<br />

40 teste und Vornehmste seien, und hassten überhaupt alle, die<br />

Krawatten trugen und besonders Herrn Cleophas, der immer<br />

wohlanständig gekleidet war und schönere und besser geknüpfte<br />

Krawatten trug als irgendeiner. Da schrie einmal der<br />

Lauteste unter diesen Menschen, als er Herrn Cleophas des<br />

45 Weges kommen sah: „Die Herren mit der grünen Krawatte<br />

sind Wüstlinge!“ Herr Cleophas kümmerte sich nicht um ihn<br />

und ging seines Weges.<br />

Als Herr Cleophas das nächste Mal im Park spazieren<br />

ging, schrie der laute Herr mit dem<br />

50 Zwirnsfaden um den Hals: „Die Herren<br />

mit der grünen Krawatte sind Diebe!“<br />

Und manche schrieen mit. Cleophas<br />

zuckte die Achseln und dachte, dass es<br />

mit den Herren, die jetzt grüne Krawat-<br />

55 ten trugen, doch weit gekommen sein<br />

müsste. Als er das dritte Mal wieder kam,<br />

schrie die ganze Menge, allen voran der<br />

laute Herr mit dem Zwirnsfaden um den<br />

Hals: „Die Herren mit der grünen Krawat-<br />

60 te sind Meuchelmörder!“ Da bemerkte<br />

Cleophas, dass viele Augen auf ihn gerichtet<br />

waren. Er erinnerte sich, dass er auch<br />

öfters grüne Krawatten getragen hatte,<br />

trat auf den Gesellen mit dem Zwirnsfaden zu und<br />

65 fragte: „Wen meinen Sie denn eigentlich? Am Ende<br />

mich auch?“ Da erwiderte jener: „Aber, Herr Cleophas,<br />

wie können Sie glauben –? Sie tragen doch<br />

gar keine grüne Krawatte!“ Und er schüttelte ihm<br />

die Hand und versicherte ihn seiner Hochachtung.<br />

70 Cleophas grüßte und ging. Aber als er sich in gemessener<br />

Entfernung befand, klatschte der Mann<br />

mit dem Zwirnsfaden in die Hände und rief: „Seht<br />

ihr, wie er sich getroffen fühlt? Wer darf jetzt noch<br />

daran zweifeln, dass Cleophas ein Wüstling, Dieb und Meu-<br />

75<br />

chelmörder ist?!“<br />

Quelle: Klaus Zobel (Hrsg.), Moderne Kurzprosa. Eine Textsammlung<br />

für den Deutschunterricht. Paderborn u. a. 1978 (Schöningh), S. 40– 41

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