Rechtsgutachten - MBWSV NRW
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ÖPNV-Zukunftskommission <strong>NRW</strong><br />
<strong>Rechtsgutachten</strong><br />
Verfassungsfragen von<br />
Regionalisierungsgesetz / Entflechtungsgesetz<br />
Stand: 17.12.2012
Prof. Dr. Christian Waldhoff<br />
Humboldt-Universität zu Berlin<br />
Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Finanzrecht<br />
Verfassungsfragen von Regionalisierungsgesetz / Entflechtungsgesetz<br />
<strong>Rechtsgutachten</strong> für die ÖPNV-Zukunftskommission Nordrhein-Westfalen<br />
Berlin, 17. Dezember 2012
Gliederung<br />
2<br />
A. Fragestellung und Vorbemerkungen ..........................................................................5<br />
I. Der Gutachtenauftrag und die Gliederung der Ausarbeitung ............................5<br />
II. Hintergrund und Entstehungsgeschichte des Art. 106a GG ...............................5<br />
1. Die Bahnreform und ihre Ziele ................................................................................5<br />
2. Legislationsgeschichte des Art. 106a GG und des Regionalisierungsgesetzes<br />
...................................................................................................................................7<br />
III. Zwischenergebnis: Kongruenz zwischen Grundzielen der Bahnreform und<br />
der Auslegung des Art. 106a GG als Verfassungsgebot ........................................8<br />
1. Interpretatorischer Zusammenhang – methodische Vorüberlegung .....8<br />
2. Auch der Personennahverkehr folgt dem Grundmodell der Bahnreform<br />
.....................................................................................................................................9<br />
B. Gesetzgebungsauftrag des Bundes aus Art. 106a Satz 2 GG .................................9<br />
I. Der organisationsrechtliche Gesetzesvorbehalt mit Zustimmungsvorbehalt<br />
.....................................................................................................................................................11<br />
II. Gesetzgebungskompetenzen als Möglichkeit zur Gesetzgebung – Art. 106a<br />
GG als Gesetzgebungsauftrag ........................................................................................12<br />
III. Die Rolle des Bundes als „Schiedsrichter“ ...............................................................14<br />
1. Das Gebot der Bundestreue / des bundesfreundlichen Verhaltens und<br />
die föderale Gleichheit ..............................................................................................14<br />
2. Als finanzverfassungsrechtliche Besonderheit: Das Konzept des sog.<br />
Maßstäbegesetzes .......................................................................................................17<br />
3. Keine Disposition über Kompetenznormen: Der Bund als „ehrlicher<br />
Makler“ ............................................................................................................................19<br />
V. Zwischenergebnis: Pflicht des Bundes zur Maßstabsbildung im Sinne der<br />
Grundintention der Reform sowie als Mittler zwischen divergierenden Länderinteressen<br />
.................................................................................................................................................20<br />
C. Verfassungsrechtliche Vorgaben für Verteilungsmaßstäbe im Rahmen des<br />
Art. 106a GG .......................................................................................................................21<br />
I. Keine expliziten Verteilungsmaßstäbe in der Norm – kein zwingendes Verteilungssystem<br />
zur regionalen Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs<br />
..........................................................................................................................23<br />
1. Denkbare Systeme / Indikatoren .........................................................................23<br />
2. Die Bedeutung föderaler Gleichheit im vorliegenden Zusammenhang<br />
..............................................................................................................................................25<br />
3. Systemgerechtigkeit als Verfassungspostulat? ..............................................26<br />
4. Grenze: Lediglich allgemeine Verteilungskriterien können verlangt<br />
werden .............................................................................................................................28<br />
II. Art. 106a GG im System des bundesstaatlichen Finanzausgleichs ................29
3<br />
1. Der vierfach gestufte bundesstaatliche Finanzausgleich der Art. 106<br />
und 107 GG ....................................................................................................................29<br />
2. Die Verteilung der (allgemeinen) Finanzierungslast ..................................31<br />
3. Stellung des Art. 106a GG im Stufensystem des Finanzausgleichs und<br />
der Finanzierungslast ...............................................................................................32<br />
III. Die Unterscheidung zwischen dem aufkommensbezogenen allgemeinen<br />
Finanzausgleich und dem bedarfsbezogenen Sonderfall des Art. 106a GG<br />
1. Finanzkraft als zentrale und bedarfsunabhängige Größe des Finanzausgleichs<br />
und ihre Ausnahmen und Durchbrechungen ...........................34<br />
2. Art. 106a GG als grundsätzlich bedarfsbezogene Verteilungsnorm .....35<br />
IV. Anforderungen an eine systemgerechte Ausgestaltung der Verteilungsregel<br />
..............................................................................................................................................36<br />
1. Unterscheidung zwischen der Höhe der Gesamtmittel und dem Verteilungsmodus<br />
...................................................................................................................36<br />
2. Zulässige bzw. unzulässige Kriterien .................................................................38<br />
a) Keine Konterkarierung des Grundanliegens der Gesamtreform der<br />
Verhinderung von Fehlanreizen zwischen Kosten und Nutzen im<br />
ÖPNV – Spannungsverhältnis zwischen dem Erfordernis „objektiver<br />
verkehrswissenschaftlicher Indikatoren“ und einem die Anreizintention<br />
verfehlenden überproportionalen Ausbau der ÖPNV-<br />
Struktur ....................................................................................................................38<br />
b) Begrenzte Relevanz der „Einheitlichkeit“ oder „Gleichwertigkeit der<br />
Lebensverhältnisse im Bundesgebiet für die Finanzierung des öffentlichen<br />
Personennahverkehrs .................................................................40<br />
aa) Herkunft, Hintergrund und verfassungsrechtsdogmatische<br />
Bedeutung ...............................................................................40<br />
bb) Bedeutungslosigkeit für vorliegende Fragestellung ......42<br />
c) Begrenzte Relevanz der Qualifikation als „Daseinsvorsorge“ ..........42<br />
aa) Das Konzept Daseinsvorsorge – Entstehung und Entwicklung<br />
.....................................................................................................42<br />
bb) Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff? .......................................44<br />
(1) Definitionsansätze und Abgrenzungen ..........................44<br />
(2) Diskussion um das Konzept der Daseinsvorsorge ....46<br />
(3) Daseinsvorsorge in der Rechtsprechung ......................48<br />
cc) Zwischenfazit ....................................................................................49<br />
V. Rechtsschutzfragen ............................................................................................................50<br />
VI. Ergebnisse zum Regionalisierungsgesetz und seiner Revision ......................50<br />
D. Verteilungsmaßstäbe zur Fortführung der Kompensationsleistungen des<br />
Bundes gem. Art. 143c GG .............................................................................................53<br />
I. Entstehungsgeschichtlicher Hintergrund von Art. 143c GG ............................53<br />
1. Entwicklung der Mischfinanzierungstatbestände ........................................55<br />
2. Änderungen durch die Föderalismusreform I ................................................58
4<br />
3. Art. 143c GG in diesem Kontext ............................................................................60<br />
a) Auslegung der Norm in der Literatur ..........................................................61<br />
b) Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Art. 143c Abs. 3 Satz 1 GG<br />
.......................................................................................................................................61<br />
II. Abgrenzung zur degressiven Gestaltung in Art. 104b Abs. 2 GG ...................64<br />
III. Zusammenfassung hinsichtlich der Entflechtungsmittel ..................................65<br />
E. Literaturverzeichnis .......................................................................................................66
A. Fragestellung und Vorbemerkungen<br />
I. Der Gutachtenauftrag und die Gliederung der Ausarbeitung<br />
5<br />
Aufgabenstellung vorliegenden Gutachtens ist es, finanzverfassungsrechtliche Vorgaben<br />
für die horizontale Verteilung der Mittel nach dem Bundesregionalisierungsgesetz an-<br />
hand seiner verfassungsrechtlichen Grundlage – Art. 106a GG – herauszuarbeiten. Dabei<br />
gilt es zu untersuchen, welche (aktiven) Pflichten der Bund hinsichtlich des bestehenden<br />
Verteilungsschlüssels hat und ob ein Tätigwerden rechtlich erzwungen werden könnte<br />
(Abschnitte A bis C des Gutachtens).<br />
In einem zweiten Teil ist die Frage der Fortführung der Kompensationsleistungen des<br />
Bundes nach dem Entflechtungsgesetz für den Zeitraum 2014 bis 2019 daraufhin zu<br />
untersuchen, ob diese den Ländern entsprechend des nachgewiesenen Bedarfs zu-<br />
stehen, ob und wie sie begrenzt sind bzw. bis 2019 gekürzt werden müssen bzw. dürfen<br />
(Abschnitt D des Gutachtens).<br />
II. Hintergrund und Entstehungsgeschichte des Art. 106a GG<br />
Mit Art. 106a GG ist eine Norm in das Grundgesetz gelangt, die der Kompromissfindung<br />
bei der Bahnreform 1 auf Verfassungsebene diente. Dieser entstehungsgeschichtliche<br />
Hintergrund steuert die Auslegung bis heute.<br />
1. Die Bahnreform und ihre Ziele<br />
Angeleitet durch – freilich begrenzte – europarechtliche Vorgaben 2 , die Verkehrsdienst-<br />
leistungen als Wirtschaftsgut und nicht als Daseinsvorsorge ansehen, wurde eine<br />
1 Zu Hintergrund und Ablauf in der Konzeption etwa Heinz Dürr, Die Strukturreform der Bahn, in: Blümel<br />
(Hrsg.), Verkehrswegerecht im Wandel, 1994, S. 23 ff.; im Detail etwa Günter Fromm, Die Reorganisation<br />
der Deutschen Bahnen, DVBl. 1994, S. 187 ff.; vgl. insgesamt auch Markus Möstl, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz.<br />
Kommentar, Art. 87e Rdnr. 1 ff. (Kommentierung von November 2006); Hubertus Gersdorf, in: von<br />
Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87e Rdnr. 1 ff.
6<br />
„Staatsdistanz“ des Eisenbahnwesens unter Wechsel der dominierenden Entscheidungs-<br />
rationalität durchgesetzt. Nicht mehr die Verwaltungslogik, sondern ökonomische Krite-<br />
rien sollten das Eisenbahnwesen bestimmen. Dies wurde von Anfang an in der Um-<br />
schreibung der „Zielsetzung“ der Bahnreform des Gesetzentwurfs der Bundesregierung<br />
ausdrücklich ausgesagt: Bei der Bahnreform sollten<br />
- die Führung der bisherigen Bundeseisenbahnen als Wirtschaftsunternehmen in<br />
privat-rechtlicher Form,<br />
- die Übertragung der Aufgaben- und Finanzverantwortung für den Schienenper-<br />
sonennahverkehr der bisherigen Bundeseisenbahnen auf die Länder ...“ 3<br />
verwirklicht werden. Privatrechtliche Organisationsformen mit ihrer kaufmännischen<br />
Wirtschaftsführung dienten der Erreichung und Sicherung dieser Ziele: „Die Rationalität<br />
der Unternehmensziele wird durch die Entscheidungsstruktur der Unternehmensform<br />
abgestützt.“ 4 Kernstück der Bahnreform war mithin eine Organisationsprivatisierung 5 .<br />
Damit kann ein vergleichsweise klares Programm aus dem Kernelement der Bahnver-<br />
fassungsreform, Art. 87e GG, herausgelesen werden: „Wirtschaftlichkeit umgreift die<br />
Gemeinwirtschaftlichkeit gerade nicht. Geboten ist eine kaufmännische Führung. Art.<br />
87e GG bedeutet nicht mehr und nicht weniger als eine Auswechslung der Entschei-<br />
dungsrationalität. Verkehrsdienstleistungen, auch solche der Verkehrsinfrastruktur,<br />
werden als Wirtschaftsgut verstanden, durch dessen Angebot am Markt Gewinne zu er-<br />
zielen sind. Dies beinhaltet nach außen eine Orientierung am Wettbewerb mit anderen<br />
Eisenbahnunternehmen oder anderen Verkehrsträgern, nach innen eine Orientierung<br />
am Unternehmensgewinn.“ Kürzer gefasst: Ziel der Reform war „eine unternehmerische<br />
Bahn mit voller unternehmerischer Verantwortung“ 6. Dabei sollten die (verbleibenden)<br />
„Gemeinwohlaufträge“ das neue Wirtschaftsunternehmen nicht belasten; das privati-<br />
2 Siegfried Magiera, Bundesbahnreform und Europäische Gemeinschaft, in: Blümel (Hrsg.), Verkehrswegerecht<br />
im Wandel, 1994, S. 35 ff.; Markus Möstl, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 87e Rdnr.<br />
38 ff. (Kommentierung von November 2006); Hubertus Gersdorf, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar<br />
zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87e Rdnr. 5 ff.<br />
3 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BRat- DrS 130/93 vom 26.03.1993, S. 1.<br />
4 Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl, Grundpositionen des neuen Eisenbahnverfassungsrechts<br />
(Art. 87e GG), DÖV 1994, S. 577 (580).<br />
5 Robert Uerpmann-Wittzack, Verkehr, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik<br />
Deutschland, Bd. 4, 3. Aufl. 2006, § 89 Rdnr. 42.<br />
6 Beide Zitate Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl, Grundpositionen des neuen Eisenbahnverfassungsrechts<br />
(Art. 87e GG), DÖV 1994, S. 577 (581); ähnlich Günter Fromm, Die Reorganisation der<br />
Deutschen Bahnen, DVBl. 1994, S. 187 (191 und passim); Hubertus Gersdorf, in: von Mangoldt/Klein/Starck,<br />
Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87e Rdnr. 45 ff.
sierte Unternehmen sollte davon entbunden werden 7. Unter dem Schlagwort von der<br />
„Regionalisierung“, definiert als „Zusammenführung von Aufgaben- und Finanzverant-<br />
wortung für den gesamten öffentlichen Personennahverkehr – nach Maßgabe des Lan-<br />
desrechts – auf regionaler Ebene“ 8 , wurde diese Verantwortung den Ländern übertra-<br />
gen. Ökonomisierung und Regionalisierung waren daher zwei Seiten einer Medaille.<br />
2. Legislationsgeschichte des Art. 106a GG und des Regionalisierungsgesetzes<br />
7<br />
Der heutige Art. 106a GG war nicht von Anfang an Teil des Gesetzentwurfs zur Änderung<br />
des Grundgesetzes anlässlich der Bahnreform im Jahr 1993. In der Stellungnahme des<br />
Bundesrats vom 7. Mai 1993 auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 26. März<br />
1993 hin begrüßte die Länderkammer die beabsichtigte Bahnreform grundsätzlich, for-<br />
derte neben anderem jedoch im Hinblick auf die geplante Regionalisierung folgendes:<br />
„Eine Regionalisierung muß sich auf den gesamten öffentlichen Personennahverkehr<br />
– nicht nur auf den Schienenpersonennahverkehr – erstrecken. Sie soll<br />
durch ein umfassendes Regionalisierungsgesetz des Bundes erfolgen. Für die mit<br />
der Regionalisierung verbundenen Lasten ist den Ländern durch gesetzliche Absicherung<br />
der volle Finanzausgleich zu gewähren. Dieser Ausgleich muß für jedes<br />
Land dauerhaft sein, die entstehenden Defizite voll abdecken, der künftigen Kostenentwicklung<br />
angepaßt werden und darüber hinaus bislang unterlassene notwendige<br />
Investitionen umfassen. Der Bundesrat hält hierfür einen dynamisierten<br />
Betrag von rd. 14 Mrd. DM jährlich (Basisjahr 1993) für erforderlich. ... Zur dauerhaften<br />
Sicherung des Kostenausgleichs fordert der Bundesrat die Beteiligung<br />
der Länder am Aufkommen der Mineralölsteuer, die als Gemeinschaftsteuer im<br />
Sinne von Artikel 106 Abs. 3 des Grundgesetzes umgestaltet wird. Diese Einnahmen<br />
der Länder dürfen nicht in den finanzkraftorientierten Länderfinanzausgleich<br />
einbezogen werden. Die Verteilung der Mittel auf die Länder ist sach- und<br />
aufgabengerecht durch ein zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz zu regeln.“ 9<br />
Dies war durch die beteiligten Bundesratsausschüsse vorbereitet worden 10. Diese Ände-<br />
rung der Regelungen über die Gemeinschaftsteuern in Art. 106 Abs. 3 GG wurde später<br />
wieder verworfen. In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses<br />
des Deutschen Bundestages vom 30. November 1993 taucht ein neu einzuführender Art.<br />
7 Vgl. auch Folkert Kiepe, Nahverkehrsregionalisierung für den Bund nicht zum Nulltarif, der städtetag<br />
1992, S. 423.<br />
8 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BRat-DrS 139/93, Begründung, S. 4.<br />
9 Stellungnahme des Bundesrates vom 07.05.1993, DrS 130/93 (Beschluß), S. 2 f.<br />
10 Bundesrat, Empfehlungen der Ausschüsse, DrS 130/1/93 vom 27.04.1993, S. 13 f.
106a GG auf, der bereits vom Finanzausschuss des Bundestags am 24. November 1993<br />
vorgeschlagen worden war 11: „Der neu eingefügte Artikel 106a GG bestimmt, daß die<br />
Länder auf die die Aufgaben- und Finanzverantwortung ab dem 1. Januar 1995 für den<br />
8<br />
Schienenpersonennahverkehr übergeht, ab dem 1. Januar 1995 für den öffentlichen Per-<br />
sonennahverkehr einen Betrag aus dem Steueraufkommen des Bundes erhalten.“ 12 Bei<br />
der konkreten Erläuterung wird dann der (parallele) Entwurf des Regionalisierungsge-<br />
setzes in Bezug genommen: „Der Entwurf des Regionalisierungsgesetzes enthält die in-<br />
soweit maßgeblichen Regelungen. ... Die Mittel werden insbesondere aufgabenbezogen<br />
zur Abdeckung der zusätzlichen Lasten aus dem Schienenpersonennahverkehr in den<br />
einzelnen Ländern geleistet. Im übrigen sind die Mittel für andere Aufgaben im öffentli-<br />
chen Personennahverkehr zu verwenden. Die Nichteinbeziehung in den Finanzkraftaus-<br />
gleich dient dazu, eine Verteilung der Mittel unter den Ländern sicherzustellen, die den<br />
spezifischen Bedarf der einzelnen Länder aus der Übernahme des Schienenpersonen-<br />
nahverkehrs gerecht wird.“ 13 Durch fraktionsübergreifenden Änderungsantrag vom 1.<br />
Dezember 1993 erhielt Art. 106a GG seine jetzige Fassung 14 . Am 2. bzw. 17. Dezember<br />
1993 stimmten Bundestag und Bundesrat jeweils mit verfassungsändernder Mehrheit<br />
dem Entwurf zu.<br />
III. Zwischenergebnis: Kongruenz zwischen Grundzielen der Bahnreform und der<br />
Auslegung des Art. 106a GG als Verfassungsgebot<br />
1. Interpretatorischer Zusammenhang – methodische Vorüberlegung<br />
Für die Fragestellung vorliegenden Gutachtens entscheidend ist vor dem geschilderten<br />
Hintergrund, dass Art. 106a GG nur im Kontext seiner Entstehungsgeschichte interpre-<br />
tiert werden kann. D.h. bei seiner Auslegung ist stets Kongruenz zwischen den Grundzie-<br />
len der Bahnreform und dem Aussagegehalt von Art. 106a GG zu beachten bzw. herzu-<br />
stellen. Stärker als bei allgemeiner gefassten Normen des Verfassungsrechts ist – anders<br />
ausgedrückt – die Interpretation und Anwendung der Norm kontextgebunden. Ein un-<br />
mittelbarer Zusammenhang besteht insoweit mit Art. 87e Abs. 4 und Art. 143a Abs. 3<br />
11 BTag-DrS 12/6280 vom 30.11.1993, S. 5, 7.<br />
12 BTag-DrS 12/6280 vom 30.11.1993, S. 8.<br />
13 Ebd., S. 9.<br />
14 BTag-DrS 12/6311.
9<br />
GG, ein Gesamtzusammenhang darüber hinaus mit der ganzen Bahnreform 15. Dies wird<br />
die nachfolgende Entfaltung des Sinngehalts der Vorschrift steuern.<br />
2. Auch der Personennahverkehr folgt dem Grundmodell der Bahnreform<br />
Auch wenn Art. 87e Abs. 4 Satz 1 GG hinsichtlich des Verkehrsangebots auf dem grund-<br />
sätzlich in die Gewährleistungsverantwortung des Bundes fallenden Schienennetz für<br />
den Schienenpersonennahverkehr eine Ausnahme macht, ist dieser insgesamt nicht aus<br />
der Neukonzeption der Bahnreform ausgenommen. Dies hat mit aller Deutlichkeit Mar-<br />
kus Möstl im führenden Grundgesetz-Kommentar herausgearbeitet: „Im Ausgangspunkt<br />
ist nach hier vertretener Ansicht kein Anhaltspunkt ersichtlich, dass für den Schienen-<br />
personennahverkehr irgendeine Ausnahme von der Grundentscheidung des Art. 87e<br />
zugunsten einer wettbewerblichen Marktöffnung gelten sollte, wie sie ... insbesondere<br />
darin besteht, dass Anbietern, die aus eigener Kraft auf den Markt drängen wollen, die-<br />
ser Marktzutritt nicht verwehrt oder unnötig erschwert werden darf ...“ 16 Auch die<br />
Grundposition der Regionalisierung des Nahverkehrs, dass derjenige bezahlen soll, der<br />
die Dienstleistung „bestellt“, fügt sich – trotz der einfachgesetzlichen Qualifizierung als<br />
„Daseinsvorsorge“ in § 1 RegG – nahtlos in dieses Konzept ein. Im Folgenden wird die<br />
damit herausgestellte Kongruenz zwischen Grundanliegen der Bahnreform einerseits,<br />
der Entfaltung von Pflichten und Maßstäben aus Art. 106a GG andererseits, über die in<br />
der Literatur bisher nur rudimentär entwickelten Ansätze hinaus weiter entfaltet wer-<br />
den.<br />
B. Gesetzgebungsauftrag des Bundes aus Art. 106a Satz 2 GG<br />
15 Vgl. auch Gunnar Folke Schuppert, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar<br />
und Handbuch, Bd. 2, 2002, Art. 106a Rdnr. 9; Peter Michael Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar<br />
zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 106a Rdnr. 1; auch Folkert Kiepe, Die Regionalisierung<br />
des Schienenpersonennahverkehrs und ihre finanziellen Auswirkungen auf die Städte, ZKF 1994, S. 218<br />
(219) zu entsprechenden Interpretationsproblemen „andersherum“, d.h. von Art. 87e GG ausgehend ähnlich<br />
Markus Möstl, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 87e Rdnr. 15, 17, 136 (Kommentierung<br />
von November 2006).<br />
16 In: Maunz/Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 87e Rdnr. 137.
10<br />
Art. 106a GG ist – jenseits der wiederum knappen Kommentierungen – nur sehr wenig<br />
im rechtswissenschaftlichen Schrifttum behandelt worden. Jenseits allgemeiner Darstel-<br />
lungen der seinerzeitigen Bahnreform 17 können im Wesentlichen nur die Beiträge von<br />
Jürgen W. Hidien erwähnt werden 18 . Dort erfahren wir, dass die Norm unbestimmte<br />
Rechtsbegriffe zur Konkretisierung durch den einfachen Gesetzgeber enthalte. „Die Fra-<br />
ge nach den verfassungszulässigen oder -gebotenen Verteilungsmaßstäben kann ledig-<br />
lich zu allgemeinen Verteilungsrichtlinien führen. ... Der dahinterstehende, auch hier<br />
wirksame föderative Grundsatz der Finanzgleichheit bindet den Bund bei seiner Vertei-<br />
lungsaufgabe und verpflichtet ihn, alle Länder formal gleich zu behandeln und nicht aus<br />
politischen oder sachfremden Erwägungen zu diskriminieren. ... Für die anteilsmäßige<br />
Bemessung einer festzusetzenden bestimmten Finanzierung eines Verkehrsleistungsni-<br />
veaus im SPNV und generell im ÖPNV muß der Gesetzgeber im übrigen zuverlässige und<br />
verläßliche objektive Indikatoren zugrunde legen; ...“ 19 Ein Auftrag zur Maßstabsbildung<br />
wird dann wenig später im sachlichen Zusammenhang mit dem Gesetzesvorbehalt in<br />
Art. 106a GG erneut postuliert: „Im Hinblick auf die sensible Verteilungsproblematik und<br />
ihre justizielle Kontrolle sowie zur Sicherung des gliedstaatlichen Zuweisungsanspruchs<br />
wird man allerdings fordern können, daß der Gesetzgeber, auch wenn insoweit kein<br />
‚Ermessen’ ausgeübt wird, die Verteilungs- und Berechnungsmodi im Gesetzgebungsver-<br />
fahren benennt und gegebenenfalls begründet.“ 20 Diese Bemerkungen sind zutreffend,<br />
lösen freilich noch nicht das gestellte Problem. Nicht unwidersprochen bleiben kann<br />
demgegenüber die Vermutung desselben Autors, verfahrensrechtliche Sicherungen<br />
führten dazu, dass die Ausfüllung des Geseztesvorbehalts unproblematisch sei: „Gegen<br />
sachwidrige Bundesingerenzen oder Absprachen sind die Länder in ausreichendem Ma-<br />
ße durch ihre verfahrensrechtliche Beteiligung geschützt.“ 21 Das erscheint zu optimis-<br />
tisch, denn der Bund kann sich entweder mit einem Teil der Länder „verbünden“ oder er<br />
überlässt die Legislation faktisch den Ländern und inthronisiert damit wiederum eine<br />
Ländermehrheit auf Kosten der Interessen einer Minderheit. Derartige Problemkonstel-<br />
lationen sind aus der Konkretisierung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs durch das<br />
17 Die Norm kommt hier nur völlig randständig vor, vgl. Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl,<br />
Grundpositionen des neuen Eisenbahnverfassungrechts (Art. 87e GG); DÖV 1994, S. 577; Jürgen Fromm,<br />
Die Reorganisation der Deutschen Bahn, DVBl. 1994, S. 187; vgl. insgesamt den Band Willi Blümel (Hrsg.),<br />
Verkehrswegerecht im Wandel, 1994.<br />
18 Der spezielle Finanzierungsausgleich gem. Art. 106a GG, DVBl. 1997, S. 595; ferner ders., Der föderative<br />
Finanzierungsausgleich im öffentlichen Personennahverkehr, VR 1997, S. 309 ff.<br />
19 Jürgen W. Hidien, Der spezielle Finanzierungsausgleich gem. Art. 106a GG, DVBl. 1997, S. 595 (600).<br />
20 Ebd., S. 602.<br />
21 Ebd., S. 602.
Finanzausgleichsgesetz – ebenfalls ein zustimmungspflichtiges Bundesgesetz – be-<br />
kannt 22.<br />
11<br />
Auch die Kommentarliteratur, die Art. 106a GG ausnahmslos kommentiert, bringt zu der<br />
im Mittelpunkt des Gutachtens stehenden Frage nur Ansätze einer Lösung. Gunner Folke<br />
Schuppert führt aus, dass das Gesetz in Ausfüllung von Art. 106a S. 2 GG „sowohl die Hö-<br />
he des Ausgleichsbetrages als auch die horizontale Verteilung auf die Länder bestim-<br />
men“ müsse 23 . Helmut Siekmann sieht ausdrücklich eine rechtliche Verpflichtung des<br />
Bundes: „Der Bund ist verpflichtet, nähere Einzelheiten durch zustimmungspflichtiges<br />
Gesetz zu regeln. Vor allem muss die Höhe des Ausgleichsbetrages und seine Verteilung<br />
auf die Länder festgelegt werden.“ 24<br />
I. Der organisationsrechtliche Gesetzesvorbehalt mit Zustimmungsvorbehalt<br />
Verfassungsrechtsdogmatisch handelt es sich bei Art. 106a Satz 2 GG („Das Nähere re-<br />
gelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.“) organkompetenti-<br />
ell um einen organisationsrechtlichen Gesetzesvorbehalt mit Zustimmungspflicht. Orga-<br />
nisationsrechtlich ist der Gesetzesvorbehalt, da er nicht das Staat-Bürger-Verhältnis be-<br />
trifft, sondern den staatlichen Binnenbereich. Die Gesetzesform ist hier unhintergehbar<br />
angeordnet, damit aus der Vergangenheit bekannte, von überzeugenden Stimmen ent-<br />
gegen der nicht konsistenten Ansicht des Bundesverwaltungsgericht 25 für verfassungs-<br />
widrig gehaltenen 26 Praktiken, Verteilungsentscheidungen im Wege von Verwaltungs-<br />
vereinbarungen o.ä. zu treffen, ein für alle Mal ausgeschaltet werden sollten 27 . Die Rati-<br />
22 Allgemein und grundsätzlich zur Konfliktlösungsmechanismen im deutschen Finanzverfassungsrecht<br />
Dirk Hanschel, Konfliktlösung im Bundesstaat, 2012, S. 218 ff.<br />
23 In: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar und Handbuch, Bd. 2, 2002, Art.<br />
106a Rdnr. 11; vgl. demgegenüber Markus Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar,<br />
Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 106a Rdnr. 5: „Es (das Regionalisierungsgesetz; C.W.) regelt die Höhe des<br />
Betrages, der trotz der Zweckbindung verfassungsrechtlich nicht vorgegeben ist, den der Bund aber nicht<br />
ohne Zustimmung des Bundesrates von seinem im Zeitpunkt der Einfügung des Art. 106a in das GG bereits<br />
ausgehandelten Niveau herabsetzen kann, und weiter seine Verteilung auf die einzelnen Länder, die<br />
sich im verfassungsrechtlichen Rahmen des föderalen Gleichheitssatzes halten muss.“, der mehr vom<br />
RegG berichtet, als eine verfassungsrechtliche Pflicht sieht.<br />
24 In: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 106a Rdnr. 10.<br />
25 BVerwGE 81, 312.<br />
26 Vgl. etwa Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 106a Rdnr. 1.<br />
27 Vgl. insofern ganz parallel für den bundesstaatlichen Finanzausgleich BVerfGE 101, 158 (218 f.).
12<br />
onalität und die Publizität, die nur das förmliche Gesetzgebungsverfahren schaffen kann,<br />
sollen damit für die Verteilungsentscheidung fruchtbar gemacht werden.<br />
Zugleich handelt es sich verbandskompetentiell 28 um die Anordnung einer ausschließli-<br />
chen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, wie sich aus der Verwendung des Wortes<br />
„Bundesgesetz“ in Art. 106a Satz 2 GG ergibt 29. Diese Verbandszuständigkeit war schon<br />
wegen der Regelvermutung der Art. 30 und 70 Abs. 1 GG hier außerhalb der Zuständig-<br />
keitskataloge der Art. 73 und 74 GG im Grundgesetz selbst zu positivieren, damit der<br />
Bund überhaupt tätig werden kann.<br />
II. Gesetzgebungskompetenzen als Möglichkeit zur Gesetzgebung – Art. 106a GG<br />
als Gesetzgebungsauftrag<br />
„Die Kompetenznorm als solche enthält nur die Ermächtigung zum Handeln, nicht die<br />
Verpflichtung. Sie hat lediglich hypothetischen Charakter.“ 30 Die Einräumung von Ge-<br />
setzgebungskompetenzen in einer Verfassung eröffnen die Möglichkeit der begünstigten<br />
staatlichen Ebene, legiferierend tätig zu werden 31 . Normalerweise ist damit keine Pflicht<br />
zum Erlass eines Gesetzes verbunden, sondern die Frage dem politischen Ermessen des<br />
Ermächtigten anheimgegeben 32, auch wenn die Erfahrung zeigt und herrschaftssoziolo-<br />
gische Kenntnisse es nahelegen, dass derjenige, dem eine solche Kompetenz eingeräumt<br />
ist, davon regelmäßig auch Gebrauch machen wird, denn es geht letztlich immer um<br />
Machtausübung i.w.S. Die volle und teilweise übermäßige Ausschöpfung der konkurrie-<br />
28 Zu der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Verbands- und Organkompetenz Josef Isensee, Die<br />
bundesstaatliche Kompetenz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik<br />
Deutschland, Bd. 6, 3. Aufl. 2008, § 133 Rdnr. 22 f.<br />
29 Ausdrücklich Arnd Uhle, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 70 Rdnr. 58 (Kommentierung<br />
von Oktober 2008). Nur durch einen solchen Zusatz erstarkt ein grundgesetzlicher Gesetzesvorbehalt zur<br />
Zuständigkeitszuweisung, vgl. Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl.<br />
2011, Art. 70 Rdnr. 12.<br />
30 Josef Isensee, Die bundesstaatliche Kompetenz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts<br />
der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6, 3. Aufl. 2008, § 133 Rdnr. 35.<br />
31 Christoph Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 70 Rdnr. 63; Rüdiger<br />
Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz. Kommentar, 12. Aufl. 2011, Vorb. v. Art.<br />
70 Rdnr. 10a.<br />
32 Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des<br />
Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6, 3. Aufl. 2008, § 135 Rdnr. 12.
13<br />
renden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach den Art. 72, 74 GG bilden den besten<br />
Beleg, für diese Tatsache 33.<br />
Auf der Ebene der Verfassungsrechtsdogmatik steigert sich die Einräumung der Mög-<br />
lichkeit zur Gesetzgebung zur Verpflichtung, wenn ein echter Gesetzgebungsauftrag dem<br />
Grundgesetz entnommen werden kann. Solche Gesetzgebungsaufträge sind freilich sehr<br />
selten; der Auftrag der Gleichstellung der „unehelichen“ Kinder in Art. 6 Abs. 5 GG stellt<br />
ein bekanntes Beispiel dar 34.<br />
Unterhalb derart expliziter Gesetzgebungsaufträge wird man freilich eine Gruppe von<br />
staatsorganisationsrechtlichen Gesetzen anerkennen müssen, die notwendig sind, um<br />
im Grundgesetz vorgesehene Funktionen auszuüben. Sprachlich kommt das insbesonde-<br />
re durch eine Formulierung wie „das Nähere regelt ein Bundesgesetz“ zum Ausdruck 35.<br />
Das Finanzausgleichsgesetz (FAG), das in Art. 106 Abs. 3 und 4 sowie Art. 107 Abs. 1 und<br />
2 GG angesprochen ist, zählt etwa dazu, denn ohne ein derartiges Gesetz könnte der Ver-<br />
fassungsauftrag zum bundesstaatlichen Finanzausgleich nicht durchgeführt werden 36 .<br />
Auch die Existenz eines Umsatzsteuergesetzes ist – jenseits der unionsrechtlichen Vor-<br />
gaben – zwingend, denn sonst könnte das bewegliche Element in der Steuerertragsauf-<br />
teilung zwischen Bund und Ländern gem. Art. 106 Abs. 3 und 4 GG nicht funktionieren 37 .<br />
Oben wurde herausgearbeitet, dass Art. 106a GG nur im Zusammenhang mit der Bahn-<br />
reform insgesamt interpretiert werden kann. Schon daraus kann eine entsprechende<br />
Pflicht zum Erlass eines Regionalisierungsgesetzes hergeleitet werden. Die Länder hät-<br />
ten, wie die Gesetzgebungsgeschichte zeigt, dem Gesamtkompromiss ohne die Über-<br />
nahme der Regionalisierungszuschüsse durch den Bund niemals zugestimmt. Sprachlich<br />
wird dies durch die Formulierung „Das Nähere regelt ein Bundesgesetz“ zum Ausdruck<br />
gebracht, wobei das Wort „regelt“ hier tatsächlich als Gesetzgebungsbefehl mit Verfas-<br />
sungskraft anzusehen ist. Das wird in der Kommentarliteratur, soweit ersichtlich, nir-<br />
33 Vgl. nur Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz. Kommentar, 12. Aufl.<br />
2011, Vorb. v. Art. 70 Rdnr. 2.<br />
34 BVerfGE 84, 168 (185); 118, 45 (62); insgesamt Josef Isensee, Die bundesstaatliche Kompetenz, in:<br />
ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6, 3. Aufl. 2008, §<br />
133 Rdnr. 56.<br />
35 Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz. Kommentar, 12. Aufl. 2011,<br />
Vorb. v. Art. 70 Rdnr. 10b.<br />
36 BVerfGE 101, 158 (215): Regelungsauftrag an den Gesetzgeber.<br />
37 Indirekt so wohl auch BVerfGE 101, 158 (215).
gendwo explizit ausgesprochen 38, erfolgt aber zwingend aus der Interpretation der<br />
Norm.<br />
14<br />
III. Die Rolle des Bundes als „Schiedsrichter“<br />
Die Interpretation des Gesetzesvorbehalts in Art. 106a Satz 2 GG als Verfassungsauftrag<br />
zur Gesetzgebung im Sinne der Norm zieht für den Bund Folgerungen nach sich. „Der<br />
Bund“ hat das Gesetzesinitiativrecht im Rahmen, den Art. 76 GG zur Verfügung stellt, zu<br />
ergreifen; faktisch wird dies wegen der Komplexität auf ein Tätigwerden der Bundesre-<br />
gierung hinauslaufen müssen. Allein daraus folgt die Pflicht, mit einem ausgearbeiteten<br />
und begründeten Gesetzesvorschlag seitens des Bundes voranzuschreiten.<br />
Im Folgenden geht es um weiterreichende Folgerungen. Der Logik eines zustimmungs-<br />
pflichtigen Bundesgesetzes entspricht es, dass der Bund von Anfang an die Möglichkei-<br />
ten einer Mehrheit im Bundesrat in seine Überlegungen und in sein Tätigwerden einbe-<br />
zieht. Dies geht angesichts der Tatsache, dass es sich um einen Gesetzgebungsauftrag<br />
handelt, über rein formale Anforderungen hinaus. Daraus sind – wie gleich zu zeigen<br />
sein wird – Verhandlungsaufträge, substantielle Bemühenslasten u.ä. herzuleiten 39 .<br />
1. Das Gebot der Bundestreue / des bundesfreundlichen Verhaltens und die föderale<br />
Gleichheit<br />
Die angedeutete Pflicht des Bundes folgt aus dem Gebot der Bundestreue, auch Gebot<br />
bundesfreundlichen Verhaltens genannt 40 . Die Bundestreue bindet Bund und Länder<br />
gleichermaßen, in sämtliche Richtungen: Bund-Länder; Länder-Bund; Länder unterei-<br />
nander. Ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass die Bundesglieder in ihrem Verhältnis zu-<br />
einander zusammenwirken sollen, um ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung gerecht<br />
38 Vgl. allgemein jedoch Rüdiger Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Grundgesetz. Kommentar,<br />
12. Aufl. 2011, Vorb. z. Art. 70 Rdnr. 10b.<br />
39 Weitgehend unergiebig in Bezug auf die Lösung finanzverfassungsrechtlicher Konflikte durch Verhandlungen<br />
leider Dirk Hanschel, Konfliktlösung im Bundesstaat, 2012, S. 289 ff.<br />
40 Grundlegend und umfassend Hartmut Bauer, Die Bundestreue, 1992.
15<br />
zu werden 41. Die Bundestreue als ungeschriebener Rechtssatz des Bundesstaatsrechts<br />
modelliert dabei anderweitig bestehende bundesstaatliche Verpflichtungen; anders ge-<br />
wendet: der Grundsatz ist akzessorisch, schafft nicht selbst Rechte und Pflichten, son-<br />
dern steuert die Ausübung solcher. Schon in einer sehr frühen Entscheidung wurde die<br />
bereits im Bismarckreich, v.a. durch Rudolf Smend entwickelte Kategorie, auch auf das<br />
Grundgesetz angewendet, wenn das Gericht ausführte, dass alle „an dem verfassungs-<br />
rechtlichen ‚Bündnis’ Beteiligten“ gehalten seien, „dem Wesen dieses Bündnisses ent-<br />
sprechend zusammenzuwirken und zu seiner Festigung und Wahrung seiner und der<br />
wohlverstandenen Belange seiner Glieder beizutragen“ 42. Schon Smend hatte die Bun-<br />
destreue als Vehikel entwickelt, gegen eine rein formale Einhaltung von bundesstaatli-<br />
chen Pflichten vorgehen zu können 43. Auf der anderen Seite kann die Bundestreue nicht<br />
zu einer vollständigen Verrechtlichung des Bund-Länder-Verhältnisses führen, müssen<br />
auch politische Gestaltungsspielräume offen gehalten werden 44 .<br />
Einer dieser nach dem Ausgeführten notwendigen Ansatzpunkte für vorliegend zu be-<br />
gutachtende Fragestellung ist das ebenfalls aus dem Bundesstaatsprinzip in Verbindung<br />
mit dem grundrechtlichen bzw. rechtsstaatlichen Willkürverbot hergeleitete 45 Postulat<br />
föderaler Gleichheit 46 . Dieses besitzt einerseits eine inhaltliche Dimension; darauf wird<br />
unten zurückzukommen sein 47 . Es besitzt jedoch auch eine verfahrensrechtliche Dimen-<br />
sion 48. Jenseits von – seltenen – Einstimmigkeitssituationen hat Josef Isensee dies mit<br />
Hilfe der Verfassungsgerichtsjudikatur in Anforderungen an Verhandlungen und Verfah-<br />
ren entfaltet:<br />
„Das Bundesverfassungsgericht sieht ... als Entsprechung zum bundesstaatlichen<br />
Prinzip ‚die verfassungsrechtliche Pflicht, daß die Glieder des Bundes sowohl einander<br />
als auch dem größeren Ganzen und der Bund den Gliedern die Treue halten und<br />
sich verständigen’. Diese Pflicht zur Verständigung wirkt zwar nicht so automatisch<br />
wie das demokratische Mehrheitsprinzip. Sie ist jedoch ‚stark genug, um die not-<br />
41 Peter Badura, Staatsrecht, 5. Aufl. 2012, Rdnr. D 86.<br />
42 BVerfGE 1, 299 (315).<br />
43 Vgl. etwa Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus unter dem Grundgesetz, in: ders./Kirchhof<br />
(Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6, 3. Aufl. 2008, § 126 Rdnr. 161.<br />
44 Zu Recht Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaat, 1998, S. 484 f.<br />
45 BVerfGE 72, 330 (404): „Aus dem Bundesstaatsprinzip und dem allgemeinen Gleichheitssatz folgt ... ein<br />
föderatives Gleichbehandlungsgebot für den Bund im Verhältnis zu den Ländern.“ Auführlich zur Herleitung<br />
Markus C.F. Pleyer, Föderative Gleichheit, 2005, S. 238 ff. m.w.N.<br />
46 Zum Zusammenhang zwischen Bundestreue und föderaler Gleichheit Sigrid Boysen, Gleichheit im Bundesstaat,<br />
2005, S. 215 ff.; Markus C.F. Pleyer, Föderative Gleichheit, 2005, S. 246 unter öfter.<br />
47 Vgl. unten unter C I 2.<br />
48 Bereits in Verbindung mit der Bundestreue BVerfGE 12, 205 (255 f.) – erstes Fernsehurteil.
16<br />
wendigen gemeinsamen Entscheidungen sachgerecht herbeizuführen’. Die Erwartung,<br />
daß auch über die föderale Einstimmigkeit die notwendige Entscheidungseinheit<br />
erreicht werden kann, wird rechtlich abgesichert durch konkrete Direktiven, die<br />
sich aus der bundesstaatlichen Gleichheit ergeben. Dazu gehören<br />
- Verhandlungsbereitschaft jedes bundesstaatlichen Gliedes gegenüber jedem<br />
anderen, das gleichermaßen betroffen ist,<br />
- Fairneß und Sachlichkeit des Procedere,<br />
- Verbot willkürlicher Obstruktion,<br />
- Verbot der mißbräuchlichen Inanspruchnahme von Kompetenzen und Befugnissen,<br />
- Verbot sachwidriger Diskriminierung,<br />
- Vertragstreue,<br />
- Wahrung von Treu und Glauben, insbesondere Vertrauensschutz.“ 49<br />
Diese verfahrensrechtlichen Anforderungen aus dem Grundsatz bundesstaatlicher<br />
Gleichheit in Verbindung mit der Bundestreue wird gerade in Situationen wie der vor-<br />
liegenden aktuell, in dem der Bund – hier sogar kraft Verfassung – in die Rolle des ent-<br />
scheidenden Schiedsrichters gedrängt ist, also sich nicht auf einer Ebene mit den Län-<br />
dern wiederfindet, sondern kraft seines Gesetzgebungsrechts „in Vorleistung“ treten<br />
muss. In der Standarddissertation zum föderalen Gleichbehandlungsgrundsatz wird dies<br />
abstrakt unter der Überschrift „Der Bund als Verpflichteter des Gleichheitssatzes in der<br />
Kooperation mit den Ländern“ zusammengefasst:<br />
„Wenn der Bund mit den Ländern kooperiert, treffen ihn die Verpflichtungen des<br />
föderativen Gleichheitssatzes ohne Einschränkung. ... Reduziert sich seine Rolle in<br />
der Kooperation nicht auf Beobachtung oder Moderation, sondern berührt ihr Inhalt<br />
seinen verfassungsrechtlichen Kompetenzkreis, genießt er zwar die gleichen<br />
Koordinationsrechte wie die Länder; doch er trifft auf die Länder nicht als verfassungsrechtlich<br />
Gleicher. Sein Machtbereich ist von dem der Länder verschieden;<br />
die föderative Gleichheit, die zwischen den Gliedstaaten die Verpflichtungen des<br />
Gleichheitssatzes grundsätzlich zu verdrängen vermag, besteht zwischen Bund<br />
und Ländern nicht. Es fehlt nicht etwa nur an einer prinzipiellen Machtparität;<br />
vielmehr tritt der Bund den Ländern als einziger bundesstaatlicher Akteur seiner<br />
Art und mit einer monopolistischen Machtbefugnis gegenüber. ... Die ... Gesetzlichkeit<br />
des Gleichheitssatzes verlangt daher seine Bindung an die Gleichheitspostulate.<br />
In der Konsequenz muß der Bund nicht nur im direktiven Bund-<br />
Länder-Verhältnis, sondern auch auf der Kooperationsebene die Gliedstaaten, die<br />
er dort als verfassungsrechtlich im wesentlichen Gleichberechtigte antrifft,<br />
grundsätzlich gleich bzw. bei zu regelnden Verteilungen proportional nach einem<br />
sachgerechten Kriterium behandeln.“ 50<br />
49 Idee und Gestalt des Föderalismus unter dem Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des<br />
Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6, 3. Aufl. 2008, § 126 Rdnr. 150 f.; zu Folgerungen hinsichtlich<br />
des Verfahrens / des Procederes aus dem Prinzip auch Markus C.F. Pleyer, Föderative Gleichheit,<br />
2005, S. 246.<br />
50 Markus C.F. Pleyer, Föderative Gleichheit, 2005, S. 329 f., Hervorhebung nur hier.
17<br />
Es erscheint nun freilich nicht unproblematisch, aus einer derart allgemeinen Vorgabe<br />
konkrete Schlussfolgerungen für vorliegendes Problem zu ziehen. Vergleichsfälle, die als<br />
Konkretisierungen in einem ähnlichen Zusammenhang bereits vom Bundesverfassungs-<br />
gericht entschieden wurden, bieten Anschauungsmaterial für weitergehende Schlussfol-<br />
gerungen für hiesige Situation. Dafür wendet sich der Blick in die allgemeine Finanzaus-<br />
gleichsproblematik im Bundesstaat.<br />
2. Als finanzverfassungsrechtliche Besonderheit: Das Konzept des sog. Maßstäbegesetzes<br />
Trotz der im nächsten Teil C des Gutachtens herauszuarbeitenden Unterschiede zwi-<br />
schen dem normalen bundesstaatlichen Finanzausgleich der Art. 106 und 107 GG und<br />
der hier interessierenden Verteilungsproblematik des Art. 106a GG hinsichtlich der an-<br />
zuwendenden Maßstäbe bestehen v.a. in verfahrensrechtlicher Hinsicht erstaunliche<br />
Parallelen zwischen der Stellung und Funktion des Bundes in der Konkretisierung der<br />
grundgesetzlichen Verfassungsaufträge (einerseits ein Finanzausgleichsgesetz zu schaf-<br />
fen, andererseits ein Regionalisierungsgesetz zu verabschieden). In beiden Fällen geht<br />
es um die Lösung von im Grundgesetz nur rudimentär geregelten Verteilungskonflikten<br />
durch zustimmungspflichtiges Bundesgesetz. Diese Problematik hat das Bundesverfas-<br />
sungsgericht in seinem (letzten großen) Finanzausgleichsurteil vom 11. November 1999<br />
klar erkannt und Vorgaben zu ihrer Bewältigung gegeben 51 . Im ersten Leitsatz des Ur-<br />
teils wird eine Pflicht zur „Maßstabsbildung“ durch Bundesgesetz postuliert: „Die Fi-<br />
nanzverfassung verpflichtet den Gesetzgeber, das verfassungsrechtlich nur in unbe-<br />
stimmten Begriffen festgelegte Steuerverteilungs- und Ausgleichssystem durch an-<br />
wendbare, allgemeine, ihn selbst bindende Maßstäbe gesetzlich zu konkretisieren und<br />
zu ergänzen.“ 52 In den Entscheidungsgründen lesen wir von einer Beauftragung des Ge-<br />
setzgebers 53 , von einem dahingehenden „Regelungsauftrag“ 54 :<br />
„Mit der auf langfristige Geltung angelegten, fortschreibungsfähigen Maßstabbildung<br />
stellt der Gesetzgeber ... sicher, daß Bund und Länder die verfassungsrecht-<br />
51 BVerfGE 101, 158 (214 ff.).<br />
52 BVerfGE 101, 158, Leitsatz 1.<br />
53 BVerfGE 101, 158 (214).<br />
54 BVerfGE 101, 158 (215).
18<br />
lich vorgegebenen Ausgangstatbestände in gleicher Weise interpretieren, ihnen<br />
gemeinsam dieselben Indikatoren zugrunde legen und damit einen Vergleich der<br />
Deckungsbedürfnisse ermöglichen ... In dem Erfordernis eines auf Planung aufbauenden<br />
Gesetzes ... ist die Bildung langfristiger Maßstäbe angelegt, die dem Gesetz<br />
wieder seine herkömmliche Funktion zuweisen: Das Gesetz gestaltet in seiner<br />
formellen Allgemeinheit rational-planmäßig die Zukunft, setzt eine gewisse<br />
Dauerhaftigkeit als Regel voraus, erstreckt ihre Anwendung auf eine unbestimmte<br />
Vielzahl zukünftiger Fälle, wahrt damit Distanz zu den Betroffenen, wendet die<br />
Aufmerksamkeit des regelnden Organs dem auch für die Zukunft verpflichtetenden<br />
Maßstab zu und verwirklicht die Erstzuständigkeit des Gesetzgebers bei der<br />
Verfassungsinterpretation.“ 55<br />
Diese Pflicht zur Maßstabsbildung wird zugleich eingesetzt, um die Gesetzgebung der<br />
„Mehrheitsfalle“ zu entziehen, d.h. dem Problem, dass eine Mehrheit von Ländern – im<br />
Finanzausgleich typischerweise die Empfängerländer – Bund und Geberländer erpres-<br />
sen können, indem sie ihre im Bundesrat notwendige Zustimmung verweigern:<br />
„Andererseits rechtfertigt auch die bloße parlamentarische Mehrheit noch nicht<br />
den beschlossenen Finanzausgleich. Der Gesetzgeber hat gegenläufige Interessen<br />
festzustellen, zu bewerten und auszugleichen. Er darf aber nicht allein in der Rechtfertigung<br />
eines Mehrheitswillens zu Lasten einer Minderheit auf fremde Haushalte<br />
zugreifen oder Ausgleichsansprüche vereiteln. Damit begegnet eine Gesetzgebungspraxis,<br />
die das Finanzausgleichsgesetz faktisch in die Verantwortlichkeit des Bundesrates<br />
verschiebt, verfassungsrechtlichen Einwänden.“ 56<br />
Das ist exakt die diesem Gutachten zugrundeliegende Situation. Der Bund darf sich nicht<br />
zurückziehen und die Aushandlungsprozesse allein den Ländern überlassen. Der Bund<br />
hat als „gerechter Schiedsrichter“ sicherzustellen, dass nicht eine Ländermehrheit das<br />
Gesetzgebungsverfahren dominiert. Die „Lösung“ des Zweiten Senats des Bundesverfas-<br />
sungsgerichts besteht darin, durch die Entwicklung von Verteilungsmaßstäben auch<br />
prozedural auf das Gesetzgebungsverfahren einzuwirken: „Rationalisierung durch Pro-<br />
zeduralisierung“ 57 . Hier müsste der Bund auch konkrete Vorschläge im Sinne dieser<br />
Rechtsprechung machen, wenn die Kommunikation zwischen den Ländern in ein reines<br />
„Zahlengeschachere“ ausartete. Mit anderen Worten: Die finanzausgleichsrechtliche<br />
Rechtsprechung aus Karlsruhe gibt dem Bund von Verfassungs wegen die Pflicht zur<br />
aktiven Betreibung des Gesetzgebungsverfahrens in Ausfüllung des Verfassungsauftrags<br />
aus Art. 106a GG auf. In der Sache kann dies nur bedeuten, dass dem Bund auch die<br />
55 BVerfGE 101, 158 (217 f.).<br />
56 BVerfGE 101, 158 (219) – Hervorhebung nur hier.<br />
57 Gunnar Folke Schuppert, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar und Handbuch,<br />
Bd. 2, 2002, Art. 107 Rdnr. 46.
19<br />
Pflicht obliegt, konkrete Maßstäbe im Gesetzgebungsverfahren bzw. seiner Vorphase zu<br />
präsentieren.<br />
Es soll nicht verschwiegen werden, dass das Urteil vom November 1999 mit dem daraus<br />
hervorgehenden Maßstäbegesetz im Schrifttum überwiegend kritisch gesehen wurde<br />
und dass das Maßstäbegesetz von vielen als letztlich gescheitert eingestuft wird 58. Diese<br />
Kritik trifft freilich zwei Aspekte des Urteils, die bisher hier nicht referiert wurden und<br />
die für hiesige Konstellation auch mehr oder weniger irrelevant sind. Das Gericht stellt<br />
sich das Maßstäbegesetz als neue normhierarchische Kategorie vor, denn das FAG soll<br />
durch dieses Gesetz gebunden werden. Das ist ein Eingriff in die Rechtsquellenlehre und<br />
es erscheint in der Tat mehr als fraglich, ob dies ein Verfassungsgericht leisten kann o-<br />
der darf. In vorliegender Situation einer Revision bzw. Fortschreibung des Regionalisie-<br />
rungsgesetzes, wo ein thematisch im Vergleich zum gesamten bundesstaatlichen Fi-<br />
nanzausgleich sehr enger Verteilungskonflikt zu lösen ist, würde es genügen, dass im<br />
Regionalisierungsgesetz selbst die Maßstabsbildung erfolgt und die konkrete Verteilung<br />
dann exekutiv aufgrund der gesetzlich festgelegten Maßstäbe erfolgte. Die rechtsquel-<br />
lentheoretische „Zwischenform“ eines bindenden Maßstäbegesetzes wäre weder sinn-<br />
voll noch erforderlich. Damit erledigt sich auch der zweite wesentliche Kritikpunkt an<br />
dem Urteil aus dem 101. Band der Entscheidungssammlung des Gerichts: Der Zweite<br />
Senat hatte, in Anlehnung an Gedanken John Rawls, gefordert, dass die Maßstäbe in Un-<br />
kenntnis der konkreten Verteilungsergebnisse zu bilden seien, gewissermaßen hinter<br />
einem „Schleier des Nichtwissens“. Erst in zeitlichem und gedanklichem Abstand wären<br />
dann die eigentlichen Verteilungsentscheidungen zu treffen gewesen. Das mag in der Tat<br />
eine naive Vorstellung sein, die zudem auch noch demokratietheoretischen Einwänden<br />
ausgesetzt ist (darf ein Ministerpräsident einer Regelung überhaupt zustimmen, deren<br />
Folgen er für sein Land nicht überblickt bzw. überblicken darf?). Dieses Postulat entfällt<br />
hier mit der Maßstabsbildung im Regionalisierungsgesetz selbst.<br />
3. Keine Disposition über Kompetenznormen: Der Bund als „ehrlicher Makler“<br />
58 Vgl. nur Bodo Pieroth, Die Mißachtung gesetzlicher Maßstäbe durch das Maßstäbegesetz, NJW 2000, S.<br />
1088; Christoph Degenhart, Maßstabsbildung und Selbstbindung des Gesetzgebers als Postulat der Finanzverfassung<br />
des Grundgesetzes, ZG 2000, S. 79; Hans-Peter Bull, Der rationale Finanzausgleich – ein<br />
Gesetzgebungsauftrag ohnegleichen, DÖV 2000, S. 305.
20<br />
Die verfassungsrechtlich erwartete Maklerrolle des Bundes resultiert noch aus einem<br />
anderen Begründungsstrang. Bundesstaatliche Kompetenzen stehen nicht zur Dispositi-<br />
on derjenigen, die durch sie ermächtigt bzw. gebunden werden. Das ist allgemein aner-<br />
kannt 59 . Zöge sich der Bund aus seinem Gesetzgebungsauftrag nach Art. 106a Satz 2 GG<br />
zurück und überließe die Aushandlung den Ländern qua ihrer Bundesratsmitwirkung,<br />
setzte sich stets eine Ländermehrheit durch. Dies geriete zumindest nahe in die Gefahr,<br />
dass die Länder über eine Ländermehrheit im Bundesrat über die Kompetenz „disponie-<br />
ren“ könnten. Um dies zu verhindern ist stets die aktive Mitwirkung des Bundes an „sei-<br />
nem“, einem Bundesgesetzgebungsverfahren zwingend erforderlich. In dem oben refe-<br />
rierten Zusammenhang mit dem bundesstaatlichen Finanzausgleich hat der Zweite Se-<br />
nat des Bundesverfassungsgerichts das mit der gebotenen Klarheit erkannt und bekräf-<br />
tigt: „Andererseits rechtfertigt auch die bloße parlamentarische Mehrheit noch nicht den<br />
beschlossenen Finanzausgleich. Der Gesetzgeber hat gegenläufige Interessen festzustel-<br />
len, zu bewerten und auszugleichen. Er darf aber nicht allein in der Rechtfertigung eines<br />
Mehrheitswillens zu Lasten einer Minderheit auf fremde Haushalte zugreifen oder Aus-<br />
gleichsansprüche vereiteln. Damit begegnet eine Gesetzgebungspraxis, die das Finanzaus-<br />
gleichsgesetz faktisch in die Verantwortlichkeit des Bundesrates verschiebt, verfassungs-<br />
rechtlichen Einwänden.“ 60<br />
V. Zwischenergebnis: Pflicht des Bundes zur Maßstabsbildung im Sinne der<br />
Grundintention der Reform sowie als Mittler zwischen divergierenden Länderin-<br />
teressen<br />
Art. 106a GG erweist sich als Verfassungsauftrag zur Gesetzgebung, nicht lediglich als<br />
Kompetenznorm, die ausgefüllt werden kann oder auch nicht. Da Bundesgesetzge-<br />
bungskompetenz angeordnet ist, ist der Bund aufgerufen, von seinem Gesetzesinitiativ-<br />
recht Gebrauch zu machen; über den Bundesrat könnte lediglich eine Ländermehrheit<br />
aktiv werden und das würde bereits das Gleichgewicht zwischen den betroffenen Län-<br />
dern stören. Aus dem Zusammenwirken der Postulate der Bundestreue und der födera-<br />
tiven Gleichbehandlung treffen den Bund hier darüber hinausgehend besondere Pflich-<br />
59 Vgl. nur Hans-Werner Rengeling, Gesetzgebungszuständigkeit, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des<br />
Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6, 3. Aufl. 2008, § 135 Rdnr. 16.<br />
60 BVerfGE 101, 158 (219) – Hervorhebung nur hier.
21<br />
ten. Die Gleichbehandlung der Länder mit unterschiedlichen Interessen kann nur über<br />
eine Maßstabsbildung hinsichtlich der zu treffenden Verteilungsentscheidung gelingen.<br />
In Anlehnung an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum sog. Maßstäbegesetz im<br />
bundesstaatlichen Finanzausgleich gewährleistet vorliegend nur eine solche, vom Bund<br />
initiierte Maßstabsbildung die Durchführung des Gesetzgebungsauftrags bei Wahrung<br />
des Postulats föderaler Gleichheit. In der abstrakten Maßstabsbildung zeigen sich ver-<br />
allgemeinerungsfähige Kriterien, die Sachgerechtigkeit und damit das Fehlen von Will-<br />
kür bei der Verteilung verdeutlichen. „Gegriffene“ Betragszuteilungen würden diesen<br />
verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht gerecht.<br />
C. Verfassungsrechtliche Vorgaben für Verteilungsmaßstäbe im<br />
Rahmen des Art. 106a GG<br />
„Grundsätzlich besteht für den Gesetzgeber nicht nur Entschließungsfreiheit zu ent-<br />
scheiden, ob er tätig werden will, sondern auch Gestaltungsfreiheit hinsichtlich des<br />
‚Wie’. Er kann von der ihm zugeteilten Befugnis freien Gebrauch machen, allerdings nur<br />
im Rahmen der Verfassung.“ Mit der oben herausgearbeiteten Pflicht zur Gesetzgebung<br />
aufgrund von Art. 106a Satz 2 GG korrespondiert auch eine Pflicht zur Maßstabsbildung,<br />
denn sonst würde die Pflicht letztlich leerlaufen. Die Verfassung gibt in Art. 106a GG<br />
freilich keine Verteilungsmaßstäbe vor. Durch Auslegung ist zu ermitteln, welcher Maß-<br />
stab bzw. welche Maßstäbe in Betracht kommen. Auch hier zeigt ein Blick in das – weni-<br />
ge – einschlägige Schrifttum, dass die Frage bisher wissenschaftlich kaum behandelt<br />
wurde. Zunächst zur Kommentarliteratur: Helmut Siekmann sieht Bedarfsgesichtspunk-<br />
te im Vordergrund: „Es soll eine Verteilung der Mittel unter den Ländern sichergestellt<br />
werden, die dem spezifischen örtlichen Bedarf an Mitteln für den Nahverkehr ent-<br />
spricht.“ 61 Gerade durch das Adjektiv „spezifisch“ bleibt freilich offen und unklar, was<br />
genau gemeint ist. Konkreter wird Werner Heun, wenn er ausführt: „Das Gesetz muß<br />
sowohl die Höhe des verfassungsrechtlich nicht vorgegebenen Ausgleichsbetrags als<br />
auch die horizontale Verteilung auf die Länder bestimmen. Der Verteilungsschlüssel<br />
muß sach- und aufgabengerecht sein, wofür der Gesetzgeber einen Konkretisierungs-<br />
61 In: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 106a Rdnr. 11.
22<br />
spielraum besitzt.“ 62 Wenig später wird dann noch von einer „bedarfsorientierten Mit-<br />
telverteilung“ gesprochen 63. Am ausführlichsten hat sich wiederum Jürgen W. Hidien in<br />
seinen beiden einschlägigen Aufsätzen mit dem Problem befasst. Seine Gedanken seien<br />
daher hier wörtlich wiedergegeben:<br />
„Daß beide zentralen Kriterien [die Höhe und die Verteilung; C.W.] nicht schon<br />
grundgesetzlich fixiert sind, trägt zur Entlastung des ohnehin überperfektionierten<br />
grundgesetzlichen Finanzrechts bei, kann freilich neue Verteilungskonflikte<br />
provozieren. Der karge Verfassungstext darf andererseits nicht zu dem Schluß<br />
verleiten, den Gesetzgeber von jeglichen rahmenschonenden Vorgaben freizustellen.<br />
Der Betragsbegriff und der immanente Verteilungsbegriff sind unbestimmte<br />
Verfassungsbegriffe, deren Konkretisierung (‚Bestimmung’) regelmäßig an den<br />
einfachen Gesetzgeber delegiert ist. ... Die Frage nach den verfassungszulässigen<br />
oder -gebotenen Verteilungsmaßstäben kann lediglich zu allgemeinen Verteilungsrichtlinien<br />
führen. Gelegentlich ist bezweifelt worden, ob überhaupt eine<br />
gerechte, schlüsselmäßige Verteilung einer Finanzierung des Personennahverkehrs<br />
möglich sei. Der Einwand verfolgt eher rechtspolitische Intentionen und<br />
betrifft zudem die inhomogenen infrastrukturellen Bedingungen, welche primär<br />
gezielte Einzelmaßnahmen notwendig machen, um materielle Vergleichbarkeit<br />
erst herzustellen. Andererseits besitzt die Empfehlung der gesetzgebenden Körperschaften,<br />
wonach die Finanzmittel sach- und aufgabengerecht auf die Länder<br />
zu verteilen sind, eher Floskelcharakter. Die Sachgerechtigkeit appelliert an die<br />
differenzierungsfähige gleichmäßige Verteilung, die Aufgabengerechtigkeit verweist<br />
auf die individuelle Mittelzuwendung und -zweckbindung. Beide Kriterien<br />
sind notwendig, wenn auch wegen ihrer Konkretisierungsbedürftigkeit nicht hinreichend.<br />
Der dahinterstehende, auch hier wirksame föderative Grundsatz der<br />
Finanzgleichheit bindet den Bund bei seiner Verteilungsaufgabe und verpflichtet<br />
ihn, alle Länder formal gleich zu behandeln und nicht aus politischen oder sachfremden<br />
Erwägungen zu diskriminieren. Angesichts des verfassungskräftigen<br />
Zuweisungsanspruchs werden sich – vorerst – keine Sachgründe finden lassen,<br />
einzelne Länder aus der Betragsverteilung auszunehmen. Materielle Differenzierungen<br />
sind schon deshalb möglich und teilweise nötig, weil Qualität und Quantität<br />
der fortzuführenden ‚erforderlichen’ Verkehrsleistung regional variieren; die<br />
Stichtagsregelung des Aufgabenübergangs macht es außerdem erforderlich, jedenfalls<br />
möglich, an Verteilungsmodi bestehender, tradierter Kosten- und Ertragsstrukturen<br />
anzuknüpfen. Diese dürften allerdings nicht auf ewig versteinert<br />
werden. Die Verteilung und die Verteilungsmaßstäbe, die auf verkehrswirtschaftlichen<br />
Daten basieren, sind ohnehin von Zeit zu Zeit zu überprüfen. Der Gleichheitssatz<br />
gestattet auch die Herstellung gleicher Startbedingungen und die Befriedigung<br />
eines einigungsbedingten Nachholbedarfs während der fortbestehenden<br />
Anpassungsphase. Für die anteilsmäßige Bemessung einer festzusetzenden<br />
bestimmten Finanzierung eines Verkehrsleistungsniveaus im SPNV und generell<br />
im ÖPNV muß der Gesetzgeber im übrigen zuverlässige und verläßliche objektive<br />
Indikatoren zugrunde legen; diese Anforderungen teilte das gesamte Finanzrecht.<br />
Abstrakte Verteilungsschlüssel sind jedenfalls insofern statthaft als eine Vertei-<br />
62 In: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 106a Rdnr. 6.<br />
63 Ebd., Rdnr. 7.
23<br />
lungskorrelation zwischen dem Indikator und dem Zuweisungszweck besteht.<br />
Näher liegen betriebswirtschaftliche konkrete Schlüssel, die an die Kosten- und<br />
Ertragslage des Verkehrsträgers anknüpfen. Daneben bestehen eine Reihe verkehrswirtschaftlicher<br />
Anknüpfungspunkte und Indikatoren (Verkehrsdichte,<br />
Verkehrsaufkommen, Verkehrsstörungen, Verkehrsschwierigkeiten, Flächen).<br />
Kombinationen und Gewichtungen können die Verteilung treffsicher ausgestalten.<br />
Andererseits darf der Gesetzgeber Betrag und Betragsverteilung pauschalieren<br />
und die Indikatoren typisieren. ...“ 64<br />
Zusammengefasst bedeutet dies, dass in Konkretisierung des verfassungsrechtlichen<br />
Rahmens eine mit Typisierungsspielräumen versehene Pflicht des Bundesgesetzgebers<br />
zur Maßstabsbildung besteht, der den Grundsatz der föderativen (Finanz-)Gleichheit zu<br />
beachten und sich letztlich an Bedarfsmaßstäben zu orientieren hat, d.h. nicht eine Fort-<br />
setzung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs darstellt. Das gilt es im Folgenden nä-<br />
her zu entfalten.<br />
I. Keine expliziten Verteilungsmaßstäbe in der Norm – kein zwingendes Vertei-<br />
lungssystem zur regionalen Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs<br />
Wie bereits ausgeführt enthält Art. 106a GG keine ausdrücklichen Verteilungsmaßstäbe.<br />
Hier stellt sich ein aus dem Verfassungsrecht allgemein bekanntes Problem: Einerseits<br />
sind aus dem Text des Grundgesetzes Maßstäbe zu konkretisieren; andererseits wird<br />
man nicht ein zwingendes Verteilungsschema aus der Norm destillieren können. Mit<br />
anderen Worten: Die Norm gibt (gleichsam „von oben“) bestimmte Leitlinien vor; kon-<br />
krete Vorschläge sind jedoch auch hier politische Setzungen („von unten“), die den Leit-<br />
linien freilich nicht widersprechen dürfen 65 . Für die Ausfüllung der „in der Mitte“ beste-<br />
hen bleibenden Lücke steht regelmäßig nicht ein einziger Indikator oder ein einziges<br />
Bündel von Indikatoren zur Verfügung, sondern regelmäßig sind verschiedene Alterna-<br />
tiven denkbar. Diese gilt es zunächst kurz darzustellen.<br />
1. Denkbare Systeme / Indikatoren<br />
64 Der spezielle Finanzierungsausgleich gem. Art. 106a GG, DVBl. 1997, S. 595 (600).<br />
65 Allgemein zu dieser Problematik der „Verfassungskonkretisierung“ Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts<br />
der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdnr. 45 f., 60 ff.
24<br />
Aus dem unter B ausgeführten ergibt sich zunächst, dass es Aufgabe des Bundes ist, ent-<br />
sprechende Verteilungsmaßstäbe als Grundlage eines Gesetzgebungsverfahrens zu prä-<br />
sentieren. Auch wenn gem. Art. 76 Abs. 1 und 3 GG auch der Bundesrat das grundsätzli-<br />
che Gesetzesinitiativrecht im Hinblick auf Bundesgesetze innehat, ist der Bund aus den<br />
oben dargelegten verfassungsrechtlichen Gründen zur Maßstabsbildung verpflichtet, um<br />
die strukturell vorgezeichnete Blockade aufgrund der gegenläufigen Länderinteressen<br />
durchbrechen zu können.<br />
Auf der anderen Seite wäre eine unveränderte Fortschreibung der bei Entstehung des<br />
Regionalisierungsgesetzes festgeschriebenen Verteilungsregeln nicht mit den Erwar-<br />
tungen des Art. 106a GG vereinbar, denn sie stellen sich gerade nicht als rationale De-<br />
duktionen aus der Norm dar; sie perpetuierten vielmehr im Wesentlichen das damals<br />
prästierte Verkehrsaufkommen in dem relevanten Bereich. Dieses beruhte jedoch viel-<br />
fach auf politischem Wollen und enthielt bereits politische Kompromisse; zudem beruh-<br />
te es auf Erwartungen, die sich – etwa im Hinblick auf die neuen Länder bzgl. Der Ent-<br />
wicklung von Bevölkerung und Wirtschaft – teilweise gerade nicht erfüllt haben. Eine<br />
unveränderte Fortschreibung des damaligen Verteilungsmaßstabs in die Zukunft würde<br />
nicht die sach- und systemgerechte Maßstabsbildung darstellen, die vom Grundgesetz<br />
erwartet wird. Stellte man stattdessen auf die aktuell bestehenden Verträge ab, mit de-<br />
nen Nahverkehrsleistungen „eingekauft“ werden, würde die sachgerechte Maßstabsbil-<br />
dung ebenfalls verfehlt; die noch näher zu entwickelnde Bedarfsbezogenheit der Schlüs-<br />
selung der Mittel nach Art. 106a GG ist nicht so zu verstehen, dass sich bei der Vertei-<br />
lung als Bedarf all dasjenige darstellt, das aufgrund politischen Wollens „bestellt“ wird,<br />
denn andernfalls büßte die Bedarfsbezogenheit jegliche Steuerungswirkung ein.<br />
Kommt es zu keiner Einigung auf sachgerechte Maßstäbe steht mit der ungewichteten<br />
Einwohnerzahl der einzelnen Länder in jedem Fall ein geeigneter Maßstab zur Verfü-<br />
gung, der auch die Anforderungen von Art. 106a GG noch erfüllte. Die Einwohnerzahl<br />
stellt etwa auch die erste Stufe der primär horizontalen Umsatzsteuerverteilung auf die<br />
Länder dar (vgl. Art. 107 Abs. 1 Satz 4 Hs. 1 GG), ist also – bei allen Unterschieden – der<br />
Finanzverfassung des Grundgesetzes nicht unbekannt. Das Bundesverfassungsgericht<br />
hat in seiner Rechtsprechung zum Länderfinanzausgleich zwar das sog. Stadtstaatenpri-<br />
vileg, die sog. Einwohnerveredelung bisher noch gebilligt, in der letzten großen Ent-<br />
scheidung von 1999 jedoch bereits ernsthafte Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Modi-
25<br />
fikation angemeldet 66. Für dünnbesiedelte Länder werden ähnliche Maßstäbe diskutiert.<br />
Ein Land wie Nordrhein-Westfalen ist ohnehin dadurch gekennzeichnet, dass Räume<br />
großer bevölkerungsmäßiger Verdichtung (Großraum Düsseldorf-Köln-Bonn; Ruhrge-<br />
biet) ländlichen und damit dünn besiedelten Räumen (Münsterland; Sauerland; Ost-<br />
westfalen) gegenüberstehen. Der hier als Notbehelf vorgeschlagene Bevölkerungsmaß-<br />
stab könnte mit naheliegenden verkehrswirtschaftlichen Indikatoren, die objektive Be-<br />
darfe benennen und nicht alte Kompromisse fortschreiben bzw. das politisch Gewollte<br />
zum Maßstab erklären, kombiniert werden. Sollten solche Maßstäbe jedoch nicht er-<br />
sichtlich sein oder sollte über sie keine Einigung erzielt werden, bliebe der ungewichtete<br />
Einwohnermaßstab als mögliche Rückfalloption in jedem Fall erhalten.<br />
2. Die Bedeutung föderaler Gleichheit im vorliegenden Zusammenhang<br />
Die föderale Gleichheit der Länder im deutschen Bundesstaat spielt nicht nur – wie oben<br />
angerissen – verfahrensrechtlich eine Rolle. Auch bei der Auswahl der Verteilungsindi-<br />
katoren ist sie zu berücksichtigen. Die föderale Gleichheit der Glieder des Bundes folgert<br />
das Bundesverfassungsgericht nach anfänglichem Schwanken inzwischen aus einer<br />
Kombination des Gleichheitssatzes in seiner Ausprägung als Willkürverbot, d.h. als ob-<br />
jektivrechtliches Postulat mit einer Herleitung aus dem Bundesstaatsprinzip selbst 67.<br />
Für vorliegende Fragestellung folgt daraus ein Gebot sachgerechter Differenzierung für<br />
den Bund, die jeweils sachbereichsspezifisch zu konkretisieren ist 68 . Damit ist in Bezug<br />
auf die Verteilungsmaßstäbe jegliche Willkür verboten. Eine rein zahlenmäßige Festle-<br />
gung der Verteilung der Mittel wäre nun freilich „willkürlich“, auch wenn es sich um das<br />
Ergebnis eines politischen Kompromisses aus „Geben“ und „Nehmen“ handelt. Der – in<br />
der parlamentarischen Demokratie – stets notwendige politische Kompromiss ist auf<br />
Ebene der Festlegung der Maßstäbe, nicht der konkret zu verteilenden Summen festzu-<br />
legen. Andernfalls würde der Verfassungsauftrag zur Maßstabsbildung unterlaufen.<br />
66 BVerfGE 101, 158 (230 f.) mit dem Auftrag, die angeblichen Mehrbelastungen der Stadtstaaten mit denjenigen<br />
besonders dünn besiedelter Länder zu vergleichen.<br />
67 BVerfGE 72, 330 (404) sowie oben unter B IV 1.<br />
68 Markus C.F. Pleyer, Föderative Gleichheit, 2005, S. 330; Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus<br />
im Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland,<br />
Bd. 6, 3. Aufl. 2008, § 126 Rdnr. 143; oben unter B IV 1.
26<br />
3. Systemgerechtigkeit als Verfassungspostulat?<br />
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und anderer Gerichte hat zuneh-<br />
mend Rationalitätsanforderungen an die Rechtsetzung gestellt 69 . Dabei spielen Gedan-<br />
ken der Systemgerechtigkeit bzw. Folgerichtigkeit eine wesentliche Rolle. Im Zuge der<br />
sog. kommunalen Gebietsreform der 1970er Jahre war es zu derartigen Kontrollmaß-<br />
stäben, etwa der Landesverfassungsgerichte gekommen. Neuerdings wird die Systemge-<br />
rechtigkeit / Folgerichtigkeit als Maßstab im Steuerverfassungsrecht verstärkt bemüht.<br />
Infolge der weitgehend leer laufenden freiheitsrechtlichen Kontrolle von Steuergeset-<br />
zen, stellt der Grundsatz der Systemgerechtigkeit – oftmals als auch Folgerichtigkeitsge-<br />
bot bezeichnet 70 – ein wichtiges Instrument für den verfassungsrechtlichen Zugriff auf<br />
steuerrechtliche Regelungen dar 71. Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der<br />
überwiegende Teil der Literatur 72 erblicken im Topos der Systemgerechtigkeit einen die<br />
Prüfung des Gleichheitssatzes effektuierenden und operationalisierenden Grundsatz 73:<br />
Der Gesetzgeber sei aus Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet, die einmal getroffene „Belastungs-<br />
grundentscheidung“, das System, folgerichtig weiter zu entwickeln. Dabei kommt dem<br />
Grundsatz der Systemgerechtigkeit auf verschiedenen Ebenen des Gleichheitssatzes Be-<br />
deutung zu: Zum einen wird bereits im Rahmen der Feststellung einer (Un-<br />
)Gleichbehandlung mit der Vergleichsgruppenbildung durch das System argumentiert 74 ,<br />
zum anderen wird die Relevanz von Systemgerechtigkeit insbesondere für die Stufe der<br />
Rechtfertigung diskutiert 75 . Dabei besteht hinsichtlich letzterer Funktion innerhalb der<br />
69 Vgl. etwa Bernd Grzeszick, Rationalitätsanforderungen an die parlamentarische Rechtsetzung im demokratischen<br />
Rechtsstaat, VVDStRL 71 (2012), S. 49 ff.<br />
70 Vgl. BVerfGE 84, 239 (271); 99, 246 (264f.); 120, 152 (155); 121, 317 (362); 122, 210 (231); 123, 111<br />
(120).<br />
71 Allgemein zu Systemgerechtigkeit Christoph Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des<br />
Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976; Franz-Josef Peine, Systemgerechtigkeit, 1985; Ulrich Battis,<br />
Systemgerechtigkeit, FS für Hans-Peter Ipsen 1977, S. 11ff.<br />
72 Etwa BVerfGE 60, 16 (40); 116, 164 (200); vgl. die jüngeren Stellungnahmen von Kyrill-Alexander<br />
Schwarz, „Folgerichtigkeit“ im Steuerecht, FS für Josef Isensee, 2007, S. 949 (957ff.); Klaus-Dieter Drüen,<br />
Systembildung und Systembindung im Steuerrecht, FS für Wolfgang Spindler, 2011, S. 29; Rolf Eckhoff,<br />
Steuerrecht ohne System, FS für Udo Steiner, 2009, S. 119 (120 ff.); Joachim Englisch, Folgerichtiges Steuerrecht<br />
als Verfassungsgebot, FS für Joachim Lang, 2011, S. 167 (172 ff.).<br />
73 Kritisch hierzu Ulrich Battis, Systemgerechtigkeit, in: FS für Hans Peter Ipsen, 1977, S. 11 (29 f.). Daneben<br />
wird Systemgerechtigkeit teilweise auch in anderen Verfassungsgeboten lokalisiert, so etwa im<br />
Rechtstaatsprinzip (BVerfGE 7, 129 (152f.)) oder innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung (BVerfGE<br />
121, 317 (363ff.)).<br />
74 BVerfGE 9, 20 (28); eher skeptisch BVerfGE 34, 103 (115ff.); 36, 383 (393f.); vgl. auch Franz-Josef Peine,<br />
Systemgerechtigkeit, 1985, S. 54, 302; Christoph Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des<br />
Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976, S. 52.<br />
75 Insgesamt zu den Rechtfertigungsanforderungen an eine Durchbrechung der Folgerichtigkeit Joachim<br />
Englisch, Folgerichtiges Steuerrecht als Verfassungsgebot, FS für Joachim Lang, 2011, S. 167, (195 ff.).
Rechtsprechung kein einheitliches Bild darüber, ob Systemgerechtigkeit letztlich gar<br />
27<br />
keine verschärften Rechtfertigungsanforderungen auslöst 76, eine Indizwirkung für den<br />
Gleichheitsverstoß besitzt 77 oder tatsächlich einen strengeren Rechtfertigungsstandard<br />
begründet 78 .<br />
Der relativ sorglose Einsatz des Topos der Systemgerechtigkeit gerade im Steuerrecht<br />
begegnet aber auch zunehmenden Bedenken 79 . Dabei wird zunächst die „Vorausset-<br />
zungslosigkeit“ in der Annahme bindungsauslösender Systeme kritisiert, liegt in der<br />
Identifizierung (des Inhalts) der relevanten „Grundkonzepte“ doch eine entscheidende<br />
Weichenstellung für die Anwendung des Grundsatzes 80 . Daneben wird eine Öffnung der<br />
dogmatischen Strukturen des Gleichheitssatzes für eine systemspezifische Konkretisie-<br />
rung teilweise abgelehnt 81. Schließlich werden Zweifel an den Forderungen nach Sys-<br />
temgerechtigkeit infolge der kritischen Auswirkungen des Postulats auf die Normstufen-<br />
lehre, das Demokratieprinzip und die Gewaltenteilung laut 82 .<br />
Diese Einwände gegen übermäßiges Konsequenzdenken spiegeln sich zuletzt auch in<br />
der wechselhaften Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Beachtlichkeit<br />
von Systemen im Steuerrecht wieder: In der Entscheidung zur steuerlichen Abzugsfä-<br />
higkeit der Wegekosten (Pendlerpauschale) wurde am Beispiel des objektiven Net-<br />
toprinzips streng mit Systemgerechtigkeit argumentiert und das Vorliegen besonderer<br />
sachlicher Gründe zur Durchbrechung der legislativen Grundentscheidung verlangt 83 .<br />
Im Urteil zur steuerlichen Anerkennung von gewinnmindernden Jubiläumsrückstellun-<br />
gen agiert das Gericht dagegen sehr zurückhaltend in der Ableitung systemkonstituie-<br />
render Grundwertungen aus den handelsrechtlichen Bilanzvorgaben für das Steuer-<br />
76 In diese Richtung BVerfGE 76, 130 (139f.); ähnlich 59, 36 (49); 75, 382 (395f.); 116, 164 (186).<br />
77 BVerfGE 34, 103 (115); 45, 363 (375); 61, 138 (149); 66, 214 (224); 68, 237 (253); 81, 156 (207).<br />
78 BVerfGE 99, 280 (290, 294); 101, 132 (138); 117, 1 (30); 120, 125 (155); 122, 210 (231); 123, 111<br />
(121).<br />
79 Kritisch insbesondere Uwe Kischel, Systembindung des Gesetzgebers und Gleichheitssatz, AöR 124<br />
(1999), S. 174 ff.; derselbe, Gleichheitssatz und Steuerrecht, Symposium Paul Kirchhof, 2009, S. 175 ff.;<br />
Alexander Hanebeck, Die Einheit der Rechtsordnung als Anforderung an den Gesetzgeber, Der Staat 41<br />
(2002), S. 429 ff.<br />
80 Vgl. zur Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit den Tatbestandsvoraussetzungen eines Systemgebots,<br />
insbesondere mit dem Systembegriff Joachim Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden<br />
Handel, 2008, S. 145; Rolf Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, 1999, S.<br />
169ff.; Bernhard Kempen, Gebühren im Dienst des Sozialstaats?, NVwZ 1995, S. 1163 (1166); Rainer Prokisch,<br />
Von der Sach- und Systemgerechtigkeit zum Gebot der Folgerichtigkeit, in: FS für Klaus Vogel, 2000,<br />
S. 293 (295); auch Lerke Osterloh, in: Sachs (Hrsg.), Grungesetz. Kommentar, 6. Auflage 2011, Art. 3 Rdnr.<br />
98.<br />
81 Uwe Kischel, Systembindung des Gesetzgebers und Gleichheitssatz, AöR 124 (1999), S. 174 (175); derselbe,<br />
Gleichheitssatz und Steuerrecht, Symposium Paul Kirchhof, 2009, S. 175 (183 ff.).<br />
82 Uwe Kischel, Systembindung des Gesetzgebers und Gleichheitssatz, AöR 124 (1999), S. 174 (203 ff.).<br />
83 BVerfGE 122, 210 (230 ff.).
echt 84. Die Rolle des Grundsatzes der Systemgerechtigkeit in der zukünftigen Recht-<br />
28<br />
sprechung des Gerichts bleibt damit abzuwarten.<br />
Auf hiesige Fragestellung übertragen lässt sich – bei allen Vorbehalten – folgende Ge-<br />
meinsamkeit der Situation des Steuerverfassungsrechts und der hier zu beurteilenden<br />
Verteilungsentscheidung festhalten: Sowohl die Besteuerung, als auch die Verteilung der<br />
Regionalisierungsmittel für den ÖPNV leiden unter einer strukturellen Maßstabsarmut.<br />
In einer solchen Situation erscheint das verfassungrechtliche Postulat einer in sich sys-<br />
temgerechten Regelung naheliegend, ja zwingend. Maßstabsbildung ist in diesem Kon-<br />
text Systemgerechtigkeit bzw. verwirklicht diese.<br />
4. Grenze: Lediglich allgemeine Verteilungskriterien können verlangt werden<br />
Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden: Der verfassungsrechtliche Auftrag zur<br />
Maßstabsbildung an den Bundesgesetzgeber findet seine Grenze in Bezug auf die Kon-<br />
kretisierung dieser Maßstäbe in der Tatsache, dass die Verteilungskriterien – wie bei<br />
einem Gesetz üblich – generell-abstrakt zu formulieren sind. Reine Verteilungsentschei-<br />
dungen in Zahlen, die keinen dahinter stehenden Maßstab offenbaren, wären unzulässig.<br />
Die im Gesetz zugrundegelegten Maßstäbe sind dann dort oder in Rechtsanwendungsak-<br />
ten zu konkretisieren, d.h. auf konkrete Zahlen für die einzelnen Länder herunterzubre-<br />
chen.<br />
84 BVerfGE 123, 111 (124); mit deutlicher Kritik Rainer Hüttemann, Das Passivierungsverbot für Jubiläumsrückstellungen<br />
zwischen Folgerichtigkeitsgrundsatz und Willkürverbot, in: FS für Wolfgang Spindler,<br />
2011, S. 627.
II. Art. 106a GG im System des bundesstaatlichen Finanzausgleichs<br />
29<br />
1. Der vierfach gestufte Finanzausgleich der Art. 106, 107 GG<br />
Die zentrale Aufgabe jeder bundesstaatlichen Finanzverfassung ist die Verteilung der<br />
Einnahmen auf den Bund und die Bundesglieder. Für sie hat sich die Bezeichnung „Fi-<br />
nanzausgleich“ eingebürgert. Allerdings ist der Sprachgebrauch nicht einheitlich. Da die<br />
Verteilung der Einnahmen nur in Zusammenhang mit der Verteilung der Aufgaben und<br />
finanziellen Lasten beurteilt und geregelt werden kann, werden vielfach erweiternd<br />
auch Aufgaben- und Lastenverteilung in den Begriff des Finanzausgleichs einbezogen 85.<br />
Teilweise wird auch ein besonders enger Begriff des Finanzausgleichs verwendet, der<br />
sich lediglich auf eine korrigierende Umverteilung (im folgenden „sekundärer Finanz-<br />
ausgleich“ genannt) bezieht. Das Bundesverfassungsgericht und das Bundesgesetz über<br />
den Finanzausgleich verwenden den Begriff aus systematischen wie pragmatischen<br />
Gründen für die Einnahmenverteilung insgesamt, beziehen den „Aufgabenausgleich“<br />
jedoch nicht ein 86 .<br />
Unter dieser begrifflichen Prämisse lassen sich vier Ebenen oder Grundformen des Fi-<br />
nanzausgleichs differenzieren 87 : Die Aufgabe, Einnahmen sachgerecht zu verteilen,<br />
ergibt sich einerseits zwischen einander über- und untergeordneten Hoheitsträgern<br />
(Bund und Ländern, auf landesverfassungsrechtlicher Ebene Ländern und Gemeinden),<br />
andererseits zwischen gleichgeordneten (den Ländern untereinander). Im ersten Fall<br />
spricht man vom vertikalen, im zweiten vom horizontalen Finanzausgleich 88. Zu unter-<br />
scheiden sind ferner die Regeln über Ertragszuständigkeiten, die abstrakt bestimmen,<br />
welchem Hoheitsträger unter welchen Voraussetzungen Einnahmen welcher Art zuflie-<br />
ßen, und die Regeln über eine anschließende Korrektur des so erzielten Ergebnisses<br />
unter Bedarfsgesichtspunkten.<br />
85 So etwa Johannes Popitz, Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, 1932,<br />
S. 1 ff.; Ulrich Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 4 ff.; vgl. ferner zu diesen terminologischen Problemen: Hans<br />
Pagenkopf, Der Finanzausgleich im Bundesstaat, 1977, S. 31 ff.<br />
86 BVerfGE 1, 117 (119); 72, 330 (383); Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern<br />
vom 20. Dezember 2001 (BGBl I, 3955), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 29.6.2006 (BGBl I<br />
1402).<br />
87 Vgl. den Katalog bei Hans-Günter Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000,<br />
Rdnr. 688.<br />
88 Vgl. auch Stefan Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 22 f.
Es empfiehlt sich, einerseits vom ertragszuweisenden oder „primären“, andererseits<br />
vom umverteilenden oder „sekundären“ Finanzausgleich zu sprechen 89. In ihrer Zu-<br />
30<br />
sammenschau errichten diese vier Formen des Finanzausgleichs in den Art. 106 und 107<br />
GG ein vierstufiges, in sich geschlossenes Finanzausgleichssystem 90 : Auf einer ersten<br />
Stufe regelt Art. 106 GG die Aufteilung des Steuerertrags als primären vertikalen Fi-<br />
nanzausgleich. Art. 106 Abs. 3 S. 3 ff. GG verleiht bereits diesem einen partiell ausgaben-<br />
und bedarfsorientierten Charakter 91. Als zweite Stufe regelt sodann Art. 107 Abs. 1 GG<br />
den primären horizontalen Finanzausgleich, d.h. die Verteilung des Anteils der Länder-<br />
gesamtheit am Steuerertrag auf die je einzelnen Länder. Zum maßgeblichen Kriterium<br />
bestimmt Art. 107 Abs. 1 S. 1 GG die örtliche Vereinnahmung, als Korrekturmechanis-<br />
mus wirkt das Zerlegungsgebot nach Art. 107 Abs. 1 S. 2 GG. Von diesen allgemeinen<br />
Grundsätzen abweichend bestimmt sich der Anteil an der Umsatzsteuer gem. Art. 107<br />
Abs. 1 S. 4 GG nach dem Pro-Kopf-Prinzip, mit fakultativer Korrektur nach Art. 107 Abs.<br />
1 S. 4 Hs. 2 GG. Die so gefundene Verteilung des Steueraufkommens wird auf einer drit-<br />
ten Stufe durch den sekundären horizontalen Finanzausgleich nach Art. 107 Abs. 2 GG<br />
korrigiert.<br />
In diesem manifestiert sich das „bündische Prinzip“, des „Einstehens“ und „Eintretens“<br />
füreinander 92 , als gegenüber der Finanzautonomie komplementärem Grundprinzip der<br />
bundesstaatlichen Finanzverfassung. Im Sinne praktischer Konkordanz 93 findet diese<br />
„Abgabe der leistungsstärkeren Länder aus Eigenem“ 94 ihre Grenze in dem, in seiner<br />
Konkretisierung äußerst unklaren und demgemäß umstrittenen, Nivellierungsverbot 95 .<br />
Der vertikale sekundäre Finanzausgleich bildet schließlich die vierte und letzte Stufe in<br />
Gestalt von Zuweisungen des Bundes an leistungsschwache Länder auf der Grundlage<br />
des Art. 107 Abs. 3 S. 3 GG, als „Sammelbecken verbliebener Ausgleichsbedürfnisse“ 96. In<br />
89 Vgl. auch Stefan Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 23.<br />
90 BVerfGE 72, 330 (383 ff.); Stefan Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.<br />
419 ff.; Hans-Günter Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 689 ff.<br />
91 Hans-Günter Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 690.<br />
92 BVerfGE 72, 330 (386 f., 404).<br />
93 Vgl. Paul Kirchhof , Der Verfassungsauftrag zum Länderfinanzausgleich als Ergänzung fehlender und als<br />
Garant vorhandener Finanzautonomie, 1982, S. 8 f.; Klaus Vogel/Christian Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts,<br />
1999, Rdnr. 88; zum Begriff allgemein Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts<br />
der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdnr. 72, 317 f.<br />
94 Hans-Günter Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 694.<br />
95 BVerfGE 1, 117 (131 f.); 72, 330 (398); Klaus Vogel/Christian Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts,<br />
1999, Rdnr. 78 ff.; Stefan Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.<br />
612 f.; vgl. Hans Pagenkopf , Der Finanzausgleich im Bundesstaat, 1977, S. 159 ff.<br />
96 Stefan Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 643.
31<br />
diesem Zusammenhang hat sich ein breitgefächertes Tableau verschiedener Typen der<br />
Bundesergänzungszuweisung entwickelt 97.<br />
Die hier nachgezeichnete Abfolge der Stufen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs ist<br />
zwingend, die Stufen können „nicht beliebig funktional ausgewechselt oder übersprun-<br />
gen werden“ 98. Dem Konzept der Finanzverfassung als Rahmenordnung folgend wurde<br />
im vierten Urteil zum Finanzausgleich 99 dem Gesetzgeber aufgegeben, das verfassungs-<br />
rechtlich nur in unbestimmten Rechtsbegriffen festgelegte vierstufige System des Fi-<br />
nanzausgleichs zu konkretisieren und zu ergänzen. Dies ist durch das Maßstäbegesetz 100<br />
im Jahre 2001 erfolgt.<br />
2. Die Verteilung der (allgemeinen) Finanzierungslast<br />
Art. 104a Abs. 1 bis 4 GG mit Ausnahmen in Art. 104b GG regelt die Finanzierungslast<br />
oder Ausgabenlast, d.h. die Frage, welche bundesstaatliche Ebene die Staatstätigkeit je-<br />
weils zu finanzieren hat. Nach dem nach h.M. dort fixierten sog. Konnexitätsprinzip folgt<br />
die Ausgabenlast der Verwaltungszuständigkeit, also grundsätzlich den Art. 83 ff. GG 101 .<br />
Die Finanzierungslast weist nicht nur einer bundesstaatlichen Ebene die Tragung der<br />
Kosten der Staatstätigkeit zu, sie verbietet umgekehrt der nicht kompetentiell ermäch-<br />
tigten Ebene, diese Last ganz oder teilweise zu übernehmen, denn entstehungsge-<br />
schichtlicher Hintergrund von Art. 104a GG in seiner ursprünglichen Fassung von 1969<br />
war es, Einflussnahmen durch Hingabe von Geld als Konterkarierung der bundesstaatli-<br />
chen Kompetenzverteilung zu unterbinden bzw. nur verfassungsrechtlich genehmigt<br />
zuzulassen (sog. Fondswirtschaft; Problem der „goldenen Zügel“ des Bundes, an dem<br />
97 Vgl. etwa die Zusammenstellung bei Klaus Vogel/Christian Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts,<br />
1999, Rdnr. 249.<br />
98 BVerfGE 72, 330 (383); vgl. Stefan Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.<br />
420; Ulrich Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 223; Karl Heinrich Friauf, Der bundesstaatliche Finanzausgleich,<br />
JA 1984, S. 618 (622); Kyrill-A. Schwarz, Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, 1996,<br />
S. 111.<br />
99 BVerfGE 101, 158 (161 ff.).<br />
100 Gesetz über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens,<br />
für den Finanzausgleich unter den Ländern sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen<br />
vom 9. September 2001 (BGBl I S. 2302).<br />
101 Vgl. statt vieler nur Rainer Prokisch, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum<br />
Grundgesetz, Art. 104a Rdnr. 48 ff. (Stand der Kommentierung: Mai 2003).
32<br />
dieser die Länder „führt“) 102. Einzelheiten spielen in vorliegendem Zusammenhang kei-<br />
ne Rolle.<br />
3. Stellung des Art. 106a GG im Stufensystem des Finanzausgleichs und der Finanzierungs-<br />
last<br />
Die Stellung des Art. 106a GG in diesem Tableau erscheint alles andere als klar und wird<br />
auch in der Literatur nicht stets einheitlich beurteilt 103. Die systematische Stellung der<br />
Norm hinter der Steuerertragsverteilung durch Art. 106 GG spricht für eine Vorschrift<br />
des primären, d.h. ertragszuteilenden Finanzausgleichs. Dies bedeutete, dass die Ausle-<br />
gung an der Logik des (allgemeinen) bundesstaatlichen Finanzausgleichs Teil hätte, mit-<br />
hin dessen Grundprinzipien unterworfen wäre. Die überzeugenderen Argumente spre-<br />
chen freilich für eine andere Deutung: Es handelt sich um eine besondere Regelung der<br />
Finanzierungslast, d.h. um eine Ausnahme der allgemeinen Regel des Art. 104a GG.<br />
Durch die Norm werden nämlich zweckgebundene Zahlungen des Bundes an die Länder<br />
ermöglicht, die ohne diese Vorschrift wegen Art. 104a GG unzulässig wären 104. Das<br />
Missverständnis, es gehe um eine Korrektur der primären horizontalen Ertragsvertei-<br />
lung von Steuern nach Art. 106 GG ist neben der verfehlten systematischen Stellung in-<br />
nerhalb des zehnten Abschnitts des Grundgesetzes auch dadurch bedingt, dass – wie<br />
oben im Rahmen der Entstehungsgeschichte gezeigt werden konnte – ursprünglich aus-<br />
drücklich diese Finanzzuweisungen des Bundes aus seinem Mineralölsteueraufkommen<br />
geleistet werden sollten (sog. Mineralölsteuerverbund, d.h. Umformung der Mineralöl-<br />
102 Näher Rainer Prokisch, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, At.<br />
104a Rdnr. 9 ff., 34 ff.<br />
103 Vgl. insgesamt auch Irene Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, 1998, S. 107 f., 245, die freilich von<br />
einer Uneinordbarkeit der Norm in die Finanzverfassung, von einem „Fremdkörper“ im zehnten Abschnitt<br />
des Grundgesetzes ausgeht.<br />
104 Ulrich Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 80, 254 (Zitat): „Die Vorschrift befaßt sich deshalb überhaupt<br />
nicht mit der Verteilung des Steueraufkommens, sondern ermöglicht zweckbestimmte Bundeszuweisungen<br />
an die Ländern, die ansonsten – im Hinblick auf Art. 104a Abs. 1 GG – unzulässig wären.“ S. 255: „Der<br />
beabsichtigte Ausgleich für die Länder im Zusammenhang mit der Übernahme eines Teils der bisherigen<br />
Bundesbahn stellt eine Ausnahme vom Konnexitätsprinzip des Art. 104a Abs. 1 GG dar.“ Ebenso Jürgen W.<br />
Hidien, Der spezielle Finanzierungsausgleich gem. Art. 106a GG, DVBl. 1997, S. 595 (596); Peter Michael<br />
Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 106a Rdnr.<br />
3: „Er ermöglicht damit zweckbestimmte Sonderzahlungen an die Länder, die jenseits von Art. 104b Abs. 1<br />
und Art. 106 Abs. 4 S. 2 unzulässig wären, und für die auch Art. 107 Abs. 2 S. 3 keinen Raum lässt.“ Ferner<br />
Markus Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 106a<br />
Rdnr. 1; Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 106a Rdnr. 3, 8.
33<br />
steuer zu einer Gemeinschaftsteuer i.S.v. Art. 106 Abs. 3 und 4 GG) 105. Die verfehlte For-<br />
mulierung, dass der Betrag „aus dem Steueraufkommen des Bundes“ fließen soll, deutet<br />
ebenfalls noch auf diesen Aspekt der Entstehungsgeschichte hin 106. Das ursprüngliche<br />
Anliegen war wohl nicht mehr und nicht weniger als ein hilfloser Plausibilisierungsver-<br />
such, da die Mineralölsteuer eine der wenigen Zweckbindungen von Steueraufkommen<br />
kennt und auch irgendwie etwas mit „Verkehr“ zu tun hat; finanzverfassungsrechtlich<br />
waren solche Pläne freilich von vornherein verfehlt, da nach dem haushaltsrechtlichen<br />
Gesamtdeckungsprinzip (Nonaffektationsprinzip) ohnehin alle Einnahmen alle Ausga-<br />
ben decken und damit der Bundeszuschuss an die Länder nicht auf eine konkrete Steu-<br />
erquelle bezogen werden kann 107.<br />
Die systematisch verfehlte Stellung und den „systemfremde“ Ausnahmecharakter 108 mag<br />
man bedauern 109 – es ist dem verfassungsändernden Gesetzgeber freilich unbenommen,<br />
derartige Regelungen im Zuge der Kompromissfindung 110 zu schaffen; an der Gültigkeit<br />
bestehen keine Zweifel.<br />
Man kann die Vorschrift auch gleichsam als nachträgliche Legalisierung einer vor der<br />
Bahnreform gängigen Praxis für die neue Zukunftskonstellation sehen, die zwar als<br />
Durchbrechung des Konnexitätsprinzips vom Bundesverwaltungsgericht gebilligt wor-<br />
den war 111 , von den überzeugenderen Stimmen im Schrifttum gleichwohl seit je als Ver-<br />
fassungsbruch gekennzeichnet wurde 112 .<br />
105 Vgl. auch Jürgen W. Hidien, Der spezielle Finanzierungsausgleich gem. Art. 106a GG, DVBl. 1997, S. 595<br />
(596).<br />
106 Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 106a Rdnr. 4.<br />
107 Ulrich Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 254: „Man wird davon ausgehen können, daß Art. 106a GG nicht<br />
einmal die Verknüpfung mit einer konkret bezeichneten Steuerart verlangt; denn der Betrag ist allgemein<br />
aus dem Steueraufkommen des Bundes zu zahlen.“<br />
108 Peter Michael Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010,<br />
Art. 106a Rdnr. 3.<br />
109 Nach der Systematik der Finanzverfassung wäre eine Veränderung der Verteilung des Umsatzsteueraufkommens<br />
nach Art. 106 Abs. 3 und 4 GG der richtige Weg gewesen (sog. Deckungsquotenverfahren).<br />
110 Die beiden grundsätzlichen Möglichkeiten, auf Verfassungsebene Kompromisse zu verankern, sind der<br />
„dilatorische Formelkompromiss“ i.S. Carl Schmitts oder die „neue Technizität“ des Verfassungsrecht in<br />
den letzten Grundgesetzreformen.<br />
111 BVerwGE 81, 312; gutachtliche Rechtfertigung etwa bei Hans-Wolfgang Arndt, Rechtsprobleme der<br />
gemeinschaftlichen Koordinierung und Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs durch Bund,<br />
Länder und Gemeinden, 1990.<br />
112 Günter Fromm, Die Entwicklung des öffentlichen Verkehrsrechts, NVwZ 1992, S. 536 (538); ders., Die<br />
Reorganisation der Deutschen Bahn, DVBl. 1994, S. 187 (193); Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz.<br />
Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 106a Rdnr. 1.
III. Die Unterscheidung zwischen dem aufkommensbezogenen allgemeinen Fi-<br />
nanzausgleich und dem bedarfsbezogenen Sonderfall des Art. 106a GG<br />
Die oben vorgenommene finanzverfassungsrechtliche Verortung des Art. 106a GG ist<br />
34<br />
nun entscheidend für seine Interpretation. Handelte es sich um eine Vorschrift aus dem<br />
allgemeinen Bund-Länder-Finanzausgleich, müssten sich die Verteilungsmaßstäbe an<br />
dem Konzept dieses Ausgleichs orientieren. Dieses ist die Finanzkraft der am Ausgleich<br />
Beteiligten. Handelt es sich jedoch – wie herausgearbeitet – um eine Durchbrechung der<br />
allgemeinen Finanzierungsverantwortung mit der Anordnung einer Finanzzuweisung<br />
des Bundes, kann – im Zusammengreifen mit der Entstehungsgeschichte – nachgewie-<br />
sen werden, dass nicht die unterschiedliche Finanzkraft der Ausgleichsberechtigten ni-<br />
velliert werden soll, es sich also nicht um eine „Fortsetzung des Finanzausgleichs mit<br />
anderen Mitteln“ handeln darf, sondern das die konkreten Bedarfe in dem zu bezu-<br />
schussenden Bereich maßstabgebend sein müssen. Anders ausgedrückt: Art. 106a GG<br />
dient nicht dem Ausgleich von Leistungsunterschieden zwischen den Ländern, die Fi-<br />
nanzkraft der beteiligten Zuweisungsempfänger ist grundsätzlich irrelevant 113 .<br />
1. Finanzkraft als zentrale und bedarfsunabhängige Größe des Finanzausgleichs und ihre<br />
Ausnahmen und Durchbrechungen<br />
Der allgemeine bundesstaatliche Finanzausgleich der Art. 106, 107 GG, v.a. des Art. 107<br />
Abs. 2 GG (sekundärer umverteilender Ausgleich) ist ein Finanzkraftausgleich 114. Mit der<br />
Finanzkraft eines Landes werden primär die Steuereinnahmen, darüber hinaus auch<br />
sonstige finanzausgleichsrelevante Einnahmen erfasst und auf Prokopf-Werte umge-<br />
rechnet 115 . Bedarfe sind damit grundsätzlich irrelevant. Das wird freilich teilweise<br />
durchbrochen, wobei jede Ausnahme – Einwohnerveredelung; Hafenlasten – mehr als<br />
strittig und teilweise rational auch nicht haltbar ist 116 . Lediglich auf der Ebene der Bun-<br />
desergänzungszuweisungen nach Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG (sog. sekundä-<br />
113 Zur grundsätzlichen Trennung zwischen der Bahnreform einschließlich der REgionalisierung des Nahverkehrs<br />
einerseits, dem Föderalen Konsolidierungsprogramm andererseits auch Folkert Kiepe, Städte<br />
zum Solidarpakt, der städtetag 1993, S. 259.<br />
114 Gunnar Folke Schuppert, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar und Handbuch,<br />
Bd. 2, 2002, Art. 107 Rdnr. 37; ausführlich Stefan Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und<br />
Ländern, 1997, S. 548 ff.<br />
115 Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 107 Rdnr. 25 ff.<br />
116 Ausführlich Stefan Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 578 ff.
35<br />
rer/umverteilender vertikaler Ausgleich) werden von vornherein auch Sonderbedarfe<br />
berücksichtigt. Der grundsätzliche Ausschluss bei der Verteilungsentscheidung v.a. im<br />
horizontalen Verhältnis zwischen den Ländern findet seinen Grund darin, dass andern-<br />
falls weiterhin verfehlte Anreize für eine großzügige Ausgabenpolitik gesetzt würden,<br />
denn die Frage, welche Finanzmittel ein Land benötigt, ist zunächst v.a. eine politische<br />
Entscheidung. Die Ausgabenseite der staatlichen Finanzwirtschaft bleibt daher grund-<br />
sätzlich unberücksichtigt. Daher kann auf dieser Ebene mit den zugelassenen Ausnah-<br />
men nur der Einwohnermaßstab herangezogen werden. Dem liegt die Prämisse zugrun-<br />
de, dass der Finanzbedarf pro Einwohner grundsätzlich gleich ist 117. Einnahmen und<br />
Einwohnerzahl zueinander in Relation gesetzt ergeben damit die Finanzkraft als die<br />
zentrale, den Finanzausgleich bestimmende Größe, es geht m.a.W. um die Abgrenzung<br />
von leistungsstarken und leistungsschwachen Ländern.<br />
2. Art. 106a GG als grundsätzlich bedarfsbezogene Verteilungsnorm<br />
Da Art. 106a GG – wie herausgestellt – keine Norm des allgemeinen, finanzkraftorien-<br />
tierten Finanzausgleichs im Bundesstaat ist, sondern zweckgebundene Bundeszuwei-<br />
sungen legalisiert, die Entstehungsgeschichte vielmehr die Abdeckung eines konkreten<br />
Finanzierungsbedarfs als Hintergrund verdeutlicht, dürfen Aspekte der Finanzkraft der<br />
empfangsberechtigten Länder grundsätzlich keine Rolle spielen. Anders ausgedrückt: Es<br />
handelt sich um eine an Bedarfen ausgerichtete Verteilungsnorm 118 . Das erklärt auch<br />
Satz 3 des Artikels: Um zu verhindern, dass diese bedarfsbezogenen Bundeszuweisun-<br />
gen die Finanzkraft des empfangsberechtigten Landes verändert (erhöht), mussten die<br />
Zuweisungen auf der Grundlage von Art. 106a GG aus der Finanzkraftbestimmung für<br />
den Ausgleich nach Art. 107 Abs. 2 GG herausgenommen werden 119 . Nichts könnte deut-<br />
licher die völlig anders ausgerichtete Zielrichtung der Verteilungsentscheidung – Be-<br />
darfsorientierung hier, Finanzkraftorientierung dort – in beiden Systemen verdeutli-<br />
117 Markus Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 107<br />
Rdnr. 26.<br />
118 Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 106a Rdnr. 11; Werner<br />
Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 106a Rdnr. 7.<br />
119 Ulrich Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 254; Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar,<br />
Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 106a Rdnr. 7; Markus Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar,<br />
Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 106a Rdnr. 6; Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar,<br />
6. Aufl. 2011, Art. 106a Rdnr. 11; Peter Michael Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar<br />
zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 106a Rdnr. 13.
chen! In den Worten Ulrich Hädes: „Im Länderfinanzausgleich nach Art. 107 Abs. 2 GG<br />
36<br />
bleibt der aufgrund der Ermächtigung des Art. 106a GG gezahlte Betrag unberücksich-<br />
tigt. Auf diese Weise stellt das Grundgesetz sicher, daß die Zuweisungen den jeweiligen<br />
Bedarf der Länder ausgleichen und nicht nach den allgemeinen Bedarfsgesichtspunkten<br />
des Länderfinanzausgleichs weiterverteilt werden.“ 120<br />
IV. Anforderungen an eine systemgerechte Ausgestaltung der Verteilungsregel<br />
Was bedeutet das für die konkreten Verteilungsregeln? Diese müssen (erstens) system-<br />
gerecht sein, da sie nur so maßstabbildende Funktion übernehmen; dies wurde oben<br />
unter C I bereits entwickelt. Die Höhe der Gesamtmittel, die der Bund zur Verfügung<br />
stellt, ist (zweitens) zwar nicht frei von Rechtsbindungen, jedoch keineswegs in gleicher<br />
Weise vorgezeichnet, wie die eigentliche horizontale Verteilungsentscheidung zwischen<br />
den Ländern. Bei der Verteilungsentscheidung müssen (drittens) auch für den<br />
ÖPNV/SPNV die Ziele der Bahnreform grundsätzlich Berücksichtigung finden, diese dür-<br />
fen – die Besonderheiten durch Art. 87e Abs. 4 GG berücksichtigt – nicht konterkariert<br />
werden; durch die Auswahl etwaiger verkehrswissenschaftlicher Indikatoren dürfen<br />
(viertens) keine falschen Anreize gesetzt werden, so dass ein überproportionaler Aus-<br />
bau des Nahverkehrs „von anderen bezahlt“ werden würde, denn auch dies würde die<br />
durch die Bahnreform geforderte Transparenz verhindern. Aspekte wie die „Einheitlich-<br />
keit“ oder „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ oder die Qualifi-<br />
kation als „Daseinsvorsorge“ spielen (fünftens) bei diesen speziellen Finanzzuweisun-<br />
gen grundsätzlich keine Rolle, insbesondere bezieht sich dies auf wirkliche oder ver-<br />
meintliche Nachholbedarfe im Gefolge der Wiedervereinigung.<br />
1. Unterscheidung zwischen der Höhe der Gesamtmittel und dem Verteilungsmodus<br />
Die Höhe der nach Art. 106a GG zu verteilenden Mittel ist in der Verfassung selbst nicht<br />
festgelegt. Sie kann auch aus verfassungsrechtsdogmatischen Gründen nicht in gleicher<br />
Weise verfassungsrechtlich vorgezeichnet sein, wie der Verteilungsmodus als solcher.<br />
120 Finanzausgleich, 1996, S. 255; ebenso Hanno Kube, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar,<br />
2009, Art. 106a Rdnr. 7.
37<br />
Das stellt eine (weitere) Parallele zum Steuerverfassungsrecht als einem anderen Teil<br />
des öffentlichen Finanzrechts dar: Auch die Höhe der Steuerbelastung ist in erster Linie<br />
eine politische Frage, die allenfalls in äußersten Grenzen bzw. Grenzsituationen verfas-<br />
sungsrechtlich eingefangen werden kann. Demgegenüber ist die gleichheitsgerechte<br />
Verteilung der Steuerlast eine verfassungsrechtliche Zentralfrage 121 . Gleichwohl gibt es<br />
auch bei den von Seiten des Bundes zur Verfügung gestellten Mittel Untergrenzen. Diese<br />
ergeben sich zum einen wiederum aus der Entstehungsgeschichte von Norm und Regio-<br />
nalisierungsgesetz. Die Länder haben der Bahnreform nur zugestimmt, wenn die Kosten,<br />
die durch die Regionalisierung für sie entstehen, im Wesentlichen vom Bund getragen<br />
werden. Dies wurde oben im Rahmen der Darstellung der Entstehungsgeschichte des<br />
Art. 106a GG dargelegt (unter A II 2). Die ursprüngliche Fassung des Regionalisierungs-<br />
gesetzes wurde dabei parallel zu den Verfassungsänderungen im Rahmen der Bahnre-<br />
form mitbeschlossen. Bei aller Vorsicht der Konkretisierung von Verfassungsrecht durch<br />
einfaches Gesetzesrecht (Stichwort: Gefahr „Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze<br />
zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung“ 122 ) kann damit auch auf die dort verankerten<br />
Summen zurückgegriffen werden 123 . Durch die Bezeichnung eines gewissen Grundver-<br />
sorgungsauftrags in § 1 RegG als „Daseinsvorsorge“ folgt rechtlich freilich zunächst we-<br />
nig, denn der Begriff der Daseinsvorsorge ist kein präziser, subsumtionsfähiger Rechts-<br />
begriff, aus dem übergreifend konkrete Rechtsfolgen hergeleitet werden könnten 124 .<br />
Entscheidend ist die Gewährleistungsverantwortung, die dem Bund durch Art. 87e Abs.<br />
4 GG auferlegt wurde 125 . Danach ist der Bund für das Schienennetz insgesamt verant-<br />
wortlich, für die Prästierung der Verkehrsdienstleistungen allerdings nicht für den Per-<br />
sonennahverkehr 126. Unmittelbar aus dieser Norm folgt also keine direkte Vorgabe für<br />
121 Zu dieser Unterscheidung m.w.N. Christian Waldhoff, Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes,<br />
in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5, 3. Aufl.<br />
2007, § 116 Rdnr. 98 ff., 116, 120.<br />
122 Vgl. die gleichnamige Schrift von Walter Leisner, 1964.<br />
123 Vgl. hinsichtlich einer anderen Frage ähnlich Peter Michael Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck,<br />
Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 106a Rdnr. 4; allgemein und ausführlich zu diesem<br />
Auslegungsproblem im Rahmen der Bahnreform Markus Möstl, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz. Kommentar,<br />
Art. 87e Rdnr. 61 f. (Kommentierung von November 2006).<br />
124 Dazu näher sogleich ausführlich unter C IV 2 c. Zur kontextabhängigen Konkretisierung der Kategorie<br />
der Daseinsvorsorge jetzt Martin Franzen/Gregor Thüsing/Christian Waldhoff, Arbeitskampf in der Daseinsvorsorge,<br />
erscheint 2013 im Verlag Mohr-Siebeck, Tübingen.<br />
125 Allgemein zur Gewährleistungsverantwortung im Bahnbereich Michael Fehling, Das Recht der Eisenbahnregulierung,<br />
in: Lüdemann (Hrsg.), Telekommunikation, Energie, Eisenbahn, 2008, S. 118 (122 f.).<br />
126 Hubertus Gersdorf, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010,<br />
Art. 87e Rdnr. 67; Kay Windthorst, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 87e Rdnr.<br />
60; zurückhaltend gegenüber dem daraus resultierenden Gewährleistungsauftrag wegen der Gefahr einer<br />
Konterkarierung der Ziele der Bahnreform etwa auch Eberhard Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl,<br />
Grundpositionen des neuen Eisenbahnverfassungsrechts, DÖV 1994, S. 577 (584).
38<br />
die Höhe der Bundesmittel. Eine indirekte Gewährleistungsverantwortung ergibt sich<br />
dann jedoch aus Art. 106a GG 127. Inwieweit diese Verpflichtung damit in der Finanzie-<br />
rungsverpflichtung aufgegangen ist, bedürfte noch näherer Prüfung. Als Untergrenze<br />
wird man aus den dargelegten Gründen in jedem Fall die seinerzeit vereinbarte Summe,<br />
einschließlich ihrer Dynamisierungen ansehen können.<br />
2. Zulässige bzw. unzulässige Kriterien<br />
a) Keine Konterkarierung des Grundanliegens der Gesamtreform der Verhinderung von<br />
Fehlanreizen zwischen Kosten und Nutzen im ÖPNV – Spannungsverhältnis zwischen dem<br />
Erfordernis „objektiver verkehrswissenschaftlicher Indikatoren“ und einem die Anreizin-<br />
tention verfehlenden überproportionalen Ausbau der ÖPNV-Struktur<br />
Auch der Schienenpersonennahverkehr nimmt grundsätzlich an den Zielen der Bahnre-<br />
form teil 128 . Privatisierung und die Herausstellung von Verantwortungszusammenhän-<br />
gen, v.a. auch finanzwirtschaftlicher Art, sind auch hier zentrale Größen, die freilich mit<br />
einem Versorgungsauftrag ausbalanciert werden müssen. Das entbindet aber nicht von<br />
dem Transparenzerfordernis, wonach derjenige, der entsprechende Verkehrsleistungen<br />
„bestellt“ auch dafür zahlen soll. Diese Finanzverantwortung, d.h. der Zusammenhang<br />
zwischen dem Wunsch nach Aufgabenerfüllung und ihrer Finanzierung, kann nicht<br />
dadurch ausgehebelt werden, dass der Aufgabenträger beim ÖPNV/SPNV vom Bund auf<br />
die Länder verschoben wurde. Das hat unmittelbare Konsequenzen in denjenigen Berei-<br />
chen des ÖPNV/SPNV, in denen ein größeres Angebot bereitgestellt wird, als erforder-<br />
lich ist. Insbesondere im Zuge der Euphorie nach der deutschen Wiedervereinigung<br />
wurden – auch hier – Kapazitäten aufgebaut, die sich als überdimensioniert erwiesen.<br />
Entstehungsgeschichtlich kam dies etwa dadurch zum Tragen, dass als (Teil-)Indikator<br />
der ursprünglichen Regelung der Fahrplan 1993/94 zugrunde gelegt wurde – dieser<br />
muss jedoch nicht notwendig objektivierten Bedarfen entsprechen, zumindest nicht<br />
mehr in der Gegenwart. Selbst unabhängig von einer etwaigen ursprünglichen Überdi-<br />
127 Auf den Zusammenhang weist auch Michael Fehling, Das Recht der Eisenbahnregulierung, in: Lüdemann<br />
(Hrsg.), Telekommunikation, Energie, Eisenbahn, 2008, S. 118 (123) hin.<br />
128 Ausdrücklich und mit Betonung Markus Möstl, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz. Kommentar, Art. 87e<br />
Rdnr. 137 (Kommentierung von November 2006). Allgemein auf Art. 87e Abs. 4 bezogen so explizit Eberhard<br />
Schmidt-Aßmann/Hans Christian Röhl, Grundpositionen des neuen Eisenbahnverfassungsrechts, DÖV<br />
1994, S. 577 (584).
mensionierung wären die ursprünglichen Bedarfe durch den z.T. deutlichen Bevölke-<br />
39<br />
rungsrückgang in den neuen Bundesländern nicht mehr einschränkungslos gegeben. Es<br />
würde den hier entfalteten Zielen der Bahnreform und der Regionalisierung des SPNV<br />
widersprechen, wenn überdimensionierte, letztlich auf politischem Wünschen beruhen-<br />
de Verkehrsangebote bei der Verteilungsentscheidung nach Art. 106a GG privilegiert<br />
würden. Dies stellte zudem den oben als unzulässig entwickelten Übergriff in den allge-<br />
meinen, unterschiedliche Finanzkraft ausgleichenden Finanzausgleich dar und entfernte<br />
sich von der hier relevanten bedarfsgesteuerten Verteilungsentscheidung. Als Zwi-<br />
schenergebnis kann mithin festgehalten werden, dass eine bloße Übernahme der sei-<br />
nerzeitigen Verteilungsschlüssel nicht den Anforderungen des Art. 106a GG, so wie sie<br />
hier entwickelt wurden, entspräche.<br />
Auf der anderen Seite wäre auch die Zugrundelegung der aktuell im Bereich des ÖPNV<br />
bestehenden Verträge, mit denen entsprechende Leistungen „bestellt“ werden, nicht<br />
geeignet. Diese bilden nämlich nicht notwendig einen objektivierten Bedarf ab, sondern<br />
sie entsprechen zumindest zu einem Teil den politischen Wünschen im Hinblick auf<br />
Verkehrsdienstleistungen. Bedarfsbezogenheit als Grunddeterminante von Art. 106a GG<br />
ist jedoch nur dann sinnvoll und operationabel, wenn es sich um objektivierte Bedarfe<br />
handelt. Legte man demgegenüber die aktuelle Vertragsstruktur als Verteilungsindika-<br />
tor zwischen den Ländern zugrunde, hätte dasjenige Land den größten Vorteil, da am<br />
meisten „bestellt“ hat – das entspricht, wie dargelegt werden konnte, nicht der Intention<br />
des Grundgesetzes im hiesigen Bereich.<br />
Bei der Auswahl verkehrswissenschaftlicher Indikatoren ist danach zu berücksichtigen,<br />
dass diese die – etwa an der schlichten Einwohnerzahl, ggf. in Kombination mit sachge-<br />
rechten verkehrswissenschaftlichen Indikatoren festgemachten – Bedarfsindikatoren<br />
nicht entgegen der ökonomischen Transparenz verwässern. Jegliche allgemeine Umver-<br />
teilung zwischen den Ländern aufgrund unterschiedlicher Finanzkraft über Art. 106a GG<br />
wäre verfassungswidrig. Verkehrswissenschaftliche Indikatoren zur Ergänzung des<br />
Einwohnerkriteriums dürfen demnach nicht eine versteckte „Aufbauhilfe Ost“ umfassen<br />
oder begünstigen. Auch überproportionale Dimensionierungen von Nahverkehrsange-<br />
boten, die in die ursprüngliche Fassung des Regionalisierungsgesetzes und seiner Ver-<br />
teilungsentscheidung noch eingingen, können bei einer Revision keine Bedeutung mehr<br />
besitzen. Solche Anreizfehlsteuerungen sollten durch die Reform gerade abgestellt wer-<br />
den und dürfen daher jetzt nicht – mehr oder minder in bestimmten Kriterien versteckt<br />
– gleichsam „durch die Hintertür“ erneut eingeführt werden.
40<br />
b) Begrenzte Relevanz der „Einheitlichkeit“ oder „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse<br />
im Bundesgebiet für die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs<br />
aa) Herkunft, Hintergrund und verfassungsrechtsdogmatische Bedeutung<br />
Die Forderung nach „einheitlichen“ oder „gleichwertigen Lebensverhältnissen im Bun-<br />
desgebiet“ wird als Argument in der finanzverfassungsrechtliche Diskussion regelmäßig<br />
herangezogen. Wie an anderer Stelle nachgewiesen wurde, handelt es sich dabei jedoch<br />
nicht um eine Staatszielbestimmung, d.h. um einen verbindlichen übergreifenden Satz<br />
des Verfassungsrechts, sondern lediglich um eine an verschiedenen Stellen des Grund-<br />
gesetzes aufscheinende, aus ihrem jeweiligen Kontext zu interpretierende Einzelfallre-<br />
gelung 129. Für eine Verfassungsreformdiskussion darf dieses Postulat alternative Sicht-<br />
weisen nicht verstellen, die Auslegung geltenden (Finanz-)Verfassungsrechts darf es<br />
nicht dominieren 130. Das gilt erst Recht für die Auslegung von Art. 106a GG.<br />
Auch die Anführung von eher tatsächlichen Bestimmungsgründen (vereinheitlichende<br />
Wirkung der Bundesgrundrechte und des Sozialstaatsprinzips; bundesweit agierende<br />
politische Parteien; Erwartungshaltungen der Bürger) nehmen – mit einem Wort Peter<br />
Lerches – den „Trend … als Faktum …, dem sich die Rechtswelt zu fügen habe“ 131 , unter-<br />
liegen also der Gefahr des Sein-Sollen-Fehlschlusses 132. Der Argumentationstopos von<br />
den einheitlichen oder gleichwertigen Lebensverhältnissen im Bundesgebiet erweist<br />
sich als historische Schlacke aus Perioden der Entwicklung der deutschen Bundesstaat-<br />
lichkeit, als die politische Einheit gefährdet war. Heute hat sie ihre Bedeutung weitge-<br />
hend verloren 133 .<br />
129 Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland-Schweiz,<br />
1997, S. 84-94; Klaus Vogel/Christian Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts,<br />
1999, Rdnr. 81-87; ähnlich auch Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaat,<br />
1998, S. 13, 532 ff.; Sigrid Boysen, Gleichheit im Bundesstaat, 2005, S. 53 ff., 119 ff.; insoweit übereinstimmend<br />
auch Lerke Osterloh, Die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse als offene Frage der Finanzverfassung,<br />
in: GS für Christoph Trzaskalik, 2005, S. 181.<br />
130 Zu Recht weißt etwa Markus Möstl, Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern,<br />
ZG 2003, S. 297 (299), auf einen Widerspruch hin, wenn in der Öffentlichkeit zwar „Entflechtung“<br />
des bundesstaatlichen Kompetenzgefüges gefordert werde, die notwendige Konsequenz größerer Disparitäten<br />
zwischen den Ländern jedoch nach wie vor kritisch gesehen werde.<br />
131 Finanzausgleich und Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, in: FS für Friedrich Berber, 1973, S. 299.<br />
132 In diese Richtung etwa Hans Peter Bull, Finanzausgleich im „Wettbewerbsstaat“, DÖV 1999, S. 269<br />
(279).<br />
133 Ausführlicher Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich<br />
Deutschland-Schweiz, 1997, S. 102 ff.
Dieser Diskurs hängt mit Faktoren zusammen, die 1867/71 zur Gründung des Bis-<br />
41<br />
marckreiches führten und seine weitere Entwicklung begleiteten. Die Schaffung eines<br />
einheitlichen Wirtschaftsgebiets, der endgültige Wegfall der innerstaatlichen Zoll-<br />
schranken und der durch rechtliche Regelungen nicht mehr gehinderte Binnenverkehr<br />
gehörten zu den (wirtschafts-)politischen Hauptforderungen des liberalen Bürgertums<br />
im 19. Jh. Hinzu kam eine ständig voranschreitende, auch räumliche Mobilisierung der<br />
Bevölkerung im Gefolge der Industrialisierung. Eine gewisse Vorherrschaft alles Wirt-<br />
schaftlichen resultierte in der zweiten Hälfte des 19. Jh. aus der politischen Marginalisie-<br />
rung des Bürgertums im Kaiserreich. Den meisten politischen Einigungsbemühungen<br />
gingen zunächst Versuche ökonomischer Einigungen voraus 134. Hinzu traten zahlreiche<br />
Abspaltungsbewegungen zu Beginn der Weimarer Epoche und die von außen kommen-<br />
den – mittelbar zentralisierend und unitarisierend wirkenden – Bedrohungen und Re-<br />
pressionen. Schließlich wurden 1948/49 betont föderalistische Ansichten der alliierten<br />
Siegermächte über die staatliche Rekonstruktion Deutschlands, soweit es möglich war,<br />
zurückgedrängt. Die ursprüngliche Fassung von Art. 72 Abs. 2 GG bildet das Schulbei-<br />
spiel 135 . Die Interessen bei den Beratungen des Grundgesetzes waren in diesen Fragen –<br />
mit Ausnahme Bayerns – eher einheitsstaatlich geprägt: Hermann Höpker-Aschoff als die<br />
prägende Gestalt der Beratungen zur Finanzverfassung besaß als ehemaliger hoher<br />
preußischer Beamter und Finanzminister eine ausgesprochen technokratisch-<br />
zentralistische Grundprägung. Seine Parteien – die DDP und die FDP – waren ohnehin<br />
stets zentralistisch orientiert 136 . Die SPD plädierte traditionell für eine zentralisierte<br />
Finanzpolitik als Bedingung der von ihr angestrebten Sozialpolitik 137 . Teile der Finanz-<br />
verfassung waren also in ihrem Entstehungsumfeld geprägt durch einen besonderen<br />
Willen nach Einheitlichkeit. Viele dieser Bestimmungsgründe sind heute entfallen oder<br />
besitzen ein geringeres Gewicht und sollten die Reformdiskussion daher nicht unnötig<br />
belasten 138 . Das Leitbild von den einheitlichen oder gleichwertigen Lebensverhältnissen<br />
134 Heidrun Abromeit, Der verkappte Einheitsstaat, 1992, S. 121.<br />
135 Michael Gruson, Die Bedürfniskompetenz, 1967, S. 18 ff.; Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche<br />
Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland-Schweiz, 1997, S. 58 ff.<br />
136 Differenziert Karl Heinz Lamberty, Die Stellung der Liberalen zum föderativen Staatsaufbau in der<br />
Entstehungsphase der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949, Diss. phil. Bonn 1983, S. 116 ff.<br />
137 Vgl. insgesamt die Materialaufbereitung bei Hans Peter Schneider (Hrsg.), Das Grundgesetz. Dokumentation<br />
seiner Entstehung, Bd. XXV, 1997<br />
138 Vgl. auch Klaus Rennert, Der deutsche Föderalismus in der gegenwärtigen Debatte um eine Verfassungsreform,<br />
Der Staat 31 (1992), S. 269 (274).
42<br />
sollte als außerrechtlicher Faktor im Sinne eines bestimmten Vorverständnisses behan-<br />
delt werden 139.<br />
bb) Zwischenergebnis: Bedeutungslosigkeit für vorliegende Fragestellung<br />
Angesichts der Bedarfsorientierung, angesichts der allgemein verfehlten und begrenzten<br />
Direktivkraft des Postulats einheitlicher oder gleichwertiger Lebensverhältnisse im<br />
Bundesgebiet als übergreifende Staatszielbestimmung über die konkreten grundgesetz-<br />
lichen Regelungsbereiche hinaus und angesichts der ausgelaufenen Bedeutung der An-<br />
gleichung zwischen Ost und West im Gefolge der Wiedervereinigung besitzt der Topos<br />
der einheitlichen oder gleichwertigen Lebensverhältnissen im Bundesgebiet für die Lö-<br />
sung der vorliegenden Verteilungsproblematik keinerlei verfassungsrechtliche Bedeu-<br />
tung 140.<br />
c) Begrenzte Relevanz der Qualifikation als „Daseinsvorsorge“<br />
aa) Das Konzept Daseinsvorsorge – Entstehung und Entwicklung<br />
Der Begriff der Daseinsvorsorge geht auf den Staats- und Verwaltungsrechtler Ernst<br />
Forsthoff zurück und erfasste – zumindest ursprünglich – einen Teilbereich der Leis-<br />
tungsverwaltung 141. Forsthoff entwickelte den Begriff in seiner Schrift „Die Verwaltung<br />
als Leistungsträger“ 1938 142 . Danach war unter Daseinsvorsorge „die Darbringung von<br />
Leistungen, auf welche der in die modernen massentümlichen Lebensformen verwiese-<br />
ne Mensch lebensnotwendig angewiesen ist“ zu verstehen 143 . Die Entwicklung des Be-<br />
139 Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaat, 1998, S. 13 f.<br />
140 Großzügiger, aber wohl auf den Finanzausgleich i.e.S. bezogen, Dirk Hanschel, Konfliktlösung im Bundesstaat,<br />
2012, S. 228 ff.<br />
141 Ernst Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, teilweise abgedruckt in ders., Rechtsfragen<br />
der leistenden Verwaltung, 1959, S. 22 ff. (27); Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl.<br />
2011, § 1 Rdnr. 16a.<br />
142 Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S.<br />
52 (59); umfassend jetzt Florian Meinel, Der Jurist in der industriellen Gesellschaft. Ernst Forsthoff und<br />
seine Zeit, 2011, S. 153 ff.<br />
143 Ernst Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 27; später erstreckte Forsthoff den<br />
Begriff über das Lebensnotwendige hinaus auch auf weitere, für ein sinnvolles menschliches Dasein not-
43<br />
griffs der Daseinsvorsorge wurde allerdings auch dem Philosophen Karl Jaspers zuge-<br />
schrieben, der in seiner Schrift „Die geistige Situation der Zeit“ von 1931, „die Massen-<br />
ordnung in Daseinsfürsorge“ thematisierte 144. Dass Forsthoff den Begriff von Jaspers ein-<br />
fach übernommen haben könnte, wird freilich bezweifelt 145 . Schon die Urheberschaft<br />
zweier so völlig verschiedener Protagonisten wie Jaspers und Forsthoff zeigt, dass mit<br />
dem Begriff trotz des zeitlichen Umfelds nicht etwa nationalsozialistisches Gedankengut<br />
transportiert wurde. Das Modell der Daseinsvorsorge in den 1930er Jahren fußte so-<br />
wohl bei Forsthoff als auch bei Jaspers auf dem Gedanken, dass für den Menschen zur<br />
damaligen Zeit, in der „die Folgen der industriellen Revolution für die Autonomie des<br />
Individuums“ 146 besonders spürbar waren, der beherrschbare Raum (Hof, Acker, Haus)<br />
geschwunden, der zugängliche Raum jedoch – insbesondere infolge des Ausbaus des<br />
Verkehrswesens – gewachsen war; dies hatte eine zunehmende Unsicherheit des<br />
menschlichen Daseins zur Folge 147 . Mit der Verringerung des beherrschbaren Raumes<br />
hatte der Einzelne die Vorsorge für die Befriedigung der Lebensbedürfnisse aus der<br />
Hand gegeben, die Macht der modernen Verwaltung wurde dadurch erhöht. Hierdurch<br />
war eine Lage entstanden, in welcher die „Lebensgüter nicht durch die Nutzung einer<br />
eigenen Sache, sondern im Wege der Appropriation“ zugänglich gemacht werden muss-<br />
ten 148 . Diejenigen Veranstaltungen zur Befriedigung dieser Appropriation bezeichnete<br />
Forsthoff als Daseinsvorsorge 149 .<br />
wendige Leistungen und Güter im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich, vgl. Hartmut Maurer,<br />
Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 1, Rdnr. 16a.<br />
144 Vgl. Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003,<br />
S. 61, Fn. 38; Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 25 f.<br />
145 Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S.<br />
61; vielmehr dürften ihn die philosophischen Vorarbeiten dieser Zeit „bei der analytischen Verarbeitung<br />
und Erklärung des empirischen Befundes“ gestützt haben, die dann in die Entwicklung des Konzepts der<br />
Daseinsvorsorge mündete, vgl. Georg Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 96; eingehend<br />
zu den theoretischen Vorarbeiten Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge,<br />
2004, S. 22 ff.<br />
146 Jens Kersten, Die Entwicklung des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff, Der<br />
Staat 44 (2005), 543, 544.<br />
147 Ernst Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 25 f.; vgl. auch Michael Ronellenfitsch,<br />
Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S. 58; Jens Kersten, Die Entwicklung<br />
des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff, Der Staat 44 (2005), 543 (552).<br />
148 Ernst Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 26; vgl. a. Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge<br />
als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S. 59.<br />
149 Ernst Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 26; dieses Konzept mit seiner Idee<br />
der öffentlich-rechtlichen Bindung der leistenden Verwaltung, die vom Führerprinzip und vom Machtanspruch<br />
der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei getrennt bleiben sollte, passte nicht ins damalige<br />
nationalsozialistische Weltbild, was Forsthoff auch den Gegenwind der Partei einbrachte und dafür<br />
sorgte, dass der Ausdruck „Daseinsvorsorge“ nur mit Verzögerung Eingang in den juristischen Sprachgebrauch<br />
fand, vgl. Michael Ronellenfitsch , Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst<br />
Forsthoff, 2003, S. 62 f.; die Lehre an der Universität Wien wurde ihm 1942 z.B. von den Nationalsozialisten<br />
untersagt, s. Jens Kersten, Die Entwicklung des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst
) Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff?<br />
Der Begriff der Daseinsvorsorge ist „zum Allgemeingut geworden, zugleich aber auch<br />
44<br />
sowohl hinsichtlich seines inhaltlichen Umfangs als auch hinsichtlich seiner juristischen<br />
Relevanz umstritten“ 150. Er wird oftmals eher als soziologischer denn als rechtlicher<br />
Terminus aufgefasst 151 . Die Lehrbuchliteratur behandelt den Begriff entweder stiefmüt-<br />
terlich oder glaubt, er sei verzichtbar 152. Auch hierin liegt ein Grund für eine bis heute<br />
fehlende stimmige Dogmatik zur Daseinsvorsorge 153. Selbst Forsthoff musste 1959 ein-<br />
räumen, dass der Begriff zu einem „Allerweltsbegriff“ zu werden drohe, „mit dem man<br />
alles und deshalb nichts beweisen“ könne 154.<br />
(1) Definitionsansätze und Abgrenzungen<br />
Der Daseinsvorsorgebegriff umfasst soziologische Analyse, juristische Dogmatik sowie<br />
politische Zielvorstellungen 155 und könnte demnach als Verbundbegriff bezeichnet wer-<br />
den. In der damit verbundenen Reichweite spiegelt sich die Definitionsvielfalt wider: Die<br />
Ansätze reichen von „Leistungen und Vorteile allein zum Zwecke der Befriedigung eines<br />
durch die Hilfsquellen des Begünstigten oder die Arbeitsweise des Marktes nicht ge-<br />
deckten Bedürfnisses“ 156 über „für ein sinnvolles menschliches Dasein notwendige Leis-<br />
tungen und Güter im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich“ 157 bis hin zur<br />
Forsthoff, Der Staat 44 (2005), 543 (555); anzumerken ist jedoch, dass Forsthoff sich erst Ende der Dreißiger<br />
Jahre sukzessive vom Nationalsozialismus distanziert hatte, vgl. Jens Kersten, a.a.O., S. 551 ff.<br />
150 Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 1 Rdnr. 16a; s. a. Matthias Knauff, Der<br />
Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 47: „Die Daseinsvorsorge ist heute ein nicht<br />
mehr wegzudenkender Bestandteil von Recht und Wirklichkeit […]“.<br />
151 S. etwa Fritz Ossenbühl, Daseinsvorsorge und Verwaltungsprivatrecht, DÖV 1971, 513 (515 ff.); Thorsten<br />
Franz, Gewinnerzielung durch kommunale Daseinsvorsorge, 2005, S. 12; Reiner Schmidt, Die Liberalisierung<br />
der Daseinsvorsorge, Der Staat 42 (2003), 225 (229).<br />
152 S. die Übersicht bei Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst<br />
Forsthoff, 2003, S. 69 f.<br />
153 Vgl. Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 47.<br />
154 Ernst Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, Vorwort.<br />
155 Peter Badura, Die Daseinsvorsorge als Verwaltungszweck der Leistungsverwaltung und der soziale<br />
Rechtsstaat, DÖV 1966, 624 (626); Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge,<br />
2004, S. 45.<br />
156 Peter Michael Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, in: Schmidt-Aßmann/Schoch (Hrsg.), Besonderes<br />
Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2008, § 3 Rdnr. 77.<br />
157 Vgl. Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 1, Rdnr. 16a.
45<br />
Daseinsvorsorge als „Vorsorge zur optimalen Freiheitsverwirklichung“ 158. Letztlich kann<br />
man unter Daseinsvorsorge „die durch das Gemeinwesen sicherzustellende Versorgung<br />
mit wesentlichen Gütern und Dienstleistungen (einschließlich der Infrastruktur)“ 159<br />
verstehen. Ein wesentliches Begriffsmerkmal ist stets die Gemeinwohlorientiertheit 160 .<br />
Die Frage, welche Aufgaben im Einzelnen der Daseinsvorsorge zuzurechnen sind, steht<br />
nicht ein für alle Mal statisch fest, sondern ist grundsätzlich zeitbezogen zu beantwor-<br />
ten. Begriff und Konzept besitzen insofern ein dynamisches Element. Abzustellen ist auf<br />
den fiktiven Normalbürger 161 . Weitere Merkmale sind die Zweiseitigkeit und die Ent-<br />
geltlichkeit der zu erbringenden Güter und Dienstleistungen, um eine Abgrenzung etwa<br />
zu reinen Fürsorgeleistungen zu ermöglichen 162. Zudem sind öffentlich-rechtliche Bin-<br />
dungen zur Wahrung des Gemeinwohls bestimmendes Wesensmerkmal der Daseinsvor-<br />
sorge 163. Als Schulbeispiel für Daseinsvorsorge mag die Versorgung der Bevölkerung mit<br />
leitungsgebundener Energie dienen 164 ebenso wie die Versorgung mit Trinkwasser und<br />
die Entsorgung von Abwasser.<br />
Der Begriff Daseinsvorsorge als Teil der Leistungsverwaltung 165 ist von anderen verwal-<br />
tungsrechtsdogmatischen Begriffen abzugrenzen. Allerdings ist eine klare Grenzziehung<br />
zwischen den einzelnen Aufgabenfeldern der Verwaltung aufgrund sich teilweise über-<br />
schneidender Kriterien bisweilen schwierig. 166 Zu klären ist das Verhältnis zur staatli-<br />
chen Gewährleistungsverantwortung. Gewährleistungsverwaltung bezeichnet die staat-<br />
liche Sicherstellung der Leistungserbringung für den Bürger durch Dritte, insbesondere<br />
Privatunternehmen 167 . Insoweit erweist sie sich als Privatisierungsfolgerecht. Sie soll<br />
158 Ulrich Hösch, Die kommunale Wirtschaftstätigkeit: Teilnahme am wirtschaftlichen Wettbewerb oder<br />
Daseinsvorsorge, 2000, S. 41, 166; diese Definition als verfehlt ansehend Thorsten Franz, Gewinnerzielung<br />
durch kommunale Daseinsvorsorge, 2005, S. 13, Fn. 14; einen Überblick über die verschiedenen Ansätze<br />
nach heutigem Verständnis gibt Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge,<br />
2004, S. 47 ff.<br />
159 Reiner Schmidt, Die Liberalisierung der Daseinsvorsorge, Der Staat 42 (2003), 225.<br />
160 Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 48.<br />
161 Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 49.<br />
162 Ebd.<br />
163 Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 52.<br />
164 Georg Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 95.<br />
165 Peter Badura, Die Daseinsvorsorge als Verwaltungszweck der Leistungsverwaltung und der soziale<br />
Rechtsstaat, DÖV 1966, 624 (628); Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 1<br />
Rdnr. 16a; Helmuth Schulze-Fielitz, Grundmodi der Aufgabenwahrnehmung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-<br />
Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 12 Rdnr. 39.<br />
166 Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 1 Rdnr. 13.<br />
167 Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 1 Rdnr. 16b; grundlegend Andreas<br />
Voßkuhle, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung,<br />
VVDStRL 62 (2003), S. 268 (307 ff.).
46<br />
einerseits multipolare Interessengeflechte zwischen Privaten und dem Staat zum Aus-<br />
gleich bringen und andererseits die Rahmenbedingungen von Märkten durch staatliche<br />
Regulierung schaffen, die einem gemeinwohlschädigenden Marktversagen vorbeugen<br />
sollen 168 . Insofern zielt der Begriff der Gewährleistungsverwaltung in eine andere Rich-<br />
tung als die in ihrer verwaltungsrechtsdogmatischen Auslegung der Leistungsverwal-<br />
tung unterfallende Daseinsvorsorge 169. Allerdings waren die vom Staat an Private über-<br />
tragenen Tätigkeiten größtenteils ursprünglich der Daseinsvorsorge als Teil der Leis-<br />
tungsverwaltung zuzuordnen 170 . Daseinsvorsorge verstanden als reine Versorgungsleis-<br />
tung kann somit zwar Gegenstand der Gewährleistungsverwaltung sein, ist jedoch nicht<br />
mit ihr gleichzusetzen.<br />
(2) Diskussion um das Konzept der Daseinsvorsorge<br />
Seit jeher sah sich der Begriff „Daseinsvorsorge“ heftiger Kritik im Schrifttum ausge-<br />
setzt, die jedenfalls entscheidenden Anteil daran gehabt haben dürfte, dass sich die von<br />
Forsthoff im Jahr 1959 171 konstatierte Durchsetzung des Begriffs bis heute nicht endgül-<br />
tig vollzogen hat. Die Kritik richtet sich vor allem auf die Konturlosigkeit und fehlende<br />
Bestimmtheit der Daseinsvorsorge 172 . Diese sei auf die große Reichweite des Begriffs<br />
zurückzuführen, die einen Bezug zu Einzelaufgaben oder eindeutigen Kriterien zur Er-<br />
mittlung derselben unmöglich mache 173 . Eine Eignung der Daseinsvorsorge als Rechts-<br />
begriff erscheine vor diesem Hintergrund fraglich. Denn ein solcher müsse als klar er-<br />
kennbarer Anknüpfungspunkt für bestimmte Rechtsfolgen dienen können 174. Zudem<br />
wird angemerkt, zur Begründung von Teilhabeansprüchen sei Daseinsvorsorge ange-<br />
sichts von Grundrechten als subjektiv-öffentlichen Rechten ungeeignet bzw. überflüs-<br />
168 Helmuth Schulze-Fielitz, Grundmodi der Aufgabenwahrnehmung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-<br />
Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 12 Rdnr. 51.<br />
169 Ebd.<br />
170 Vgl. Johann-Christian Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 2001, S. 19, der den Begriff<br />
„öffentliche Versorgung“ aufgrund seiner „Trägerneutralität“ von dem der Daseinsvorsorge abgrenzt.<br />
171 Ernst Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 9.<br />
172 Johann-Christian Pielow, Grundstrukturen öffentlicher Versorgung, 2001, S. 353: „Pauschalisierende<br />
Grobformel“; vgl. zur Kritik Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.),<br />
Ernst Forsthoff, 2003, S. 72; ders., Daseinsvorsorge und Wirtschaftlichkeit des Eisenbahnwesens, DVBl.<br />
2008, 201 (203); Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 46.<br />
173 Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 45 f.<br />
174 Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 46.
sig 175. Auch bedürfe es keines Rückgriffs auf den Begriff der Daseinsvorsorge bei der<br />
47<br />
Betrachtung eines konkreten Problems, da er ohnehin keine unmittelbaren Rechtsfolgen<br />
zeitige 176. Aus der Daseinsvorsorge als Staatsaufgabe 177 folgten ferner keine Rechts-<br />
pflichten des Staates bzw. hiermit korrespondierende subjektive Rechte des Einzel-<br />
nen 178 . Schließlich sei das Konzept der Daseinsvorsorge eingebettet in die Vorstellung<br />
eines autoritären Verwaltungsstaates, was jede weitere Verwendung des Begriffs er-<br />
schwere 179.<br />
Die Konsequenz des Konzepts der Daseinsvorsorge wird auch in der Möglichkeit eines<br />
„totalen Wohlfahrtsstaates“ gesehen, der die vollständige Versorgung mit wichtigen Gü-<br />
tern und Leistungen und somit das gesamte private Wirtschaftsleben ausschalten kön-<br />
ne 180. Die Deduktion aus dem Begriff Daseinsvorsorge lasse „beinahe beliebige Aufga-<br />
benverstaatlichungen zu, da die Daseinsvoraussetzungen (von den Nahrungsmitteln<br />
angefangen) individuell-eigenverantwortlich nicht mehr zu leisten“ seien 181 . Ferner sei<br />
auch eine Herleitung unmittelbarer Handlungsanweisungen aus dem Sozialstaatsprin-<br />
zip, aus dem Daseinsvorsorge gemeinhin abgeleitet werde, anerkanntermaßen nicht<br />
möglich 182 .<br />
Befürworter geben freilich zu bedenken, es sei notwendige Folge der Entwicklungsof-<br />
fenheit eines Rechtsbegriffs, dass eine scharfe Abgrenzung zu anderen Bereichen nicht<br />
möglich sei 183. Daseinsvorsorge begründe zumindest eine Verpflichtung des Staates zur<br />
Schaffung eines rechtlichen Rahmens für die Versorgung der Bevölkerung, was für die<br />
Qualifizierung als Rechtsbegriff ausreiche 184 .<br />
175 Reiner Schmidt, Die Liberalisierung der Daseinsvorsorge, Der Staat 42 (2003), 225 (229).<br />
176 Wolfgang Rüfner, Daseinsvorsorge und soziale Sicherheit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des<br />
Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4, 3. Aufl. 2006, § 96 Rdnr. 10; Matthias Knauff, Der<br />
Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 52 m.w.N.<br />
177 Vgl. Wolfgang Rüfner, Daseinsvorsorge und soziale Sicherheit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch<br />
des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4, 3. Aufl. 2006, § 96 Rdnr. 16.<br />
178 Reiner Schmidt, Die Liberalisierung der Daseinsvorsorge, Der Staat 42 (2003), 225 (229 f.).<br />
179 Wolfgang Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, 1989, S. 111.<br />
180 Vgl. etwa Heinz Grossekettler, Diskussionsbeitrag, in: Hans-Uwe Erichsen, Kommunalverfassung heute<br />
und morgen – Bilanz und Ausblick –, 1989, S. 131; zusammenfassende Darstellung der Kritik bei Georg<br />
Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 116 ff.<br />
181 Wolfgang Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, DVBl. 1991, 132 (137).<br />
182 Wolfgang Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, DVBl. 1991, 132 (138).<br />
183 Vgl. Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 46.<br />
184 Roland Maaß, Der Wettbewerb im örtlichen Personenbeförderungswesen: Möglichkeiten und Notwendigkeiten<br />
im Bereich straßengebundener Beförderung, 1998, S. 56 f.
48<br />
Daseinsvorsorge wird teilweise aus dem Rechts- und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20;<br />
28 Abs. 1 GG) hergeleitet, um ihr rechtliche Verbindlichkeit zu verleihen 185. Die Selbst-<br />
qualifizierung der Bundesrepublik Deutschland als sozialer Rechtsstaat zwinge dazu,<br />
hieraus die gebotenen rechtlichen Konsequenzen zu ziehen 186 . Im Sozialstaat sei der<br />
Staat zur Gewährleistung sozialer Mindeststandards und adäquater Infrastruktur ver-<br />
pflichtet 187. Festzuhalten bleibt, dass der Begriff „Daseinsvorsorge“ Eingang in verschie-<br />
dene rechtliche Regelungen gefunden hat 188. Schon aus diesem Grund könne man ihm<br />
zumindest formal nicht jede rechtliche Relevanz absprechen 189 . Auch in der Rechtspre-<br />
chung tauche der Begriff nicht nur vereinzelt und nicht nur als bloße Direktive, sondern<br />
als rechtlich relevanter Ausdruck auf 190. Jedenfalls könne er als „deskriptiver Sammel-<br />
begriff für von der öffentlichen Hand durchgeführte oder veranlasste Tätigkeiten heran-<br />
gezogen werden, die der Befriedigung von Bedürfnissen breiter Bevölkerungsmassen<br />
hinsichtlich ihrer sozialen Einbindung in die Gesamtgesellschaft und ihrer Versorgung<br />
mit bestimmten, für eine zeitgemäße Lebensführung unerlässlichen Gütern und Leis-<br />
tungen dienen und auf die diese mangels eigener Erschaffungsmöglichkeit angewiesen<br />
sind“ 191 .<br />
(3) Daseinsvorsorge in der Rechtsprechung<br />
Der Begriff der Daseinsvorsorge hat in der Vergangenheit auch verschiedentlich Ver-<br />
wendung in der Rechtsprechung gefunden 192 . Daraus kann freilich keine einheitliche<br />
185 Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S. 74 f.<br />
186 Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge und Wirtschaftlichkeit des Eisenbahnwesens, DVBl. 2008, 201.<br />
187 Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S. 75 f.<br />
188 Vgl. Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003,<br />
S. 73; einige Gemeindeordnungen etwa verwenden den Begriff: In Baden-Württemberg (§ 102 Abs. 1 Nr. 3<br />
GemO), Bayern (Art. 87 Abs. 1 Nr. 4 BayGO) und Thüringen (§ 71 Abs. 1 Nr. 4 KO) gilt die kommunalwirtschaftliche<br />
Subsidiaritätsklausel nur „außerhalb der kommunalen Daseinsvorsorge“; Georg Hermes, Staatliche<br />
Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 95 verweist auf die Übernahme des Begriffs in die Gesetzessprache<br />
im Zuge der Post- und Bahnreform; s.a. § 1 Abs. 1 Regionalisierungsgesetz, in dem es heißt: „Die<br />
Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen<br />
Personennahverkehr ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge“.<br />
189 Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S.<br />
73.<br />
190 Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge und Wirtschaftlichkeit des Eisenbahnwesens, DVBl. 2008, 201.<br />
191 Matthias Knauff, Der Gewährleistungsstaat: Reform der Daseinsvorsorge, 2004, S. 47 m.w.N.<br />
192 BVerfGE 66, 248 – energiewirtschaftliche Enteignung zugunsten Privater; BVerfGE 75, 192 – Qualifikation<br />
einer Sparkasse als Daseinsvorsorge um ihre Grundrechtsfähigkeit zu verneinen; BGHZ 154, 146 –<br />
Qualifikation einer Sparkasse als Daseinsvorsorge um ihre Grundrechtsverpflichtung zu bejahen und sie<br />
damit zu zwingen, auch für die NPD ein Girokonto zu eröffnen; BVerwGE 97, 240 – von einer Gemeinde<br />
betriebene Gaststätte ist keine Daseinsvorsorge. Eine ausführliche Übersicht findet sich bei Michael Ronel-
49<br />
Linie, insbesondere hinsichtlich der (verfassungs-)rechtlichen Qualifikation der Katego-<br />
rie hergeleitet werden.<br />
cc) Zwischenfazit<br />
Hieraus lässt sich – in Verbindung mit der auch legislativen Präsenz – als Zwischener-<br />
gebnis festhalten, dass der Begriff Daseinsvorsorge einerseits rechtliche Relevanz, ande-<br />
rerseits aber auch eine charakteristische Unschärfe besitzt 193. Derartige Begriffe werden<br />
neuerdings als „Brücken-“ oder „Verbundbegriffe“ gekennzeichnet 194. Ihnen kommt vor-<br />
rangig Problemanzeigefunktion zu. In Teilbereichen entwickeln sie sich zu echten<br />
Rechtsbegriffen. Für vorliegende Fragestellung bedeutet dies: Aus der Qualifizierung als<br />
Daseinsvorsorge allein können keine (verfassungs-)rechtlichen Folgen, insbesondere<br />
keine Ansprüche oder Verpflichtungen hergeleitet werden. Dafür bräuchte es einer ex-<br />
pliziten verfassungsrechtlichen Grundlage, wie wir sie für Teilbereiche in Art. 87e Abs. 4<br />
GG finden. Für vorliegende Fragestellung ist daher deutlich zwischen der Funktion des<br />
Begriffs „Daseinsvorsorge“ als (politischer) „Argumentationstopos“ 195 einerseits, der<br />
Frage nach daraus herzuleitenden verfassungsrechtlichen Ansprüchen andererseits zu<br />
unterscheiden. Aus der Verwendung in § 1 Regionalisierungsgesetz kann, da es sich um<br />
eine einfachrechtliche Festschreibung handelt, zumindest verfassungsrechtlich nichts<br />
hergeleitet werden. Zusammengefasst: Die hier skizzierten Verteilungsmaßstäbe, insbe-<br />
sondere das Bemühen, jeglichen „Nebenfinanzausgleich“ zu unterbinden, kann durch die<br />
Berufung auf den Argumentationstopos „Daseinsvorsorge“ nicht erschüttert werden.<br />
lenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S. 81 f., hier Fn. 123<br />
und 124; nach Wolfgang Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, DVBl. 1991,<br />
132 (136 f.) habe die Rechtsprechung (bis 1991 jedenfalls) den Begriff der Daseinsvorsorge in zwei Argumentationszusammenhängen<br />
verwendet. Einen Argumentationsstrang stelle insoweit das Verwaltungsprivatrecht<br />
dar. Erwerbswirtschaftliche Tätigkeit des Staates bzw. der Kommunen seien nach dem<br />
Subsidiaritätsgebot nur in Bereichen der Daseinsvorsorge möglich. Andererseits qualifiziere „Daseinsvorsorge“<br />
das staatliche Leistungsangebot als öffentlich-rechtlich, vgl. hierzu auch BGHZ 52, 325, 328.<br />
193 Klare Einordnung als Rechtsbegriff etwa bei Michael Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff,<br />
in: Blümel (Hrsg.), Ernst Forsthoff, 2003, S. 73 ff.<br />
194 Vgl. für den Begriff der Nachhaltigkeit Wolfgang Kahl, Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, 2008.<br />
195 Georg Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, S. 129.
IV. Rechtsschutzfragen<br />
50<br />
Als Klagemöglichkeit kommt zunächst ein Bund-Länder-Streit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3<br />
GG i.V.m. §§ 13 Nr. 7; 68 ff. BVerfGG in Betracht. Den Bund trifft die oben im materiell-<br />
rechtlichen Teil des Gutachtens herausgearbeitete Pflicht zur Gesetzgebung und zur<br />
Maßstabskonkretisierung. Wie ebenfalls gezeigt wurde, bedeutet dies jedoch nicht die<br />
Festlegung des Grundgesetzes auf einen konkreten Verteilungsmaßstab. Das Dilemma<br />
besteht darin, dass einerseits bestimmte maßstäbliche Kriterien verlangt, andere jedoch<br />
ausgeschlossen sind, dass aber insgesamt die Konkretisierung letztlich nur „von unten“<br />
erfolgen kann, d.h. durch einen konkreten Gesetzesvorschlag. Diesen müsste der Bund,<br />
falls er nicht über den Bundesrat kommt, erstellen und dabei seine oben entwickelte<br />
Position als „ehrlicher Makler“ zwischen den Ländern ausfüllen.<br />
Bei einer etwaigen verfassungsgerichtlichen Überprüfung des revidierten Gesetzes im<br />
Wege einer Normenkontrolle, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 6; 76 ff. BVerfGG<br />
oder Art. 100 Abs. 1 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 11; 80 ff. BVerfGG, könnte der Gesetzesinhalt,<br />
d.h. vorrangig die tatsächlich gewählten Maßstäbe verfassungsgerichtlich überprüft<br />
werden. Antragsberechtigt wäre bei der abstrakten Normenkontrolle in jedem Fall auch<br />
die nordrhein-westfälische Landesregierung. Bei einem Bund-Länder-Streit ist zudem<br />
die sechsmonatige Antragsfrist gem. § 69 i.V.m. § 64 Abs. 3 BVerfGG zu beachten, die mit<br />
Bekanntwerden der angegriffenen Maßnahme des Bundes zu laufen beginnt, etwa auch<br />
seines Unterlassens. Diese Frist dürfte freilich im Vorfeld eines Gesetzgebungsverfah-<br />
rens – hier: Revision des Regionalisierungsgesetzes – noch nicht laufen.<br />
VI. Ergebnisse zum Regionalisierungsgesetz und seiner Revision<br />
1. Art. 106a GG erweist sich als Verfassungsauftrag zur Gesetzgebung, nicht ledig-<br />
lich als Kompetenznorm, die ausgefüllt werden kann oder auch nicht. Da Bundes-<br />
gesetzgebungskompetenz angeordnet ist, ist der Bund aufgerufen von seinem<br />
Gesetzesinitiativrecht Gebrauch zu machen; über den Bundesrat könnte lediglich<br />
eine Ländermehrheit aktiv werden und das würde bereits das Gleichgewicht zwi-<br />
schen den betroffenen Ländern stören.
51<br />
2. Aus dem Zusammenwirken der Postulate der Bundestreue und der föderativen<br />
Gleichbehandlung treffen den Bund darüber hinausgehend besondere Pflichten.<br />
Die Gleichbehandlung der Länder mit unterschiedlichen Interessen kann nur<br />
über eine Maßstabsbildung hinsichtlich der zu treffenden Verteilungsentschei-<br />
dung gelingen. In Anlehnung an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum<br />
sog. Maßstäbegesetz im bundesstaatlichen Finanzausgleich gewährleistet vorlie-<br />
gend nur eine solche, vom Bund initiierte Maßstabsbildung die Durchführung des<br />
Gesetzgebungsauftrags bei Wahrung des Postulats föderaler Gleichheit. In der<br />
abstrakten Maßstabsbildung zeigen sich verallgemeinerungsfähige Kriterien, die<br />
Sachgerechtigkeit und damit das Fehlen von Willkür bei der Verteilung verdeutli-<br />
chen. „Gegriffene“ Betragszuteilungen würden diesen verfassungsrechtlichen<br />
Maßstäben nicht gerecht.<br />
3. Art. 106a GG enthält selbst keine Verteilungsmaßstäbe. Es sind grundsätzlich<br />
verschiedene Indikatoren denkbar. Ausgeschlossen, weil nicht bedarfsgerecht,<br />
wäre eine unveränderte Fortführung des bestehenden Verteilungsschlüssels;<br />
ebensowenig bedarfsgerecht wäre das Zugrundelegen der gerade bestehenden<br />
Verträge, mit denen die Länder Verkehrsdienstleistungen bestellen. Der Nor-<br />
merwartung des Art. 106a GG entspricht eine Anreicherung der Einwohnerzahl<br />
des jeweiligen Landes mit objektivierten verkehrswissenschaftlichen Indikato-<br />
ren, welche die Bedarfe konkretisieren. Kommt es zu keiner Einigung auf einen<br />
Verteilungsmaßstab stünde in jedem Fall als Rückfallposition noch die ungewich-<br />
tete Einwohnerzahl des jeweiligen Landes zur Verfügung. Diese besitzt nicht nur<br />
ein hohes Maß an Plausibilität und wird auch an anderen Stellen in der Finanz-<br />
verfassung als Verteilungsmaßstab herangezogen, sie wäre als Verteilungs-<br />
schlüssel auch mit Art. 106a GG vereinbar.<br />
4. Art. 106a GG gehört nicht zum Finanzausgleich i.e.S., wie er sich in den Art. 106<br />
und 107 GG niederschlägt. Damit nimmt er auch nicht an der auf Finanzkraftaus-<br />
gleich ausgerichteten Finalität dieses allgemeinen Finanzausgleichs teil.<br />
5. Die auf der Grundlage von Art. 106a GG zu treffende Verteilungsentscheidung hat<br />
sich an (objektivierten) Bedarfskriterien zu orientieren. Die unterschiedliche Fi-<br />
nanzkraft der beteiligten Länder ist ein von Verfassungs wegen unzulässiges Ar-
52<br />
gument in diesem Zusammenhang, da die Norm gerade nicht unterschiedliche fi-<br />
nanzielle Leistungsfähigkeit ausgleichen soll. Alles andere wäre eine Umgehung<br />
der Vorgaben des Finanzausgleichs.<br />
6. Die Höhe der zu verteilenden Mittel unterliegt nicht der gleichen verfassungs-<br />
rechtlichen Bindung wie die Verteilungsmaßstäbe. Gleichwohl darf ein bestimm-<br />
tes, schwer zu konkretisierendes Niveau, das etwa in der Gesamthöhe der seiner-<br />
zeit ausgehandelten Beträge eischließlich eines Dynamisierungsfaktors liegt,<br />
nicht unterschritten werden.<br />
7. Die Grundanliegen der Bahnreform gelten auch für den Nahverkehr. Das Anlie-<br />
gen, mehr Rationalität und Verantwortlichkeit der Aufgabenträger zu erreichen,<br />
darf nicht durch die Regionalisierung konterkariert werden. Anliegen in Bezug<br />
auf den Nahverkehr und seine Finanzierung war es gerade, Transparenz dahin-<br />
gehend zu schaffen, dass im Grundsatz derjenige zahlt, der die Leistung bestellt.<br />
Dies darf durch zusätzliche Überlegungen in Richtung eines speziellen Finanz-<br />
ausgleichs nicht ausgehebelt werden. Eine solche Gefahr besteht insbesondere<br />
durch die gezielte Auswahl verkehrswissenschaftlicher Indikatoren zur Ergän-<br />
zung der Einwohnerzahl als Indikator. Jeglicher falsche Anreiz ist durch die Her-<br />
anziehung der Indikatoren zu vermeiden.<br />
8. Aus den Postulaten „gleichwertiger“ oder gar „einheitlicher Lebensverhältnisse“<br />
ist verfassungsrechtlich hier nichts zu gewinnen. Auch die Qualifikation des Nah-<br />
verkehrs als „Daseinsvorsorge“ im (einfachrechtlichen) Regionalisierungsgesetz<br />
führt nicht zu abweichenden verfassungsrechtlichen Beurteilungen. Daseinsvor-<br />
sorge ist eher ein politisches Schlagwort, als eine operationable verfassungs-<br />
rechtliche Kategorie.<br />
9. Auch die Qualifikation des Personennahverkehrs als „Daseinsvorsorge“ ändert an<br />
den hier vorkonturierten verfassungsrechtlichen Verteilungsmaßstäben nichts,<br />
da der Begriff in der dem Gutachten zugrundeliegenden Diskussion als politi-<br />
sches Schlagwort und nicht als präziser verfassungsrechtlicher Rechtsbegriff<br />
Verwendung findet. Die Qualifikation in § 1 Regionalisierungsgesetz kann als ein-<br />
fachrechtliche Setzung die verfassungsrechtliche Beurteilung nicht verändern.
53<br />
10. Als Verfassungsrechtsbehelfe kommen ein Bund-Länder-Streit hinsichtlich der<br />
Pfichten des Bundes sowie die Normenkontrollverfahren hinsichtlich des Geset-<br />
zesinhalts in Betracht.<br />
D. Verteilungsmaßstäbe zur Fortführung der Kompensationsleistun-<br />
gen des Bundes gem. Art. 143c GG<br />
I. Entstehungsgeschichtlicher Hintergrund von Art. 143c GG<br />
Art. 143 c GG ist eine Norm, die im Zusammenhang mit der Entflechtung von Mischfi-<br />
nanzierungen durch die Föderalismusreform I im Jahr 2006 in das Grundgesetz gelangt<br />
ist. Daher soll zunächst der finanzverfassungsrechtliche Tatbestand der Mischfinanzie-<br />
rung im Bundesstaat rekapituliert werden (unter 1.) bevor die durch die Föderalismus-<br />
reform I initiierten Neuregelungen in das Blickfeld geraten (unter 2.). Schließlich ist Art.<br />
143c GG in diesem Feld zu verorten und auszulegen (unter 3.).<br />
Mischfinanzierung bedeutet, dass eine Aufgabe durch Bund und Länder gemeinsam fi-<br />
nanziert wird 196 . Auch die – grundsätzlich als Teil der Länder anzusehenden 197 – Ge-<br />
meinden können beteiligt sein. Mischfinanzierungen treten vor allem – wenn auch nicht<br />
nur 198 – in solchen bundesstaatlichen Ordnungen auf, in denen – wie im Grundgesetz –<br />
die Kompetenzverteilung zwischen Zentral- und Gliedstaaten funktionenorientiert er-<br />
folgt, d.h. dass nicht einer Gebietskörperschaft sämtliche Staatsfunktionen (Rechtset-<br />
zung, Vollziehung, Rechtsprechung und Finanzierung) in Bezug auf eine Sachaufgabe<br />
einheitlich zugewiesen werden 199 . Mischfinanzierungen stellen sich ferner als Ausprä-<br />
gung eines bestimmten Föderalismusverständnisses dar, bei dem nicht die klare Aufga-<br />
196 Rolf Borell, Mischfinanzierungen, 1981, S. 9.<br />
197 BVerfGE 86, 148 (215); Hans-Günter Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, 2. Aufl.<br />
2000, Rdnr. 826; Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, vor Art. 104a<br />
Rdnr. 9 f.<br />
198 Hauptbeispiel für ein ähnliches Problem bei andersartiger Struktur der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung<br />
bilden die USA mit den zahlreichen Bundeshilfen an die Gliedstaaten.<br />
199 Zu dieser Unterscheidung etwa Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung<br />
im Vergleich Deutschland-Schweiz, 1997, S. 80 ff.; Stefan Korioth, Neuordnung der Bund-<br />
Länder-Finanzbeziehungen? ZG 2007, S. 1 (3 f.).
54<br />
bentrennung, sondern die Kooperation der verschiedenen Ebenen des Bundesstaats im<br />
Vordergrund steht. Solche kooperativen, die Ebenentrennung durchbrechenden Ele-<br />
mente in der Kompetenzstruktur waren und sind nicht auf die Finanzverfassung be-<br />
schränkt. Die durch die Föderalismusreform 2006 200 abgeschaffte Rahmengesetzge-<br />
bungskompetenz des Art. 75 GG verlangte oder ermöglichte eine gemeinschaftliche ge-<br />
setzliche Regelung in bestimmten Sachbereichen; die Gemeinschaftsaufgaben der Art.<br />
91a f. GG regelten und regeln noch vor Fragen einer Mischfinanzierung eine von der Ver-<br />
fassung geforderte oder zumindest ermöglichte Form der Mischverwaltung 201 ; im Be-<br />
reich der dritten Gewalt besteht im Instanzenzug mit den fünf obersten Bundesgerich-<br />
ten als Revisionsgerichten ohnehin eine eigengeartete Verschränkung der Rechtspre-<br />
chung von Ländern und Bund.<br />
Art. 104a Abs. 1 GG stellt nach allgemeiner Ansicht ein grundsätzliches Verbot der<br />
Mischfinanzierung unter dem GG dar; Ausnahmen müssen in der Verfassung selbst zu-<br />
gelassen sein 202 . Bis zur ersten Stufe der Föderalismusreform waren dies v.a. Art. 91a<br />
Abs. 4; 91b Satz 2 sowie Art. 104a Abs. 3 und 4 GG. Diese Bestimmungen waren Ände-<br />
rungen durch die Föderalismusreform 2006 ausgesetzt.<br />
Die weiteren in diesem Zusammenhang relevanten Normen des Art. 106 Abs. 8 (Aus-<br />
gleich bundesrechtlich veranlasster besonderer Aufgaben); 106a (Finanzierungszu-<br />
schüsse zum öffentlichen Personennahverkehr) und des Art. 120 GG (Bundesfinanzie-<br />
rungslasten bei Kriegsfolgelasten und im Bereich der Sozialversicherung) bleiben im<br />
Folgenden außer Betracht.<br />
Im Folgenden sollen zunächst Entstehung und Entwicklung der Mischfinanzierungstat-<br />
bestände unter dem Grundgesetz nachgezeichnet werden (unter a), bevor die Änderun-<br />
gen des Jahres 2006 zu analysieren sind (unter b).<br />
200 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl. I, 2034; Föderalismusreform-<br />
Begleitgesetz vom 5. September 2006, BGBl. I, 2098.<br />
201 Uwe Volkmann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art.<br />
91a Rdnr. 32 sieht in der Verknüpfung ein „Wesen der Gemeinschaftsaufgaben“.<br />
202 BVerfGE 26, 338 (390 f.); BVerwGE 44, 351 (364); 81, 312 (314); BGH, NJW 1987, 1625 (1627); Klaus<br />
Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 1980, S. 1141; Rainer Prokisch, in:<br />
Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 104a Rdnr. 116; Werner Heun,<br />
in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 104a Rdnr. 17.
55<br />
1. Entwicklung der Mischfinanzierungstatbestände<br />
Der 1969 eingefügte Art. 104a GG stellt die erste ausdrückliche Regelung einer föderalen<br />
Finanzierungskompetenz in der deutschen Verfassungsgeschichte dar 203 . Finanzie-<br />
rungskompetenz wird hier als Oberbegriff für Finanzierungslast und Finanzierungsbe-<br />
fugnis verwendet: Finanzierungslast (Ausgabenlast; Finanzaufgabe) meint die Pflicht,<br />
bestimmte Ausgaben zu tragen; Finanzierungsbefugnis thematisiert das Problem, ob eine<br />
Ebene Mittel für eine bestimmte Aufgabe bereitstellen darf 204 . Zumeist fallen beide Ka-<br />
tegorien zusammen, müssen dies jedoch nicht.<br />
Die Reichsverfassung von 1871, die WRV, wie auch das Grundgesetz bis zur Finanzver-<br />
fassungsreform 1955, gingen implizit vom „Grundsatz der synchronisierten Aufgaben-<br />
und Finanzverteilung“ 205 aus. Das Finanzverfassungsgesetz 1955 206 sprach in dem neu<br />
gestalteten und bis 1969 geltenden Art. 106 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 davon, dass „Bund und<br />
Länder … gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben erge-<br />
ben“ „tragen“. Diese ohnehin in anderem Zusammenhang (der Revision der Verteilung<br />
des Aufkommens von Einkommen- und Körperschaftsteuer zwischen Bund und Län-<br />
dern) getroffene Regel wurde zwar als verallgemeinerungsfähig anerkannt 207, konnte<br />
die Ausbreitung der um sich greifenden sog. Fondsverwaltung 208 , d.h. der Dotation be-<br />
stimmter Aufgaben und Projekte der Länder durch Bundesmittel, nicht steuern 209 . Die<br />
Landeskompetenzen waren dadurch im Kern berührt. Die Hingabe von Finanzmitteln<br />
impliziert – gemäß der Volksweisheit „wer zahlt, schafft an“ – als „Angebotsdiktatur“<br />
stets auch wesentliche inhaltliche Einflussnahme auf die Politik des Empfängers. Zudem<br />
wurden durch mischfinanzierte Projekte zusätzliche Haushaltsmittel der Länder gebun-<br />
den, die für autonome Landespolitik nicht mehr zur Verfügung standen: „Die Unterfi-<br />
nanzierung der finanzschwachen Länder führte zu wachsenden Abhängigkeiten vom<br />
Bund, und in der Folge zu einem auch für Experten kaum mehr überschaubaren Kom-<br />
203 Irene Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, 1998, S. 74.<br />
204 Hans Herbert von Arnim, Finanzzuständigkeit, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 2. Aufl. 1999, § 103<br />
Rdnr. 10; Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 104a Rdnr.<br />
17.<br />
205 Friedrich Klein, Von der föderativen zur stärker unitarischen Gestaltung des Finanzwesens in der Bundesrepublik<br />
Deutschland, in: FS Giese, 1953, S. 61 (90).<br />
206 Vom 23. Dezember 1955, BGBl. I, 817.<br />
207 BVerfGE 26, 338 (389 f.): „Der Vorschrift kommt … die Bedeutung einer allgemeinen, das<br />
Bund/Länder-Verhältnis im ganzen bestimmenden Lastenverteilungsregel zu. … Der am 1. Januar 1970 in<br />
Kraft tretende Art. 104a Abs. 1 GG … enthält insofern nur eine Klarstellung …“<br />
208 Vgl. Gunther Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S. 34 ff.<br />
209 Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 91a Rdnr. 2.
56<br />
plex von Mischfinanzierungen, durch die der Bund in die Aufgabenbereiche der Länder<br />
eindrang. Faktisch entwickelte sich damit abseits der Zuständigkeitsregelung des<br />
Grundgesetzes eine ‚Grauzone’, die von nahezu allen Beteiligten als kritikwürdig emp-<br />
funden wurde.“ 210 Die in zwei Stufen durchgeführte sog. Große Finanzreform 1967/69<br />
stellte die Antwort auf die geschilderte Situation durch den Versuch einer Verrechtli-<br />
chung des parakonstitutionellen Zustands dar 211. Ausgehend von einem klaren Konzept<br />
– dem sog. kooperativen Föderalismus – sollte unter Zugrundelegung des Leitbilds des<br />
„unitarischen Bundesstaats“ 212 und vor dem Hintergrund eines sozialtechnokratischen<br />
Politikverständnisses der Plan- und Machbarkeit, verbunden mit einem keynesianischen<br />
ökonomischen Ansatz die bundesstaatliche Ordnung und vor allem die bundesstaatliche<br />
Finanzverfassung den Anforderungen des international verflochtenen modernen Sozial-<br />
staats, d.h. den „Anforderungen der Zeit“, angepasst werden 213. Stefan Oeter hat den Hin-<br />
tergrund des Gutachtens und der Reform treffend charakterisiert: „Die theoretischen<br />
Prämissen dieses Konzeptes aber waren nicht weniger Produkte der Zeit als die Interes-<br />
senlagen der letztlich den Kompromiss bestimmenden politischen Akteure. Das von<br />
Tradition aus unitarische Denken der intellektuellen und administrativen Eliten<br />
Deutschlands ging hier ein Bündnis ein mit den intellektuellen Moden der Zeit, der Pla-<br />
nungs- und Verflechtungseuphorie der späten Sechziger Jahre, unter dem Einfluss auch<br />
bestimmter Vorbilder des verbündeten Auslands, wie ‚planification’ und ‚cooperative<br />
federalism’.“ 214 Die Krönung der möglichst flexibel zu gestaltenden, neuen Zusammen-<br />
arbeitsformen von Bund und Ländern sollten die Gemeinschaftsaufgaben sein. Wurde<br />
von der Troeger-Kommission noch eine durch Bundesgesetz auszufüllende Generalklau-<br />
sel vorgeschlagen, setzte sich in den Gesetzesberatungen in deutlicher Abschwächung<br />
dieses Entwurfs ein abschließender Katalog für die einer gemeinsamen Wahrnehmung<br />
geeigneten Sachmaterien in Form der bis September 2006 geltenden Art. 91a, b GG a.F.<br />
210 Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaat, 1998, S. 275.<br />
211 Vgl. die Darstellung bei Ingo von Münch, Gemeinschaftsaufgaben im Bundesstaat, VVDStRL 31 (1973),<br />
S. 51 (52 ff.).<br />
212 Konrad Hesse, Der unitarische Bundesstaat, 1962, mit der einseitigen Betonung der Funktion der vertikalen<br />
Gewaltenteilung.<br />
213 Die Reform wurde durch das sog. Troeger-Gutachten vorbereitet: Kommission für die Finanzreform,<br />
Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1966; gute Darstellung und<br />
Charakterisierung bei Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaat, 1998, S. 274<br />
ff.<br />
214 Ebd., S. 290; zur traditionell zentralistischen Grundprägung vieler Akteure und Diskussion der Finanzverfassung<br />
und ihren Hintergründen in je unterschiedlichen Zusammenhängen Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche<br />
Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland-Schweiz, 1997, S. 81 ff.;<br />
ders., Reformperspektiven im Finanzrecht, Die Verwaltung 39 (2006), S. 155 (167 ff.); ders., Grundzüge<br />
des Finanzrechts des Grundgesetzes, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik<br />
Deutschland, Bd. 5, 3. Aufl. 2007, § 116 Rdnr. 79 .
57<br />
durch. Die Fondsverwaltung wurde durch Art. 104a Abs. 1 GG verfassungsrechtlich ein-<br />
gebunden. Zugleich wurden jedoch – neben den Gemeinschaftsaufgaben – in den Absät-<br />
zen 3 und 4 explizite Durchbrechungen normiert. Bei den Gemeinschaftsaufgaben muss<br />
das Element der Mischfinanzierung – notwendig verbunden mit der gemeinsamen Rah-<br />
menplanung als Form zulässiger Mischverwaltung – als das Hauptmotiv angesehen<br />
werden 215. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hatte schon bald Gele-<br />
genheit die ärgsten Übertreibungen im Zusammenhang mit den Neuregelungen am Bei-<br />
spiel der Investitionshilfekompetenz des Art. 104 Abs. 4 GG a.F. einzuschränken. In den<br />
Urteilen zum Städtebauförderungsgesetz 216 und zur Strukturförderung 217 war das Ge-<br />
richt der nahe liegenden Tendenz entgegengetreten, Art. 104a Abs. 4 GG a.F. als Legiti-<br />
mation einer pauschalen Fortführung der überkommenen Dotationspraxis des Bundes<br />
zu sehen und hatte den Ausnahmecharakter der Vorschrift betont. Trotz dieser Ansätze<br />
und trotz des Haushaltsvorbehalts in Art. 91a Abs. 4 Satz 4 GG a.F. konnte die „Ange-<br />
botsdiktatur“ des Bundes –seine berühmten „goldenen Zügel“, an denen er die Länder<br />
führte mit den Folgen einer weitgehenden Entmachtung der Landesparlamente auf-<br />
grund der exekutiv ausgehandelten, zu weitreichenden faktischen Bindungen führenden<br />
Projekte – kaum aufgehalten werden. In den Worten Fritz Ossenbühls: „Kooperativer<br />
Föderalismus ist Exekutivföderalismus, weil die Entscheidungsergebnisse durch admi-<br />
nistrative Gremien ausgehandelt und faktisch festgelegt werden. … Damit ist das parla-<br />
mentarische Entscheidungssystem als Ganzes berührt. Der kooperative Föderalismus<br />
führt als Exekutivföderalismus zum ‚oligarchischen Bundesstaat’ (Gunter Kisker).“ 218 . In<br />
der Tendenz erwiesen und erweisen sich Mischfinanzierungen als ausgabensteigernd,<br />
nicht als ausgabenbegrenzend 219. Die in den Gemeinschaftsaufgaben und in den sonsti-<br />
gen Mischfinanzierungstatbeständen angestrebte Politikverflechtung hat in die „Politik-<br />
verflechtungsfalle“ (Fritz W. Scharpf), d.h. letztlich in eine moderne Form obrigkeits-<br />
staatlicher Exekutivherrschaft ohne für den Bürger sichtbar zurechenbare oder durch-<br />
schaubare Verantwortlichkeiten mit entsprechenden Auswirkungen auf die demokrati-<br />
sche Sanktion des Wählers geführt.<br />
215 Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 91a Rdnr. 32.<br />
216 BVerfGE 39, 96 (107 ff.).<br />
217 BVerfGE 41, 291 (304 ff.).<br />
218 ####, S. 1235; treffende Gefahrendiagnose auch in BVerfGE 39, 96 (107).<br />
219 Rolf Borell, Mischfinanzierungen, 1981, S. 42 ff.
58<br />
2. Änderungen durch die Föderalismusreform I<br />
Es gehörte zur ausdrücklichen Agenda der Föderalismuskommission, „die Finanzbezie-<br />
hungen (insbesondere Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierung) zwischen Bund<br />
und Ländern [zu] überprüfen“ 220 , galten Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierung<br />
doch als Hort bundesstaatlicher Verflechtung, als „geradezu prototypisch für das Kon-<br />
zept eines kooperativen Föderalismus“ und standen damit unter dem Generalverdacht,<br />
„der Verantwortungsvermischung und Ineffizienz Vorschub zu leisten“ 221 . Gleichwohl<br />
wurden Gemeinschaftsaufgaben beibehalten. Sie wurden allerdings „modernisiert“ und<br />
„entbürokratisiert“ 222: In Art. 91a Abs. 1 GG n.F. wurde die alte Ziffer 1, den Hochschul-<br />
bau betreffend, gestrichen und verändert in Art. 91b GG n.F. aufgenommen, aus den ech-<br />
ten Gemeinschaftsaufgaben somit entfernt. Die Regelung der Ausgabentragung ist von<br />
Abs. 4 in Abs. 3 des Art. 91a vorgezogen, in der Sache jedoch unverändert geblieben. Das<br />
Zurückdrängen des Hochschulbaus erklärt sich aus der Beendigung der Expansion der<br />
Hochschulen. Die Finanzierungsprobleme liegen z.Z. eher in der Unterhaltung der ge-<br />
bauten Hochschulen und ihrer Gebäude, als in der Notwendigkeit von Neubauten. Grö-<br />
ßere Änderungen haben sich im Rahmen der unechten Gemeinschaftsaufgaben bei Art.<br />
91b GG ergeben: „Bildungsplanung“ sowie „Förderung von Einrichtungen und Vorhaben<br />
der wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Bedeutung“ in der alten Fassung<br />
sind ersetzt worden durch einen dreiziffrigen Katalog der betroffenen Materien: „1. Ein-<br />
richtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung außerhalb von Hochschu-<br />
len; 2. Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen; 3. Forschungsbauten<br />
an Hochschulen einschließlich Großgeräten“ in der neuen Fassung. Im Bereich der nun-<br />
mehr in Abs. 3 geregelten Regelung zur „Kostentragung“ tritt dieser Begriff an den ur-<br />
sprünglich verwendeten Passus „Aufteilung der Kosten“, der nach überwiegender Mei-<br />
nung die jetzt ermöglichte Alleinfinanzierung durch den Bund versperrte. Die finanzielle<br />
Entlastung der Länder wird hier mit einer Steigerung des Einflusses des Bundes er-<br />
kauft 223 . Weiter ungeklärt bleibt die Streitfrage, ob im Rahmen der Förderziele des Art.<br />
91b GG über die Zweckausgaben auch Verwaltungsausgaben erfasst werden können.<br />
220 BT-Drs. 15/1685.<br />
221 Edzard Schmidt-Jortzig, Die fehlgeschlagene Verfassungsreform, ZG 2005, S. 16 (26): Art. 91a GG a.F. als<br />
„Hort an Intransparenz, bürokratischem Aufwand, ökonomischer Unwirksamkeit und rechnungsprüferischer<br />
Resistenz“.<br />
222 Johannes Hellermann, in: Starck, Föderalismusreform, München 2007, Rdnr. 279, 285.<br />
223 Vgl. Irene Kesper, Reform des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, NdsVBl. 2006, S. 145<br />
(152).
59<br />
Auch im Hinblick auf Art. 104a GG wurde die Grundkonzeption nicht verändert. Der die<br />
verfassungspolitische Diskussion bisher stark bestimmende Bundesdurchgriff auf die<br />
Kommunen ist auch und gerade hinsichtlich der Finanzierungslast durch Art. 84 Abs. 1<br />
Satz 7; 85 Abs. 1 Satz 2 GG n.F. entschärft worden. Entsprechendes gilt für die – dem<br />
Postulat der Entflechtung allerdings zuwiderlaufende – neugeschaffene Zustimmungs-<br />
pflicht des Bundesrats bei Geldleistungsgesetzen, an deren Kosten die Länder beteiligt<br />
sind (Art. 104a Abs. 4 GG n.F.). Damit war auch der Druck zum Übergang auf von der<br />
Verwaltungsanknüpfung zur Gesetzeskausalität im Rahmen des Konnexitätsprinzips<br />
zumindest vermindert. Die offene Flanke der Finanzhilfen des Bundes wurde durch den<br />
neueingefügten Art. 104b, der an die Stelle des alten Art. 104a Abs. 4 GG tritt, vermin-<br />
dert: Diese dürfen nur noch befristet und degressiv gestaffelt und nur in Bereichen, in<br />
denen dem Bund eine Gesetzgebungskompetenz zusteht 224, geleistet werden. Durch den<br />
Bund initiierte Schulversuche oder sein „Ganztagsschulprogramm“ wären mangels Bun-<br />
deszuständigkeit im Schulbereich damit nicht mehr zulässig 225.<br />
Das Kompromisshafte der Veränderungen bei den Mischfinanzierungen wird besonders<br />
in den langfristigen, nicht unproblematischen Übergangsregelungen (Art. 143c GG) 226<br />
sowie im ausführenden sog. Entflechtungsgesetz deutlich 227 .<br />
Die finanzverfassungsrechtlichen Neuregelungen und darin die Veränderung der Misch-<br />
finanzierungstatbestände durch die Föderalismusreform I sind in der Literatur auf Kri-<br />
tik gestoßen: Die Reform habe stets durch das Fehlen einer Grundsatzdiskussion her-<br />
vorgerufener Konzeptionslosigkeit gelitten, sie sei von Anfang an – neben „Verlegens-<br />
heitsformeln“ wie „Modernisierung“ oder „Anpassung an geänderte Rahmenbedingun-<br />
gen“ – durch teilweise widersprüchliche Vorgaben geprägt gewesen, die sich in ambiva-<br />
lenten Signalen von Entflechtung und erneuter Verflechtung geäußert hätten 228 . Im Hin-<br />
blick auf die Mischfinanzierung wird das Ergebnis angesichts des ursprünglichen Vor-<br />
224 Ausgeschlossen ist nach Art. 104b Abs. 1 GG die Förderung im Bereich ausschließlicher Gesetzgebungszuständigkeit<br />
der Länder; unklar ist, ob im Bereich der konkurrierenden Zuständigkeit die Erforderlichkeitsklausel<br />
des Art. 72 Abs. 2 GG greift; dies dürfte zu bejahen sein, wie die Formulierung „soweit<br />
dieses Grundgesetz ihm Gesetzgebungsbefugnisse verleiht“ nahelegt; a.A. Irene Kesper, Reform des Föderalismus<br />
in der Bundesrepublik Deutschland, NdsVBl. 2006, S. 145 (152 f. mit Fn. 60).<br />
225 Irene Kesper, Reform des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, NdsVBl. 2006, S. 145 (152).<br />
226 Vgl. nur Irene Kesper, Reform des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, NdsVBl. 2006, S.<br />
145 (153).<br />
227 Art. 13 des Föderalismusreformbegleitgesetzes, s.o. Fn. 6.<br />
228 Betont kritisch Stefan Korioth, Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen? ZG 2007, S. 1.
60<br />
habens einer Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben als „ernüchternd“ eingestuft 229,<br />
die begrenzte, bloß modifizierende Neuordnung habe sich „weder zu einem klaren Ja<br />
oder Nein der Mischfinanzierungen … durchringen können“: „So bleibt es bei den seit<br />
langem kritisierten Wirkungen der Mischfinanzierungen, ausgabensteigernden Effekten<br />
durch hohen Koordinierungs- und Verwaltungsaufwand sowie Mitnahmeeffekten infol-<br />
ge angebotener Bundesmittel, die eine ländereigene Präferenzbildung verzerren.“ 230 Die<br />
Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben wäre die bessere Lösung gewesen 231.<br />
Angemerkt werden muss in diesem Zusammenhang freilich, dass die neuesten Entwick-<br />
lung in die gegenteilige Richtung weisen: Die Teilentflechtung im Hochschulbereich wird<br />
zur Zeit wieder rückgängig gemacht.<br />
3. Art. 143c GG in diesem Kontext<br />
Art. 143c GG ist nur in dem Zusammenhang mit der Rückführung des Bundes aus Ge-<br />
meinschaftsaufgaben bzw. Gemeinschaftsfinanzierungen verständlich 232 ; die Länder<br />
haben der Föderalismusreform I nur zugestimmt, da sie entsprechende Ausgleichs- und<br />
Übergangshilfen erhalten 233 . Die Vorschrift ist daher treffend als „Kompensationsnorm“<br />
bezeichnet worden 234 . Das gleichzeitig erlassene, einen politischen Kompromiss fixie-<br />
rende Entflechtungsgesetz 235 wird so – die Normenhierarchie quasi umkehrend – ver-<br />
fassungsrechtlich abgesichert 236 . Verfassungsrechtlich problematisch ist vor diesem<br />
Hintergrund – wie es das Bundesfinanzministerium freilich tut – ohne überzeugende<br />
Bezugnahme auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 143c GG eine degressive<br />
229 Irene Kesper, Reform des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, NdsVBl. 2006, S. 145 (153).<br />
230 Stefan Korioth, Neuordnung er Bund-Länder-Finanzbeziehungen? ZG 2007 S. 1 (5).<br />
231 Peter Michael Huber, Das Bund-Länder-Verhältnis de constitutione ferenda, in: Blanke/Schwanengel<br />
(Hrsg.), Zustand und Perspektiven des deutschen Bundesstaates, 2005, S. 21 (39 f.).<br />
232 Johannes Hellermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl.<br />
2010, Art. 143c Rdnr. 1.<br />
233 Vgl. auch die Begründung in BT-DrS 16/813, S. 22.<br />
234 Andreas Kienemund, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl.<br />
2011, Art. 143c Rdnr. 1, mit dem Hinweis, dass sich die ungewöhnliche Detaillierung ebenfalls aus dem<br />
Kompromisscharakter erkläre.<br />
235 Gesetz zur Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen (Entflechtungsgesetz – EntflechtG)<br />
vom 5. September 2006, BGBl. I S. 2098.<br />
236 Markus Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 143c<br />
Rdnr. 2; Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 143c Rdnr. 3.
61<br />
Rückführung der Beträge zwischen 2014 und 2019 unter Anwendung des horizontalen<br />
Verteilungsschlüssels aus § 4 EntflechtG vorzuschlagen 237.<br />
a) Auslegung der Norm in der Literatur<br />
Art. 143c Abs. 3 Satz 1 GG wird im Schrifttum unterschiedlich ausgelegt. Eine wohl auf<br />
Hans Meyer zurückreichende Auslegung sieht durch die Kriterien der Angemessenheit<br />
und der Erforderlichkeit vor dem Hintergrund des Ziels der Föderalismusreform I zu<br />
einer Entflechtung von Mischfinanzierungstatbeständen zu gelangen, das neben der Hö-<br />
he auch das „Ob“ der Finanzhilfen des Bundes zu überprüfen und auch eine Absenkung<br />
auf Null daher zulässig sei 238. Demgegenüber hat eine unbefangenere, gleichwohl die<br />
Entstehungszusammenhänge berücksichtigende Auslegung die Tatbestandsmerkmale<br />
„erforderlich“ und „angemessen“ ernst genommen 239. Es könne durchaus auf einen ver-<br />
fassungsrechtlich üblichen Sprachgebrauch zurückgegriffen werden, wie er aus der Ver-<br />
hältnismäßigkeitsprüfung bekannt sei. Auf die vorliegende Fragestellung übertragen<br />
bedeute „erforderlich“ dann die Untergrenze, um das Notwendige finanzieren zu kön-<br />
nen, während „angemessen“ eine Abwägung verlange.<br />
b) Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Art. 143c Abs. 3 Satz 1 GG<br />
Das BMF argumentiert in seinen Eckpunkten vom 26. September 2011 hinsichtlich der<br />
Auslegung der Tatbestandsmerkmale „angemessen“ und „erforderlich“ wie folgt: Die<br />
Begriffe seien, mangels Vergleichsfällen, nach dem allgemeinen Wortsinn zu interpretie-<br />
ren; da beide Tatbestandsmerkmale kumulativ vorliegen müssten sei es „logisch ausge-<br />
schlossen“, „erforderlich“ als Mindestmaß und „angemessen“ „im Sinne eines Höchst-<br />
maßes“ zu interpretieren, da die Verwendung von „angemessen“ dann „redundant“<br />
237 Bundesministerium der Finanzen, Eckpunkte zur Neufassung der Kompensationsbeträge nach Artikel<br />
143c Grundgesetz für die Jahre 2014 bis 2019, 26. September 2011, S. 1 f.; die ebd., S. 13 ff. angestellten<br />
Überlegungen vermögen, wie zu zeigen sein wird, verfassungsrechtlich nicht zu überzeugen.<br />
238 Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 245; ebenso Johannes Hellermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck,<br />
Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 143c Rdnr. 13; a.A. etwa Markus<br />
Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 143c Rdnr.<br />
12.<br />
239 Thomas Hilpert, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Zahlungen nach dem EntflechtG ab 2014, IR<br />
2011, S. 202 ff.
sei 240. „Angemessen“ könne freilich auch nicht im Sinne eines über das Erforderliche<br />
62<br />
hinausreichende ausgelegt werden, da sonst die ratio legis von Art. 143c GG ausgehebelt<br />
werden würde. Es liege in der „Natur“ einer Übergangsnorm, dass die Zahlungen auslau-<br />
fen und nicht abrupt beendet würden. Diese Auslegung ist weder zwingend noch nahe-<br />
liegend:<br />
Erforderlichkeit meint sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch wie auch in verfassungs-<br />
rechtlichem Kontext stets ein Mindestmast, während mit Angemessenheit im Verfas-<br />
sungsrecht eine Abwägung zwischen Zielen und Mitteln anzeigt (und nicht eine Ober-<br />
grenze, wie das BMF schreibt). Das gilt sowohl beim Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />
– dort freilich auf Eingriffe und ihre Rechtfertigung bezogen – als auch allgemein bei der<br />
Herstellung praktischer Konkordanz bei der Zuordnung konfligierender verfassungs-<br />
rechtlicher Werte oder Ziele – auch im Staatsorganisationsrecht 241 . Die vom BMF be-<br />
hauptete Perplexität mit der Folge des logischen Ausschlusses der dort kritisierten In-<br />
terpretation entsteht mit anderen Worten in der Tat nur, sofern man das eine Tatbe-<br />
standsmerkmal als Unter-, das andere jedoch als Obergrenze auslegt um dann festzustel-<br />
len, dass bei dem Erfordernis kumulativen Vorliegens ein Widerspruch auftrete. Ver-<br />
steht man, was nahelegend, ja quasi zwingend ist, „erforderlich“ als Untergrenze und<br />
„angemessen“ als Aufforderung zum Abwägen konfligierender Ziele, treten derartige<br />
logische Brüche nicht auf 242. Das BMF lehnt eine Auslegung des Tatbestandsmerkmals<br />
„angemessen“ dahingehend, dass sich daraus auch über das Erforderliche hinausrei-<br />
chende Zahlungen ergeben könnten, mit dem Argument ab, dass andernfalls Sinn und<br />
Zweck des Art. 143c GG verfehlt würden. Ratio legis dieser Norm ist zwar in der Tat, wie<br />
oben dargelegt, als Übergangsvorschrift die Entflechtung von Mischfinanzierungstatbe-<br />
ständen voranzutreiben; dieses abstrakte Ziel darf jedoch keinesfalls dazu dienen, expli-<br />
zite tatbestandliche Anforderungen der Norm zu überspielen. Mit diesem Argument al-<br />
lein kommt man nicht über den Wortlaut des Tatbestandsmerkmals „angemessen“ hin-<br />
weg.<br />
240 Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 143 Rdnr. 8, attestiert<br />
den beiden Tatbestandsmerkmalen insgesamt eine geringe Steuerungskraft. Er folgert dann – weniger<br />
rechtsdogmatisch, als vielmehr herrschaftssoziologisch – weiter: „Daß die Überprüfung tatsächlich zu<br />
einer Reduzierung führen wird, ist nicht ernsthaft anzunehmen, da die Länder kaum auf Mittel verzichten<br />
werden.“<br />
241 Allgemein dazu Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20.<br />
Aufl. 1995, Rdnr. 72, 317 ff.<br />
242 Vgl. auch Thomas Hilpert, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Zahlungen nach dem EntflechtG ab<br />
2014, IR 2011, S. 202 (203 f.).
63<br />
Daraus ergibt sich folgende Auslegung von Art. 143 Abs. 3 Satz 1 GG: „Erforderlich“ für<br />
die Mittelbemessung 2014 bis 2019 meint eine bedarfsbezogene Prognose, die sich – um<br />
eine politisch mögliche, dem Sinn und Zweck der Regelung freilich in der Tat widerspre-<br />
chende beliebige Ausweitung des Leistungsangebots zu verhindern – zunächst an den<br />
Werten der Vergangenheit orientiert, diese jedoch mittels verkehrswissenschaftlicher<br />
Indikatoren in die Zukunft fortschreiben darf; die so ermittelten Zahlungen müssen zu-<br />
gleich „angemessen“ sein, d.h. nach Ermittlung des Erforderlichen darf und muss auf<br />
einer zweiten Stufe im Wege einer Abwägung dieses Ergebnis noch einmal überprüft<br />
werden. Dabei wäre – wenn dies aufgrund verkehrswissenschaftlicher Indikatoren<br />
nachgewiesen werden könnte – grundsätzlich auch eine Erhöhung der Mittel möglich,<br />
z.B. aufgrund höchstwahrscheinlich eintretender Steigerungen von Lohn- oder Energie-<br />
kosten o.ä. 243 Die in der Literatur teilweise vertretene Auffassung, dass die Mittel auch<br />
ganz entfallen könnten 244, ist damit ausgeschlossen. Das Wort „noch“ in Art. 143c Abs. 3<br />
Satz 1 deutet auf die Zeitspanne 2014 bis 2019 hin, hat jedoch keine eigenständige ma-<br />
terielle Bedeutung neben den Vorgaben der Angemessenheit und Erforderlichkeit 245 .<br />
Die vom Bund vorgeschlagene schlicht-lineare Rückführung verfehlt die in Art. 143c<br />
Abs. 3 Satz 1 GG verfassungskräftig aufgestellten tatbestandlichen Voraussetzungen für<br />
die Überprüfung, da damit abstrakt aus einem vermeintlichen Ziel der Norm, nicht je-<br />
doch aus den in der Vorschrift angesprochenen Indikatoren heraus argumentiert wird.<br />
Auch die Interpretation, dass es zur Natur einer Übergangsregelung gehöre, dass zuvor<br />
festgesetzte Zahlungen auslaufen müssten, ist alles andere als zwingend. Art. 143c GG ist<br />
so zu interpretieren, dass bis zur grundlegenden Neuverhandlung der Finanzbeziehun-<br />
gen im Bundesstaat, wie sie mit dem Auslaufen des Solidarpakts II 2019 246 erfolgen<br />
muss, eine Übergangsregelung getroffen werden sollte. Das impliziert keine Rückfüh-<br />
rung und kein Auslaufen, zumal wenn man bedenkt, dass – etwa im Hochschulbereich –<br />
Mischfinanzierungstatbestände eine gewisse Renaissance erleben und angesichts der<br />
243 Vgl. auch Thomas Hilpert, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Zahlungen nach dem EntflechtG ab<br />
2014, IR 2011, S: 202 (203); a.A. v.a. Hans Meyer, Die Föderalismusreform 2006, 2008, S. 248 f.<br />
244 Vgl. die Nachweise oben in Fn. 237.<br />
245 Vgl. auch Thomas Hilpert, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Zahlungen nach dem EntflechtG ab<br />
214, IR 2011, S. 202 (203).<br />
246 Zur Intention dieser Befristung auch Werner Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 3,<br />
2. Aufl. 2008, Art. 143c Rdnr. 3.
64<br />
„Einschnürung“ der Länder durch die neue Schuldenbremse es wahrscheinlich ist, dass<br />
auch ab 2020 Mischfinanzierungstatbestände bestehen werden.<br />
II. Abgrenzung zur degressiven Gestaltung in Art. 104b Abs. 2 GG<br />
Das durch autonome Auslegung von Art. 143c Abs. 3 Satz 1 GG gefundene Ergebnis wird<br />
durch einen Vergleich mit dem ebenfalls Mischfinanzierungen betreffenden Art. 104b<br />
Abs. 2 GG bestätigen. Die Kompensationsregelung ist nach dem eindeutigen Wortlaut<br />
des Abs. 1 von Art. 143c GG bis 2019 befristet – ein Datum, dass die Ausgleichsleistun-<br />
gen an die Neuverhandlung des durch den sog. Solidarpakt II geprägten Finanzaus-<br />
gleichs koppelt. Bis Ende 2019 besteht damit eine grundsätzliche Garantie auf entspre-<br />
chende Leistungen des Bundes 247 . Insofern handelt es sich um eine unmittelbar aus dem<br />
Grundgesetz folgende Rechtspflicht des Bundes, um einen verfassungsrechtlichen An-<br />
spruch der Länder 248 . Bis Ende 2013 sind die Beträge durch die Norm selbst sowie<br />
durch paralleles Gesetzgebungsverfahren zur seinerzeitigen Verfassungsänderung, fest-<br />
gezurrt. Für die Zeit von 2014 bis Ende 2019 besteht im Jahr 2013 ein Überprüfungsauf-<br />
trag, „in welcher Höhe die den Ländern nach Absatz 1 zugewiesenen Finanzierungsmit-<br />
tel zur Aufgabenerfüllung der Länder noch angemessen und erforderlich sind“.<br />
Ob im Vergleich zu einer ähnlichen Regelung ein Analogieschluss – also die Übertragung<br />
der ähnlichen Regelung in hiesigen Kontext – oder ein Umkehrschluss – also die gegen-<br />
teilige Regelung als in dem vergleichbaren Fall – die methodisch richtige Lösung dar-<br />
stellt, ist eine Wertungsfrage. Regelungslücken können zumeist sowohl durch Analogie-,<br />
wie auch durch Umkehrschluss geschlossen werden 249. Für vorliegende Fragestellung<br />
ergibt sich daraus: Da die zeitgleich in die Finanzverfassung eingeführte Vorschrift des<br />
Art. 104b Abs. 2 Satz 3 GG gebietet, Finanzhilfen des Bundes für bestimmte Aufgaben<br />
den Ländern nur zeitlich befristet und degressiv zu gewähren, Art. 143c GG das in ganz<br />
247 Johannes Hellermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl.<br />
2010, Art. 143c Rdnr. 7; Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art.<br />
143c Rdnr. 2.<br />
248 Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 143c Rdnr. 4; Markus<br />
Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 143c Rdnr. 4, 5.<br />
249 Überzeugend Klaus F. Röhl/Hans Christian Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 634: „Dabei<br />
handelt es sich aber um formale Verfahren, die nur Formulierungshilfe geben. Entscheidend sind die vorausgehenden<br />
Wertungen.“ Ähnlich Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S.<br />
390.
ähnlichem Zusammenhang jedoch nicht verlangt, ist hier der Umkehrschluss zwin-<br />
65<br />
gend 250. Warum der Verfassungsgesetzgeber beide Vorschriften, die jeweils durch die<br />
Föderalismusreform I in das Grundgesetz eingeführt wurden, unterschiedlich gestaltet<br />
hat, findet seine sachliche Begründung in der Verfassung selbst: Art. 143c GG ist eine<br />
Regelung, die – vorbehaltlich weiterer Grundgesetzänderungen nach Ende des Solidar-<br />
pakts II – 2019 ausläuft. Es handelt sich, seiner Stellung in der Verfassung korrespondie-<br />
rend, um eine echte Übergangsbestimmung. Art. 104b GG regelt demgegenüber die Ein-<br />
führung neuer Durchbrechungen der Konnexitätsklausel des Art. 104a Abs. 1 GG. Bei<br />
letzteren erscheint es angemessen, auch in die Zukunft hinein eine zeitliche Befristung,<br />
gekoppelt mit degressiver Gestaltung der Bundesmittel zu verlangen, um einem Grund-<br />
anliegen der Föderalismusreform I, der Stärkung der Finanzverantwortung durch Auflö-<br />
sung von Finanzverflechtungen, zu dienen. Bei einer ohnehin in ihrem Endzeitpunkt<br />
begrenzten Übergangsregelung ist dies nicht notwendig. In Art. 143c GG verkörpert sich<br />
in viel stärkerem Maße als in Art. 104b Abs. 2 GG ein konkreter, verfassungsrechtlich<br />
fixierter Kompromiss hinsichtlich konkreter Tatbestände. Ergänzende Interpretationen,<br />
gar im Wege von Analogieschlüssen, sind damit unzulässig.<br />
Von der Überprüfung der Zahlungen ab 2014 ist der Verteilungsschlüssel auf die einzel-<br />
nen Länder, also die horizontale Verteilung, nach einhelliger Meinung ohnehin ausge-<br />
schlossen; es geht nur um die Gesamtsumme, die der Bund für die Übergangszeit zur<br />
Verfügung stellt 251 .<br />
III. Zusammenfassung hinsichtlich der Entflechtungsmittel<br />
Die Länder haben einen verfassungskräftigen Rechtsanspruch auf jährliche Finanzie-<br />
runganteile des Bundes „zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden“<br />
(sog. Entflechtungsmittel) auch für die Periode zwischen 2014 und 2019. Eine Absen-<br />
kung dieser Mittel auf Null wäre verfassungrechtlich unzulässig. Die Tatbestandsmerk-<br />
male „erforderlich“ und „angemessen“ in Art. 143c Abs. 3 Satz 1 GG markieren eine (dy-<br />
250 Im Ergebnis so auch Markus Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2, 6.<br />
Aufl. 2012, Art. 143c Rdnr. 12.<br />
251 Markus Heintzen, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 143c<br />
Rdnr. 8; Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 6. Aufl. 2011, Art. 143c Rdnr. 25;<br />
Johannes Hellermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 6. Aufl. 2010,<br />
art. 143c Rdnr. 13.
66<br />
namische, d.h. an die Preis-, Lohn- usw. –entwicklungen angepasste, bedarfsorientierte)<br />
Mindestausstattung, die mit der sich entwickelnde Bedarfslage und sonstigen Faktoren<br />
„angemessen“ abzuwägen ist. Eine lineare Kürzung, wie sie vom Bund ohne Berücksich-<br />
tigung der in der Norm vorgegebenen Tatbestandsvoraussetzungen vorgeschlagen wor-<br />
den ist, ist mit diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar. Dies folgt zum<br />
einen aus der Auslegung der in Abs. 3 Satz 1 verwendeten – zwar konkretisierungsbe-<br />
dürftigen, aber doch verbindlichen – tatbestandlichen Voraussetzungen, zum anderen<br />
aus einem Umkehrschluss aus Art. 104b Abs. 2 Satz 3 GG. Aus dem Charakter des Art.<br />
143c GG als Übergangsnorm ergibt sich nichts anderes.<br />
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