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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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260 lost Hermand<br />

Das soll nicht heißen, daß sich Müller in solchen Passagen als hartnäckiger<br />

»Betonkopf« ausgibt. Trotz aller Verständnisbereitschaft <strong>für</strong> die objektiven<br />

Schwierigkeiten, denen sich dieser Staat von Anfang an ausgesetzt sah, dessen<br />

Sozialismus nicht aus einer revolutionären Volksbewegung hervorgegangen sei,<br />

sondern seine Existenz allein den Bajonetten der Roten Armee verdankte und<br />

dann eine Weile funktionierte, weil die Mehrheit der Bevölkerung auf Grund<br />

ihrer protestantischen, preußischen oder faschistischen Obrigkeitsvorstellungen<br />

auch das sozialistische Regime als Obrigkeit anerkannt habe, weist er immer<br />

wieder in aller Schärfe auf die eklatanten Fehler der SED hin. Allerdings sind<br />

dies nicht jene Fehler, die dem SED-Regime von seiten der Liberalen in Ost- und<br />

Westdeutschland angekreidet wurden, nämlich die unzureichende Erfüllung der<br />

Konsumwünsche der Bevölkerung, die mangelnde moralische Freizügigkeit, die<br />

Unterdrückung aller gegen das Regime gerichteten Meinungen usw. Im Gegenteil,<br />

Müller wirft dem SED-Regime vor, sich viel zu sklavisch an die Wertvorstellungen<br />

des bisherigen Bürgertums gehalten zu haben. Nach seiner Meinung<br />

sei es der gravierendste Fehler dieses Regimes gewesen, mit einer wohlgemeinten,<br />

aber unwirksamen Volksfrontpolitik die Überredung jener Bevölkerungsschichten<br />

angestrebt zu haben, die durch den Sozialismus nichts zu gewinnen,<br />

sondern nur zu verlieren hatten. Statt dessen hätte man sich eindeutig auf die<br />

Seite der bisher Unterdrückten, der Arbeiter und Bauern, stellen sollen. Vor<br />

allem in den unteren Rängen der Partei, also im Bereich der kleinbürgerlich verspießerten<br />

Bürokraten, habe man nicht in den Bürgern, sondern im »Proletariat<br />

und der Jugend« die Hauptfeinde des Staats gesehen (89) und demzufolge allen<br />

sich tatsächlich <strong>für</strong> die Ideen des Kommunismus Einsetzenden fortwährend<br />

Knüppel zwischen die Beine geworfen. Daher seien die »Marxisten« in der<br />

DDR, wie er es hauptsächlich an Künstlern und Literaturwissenschaftlern illustriert,<br />

nicht die Gewinner, sondern die »Verlierer« gewesen (122). Alles Antibürgerliche,<br />

selbst die große sowjetische Avantgarde eines Meyerhold oder<br />

Majakowski oder die Werke Brechts, hatten diese Apparatschiks abgelehnt. Diesen<br />

Leuten sei es lediglich um eine aus konservativem Geist inspirierte Politik<br />

der nationalen Front gegangen, als deren Endziel ihnen keine wahrhaft befreite,<br />

klassenlose Gesellschaft, sondern eine die bestehenden Gegensätze lediglich<br />

zukleisternde »Volksgemeinschaft« vorgeschwebt habe (123).<br />

Und so sei auch er auf Grund seiner radikalen, schon durch sein Herkommen<br />

aus einer Arbeiterfamilie bedingten proletarischen Gesinnung von der Partei von<br />

Anfang an als ein Störenfried auf dem Weg zu der »einen großen gebildeten<br />

Nation« angesehen worden. Schon mit seinem »Lohndrücker« habe er gegen eine<br />

Kulturpolitik verstoßen, die glücklich gewesen wäre, wenn das Volk auf den<br />

Straßen von Leipzig den »Zauberberg« von Thomas Mann als Volkslied gepfiffen<br />

hätte, wie sich Becher - laut Hans Mayer - einmal witzelnd und zugleich tiefernst<br />

geäußert haben soll. Aus diesem Grunde sei man auch ihm, wie Müller<br />

höchst detailliert nachweist, von seiten der Partei mit geradezu unvorstellbarer<br />

Borniertheit immer wieder mit Behinderungen, Zensurmaßnahmen, Verboten<br />

usw. entgegengetreten, um ihn kleinzukriegen und somit auf den offiziellen Kurs<br />

zu bringen. Doch all das habe ihn nicht davon abhalten können, erklärt er ebenso<br />

oft, weiterhin an dem von ihm als richtig erkannten Weg, nämlich dem der<br />

DAS ARGUMENT 19811993 :);;

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