Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Diskursive Widersprüche 257<br />
habe (290). »Meine eigentliche Existenz« in der DDR, erklärt er, »war die als<br />
Autor, und zwar als Autor von Theaterstücken« (181). Ja, an einer Stelle schreibt<br />
er noch lapidarer: »Mir war das Schreiben wichtiger als die Moral.« (180)<br />
Letztlich wollte er in seinem Leben, wie Müller uns immer wieder versichert,<br />
lediglich dem »Luxus des Schreibens frönen« (287). Die »Auseinandersetzungen<br />
innerhalb der SED« hätten ihn darum »nur in bezug auf Kunst und Literatur<br />
interessiert« (115) und nicht als Fragen der politischen Gesinnung. Deshalb habe<br />
er 1954 seine Parteimitgliedschaft einfach nicht erneuert und auch 1961 den Ausschluß<br />
aus dem Schriftstellerverband der DDR nicht besonders tragisch genommen.<br />
»Für mich war das nie ein Problem, ungerecht behandelt zu werden«,<br />
erklärt er in diesem Zusammenhang, »ich wußte, es gibt keine Gerechtigkeit,<br />
weder von der einen noch von der anderen Seite, also konnte ich mich nie wirklich<br />
dagegen empören.« (76) Von Anfang an sei es ihm nur um die zu schreibenden<br />
Stücke gegangen, wobei er sich in der aufgegriffenen Thematik nie auf<br />
bestimmte Leitideen, sondern stets auf ein in der gesellschaftlichen Wirklichkeit<br />
»erfahrenes« Material gestützt habe, während ihm Weltanschauungen, Theoreme<br />
oder Ideologien - ob nun der proletarische Sozialismus oder der bürgerliche<br />
Liberalismus - relativ gleichgültig gewesen seien. Er, Müller, habe nur »Autor«<br />
sein wollen, nichts weiter. Daher sei er auch politisch nie enttäuscht worden,<br />
weder durch den Ausgang des 17. Juni, den Bau der Mauer oder die sogenannte<br />
»Wende« von 1989. All dies habe ihn gar nicht berührt, sondern letztlich kalt<br />
gelassen.<br />
Ein Autor wie Peter Weiss, <strong>für</strong> den die DDR eine »Hoffnung« gewesen sei,<br />
wird darum als verblendet hingestellt. Dieser Mann habe selbst nach der Niederschrift<br />
der »Ästhetik des Widerstands«, wie er in Gesprächen mit ihm erfahren<br />
habe, noch immer »eine mönchische Haltung zur Utopie« gehabt (224). Auch<br />
andere linke Autoren, die sich im Bunde mit dem Weltgeist gefühlt hätten, werden<br />
zwar nicht lächerlich gemacht, aber doch als naiv charakterisiert. Überhaupt<br />
wendet sich Müller immer wieder gegen Werke, die ins Philosophische, Ideologische,<br />
Utopische ausschweifen, statt in aller Härte von der eigenen Erfahrung<br />
der konkreten Situation auszugehen. All das sind <strong>für</strong> ihn nutzlose Überbauphantasien.<br />
»Ich will nicht wissen«, erklärt er, »was die Welt im Innersten zusammenhält.<br />
Ich will wissen, wie sie abläuft. Es geht eher um Erfahrung als um Erkenntnis.«<br />
(271) Das im Bereich der Linken vielzitierte Hegeische Diktum, daß nur die<br />
begriffene Wirklichkeit wirklich »wirklich« sei, wird demzufolge einfach mit<br />
Schweigen übergangen.<br />
So viel zu dem halb existentiell gefärbten, halb ideologisch abwiegelnden Diskurs,<br />
nie ein engagierter Autor gewesen zu sein. Dieser Diskurs wird jedoch, ob<br />
nun auf bewußt irritierende Weise oder nicht, von zwei anderen Textstrategien<br />
unterlaufen, die diese Argumentationsebene wieder aufheben oder zumindest in<br />
Frage stellen. Die eine ist die fortlaufende Interpretation seiner Werke, die<br />
andere Müllers geradezu manische Fixierung auf das Phänomen »DDR-Sozialismus«,<br />
das fast allen seiner Dramen wie auch dieser Autobiographie zugrunde<br />
liegt. Beginnen wir mit den Werken Müllers, die er zwar in diesem Buch<br />
höchst ausführlich behandelt, jedoch stets in der Perspektive der Unengagiertheit<br />
zu deuten versucht. Das mag <strong>für</strong> manche seiner Werke nach 1975 durchaus<br />
DAS ARGUMENT 198/1993 ©