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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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256 lost Hermand<br />

Fortschrittsdenkens leugnende Weltanschauung getreten ist. Und damit mußte es<br />

auch bei Müller, der ursprünglich - in der Brecht-Nachfolge - auf jede private,<br />

weil als »bürgerlich« verdächtige Selbstäußerung weitgehend verzichtet hatte,<br />

notwendig zur Verstärkung einer im subjektiven Sinne verstandenen Selbstbetrachtung<br />

kommen, die sich schließlich in einer weit ausholenden Autobiographie<br />

niederschlug.<br />

Doch das ist nur ein Aspekt dieses Werks, das sich »<strong>Krieg</strong> ohne Schlacht.<br />

Leben in zwei Diktaturen« nennt und damit - über das Subjektive hinaus - das<br />

Eigene immer wieder mit den sich gleichzeitig abspielenden historischen Ereignissen,<br />

vor allem Müllers Leben in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren<br />

Deutschen Demokratischen Republik, zu verbinden sucht. Und auch hierin<br />

ist dieses Werk - im Gegensatz zu vielen seiner bisherigen Werke, die gerade<br />

durch ihre Besonderheit, ja Einmaligkeit auffielen - durchaus zeittypisch. Es gehört<br />

injene Gruppe von Rechtfertigungsbüchern desillusionierter DDR-Autoren,<br />

die nicht wie viele westdeutsche Linke schon in den späten siebziger Jahren der<br />

von ihnen erwarteten politischen Resignation anheimfielen, sondern sich<br />

bemühten, ihre durch die DDR geprägte Identität auch unter den widrigsten Verhältnissen<br />

der Unterdrückung und Zensur weiterhin beizubehalten.<br />

Worin sich Müller allerdings in seiner Autobiographie von den Verfassern solcher<br />

Werke unterscheidet, ist die Tendenz, diese Desillusionierung bewußt abzustreiten<br />

und sich von vornherein als unengagiert hinzustellen, um so seinem<br />

Leben - jenseits aller politischen Umbrüche - wenigstens im Bereich des Ideologischen<br />

oder der menschlichen Haltung eine gewisse Kohärenz zu verleihen.<br />

Allerdings tut er das auf eine höchst provokante Weise, die viele andere Autoren<br />

sicher als »unmoralisch« verwerfen werden, indem er sich als einen Schriftsteller<br />

charakterisiert, der sich nie wirklich engagiert habe. sondern von Anfang an ein<br />

kühl beobachtender, sich auf die Haltung des Betrachtens beschränkender Autor<br />

gewesen sei. Bereits durch seine Kindheitserfahrungen unter dem »Nationalsozialismus«,<br />

wie der Verhaftung seines Vaters als SAP-Mitglied sowie das brutale<br />

Vorgehen der Roten Armeee in der Sowjetischen Besatzungszone, habe er alle<br />

»bürgerlich«-idealistischen Illusionen verloren bzw. nie in sich aufkommen lassen<br />

- und sich lediglich auf sich selbst und seine Lust am Schreiben konzentriert.<br />

Müllers Autobiographie ist daher voller Äußerungen, in denen er seinen Eintritt<br />

in die SED im Jahr 1948 sowie die sozialistische Thematik seiner frühen<br />

Werke bewußt herunterspielt. »Ich konnte nie sagen«, heißt es an einer Stelle,<br />

»ich bin Kommunist. Es war ein Rollenspiel. Es ging mich im Kern nie etwas an.<br />

Ich habe oft gesagt und behauptet, daß ich mich mit dieser Gewalt, mit diesem<br />

Terror identifizieren konnte, weil es eine Gegengewalt war, ein Gegenterror<br />

gegen den vorigen. Im Grunde bin ich da unberührt durchgegangen.« (61)<br />

Ebenso eindeutig klingen die Sätze: »Ich weiß nicht, ob mir das so wichtig war,<br />

diese SED-Mitgliedschaft, politisches Engagement überhaupt. Natürlich hat es<br />

mich beschäftigt, aber es gibt da einen Kern, der von allem unberührt war bei<br />

mir. Der war von der Nazizeit unberührt und von der Zeit danach auch» (64).<br />

Müller gibt zwar zu, daß es in seinem Leben auch Situationen gab, wo er »politisch<br />

und nicht als Künstler« aufgetreten sei, wie er überhaupt zwischen Kunst<br />

und Politik sowie »Kunst und Leben« stets einen deutlichen Unterschied gemacht<br />

DAS ARGUMENT 19811993 ©

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