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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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242 Thomas lteber<br />

den Bezug auf den früheren Text. Wir werden sehen, inwiefern gerade dies von<br />

Bedeutung ist.<br />

Der Allegorieform ist zu verdanken, daß die Bilder einen »lebhaften Eindruck<br />

auf das Gemüth« hervorbringen und die »Kraft« des Rezipienten »zur Thätigkeit«<br />

aufrufen - Benjamin zitiert diese Schopenhauersche Beschreibung der allgemeinen<br />

Wirkung von Allegorien in seinem Trauerspiel-Buch, das die Rehabilitierung<br />

der Allegorie als Ausdrucksform unternimmt (zit. 1338). Das Fazinierende<br />

der drei Bilder ist zugleich das Tückische an ihnen. Will man sie auf den Begriff<br />

bringen, generieren sie unmittelbar schon das nächste Bild. Sie erscheinen willkürlich,<br />

analysieren keine Wirklichkeit und sind doch ihr treffender Ausdruck.<br />

Sie entziehen sich der argumentativen Rede, die sie zugleich ständig herausfordern.<br />

Auch Benjamins Umgang mit Klees Aquarell »Angelus Novus« hat etwas Willkürliches;<br />

er liest Bedeutung eher in das Bild hinein als heraus. Augen, Mund<br />

und - mit mehr Mühe - Flügel lassen sich beim aus dem Bild blickenden Engel<br />

noch ohne weiteres wiedererkennen, schon der »Sturm« ist angesichts der eher<br />

schwebenden Figur allenfalls ein Hauch. Von allem anderen, von dem der Text<br />

redet, ist nichts zu sehen. 3 Nicht um eine Bildbeschreibung handelt es sich,<br />

sondern um eine Bildüberschreibung. Das Müllersche Sprach-Bild dagegen<br />

schreibt jenes von Benjamin um, und zwar derart, daß »Der Glücklose Engel«<br />

(GE) geradezu als »Gegenmetapher« zum »Engel der Geschichte« (EG) zu lesen<br />

ist (w. Heise in: Müller 1986/1,68), und dies bis in die logographische Struktur<br />

hinein: GE-EG. Gemeinsam ist beiden die Abbildung der Zeit- in die Raumdimension.<br />

Müller revidiert Benjamins Anordnung. Die Zukunft liegt (wieder)<br />

»vor«, die Vergangenheit »hinter« dem GE, während <strong>für</strong> den EG gemäß der altägyptischen<br />

Raum-Zeit-Vorstellung die Vergangenheit vorn, die Zukunft hinten<br />

liegt. 4<br />

Beide Engel sind ohnmächtig. Ganz unterschiedlich wird ihnen Geschichte<br />

zum Verhängnis. Was der eine intendiert, das erreicht der andere wider Willen,<br />

und was sie erreichen, das wird ihnen jeweils zum Problem. Dem EG der »Fortschritt«.<br />

Er will verweilen und wird fortgetrieben. Er fliegt wider Willen, wird<br />

geflogen. Anders der GE. Seine Bewegung ist vergeblich. Wider Willen kommt<br />

er zur »Ruhe«.<br />

Der EG will die Vergangenheit einholen, der GE wird von ihr eingeholt.<br />

Weil ihm die Zukunft blockiert ist, in die der EG unaufhaltsam treibt. EG:<br />

Zukunft, die keine Gegenwart, Gegenwart, die keine Zukunft hat: GE.<br />

Der EG ist Augenzeuge. Er registriert die Geschichte als Destruktionsprozeß -<br />

sprachlos und ohne die Kraft zu intervenieren. Der GE kann sich nicht (mehr) bewegen,<br />

kann nicht sehen, nicht sprechen. Gerade die Versuche, diese Aktivitäten<br />

auszuüben, machen sie unmöglich. Das Sehen sprengt die Augen, das Sprechen<br />

würgt den Atem, das Flügelschlagen verstärkt den Steinschlag (oder löst es ihn<br />

gar aus?), unter dem der Engel selbst zu Stein erstarrt. Der Versuch des GE,<br />

Geschichte zu machen, legt ihn lahm. Es bleibt das Warten auf Geschichte. Die<br />

Aktivität des GE endet in erzwungener Passivität. Doch gibt der Schluß des<br />

Textes Hoffnung: Es wird eine Zeit kommen, da der Engel wieder fliegt. Müller<br />

kommt die Passage »jetzt schon manchmal ein bißchen flach optimistisch VOL«<br />

DAS ARGUMENT 19811993 ©

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