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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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236 Ingrid Arbeitlang<br />

So unterschieden sich die Zukunftsvorstellungen zehnjähriger Jungen und Mädchen.<br />

Mutterschaft war bei den Mädchen fest eingeplant. Da sie bereits in der<br />

Familie lernten, die Bedürfnisse der künftigen eigenen Familie mitzudenken,<br />

hielten sie ihre Erwerbstätigkeit und die Familie <strong>für</strong> gleich wichtig. Dagegen<br />

planten gleichaltrige Jungen ihre Vaterschaft noch nicht ein. Sie konzentrierten<br />

sich auf ihre Berufswünsche (vgl. Nickel 1986, 8). Entsprechend dieser unterschiedlichen<br />

Selbsteinschätzung und Lebensplanung fiel die Berufswahl aus.<br />

Junge Frauen meinten, gut mit kleinen Kindern umgehen zu können, geschickt<br />

in Handarbeiten und in der Gestaltung der unmittelbaren Umgebung zu sein und<br />

soziale Fähigkeiten zu haben (Nickel 1988b, 9). Zwei Drittel der jungen Frauen<br />

wählten Erwerbstätigkeiten im pädagogischen, medizinischen und sozialen Bereich,<br />

oder sie führten in der Industrie die Arbeiten aus, bei denen Fingerspitzengefühl<br />

und -fertigkeit gefordert sind. So ergänzten sich die Ansprüche, die an<br />

Frauen als »Familien-Frauen« gestellt wurden mit denen im Erwerbsbereich.<br />

Auch in der Erwerbstätigkeit war »der Alltag der meisten Frauen (oft) dadurch<br />

bestimmt, daß sie in der Lage sein und sich die Fähigkeit bewahren müssen, Zeit<br />

aus Liebe an andere 'verschenken' zu können« (ebd.). Daß diese Fähigkeit vor<br />

allem ein Produkt der Sozialisation ist, wurde in der DDR nur selten öffentlich<br />

reflektiert. Vielmehr wurde sie als »natürliche Veranlagung der Frau« gesehen.<br />

Die Berufswahlmotive wurden mit einem »natürlichen Pflege- und Beziehungsbedürfnis«<br />

der Mädchen, Fluktuationsmotive mit einer »wesensbedingten stärkeren<br />

Familienorientierung« der weiblichen Jugendlichen erklärt (Schlegel 1986, 60).<br />

Ein weiterer Aspekt gegen die Wahl einer Erwerbsarbeit, bei der formal und<br />

inhaltlich maskuline Strukturen vorherrschen (z.B. Arbeitszeitregime und technische<br />

Logik) ist die Gefahr, mit der verinnerlichten Geschlechterrolle in Konflikt<br />

zu geraten. Hinzu kommt, daß Frauen in Männerberufen permanent unter<br />

Beweis stellen müssen, daß sie genauso leistungsfähig wie ihre männlichen Kollegen<br />

sind.<br />

Irene Dölling war eine der wenigen Wissenschaftlerinnen in der DDR, die<br />

eine <strong>kritische</strong> Auseinandersetzung mit dem inneren Zusammenhang von Produktions-<br />

und Geschlechterverhältnis forderte (vgl. Dölling 1988,561). Zwar wurden<br />

in den achtziger Jahren Geschlechterrollen und -sozialisiation zum Gegenstand<br />

soziologischer Untersuchungen, doch hatten sie meist einen ganz anderen Tenor.<br />

Unter Beibehaltung der bestehenden Geschlechterrollen sollten Strategien entwickelt<br />

werden, mit denen Frauen einen leichteren Zugang zur Handhabung der<br />

neuen Produktionsanlagen bekommen. Die Automatisierung der Produktion und<br />

die - wenn auch auf einige Industriebereiche begrenzte - Einführung computergesteuerter<br />

Produktionsanlagen erforderte eine größere Mobilität und Disponibilität<br />

sowohl in der Qualifikationsstruktur als auch in der Einsatzbereitschaft der<br />

erwerbstätigen Frauen. Die Erfolgsmeldungen, daß in der DDR mehr Frauen<br />

technische Berufe erlernten, bedeuteten kein Aufbrechen der horizontalen SegregatIon.<br />

Es gab nur eine ungenaue Definition dessen, was unter techmschen<br />

Berufen zu verstehen ist. Darunter fielen sowohl Berufe, in denen mathematischnaturwissenschaftliche<br />

Kenntnisse und Abstraktionsvermögen erforderlich waren,<br />

als auch eintönige Fließbandarbeit (vgl. Ehrlich 1984, 31). Mit dieser pauschalen<br />

Definition wurde der hohe Frauenanteil in einigen Erwerbszweigen, z.B. in der<br />

DAS ARGUMENT 198/1993 ©

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