Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Wie befreiend war die DDR-Frauenfärderung ? 233<br />
verschiedensten Paragraphen des AGB zu finden ist. So sind nach § 210 II AGB<br />
»die Arbeitsbedingungen .. , entsprechend den physischen und physiologischen<br />
Besonderheiten der Frau und dem körperlichen Entwicklungsstand der Jugendlichen<br />
zu gestalten.« Ein Kommentar erläutert §210 AGB dahingehend, daß alle<br />
Betriebe verpflichtet sind, »<strong>für</strong> die werktätigen Frauen und die Jugendlichen<br />
erschwernis- und gefahrdungsfreie sowie persönlichkeitsfördernde Arbeitsbedingungen<br />
zu schaffen« (Wilhelm 1989, 35). Die kontinuierliche Gleichsetzung<br />
von Frauen mit Jugendlichen, deren Leistungsfähigkeit und Persönlichkeit noch<br />
nicht der eines Erwachsenen entspricht bzw. die Gleichsetzung mit nicht mehr<br />
voll leistungsfähigen Erwachsenen definiert Frauen indirekt als defizitäres, von<br />
der männlichen Norm abweichendes Geschlecht. Von einer Gleichwertigkeit der<br />
Geschlechter kann nicht die Rede sein. Vielmehr waren Frauen auch in der DDR<br />
das »Besondere-Mindere-Andere«. Mit der Formel von der »physischen und physiologischen<br />
Besonderheit der Frau« wurden die biologischen Eigenschaften mit<br />
der weiblichen Sozialrolle vermengt. Laut § 242 AGB durften Mütter mit Kindern,<br />
die das erste Lebensjahr noch nicht vollendet haben, keine gesundheitsgefährdenden<br />
Arbeiten übernehmen. Gegen den Gesundheitsschutz an sich sind<br />
keine Einwände zu erheben. Im Gegenteil, es wäre erstrebenswert, wenn er <strong>für</strong><br />
alle Erwerbstätigen gelten würde. Der Kommentar zu § 242 AGB zeigt, daß die<br />
biologisch bedingte Mutterschaft mit der sozialen Rollenzuweisung quasi als<br />
naturgegeben gleichgesetzt wurde: »Das Kind wiederum braucht gerade im<br />
ersten Lebensjahr die besondere Fürsorge und stete Bereitschaft der Mutter, um<br />
sich gesund entwickeln zu können.« (Hovenbitzer 1987, 28) Vom Stillen abgesehen,<br />
ist nicht einsichtig, warum nicht auch der Vater zur gesunden Entwicklung<br />
des Kindes beitragen kann. Diese Möglichkeit wurde jedoch von vornherein<br />
ausgeschlossen. Mit derartigen Regelungsmustern erhält die soziale Mutterschaft<br />
Zwangscharakter. Männer werden von der sozialen Vaterschaft entbunden.<br />
Das bedeutet aber auch, daß sie daran gehindert werden, die Vaterschaft<br />
anders zu leben denn als Brotverdiener und Zubringer von Sachmitteln.<br />
Neben dem Arbeitsgesetzbuch verstärkten andere Gesetze den Zwangscharakter<br />
der Mutterschaft, wie z.B. das Erziehungsrecht bei nicht verheirateten<br />
Müttern. Sie erhielten automatisch das Erziehungsrecht, der Vater des Kindes<br />
war von allen Rechten und Pflichten mit Ausnahme der Unterhaltspflicht ausgeschlossen<br />
(§46 Familiengesetzbuch). Damit wurde die männliche Geschlechterrolle<br />
auf die »Zahlvaterschaft« reduziert. Die Begründung da<strong>für</strong> ist bemerkenswert.<br />
Während in jedem erdenklichen Zusammenhang auf die Notwendigkeit<br />
hingewiesen wurde, Traditionen der bürgerlichen Familie durch das neue Leitbild<br />
von der sozialistischen Familie zu überwinden, galt an dieser Stelle die normative<br />
Kraft des Faktischen. Das Erziehungsrecht erhielten alle unverheirateten<br />
Frauen, »weil das Kind in der Regel bei der Mutter lebt« (Lehrbuch zum Familiengesetzbuch,<br />
167). Weder Männer noch Frauen konnten außerhalb der ehelichen<br />
Gemeinschaft entscheiden, ob und wie sie sich Jas Erziehungsrecht<br />
teilen. Dem Mann wurde die soziale Vaterschaft verweigert, der Frau die soziale<br />
Mutterschaft zwangsverordnet. Hier offenbart sich traditionelles Denken, demzufolge<br />
Kinderbetreuung Frauensache ist. Geht man davon aus, daß die soziale<br />
Vaterschaft auch eine vom Mann gewünschte Rolle ist, wird auch deutlich, daß<br />
DAS ARGUMENT 19811993 ©