Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Den Kapitalismus in seiner Geschichte begreifen 227<br />
massiven und permanenten Rüstungsindustrie). Sie müssen also zur Nachfrage<br />
nach Kapital hinzugezählt werden. Deshalb übt der Faktor Rüstung sowohl auf<br />
der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite der Gleichung eine sehr starke<br />
unterstützende und stabilisierende Wirkung auf den im Grunde anfälligen Akkumulationsprozeß<br />
der spätkapitalistischen Gesellschaft aus.<br />
Betrachtet man die kapitalistische Geschichte im ganzen, wird dies einmal<br />
zweifellos als der Hauptgrund da<strong>für</strong> erachtet werden, daß der Kapitalismus in<br />
der Nachkriegsära zu neuem Leben erwachte. Aber es war nicht der einzige<br />
Grund. Wie alle <strong>Krieg</strong>e, jedoch in einem unvergleichlich größeren Maßstab, zerstörte<br />
der Zweite Weltkrieg materielle und soziale Strukturen, die wieder aufgebaut<br />
werden mußten. Das ist die Basis des wohlbekannten Phänomens eines<br />
wirtschaftlichen Aufschwungs nach ernstzunehmenden militärischen Konflikten.<br />
Manchmal ist solch ein Aufschwung von kurzer Dauer, wie z.B. nach dem<br />
Ersten Weltkrieg. Doch unter Berücksichtigung des globalen Rahmens und des<br />
nie dagewesenen Ausmaßes an Zerstörung und Desorganisation in den Jahren<br />
zwischen 1940 und 1945, war es unvermeidlich, daß die Erneuerung und der<br />
Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg von längerer Dauer und zudem kostspielig<br />
sein würden. Direkt und indirekt erhöhte es in großem Maße die Kapitalnachfrage<br />
in der Nachkriegsära. Zählt man dies zusammen mit dem militärischen<br />
Neuaufbau in Verbindung mit dem Koreakrieg, dem Vietnamkrieg und<br />
dem Kalten <strong>Krieg</strong>, so verwandelten die Erfordernisse des Wiederaufbaus sowohl<br />
die Angebots- als auch die Nachfrageseite der Akkumulationsgleichung radikal.<br />
Eine Zeitlang, die sich bis in die siebziger Jahre ausdehnte, schien der Kapitalismus<br />
seine Jugend wiedergewonnen zu haben. Der Akkumulationsprozeß lief<br />
relativ geschmiert und erlebte nur unbedeutende Schwankungen. Für einige<br />
Zeit, zumindest von einer engeren ökonomischen Warte aus, schien es, als<br />
erfreuten wir uns der besten aller möglichen Welten.<br />
Hier müssen wir nochmals zurück in die dreißiger Jahre. Im Verlauf der zehnjährigen<br />
Wirtschaftskrise erlebte die herrschende Wirtschaftswissenschaft eine<br />
bemerkenswerte Renaissance in einer Form, die gemeinhin als die Keynesianische<br />
Revolution bekannt wurde. Es war offensichtlich der historische Kontext,<br />
der <strong>für</strong> diese Renaissance verantwortlich war - eine Renaissance, die ein Thema<br />
zum obersten Punkt der Tagesordnung bestimmte, das in der klassischen politischen<br />
Ökonomie als ein sekundäres und im allgemeinen <strong>für</strong> belanglos gehaltenes<br />
Nebenthema gegolten hatte: die Bestimmung der wirksamen Nachfrage einschließlich<br />
der Nachfrage nach Kapital. Zum größten Teil wurde dies eher als ein<br />
allgemein theoretisches Problem behandelt denn als Beitrag zur Erklärung der<br />
damals existierenden wirtschaftlichen Depression. Aber das änderte sich nach<br />
dem Zusammenbruch im Sommer 1937. Alvin Hansens 1938 erschienenes Buch<br />
Full Recovery or Stagnation? brachte zur Sprache, was eine tiefgreifende<br />
Debatte über die damals brennendste Frage zu werden verhieß: das Wesen und<br />
dic Ursachcn dcr Wcltwirtschaftskrisc.<br />
Unglücklicherweise wurdc diese Dcbatte durch den Ausbruch des Zweiten<br />
Weltkrieges abgebrochen. Und trotz der Versuche, sie nach dem <strong>Krieg</strong> wiederzubeleben,<br />
darunter selbst welche von seiten Hansens, hatte das Thema seine<br />
unmittelbare Aktualität verloren und war bald aus dem Blickfeld verschwunden.<br />
DAS ARGUME:-It 198/1993 ©