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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Den Kapitalismus in seiner Geschichte begreifen 225<br />

war, sondern daß sie vielmehr die notwendige und die der Natur der Sache nach<br />

vorübergehende Folge des Übergangs einer frühkapitalistischen in eine voll entwickelte<br />

kapitalistische Gesellschaft war. Was dies bedeutet, so glauben wir, ist<br />

von größter Wichtigkeit <strong>für</strong> das Verständnis der Geschichte des Kapitalismus im<br />

20. Jahrhundert, dem Zeitabschnitt, in dem sich dieser Übergang im wesentlichen<br />

vollendete. Solange die Kapitalnachfrage als Fundament solide und zuverlässig<br />

war, konnte ein Ausfall im Akkumulationsprozeß - ausgelöst z.B. von<br />

extremen Schwankungen im Kreditwesen oder von außerökonomischen <strong>Katastrophen</strong><br />

- jederzeit überwunden und überstanden werden. Das Wiederanlaufen<br />

der Kapitalakkumulation war sichergestellt, vorausgesetzt die institutionelle<br />

Basisstruktur der kapitalistischen Wirtschaft blieb intakt; mit etwas Zeit und<br />

Geduld würde sich diese schon wieder von allein erholen. Das entsprach nicht<br />

nur der <strong>Theorie</strong>. Im 19. Jahrhundert, dem goldenen Zeitalter des Kapitalismus,<br />

funktionierte das kapitalistische Wirtschaftssystem tatsächlich so.<br />

Doch als sich die Übergangsperiode ihrem Ende näherte], änderte sich das. Die<br />

Nachfrage nach Kapital, im wesentlichen angetrieben durch die Industrialisierung<br />

einerseits und die geographische und demographische Expansion andererseits,<br />

kam fast zum Stillstand, und man konnte sich nicht mehr darauf verlassen, daß sie<br />

die Wirtschaft im Falle eines Aussetzens des Akkumulationsprozesses, was auch<br />

immer der Grund da<strong>für</strong> sein mochte, wieder ankurbelte. Es war unvermeidlich,<br />

daß dieser Wendepunkt in der Geschichte des Kapitalismus kommen würde. Sein<br />

tatsächliches Eintreten fiel mit dem zyklischen Abschwung von 1929 zusammen<br />

und ging bald über in die zehnjährige Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre.<br />

Daß das kapitalistische System verlor, was über ein Jahrhundert lang seine<br />

Hauptstütze gewesen war, nämlich eine stabile und verläßliche Nachfrage nach<br />

Kapital, machte einen Zusammenbruch des Akkumulationsprozesses nicht an<br />

und <strong>für</strong> sich unvermeidlich. Die Nachfrage macht nur eine Seite der Gleichung<br />

aus. Würde die Vervollkommnung des Kapitalismus nicht nur eine allmähliche<br />

Schwächung der Kapitalnachfrage bedeuten, sondern auch eine Abschwächung<br />

auf der Angebotsseite, wäre womöglich alles gut gegangen. Die Gesellschaft<br />

würde weniger investieren und mehr konsumieren. Die Wachstumsrate würde<br />

zwar sinken, aber es drohte nicht die Gefahr eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs,<br />

solange eine ordentliche Balance aufrechterhalten bliebe. In ihren besseren<br />

Zeiten konnte sich die klassische politische Ökonomie einen solchen Vorgang,<br />

das Nachlassen der Kapitalnachfrage, sogar vorstellen, der, wie sie es<br />

nannte, in einem »stationären Zustand« kulminieren würde. Die berühmteste und<br />

im großen und ganzen recht gute Darstellung dieses Vorgangs findet sich bei John<br />

Stuart Mill, und zwar in dessen Hauptwerk Principles of Political Economy<br />

(1848, Buch IV, Kap. VI, 2).<br />

Aber während der Kapitalismus sich weiterentwickelt, neigt er in Wirklichkeit<br />

nicht zu weniger, sondern zu mehr Akkumulation. Reichtum und Einkommen<br />

wachsen an und konzentrieren sich zunehmend in verhältnismäßig weniger Händen.<br />

Kapitalgesellschaften, wohlhabende Einzelpersonen und Finanzinstitute<br />

zusammengenommen erzeugen eine Flut an überschüssigen Mitteln, die nach<br />

profitablen Investitionsmöglichkeiten suchen. Solange die Nachfrage anhält,<br />

funktioniert das kapitalistische System - stockt sie, bricht es zusammen.<br />

DAS ARGUMENT 198/1993 ©

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