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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Paul M. Sweezy und Harry Magdoff<br />

Den Kapitalismus in seiner Geschichte begreifen<br />

223<br />

Schon 1989 schrieben wir über die beginnende Rezession der US-Wirtschaft.<br />

Spätestens Ende 1990 wurde sie dann amtlich, und abgesehen von ein paar<br />

Anlaufschwierigkeiten dauert sie seitdem an. Während wir dies schreiben (Ende<br />

August '92), deutet alles darauf hin, daß wir noch mehr davon erleben werden.<br />

Warum? Normalerweise dauert eine Rezession ein paar Monate, und der Aufschwung,<br />

so er einmal begonnen hat, dauert mindestens ein Jahr. Warum ist es<br />

diesmal anders? Das ist die Frage, welche die Wirtschaftspresse derzeit nicht<br />

mehr losläßt. Die Antworten, sofern überhaupt welche angeboten werden, sind<br />

erbärmlich. Die ganze Wirtschaft mit einem Umfang von mehreren Billionen<br />

Dollar verhält sich in einer Weise, die niemand erwartet hätte. Die Erklärungen<br />

da<strong>für</strong> reichen vom Trivialen bis zum Absurden. Sollte es jemals eine intellektuell<br />

bankrotte Gesellschaft gegeben haben, dann ist es sicher die amerikanische. Und<br />

ironischerweise offenbart sie ihren Bankrott gerade in einer Zeit, die von ihren<br />

angesehensten Wissenschaftlern und Denkern als eine noch nie dagewesene<br />

Revolution der Information und Kommunikation gepriesen wird.<br />

Was ist nur so offensichtlich falsch gelaufen? Wir schlagen eine Antwort vor,<br />

die zugleich einfach und doch enorm komplex ist: Diese Gesellschaft versteht<br />

ihre eigene Geschichte nicht. Das ist natürlich sehr kurz gefaßt - Gesellschaften<br />

als solche denken oder verstehen nicht. Doch der winzige Bruchteil der Bevölkerung,<br />

der über die Ressourcen des Landes verfügt und den Großteil seiner<br />

Arbeitskräfte beschäftigt, kontrolliert auch die Mittel und Wege der intellektuellen<br />

Produktion dieser Gesellschaft. Und es ist diese Klasse, die <strong>für</strong> das Unvermögen<br />

verantwortlich ist, die Geschichte zu verstehen, die unserer gegenwärtigen<br />

Misere zugrunde liegt und sie erklärt.<br />

Unter den Sozialwissenschaften ist die Wirtschaftswissenschaft die älteste und<br />

am weitesten entwickelte. So wie sie in unseren Bildungseinrichtungen gelehrt<br />

wird, ist sie immer davon ausgegangen, daß das Schulbuchmodell des Kapitalismus<br />

- dessen Ursprung auf Adam Smith zurückgeht und welches dazu gedacht<br />

ist, die <strong>für</strong> diese Wirtschaftsordnung charakteristische Struktur der Verhältnisse<br />

hervorzuheben - wenigstens eine sinnvolle erste Annäherung an die tatsächlich<br />

existierende Wirtschaft ist, in der wir leben und arbeiten. Das ist nicht unbedingt<br />

falsch und <strong>für</strong> manche Zwecke sogar durchaus gerechtfertigt. Doch wenn es<br />

darum geht, die Geschichte zu verstehen, kann es vollkommen in die Irre führen<br />

- was ja auch der Fall war.<br />

Anfangs (soweit es die USA betrifft, war das vor etwa 200 Jahren) gab es keinen<br />

Kapitalismus, oder nur in sehr geringen Ansätzen. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung<br />

entstand im Verlauf einer ununterbrochenen Entwicklung, die<br />

immer noch andauert. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts entsprach das Schulbuchmodell<br />

ganz gut der tatsächlichen Struktur des Kapitalismus. Das erstere<br />

war, anders ausgedrückt, ein angemessen zutreffender Schnappschuß der Ökonomie<br />

wie sie damals existierte. Aber wie alle Schnappschüsse konnte auch<br />

DAS ARGUMENT 198/1993 ©

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