Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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216 Joachim Hirsch<br />
Gesetzmäßigkeiten unterliegt, diese aber immer in einer von konkreten sozialen<br />
Bedingungen, Kräfteverhältnissen, politisch-sozialen Strategien beeinflußten<br />
und geformten Weise zum Ausdruck kommen. Die beteiligten Akteure - internationale<br />
Organisationen, Staaten, trans nationale Unternehmungen, Gewerkschaften,<br />
soziale Gruppen und Bewegungen - agieren unter strukturellen Bedingungen,<br />
die aber selbst wieder durch ihr konfliktarisches Handeln beeinflußt werden<br />
und somit raum-zeitlich veränderbar sind.<br />
Auf globaler Ebene stellt sich dieser Zusammenhang deshalb komplexer dar,<br />
weil es sich hier um ein System nationaler Gesellschaftsformationen mit je eigenen<br />
ökonomisch-sozialen Strukturen, politischen <strong>Institut</strong>ionen und dadurch<br />
bestimmten Entwicklungsmustern handelt, in denen je spezifische historische<br />
Traditionen, natürliche Bedingungen, gesellschaftliche Konfliktlagen und<br />
soziale Arrangements zum Ausdruck kommen. Da ein umfassender Weltstaat<br />
nicht existiert und unter kapitalistischen Bedingungen auch nicht existieren<br />
kann, ist eine durch einen kohärenten institutionellen Apparat vermittelte und<br />
abgestützte Verdichtung der ökonomisch-sozialen Beziehungen zu einem längerfristig<br />
bestandsfahigen Akkumulations- und Regulationsmodus auf globaler<br />
Ebene eher unwahrscheinlich. Der Weltkapitalismus bleibt ein System relativ<br />
voneinander unabhängiger und nur locker verbundener nationaler und regionaler<br />
Reproduktionszusammenhänge, deren ökonomisch-politisches Verhältnis<br />
durch ein institutionell eher schwach ausgeprägtes internationales Regulationssystem<br />
koordiniert wird. Da die Struktur des WeltkapitaJismus und seine Entwicklung<br />
eben nicht als das Ergebnis einer simplen »Logik« oder einer linearen<br />
Gesetzmäßigkeit betrachtet werden darf, sind die Handlungen der verschiedenen<br />
Akteure sowohl innerhalb der einzelnen Länder als auch über deren Grenzen<br />
hinaus von entscheidender Bedeutung <strong>für</strong> den Zustand des gesamten Systems<br />
und die jeweilige Position der Länder darin. Der Weltmarkt ist demnach nicht<br />
einfach Schicksal oder nur »Sachzwang«. Vielmehr wird die Entwicklung jedes<br />
einzelnen Landes sehr wesentlich von dessen internen Kräfteverhältnissen und<br />
den sich darin herausbildenden gesellschaftspoJitischen Strategien bestimmt.<br />
Eine theoretische Schlußfolgerung daraus ist, daß <strong>für</strong> die Analyse des kapitalistischen<br />
Weltsystems ein erheblich differenzierteres Konzept vonnöten ist, als es<br />
die herkömmlichen <strong>Theorie</strong>n bieten. Dies gilt insbesondere <strong>für</strong> alle Varianten<br />
abstrakt-ökonomischer Erklärungen, die die politisch-soziale Eingebundenheit<br />
wirtschaftlicher Prozesse unberücksichtigt lassen. Entscheidend ist es vor allem,<br />
die komplexen Beziehungen zu erhellen, die nationale Akkumulations- und<br />
Regulationssysteme miteinander verknüpfen, wobei ein zentrales Problem die<br />
Herausbildung, Stabilisierung und Krise »internationaler Regimes« ist. Die<br />
Regulationstheorie, die ihre Aufmerksamkeit bisher vor allem auf die nationalen<br />
Akkumulations- und Regulationsmodi der kapitalistischen Zentren gerichtet hat,<br />
liefert da<strong>für</strong> zwar wichtige Fragestellungen und einige vorläufige Konzepte, kann<br />
aber keinesfalls beanspruchen, über eine umfassendere <strong>Theorie</strong> des kapitalistischen<br />
Weltsystems zu verfügen. Um dies zu erreichen, wäre eine grundsätzlichere<br />
gesellschaftstheoretische Begründung des gesamten Ansatzes, insbesondere<br />
eine Präzisierung des Verhältnisses von »Struktur«, »Gesetz«, »<strong>Institut</strong>ion«<br />
und »sozialem Handeln« notwendig (Hirsch 1990, RabIes 1992). Im Zentrum<br />
DAS ARGUMENT 198/1993 ©