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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Editorial<br />

167<br />

Als Anfang 1993 ein eher konservativer Gewerkschaftsführer den liberalen<br />

Wirtschaftsminister wissen ließ, daß jetzt »eine Lektüre von Handbüchern der<br />

Marktwirtschaft nicht gefragt« sei, empfahl die FAZ in ihrer Leitglosse trotzig<br />

»das Gegenteil«. Doch aus dem Wirtschaftsteil vernahm man vom Vorsitzenden<br />

der Metallunternehmer, »mit der 'reinen Lehre' der Marktwirtschaft sei ... nicht<br />

mehr zurechtzukommen.« Diese Meinung gewinnt nicht nur in Deutschland an<br />

Boden. In der Stimmung der Macht-Eliten der Welt - und mehr noch bei den von<br />

ihnen Regierten bzw. Beschäftigten - hat ein Umschwung begonnen. Die neoliberale<br />

Hegemonie, die über ein Jahrzehnt angedauert hat, ist ausgehöhlt. Ihre<br />

Losung, von Spätkommern noch heute zu hören, hieß Deregulation des Marktes.<br />

Das bedeutete angeblich die Zurücknahme von Staatsverschuldung und Staatsinterventionismus<br />

sowie die Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Dienste.<br />

Tatsächlich ging es um eine Anpassung des Akkumulationsregimes an die Bedingungen<br />

des hochtechnologischen transnationalen Kapitalismus, also um einen<br />

Paradigmenwechsel des Regulationismus. Die Welt des Fax-Gerätes und der<br />

»E-Mail« drängte die Welt des Briefträgers zur Seite.<br />

Der Deregulationismus steckt heute in der Krise, aber er ist nicht vorbei. Die<br />

Kündigung des Metall-Tarifvertrags <strong>für</strong> Ostdeutschland kommt einem Akt sozialpolitischer<br />

Deregulation gleich, die den regierenden »Deregulations-Fanatikern«,<br />

wie der DGB erklärt hat, ins Programm paßt.<br />

Indes verbirgt sich unter dem Namen »Solidarpakt« das Eingeständnis, daß<br />

die Regierenden mit ihrer bisherigen Politik am Ende sind - freilich auch, daß<br />

die Opposition keine »greifende« Alternative bietet. »Nach dem Scheitern der<br />

Reaganomics in Amerika und des Thatcherismus in England ist auch die konservative<br />

Marktwirtschaft in Deutschland am Ende«, erklärte Oskar Lafontaine im<br />

Bundestag. Die FAZ machte, das Beiwort »konservativ« weglassend, daraus die<br />

»Nachricht« von Lafontaines »Abrechnung mit der Marktwirtschaft« (6.3.93, I).<br />

Aber er hatte bloß eine »marktwirtschaftliche Industriepolitik« gefordert. Die<br />

Regierung hat die Forderung nach Industriepolitik im Osten inzwischen gegengezeichnet,<br />

und ihr Kanzler verkauft seinen Rückzug als politischen Erfolg. Die<br />

Hayekianer in der FAZ murren dagegen an und können doch auch nicht die<br />

Augen davor verschließen, daß »der Markt« die versprochenen Wunder nicht<br />

wirkt. »Auf dem Weg in die Marktwirtschaft«, weiß der Wirtschaftsteil derselben<br />

Ausgabe, »haben 3 Millionen Ostdeutsche ihre Arbeit verloren; zahlreiche alte<br />

Sozialeinrichtungen gibt es nicht mehr. Für den Begriff 'soziale' Marktwirtschaft<br />

haben daher viele kaum mehr als Spott übrig.« Und »der erhoffte Stimmungsumschwung«<br />

ist laut Leitartikel »weder im laufenden noch im nächsten<br />

Jahr zu erwarten«.<br />

Um den Katzenjammer zu betäuben, wird der Rückzug zu einem »beinahe<br />

historischen Opfergang« verklärt. Gemeint ist einfach, daß zusätzlich zu den<br />

Kosten der Crash-Form der Wiedervereinigungspolitik und zusätzlich zu den<br />

DAS ARGUMENT 19811993 ©

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