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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Perspektiven nach dem Scheitern der »Schocktherapie« in Rußland 189<br />

der Gewinnbeteiligung hat ein gewisses Recht. Aber die neoliberale Ära hat<br />

ihren Zenit überschritten. Die komplizierte ökonomische Verflechtung in den<br />

entwickelten Ländern und das erreichte Niveau der sozialen Sicherung ließen die<br />

Forderung nach staatlichem Eigentum und staatlicher Regulation erneut aufkommen,<br />

jedoch in flexibleren Formen als zuvor. Auf den liberalen Rausch folgt die<br />

nüchterne Suche nach der optimalen Kombination von freiem Unternehmertum<br />

und demokratischer sozialer Regulation.<br />

Auf der Suche nach einem russischen Weg zu »sozialer Marktwirtschaft«<br />

Die Erfahrung der entwickelten Länder (in denen es nirgendwo einen absolut<br />

freier Markt und absolut freies Unternehmertum, sondern entwickelte Formen<br />

staatlicher Kontrolle und Regulation gibt) ist <strong>für</strong> die im Übergang zur Marktwirtschaft<br />

befindlichen Länder von großem Nutzen. Diese Erfahrung warnt sie vor<br />

destruktiven Sprüngen und primitiven Produktions- und Austauschformen. In<br />

Rußland gibt es zusätzliche Gründe zu vorsichtiger Dosierung neoliberaler<br />

Rezepte der Wirtschaftspolitik, und diese Gründe liegen in den Besonderheiten<br />

der russischen Gesellschaft und ihrer Traditionen.<br />

Die Anhänger der »Schocktherapie« verweisen <strong>für</strong> gewöhnlich auf die polnische<br />

Erfahrung, die ihrer Meinung nach ein Modell <strong>für</strong> Rußland abgeben kann.<br />

Lassen wir die Frage beiseite. wie erfolgreich der Neoliberalismus dort, wo die<br />

sozialökonomische Krise noch keineswegs überwunden ist, tatsächlich war, so<br />

hilft der Vergleich mit Polen, die spezifischen Züge Rußlands zu sehen: dort eine<br />

einzige Nation, hier eine jahrhundertealte heterogene multinationale Gemeinschaft;<br />

dort eine die Nation als solche konsolidierende Religion, hier ein Spektrum<br />

sich bekämpfender Konfessionen; dort überwiegend bäuerliche Familienbetriebe,<br />

hier in erster Linie Genossenschaften und Staatsgüter; dort ein relevanter<br />

Sektor von Privatunternehmen, hier die Dominanz eines gigantischen staatlich<br />

gelenkten Industriekomplexes; dort eine lebendige Tradition von Marktbeziehungen,<br />

hier das fast völlige Fehlen einer Infrastruktur von Markt und Zivilgesellschaft.<br />

Selbst wenn wir davon ausgehen würden, daß das neoliberale Übergangsmodell<br />

in Polen »funktioniert« hat, bedeutet dies nicht, daß es sich <strong>für</strong> Rußland<br />

eignet.<br />

Die russische Gesellschaft hat über Jahrhunderte spezifische kulturelle Muster<br />

ausgebildet, die studiert, verstanden und berücksichtigt werden wollen. An der<br />

Grenze zweier Zivilisationen gelegen, bewegte sich Rußland auf westliche Werte<br />

zu, während es gleichzeitig Züge des östlichen zentralisierten Staates aufnahm<br />

und sich in einer leidvollen Geschichte die Werte gemeinschaftsbezogener und<br />

kollektivistischer Solidarität und Wahrheits suche aneignete. Aus dieser Verbindung<br />

gingen Mentalitätsmuster hervor, die nicht westlichen Standards entsprechen.<br />

Eine Poilitik des Übergangs zur Marktwirtschaft kann an diesen gewachsenen<br />

Strukturen nicht vorbei. Das auftauchende Privateigentum muß in die Struktur<br />

einer »mixed economy« der Übergangsperiode integriert werden. Das spezifische<br />

Gewicht sozialer Motive und Regulationsprinzipien ist in einem derartigen<br />

Wirtschaftstypus nicht geringer als das der individuellen Initiative und privaten<br />

Unternehmertums. Es ist nicht der Weg der Zerstörung und Konfrontation.<br />

DAS ARGUMENT 19811993 ©

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