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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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186 Yuri Krasin<br />

totalitären System und in dem riesigen Problem, das der Übergang von der<br />

Staatswirtschaft zu Marktmechanismen darstellt. Die Bilanz spricht gleichwohl<br />

gegen die neoliberale Konzeption. Gajdar und sein Team erlagen einer »Ironie<br />

der Geschichte«; sie straft jeden, der gesellschaftliche Veränderung durch Mittel<br />

betreibt, die den gesellschaftlichen Bedingungen nicht adäquat sind. Es stellte<br />

sich heraus, daß die Resultate mit den Zielen des Aktionsprogramms wenig zu<br />

tun hatten. Nach den klassischen Dogmen eines Liberalismus a la F.A. Hajek<br />

braucht eine freie Wirtschaft freie Preise. Die Liberalisierung der Preise erhielt<br />

deshalb allererste Bedeutung. Sie konnte aber nicht von sich aus einen Markt<br />

schaffen, der die Produktion und ihre an den wirklichen Bedürfnissen der<br />

Gesellschaft ausgerichtete Umstrukturierung stimuliert, gab es doch eine staatlich<br />

gelenkte monopolistische Wirtschaft und keine selbständigen Eigentümer,<br />

die als ökonomische Subjekte hätten agieren können. Was unter diesen Bedingungen<br />

auftauchte, war ein mit kriminellen Strukturen durchsetzter Spekulations-Markt.<br />

Die Großbetriebe, die selbst Teil des Systems staatlichen Protektionismus<br />

und Paternalismus waren und auf denen die Industrieproduktion des Landes<br />

basierte, waren ohne eine längere Übergangs- und Anpassungsperiode nicht<br />

in der Lage, sich in Marktbeziehungen einzugliedern. Indem der »Schock« die<br />

staatlichen Finanzierungskanäle zustopfte, führte er zum Stau wechselseitig unbeglichener<br />

Rechnungen und in der Folge zu Halden unverkaufter Produkte. Da<br />

die Hebel der Marktregulation fehlten, hatte das Ausschalten der staatlichen<br />

Regulierungsmechanismen in der Großindustrie den Zusammenbruch des volkswirtschaftlichen<br />

Gesamtgefüges und einen ungeheuren Produktionsrückgang zur<br />

Folge. Es drohte der völlige Zusammenbruch. Eine Katastrophe mit unvorstellbaren<br />

Folgen zeichnete sich ab, so daß die Regierung gezwungen war, den monetaristischen<br />

Empfehlungen zuwiderzuhandeln und die wechselseitig offenen<br />

Rechnungen auszugleichen. Dies begrub jedoch <strong>für</strong>s erste die Hoffnung, das<br />

Haushaltsdefizit zu überwinden und die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen.<br />

Durch das gestörte Finanzsystem und den Produktionsrückgang gingen die<br />

Preise im freien Fall nach oben. Statt sich, wie die Regierung erwartete, zu verdreifachen<br />

oder zu verfünffachen, stiegen sie auf das Zehn- oder Zwanzigfache<br />

oder noch höher. Eine ruckartige Verarmung der Bevölkerung war die Folge. Die<br />

Einkünfte gingen schlagartig zurück und die Ersparnisse wurden entwertet. Die<br />

Regierung konnte sich den Lohnforderungen der am besten organisierten Teile<br />

der Arbeiterschaft nicht widersetzen und stimulierte damit erneut den Anstieg<br />

der Preise. Am schwersten getroffen wurden die Beschäftigten im Gesundheitsund<br />

Bildungswesen, in Kultur und Wissenschaft, die Rentner, Pensionäre und<br />

Studenten. Die Regierung kann gar nicht anders als mit dem Strom zu schwimmen,<br />

Gehälter, Renten und Unterstützungen zu erhöhen, die durch die ungebremste<br />

Inflationsspirale aufgezehrt worden waren.<br />

Genau zu dem Zeitpunkt, als die Bevölkerungsmehrheit einer sozialen Absicherung<br />

gegen die zerstärerischen Folgen des "Schocks« bedurfte, zerfiel<br />

auf Grund der drastisch reduzierten Haushaltsmittel das bisherige Sozialsystem,<br />

das ungeachtet seiner gleichmacherischen und paternalistischen Mängel doch<br />

eine wirkliche Errungenschaft der Sowjetrnacht war. Die Menschen wurden in<br />

die Spontaneität eines rein spekulativen Marktgeschehens gestürzt, das den<br />

DAS ARGUMENT 19811993 ©

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