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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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182 Andrzej Malkiewicz/Jerzy Palys<br />

dazu die Bereitschaft zu Opfern und die Überzeugung, daß die Effekte der neuen<br />

Politik schnell eintreten und die Wirtschafts- und Gesellschaftsprobleme in<br />

absehbarer Zeit lösbar seien. Schon im Frühjahr 1990 war ein Schwund dieses<br />

Vertrauens zur Elite in Polen und der Beginn von Frustration zu verzeichnen.<br />

Das gesellschaftliche Bewußtsein blieb gespalten: Einerseits forderte es die Beschleunigung<br />

des Marsches zum Kapitalismus, andererseits protestierte es gegen<br />

die konkrete Art und Weise seiner Realisierung. Die Unzufriedenheit wurde<br />

besonders hervorgerufen durch Arbeitslosigkeit und Betriebsschließungen,<br />

wodurch die Lebensbedingungen verschlechtert wurden. Aber das führte nicht<br />

zur Infragestellung der grundlegenden Ziele der Transformation, sondern nur zu<br />

der Ansicht, daß diese Transformation zu langsam und nicht konsequent genug<br />

realisiert wurde. Das schuf ein Klima, das Populismus, Demagogie und die Suche<br />

nach Sündenböcken begünstigte.<br />

Die Folgen der Realisierung des Balcerowicz-Plans riefen ebenso Enttäuschung<br />

hervor wie die schwindende Rolle der Selbstverwaltung der Arbeiter und Gewerkschaften.<br />

Diese letzte Frage ist von besonderer Bedeutung. Der ganze<br />

Transformationsprozeß wurde initiiert durch den Erfolg der Gewerkschaft »Solidarnosc«.<br />

Sie konnte sich im Herbst 1989 als diejenige Macht im Lande darstellen,<br />

die der PVAP das Machtmonopol entrissen hatte. Die weitere Entwicklung<br />

entsprach dann aber nicht ihren Erwartungen, denn »Solidarnosc mußte<br />

sich zurück in die Rolle einer Gewerkschaft begeben, und auf diesem Feld wurden<br />

ihre Möglichkeiten zudem sehr eingeschränkt. So ist verständlich, daß die<br />

Gewerkschaftsführer mit Machtambitionen unzufrieden wurden. Der Führer<br />

der SolidarnoSC, Lech Walesa, hatte diese Stimmungen freigesetzt durch die Initiierung<br />

politischer Kampagnen unter der Losung von »Beschleunigung«. Ihr<br />

Ergebnis war, daß die früheren Parteifunktionäre beschuldigt wurden, den<br />

Marsch zum Kapitalismus zu hemmen und aus allen exponierten staatlichen<br />

Positionen hinausgedrängt wurden. So wurden die Position des Präsidenten, das<br />

Parlament und auch die Regierung umbesetzt. Jedoch gelang es Walesa nicht, die<br />

Stimmungen zu kontrollieren. Die Extremisten der »Dekommunisierung« beschuldigten<br />

ihn selbst und seine engsten Mitarbeiter sowie die wichtigsten Führer<br />

der früheren illegalen Opposition der Tätigkeit <strong>für</strong> den alten Geheimdienst.<br />

Gehör finden solche Anschuldigungen bei einem Teil der Bevölkerung, der<br />

gewillt ist, die Nichterfüllung der Träume von der wundersamen Umgestaltung<br />

Polens in ein Eldorado mit dem Komplott der Kommunisten und ihrer Helfer zu<br />

erklären. Hier muß man jedoch unterstreichen, daß trotz ausgeprägter Unsicherheiten<br />

die polnische Gesellschaft es bisher vermieden hat, Haß und Gewalt<br />

hervorzubringen. Faschismus und jeglicher Extremismus bleiben marginale<br />

Erscheinungen.<br />

Das Paradox besteht darin, daß die Enttäuschung der Gesellschaft über die<br />

Veränderungseffekte sich noch immer in Forderungen nach Beschleunigung<br />

widerspiegelt. Allgemein wachsen jedoch in Polen Unwille und Enttäuschung.<br />

Der Enthusiasmus, der <strong>für</strong> die Wende von 1989 bis 1990 charakteristisch war, ist<br />

unwiederbringlich verloren. Das wird jedoch u.E. keinen großen Einfluß auf<br />

den Verlauf des Transformationsprozesses ausüben. Der Sozialismus brauchte<br />

Enthusiasmus. Ohne diesen konnte er nicht entstehen, und existieren konnte er<br />

DAS ARGUMENT 198/1993 ©

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