Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Wege und Fallen beim Aufbau des Kapitalismus in Polen 181<br />
wenig investieren muß. Sie leben vom Straßenhandel und erlangen mit Mühen<br />
die Chance auf einen eigenen Laden. Auf diese Art entsteht eine Schmarotzerform<br />
des Marktes, der sich über die Produktion erhebt und sich in den alten<br />
Strukturen der Staatsindustrie ausbreitet. Dies vollzieht sich im Ergebnis einer<br />
neuen »ursprünglichen Akkumulation des Kapitals«. Die verstreuten Aktivitätsformen<br />
werden zwangsläufig mit der Zeit in stärkeren Strukturen konzentriert,<br />
die durch das westliche Kapital kontrolliert werden. In Übereinstimmung mit<br />
den Tendenzen der gegenwärtigen Etappe der internationalen Arbeitsteilung<br />
wird dieses Kapital nach Polen Industriezweige mit hoher Arbeitsintensität<br />
bringen, und es wird an der Konservierung der gegenwärtig niedrigen Preise <strong>für</strong><br />
polnische Arbeitskraft interessiert bleiben.<br />
Diese Erscheinungen sind typisch <strong>für</strong> Länder der Dritten Welt. Die Begrenzung<br />
der individuellen Einkommen der Bevölkerung reduziert den Inlandsmarkt,<br />
der überdies durch die Auslandskonkurrenz bedroht wird. Das erschwert<br />
den Absatz einheimischer Produkte und infolgedessen auch die Modernisierungsprozesse.<br />
Dadurch wird der Trend zur Naturalisierung der Transaktionen<br />
zwischen Produktionseinheiten verstärkt, was rückwirkend erneut den Inlandsmarkt<br />
einschränkt. Man muß daran erinnern, daß einc Bedingung <strong>für</strong> den Erfolg<br />
wirtschaftlicher Entwicklung in den Metropolen die Erweiterung des eigenen<br />
Inlandsmarktes war. Für Polen ist diese Politik unmöglich, denn die Forderung<br />
nach Schutz des Inlandsmarktes vor ausländischen Waren würde ihrerseits die<br />
Chance verringern, moderne Technologien zu bekommen usw.<br />
Angesichts der dargestellten Erscheinungen ist die Geduld der polnischen<br />
Gesellschaft erstaunlich. Zwar kommt es oft zum Ausbruch von Streiks, und die<br />
Demonstrationen auf den Straßen und andere Protestformen halten seit dem<br />
Herbst 1989 an, als offiziell der Aufbau des Kapitalismus in Polen begann. Doch<br />
wurden die Grundlagen dieses Aufbaus, geschweige denn sein Projekt insgesamt,<br />
nicht in Frage gestellt. Keine bedeutende politische Partei oder gesellschaftliche<br />
Organisation unterwirft die Grundlagen des Aufbaus des Kapitalismus<br />
der Kritik. Das betrifft auch die Parteien und Organisationen, die aus dem<br />
alten kommunistischen Lager kommen, sich als Linke organisiert haben und<br />
jetzt lediglich eine Vervollkommung des Programms durch soziale Garantien<br />
fordern. Das Programm des Aufbaus des kapitalistischen Systems begegnet<br />
ebenfalls nicht der Kritik seitens der Hierarchie der katholischen Kirche in<br />
Polen, die doch in anderen Lebensfragen der Gesellschaft so oft ihre Stimme<br />
erhebt, auch nicht seitens der katholischen Parteien, obwohl in der Vergangenheit<br />
oft die kapitalistischen Bedingungen in den westlichen Staaten der Kritik<br />
durch die katholische Kirche unterzogen wurden - auch durch Johannes Paul II.<br />
mit seiner in Polen am besten bekannten Enzyklika »Laborem exercens«. Die<br />
polnische Gesellschaft, die vermeintlich dem Katholizismus und insbesondere<br />
dem Papst verbunden ist, nimmt jedoch diese Kritik nicht wahr, und nur in einzelnen<br />
Publikationen katholischer Intellektueller wird an die Rolle der »wahrhaftigen<br />
Kirche« erinnert.<br />
Was am häufigsten in den jetzigen Protestaktionen angegriffen wird, ist der<br />
langsame Verlauf der Transformation. Seit dem Herbst 1989 hat die gesellschaftliche<br />
Stimmung viel Vertrauen gegenüber der regierenden Elite aufgebracht,<br />
DAS ARGUMENT 19811993 (0