Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Ökonomie 323<br />
Leistungskriterien orientierte Bürger betroffen sind. - In ihrem Aufsatz über »Das<br />
Demokratiedefizit der EG und die Verrechtlichung der Frauenfrage« geht Schunter<br />
Kleemann dem Widerspruch nach, daß Wellen der feministischen Bewegungen zwar<br />
etliche EG-Gremien erreichten, daß dies aber nicht zur tatsächlichen Umsetzung der<br />
politischen Ziele der europäischen Frauenbewegungen geführt hat. Die »besondere<br />
Art und Weise, wie die Gemeinschaftsorgane die Frauenpolitik verrechtlicht und<br />
institutionalisiert haben, (hat) zu einem bürokratisch und gouvernemental verformten<br />
Staatsfeminismus geführt« (30). In einer Untersuchung der einzelnen Gremien<br />
bezüglich ihrer AufgabensteIlungen, Kompetenzen, Legitimation und Finanzkraft,<br />
findet Schunter-Kleemann bestätigt, daß die Politikgestaltungsfahigkeit von Frauen<br />
trotz der zahlreichen offiziellen Organe strukturell gering ist. Trotz innovativer Vorschläge<br />
(etwa des Ständigen Ausschusses <strong>für</strong> die Rechte der Frau, aber auch anderer<br />
Gremien) gelingt es den Frauen nicht, einflußreiche Mitbestimmungsmöglichkeiten<br />
in eigener Sache zu gewinnen. Die Hindernisse sind zahlreich: eine über die ökonomische<br />
Sphäre hinausgehende Thematisierung von Diskriminierungsproblemen von<br />
Frauen - Fragen der Familienpolitik, Gewalt in der Ehe, etc. - scheitert u.a. an einer<br />
Fixierung der EG auf die Erwerbssphäre. Die generelle Funktionsbeschränkung und<br />
das Kompetenzdefizit des Europäischen Parlaments wurde durch die Verhandlungen<br />
in Maastricht nicht aufgehoben. Frauenpolitik in der Kommission - angesiedelt im<br />
Zuständigkeitsbereich des Büros <strong>für</strong> Chancengleichheit - verfügt weder über personelle<br />
Stärke, noch über ausreichende Finanzmittel oder einen autonomen, politischen<br />
Apparat (vgl. 37). Frauenpolitik wurde als »Querschnittspolitik« dem Bereich<br />
Beschäftigung, Soziale Angelegenheiten, Ausbildung zugeordnet. Eine eigene<br />
Generaldirektion »Frauen« gibt es nicht. Für die 165 Millionen Frauen der EG arbeiten<br />
im Büro <strong>für</strong> Chancengleichheit zur Teit zwölf Mitarbeiterinnen, die Vorschläge<br />
ausarbeiten, grundSätzliche Aufgaben der EG auf diesem Gebiet formulieren, Seminare,<br />
Konferenzen durchführen, mit den EG-Netzwerken kooperieren, die einschlägigen<br />
Aktionsprogramme der Gemeinschaft entwickeln, die Anwendung des Gemeinschaftsrechts<br />
kontrollieren sollen usw .. Von den 22 Generaldirektionen befaßt<br />
sich nur eine kleine Abteilung in einer von ihnen mit Fragen der Gleichstellung. Eine<br />
organisatorische Instanz zur übergreifenden Koordination fehlt ihr, sie ist hoffnungslos<br />
unterbesetzt und sitzt in den entscheidenden Augenblicken - wenn der EG-Ministerrat<br />
tagt - vor der Tür. So wird das »Querschnittskonzept« in der Praxis zur Farce.<br />
Drei weitere Beiträge des Bandes seien hier der Kürze halber nur erwähnt und, wie<br />
das Buch insgesamt, zur eigenen Lektüre empfohlen. Wiebke Buchholz-Will befaßt<br />
sich mit den Zusammenhängen zwischen Ehegattenbesteuerung und der Erwerbstätigkeit<br />
von Frauen in der EG; Sonja Nerge stellt <strong>für</strong> die »Karriere-Frauen« EG-weit<br />
test, daß »der in einigen europäischen Ländern begeistert gefeierte Aufstieg von<br />
Frauen ins Management nur sehr vereinzelt stattgefunden hat« (85). Und Ulrike Hiller<br />
und Susanne Schunter-Kleemann stellen bei der Untersuchung der europäischen<br />
Asyl- und Einwanderungspolitik gegenüber Frauen fest, daß auch diese Politik vom<br />
traditionellen Rollenverständnis getragen wird und Frauen wenig Grund bietet, sich<br />
besonders willkommen in der EG zu fühlen.<br />
Die Befunde machen wütend. Es verwundert daher nicht, daß die AutorInnen ihre<br />
Analysen gelegentlich in scharfem und polemischem Ton vortragen. Für diejenigen<br />
Frauen, die nicht gänzlich zynisch oder entmutigt in die europäische, weihliche<br />
Zukunft blick(t)en, wird der Widerspruch eine schwere Aufgabe: dies Haus ist nicht<br />
unser Haus, ein anderes aber haben wir nicht. Pet ra Dobner (Berlin)<br />
DAS ARGUMENT 198/1993 ©