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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Ökonomie 319<br />

Belastung und Arbeitszeitregelungen umgegangen wird. Personalabbau wird z.B.<br />

»schleichend« betrieben, indem Betriebsrat wie Unternehmens1eitung "die Fluktuation<br />

durch Mutterschaft« (126) nutzen; Frauen werden nicht zur Aus- und Weiterbildung<br />

ermutigt, weil sie als Akkordnäherinnen gebraucht werden; vergleichsweise<br />

niedrige Löhne sind haltbar, weil die Frauen auf die Beschäftigungsmöglichkeit in<br />

der Region angewiesen sind, denn die Benutzung des »Familienautos« <strong>für</strong> den<br />

Arbeitsweg ist Privileg der Ehemänner.<br />

Mit einem gewissen Recht legt Aulenbacher ihr Augenmerk auf Beispiele, mit<br />

denen sich die These des »strategischen Bezugs« des Kapitals auf die geschlechtliche<br />

Arbeitsteilung belegen läßt. Dabei entsteht manchmal ein zu glattes Bild. Das Kapital<br />

setzt die Arbeiterinnen nach Belieben ein, die Arbeiterinnen ihrerseits müssen<br />

sich anpassen. Diese eindimensionale Sichtweise ist durch die Anlage der Studie<br />

verursacht: Aulenbacher will herausarbeiten, wie das Kapital die bestehenden Geschlechterverhältnisse<br />

<strong>für</strong> sich zu nutzen weiß, um Kriterien <strong>für</strong> eine offensive<br />

gewerkschaftliche Frauenpolitik zu erarbeiten. So untersucht sie nahezu ausschließlich<br />

unternehmerisches und gewerkschaftliches Handeln. Sie versäumt es aber, nach<br />

den Interessen der Arbeiterinnen und besonders nach den Kompromißformen, in<br />

denen sie handeln, zu fragen. Dabei berichtet sie auch von Beispielen, die zeigen,<br />

daß die Arbeiterinnen selbst da<strong>für</strong> sorgen, daß sie familiären Pflichten nachkommen<br />

können, indem sie Pausen- und Gleitzeitregelungen durchsetzen, die ihnen die Vereinbarung<br />

von Kinderversorgungs- und Berufsarbeit erleichtern oder - entgegen<br />

dem Interesse der Geschäftsleitungen - in Einzelfallen auch den Wunsch nach Teilzeitarbeit<br />

(vgl. 154 ff.) .<br />

Derzeit vollziehen sich auch in der Textil- und Bekleidungsbranche grundlegende<br />

Veränderungen. Die Zukunft gehört der flexiblen Kleinserienfertigung, die die breitere<br />

Nutzung vorhandener Qualifikationen der Arbeiterinnen erfordert. Im tayloristischen<br />

System konnten die Textilarbeiterinnen die relativ geringen Löhne nach<br />

einer Einarbeitungszeit durch Mengensteigerung anheben. Der variable Arbeitskrafteinsatz<br />

widersetzt sich diesem Prinzip: Ohne Routine keine große Mengenausbringung,<br />

ohne Lohnanreiz keine Leistungssteigerung. Mit diesem Konflikt sind alle<br />

von Aulenbacher untersuchten Betriebe konfrontiert. Bisherige Lösungen (Zahlung<br />

eines untertariflichen Zeitlohns oder Beibehaltung der Akkordarbeit) wertet sie als<br />

Zwischenlösungen ohne langfristigen Bestand, weil die Interessen der Arbeiterinnen<br />

so sehr verletzt werden, daß es zu Motivationsrückgang, Anstieg des Krankenstandes,<br />

Zurückhalten von Produktionswissen usw. kommt. Die Frage nach den Chancen<br />

<strong>für</strong> eine künftige Arbeitsgestaltung verknüpft Aulenbacher mit diesem Veränderungsdruck<br />

in der Branche. Dabei müsse die GTB bei der Umorganisierung der<br />

Arbeit, der Neuregelung der Gratifikation, der Arbeitszeit usw. insbesondere darauf<br />

achten, daß nicht mehr »naturwüchsig« auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern<br />

zurückgegriffen werden kann. Dies setzt die grundsätzliche Erweiterung der<br />

gewerkschaftlichen Politik voraus, indem Regelungen <strong>für</strong> eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten<br />

ausgehandelt werden. Gleichzeitig müsse durch Strategien zur<br />

Gleichberechtigung der Arbeiterinnen (z.B. Quotierung zur Überwindung von hierarchischer<br />

Segmentierung) deren Interesse an qualifizierter Berufsarbeit gefördert<br />

werden. Aulenbacher vergißt nicht zu erwähnen, daß die Umsetzung dieser Vorschläge<br />

einen grundlegenden Wandel in der GTB seIhst voraussetzt: d.h. durch<br />

Frauenförderung muß der Anteil der Frauen auf allen Ebenen entsprechend ihres<br />

Anteils an der Mitgliedschaft angehoben werden. Schließlich muß Frauenförderung<br />

aus der Nische befreit und zum integralen Bestandteil der Tarifpolitik werden.<br />

Sünne Andresen (Berlin)<br />

DAS ARGUMENT 198/1993 ©

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