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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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304 Besprechungen<br />

Autor als immer vorhanden auch in »Kartenlegerei« oder »Horoskopstellerei« der<br />

heutigen »Illustrierten« wiedererkennen will (22ff.). Als Kunden der antiken Wahrsager<br />

traten in der Regel »Haussklaven« auf, und da »Minen- und Betriebssklaven«<br />

wegen ihrer »harten Lebensbedingungen« dazu kaum »Gelegenheit« hatten, beschränkt<br />

der Historiker seine Untersuchung auf die Domestiken (25). Im ersten<br />

Kapitel über die »Mentalität Freier« und im zweiten über die der Sklaven wird die<br />

Möglichkeit, daß sich zwischen beiden Parteien ein »positives menschliches Verhältnis«<br />

etablieren kann, betont (vgl. 37ff., 44f., 62,86-89, 120). Das mag es ungeachtet<br />

dessen, daß Sklaven in der Struktur der antiken Produktionsweise auf der Position<br />

der Ausgebeuteten funktionierten, immer wieder gegeben haben. Die Frage stellt<br />

sich, warum Kudlien so penetrant auf dieser Sichtweise besteht. Ein roter Faden<br />

durch sein Buch ist die Auseinandersetzung mit dem 1986 verstorbenen Althistoriker<br />

Moses Finley, der als Kritiker antiker Herrschaftsverhältnisse bekannt ist (12, vgl.<br />

44f., 51, 131f., 165fT; und dazu Finley, Die Sklaverei in der Antike, Frankfurt/M.<br />

1987, 115, 119, 133, 180, im folgenden: F). Finley erklärt das Phänomen, daß es »treu<br />

ergebene Sklaven gab«, damit, daß sich »brutal entwurzelte Menschen«, die »neuen<br />

psychologischen Halt« suchen, oft denjenigen zuwenden, »in deren Gewalt sie sich<br />

befinden«. Ein solches Unterordnungsverhältnis lasse sich auch »in den Konzentrationslagern<br />

der Nazis finden« (F 125). Kudlien kritisiert Vergleiche antiker mit<br />

moderner Sklaverei und insbesondere mit der Situation von »KZ-Häftlingen« scharf<br />

als 'popularisierend' (12ff., 152ff.). Daß Sklavenbesitzer die »Fluchtneigung« ihrer<br />

Sklaven als »Erkrankung« ansahen, regt Kudlien aber selbst zu historischen Analogien<br />

mit dem »Süden« der USA und der »sowjetischen Mentalität« an, wo das »F\uchtstreben<br />

von Negersklaven« oder ein »Dissident« als »geisteskrank« galten (57f.). Das<br />

Forschungsprogramm der Mainzer Akademie zur antiken Sklaverei ist im Kalten<br />

<strong>Krieg</strong> unter antikommunistischen Vorzeichen entstanden, die auch bei Kudlien<br />

durchschimmern. Finley erklärt, wie Historiker in diesem Rahmen den klassischen<br />

Humanismus durch »Zugeständnisse« vor der Kritik zu retten versuchen: Sie verschweigen<br />

nicht, daß Sklaverei bei den Alten existierte, sind aber bemüht um den<br />

Nachweis ihrer »Humanität« bei der Anwendung von Sklaven (F 70). Finley vertritt<br />

direkt gegen den Medizinhistoriker Kudlien die Auffassung, daß eine »medizinische<br />

Behandlung« von Sklaven sowenig wie Maßnahmen <strong>für</strong> eine »verletzte Kuh« eine<br />

»Gewähr <strong>für</strong> eine humanitäre Ethik« bieten (F 126). Kudlien dagegen insistiert, daß<br />

der »in den Haushalt integrierte Sklave« im Krankheitsfall gute, »menschliche Anteilnahme«<br />

von seinem Herrn erfahren konnte (55, 64). Nach Finley war die »menschliche<br />

Qualität« von Sklaven <strong>für</strong> ihre Besitzer kein »Widerspruch« dagegen, mit ihnen<br />

zu handeln und sie zu Tode zu schinden wie Pferde; die Sklavenbesitzer setzten ihren<br />

'lebendigen Besitz' »in seiner Menschenwürde« herab, indem sie »einen männlichen<br />

Sklaven jeden Alters als 'Junge'« (pafs/puer) anredeten (F 86f., 115). Kudlien verwirft<br />

dies polemisch als »moralisierende Geschichtsbetrachtung« und liest aus dieser<br />

Bezeichnung die »Chance« des Sklaven, als »Kind« angenommen zu werden, heraus<br />

(39). Finley greift die 'Humanität' der Sklavenhalterideologie an, indem er auf die<br />

»uneingeschränkte« Verfügungsgewalt der Herrn über die Sklaven »in sexueller Hinsicht«<br />

hinweist (F 114). Kudlien behandelt diese »Sexualität« als »reziproke(s) Intimverhältnis«.<br />

Finley berühre »nur eine Seite« des »Problems«, das Kudlien relativiert,<br />

indem er danehen »sexuelle/homoerotische« Verhältnisse zwischen Sklave und Herr<br />

zur angenehmen Seite des Sklavenlebens zählt (40, 157f.). Fazit: Kudlien übersetzt<br />

paternalistische Ideologie in seinem Untersuchungsmaterial unkritisch in die Schilderung<br />

von Haussklaven-Idylle. Finley ist gegen ein solches Urteil schon dadurch<br />

gefeit, daß sein Blick über die Domestikenschaft hinausgeht und die (in der Antike<br />

DAS ARGUMENT 198/1993 ©

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