Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Geschichte 301<br />
Geschichte als Stadtgeschichte. Die »Grundidee vom Staat« bestehe in der »Herrschaft<br />
des Gesetzes«. Diese etablierte sich zu Beginn des 6. Jahrhunderts im von<br />
Klassenkämpfen geschüttelten Athen unter dem Vermittler Solon als »Eunomie«<br />
(wörtlich etwa »Wohlgesetzlichkeit«) (144ff.). Am Ende des 6. Jahrhunderts führte<br />
der Reformer Kleisthenes die »Isonomie« ein »Usos: gleich, nemein: verteilen)«. Der<br />
Begriff stand <strong>für</strong> die »Gleichheit derer in der Volksversammlung, die gemeinsam mit<br />
den Aristokraten als Hopliten <strong>für</strong> die Stadt in den Kampf zogen« (155). Von »demokratfa«,<br />
»Herrschaft des Demos«, war erstmals nach dem Jahr 461 V.U.Z. die Rede,<br />
nachdem Ephialtes in der Volksversammlung die Beschneidung der umfangreichen<br />
Kontrollrechte des Adelsrats (Areopag) durchgesetzt hatte (179, 182). Aristoteles<br />
faßte die Freiheit (eleutherfa) als Grundlage der Verfassung, die er als »demokratisch«<br />
bezeichnete (he demokratike politefa). Diese eleutherfa war das Privileg einer<br />
Klasse von Politen, die sich dabei abwechselten, zu herrschen (drehein) und<br />
beherrscht zu werden (drehesthai) (Politik, 1317 a40). Die attischen Politen erfuhren<br />
ihren Anteil an der Macht durch die Mitwirkung im Gerichtswesen, im Rat und<br />
schließlich in der Volksversammlung, der ekklesfa. Offenbar besaß ihre demokratfa<br />
einen spezifischen eleutherfa-Begriff, der die heute antagonistischen Konzepte von<br />
Herrschaft und Freiheit miteinander vereinbar machte. Dahlheim versteht die »Freiheit<br />
des Bürgers« in der modernen Demokratie als »Freiheit vom Staat«. Dennoch<br />
geht er von einer »Vergleichbarkeit« der beiden Begriffe von Demokratie aus. Die<br />
Gleichheit des modernen Bürgers vor dem Gesetz analogisiert er mit der Gleichberechtigung<br />
der attischen Politen, obwohl er weiß, daß »Frauen, Sklaven und Fremde«<br />
bei diesen keine politischen Freiheitsrechte besaßen (198). Paul Veyne und Moses<br />
Finley betonen auch die grundsätzliche Andersheit des militanten Engagements der<br />
attischen Politen in ihrem Gemeinwesen gegenüber der politischen Apathie der<br />
modernen Bürger. Dieser Unterschied hängt unmittelbar zusammen mit der grundsätzlichen<br />
Andersheit des modernen Staates im Vergleich zur antiken Polis. Staatliche<br />
<strong>Institut</strong>ionen stehen heute weit »jenseits« der Gesellschaft. Auch wenn Fraktionen<br />
der politischen Klasse sich bei der Ausübung der politischen Macht gelegentlich<br />
abwechseln, kann von einer direkten Teilhabe an ihr durch die Bürgerschaft nicht die<br />
Rede sein. Auch die aristotelische Eleutherfa und das modern-demokratische Freiheitskonzept<br />
lassen sich deutlich unterscheiden: Eleutherfa beruht auf Ungleichheit,<br />
ist ein Privileg der gleichsam als »Freiherrn« Geborenen, auch verpflichtet sie zu<br />
permanenter politischer und militärischer Beteiligung; die moderne »Freiheit« ist<br />
formell egalitär, bedeutet eine Einschränkung des Staates beim Zugriff auf den Bürger<br />
und ist auch mit Politikverdrossenheit problemlos vereinbar.<br />
Während des Peloponnesischen <strong>Krieg</strong>es in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts<br />
wurden die Terme »Freiheit (eleutherfa)« und »Autonomie (wörtlich: sich selbst das<br />
Gesetz geben)« im Denken der griechischen Poleis, die in Athens Seebund gepreßt<br />
worden waren, gekoppelt. Das »Begriffspaar« bildete die Parole derjenigen, die eine<br />
von Athen unabhängige Gesetzgebung anstrebten (176). Diese Prinzipien wurden im<br />
weiteren Verlauf der Geschichte derart hochgehalten, daß die Herrschaftstechnik<br />
Makedoniens darauf reagierte. Trotz seiner Hegemonie in Griechenland ab 338<br />
V.U.Z. beließ es den Poleis wenigstens die »Illusion von Freiheit und Autonomie«<br />
(283). Dahlheims Buch endet mit einem Blick auf die etwa 300 Städte, die Alexander<br />
und die ihm nachfolgenden Könige gründeten. Alexandria in Ägypten, Antiochia in<br />
Syrien oder Seleukeia am Tigris waren bedeutend größer als das klassische Athen<br />
und nur dem Rom der frühen Kaiserzeit vergleichbar. Diese griechischen Poleis<br />
waren nach Dahlheim »politisch« von einem »König abhängig«, »rechtlich« hingegen<br />
»in jeder Beziehung frei«. Walbank sieht das in der Fontana History anders. Zwar<br />
DAS ARGUMENT 19811993 ©