Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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298 Besprechungen<br />
oder um einen Sammelbegriff <strong>für</strong> bislang verstreute Arbeiten, ob zu dieser neuen<br />
Spezialisierung eine Notwendigkeit besteht oder ob sie sich nur dem Ehrgeiz einiger<br />
AutorInnen verdankt, das vermag ich nach der Lektüre dieses Bändchens nicht zu<br />
sagen. Daß der Begriff Ethnopädagogik nicht unumstritten sei, wird im Vorwort<br />
konzediert. Er entspreche der englischen Bezeichnung »Anthropology of Education«.<br />
Ethnopädagogik soll die traditionelle Erziehung einer Gesellschaft aus ihrer<br />
eigenen Perspektive heraus zum Gegenstand haben (Müller, 8). Der Ansatz erscheint<br />
demnach ausgesprochen konservativ. Wie verschiedene Beiträge zeigen, ist man sich<br />
aber dessen bewußt, daß es 'ursprüngliche' oder gar unberührte Kulturen nicht mehr<br />
gibt und daß die Entwicklung zur Weltgesellschaft neue Anforderungen mit sich<br />
bringt. Stellenweise scheint man sich die gleichen Aufgaben setzen zu wollen wie die<br />
»Bildungsforschung mit der Dritten Welt« oder die »Dritte-Welt-Pädagogik« - eine<br />
zugegebenermaßen in mehrfacher Hinsicht problematische Bezeichnung. Aber ist<br />
»Ethnopädagogik« glücklicher gewählt? Anderswo ergeben sich Gemeinsamkeiten<br />
mit der interkulturellen Erziehung, dort nämlich, wo bilinguale und bikulturelle Bildungsprogramme<br />
<strong>für</strong> Minderheiten behandelt werden. Ethnopädagogik hat nach<br />
Treml zwei Bezugsdisziplinen, nämlich die Ethnologie und die Pädagogik (113). Wie<br />
sich aus den »Überschneidungsbereichen« (ebd.) eine eigene Fragestellung entwickeln<br />
ließe, bleibt auch nach dem wissenschaftstheoretischen Traktat des Autors<br />
ungeklärt.<br />
Erny und Rothe sehen folgende AufgabensteIlungen <strong>für</strong> die Ethnopädagogik (109f.):<br />
erstens »das Studium der traditionellen, in der Hauptsache informellen Erziehung«,<br />
zweitens »vergleichende Untersuchungen informeller - und nicht nur traditioneller<br />
Erziehungssysteme« - bisher die Domäne der (freilich noch wenig entwickelten)<br />
kulturvergleichenden Sozialisationsforschung -, drittens Entwürfe <strong>für</strong> eine formale<br />
Bildung, die kulturspezifische Erziehungstraditionen einbezieht, aber gleichzeitig<br />
»Anpassungsfähigkeit« gegenüber den Erfordernissen der Moderne intendiert, und<br />
viertens die »Entwicklung und Evaluierung von Bildungshilfeprogrammen«.<br />
Bei der Zusammenstellung der Beiträge <strong>für</strong> den Band hat man sich offenbar an diesem<br />
Programm orientiert. Am Anfang stehen drei Aufsätze über »Sozialisation und<br />
Erziehung in traditionellen Gesellschaften«, und zwar über »Kindheitsvorstellungen«<br />
(K.E. Müller), frühkindliche Sozialisation (Grohs) und »Initiationen« (K.E.<br />
Müller). Die Beiträge von Müller, so interessant sie sind, kranken daran, daß bei<br />
dem Versuch der Generalisierung der jeweilige kulturspezifische Kontext verloren<br />
geht. Grohs vermeidet dies durch ein exemplarisches Vorgehen. Im zweiten Teil geht<br />
es um die Aufgabenstellung der Ethnopädagogik. Erny und Rothe bieten den LeserInnen<br />
eine historische und eine »systematische Annäherung«. Treml reflektiert<br />
»wissenschaftstheoretische Überschneidungsbereiche«. Sehr informativ ist der<br />
historische Beitrag von Erny und Rothe über die verschiedenen Zugänge zum Problemfeld<br />
seit dem 19. Jahrhundert. Im dritten Teil beleuchtet Adick »Praxis und<br />
Effekte der Kolonialpädagogik«. Bemerkenswert erscheinen ihr die mit den intendierten<br />
Effekten unvermeidlich verknüpften subversiven, <strong>für</strong> die Kolonialherrschaft<br />
dysfunktionalen Elemente. Laaser referiert über Bildungselend und Bildungshilfe,<br />
wobei er auch ein Licht auf die fragwürdigen Interventionen der Weltbank wirft. Der<br />
Aufsatz von Schierle informiert über »Alternative Perspektiven in der Schulerziehung<br />
von US-amerikanischen Indianern und australischen Aborigines«. Sie stellt<br />
kenntnisreich, zum Teil aus eigener Anschauung, verschiedene Projekte bilingualbikultureller<br />
Erziehung vor.<br />
Am Schluß sind unter der Überschrift »Pädagogik des 'Wilden'« zwei Essays von<br />
Treml und Oelkers versammelt. Treml möchte an der Geschichte der Entdeckung<br />
DAS ARGUMENT 198/1993 ©