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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Kunst- und Kultunvissenschaft 289<br />

Im Rückblick auf die Anfange bürgerlicher Kultur verfallt Bermanjedoch kurz der<br />

simplen Ontologie des Freudschen Todestriebes, der seit Werthers und Emilia Galottis<br />

Zeiten wirksam gewesen sei (254). Diese Position ist von den Ontologisierungen<br />

des Narzißmus bei Jacques Lacan und des Masochismus bei Georges Bataille gar<br />

nicht so weit entfernt, wie vom Poststrukturalismuskritiker Berman zu erwarten<br />

wäre. Auch die hochinteressante Fallgeschichte des »Kleinen Kurt« (Waldheim)<br />

bezieht sich letztlich auf den Ödipuskomplex. Allerdings konzentriert sich das dose<br />

reading von Waldheims Beziehung zu Henry Kissinger auf die Ichschwäche des ewigen<br />

Knaben Kurt und dessen latent antisemitische Identifikation mit seinem voll<br />

erwachsenen und jüdischen Doppelgänger Kissinger. In Waldheim sieht Berman ein<br />

Psychogramm der schleichenden Anmaßung einer konfliktverdrängenden postmodernen<br />

Haltung radikaler Neutralität. Das ist pointiert und interessant, jedoch<br />

bleiben die Mankos der freudianischen Grundlage unkorrigiert, die schon die Frankfurter<br />

Schule aufwies. Eine neue Verankerung in nach-freudianischer Objektverhältnis-Psychoanalyse<br />

(D.W. Winnicott, F. Fairbairn, M. Mahler), besonders in feministischer<br />

Psychoanalyse (Jane Flax, Nancy Chodorow) und in Narzißmustheorie<br />

(H. Kohut, 0. Kernberg) ist unabdingbar, um das Vermächtnis der Frankfurter<br />

Schule in sozial<strong>kritische</strong>r und psychohistorischer Perspektive fortzuschreiben.<br />

Kohuts Selbstpsychologie wie auch Winnicotts Konzept der Unfahigkeit zu spielen,<br />

und der gleichzeitigen Unfahigkeit, die Wirklichkeit als solche (nicht-ästhetisiert)<br />

wahrzunehmen, könnten eine solide, weil entwicklungspsychologische Basis <strong>für</strong> die<br />

Einschätzung der Postmoderne bilden.<br />

Bermans faszinierende Analysen zeigen einen klaren Aufbruch in diese Richtung.<br />

Wo seine Kritik polemisch und gewissermaßen als Benjaminische Sprengkraft an<br />

einigen Stellen über die Stränge schlägt, scheint dies allerdings von einer recht<br />

männlichen, d.h. binär oppositionellen Dynamik verursacht zu sein, wie sie unglücklicherweise<br />

die akademische Postmoderne-Diskussion insgesamt auszeichnet.<br />

Es ist kein Zufall, daß die in der theoretischen Grundlegung überzeugendste Kritik<br />

des Poststrukturalismus aus Jane Flax' feministischer Psychoanalyse kommt. Wo<br />

diese eine Kritik des Voyeurismus und der visuellen Gestalt gibt, verweist sie nicht<br />

wie Berman auf die Schrift als Geheimnis der psychischen Entnazifizierung, sondern<br />

kontrastiert die Visualität der Aufklärung mit einer möglichen Kultur des (Psycho-)<br />

Somatischen und der empathischen (Körper-) Berührung. Selbst der von der<br />

Kritik und von Berman so verehrte Benjamin konnte »Taktilität« lediglich in der Verzerrung<br />

des extrem(istisch)en Moments der Sprengung und des Schocks oder als<br />

fotografischen Schnappschuß begreifen, womit das Taktile entweder gewaltsam oder<br />

wiederum visuell wurde (164, 258). Mit Bermans Kritik der politischen Profilschwäche<br />

poststrukturalen Denkens (in: Telos, 85) ist allerdings der erste und beherzte<br />

Schritt zur Wiederbelebung der Ideologie- und Gesellschaftskritik getan, die so<br />

lange überfallig war. Sobald diese Kritik die Erkenntnisse der Psychoanalyse der<br />

letzten 20 Jahre nutzt, wird es möglich, die Frage sowohl nach den dysfunktionalen<br />

wie auch den hoffnungsvollen Aspekten der postmodernen Situation in differenzierter<br />

Weise zu stellen. Harald Weilnböck (Paris)<br />

Kultermann, Udo: Kunst und Wirklichkeit. Von Fiedler bis Derrida. Zehn Annäherungen.<br />

scaneg verlag, München 1991 (221 S., br., 29,80 DM)<br />

Der Band versammelt zehn kürzere Texte, die monographisch Positionen und<br />

Ansätze von Wissenschaftlern, Kunstkritikern und Philosophen vorstellen, die nach<br />

Auffassung des Autors künstlerisches Handeln als eine besondere Form der Wirklichkeitserkenntnis<br />

herausgestellt haben. Eröffnet wird das Buch mit einem Kapitel<br />

DAS ARGUMENT 19811993 ©

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