Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
288 Besprechungen<br />
visuellen Repräsentation vor der schriftlichen definiert: Wenn der Wille triumphiert,<br />
tut er das als (filmisches) Bild. Bereits Jameson hatte von der »Privilegierung des<br />
Sehvermögens« als »einer neuen Arbeitsteilung im 'Körper des Kapitals'« gesprochen,<br />
und die feministische <strong>Theorie</strong> monierte das zwanghafte Sehen als männlichen, aufgeklärt-wissenschaftlichen<br />
Voyeurismus (Keller/Grautkowsky). Hans-Jürgen Syberbergs<br />
Untertitel ist also mehr als wörtlich zu verstehen, »Hitler« ist »ein Film aus<br />
Deutschland« (Berman 100) oder Deutschland ist ein Film Hitlers. Thomas Elsaessers<br />
These zu Rainer Werner Faßbinder und dessen Bearbeitung des Faschistoiden<br />
als Komplex des »to be is to be seen« (Cinetracts 11/1980, 49), wäre hier gut geeignet<br />
gewesen, das Argument fortzuführen und auf Heinz Kohuts psychoanalytisches Konzept<br />
der Spiegelüberiragung zu erweitern. Das <strong>kritische</strong> Projekt könnte so auf den<br />
Boden einer post-freudianischen Sozialpsychologie gestellt werden, die ein weniger<br />
dialektisches als vielmehr empathisches Gespür <strong>für</strong> die andere Seite entwickelt. Von<br />
dieser Position aus ließe sich dann die unpolemische Frage stellen, warum Gestalt<br />
nicht unbedingt immer die faschistische von Jüngers Der Arbeiter sein muß. Gestalt<br />
kann auch Therapie sein, und zwar in einer Weise, in der es die von Berman favorisierte<br />
Schrift der verbrannten Bücher eben nicht kann.<br />
Berman plaziert Avantgarde und Postmoderne auf der Entwicklungslinie derselben<br />
zivilisatorischen Sackgasse. Die Avantgarde wollte die Wirklichkeit zur Kunst<br />
machen, ihre Attacke ging nach hinten los und bereitete wider Willen die Ästhetisierung<br />
und gleichzeitige Kommerzialisierung aller Lebensbereiche vor. Zur Verdeutlichung<br />
verweist Berman aufIstvan Szabos Film Mephisto (1981), der Höfgens avantgardistische<br />
Wut auf die traditionelle Oper als rebellische Vorstufe seines skrupellosen<br />
Konformismus mit den Nazis präsentiert. Eine postmoderne Kritik müßte<br />
jedoch anmerken, daß der Film letztlich kaum eine Kritik dieses Konformismus ist,<br />
sondern stark aus einer modernen und subjektzentrierten Genieästhetik lebt, die sich<br />
in dem hypertrophen Starkult um den diabolisch suggestiven Klaus Maria Brandauer<br />
ausdrückt.<br />
In Thomas Manns Tod in J--enedig zeigte sich diese Dynamik der Entfremdung in<br />
zwei komplementären Phasen. Die Kunst desublimiert sich <strong>für</strong> Aschenbach in den<br />
erotischen Wunsch nach dem wirklichen Knaben Tadzio, während sich die venezianische<br />
Wirklichkeit zunehmend zur Theaterkulisse ästhetisiert und unwirklich wird,<br />
bis hin zur Nichtachtung der tödlichen Krankheit. Die sich ästhetisierende Realität<br />
implodiert in die sich desublimierende Kunst und nimmt die zivilisatorische Katastrophe<br />
des Ersten Weltkriegs vorweg. Mit einer erstaunlichen Begabung zur Synthese<br />
sieht Berman in dieser Desublimierung und in der Bildung einer charismatischen<br />
und damit fiktionalen Gemeinschaft den kleinsten gemeinsamen Nenner von<br />
Hermann Hesses romantischem Pazifismus, Benjamins vagem Kommunismus und<br />
Jüngers emphatischem Militarismus (79). Die Postmoderne wird dann die Unübersichtlichkeit<br />
aller Differenzen zwischen Realem und Fiktionalem total machen.<br />
Im Streifzug durch die gegenwärtige Pop-Kultur zeigt Berman, wie die Grenzen<br />
zwischen Revolutionär und Autokrat nach wie vor verschwommen sind. Schon Sylvester<br />
Stallones Rambo war kein verbissen-reaktionärer Offizier, sondern ein langhaariger<br />
Hippie, technologiefeindlich und ernährungsbewußt - ein antibürokratischvitalistischer<br />
Rebell, der in Vietnam vor allem dem Dolchstoß durch die eigene<br />
Regierung zu begegnen hatte. Seit 1991 kann man nur beipflichten, denn mit George<br />
Bush sah die Welt den ersten Präsidenten in der Position des Rebellen, der vitalistisch<br />
den Kongreß zum Golfkrieg provozierte und den unzähligen John Waynes<br />
unter seinen Mitbürgern versprach, daß »unsere Truppen diesmal nicht wie in Vietnam<br />
mit einem gefesselten Arm kämpfen müßten«.<br />
DAS ARGUMENT 198/1993 ©