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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Kunst- und Kulturwissenschaft 287<br />

wählt sie, in einer gewagten Zusammenstellung, das Alte und Neue Testament, Marx<br />

und Fragen der aktuellen Rechtsprechung. Diese essayistische Gruppierung führt sie<br />

vom Thema des Schmerzes zu dem der Schmerzabwehr. Ihr Buch wandelt sich nun<br />

zu einem groß angelegten kulturanthropologischen Entwurf. Kultur entsteht, um<br />

Schmerz zu verhindern, indem der Mensch Werkzeuge und andere Artefakte entwickelt,<br />

mit denen er sich schützt. Die Ausdifferenzierung der Artefakte fallt mit<br />

dem Fortschritt der Zivilisation zusammen. Die »Struktur menschlicher Schöpfung«<br />

bleibt aber von diesen historischen Entwicklungen im Kern unangetastet. Scarry entwertet<br />

das Geschichtliche. Den <strong>Krieg</strong> interpretiert sie idealistisch als einen Wettkampf<br />

von Weltdeutungen, als ein »Realitätsduell« (195). Es gehe darum, »die Glaubensüberzeugungen<br />

des anderen Volkes ... auszulöschen« und »die eigenen kulturellen<br />

Konstruktionen durchzusetzen« (199). Ökonomische Motive fallen unter die kulturellen.<br />

Scarrys Unverständnis gegenüber dem Ökonomischen schlägt in ihrer<br />

Marx-Lektüre voll durch. Das Produktions system setze »zwei Gruppen von Menschen<br />

in eine Beziehung zueinander ... , die einander in ihren lebenslangen Verhandlungen<br />

über Geld sowie über kulturelle und philosophische Angelegenheiten <strong>für</strong><br />

immer antagonistisch gegenüberstehen werden angesichts der Tatsache, daß die eine<br />

Gruppe körperverhaftet und die andere vom Körper entlastet ist.« (383) Diese Reformulierung<br />

des Klassenverhältnisses im Horizont der Körperlichkeit geht an der legalen<br />

Aneignung des aus fremder Arbeit erzeugten Mehrwertes durch den Käufer der<br />

Arbeitskraft vorbei. Das Kapital interpretiert Scarry unter dem Vorzeichen des Entfremdungsbegriffs:<br />

Es »zeichnet in allen Einzelheiten den Weg nach, auf dem die<br />

ursprüngliche Reziprozität, die der Schöpfung von Artefakten eigen ist, den Rückweg<br />

zu ihrem menschlichen Ausgangspunkt verlor.« (379) »Die« Schöpfung darf<br />

aber nach Marx unabhängig vom historischen Stand der Produktivkräfte gar nicht<br />

unterstellt werden. Ihm geht es deshalb nicht um die illusionäre Aufhebung der<br />

sogenannten Selbstentfremdung, sondern um die demokratische Verfügung über das<br />

Produzierte. Scarrys Text kann wegen seiner theoretischen Unzulänglichkeiten nicht<br />

überzeugen. Faßt man ihn aber als einen Essay auf, vermag er, weil er thesenreich<br />

und originell verfahrt, Denkanstöße zu vermitteln. Sven Kramer (Hamburg)<br />

Berman, Russell: Modern Culture and Critical Theory. Arts, Politics and the<br />

Legacy of the Frankfurt School. University of Wisconsin Press, Madison 1989<br />

(288 S., br., 16,95 $/ Ln., 38,- $)<br />

Russell Bermans Zusammenstellung seiner Aufsätze aus den achtziger Jahren folgt<br />

der Intention, den <strong>kritische</strong>n Impuls der Frankfurter Schule wiederzubeleben und<br />

ihn auf Ästhetik, <strong>Theorie</strong> und Politik dieser sogenannten postmodernen Dekade zu<br />

richten. Die Gegenüberstellung von Adornos letztendlichem Vertrauen in die Qualität<br />

der negativen Dialektik mit dem unverantwortlichen, nicht antwortenden Ellenbogen-Eklektizismus<br />

eines Lyotard setzt den Auftakt. Es folgen scharfsinnige Essays<br />

zu Foucault, Adorno, Benjamins Faschismusbegriff, Leni Riefenstahl, Ernst Jünger<br />

und eine Analyse von Botho Strauß' Der Park. Neben Anmerkungen zur postmodernen,<br />

eigentlich spätmodernen Spiegelglasarchitektur, zur fitneßbewußten Körperarchitektur<br />

und zu den Lebensstilangeboten der hermetischen Kaufhauslandschaften<br />

findet sich eine Kritik der konfliktängstlich-harmonistischen Friedensbewegung, die<br />

sich in puritanischen Selbstüberwachungszwängen ergehe und zuletzt eine Analyse<br />

der nostalgischen Großmachtphantasien in Mitteleuropa, die in der großen Wanderausstellung<br />

Wiener Faszination zum Ausdruck kam.<br />

Im Riefenstahl-Kapitel schlägt Berman die Brücke von der Postmoderne-Diskussion<br />

zu seiner <strong>Theorie</strong> des Faschistoiden, das er als zwanghafte Privilegierung der<br />

DAS ARGUMENT 198/1993 ©

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