Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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286 Besprechungen<br />
vorzunehmen. Durch die Einbeziehung anderer, verwandter Arbeitsgebiete wie der<br />
Relevanztheorie und der Diskursanalyse ist jedoch besonders im ersten Teil des<br />
Buches, das eine Systematisierung der verschiedenen Modi der Leseransprache bietet,<br />
gut nachzulesen, in welcher Weise die aus der Beobachtung nichtfiktiver Kommunikation<br />
heraus entwickelten Maximen prinzipiell im Kontext fiktiver Interaktion<br />
ihre Einschränkung erfahren. Der methodisch kluge Aufbau des Buches führt das<br />
Gricesche Modell schrittweise mit Hilfe von Textbeispielen der gewählten Autoren<br />
ein, um es daran anschließend an Hand ganzer Gedichte in erwähnter Weise als interpretatorische<br />
Stütze anzuwenden. So werden vor allem die Texte Grays und Youngs<br />
in einer erfrischenden, ihre argumentative Struktur verdeutlichenden Diskussion<br />
vorgestellt. Göran Nieragden (Köln)<br />
Kunst- und Kulturwissenschaft<br />
Scarry, Elaine: Der Körper im Schmerz. S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1992<br />
(576 S., Ln., 78,- DM)<br />
Scarry gliedert ihr Buch in die Teile »Auflösung« und »Erzeugung«. Streng<br />
genommen handelt nur der erste, in dem sie die Folter und den <strong>Krieg</strong> untersucht,<br />
vom »Körper im Schmerz«. In der Folter wird maximale Qual systematisch hervorgebracht.<br />
Der Schmerz greift in physiologische Vorgänge ein, zerrüttet die Wahrnehmungs-<br />
und Sprachfahigkeit und verstellt dadurch die dem Menschen eingeborene<br />
Weltzugewandtheit: »Intensiver Schmerz tilgt die Welt aus.« (47) Scarrys<br />
Begriff von Welt geht auf Nelson Goodman zurück, der in Harvard lehrte, wo Scarry<br />
Professorin <strong>für</strong> Literaturwissenschaft ist. Schmerz sei nicht kommunizierbar: »Die<br />
radikale Subjektivität von Schmerz anerkennen heißt, die schlichte und absolute<br />
Unvereinbarkeit von Schmerz und Welt anerkennen.« (77) Weil sich jenen, die keine<br />
Schmerzen haben, der Schmerz nicht mitteilt, sind deren Aussagen über ihn Fiktionen.<br />
Dies ermöglicht die ideologische Vereinnahmung des leidenden Körpers durch<br />
politische Macht. In der Folter machen die Herrschenden den »Schmerz, der <strong>für</strong> den<br />
Gepeinigten bereits unbestreitbar real ist«, in »vielgestaltigen und ausgeklügelten<br />
Prozessen sichtbar« (79). Hierzu gehört das Verhör, das den Verrat an sich selbst<br />
inszeniert. Die Schmerzattribute werden dann umgedeutet zu Insignien der Macht.<br />
Für den einzigen Zweck der Folter hält es Scarry, »eine phantastische Illusion von<br />
Macht herzustellen« (44), die deren Steigerung dient. Hier spätestens muß die Autorin<br />
kritisch gefragt werden, ob die »fiktive« (87) Macht, die in der Folter ausgeübt<br />
wird, nicht im Gegenteil höchst real ist. Die Folterdrohung, mit der ganze Gesellschaften<br />
terrorisiert werden, als eine Fiktion zu bezeichnen, grenzt an Zynismus.<br />
Sicherlich setzen die Herrschenden den Schmerz anderer <strong>für</strong> sich in Szene. Entscheidend<br />
ist aber, daß sie diese inszenierte Weltdeutung auch real durchsetzen. Die<br />
'Fiktion' wird zum Fakt.<br />
Ein ähnlicher Umdeutungsprozeß wie in der Folter findet im <strong>Krieg</strong> statt. Hier werden<br />
die Leichen der Gefallenen und die versehrten Körper der Verwundeten in Monumente<br />
der Ehre verwandelt. Tod und Schmerz verschwinden unter Fahnen und Orden;<br />
die existentielle Dimension des <strong>Krieg</strong>es wird aus dem Bewußtsein gelöscht. Scarry<br />
geht davon aus, daß es transhistorische Strukturen »der Folter« (43) und »des <strong>Krieg</strong>es«<br />
(91) gäbe. Diese sucht sie mit Hilfe einer an der Phänomenologie orientierten, induktiv-beschreibenden<br />
Methode, die ihre an Einzeluntersuchungen gewonnenen Ergebnisse<br />
verallgemeinert. zu bestimmen. Im zweiten Teil ihrer Studie will Scarry gar »die<br />
Struktur menschlicher Schöpfung ... klären« (257). Als Untersuchungsgegenstände<br />
DAS ARGUMENT 198/1993 ©