Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Sprach- und Literaturwissenschaft 285<br />
Brönnimann-Egger, Werner: The Friendly Reader. Modes of Cooperation between<br />
Eighteenth-Century English Poets and Their Audience. Stauffenburg Verlag,<br />
Tübingen 1991 (120 S., br., 38,- DM)<br />
Linguistische Modelle als methodische Leitlinien der literaturwissenschaftlichen<br />
Interpretation werden seit den sechziger Jahren mit unterschiedlichem Erfolg sowohl<br />
postuliert als auch in concreto angewendet. Die vorliegende BaseIer Habilitationsschrift<br />
stützt ihre These des »kooperativen Lesens« im wesentlichen auf das Konversationsmodell<br />
von H. P. Grice (Logic and Conversation, 1975) und dessen Maximen<br />
der Qualität, Quantität. Relation und der Art und Weise. die. wie Grice dargelegt<br />
hat, jede Form von kommunikativ erfolgreicher dialogischer Interaktion steuern,<br />
während ihre Mißachtung zu - systematisch er faßbaren - Kommunikationsproblemen<br />
führt. Dieses an alltagssprachlicher (und vor allem mündlicher) Konversation<br />
orientierte Modell legt der Autor als Schablone an die behandelten Texte an. Er<br />
exemplifiziert die Mißachtung (floutings) der einzelnen Maximen an Gedichten einiger<br />
namhafter Lyriker der betreffenden Epoche (Gray. Collins, Young, Cowper) und<br />
erörtert anschließend die Frage, welche kooperativen Anstrengungen von seiten des<br />
Lesers geleistet werden müssen, um Kommunikation, also Textverständnis, dennoch<br />
zu erzielen. Das erklärte Ziel der Arbeit ist somit der Nachweis. »daß die Beziehung<br />
zwischen Dichtern und ihren Lesern ebenso wie die Alltagskonversation auf wechselseitiger<br />
Zusammenarbeit beruht« (5).<br />
Hier zeigt sich allerdings der problematische Aspekt der postulierten Analogie von<br />
realem Dialog und Autor - Leser - Beziehung: Da Realdaten nicht zur Verfügung stehen,<br />
muß der Verfasser seine Analyse der Leserreaktionen auf nicht im Beschreibungsfeld<br />
des Griceschen Modells liegende Phänomene stützen. Neben häufigen<br />
Rückgriffen auf exemplarische (schriftlich vorliegende) Reaktionen eines Kritikers<br />
steht so eine Fülle von literarhistorischen und biographischen Details. die zwar alle<br />
Aufschluß über Rezeption und Reaktion der Leser bieten, eine - den Prämissen des<br />
Modells gerecht werdende - Einfügung der Leser-Text-Relation in die Systematik<br />
Grices aber nicht ersetzen können. Der extratextliche Hintergrund führt hier also zu<br />
solideren Schlußfolgerungen als die strenge Textexegese. Brönnimann-Egger streift<br />
zwar kurz die <strong>für</strong> seinen Ansatz zentrale Differenzierung Isers von implizitem und<br />
explizitem Leser (6), vernachlässigt sie aber in den späteren Detailanalysen. So wird<br />
»dem Leser« letztlich statt einer kommunikativ-kooperativen eine dekodierende<br />
Rolle nachgewiesen; als mit dem Textautor oder der persona - ebenfalls eine Differenzierung,<br />
die nicht hinreichend präzisiert wird - in Interaktion stehenden Dialogpartner<br />
kann auch das Gricesche Modell ihn nur unbefriedigend darstellen. Die<br />
Grundschwierigkeit des Unternehmens liegt in Brönnimann-Eggers zu weit gefaßter<br />
Definition der vom Rezipienten zu leistenden Kooperation: »Die Mitarbeit des<br />
Lesers besteht darin, alle nur verfügbaren Anhaltspunkte zu berücksichtigen, die<br />
zum besseren Verständnis des literarischen Textes und seines Autors beitragen. (5)<br />
Sofern diese dem Adressaten anheimgegebene Aufgabe textübergreifend verstanden<br />
wird, also außertextliche Informationen den Rezeptionsprozeß maßgeblich mitbestimmen,<br />
reicht das Konversationsmodell nicht mehr aus, um die im Text selbst<br />
intendierte Reziprozität des kommunikativen Aktes zwischen Autor und Leser herauszustellen.<br />
Der Beitrag der Studie zur Erhellung der von den betreffenden Dichtern favorisierten<br />
textlichen Verfahren ist hingegen unbestreitbar groß. Der Verfasser macht<br />
plausibel, wie spezifische Techniken (Ansprachen. Ellipsen, Deixis) als Verstöße<br />
gegen die Konversationsmaximen beschrieben werden können, nicht ohne dabei zum<br />
Teil einschneidende Modifikationen an der ursprünglichen Fassung des Modells<br />
DAS ARGUMENT 19811993 (f;:)