Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Sprach- und Literaturwissenschaft 283<br />
überaus fein. Psychohistorisch gesehen, geht es hier um den Unterschied zwischen<br />
dem protofaschistischen Wiederholungszwang und dem therapeutischen Durcharbeiten:<br />
Wennpostmodernity dem dunklen Mythos der protofaschistoiden Entfremdung<br />
entspricht, dann ist es - laut Berka - vielleicht lediglich der verwandte und<br />
doch ganz andere postmodernism, der mit seinen helleren Praktiken die längst fällige<br />
Trauer- und Mythen-Arbeit einleiten kann. Auf dem Weg dieser Durch- und Umschriften<br />
liegen neben Schlegel, de Sade und Barthes auch Kellers Der grüne Heinrich<br />
und dessen Diskurs von der »Identität der Nation« (137), Goethes meisterliche<br />
Turmgesellschaft, Georges Batailles Thematik der Hermetik und Entgrenzung, Derridas<br />
Architexturen, Levi-Strauss' Konzept der bricolage (Bastelei) aus Das wilde<br />
Denken (1966) und Platons proto-cineastisches Höhlengleichnis, das in der Perspektive<br />
von Jean-Louis Baudrys Arbeit zum ideologischen Effekt des kinematographischen<br />
Apparats erscheint. Mit einem Wort, postmoderne Vergangenheitsbewältigung:<br />
Strauß »lädt auf der postmodernen Seite zu polaren Gedankenexperimenten<br />
jenseits der Dialektik ein« (120).<br />
Ob Berkas Versuch, Strauß' paradoxes und paralogisches (Lyotard) Sprechen vollkommen<br />
mit einem System auszusöhnen, das letztlich doch »These und Antithese«<br />
entwirft, jeden Strauß-Gegner überzeugen kann, bleibt abzuwarten. Zumal Berka<br />
selbst sich der polemischen Geste gerade dort nicht ganz enthalten kann/will, wo bei<br />
der gesinnungsästhetischen Gretchenfrage, inwiefern Strauß' Texte als protofaschistisch<br />
oder als politisch korrekt einzustufen seien, Kühle angesagt wäre. Auch ist das<br />
Buch nicht ganz einfach, da es wohl aus Platzgründen Strauß' Bezugstexte manchmal<br />
mehr anmerkt als darstellt. Dessen ungeachtet liegt hier ein überaus stimulierendes<br />
und wertvolles Buch vor, das in literarischer und theoretischer Versiertheit den Autor<br />
Strauß in der Fülle seiner intertextuellen Bezogenheit sichtbar macht.<br />
Harald Weilnböck (Paris)<br />
Petersen, Jürgen H.: Der deutsche Roman der Moderne. Grundlegung - Typologie<br />
- Entwicklung. 1.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1991<br />
(424 S., Ln., 58,- DM)<br />
Der Anspruch, den deutschen Roman der Moderne in seiner Gesamtheit vorzustellen<br />
und als Typus gegen den vor- und nichtmodernen Roman abzugrenzen (Klappentext),<br />
zielt auf Grundsätzliches. Entsprechend geht der Autor sein Thema an und<br />
gibt zunächst - anknüpfend am Verständnis derer, die den Begriff »Moderne« (als<br />
Substantiv ab 1887 gebräuchlich) zuerst benutzten - eine historisch und philosophiegeschichtlich<br />
hergeleitete Charakterisierung der Moderne: Die Herrschaft von<br />
Naturwissenschaft und Technik begründet ein neues Verhältnis von Ich und Welt,<br />
das durch eine radikale Subjektivierung gekennzeichnet ist. Das Subjekt, dem alles<br />
offen steht, das die Welt beherrscht, das beliebig setzt und entwirft, wird zum »Möglichkeitswesen«<br />
und die Welt als dessen Spielraum zur »Möglichkeitswelt«. Mit dem<br />
Übergang vom »So-und-nicht-anders« zu einem »So-oder-auch-anders« wird »Möglichkeit«<br />
zur Grunddimension der Moderne.<br />
Die Signatur der Epoche findet sich auch in der modernen Kunst, die Welt nicht<br />
mehr wiedergibt, sondern entwirft, sich ausdrücklich als Kunst, als Setzung erklärt,<br />
jede Sinnstiftung oder Daseinsdeutung verweigert und so »die Offenheit aller Aussagen,<br />
die Aufhebung aller Eindeutigkeit, die Assoziation reiner Möglichkeit ins<br />
Erscheinen bringt« (43). In der erzählerischen Gestaltung weicht der Held, der seine<br />
Geschicke meistert, dem Leidenden, der geschlossene Charakter dem offenen Figurentyp.<br />
Zugleich wird die traditionelle kausale Handlungsstruktur durch Assoziationsgefüge,<br />
akausales Geschehen oder Handlungsvarianten aufgelöst. Die vom<br />
DAS ARGUMENT 198/1993 ©