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Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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282 Besprechungen<br />

Diese Bewegung der sukzessiven Anverwandlung und Distanzierung - so Berkas<br />

Hauptthese - wird bei Strauß durch die Anwendung zweier Tropen betrieben und<br />

gesichert: Sowohl Ironie als auch die Allegorie im Benjaminsehen Sinn gewährleisten,<br />

daß der verdrängte Mythos beschworen und hervorgerufen wird, ohne sich<br />

in hermetischer Totalität und damit unverträglich mit allem anderen als romantischer<br />

Schleier über die Welt zu legen. Ironie und Allegorie entmystifizieren das Irrationale<br />

der Magie in der Psyche. Zu diesem Zweck müssen die deutschen Basis-Mythen von<br />

Grund und Boden, von Nation, Genie, von Einzigartigkeit in Bildung und Liebe erst<br />

einmal (oder auch wieder einmal) ausagiert werden, auch wenn dies nicht immer<br />

ohne narzißtisch-elitäre und selbstverliebt-melodramatische Gesten abgeht. Wo<br />

könnte dies gefahrloser geschehen als auf der Bühne und in der Literatur. Natürlich<br />

machen diese Überlegungen die antidemokratische Vehemenz etwa in Strauß' Paare<br />

Passanten keineswegs schmackhafter. Jedoch ist die Erinnerung an die Unterscheidung<br />

zwischen Autoren- und Figurenebene, zwischen Politik und Kunst hilfreich,<br />

um die gesinnungsästhetische Hitze der Diskussion an das Eigenrecht von Literatur<br />

zu erinnern.<br />

Berka plaziert Strauß im Kontext der Renaissance des Mythos in den achtziger<br />

Jahren (Heiner Müller, Tankred Dorst, Christa Wolf, Hans-Jürgen Syberberg). Auf<br />

der <strong>Theorie</strong>seite vermittelt sie, auf Blumenberg aufbauend, Karl-Heinz Bohrers und<br />

Manfred Franks helles Mythenprojekt mit den Denkern der Nachtseite des Mythos,<br />

Freud und Adorno/Horkheimer. Dabei zeichnet sie den Lektüreweg von Strauß<br />

nach, der immer auch ein Weg durch die <strong>Theorie</strong> des Mythos und der (literarischen)<br />

Sprache ist. Strauß geht über Foucault und Nietzsehe zurück auf die Texte der Bejahung<br />

und Anverwandlung. Das narzißtische Pathos des Romantische (n) Reflexions­<br />

Romans (Strauß) markiert dann einen Fluchtpunkt um 1800, den Strauß aufgreift,<br />

um sich über de Sades hermetisch/textliche Versprachlichung des Körpers und Verkörperlichung<br />

der Sprache zu Roland Barthes sado-masochistischem overkill der<br />

Zeichen in die jüngere Zeit hinaufzuschreiben, wo er dann von der Literatur- und<br />

Sprachtheorie Foucaults und Lacans erneut eingenommen wird - einer Sprachtheorie,<br />

die ihrerseits umgeben von Mallarmes Sprechen »sich mit (ihrer) eigenen<br />

Sprache auslöscht« (63). Von dort schreibt er sich wieder zurück in Schlegels frühromantische<br />

Extase des totalen Dichters, um dann doch den Notausgang aus diesem<br />

Spiegelkabinett zu suchen und so den Narzißmus der selbstverliebten Utopie Benjaminisch<br />

aufzusprengen. Strauß will keineswegs im Delirium der Zeichen und<br />

Mythen aufgehen, sondern sie durch seine Umschriften aufbrechen, um so die Welt<br />

zu erreichen. Das ist gar nicht so einfach und mündet zunächst in einen rabiat antizivilisatorischen<br />

Ton, der Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen wie<br />

auch dessen Naphta-Settembrini-Disput aufnimmt. Mit Emphase läßt Strauß im<br />

reaktionären Fahrwasser Naphtas sprechen und ergeht sich in Nietzscheanischem<br />

Anti-Demokratismus. Demokratie erscheint als medienverzerrter »Überfluß der<br />

Rede« (78), der sich nicht durch einen Mythos binden und vertiefen lassen will. Dies<br />

ist durchaus pathetisch, doch Strauß ist ehrlich: Denn auch der kulturelle Narzißmus<br />

der »spannungslosen Synkretisten« (84), eines kleinen post-demokratisch entspannten<br />

Völkchens einer all-versöhnlichen Posthistoire (im Roman Der junge Mann),<br />

zeigt lediglich, wie die Syntheseabsicht einer »neuen Mythologie« scheitert. Und<br />

dennoch, wo die Fassungskraft <strong>für</strong> Mythisches gänzlich mangelt - so Berka mit<br />

Strauß -, ist nur oberflächliche Entnazifizierung im Sinne einer Rekonstitution des<br />

Nachkriegs-Kapitalismus geleistet. Der unbearbeitete und potentiell kreative Mythos<br />

lebt unterirdisch als Terror fort. Jedoch ist die Grenzlinie zwischen dem, was Berka<br />

mit Hans Blumenberg als terroristischen und als poetischen Mythos bezeichnet,<br />

DAS ARGUMENT 19H/1993 Ci::

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