Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Philosophie 275<br />
etwas, was jenem Jargon auf der Ebene der Typographie entspricht: der mittig petit<br />
gesetzte Motto-Text, dessen Zeilen so umbrochen sind, daß der Umriß einer Art<br />
Vase entstehL Der Herausgeber Otto Kallscheuer hat eine weitere Kuriosität beigesteuert:<br />
jeweils in eckige Klammern eingefügte didaktische Nerdeutlichungen«<br />
dessen, was die Autorin sagen will (soll?). Der Ausdruck »symbolische Ordnung«,<br />
den er derart gleich mehrfach in den Text tut, läßt ahnen, wie er selbst den Vorgang<br />
versteht: als eine jener vielen beliebigen Erweiterungen des »Zeichensatzes« des<br />
gesellschaftlichen Imaginären, worin die Individuen sich wie in einem symbolischen<br />
Supermarkt mit Identitäten bedienen mögen, die allesamt Talmi sind. Oder wäre das<br />
am Ende ernst gemeint? Wolfgang Fritz Haug (Berlin)<br />
Ferber, Rafael: Die Unwissenheit des Philosophen oder Warum hat Plato die<br />
»ungeschriebene Lehre« nicht geschrieben? Academia Verlag, Sankt Augustin<br />
1991 (94 S., br., 29,50 DM)<br />
Ferber ist offenbar ein nicht ganz orthodoxer Anhänger jener Tübinger Schule, die<br />
seit einigen Jahrzehnten davon ausgeht, daß die wichtigsten Lehrsätze Platos nur<br />
mündlich vorgetragen worden und daher verloren sind. Die These ist heiß umstritten;<br />
Ferber spricht gar von einer »Gigantomachie« (10). Nach Ferbers Überzeugung<br />
hat Plato die Fixierung des Wissens als unzulänglich gescheut, doch gibt die »wahre<br />
Lehre« keine Auskunft über die Ideenlehre, sondern hat »die Funktion, zu verdeutlichen,<br />
weshalb es vom Verfasser keine Schrift über das gibt, worum er sich ernsthaft<br />
bemüht« (59). Diese Deutung ändert allerdings wenig am generellen lebensphilosophisehern<br />
Trend, sondern erlaubt lediglich eine milde Modifikation anderer<br />
Begründungsmuster. So weist Ferber den Vergleich mit einer 'Geheimlehre' im<br />
Sinne der Pythagoreer zurück. Daß der Verzicht auf Schriftfassung nicht der Vermeidung<br />
dürrer Schematismen diente, liest Ferber daran ab, daß Platon in manchen<br />
Texten solche Schematismen keineswegs gescheut habe. »Der Grund, weshalb Plato<br />
die 'ungeschriebene Lehre' vom Guten nicht geschrieben hat, liegt so darin, daß<br />
diese zwar Wissenschaft im dialektischen Sinne zu sein hätte, er aber keine Wissenschaft<br />
von ihr hatte.« (17)<br />
Ferber versucht, diese These mit einer Interpretation des »Phaidros« und des<br />
»Tirnaios« zu untermauern. Er stützt sich vor allem auf die Charakterisierung des<br />
Philosophen im »Phaidros« als desjenigen, der »Wertvolleres hat, als was er nach langem<br />
Hin- und Herwenden, Aneinanderfügen und Ausstreichen abgefaßt oder<br />
geschrieben haL« (Phdr. 278d8-e I). Diese Schriftkritik ziele auf das eigene Werk,<br />
genauer, auf die »Politeia«. Schrift sei aus der Sicht Platos ebenso Vortäuschung von<br />
Lebendigkeit wie die Malerei. Sie schweife umher und sei veränderlich wie Sinnliches<br />
überhaupt. Der Dialektiker könne so nur einen Wissensanspruch haben, aber<br />
nicht Gewißheit, könne nicht sophos, sondern nur philo-sophos sein.<br />
Ob diese Argumentation der Behauptung von der Existenz der »ungeschriebenen<br />
Lehre« mehr Überzeugungskraft verleiht, muß bezweifelt werden. Daß Plato die<br />
unterschiedliche Wirkungsweise von Schrift und Rede genau kannte, vor allem als<br />
Instrument von Herrschaft, liegt auf der Hand. Die These von der »ungeschriebenen<br />
Lehre« räumt u.a. diesen Aspekt völlig beiseite und mystifiziert die rhetorische Seite<br />
der platonischen Philosophie ganz in der Tradition eines romantisierenden deutschen<br />
Idealismus. Arnold Schölzel (Berlin)<br />
DAS ARGUMENT 199il993 ©