Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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274 Besprechungen<br />
gekehrten Odysseus zweifelt, »ihr zu sagen, was sie tun soll, noch versucht, ihn zu<br />
überreden, nicht zu neuen Schlachten und Fahrten aufzubrechen« (L 79), - bei Cavarero<br />
repräsentiert sie Widerstand, weibliches »Nur-sich-selbst-Gehören« (27). Doch<br />
gleitet Cavareros Widerstandsbild hinüber zur eifrigen Übernahme eines separierten<br />
Eigenraums, der bestürzend an die von Baeumler entworfene völkische Frauensphäre<br />
gemahnt: ihre Penelope verteidigt nämlich das Hausinnere als einen Raum,<br />
wo sie nicht nur »niemandem als Gemahlin angehört« (26), sondern mehr noch sich<br />
fast stoisch aus der Welt heraushält, den vom Patriarchat den Frauen zugewiesenen<br />
»Winkel des Hauses ... zu einem <strong>für</strong> die Angelegenheiten der Welt undurchdringlichen<br />
Ort: zur eigenen Bleibe« machend (34), deren Zeit die der »weiblichen Hausarbeit«<br />
ist, die »ihren Rhythmus in endloser Wiederholung« findet (32) im Gegensatz<br />
zur abwechslungsreichen und welthaitigen Zeit der Männer, die da<strong>für</strong> des Todes<br />
sind. Aus Widerstand gegen das Engagement in der Welt, nicht aus Widerspruchslosigkeit,<br />
läßt daher Cavareros Penelope den kaum wiedergekehrten Odysseus<br />
erneut in die Welt »hinausziehen, um den Sinn seines Seins in der Gewalt des Todes<br />
aufs Spiel zu setzen«, während sie selbst »das Gemach zu ihrer Sage« macht (39), um<br />
dort die Lebenswelt »als die einzig wirkliche Welt« (49) gegen die Abstraktionswelt<br />
der Philosophie festzuhalten, webend »an jener Wirklichkeit, in welcher Leben vor<br />
allem Geborenwerden bedeutet« (50), eine separate Gemeinschaft von Frauen ausdenkend,<br />
von der es abschließend heißt: »In Frieden tauschten sie untereinander<br />
Blicke und Worte; und beide wurzelten in der einzigartigen Ganzheit ihrer Existenz,<br />
die so offensichtlich von weiblichem Geschlecht war. ( ... ) Sie webten und lachten<br />
zusammen, und die Ruhe ihrer Stube blieb ungestört.« (51) So gerinnt das Material<br />
im ideologischen Aspik.<br />
Bei aller Berechtigung einer radikal <strong>kritische</strong>n Gegenlektüre ist Cavareros<br />
Arbeitsweise daher mehr als problematisch. Obwohl sie als Grundzug allen Philosophierens<br />
»von Parmenides bis zum postmodernen Denken« (16) die Verjenseitigung<br />
des Wesens und die Entwesentlichung des Diesseits ausmacht (vgl. 44), geht sie<br />
selbst nicht den »diesseitigen« Weg historischer Rekonstruktion und Kritik. Von der<br />
geschichtsmaterialistischen Analyse von Marx, der in der Deutschen Ideologie das<br />
Patriarchat und den Gegensatz von körperlicher und geistiger Arbeit als Determinanten<br />
der Philosophie begriffen hat, weiß sie nichts. Indem sie den Umweg über solche<br />
Analysen verschmäht, klappen die ideologischen Fallen zu. Ihr Projekt gerät zum<br />
Unterfangen, weiblichen Logos der Gegenwart mit einer mythologischen Pseudovergangenheit<br />
auszustatten, Mythologie mit Mythologie, Ideologie mit Ideologie zu<br />
erwidern. Aus der Minderheit herrschender Männer der Polis werden die Männer<br />
tout court, und »einer Ordnung der Geburt weiblichen Ursprungs wird eine männlich<br />
geprägte Ordnung des Todes gegenübergestellt« (104). Die von Hannah Arendt<br />
entlehnte (und vom Verlag auf den Umschlag gesetzte) Formel von der »Gebürtlichkeit,<br />
kraft der jeder Mensch einmal als ein einzigartiges Neues in der Welt erschienen<br />
ist«, wird in Anlehnung an Luce Irigaray (vgl. 194, Anm.17) ergänzt durch den<br />
Mythos vom »symbolischen Muttermord« männlicher Leugnung des Geborenseins.<br />
Analyse wird durch Projektion ersetzt. Vergessen ist die Erkenntnis der 6. Feuerbachthese,<br />
daß das Neugeborene erst ein mögliches Menschenwesen ist, das durch<br />
partielle Aneignung der menschlichen Wirklichkeit, in die es hineingeboren wurde,<br />
sich als menschliches Individuum verwirklicht. Bei Cavarero kommen die Menschen<br />
»immer entweder als ein Mann oder eine Frau zur Welt« (12), obwohl sie doch<br />
keinen biologischen, sondern einen sozialen Geschlechtsbegriff verwenden wollte.<br />
Die Sprache klingt nach Richard Wagner, bedeutungsschwanger, eben nachgemachter<br />
Mythos, ein neuer Jargon der Eigentlichkeit, vom Verlag ergänzt durch<br />
DAS ARGUMENT 19811993 ©