Krieg! AIDS! Katastrophen! - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Kongreßbericht<br />
269<br />
»Philosophie und Nationalsozialismus«<br />
Tagung der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, 28. /29. November 1992<br />
Die Tagung sollte nach den Worten ihres Leiters Franz Josef Klehr einen Überblick<br />
über den Stand der For,chung geben, wobei die Teilnehmer übereinstimmten,<br />
daß die historischen Zusammenhänge noch viel zuwenig bekannt sind. Laut Programm<br />
konzentrierte sie sich deshalb "auf jene Untersuchungen, die auf der Grundlage<br />
von Archivmaterial die gesellschaftlichen, institutionellen, interaktionellen<br />
Bedingungen des Philosophierens in der NS-Zeit, also den Universitätsalltag, vergegenwärtigen«.<br />
Vertreter anderer Ansätze, die sich auf die Texte (d.h. die philosophischen<br />
Praxen selbst) konzentrieren, waren nicht eingeladen, auch niemand, der<br />
von der Annahme einer spezifischen Philosophie des NS ausgeht. Der Organisator,<br />
Christoph von Wolzogen (Neue Zürcher Zeitung) eröffnete die Diskussion mit einem<br />
begriffsgeschichtlichen Abriß über »Weltanschauung«. Der Begriff sei in der philosophischen<br />
Tradition verankert (und wurde bis in Kants Kritik der Urteilskraft zurückverfolgt),<br />
erh'ielt aber im NS eine Vielzahl von sowohl philosophischen wie<br />
nicht-philosophischen Bedeutungen. Obwohl die Nazis ihn als »Kampfbegriff« benutzten,<br />
gab es keine einheitliche Verwendung. Auch deshalb waren sich alle Teilnehmer<br />
einig, daß man von »Philosophie und Nationalsozialismus« sprechen müsse<br />
und nicht von einer »Philosophie des Nationalsozialismus«.<br />
Detlcv Piecha (Hagen) stellte Ergebnisse aus seiner noch nicht abgeschlossenen<br />
Arbeit über Alfred Baeumler vor, der in der NS-Zeit <strong>für</strong> das Amt Rosenberg arbeitete.<br />
Er rekonstruierte Baeumlers Denkentwicklung in den zwanziger Jahren und<br />
meinte, man habe den NS als eine religiöse Bewegung zu begreifen, wolle man<br />
Baeumlers politisches Engagement verstehen. Er habe den Rasse-Begriff als funktionales<br />
Äquivalent <strong>für</strong> den (verlorengegangenen) Gottesbegriff benutzt und versucht.<br />
die philosophische Tradition mit dieser Substitution zu reinterpretieren.<br />
Piecha machte geltend, daß nicht Lukacs, sondern Baeumler <strong>für</strong> den Naphta in<br />
Thomas Manns Zauberberg Modell gestanden habe. - Hans-Joachim Dahms (Göttingen)<br />
skizzierte die Rezeption des amerikanischen Pragmatismus und zeigte, daß<br />
Peirce, William James und Dewey von verschiedenen deutschen Philosophen<br />
(Baumgarten. Gehlen, Schelsky) in der NS-Zeit gelesen und positiv aufgenommen<br />
wurden. An Hand zweier Texte von Max Scheler stellte er dem die viel feindseligere<br />
und oberflächlichere Interpretation gegenüber, die der anglo-amerikanischen Philosophie<br />
im Gefolge des Ersten Weltkriegs zuteil wurde, und meinte, der hier wurzelnde<br />
kulturelle Chauvinismus habe sich auf die Rezeption weit negativer ausgewirkt<br />
als der Rassimus in der NS-Weltanschauung, Dahms wollte zeigen, daß in der<br />
NS-Zeit durchaus philosophisch »respektable« Texte produziert wurden. Die Frage,<br />
mit welchem Interesse und in welchem (möglicherweise rassistischen?) Sinn der<br />
Pragmatismus im NS denn rezipiert wurde, stellte sich ihm allerdings nicht. - Am<br />
stärksten ins historische Detail ging Rüdiger Kramme (Bielefeld) mit seiner Untersuchung<br />
zur 1933/34 erfolgten Umbildung des Logos in eine Zeitschrift <strong>für</strong> Deutsche<br />
Kulturphilosophie. An Hand von Dokumenten aus dem Verlagsarchiv von lCB. Mohr<br />
lieferte cr aueh Einzelheiten zur Absetzung von Richard Kroner (vgl. Argument 196,<br />
956ff.) und zur Einsetzung von Hermann Glockner und Kar! Larenz als Herausgeber.<br />
- Carsten Klingemann (Osnabrück) stellte die Entwicklung des Fachs in den<br />
Rahmen einer »allgemeinen Ausdifferenzierung des Deutungswissens der Moderne«.<br />
Die »Soziologisierung« der Philosophie (ihre Aufsplitterung in spezialisierte<br />
DAS ARGUMENT 19811993 ':9